Psy cho lo gi sche Schmerzthe ra pie und Opioide - Ein Wi der spruch?

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Schwerpunkt: Opioide

Schmerz 2005 · 19:441–446                     P. Nilges · DRK Schmerz-Zentrum Mainz
DOI 10.1007/s00482-005-0430-y
Online publiziert: 3. August 2005
© Springer Medizin Verlag 2005

                                              Psychologische Schmerz-
                                              therapie und Opioide –
                                              Ein Widerspruch?

G    egenüber Opioiden bestanden erheb-
liche bürokratische und persönliche Wi-
                                              haltenstherapeutischer Modelle und Be-
                                              handlungsansätze wurden auch lerntheo-
                                                                                            Zudem sollte sich eine Therapie an der Di-
                                                                                            agnose orientieren: Wird eine primär psy-
derstände, die mit einer Unterversorgung      retische Prinzipien in der medikamentö-       chische Ätiologie vermutet, hat auch die
insbesondere von Tumorpatienten ver-          sen Behandlung umgesetzt [6]. Das Prin-       Behandlung auf die relevanten Faktoren
bunden waren und von Zenz u. Willwe-          zip der zeitkontingenten Verabreichung        zu zielen.
ber-Strumpf [24] als Opiatphobie bezeich-     (als vernünftiges Prinzip auch schon vor
net wurden. Inzwischen hat die Verschrei-     Fordyce bekannt, aber weniger beachtet)       Psychogene Schmerzen,
bung von Opioiden auch für Patienten          hat Opiate – wie andere Analgetika auch       somatoforme Schmerzstörung,
mit nichttumorbedingten Schmerzen er-         – „verträglicher“ und sicherer gemacht.       Schmerz mit psychischen Faktoren
heblich zugenommen [3, 7, 8, 14]. Die Ver-    Durch eine zeitkontingente Einnahme
sorgungsdefizite scheinen in einem Maß        werden die Risiken reduziert, die mit einer   Die von Zenz et al. [23] als Kontraindikati-
ausgeglichen zu sein, dass v. Korff u. Deyo   (Selbst)Medikation nach Bedarf verbun-        on für eine Opioidverordnung definierte
[18] warnen: „Chronic pain is not simply an   den sind. Die Gefahr von Missbrauchs-         diagnostische Kategorie ist erweitert wor-
opioid-deficiency state“.                     und Abhängigkeitsentwicklungen ist bei        den und entspricht der (somatoformen)
   Der noch immer (missverstandene)           konsequenter Umsetzung dieses lerntheo-       Schmerzstörung in ICD-10 bzw. DSM IV.
scheinbare Rechtsanspruch auf Schmerz-        retischen „Dogmas“ geringer.                  Insbesondere nach der DSM-IV-Klassifi-
freiheit (s. Editorial in diesem Heft) hat                                                  kation handelt es sich hierbei nicht mehr
zu unrealistischen Erwartungen auf Pati-      Kontraindikation für Opioide –                um eine eindeutig von primär somatisch
enten- und Behandlerseite an die sichere      Indikation für Psychotherapie?                bedingten Schmerzen abgrenzbare psychi-
Wirksamkeit von Opioiden geführt – und                                                      sche Störung.
in einigen Fällen zu erheblichen Spannun-     Gefordert wird seit langem ein sicherer           Im DSM IV wurde die Di ag no se
gen in der Arzt-Patient-Beziehung.            Ausschluss psychogener Schmerzfaktoren        „Schmerzstörung in Verbindung mit so-
   Immer mehr Schmerzpatienten neh-           als Voraussetzung für die Anwendung von       wohl psychischen Faktoren als auch einem
men also Opioide und gleichzeitig psycho-     Opioiden [23]. Für Patienten mit wesentli-    Medizinischen Krankheitsfaktor“ (307.89)
therapeutische Verfahren in Anspruch,         chen psychogenen Schmerzkomponenten           eingeführt. Als Beispiele für medizinische
deren Wirksamkeit in zahlreichen Studi-       (d. h. vor allem ohne die Beschwerden aus-    Krankheitsfaktoren werden Bandschei-
en und Metaanalysen belegt ist [4, 13, 17].   reichend erklärenden somatischen Fakto-       benprolaps, Osteoporose, Arthritis, myo-
Die Vor- und Nachteile dieser Behand-         ren) kommen nach dieser Forderung Opi-        fasziale Syndrome, Neuropathien, Neur-
lungskombination, mögliche ungünstige         oide nicht in Frage. Für Patienten dieser     algien und tumorbedingte Schmerzen ge-
oder günstige Effekte, Indikationen und       Diagnosegruppe ist eine (über die Behand-     nannt. Auch bei Schmerzformen mit so-
Kontraindikationen von Opioiden im Kon-       lung der Schmerzsymptomatik hinausge-         matischen Grundlagen können bedeutsa-
text psychotherapeuischer Interventionen      hende) Psychotherapie die Behandlungs-        me psychische Faktoren eine Rolle spie-
sind bisher nicht systematisch in Studien     methode der Wahl.                             len und somit eine somatoforme Störung
erforscht worden.                                Wesentliche Gründe für den geforder-       als Diagnose gestellt werden. Damit ist auf-
   Die Frage, wie sich Opiate und Psycho-     ten Ausschluss von einer Opioidmedikati-      grund der Diagnose selbst – im Gegensatz
therapie vertragen, ver weist auf die An-     on sind die Gefahr von Missbrauch und         zum ehemals „psychogenen Schmerzsyn-
fänge der psychologischen Schmerzthe-         Abhängigkeit bei Patienten mit psychi-        drom“ – keine Entscheidung über Indika-
rapie. Mit zunehmender Bedeutung ver-         schen Störungen oder hohen Belastungen.       tion oder Kontraindikation von Opioiden

                                                                                                                 Der Schmerz 5 · 2005   | 441
Schwerpunkt: Opioide

    mehr ableitbar. Für diese Patienten kom-     Weise psychisch belastet [15]. Turk u. Okifu-   17,1 SIPD). Dabei war sowohl die Reak-
    men somit beide Behandlungsoptionen          ji [16] verglichen Patienten eines multimo-     tion auf Verum (größerer Effekt bei gerin-
    durchaus in Frage.                           dalen Behandlungsprogramms, die Opio-           gerer psychischer Belastung) als auch die
       Es handelt sich um eine sinnvolle Ent-    ide genommen hatten oder nicht. Sie fan-        Placeboreaktion (größerer Effekt bei höhe-
    wicklung weg von nicht mehr haltbaren        den bei Therapiebeginn keine Unterschie-        rer psychischer Belastung) zwischen den
    Dichotomisierungen. Die vermeintlich         de hinsichtlich Schmerzintensität, Dauer        Gruppen deutlich unterschiedlich.
    klare Trennung von Schmerz in psychisch      der Beschwerden, demographischen (Al-
    oder somatisch bedingt entspricht nicht      ter, Geschlecht) und medizinischen Be-          Zusammenfassung
    mehr dem derzeitigen Kenntnisstand:          funden. Deutliche Differenzen bestanden
                                                 bei beobachtbarem Schmerzverhalten, Be-         Psychopathologische Komorbiditäten füh-
    F Patienten mit eindeutigem somati-          hinderung sowie psychischer Belastung.          ren auch bei Patienten mit klaren somato-
      schen Befund entwickeln im Zeitver-        Patienten mit Opioiden gaben eine mit           genen Schmerzen zu reduzierten Medika-
      lauf erhebliche psychische Belastun-       der Vergleichsgruppe identische Schmerz-        menteneffekten. Psychologische Schmerz-
      gen, die wiederum zur Aufrechterhal-       stärke an. Es sei möglich, so die Autoren,      therapie zur Verbesserung von Schmerzen
      tung der Beschwerden beitragen kön-        dass die Verschreibung auf eine initial hö-     und Verringerung der psychischen Belas-
      nen und die damit auch relevant für        here Schmerzbelastung zurückzuführen            tung trägt damit gerade bei dieser Patien-
      eine psychologische Schmerztherapie        sei. Dennoch bleibe festzuhalten, dass bei      tengruppe möglicherweise auch zur effek-
      werden.                                    vergleichbaren Schmerzmerkmalen und             tiveren Schmerzlinderung durch Medika-
    F Die Bandbreite psychischer Faktoren,       somatischen Befunden die Opioidgruppe           mente bei. In einem Editorial zu diesem
      die sich im Verlaufe einer Schmerzer-      stärkere funktionelle Einschränkungen           Beitrag warnt Williams [20] allerdings vor
      krankung entwickeln können, reicht         und psychische Belastungen erlebt.              weitreichenden Schlussfolgerungen für Pa-
      von psychischen Störungen im kli-              Fillingim et al. [5] bestätigen in einer    tienten mit einer Langzeitmedikation.
      nischen Sinne (nach ICD-10 oder            neueren Studie diese Ergebnisse: Patien-
      DSM IV) bis hin zu Normvarianten           ten mit Opioideinnahme zeigen im Ver-           Indikation für Opioide – Kontrain-
      („normale“ Ängste, die dennoch den         gleich zu Patienten ohne diese Medikati-        dikation für Psychotherapie?
      Umgang mit Schmerz und Behand-             on keine Unterschiede hinsichtlich unter-
      lungsverfahren nachteilig beeinflus-       schiedlicher Schmerzvariablen, gaben je-        Psychotherapeutische Interventionen be-
      sen).                                      doch stärkere Einschränkungen und Be-           treffen das gesamte Spektrum interdis-
    F Patienten mit vorbestehenden psychi-       hinderungen an. Für die affektive Belas-        ziplinärer Schmerztherapie: von der An-
      schen Komorbiditäten, die wiederum         tung zeigte sich ein Interaktionseffekt für     wendung psychotherapeutischer Prinzipi-
      Verlauf und Ergebnis schmerzthera-         den Faktor Geschlecht: Während Frauen,          en im klinischen Alltag durch die koope-
      peutischer Verfahren auch bei primär       die Opioide einnahmen, weniger belastet         rierenden Fachdisziplinen über Gruppen-
      somatisch begründbaren Schmerzen           waren als Patientinnen ohne diese Medika-       verfahren wie Patientenedukation und
      beeinflussen, profitieren ebenfalls von    mente, gaben Männer mit Opioideinnah-           Schmerzbewältigung bis hin zur individu-
      psychologischer Schmerztherapie und        me eine höhere Belastung im Vergleich zu        ellen Psychotherapie als klassischem Set-
      Psychotherapie.                            Männern ohne Opioideinnahme an.                 ting.
                                                     In einer methodisch anspruchsvollen             In der Praxis stellt sich die Frage „ver-
    Es geht um eine Gewichtung der für Ent-      Studie wurde die Rolle psychischer Be-          tragen sich Opioide und psychologische
    stehung, Exazerbation und Aufrechter-        lastung für die Wirksamkeit von Opioi-          Schmerztherapie“ kaum noch. Sowohl
    haltung von Schmerz relevanten psychi-       den bei Patienten mit somatisch begründ-        Opioide als auch psychotherapeutische
    schen Einflüsse, die auch bei Patienten      baren Beschwerden (diskogener Rücken-           Verfahren gehören zum schmerztherapeu-
    mit beispielsweise primär tumorbeding-       schmerz) überprüft [19]. Die Patienten          tischen Alltag. Von Interesse sind die Fra-
    ten Schmerzen mehr und mehr mit Angst,       wurden aufgrund eines kombinierten In-          gen, wie Medikamente und nichtmedika-
    Depressivität und damit verbundener In-      dex psychopathologischer Merkmale in            mentöse Verfahren sinnvoll kombiniert
    aktivität zusammenhängen können. Eine        3 Gruppen mit unterschiedlich stark aus-        werden können, in welchen Fällen eine
    klare Abgrenzung mit ausreichender Si-       geprägter psychischer Komorbidität ein-         Behandlungsmodalität allein ausreicht
    cherheit scheint somit schwierig. Als Kon-   geteilt. Die Schmerzreduktion durch ei-         oder welche Kontraindikationen beste-
    sequenz hat die DGSS die Er weiterung        ne Opioidmedikation (einmalige Verab-           hen. Für diese Fragen liegen keine Unter-
    der ICD-10 um die Ziffer F62.80 vorge-       reichung) wurde in Relation zum Aus-            suchungen vor. Eine bemerkenswert dürf-
    schlagen.                                    gangswert berechnet und zusätzlich um           tige Studienlage konstatiert Mindach [12].
                                                 den ebenfalls erfassten Placeboanteil kor-      Auch Willweber-Strumpf u. Zenz [22] be-
    Psychische Belastung und Wirkung             rigiert. Die Patientengruppe mit der nied-      stätigen diese Sichtweise und weisen darü-
    von Opioiden                                 rigsten psychischen Belastung reagierte         ber hinaus auf generelle Defizite bei Studi-
                                                 mit einer im Vergleich zur Gruppe mit           en zur Langzeiteffektivität bei Anwendun-
    Patienten, die eine schmerztherapeutische    der stärksten Belastung nahezu 3fach bes-       gen über 6 Wochen hinaus hin.
    Behandlung suchen, sind in besonderer        seren Schmerzreduktion (47,6 SIPD vs.

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Zusammenfassung · Abstract

    Für Patienten in schmerztherapeuti-        Schmerz 2005 · 19:441–446
schen Einrichtungen mit multimodalen           DOI 10.1007/s00482-005-0430-y
                                               © Springer Medizin Verlag 2005
Programmen sind psychologische Be-
handlungskomponenten obligatorischer           P. Nilges
Bestandteil der Therapie. Bei einer Opioid-
medikation für Patienten mit wesentli-         Psychologische Schmerztherapie und Opioide – Ein Widerspruch?
chen ätiologischen psychischen Faktoren
können spezifische Konflikte mit Metho-        Zusammenfassung
den und Zielen psychologischer Schmerz-        Die Verordnung und Verfügbarkeit von            werden Fragen der Diagnostik, Indikation,
therapie auftreten.                            Opioiden für Patienten mit nichttumorbe-        Kontraindikation und Verschreibungskriteri-
    Die anxiolytischen und antidepressi-       dingten Schmerzen ist inzwischen erheb-         en. Patienten mit psychischen Belastungen
ven Effekte [20] führen zwar bei einigen       lich angestiegen, und damit auch die Zahl       scheinen weniger von Opioiden zu profitie-
Patienten zur Reduktion der psychischen        von Patienten, die gleichzeitig psychothera-    ren. Gleichzeitig können psychotherapeu-
Belastung. Dies beeinflusst gleichzeitig die   peutische Verfahren nutzen. Es gibt keine       tische Interventionen als Folge von Neben-
Veränderungsmotivation der Patienten un-       Studien zur Wirksamkeit, zu Vor- und Nach-      wirkungen ungünstig beeinflusst werden
günstig. Die zur Schmerzentwicklung bei-       teilen und zu Problemen dieser Therapie-        (z. B. Kognitionen, Aktivität). Mit einem Fall-
tragenden Faktoren bleiben weiterhin be-       kombination. Diese Frage ist für Schmerzkli-    beispiel wird eine sinnvolle Kombination
stehen, durch kurzfristige Erleichterung       niken mit multimodalen Behandlungspro-          beider Verfahren vorgestellt.
werden langfristige Lösungen verhindert.       grammen von besonderer Bedeutung, da
    Zudem berichten Patienten besonders        aufgrund von Selektionseffekten ein hoher       Schlüsselwörter
bei Langzeitgebrauch von nachteiligen          Anteil von Patienten mit psychischen Belas-     Opioide · Psychotherapie ·
kognitiven Effekten u. a. auf ihre Problem-    tungen und einer gleichzeitigen Opioidme-       Schmerztherapie · Fallbericht
lösefähigkeiten. Auch wenn diese Selbst-       dikation aufgenommen werden. Diskutiert
einschätzungen in Studien teilweise nicht
reproduziert werden konnten bzw. für die
Einstellungsphase, Dosisänderungen und         Psychological pain therapy and opioids – a contradiction?
Präparatwechsel vermutet werden, sind
diese Äußerungen regelmäßig. Häufig wer-       Abstract
den solche Defizite für Patienten erst nach    Prescription and accessibility of opioids for   nostics, indication, contraindication, and
einem Medikamentenentzug als Kontrast-         patients with non-malignant pain has con-       prescription criteria. Patients under distress
effekt deutlich.                               siderably increased in recent years, and        seem to benefit less from opioids. At the
    Auf Patientenseite kann gelegentlich       with it the number of patients who, in ad-      same time, side effects of the medication
die Überzeugung bestehen „Mein Arzt            dition, use psychotherapy. So far no study      might influence the psychological interven-
hat mir ein Opioid verschrieben, das hilft     exists yet on the efficacy, the advantages      tions negatively (e. g. cognitions or activi-
ja auch etwas, also ist der Schmerz nicht      and disadvantages, or the problem points        ty). By means of a case report, an example
psychisch, was soll ich dann beim Psycho-      of this combination of treatments. This is-     of how the two treatment options can be
therapeuten?“ Der Vorschlag, die Medika-       sue is of particular importance for interdis-   sensibly combined is presented.
tion zu verändern, zu reduzieren oder ab-      ciplinary pain management programs as,
zusetzen, kann als Zweifel an der Glaub-       due to selection biases, they admit a high      Keywords
würdigkeit der Beschwerden aufgefasst          percentage of patients with psychological       Opioids · Psychotherapy ·
werden und zu erheblichen Widerstän-           distress and simultaneous opioid medica-        Pain management · Case report
den führen. In diesen Fällen können gera-      tion. The questions discussed concern diag-
de die unspezifischen psychotropen Effek-
te von Opioiden als „prestigeträchtiges Bei-
spiel“ für den engen Zusammenhang zwi-
schen Schmerz und Gefühl dienen. Das
entspricht den Erfahrungen vieler Patien-
ten („der Schmerz ist noch da, er kommt
aber nicht so nah an mich ran“). Damit ist
die Medikamentenwirkung eher ein Argu-
ment für eine psychologische Schmerzthe-
rapie mit dem Ziel, emotionale Belastun-
gen zu reduzieren zu helfen.
    Bei stationären Behandlungen finden
sich zudem immer wieder Patienten, die
einen Entzug erfolgreich durchgeführt ha-

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Schwerpunkt: Opioide

    ben und dann – entgegen ihrer ursprüng-        dikationen nicht auf der Basis der vorhan-      der Psychotherapie zurückgeführt, Medi-
    lichen Erwartung – über weniger Schmer-        denen Pathologie, sondern aufgrund des          kamente können als „Konkurrenz“ zur ei-
    zen, eine Verbesserung der Stimmung            in der Untersuchungssituation gezeigten         genen professionellen Kompetenz missver-
    und Initiative berichten. Solche Patienten-    Verhaltens des Patienten getroffen wer-         standen werden.
    modelle können erheblich zur Verbesse-         den. Gerade für diese Patientengruppe               Die Auffassung „So lange der Patient sol-
    rung der Therapiemotivation von Mitpa-         ist dieser Algorithmus besonders nachtei-       che Substanzen einnimmt, kann man keine
    tienten beitragen.                             lig, da Behandlungsprogramme meist das          psychologische Schmerztherapie durchfüh-
        Schwierigkeiten sind bei Patienten         Ziel verfolgen, Schmerzverhalten zu redu-       ren, also ist eine Bedingung das Absetzen“
    mit Opioiden zu erwarten, wenn Aktivie-        zieren. Durch dieses Verschreibungsmus-         ist nur bei Patienten akzeptabel, bei denen
    rung (z. B. im Rahmen einer Depressions-       ter wird jedoch gleichzeitig zur Verstär-       Missbrauch oder Abhängigkeit vorliegt
    behandlung) als Therapieziel angestrebt        kung von Schmerzverhalten beigetragen,          (Kriterien s. Beitrag Jage in diesem Heft).
    wird: neben Motivationsdefiziten treten        womit wiederum die Wahrscheinlichkeit           In der Praxis gelingt es zunehmend, Medi-
    spezifisch für diese Situation ungünstige      inadäquater Verschreibung weiterhin zu-         kamente und Psychotherapie sinnvoll mit-
    Nebenwirkungen auf (Übelkeit, sedieren-        nimmt.                                          einander zu verbinden.
    de Wirkung, Schwindel, orthostatische              Die Überzeugung von Patienten, dass
    Dysregulation), die mit Unsicherheit und       starke Medikamente „einfach helfen müs-         Fallbeispiel
    erhöhter Ängstlichkeit (beispielsweise bei     sen“ und trotz fehlender Wirkung „mehr
    Ausdehnung der Gehstrecke oder Aktivitä-       desselben“ nötig ist, führt zur Eskalation      Der 59-jährige Patient leidet seit einer Er-
    ten außerhalb von Klinik und Wohnung)          von Misstrauen gegenüber dem Arzt, der          krankung an einem Herpes zoster unter
    verbunden sein können [9, 11]. Schwindel       die Entwicklung mit zunehmender Skep-           einer posther petischen Neuralgie, ver-
    wird von verschreibenden Ärzten bei mehr       sis beobachtet und nach Auswegen aus der        bunden mit Schmerzen im Bereich unte-
    als 1/3 der Patienten bei schwachen Opio-      Medikamentenfalle sucht. Patienten wis-         rer Rücken und Bauch. Verschiedene Me-
    iden beobachtet, Müdigkeit in vergleichba-     sen häufig nicht, dass es auch bei starken      dikamente brachten keine ausreichende
    rem Maß bei starken Opioiden [1].              Schmerzmitteln keine Wirksamkeitsgaran-         Besserung. Er nahm schließlich ein vom
       In diesen Situationen sind sowohl ei-       tie gibt („wenn das sogar bei Krebspatien-      Hausarzt verschriebenes schwach wirken-
    ne direkte und sorgfältige Information des     ten hilft, muss es auch bei mir helfen“). Sie   des Opioid in Tropfenform nach Bedarf.
    Patienten durch den (mit)behandelnden          erleben das Versagen starker Medikamen-         Dosissteigerung und Schmerzsteigerung
    Arzt als auch eine Anpassung der Medika-       te als persönliches Versagen und reagieren      entwickelten sich parallel über einen Zeit-
    tion entscheidend für den Erfolg der psy-      mit Verzweiflung und Hilflosigkeit.             raum von 10 Monaten. Stimmung und
    chologischen Therapie. Auch die Entschei-          Zudem findet sich bei Patienten und         Leistungsfähigkeit des beruf lich erfolg-
    dung über eine weitere Dosisreduzierung        Behandlern die – selten offen geäußerte         reichen selbständigen Architekten waren
    oder das Absetzen ist nur in enger Zusam-      – Vermutung, „wenn Opioide nicht helfen,        erheblich beeinträchtigt. Die vordergrün-
    menarbeit zwischen Patient, Arzt und Psy-      dann muss der Schmerz psychisch sein“.          dige Stabilität und noch immer hohe Be-
    chotherapeut möglich.                          Psychologische Schmerztherapie kann             lastbarkeit des Patienten wurden zuneh-
                                                   bei Fixierung auf Medikamente trotz Wir-        mend von Phasen mit Erschöpfung, In-
    Kriterien zur Opioidtherapie in                kungslosigkeit zur Deeskalation beitra-         aktivität und Zukunftsängsten unterbro-
    der Praxis                                     gen: Ziel ist es, in Zusammenarbeit mit ei-     chen. Wesentliche Faktoren dabei waren
                                                   ner Informationsvermittlung durch den           sozialer Rückzug, zunehmende Spannun-
    Die Indikation für Opioide wird regelmä-       ärztlichen Schmerztherapeuten, unrealis-        gen in der Familie, die Vernachlässigung
    ßig dann gestellt, wenn alle schmerzthera-     tische Erwartungen von Patienten an die         persönlicher Interessen bei gleichzeitig
    peutischen Verfahren, inklusive psycholo-      Wirksamkeit von Medikamenten zu iden-           unverändertem Arbeitspensum. Mit der
    gischer Schmerztherapie, nicht zu einer zu-    tifizieren und zu verändern. Gleichzeitig       Erkrankung war ein Vertrauensverlust
    frieden stellenden Schmerzreduktion füh-       geht es um die Aufwertung und Vermitt-          in den eigenen Körper verbunden, die
    ren.                                           lung alternativer Verfahren zur Schmerz-        gewohnt gut funktionierenden Kontroll-
       Turk u. Okifuji [16] untersuchten die       beeinflussung bereits in der frühen Pha-        mechanismen („wenn ich will und mich
    Kriterien, nach denen Opioide verschrie-       se der Medikamentenumstellung. Bei die-         genügend anstrenge, kann ich alles in
    ben werden. Weder der somatische Be-           sem Vorgehen kann die Verordnung von            den Griff kriegen“) funktionierten nicht
    fund noch die angegebene Schmerzinten-         Opiaten zurückgehen [10].                       mehr, er fühlte sich hilf los. Als Konse-
    sität spielten für die Entscheidung zur Ver-                                                   quenz nahm er verstärkt Medikamente
    schreibung von Opioiden eine Rolle.            Friedliche Koexistenz                           ein, um seine Arbeitsfähigkeit zu erhal-
       Als wesentlicher verschreibungsrele-                                                        ten (Tagesdosis bis zu 800 mg, üblicher-
    vanter Faktor wurde das offene Schmerz-        Für Psychotherapeuten sind Patienten un-        weise 250 mg). Dies führte zu einer auch
    verhalten identifiziert: je drängender Pati-   ter Opioidmedikation eine heikle Grup-          in den Augen des Patienten ausweglosen
    enten auftreten, umso eher sind Behand-        pe: Verbesserungen bei Schmerz, Befin-          Situation und auf Empfehlung des Haus-
    ler zur Verschreibung bereit. Damit – so       den und Aktivität können nicht eindeu-          arztes zur Kontaktaufnahme mit einem
    die Autoren – zeigt sich, dass Therapiein-     tig auf die spezifischen Inter ventionen        Psychotherapeuten, der mit dem Patien-

444 |   Der Schmerz 5 · 2005
ten eine ambulante Verhaltenstherapie
begann.
    In der Anfangszeit der Psychothera-
pie litt er wiederholt unter kaum erträg-
lichen Schmerzattacken mit Schmerz-
spitzen, die er zunächst mit zusätzlicher
Opioideinnahme zu kontrollieren ver-
suchte. Die Me di ka menten ein nah me
wurde als Problem identifiziert, der Psy-
chotherapeut informierte sich bei einer
Schmerzklinik über die Medikation. Auf
Empfehlung der Klinik stellte der Patient
die Medikamente auf eine zeitkontingen-
te Einnahme um (4-mal 40 mg/Tag; ein
Versuch der Umstellung auf die retardier-
te Form führte zu keiner ausreichenden
Linderung). Die Verhaltenstherapie führ-
te schließlich zu einer deutlichen Verbes-
serung der Stimmung. Seine Aktivitä-
ten waren nicht mehr auf den Beruf be-
schränkt. Er entwickelte durch die ge-
zielten therapeutischen Inter ventionen
wieder zunehmendes Interesse an posi-
tiven Alltagsaktivitäten, nahm Kontakt
zu Freunden auf, unternahm mit seiner
Familie Urlaubsreisen, die er nicht mehr
für möglich gehalten hatte. Die Korrek-
tur überhöhter Ansprüche an seine Leis-
tungsfähig keit, die Ver mitt lung eines
Entspannungsverfahrens sowie die Be-
arbeitung zahlreicher dysfunktiona ler
Kognitionen („nur ohne Schmerz kann
man wirklich leben“, „ohne Arbeit bin
ich nichts wert“) und inadäquater Stress-
bewältigungstechniken führten zu einer
auch für seine Familie erkennbaren deut-
lichen Verbesserung von Stimmung, Ini-
tiative, Kommunikation und Interesse
an anderen Menschen. Die Dosis blieb
stabil, Schmerzspitzen mit zusätzlicher
Me di ka men ten ein nah me tra ten nur
noch vereinzelt auf. Die Schmerzstärke
änderte sich zunächst nicht, aber, so der
Patient, „der Schmerz zieht nicht mehr
so runter“.
    Die Therapie wurde beendet, über ei-
nen Zeitraum von einem Jahr wurden
Nachuntersuchungstermine in vierteljähr-
lichem Abstand vereinbart und eingehal-
ten. Dabei zeigte sich bis zum letzten Ter-
min eine Stabilisierung der persönlichen,
beruflichen und medikamentösen Situati-
on ohne Rückfälle. Er plant für die nächs-
ten beiden Jahre eine weitere Reduktion
der beruflichen Aktivitäten, um mehr Zeit
für seine vielfältigen Interessen und seine
Schwerpunkt: Opioide

    Familie zu haben. Die Schmerzen seien für          Literatur                                                    20. Williams AC (2005) Psychological distress and opio-
                                                                                                                        id efficacy: more questions than answers. Editorial.
    ihn derzeit ausreichend gebessert, er plant                                                                         Pain, in press
    allerdings eine weitere Reduktion der Do-           1. Bernatzky G, Pipam W, Pinter G, Mitterschiffthaler       21. Willweber-Strumpf A (2001) Diagnose der Medi-
                                                           G, Likar R (1999) Opioidtherapie bei Ärzten für All-         kamentenabhängigkeit. In: Zenz M, Jurna I (Hrsg)
    sis und langfristig ein völliges Absetzen sei-         gemeinmedizin in Österreich. Schmerz 13:266–                 Lehrbuch der Schmerztherapie, 2. Aufl. Wissen-
    ner Medikamente.                                       272                                                          schaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, S 875–
                                                        2. Breivik H (2005) Opioids in chronic non-cancer               885
                                                           pain, indications and controversies. Eur J Pain 9:27–    22. Willweber-Strumpf A, Zenz M (2001) Keine Opioid-
    Diskussion                                             130                                                          abhängigkeit bei Schmerzpatienten? Kommen-
    Bei dem vorliegenden Fallbeispiel ist – ent-        3. Caudill-Slosberg MA, Schwartz LM, Woloshin S                 tar zu Der Schmerz (2000) 14:186–191. Schmerz
    sprechend den Kriterien von Breivik [2] –              (2004) Office visits and analgesic prescriptions for         15:65–66
                                                           musculoskeletal pain in US: 1980 vs. 2000. Pain          23. Zenz M, Strumpf M, Tryba M (1992) Long-term oral
    die Opioidverschreibung indiziert: Ande-               109:514–519                                                  opioid therapy in patients with chronic nonmali-
    re Medikamente hatten keine ausreichen-             4. Eccleston C, Morley SJ, Williams AC, Yorke L, Ma-            gnant pain. J Pain Symptom Manage 7:69–77
    de Wirkung und die Schmerzreduktion                    stroyannopoulou K (2002) Systematic review of            24. Zenz M, Willweber-Strumpf A (1993) Opiophobia
                                                           randomized controlled trials of psychological the-           and cancer pain in Europe. Lancet 341:1075–1076
    war zufriedenstellend. Die als 3. Kriterium            rapy for chronic pain in children and adolescents,
    genannte deutliche Verbesserung der Le-                with a subset meta-analysis of pain relief. Pain
    bensqualität wäre jedoch allein durch das              99:157–165
                                                        5. Fillingim RB, Doleys DM, Edwards RR, Lowery D
    Medikament nicht erreicht worden. Ande-                (2003) Clinical characteristics of chronic back pain
    rerseits führte die Psychotherapie allein              as a function of gender and oral opioid use. Spine
    aufgrund der neuropathischen Kompo-                    28:143–150
                                                        6. Fordyce WE (1974) Pain viewed as learned behavi-
    nente zu keiner ausreichenden Schmerzre-               or. Adv Neurol 4:415–422
    duktion. Durch die Kombination der Ver-             7. Glaeske GJ (2004) GEK Arzneimittelreport. GEK,
    fahren entwickelte sich eine für den Patien-           Gmünder ErsatzKasse
                                                        8. Jage J (2005) Opioid tolerance and dependence –
    ten (und auch für den Therapeuten) zufrie-             do they matter? Eur J Pain 9:57–162
    denstellende Situation.                             9. Jage J, Jurna I (2001) Opioidanalgetika. In: Zenz
        Breivik [2] weist allerdings auch auf die          M, Jurna I (Hrsg) Lehrbuch der Schmerztherapie.
                                                           Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, S
    Gefahren, die mit der Einnahme von Opi-                255–280
    oiden bei Patienten mit nichttumorbeding-          10. Köllner V, Oster O, Greß H, Macher-Hanselmann
    ten Schmerzen verbunden sind, sowie ei-                F, Larsen B (2002) Psychosomatischer Konsil- oder
                                                           Liaisondienst in einer Schmerzambulanz. Anaes-
    nen zunehmende Anteil von Patienten                    thesist 51:897–893
    mit Missbrauch und Abhängigkeit hin: Ge-           11. Maier C, Hildebrandt J, Klinger R, Henrich-Eberl C,
    rade in Situationen mit zunehmender psy-               Lindena G (2002) Morphine responsiveness, effica-
                                                           cy and tolerability in patients with chronic non-tu-
    chischer Belastung besteht die Tendenz,                mor associated pain – results of a double-blind pla-
    durch Dosiserhöhungen oder zusätzliche                 cebo-controlled trial (MONTAS). Pain 97:223–233
    Bedarfsmedikation „Problemlösungen“ zu             12. Mindach M (2000) Keine Opioidabhängigkeit bei
                                                           Schmerzaptienten? Fragen eines lesenden Arztes.
    versuchen. Willweber-Strumpf [21] warnt                Schmerz 14:186–191
    davor, gegen jede Befindlichkeitsstörung           13. Morley SJ, Eccleston C, Williams AC (1999) Systema-
    Medikamente als einfache Lösung anzubie-               tic review and metaanalysis of randomized control-
                                                           led trials of cognitive behaviour therapy and beha-
    ten. Die kurzfristige Entlastung führt lang-           viour therapy in chronic pain in adults, excluding
    fristig zu Missbrauch und schließlich Ab-              headache. Pain 80:1–13
    hängigkeit. Für Patienten mit dieser Diag-         14. Schuler M, Oster P (2004) Zunehmende Bedeu-
                                                           tung der Opioide in der Geriatrie. Schmerz (im
    nose (Kriterien s. Beitrag Jage in diesem              Druck)
    Heft) sind psychologische Verfahren oh-            15. Turk DC, Rudy TE (1990) Neglected factors in chro-
    ne vorherigen Entzug oder eine gleichzeiti-            nic pain treatment outcome studies – referral pat-          Sie suchen eine neue Stelle?
                                                           terns, failure to enter treatment, and attrition. Pain
    ge Umstellung der Medikamente kontrain-                43:7–25                                                     Warum sich lange nach passenden
    diziert.                                           16. Turk DC, Okifuji A (1997) What factors affect phy-
                                                                                                                       Angeboten umschauen?
                                                           sicians‘ decisions to prescribe opioids for chronic
                                                           noncancer pain patients? Clin J Pain 13:330–336             Vielfältige Jobangebote gibt es online
    Korrespondierender Autor                           17. Van Tulder MW, Ostelo R, Vlaeyen JW, Linton SJ,             unter www.jobcenter-medizin.de
    Dipl.-Psych. Dr. P. Nilges                             Morley SJ, Assendelft WJ (2001). Behavioral treat-          Die Vorteile:
                                                           ment for chronic low back pain: a systematic re-
    DRK Schmerz-Zentrum,                                   view within the framework of the Cochrane Back              F nutzerfreundliches, übersichtliches
    Auf der Steig 14–16, 55131 Mainz                       Review Group. Spine 26:270–281                                Design
    E-Mail: nilges@uni-mainz.de                        18. von Korff M, Deyo RA (2004) Potent opioids for
                                                                                                                       F schnelle, komfortable, präzise
                                                           chronic musculoskeletal pain: flying blind? Pain
    Interessenkonflikt: Der korrespondierende              109:207–209                                                   Suchfunktionen
    Autor versichert, dass keine Verbindungen mit      19. Wasan A, Davar G, Lake S, Jamison R (2005) The as-          F Erstellung persönlicher Suchprofile
                                                           sociation between psychiatric comorbidity and                 und Benachrichtigung über
    einer Firma, deren Produkt in dem Artikel ge-
                                                           opioid analgesia in patients with discogenic low
    nannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenz-       back pain. Pain, in press
                                                                                                                         aktuelle, offene Angebote per Mail
    produkt vertreibt, bestehen.                                                                                       F fachspezifische Stellensuche

446 |   Der Schmerz 5 · 2005
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