Belastungsintoleranz, beeinträchtigte Organfunktionen und Mortalität bei erwachsenen Überlebenden nach Krebs im Kindesalter - Degro
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Strahlenther Onkol (2020) 196:1055–1057 https://doi.org/10.1007/s00066-020-01674-0 LITERATUR KOMMENTIERT Belastungsintoleranz, beeinträchtigte Organfunktionen und Mortalität bei erwachsenen Überlebenden nach Krebs im Kindesalter Diana Steinmann1 · Thorsten Langer2 · Tienush Rassaf3 · Robert Michael Hermann4 Online publiziert: 21. August 2020 © Springer-Verlag GmbH Germany, part of Springer Nature 2020 Hintergrund und Fragestellung Mangelnde körperliche Be- schiedener Organsysteme, die Belastbarkeit und die Mor- lastbarkeit („Belastungsintoleranz“) ist in der Allgemein- talität mit einer Gruppe von Überlebenden, die nicht einer bevölkerung insbesondere mit Herzinsuffizienz assoziiert. kardiotoxischen Therapie exponiert waren, und mit einer Hier ist dieses Symptom negativ korreliert mit der Lebens- „gesunden“ Kontrollgruppe. erwartung. Hinsichtlich der Prävalenz und der Bedeutung der kör- Patienten und Methode Im St. Jude Children’s Research perlichen Belastbarkeit bei Langzeitüberlebenden von Hospital, Memphis, werden pädiatrisch-onkologische Pati- Krebserkrankungen im Kindesalter gibt es jedoch nur enten bei Wunsch seit den 1960er-Jahren prospektiv nach- wenige Daten. Zwar ist die Korrelation zwischen kardio- verfolgt. Aus diesem Kollektiv wurden 1041 Patienten re- toxischer Chemotherapie oder thorakaler Bestrahlung und krutiert, die im Zentrum zwischen 1962 und 2007 behan- einer späteren Kardiomyopathie bzw. kardialer Mortalität delt wurden, zum Zeitpunkt der Studie >18 Jahre alt waren, gut bekannt, ob jedoch die körperliche Belastbarkeit eine die Tumorerkrankung ≥10 Jahre überlebt hatten und keine ähnliche Korrelation zur Mortalität aufweist wie in der angeborene Herzerkrankung aufwiesen. Um die statistische Normalbevölkerung, ist bislang nicht untersucht. Aussagekraft zu verbessern, wurden die Teilnehmer vor Re- „Körperliche Belastbarkeit“ setzt sich aus einer Vielzahl krutierung stratifiziert nach kardiotoxischer Therapiebelas- physiologischer und pathophysiologischer Faktoren des tung (thorakale Bestrahlung, kumulative Anthrazyklindo- kardiovaskulären, pulmonalen, muskulären und neurosen- sis), um einen „healthy participation bias“ zu vermeiden. sorischen Systems zusammen sowie aus Lebensgewohn- Als Vergleichsgruppe wurden zusätzlich n = 285 Probanden heiten und psychologischen Einstellungen. ohne pädiatrische Tumorerkrankung in der Vorgeschichte Die Studie von Ness et al. untersuchte die Prävalenz aus dem Umfeld des Zentrums und der Patienten rekrutiert. der Belastungsintoleranz bei Langzeitüberlebenden pädia- trischer Krebserkrankungen, die einer kardiotoxischen The- Die Untersuchungen bestanden aus anthropometrischen rapie ausgesetzt waren, und verglich die Funktionalität ver- Messungen, Erfassung des Lebensumfelds und der Kon- sumgewohnheiten (Risikofaktoren wie Rauchen und Trin- ken, aber auch Qualität der Ernährung). Eine detaillier- Originalpublikation Ness KK, Plana JC, Joshi VM et al (2019) te kardiologische Leistungsdiagnostik erfolgte über ei- Exercise Intolerance, Mortality, and Organ System Impairment in Adult Survivors of Childhood Cancer. J Clin Oncol 38:29–42 ne Laufbandspiroergometrie (bzw. modifiziert über eine Bein-/Arm-Spiroergometrie bei 109 Teilnehmern nach PD Dr. med. Dr. rer. nat. Diana Steinmann Amputationen oder anderen Einschränkungen). Als „Be- Steinmann.Diana@mh-hannover.de lastungsintoleranz“ wurde eine relative maximale Sau- 1 Klinik für Strahlentherapie und Spezielle Onkologie, erstoffaufnahme (VO2max in ml/kg/min) von
1056 Strahlenther Onkol (2020) 196:1055–1057 und Herzfrequenzregulation gemessen. Mit Spirometrie zu 5,6 % thorakotomiert und zu 6,6 % amputiert worden im wurde die Lungenfunktion ermittelt; hier stand das for- Vergleich zu 1,9 % bzw. 1,9 % in der N-ex-Gruppe. cierte exspiratorische 1 s-Volumen (FEV1) im Fokus. Auch Überlebende hatten in der Spiroergometrie eine sig- wurde die Muskelkraft ermittelt (Quadrizeps) und eine neu- nifikant niedrigere mittlere maximale Sauerstoffaufnah- rologische Befragung und Untersuchung durchgeführt zur me (Ex-Gruppe: 25,74 ± 8,36 ml/kg/min; N-ex-Gruppe: Erhebung der „modified total neuropathy scale“ (MTNS). 26,82 ± 8,36 ml/kg/min) als die Kontrollgruppe Um die Belastbarkeit zwischen den Überlebenden zu (32,69 ± 7,75 ml/kg/min). Die oben definierte Belastungs- vergleichen, wurde eine multivariable Regression der erho- intoleranz zeigte sich mit ca. 64 % in der Ex-Gruppe, mit benen Daten durchgeführt. Es wurde die Gruppe, die mit ei- 56 % in der N-ex-Gruppe und mit 26 % in der Kontrolle. ner kardiotoxischen Therapie exponiert war („Ex-Gruppe“), Eine niedrige kardiopulmonale Fitness war messbar mit der Gruppe, die nicht exponiert war („N-ex-Gruppe“) und ca. 64 % vs. 56 % vs. 26 %. Ursächlich für diese Befunde der gesunden Vergleichsgruppe gegenübergestellt. Ebenso waren zumindest teilweise kardiale, pulmonale und peri- wurden die Zusammenhänge zwischen der ehemaligen The- phere/neuromuskuläre Einschränkungen der Überlebenden rapie, den Organfunktionen sowie der Belastungsintoleranz in der qualifizierten weiteren Diagnostik im Vergleich zur und der Letalität statistisch bewertet. Kontrollgruppe. Während einer Nachbeobachtungszeit von 4 Jahren waren 24 Patienten verstorben. Die für diverse Ergebnisse Von den 1041 rekrutierten und untersuchten Risikofaktoren adjustierte Hazard Ratio für die Gesamtmor- Patienten waren n = 666 hinsichtlich einer kardiotoxischen talität betrug 3,93 (95%-KI 1,09–14,14) für Überlebende Therapie exponiert gewesen, n = 375 nicht. Die Studienteil- mit Belastungsintoleranz im Vergleich zu Patienten ohne nehmer waren im Mittel mit 9 Jahren behandelt worden, bei Belastungsintoleranz. Studieneinschluss waren sie ca. 35 Jahre alt. Die Geschlech- Der Einfluss der stattgehabten Therapien auf die End- ter waren fast hälftig vertreten. Zwischen der Ex-Gruppe punkte wurde ebenfalls untersucht. So war beispielsweise und der N-ex-Gruppe bestanden keine signifikanten Unter- eine reduzierte mittlere maximale Sauerstoffaufnahme as- schiede im Body-Mass-Index und anderen anthropometri- soziiert mit >350 mg/m2 Anthrazyklinen, >30 Gy thorakaler schen Werten, allerdings zeigte die gesunde Vergleichsgrup- Bestrahlung, >20 Gy kranieller Bestrahlung und Carbopla- pe mit einem geringeren Körperfettanteil im Vergleich zu tin. In den Korrelationen der verschiedenen in der Echo- den Patienten günstigere anthropometrische Werte. Lebens- kardiographie erhobenen Parameter war auffällig, dass eine gewohnheiten (in Hinblick auf Rauchen, Alkohol) waren erhöhte GLS, aber nicht eine reduzierte EF mit der Belas- zwischen allen 3 Gruppen etwa vergleichbar, die Personen tungsintoleranz assoziiert war. der Vergleichsgruppe hatten aber häufiger einen Studienab- schluss, waren öfter verheiratet und erreichten höhere Werte Schlussfolgerungen der Autoren Eine Belastungsintoleranz bei der Erfassung einer gesunden Ernährungsweise. bei 35-jährigen Erwachsenen nach erfolgreicher Behand- Die onkologischen Diagnosen waren aufgrund der Strati- lung pädiatrischer Tumoren, die so ausgeprägt ist wie bei fizierung nach kardiotoxischer Therapie ungleich in beiden 70- bis 80-jährigen Vergleichskollektiven, ist ein unabhän- Patientengruppen verteilt: Hodgkin-Lymphome dominier- giger Prädiktor für Mortalität. ten in der Ex-Gruppe (27 % vs. 3,7 %), gefolgt von Os- Weiterhin scheint die echokardiographische Bestimmung teosarkomen und Ewing-Sarkomen (12,8 % vs. 1,4 %). In der GLS bei asymptomatischen Patienten einen besseren der N-ex-Gruppe standen ZNS-Tumoren (26,7 % vs. 8,6 %), Hinweis auf eine solche Symptomatik geben zu können als akute lymphatische Leukämien (24,8 % vs. 20,3 %) und Re- die Bestimmung der EF. tinoblastome (9,6 % vs. 0,4 %) im Vordergrund. Entspre- Neben behandlungsbedingten kardialen Einschränkun- chend hatte die N-ex-Gruppe signifikant häufiger eine kra- gen erhöhen pulmonale und muskuläre Beeinträchtigungen nielle Radiotherapie erhalten. 51,5 % der Ex-Gruppe war das Risiko einer Belastungsintoleranz. Diese Beeinträch- im Bereich des Thorax mit im Mittel 26 Gy (20–35 Gy) be- tigungen müssen berücksichtigt werden, wenn physische strahlt worden, 45,8 % dieser Gruppe hatten (im Vergleich Aktivität oder Übungen empfohlen bzw. erwartet werden. zu 8,8 % der N-ex-Gruppe) eine abdominelle Radiatio er- halten. 30,5 % der Ex-Gruppe waren sowohl thorakal be- strahlt als auch mit Anthrazyklinen therapiert worden. Ins- Kommentar gesamt hatten fast 80 % der Ex-Gruppe Anthrazykline er- halten (die Hälfte mit einer mittleren kumulativen Dosis von Die vorgestellte Studie umfasst die bislang größte Anzahl >200 mg/m2). 70 % der Ex-Gruppe hatten Alkylanzien und von erwachsenen Überlebenden einer Krebserkrankung im 70 % Vincristin bekommen vs. 30 % bzw. 50 % der N-ex- Kindesalter mit einer Vielzahl von Therapien. Mit aufwen- Gruppe. Die Unterschiede bei anderen Chemotherapeutika digen, validierten Verfahren wurde die – oft nur subjektiv fielen nicht so deutlich aus. Chirurgisch war die Ex-Gruppe wahrgenommene – Verschlechterung der körperlichen Leis- K
Strahlenther Onkol (2020) 196:1055–1057 1057 tungsfähigkeit erfasst, objektiviert und auf Ebene diverser thrazykline, haben langfristige Einschränkungen ver- Organsysteme quantifiziert. So wurden zur Charakterisie- schiedener Organfunktionen zur Folge. Diese können rung der Belastungsintoleranz eine standardisierte Spiroer- sich – auch bei klinisch unauffälligen Patienten – als gometrie und weiterführende kardiopulmonale Testungen „Belastungsintoleranz“ manifestieren. eingesetzt. Diese Belastungsintoleranz ist bei über 60 % der jungen Dabei stellte sich heraus, dass neben den bekannten Fak- erwachsenen Langzeitüberlebenden in der kommentier- toren für eine Mortalität in dieser Population wie Rückfall, ten Studie so ausgeprägt wie bei „gesunden“ Erwachse- Zweittumoren, kardiovaskuläre und pulmonale Erkrankun- nen im Alter von 70 und 80 Lebensjahren. gen oder Inaktivität auch als neuer Risikofaktor die „Be- Die Belastungsintoleranz scheint direkt mit dem „Ge- lastungsintoleranz“ definiert werden kann. Diese ist be- samtmortalitätsrisiko“ in dieser Patientengruppe assozi- dingt durch Einschränkungen einzelner Organsysteme (ins- iert zu sein – wie übrigens auch in der Gesamtbevölke- besondere kardiopulmonal) durch die stattgehabten onko- rung. logischen Therapien wie auch durch eine komplexe Inter- Asymptomatische Überlebende von Krebserkrankungen aktion weiterer Faktoren. Die Inzidenz dieses Symptoms – im Kindesalter, die einer Bestrahlung im Thorax- oder mit 64 % in der Ex-Gruppe erschreckend hoch – wird in der Schädelbereich oder Anthrazyklinen, Alkylanzien oder Studie wahrscheinlich sogar noch unterschätzt, da Überle- Platin ausgesetzt waren, sollten deshalb auf solche Ver- bende, die die kardiopulmonale Testung nicht abschließen änderungen untersucht werden, bevor eine verstärkte kör- konnten, für die Analyse ausschieden. Die Analyse der Zu- perliche Betätigung und verschiedene Aktivitätsmaßnah- sammenhänge zwischen Beeinträchtigung der Organsyste- men empfohlen, durchgeführt oder erwartet werden. me und Belastungsintoleranz erfolgte im Sinne einer Quer- Langzeitnachsorgeprogramme können für diese Risiko- schnittsuntersuchung. Veränderungen im zeitlichen Verlauf, kohorte in Deutschland angeboten werden. wie z. B. die Dynamik einer solchen Entwicklung, konnten somit nicht beurteilt werden. Diana Steinmann, Hannover; Thorsten Langer, Lübeck; Die Korrelation zwischen „Belastungsintoleranz“ und Tienush Rassaf, Essen und Robert Michael Hermann, fast 4-fach erhöhtem Mortalitätsrisiko erscheint plausibel, Westerstede auch wenn die Nachbeobachtungszeit, auf die sich die Interessenkonflikt D. Steinmann, T. Langer, T. Rassaf und R.M. Her- Kalkulation der Hazard Ratio für das Mortalitätsrisiko be- mann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. zieht, mit 4 Jahren und relativ wenig Ereignissen recht kurz erscheint. Auf eine erneute Publikation nach längerer Nachbeobachtung und Rekalkulation der dann aktualisier- Literatur ten Daten und damit auf einer festeren statistischen Basis darf gehofft werden. Generell ist eine klinische Anbindung 1. Gebauer J, Baust K, Bardi E et al (2020) Guidelines for long-term follow-up after childhood cancer: practical implications for the dai- solcher „childhood cancer survivors“ an ein „cancer center“ ly work. Oncol Res Treat 13:1–7 mit seinem Langzeitnachsorgeprogramm indiziert, schon wegen der erhöhten (kardialen) Langzeitmorbidität [1]. Dies erfolgt in Kooperation mit dem betreuenden Hausarzt. Fazit Verschiedene onkologische Therapien im Kindesalter, wie beispielsweise thorakale Bestrahlungen oder An- K
Strahlenther Onkol (2020) 196:1058–1061 https://doi.org/10.1007/s00066-020-01673-1 LITERATUR KOMMENTIERT Kaugummi zur Linderung der strahleninduzierten Xerostomie – eine randomisierte Phase-III-Studie Robert Michael Hermann1,2 · Hans Christiansen2 Online publiziert: 11. August 2020 © Springer-Verlag GmbH Germany, part of Springer Nature 2020 Hintergrund und Fragestellung Bei der Bestrahlung (RT) brauch von Wasser, Speichelersatz oder anderen Speichel- von Patienten mit HNO-Tumoren ist eine radiogene Belas- stimulanzien weitergeführt. Der geschmacklose und zucker- tung von Speicheldrüsen oft onkologisch unvermeidbar mit freie Kaugummi war zuvor in einer Pilotstudie zusammen der Folge von chronischer Hyposalivation und Xerostomie mit betroffenen Patienten entwickelt und getestet worden und der entsprechenden Beeinträchtigung der Lebensquali- hinsichtlich Größe (1 g), weicher Textur und Effektivität [1]. tät. Mit der vorliegenden Studie wurde prospektiv geprüft, Er enthielt keine pharmakologischen Wirkstoffe. Die Pati- ob nach einer kurativen RT eine mechanische Stimulation enten in Gruppe B wurden angehalten, keinen Kaugummi der Restfunktion der Speicheldrüsen durch das regelmäßige zusätzlich auszuprobieren. Die Studiendauer betrug einen Kauen eines Kaugummis einen klinisch signifikanten Effekt Monat. auf den Verlauf der Xerostomie hat. Primärer Endpunkt der Studie war eine Veränderung des Xerostomiescores im EORTC Quality of Live Ques- Patienten und Methode Erfolgreich bestrahlte Patienten tionnaire – Head and Neck 35 (QLQ-H&N35), explizit mit histologisch nachgewiesenem Oropharynx- und Mund- der Frage 41 „Did you have a dry mouth?“, kategorisiert höhlenkarzinom wurden für die Studie in einem Zeitraum in „reductions in symptoms“, „no change“ und „increase von 2 Jahren gescreent. Einschlusskriterien waren u. a. in symptoms“. Sekundäre Endpunkte waren Veränderun- eine durch den Arzt bewertete Xerostomie jeden Grades gen im Groningen-Radiation-Induced-Xerostomia(GRIX)- mindestens 6 Monate nach Abschluss der Primärtherapie Fragebogen zur möglichst exakten Differenzierung der und die Möglichkeit, einen Kaugummi zu kauen. Aus- subjektiv empfundenen Xerostomie. Dabei wird zwischen schlusskriterien waren ein bereits bestehender Gebrauch Xerostomie und zähflüssigem Speichel jeweils tagsüber und von Kaugummi und eine Vollprothese. nachts unterschieden. Zur Objektivierung des Speichelflus- ses wurde die Menge der Speichelproduktion sowohl un- Die Patienten wurden 2:1 randomisiert (nach Stratifikation stimuliert als auch nach 5-minütigem Kaugummikauen als für Alter und Tumorlokalisation) in die Interventionsgruppe Stimulans gemessen. Weiterhin wurde die Veränderung der (Arm A: 5-mal täglich Kauen eines Studienkaugummis für Viskosität des Speichels nach der 5-minütigen Stimulation mindestens 5 min zusätzlich zu den vorher durchgeführten untersucht. Maßnahmen für die Xerostomie) vs. Beobachtungsgruppe. In dieser wurde der vor Studieneinschluss gewohnte Ge- Ergebnisse Zwischen 2016 und 2018 wurden 257 Patienten in dänischen Zentren gescreent, von denen 109 in die Stu- die aufgenommen und randomisiert werden konnten, 68 in Originalpublikation Killerup Kaae J, Stenfeldt L, Hyrup Arm A, 41 in den Kontrollarm B. Die Drop-out-Rate über B et al (2020) A randomized phase III trial for alleviating radiation-induced xerostomia with chewing gum. Radiother die Studiendauer von einem Monat betrug 17 %. Oncol 142:72–78 Klinische, pathologische und therapieassoziierte Cha- rakteristiken und Risikofaktoren waren in beiden Gruppen Prof. Dr. med. Robert Michael Hermann hermann@strahlentherapie-westerstede.com gleich verteilt, ebenfalls fanden sich keine signifikanten Unterschiede in der mittleren Dosisbelastung der Risi- 1 Zentrum für Strahlentherapie und Radioonkologie, kostrukturen „Parotis“, „Submandibularis“ und „Mundhöh- Mozartstr. 30, 26655 Westerstede, Deutschland le“. 2 Klinik für Strahlentherapie und Spezielle Onkologie, Die Patienten waren im Mittel ca. 61 Jahre alt, zu >65 % Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland männlich, in fast 40 % Nichtraucher und überwiegend in- K
Strahlenther Onkol (2020) 196:1058–1061 1059 nerhalb der 2 Jahre vor Studieneinschluss an einem HPV- Kommentar assoziierten Oropharynxkarzinom erkrankt. Der größte Teil hatte eine cisplatinbasierte Radiochemotherapie (RCT) mit In der Therapie der die Lebensqualität deutlich einschrän- einer normofraktionierten RT mit 66–68 Gy erhalten. Die kenden Xerostomie nach RT sind verschiedene Wege ge- Compliance im Studienarm wurde mit einem Tagebuch gangen worden: kontrolliert und insgesamt als gut bewertet. Nur zwei Pa- Eine direkte Radioprotektion durch den Radikalfänger tienten brachen die Behandlung vorzeitig ab, zwei weitere Amifostin ist mehrfach untersucht worden, da sich dieser kauten die Gummis kürzer als die vorgegebenen 5 min. Wirkstoff bevorzugt in den Speicheldrüsen anreichert. Zwar Der primäre Endpunkt „Verbesserung der Mundtrocken- ist Amifostin als Kurzinfusion 15–30 min vor der täglichen heit“ im EORTC QLQ-H&N35 verbesserte sich in Arm A Bestrahlung in dieser Indikation zugelassen, jedoch fand signifikant im Vergleich mit der Kontrolle mit 38 % vs. 19 % ein aktuelles Cochrane-Review über 11 Studien nur eine (p = 0,05). Allerdings berichteten gleichzeitig 13 % vs. 6 % „geringe Evidenz“ für eine langfristige Schonung der Spei- der Patienten eine Symptomverschlechterung. cheldrüsen [2]. Die gepoolten Daten zeigten für Amifostin Bei den anderen QOL-Werten des H&N35 „Schlucken“ im Vergleich mit Placebo für eine Xerostomie (mindestens zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Grad 2) bei Abschluss der RT-Serie als kurzfristigen Ef- Gruppe A und der Kontrolle B während der Studiendauer. fekt zwar eine deutliche Risikoreduktion („risk ratio“ [RR] Die Scores für „Essen im sozialen Kontext“ verbesserten von 0,35; 95 % Konfidenzintervall 0,19–0,67), nach 12 Mo- sich in beiden Gruppen signifikant, während die Werte für naten im mittelfristigen Verlauf aber nur noch von 0,70 „zähflüssigen Speichel“ nur in der Gruppe A signifikant (0,40–1,23; [2]). abnahmen. Durch den GRIX-Fragebogen konnte dieser In demselben Review wurden auch andere pharmakolo- Effekt weiter differenziert werden. Dabei ergab sich für die gische Therapien systematisch untersucht (Stimulation der Patienten in Gruppe A eine signifikante Verbesserung der Restspeicheldrüsen mit parasympathomimetischen Wirk- Werte für „Xerostomie tagsüber“, „nächtliche Xerostomie“ stoffen [Pilocarpin, Bethanechol], Keratinozytenwachs- und „zähflüssiger Speichel tagsüber“. In der Kontrollgruppe tumsfaktor [Palifermin], Selen u. a.), ohne für irgendeine blieben hingegen die Werte im Wesentlichen unverändert. Therapie ausreichende Evidenz für einen signifikanten Allerdings zeigten sich keine signifikanten Unterschiede Effekt finden zu können [2]. beim Vergleich der jeweiligen Items zu den präspezifizier- Auch nichtpharmakologische Behandlungsoptionen ten Zeitpunkten zwischen beiden Studiengruppen. wurden in einem Cochrane-Review analysiert [3]. Für Die objektiven Speichelflussmessungen zeigten in bei- Akupunktur ergab sich dabei – bei schwacher Evidenzla- den Gruppen durch die Kaugummistimulation einen deut- ge – eine geringe Stimulation des Speichelflusses, jedoch lichen Anstieg. Dabei führte aber der regelmäßige Kau- zeigten sich auf demselben Evidenzniveau keine Unter- gummigebrauch weder zu einem Anstieg des unstimulierten schiede zwischen „Akupunktur“ und „Placeboakupunktur“ Speichelflusses noch zu einer Zunahme/erhöhten Reagibi- in Hinblick auf „Mundtrockenheit“. Auch für eine Elektro- lität des stimulierbaren Speichelflusses. Ähnliche Effekte stimulation wurde keine ausreichende Evidenz gefunden. wurden für die Viskosität des Speichels beobachtet: Durch Als Hilfsmittel sind seit den 1970er-Jahren Speicheler- die Stimulation reduzierte sich diese signifikant, doch zeig- satzlösungen („künstlicher Speichel“) entwickelt worden, ten sich nach 4 Wochen Kaugummi keine relevanten sta- die möglichst alle Funktionen des natürlichen Speichels er- tistischen Veränderungen in der unstimulierten oder stimu- setzen sollen (nachhaltiges Benetzen der Schleimhäute und lierten Zusammensetzung. Zähne, Regulation des pH-Werts, Reduktion der Vulnerabi- lität der oralen Schleimhäute [4]). Zur Steigerung der Vis- Schlussfolgerungen der Autoren In der subjektiven Erfas- kosität basierten sie oft auf Methylcellulose. Aber auch mit sung der „Mundtrockenheit“ wurde eine signifikante Lin- diesen Mitteln ist jeweils nur eine kurzfristige Linderung derung durch den regelmäßigen Gebrauch der Kaugummis der Xerostomie zu erzielen. gezeigt. Auch wenn sich zwischen den Gruppen keine signi- Vor diesem Hintergrund ist der Versuch der nichtpharma- fikanten Veränderungen der Speichelflussrate und der -vis- kologischen Stimulation der Restfunktion der Speicheldrü- kosität nachweisen ließen, verbesserte der Gebrauch des sen mithilfe von Kaugummikauen hoch interessant. Schon Kaugummis beide Parameter kurzfristig. Insgesamt lindert seit den 1990er-Jahren hatte sich gezeigt, dass sich das Kau- die Verwendung eines solchen geschmacks- und zucker- en zuckerfreier Kaugummis günstig auf die Salivation und freien Kaugummis die Xerostomiesymptomatik nach RT die Mundhygiene (Kariesprävention) bei unter Xerostomie deutlich. leidenden Menschen auswirkt [5]. Bereits 1992 wurden er- mutigende Ergebnisse einer kleinen Studie (n = 43) mit ei- nem Muzin enthaltenden Kaugummi bei Xerostomie pu- bliziert [6]. Nach 2 Wochen Anwendung berichteten 64 % K
1060 Strahlenther Onkol (2020) 196:1058–1061 eine Verbesserung der Xerostomie, hingegen nur 26 % unter nem besonderen Leiden unter dem Symptom „Mundtro- Placebo. Für diverse mit Xerostomie einhergehende Erkran- ckenheit“ führt. Letztlich hat hier die vermeintliche sym- kungen wurde in der Folge der Effekt von Kaugummi getes- ptomatische Therapie den subjektiven Leidensdruck ver- tet, wie z. B. für das Sjögren-Syndrom oder andere rheuma- stärkt. tische Erkrankungen (Übersicht in der hier kommentierten 4. Nüchtern lässt sich feststellen, dass erwartungsgemäß der Studie). regelmäßige Gebrauch des Kaugummis über einen Mo- Tatsächlich hat es dann aber 20 Jahre gedauert bis der nat hinweg nicht zu einer dauerhaft messbaren Steige- Versuch unternommen wurde, diese mechanische Stimu- rung der Speichelviskosität geführt hat. Die Stimulati- lation der Restsalivation auch bei Xerostomie nach einer on wirkt anscheinend immer nur kurzfristig, ohne eine kurativ intendierten RT einzusetzen. Auf den ersten Blick messbare Regeneration der Speicheldrüsen auslösen zu ist dieses Zögern verständlich: Bei oft schlechtem Zahnsta- können. Allerdings beziehen sich diese Befunde nur auf tus, bei empfindlicher und schmerzhafter oraler Schleim- die Versuchsdauer von einem Monat. Ob eine längere haut aufgrund von Aphten und anderen Läsionen, bei tro- Anwendung mehr bewirken kann, ist unbekannt. ckenem Mund und zähflüssigem Speichel erscheint die Auf- forderung zum regelmäßigen Gebrauch eines Kaugummis Insofern ist dieser Weg der Salivastimulation nicht der a priori wenig plausibel. Diese Probleme mögen sich auch Königsweg für alle unsere HNO-Patienten mit Xerostomie- in der vorgestellten Studie widerspiegeln: Von initial 257 symptomatik. Allerdings stellt er eine attraktive Option dar gescreenten Patienten konnten letztlich 109 randomisiert für Patienten, die sich darauf einlassen können und es ver- und 91 bis zum Studienende verfolgt werden. Neben diver- suchen wollen. sen anderen studienbedingten und onkologischen Ursachen mag dabei auch eine Rolle gespielt haben, dass viele Pa- tienten das regelmäßige Kauen als „zu schmerzhaft“ oder Fazit „unmöglich“ empfunden haben. Bei den Patienten, denen eine Teilnahme möglich war, Bei einem Teil der Patienten, die nach RT im HNO-Be- führte der Kaugummi zu einer signifikanten Reduktion der reich an einer Xerostomie leiden, kann das regelmäßi- subjektiven Xerostomie, wobei sich objektiv durch fünfmi- ge Kauen von geschmacks- und zuckerfreiem Kaugum- nütiges Kauen eine deutliche Induktion des Speichelflusses mi (ca. 5 × täglich für mindestens 5 min) zu einer Linde- bei Verbesserung der Viskosität nachweisen ließ. Aber auch rung der Symptomatik führen. Dabei wird die Restfunk- hier müssen die Daten mit Vorsicht interpretiert werden: tion der Speicheldrüsen durch das Kauen direkt und ef- fektiv angeregt. 1. Auch in der Kontrollgruppe erhöhte sich der Anteil der Langfristige und nachhaltige Veränderungen in der Spei- Patienten, die eine Verbesserung empfanden, während chelflussrate und der Viskosität sind nach nur einem Mo- der Studiendauer auf insgesamt 19 %. Das ist zwar we- nat der Anwendung noch nicht zu erwarten. niger als nach Kaugummigebrauch, zeigt aber auch die Von dieser Therapie kann nur ein Teil der Patienten pro- psychologische Beeinflussbarkeit einer solchen Symp- fitieren, da viele das Kaugummikauen a priori nicht tole- tomatik an, allein durch die Studienteilnahme. Bei der rieren und bei einigen von ihnen auch die Beschwerden statistischen Aufplanung der Studie war man von einer der Xerostomie verstärkt werden können. Verbesserung in der Beobachtungsgruppe von ledig- Robert Michael Hermann, Westerstede, und lich 5 % ausgegangen. Wahrscheinlich beeinflusst dieser Hans Christiansen, Hannover ausgeprägte Effekt die Power der Studie – eine höhe- re Patientenzahl hätte die Aussagekraft der Ergebnisse Interessenkonflikt R.M. Hermann und H. Christiansen geben an, dass weiter festigen können. kein Interessenkonflikt besteht. 2. In diese Richtung weist auch die Drop-out-Rate, die mit 17 % innerhalb des einen Studienmonats fast viermal hö- Literatur her lag als bei der statistischen Planung angenommen (5 %). 1. Kaae JK, Stenfeldt L, Eriksen JG (2016) Xerostomia after radio- 3. Auf der anderen Seite stieg der Anteil der Patienten mit therapy for oral and oropharyngeal cancer: increasing salivary flow dem subjektiven Eindruck einer Symptomverschlechte- with tasteless sugar free chewing gum. Front Oncol 6:111 rung auf 13 % mit Kaugummi an, während er in der Kon- 2. Riley P, Glenny AM, Hua F et al (2017) Pharmacological inter- ventions for preventing dry mouth and salivary gland dysfunction trollgruppe mit 6 % nur halb so hoch lag. D. h., dass bei following radiotherapy. Cochrane Database Syst Rev 7:CD12744 einem nicht geringen Anteil der Patienten während des 3. Furness S, Bryan G, McMillan R et al (2013) Interventions for Kauens mehr Speichel benötigt wird, die Restkapazität the management of dry mouth: non-pharmacological interventions. der Speichelproduktion aber nicht ausreicht, was zu ei- Cochrane Database Syst Rev 8:CD9603 K
Strahlenther Onkol (2020) 196:1058–1061 1061 4. Spirk C, Hartl S, Pritz E et al (2019) Comprehensive investigation 6. Aagaard A, Godiksen S, Teglers PT et al (1992) Comparison of saliva replacement liquids for the treatment of xerostomia. Int J between new saliva stimulants in patients with dry mouth: a pla- Pharm 571:118759 cebo-controlled double-blind crossover study. J Oral Pathol Med 5. Itthagarun A, Wei SH (1997) Chewing gum and saliva in oral 21:376–380 health. J Clin Dent 18:159–162 K
Strahlenther Onkol (2020) 196:1062–1064 https://doi.org/10.1007/s00066-020-01672-2 LITERATUR KOMMENTIERT Randomisierte, kontrollierte Studie zur palliativen Radiotherapie von Kopf-Hals-Tumoren – Herausforderungen bleiben bestehen Alexander Fabian1 · David Krug1 · Jürgen Dunst1 Online publiziert: 21. August 2020 © Der/die Autor(en) 2020 Hintergrund In der palliativen Radiotherapie von Kopf- Progression. Die Autoren postulierten eine Verlängerung Hals-Tumoren findet eine Vielzahl unterschiedlicher Re- der Zeit bis zur lokoregionären Progression um mindestens gime Verwendung. Das optimale Regime ist unklar. Auf- 10 Wochen zugunsten von „Arm 2“. Sekundäre Endpunkte grund der schlechten Prognose müssen Therapiedauer, bio- waren unter anderem das progressionsfreie Überleben, das logisch effektive Dosis und potenzielle Akut- und Spättoxi- Gesamtüberleben, die Toxizitätslast sowie die gesundheits- zität gut gegeneinander abgewogen werden. Eine niederlän- bezogene Lebensqualität. Die Fallzahlkalkulation mündete dische randomisierte Studie von Al-Mamgani und Kollegen in 300 geplanten Patienten. verglich in diesem Kontext zwei Radiotherapieregime. Ergebnisse In knapp 2 Jahren wurden 34 Patienten rekru- Patienten und Methodik Es handelt sich um eine zwei- tiert und randomisiert. Die Daten von 18 Patienten konn- armige Phase-III-Studie an 6 niederländischen Zentren. ten in „Arm 1“ und von 14 Patienten in „Arm 2“ analy- Einschlusskriterien waren: lokal fortgeschrittenes oder siert werden. Die Studie wurde aufgrund geringer Rekru- fernmetastasiertes Plattenepithelkarzinom des Oropharynx, tierung frühzeitig geschlossen. Alle Statistiken sind daher Hypopharynx oder Larynx, ein guter Allgemeinzustand deskriptiv bzw. hypothesengenerierend. Die lokoregionäre (ECOG 0–2) und keine Indikation für eine kurativ inten- Kontrolle betrug nach einem Jahr 57 % in „Arm 1“ und dierte Lokaltherapie. Ein relevantes Ausschlusskriterium 69 % in „Arm 2“ (p = 0,45). Die mediane Zeit bis zur lo- war eine antineoplastische Vorbehandlung des Kopf-Hals- koregionären Progression war in beiden Armen noch nicht Tumors. Die Patienten wurden 1:1 randomisiert. „Arm 1“ erreicht. Während das mediane progressionsfreie Überleben bestand aus einem Kurzzeitregime mit 6 Fraktionen von 5 Monate beziehungsweise 8 Monate betrug, lag das me- 6 Gy zweimal wöchentlich bis 36 Gy Gesamtdosis. „Arm 2“ diane Gesamtüberleben in „Arm 1“ bei knapp 9 Monaten war ein Langzeitregime mit 16 Fraktionen von 3,125 Gy und in „Arm 2“ bei knapp 15 Monaten (p = 0,2). Patienten in viermal wöchentlich bis 50 Gy Gesamtdosis. In beiden Ar- „Arm 1“ hatten mit 17 % gegenüber 57 % im „Arm 2“ signi- men erfolgte eine intensitätsmodulierte oder volumetrisch fikant weniger Grad-3-Toxizität, maßgeblich bedingt durch modulierte (Rotations-)Bestrahlung des makroskopischen eine geringer ausgeprägte Mukositis. Die Mukositis führte Tumorvolumens, ggf. einschließlich von Lymphknotenme- bei 4 Patienten im „Arm 2“ zu einem frühzeitigen Therapie- tastasen, mit einem CTV-Saum von 10 mm und einem PTV- abbruch. In „Arm 1“ brach lediglich ein Patient die Thera- Saum von 3 bis 5 mm ohne Behandlung elektiver Volumi- pie frühzeitig ab. Die gesundheitsbezogene Lebensqualität na. Primärer Endpunkt war die Zeit bis zur lokoregionären unterschied sich in beiden Armen nicht maßgeblich. Beide Arme zeigten einen Trend zu einer gebesserten allgemeinen Originalpublikation Al-Mamgani A, Kessels R, Verhoef CG et gesundheitsbezogenen Lebensqualität (EORTC QLQ-C30) al (2020) Randomized controlled trial to identify the optimal sowie zu gebesserten Schluckbeschwerden (EORTC QLQ- radiotherapy scheme for palliative treatment of incurable head H&N35) und gebessertem bzw. stabilem Schmerzgesche- and neck squamous cell carcinoma. Radiotherapy and Oncology, https://doi.org/10.1016/j.radonc. hen (EQ-5D-5L VAS). Dr. med. Alexander Fabian Schlussfolgerungen der Autoren Die vorzeitig abgebro- alexander.fabian@uksh.de chene Studie erlaubt keine zweifelsfreien Aussagen zur 1 klinischen Überlegenheit eines der beiden Regime. Auf- Klinik für Strahlentherapie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, grund der geringeren Toxizitätslast und statistisch nicht Arnold-Heller-Str. 3, 24105 Kiel, Deutschland signifikant unterschiedlichen onkologischen Ergebnisse K
Strahlenther Onkol (2020) 196:1062–1064 1063 könnte das Kurzzeitregime (6 × 6 Gy) jedoch gegenüber fikant. Demgegenüber bestand eine signifikant höhere To- dem Langzeitregime (16 × 3,125 Gy) favorisiert werden. xizitätslast im Langzeitregime, die auch zu mehr Therapie- abbrüchen führte. Sowohl die onkologischen Endpunkte als auch die Toxizitätslast stehen im Einklang mit einarmigen Kommentar Studien, die entweder ein Kurzzeit- oder ein Langzeitre- gime untersuchten. Fortin und Kollegen untersuchten bei- Patienten mit einem Kopf-Hals-Tumor ohne kurative Opti- spielsweise 5 Fraktionen von 5 Gy an aufeinander folgenden on überleben im Median weniger als ein Jahr [1]. Selbst eine Werktagen bei intensitätsmodulierter Radiotherapietechnik palliative Erstlinientherapie mit Chemo- und Immunthera- [7]. Das mediane Gesamtüberleben von 33 Patienten lag pie konnte dies trotz der strengen Patientenselektion nur auf bei 6,5 Monaten, während lediglich 7 % eine Radiomuko- 13 bzw. 15 Monate verbessern [2]. Zusätzlich schränken sitis über Grad 2 aufwiesen. In einer einarmigen Vorläufer- Symptome wie Schmerzen, Blutungen und Schluckbe- studie untersuchten Al-Mamgani und Kollegen das Lang- schwerden die Lebensqualität stark ein [3]. Häufig erfolgt zeitregime mit 16 Fraktionen von 3,215 Gy, jedoch ohne eine palliative Radiotherapie in diesem Kontext [4]. Das intensitätsmodulierte Radiotherapietechnik [8]. Das media- optimale Radiotherapieregime ist jedoch unklar. Letzteres ne Überleben von 158 Patienten lag hier bei 17 Monaten. liegt zum Teil an den heterogenen Patientenkollektiven, Eine akute Radiomukositis über Grad 2 lag bei 65 % der die sich bezüglich Allgemeinzustand, Symptomatik, Tu- Patienten vor. Der augenfällige Unterschied im medianen morausdehnung und Indikation für die palliative Thera- Überleben könnte unter anderem durch einen deutlich hö- pieintention deutlich unterscheiden (primär metastasierter heren Anteil an Patienten mit fernmetastasierten Erkran- vs. lokal weit fortgeschrittener Tumor vs. Komorbiditäten) kungen in der Studie von Fortin und Kollegen bedingt sein [5]. Dies erfordert eine individualisierte Therapieplanung. (knapp 25 % vs. 9 %). Bislang fehlten daher auch randomisierte, kontrollierte Stu- Viertens waren „patient-reported outcomes“ zur Erhe- dien, um zu einer allgemein verbindlichen Vorgehensweise bung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität lediglich zu kommen. Al-Mamgani und Kollegen sind in ihren Be- ein sekundärer Endpunkt. In der palliativen Situation mit mühungen zu beglückwünschen, diese Lücke zu schließen. begrenzter Lebenserwartung sollte aber die gesundheitsbe- Ihre randomisierte Phase-III-Studie verglich ein Kurzzeitre- zogene Lebensqualität im Vordergrund stehen [9]. Bislang gime (6 × 6 Gy) mit einem Langzeitregime (16 × 3,125 Gy) gibt es jedoch kaum Studien in diesem Kontext, die die zur palliativen Radiotherapie von Kopf-Hals-Tumoren. gesundheitsbezogene Lebensqualität durch eine validier- Mehrere Aspekte lassen es lohnenswert erscheinen, diese te Erhebung als primären Endpunkt einsetzen. Letzteres Studie näher zu reflektieren. wäre wichtig, um den Wert der palliativen Radiotherapie Erstens wurde die Studie frühzeitig abgebrochen. Anstatt von Kopf-Hals-Tumoren zu sichern, der zum Teil bereits der insgesamt 300 avisierten Patienten rekrutierten 6 nieder- infrage gestellt worden ist [10]. Aus diesem Grund haben ländische Studienzentren in knapp 2 Jahren lediglich 34 Pa- wir eine prospektive multizentrische Beobachtungsstudie tienten. Dies veranschaulicht deutlich, wie schwierig es ist, mit dem primären Endpunkt der gesundheitsbezogenen in dieser Therapiesituation randomisierte strahlentherapeu- Lebensqualität initiiert (DRKS00021197). tische Studien durchzuführen, und könnte ein Spiegel der großen Heterogenität bei begrenzter Fallzahl sein. Zweitens übertrifft das erreichte mediane Gesamtüberle- Fazit ben von 9 bzw. 15 Monaten teils deutlich das Gesamtüberle- ben der meisten bisher publizierten Kollektive mit nur ca. 6 Zusammenfassend liegen die Herausforderungen in der Monaten [6]. Der gute Allgemeinzustand der eingeschlos- palliativen Radiotherapie von Kopf-Hals-Tumoren in dem senen Patienten (75 % ECOG 0–1; 25 % ECOG 2) könnte heterogenen Patientenkollektiv und der individuell abzuwä- dies begründen; er deckt sich allerdings nur zum Teil mit genden Balance zwischen Toxizität und antineoplastischer unseren eigenen alltäglichen klinischen Erfahrungen. Ein Effektivität. Während Patienten in reduziertem Allgemein- weiterer Gesichtspunkt: Eine simultane Systemtherapie zur zustand von einem Kurzzeitregime mit geringerer Toxizi- Radiotherapie war im Protokoll zwar nicht vorgesehen; in- tätslast profitieren könnten, könnte fitteren Patienten eine wieweit jedoch eine anschließende Chemo- und/oder Im- langfristigere Tumorkontrolle durch ein Langzeitregime er- muntherapie eingesetzt wurde und das Überleben beein- möglicht werden. Der Fokus sollte dabei insbesondere auf flusst haben könnte, wird in der Publikation nicht berichtet. einer Stabilisierung oder Verbesserung der gesundheitsbe- Auch wenn die statistische Auswertung bei 34 Patienten zogenen Lebensqualität liegen, was durch weitere Studien rein deskriptiv ist, zeigte sich drittens zwar ein numerischer belegt werden muss. Vorteil im Langzeitregime bezüglich lokaler Kontrolle und Gesamtüberleben, dieser war jedoch statistisch nicht signi- Alexander Fabian, David Krug und Jürgen Dunst, Kiel K
1064 Strahlenther Onkol (2020) 196:1062–1064 Funding Open Access funding provided by Projekt DEAL. 3 study. Lancet 394:1915–1928. https://doi.org/10.1016/S0140- 6736(19)32591-7 Interessenkonflikt A. Fabian und J. Dunst geben an, dass kein Inte- 3. Lokker ME, Offerman MPJ, van der Velden L-A et al (2013) Symp- ressenkonflikt besteht. D. Krug erhielt Honorare von Merck Sharp & toms of patients with incurable head and neck cancer: prevalence Dome. and impact on daily functioning. Head Neck 35:868–876. https:// Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Na- doi.org/10.1002/hed.23053 mensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nut- 4. Mayland CR, Ingarfield K, Rogers SN et al (2020) Disease trajec- zung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in tories, place and mode of death in people with head and neck can- jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprüng- cer: findings from the “head and neck 5000” population-based pro- lichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link spective clinical cohort study. Palliat Med. https://doi.org/10.1177/ zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen 0269216320904313 vorgenommen wurden. 5. Grewal AS, Jones J, Lin A (2019) Palliative radiation therapy for head and neck cancers. Int J Radiat Oncol Biol Phys 105:254–266. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial https://doi.org/10.1016/j.ijrobp.2019.05.024 unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern 6. Shahid Iqbal M, Kelly C, Kovarik J et al (2018) Palliative radio- sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be- therapy for locally advanced non-metastatic head and neck cancer: treffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz a systematic review. Radiother Oncol 126:558–567. https://doi.org/ steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschrif- 10.1016/j.radonc.2017.12.011 ten erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des 7. Fortin B, Khaouam N, Filion E et al (2016) Palliative radiation Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. therapy for advanced head and neck carcinomas: a phase 2 study. Int J Radiat Oncol Biol Phys 95:647–653. https://doi.org/10.1016/ Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation j.ijrobp.2016.01.039 auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de. 8. Al-mamgani A, Tans L, Van rooij PHE et al (2009) Hypofractio- nated radiotherapy denoted as the “Christie scheme”: an effective means of palliating patients with head and neck cancers not suita- Literatur ble for curative treatment. Acta Oncol 48:562–570. https://doi.org/ 10.1080/02841860902740899 9. Kelley AS, Morrison RS (2015) Palliative care for the seriously 1. Ledeboer QCP, van der Schroeff MP, Pruyn JFA et al (2011) Sur- ill. N Engl J Med 373:747–755. https://doi.org/10.1056/NEJMra vival of patients with palliative head and neck cancer. Head Neck 1404684 33:1021–1026. https://doi.org/10.1002/hed.21572 10. Nilsen ML, Johnson JT (2017) Potential for low-value palliative 2. Burtness B, Harrington KJ, Greil R et al (2019) Pembrolizumab care of patients with recurrent head and neck cancer. Lancet Oncol alone or with chemotherapy versus cetuximab with chemother- 18:e284–e289. https://doi.org/10.1016/S1470-2045(17)30260-7 apy for recurrent or metastatic squamous cell carcinoma of the head and neck (KEYNOTE-048): a randomised, open-label, phase K
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