Kunst- und Ergotherapie im Klinikum Emden
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Einleitung Die Kunst- und Ergotherapie ist ein Teil des thera- Gruppen, die in diesem Rahmen angeboten werden. peutischen Gruppenangebotes im Klinikum Emden, Die im folgenden Text verwendeten fachspezifischen der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psy- Begriffe bezüglich der Methoden sind eine Kombi- chosomatik. nation aus zwei unterschiedlich spezialisierten the- Gegliedert ist die Klinik in vier stationäre Abtei- rapeutischen Ansätzen und sollen hier kurz erläutert lungen und eine Tagesklinik mit unterschiedlichen werden: psychiatrischen Schwerpunkten und jeweils eigenen Die „lösungsorientierte Methode“ ist aus dem kunst- multidisziplinären Teams, bestehend aus Ärzten, Psy- therapeutischen Ansatz entwickelt und bedeutet, dass chologen, Sozialarbeitern, Krankenschwestern/ -pfle- der Patient seinen Blick von den Defiziten weg und gern sowie Kunst- oder Ergotherapeuten. hin zu vorhandenen Fähigkeiten und dem Gelingen- Das Kernstück der Kunst- und Ergotherapie sind die den lenkt. Werkstätten, die sich im ersten Stock, angrenzend an Damit verwandt ist die in der Ergotherapie sogenann- die Tagesklinik, befinden. Hier werden die Patien- te „ausdruckszentrierte Methode“, bei der es in der ten beim Kennenlernen und Vertiefen verschiede- Regel um eine kreativ-gestalterische Umsetzung und ner Techniken durch vier Ergotherapeuten und drei ein ergebnisoffenes, prozesshaftes Tun geht. Anders Kunsttherapeuten unterstützt und begleitet. Weitere als in der Ergotherapie üblich werden aber keine The- Angebote finden aber in speziellen, über die Psychi- men oder Motive vorgegeben, der Patient entscheidet atrie verteilten Räumen statt, oder werden außerhalb auch diesbezüglich selbst. der Klinik angeboten. Die ebenfalls ergotherapeutische „kompetenzzent- Das Gruppenangebot wurde über die Jahre hinweg rierte Methode“ meint das produktgebundene Einset- immer wieder überarbeitet und ergänzt, um neue zen von handwerklichen Techniken und lebensprak- künstlerische Ausdrucksformen (z.B. Film) zu integ- tischen Übungen. rieren und das Spektrum einzelner Therapien zu er- Natürlich werden aber auch in kunsttherapeutischen weitern (z.B. Tangotanzgruppe). Verfahren Kompetenzen abgerufen, erfahren und Diese Broschüre erläutert den therapeutischen An- entwickelt, wie sie im Weiteren noch beschrieben satz der Kunst- und Ergotherapie und beschreibt alle werden. 2
Therapie-Konzept und Wirkungsweisen Mit den zur Verfügung stehenden Materialien wie Farbe, Ton, Speckstein, Holz, Linol, Papier und den Die Kunst- und Ergotherapie appelliert in ihrem dafür vorgesehenen Werkzeugen, aber auch mittels kunsttherapeutischen Ansatz an die noch nicht aus- gemeinsamen, oft improvisierten Musizierens oder gebildete oder brach liegende allgemeine Schöpfer- Tanzens kann in diesem Sinne gearbeitet werden. Die kraft eines Menschen, die es ihm (im Zusammenspiel Patienten können dabei ohne Zwang und Vorgaben mit weiteren Therapieformen) ermöglicht, ein besse- eigene Gedanken und Gefühle in die verschiedenen res Verständnis für sich selbst und eine Haltung zu Gestaltungsprozesse einfließen lassen. seinen ihn begleitenden und prägenden Einflüssen zu erlangen. Die verwendeten ausdruckszentrierten und Es werden emotionale, geistige und soziale Fähigkei- lösungsorientierten Methoden werden in der Kunst- ten entwickelt. Die eigene Projektion des Patienten und Ergotherapie gekoppelt mit spezifisch ergothe- wird gefördert, das heißt er lernt, eigene Vorstellun- rapeutischen Angeboten wie Körperwahrnehmung gen, Wünsche und Phantasien als Kriterien für den und der Förderung lebenspraktischer Fähigkeiten. Gestaltungsprozess zuzulassen. Alle Angebote ermöglichen es dem Patienten eine er- Die Patienten finden sich in ihrem eigenen Tun wie- weiterte Handlungskompetenz zu erlangen, und defi- der, sie identifizieren sich mit dem Geschaffenen. nieren sich überwiegend ressourcenorientiert. Vielleicht erkennen sie sogar Fähigkeiten, von de- nen sie nie geglaubt hätten, dass sie sie noch haben Der Kunst- und Ergotherapie kommt als vorwiegend oder überhaupt jemals besaßen. Auch während einer nonverbale Therapieform neben den gesprächso- Nachbesprechung liegt der Schwerpunkt auf dem rientierten und medikamentösen Therapien somit Prozess des Gestaltens und auf dessen Ergebnis. eine wichtige, ergänzende Bedeutung zu. Der Pati- Es geht also insgesamt sowohl um die Entwicklung ent bekommt die Gelegenheit, seine Persönlichkeit instrumenteller Fertigkeiten als auch um die Weiter- zu entdecken bzw. zu entwickeln, indem er (in den entwicklung sozio-emotionaler Fähigkeiten. meisten Fällen) für ihn ungewohnte oder völlig neue Ausdrucksformen erprobt. Zu einem großen Teil wird dabei mit Hilfe der sub- Die künstlerischen Materialien, die zur Verfügung jektbezogenen, ausdruckszentrierten Methode ge- stehen, kann der Patient frei wählen und sich ihnen arbeitet. Der Patient kann seine Ausdrucksfähigkeit spielerisch-gestaltend und experimentierend nähern. entwickeln und seinen Form- und Spieltrieb erleben Die verschiedenen Medien können als Ausdrucks- und ausgestalten, wobei sich dieser Ansatz ganz im mittel der inneren Gefühlslandschaft genutzt oder zu Sinne Friedrich Schillers und Herbert Marcuses ver- etwas völlig Neuem gestaltet werden. steht: Das Spielerische wird als zur Persönlichkeits- entfaltung und autonomen Selbstwerdung erforderli- Ihrem Wesen nach ist jede künstlerische Tätigkeit che Notwendigkeit definiert. in die Zukunft weisend, d.h. von einer persönlichen Die Aufgabenstellung dieser Methode ist eher offen Erfahrungsebene aus bringt jede gestalterische Ent- und regt daher zu Spontaneität und Eigeninitiative scheidung etwas Neues, Unbekanntes, dessen Quali- an. tät im „Über-sich-hinausgehen“ besteht. Vorgefertigte Um die für den Patienten so wichtigen, positiven Schablonen werden deshalb in keinem Fall benutzt. Erfahrungen zu erreichen, ist es entscheidend, dass sich Therapeut und Patient gemeinsam kleine Ziele Im Beziehungsdreieck „Patient-Therapeut-Medi- setzen. So werden negativ besetzte Schlüsselerlebnis- um“ kommt dem Therapeuten dabei die Aufgabe zu, se und Misserfolge vermieden und der Patient be- sich als Begleiter zu verstehen, der die verschiedenen kommt nicht das Gefühl, überfordert zu werden. Techniken erklärt und den Patienten auf dessen Weg In einigen Fällen kann es daher schon sinnvoll sein, zu individueller Ausdrucksform unterstützt. überhaupt an der Kunst- und Ergotherapie teilzu- 3
nehmen und einfach nur dabei zu sein, ohne objektiv Sozialformen „aktiv“ zu sein. Die Sozialform wird je nach Krankheitsbild und The- Neben der ausdruckszentrierten Methode kann es rapiezielen im gesamten Behandlungsverlauf eva- aber auch sinnvoll sein, die kompetenzzentrierte, luiert und entsprechend adaptiert. Die Interaktion alltagsorientierte Methode anzubieten. Hier ist der in einer Gruppe erfordert insbesondere soziale und Ansatz kein prozessorientierter, sondern es wird ein kommunikative Fähigkeiten. klares Ziel formuliert, das über eine genaue Abfolge Abhängig vom Krankheitsbild wird in einigen Fällen von Arbeitsschritten erreicht wird. zuerst an der Vertrauensbasis zwischen Therapeut Im Laufe der Zeit lernt der Patient seine selektive und Patient innerhalb einer Einzeltherapie gearbeitet. Aufmerksamkeit zu verbessern, in dem er unnötige Die kunst- und ergotherapeutischen Mittel sind da- Reize aus der Umgebung ausschaltet und die Konzen- bei die gleichen und auch das räumliche Setting un- tration auf die wesentlichen Aufgaben richtet. terscheidet sich nicht zu dem einer Gruppentherapie. Im Rahmen der Werkstätten wird die sogenannte Pa- Trotz aller Freiräume für den Patienten werden auch rallelgruppe angewendet, d. h. die Patienten arbeiten in der Kunst- und Ergotherapie Regeln, Grenzen, Ab- an ihren eigenen Werkstücken, erleben sich aber als sprachen genau eingehalten. Teil einer Gruppe, die sich auch untereinander aus- Auch erhält jeder Patient einen Therapieplan mit den tauscht und gegenseitig anregt. Zeiten, wann er an der Kunst- und Ergotherapie teil- Es entsteht ein loser und unverbindlicher Kontakt nehmen soll. Wenn es das Krankheitsbild erlaubt, er- zwischen den Patienten. scheint der Patient selbstständig zu den angegebenen Zeiten in den Werkstätten. Eine Sonderform bietet die Arbeit innerhalb einer Projektgruppe. Hier arbeiten Patienten gemeinsam Die Werkstätten dienen nicht direkt der Vorberei- an einem Werkstück. Sie trainieren ihre Gruppenfä- tung auf die Arbeitswelt, eine Ausnahme bildet aber higkeiten wie Vertrauen, Durchsetzungsvermögen, die Patientencafeteria, in der mit einem arbeitsthera- Kooperations- und Kritikfähigkeit. peutischen Schwerpunkt gearbeitet wird. Im weiteren Verlauf sollen nun die verschiedenen Techniken innerhalb der Kunst- und Ergotherapie beschrieben werden. Malerei/ Zeichnung Im Malraum hat der Patient die Möglichkeit, mit Pastellkreide, Aquarell, Bleistift, Buntstiften, Acryl und Gouache zu malen und zu gestalten. Anhand der Aquarellmalerei und der Bleistiftzeich- nung soll verdeutlicht werden, wie unterschiedlich ihre Wirkungsweisen sein können: Während die Zeichnung eine ordnende und positio- nierende Funktion hat, sie in ihrer Reduktion auf das Wesentliche strukturiert und konzentriert ist, bietet die Aquarellmalerei die Möglichkeit des intuitiven, gefühlsbetonten Tuns, welches weniger kontrolliert werden kann und dem ein eher meditativer, entspan- 4
nender Charakter innewohnt. Druckgrafik Beim Zeichnen werden (zunächst) eher Erfahrungen und damit abrufbare Bilder und Motive eingebracht, In der Kunst- und Ergotherapie werden zwei druck- die weiterentwickelt werden können. Bei der Aqua- grafische Verfahren angeboten: die Radierung und rellmalerei dagegen wird in der Regel gestalterisches der Linolschnitt. „Neuland“ betreten. Bei der Radierung lernt der Patient, eine Bleistift- zeichnung in eine Druckform umzuwandeln, die der Zeichnung (mit allen Grauwerten) ähnlich ist und die vervielfältigt werden kann. Der Linolschnitt bezeichnet einen Ein- oder Mehr- farbendruck mit klaren Formen. In beiden Verfahren arbeitet der Patient auf ein Er- gebnis hin (den Druck), indem er ein Motiv gestaltet, dieses auf den jeweiligen Druckstock überträgt und mit verschiedenen Werkzeugen bearbeitet. So entsteht eine Verbindung von freier Gestaltung und kunsthandwerklicher Präzision. Das Schaffen einer äußeren Ordnung (durch die genaue Planung einzelner Arbeitsschritte) bewirkt eine innere Ord- nung. Plastisch-therapeutisches Gestalten mit Holz Im Holzraum, ausgestattet mit Werkbänken und al- len notwendigen Werkzeugen, wählt der Patient zwi- schen freien Gestaltungsarbeiten und klaren, struk- turierten Aufgaben. So bekommt er die Möglichkeit, z. B. eine Holzschale zu schnitzen oder Baumstämme in Gesichter, Masken oder Skulpturen jeglicher Art zu verwandeln. Körperliche Anstrengung, Ausdauer, aber auch große Sorgfalt werden dem Patienten beim Auch das Malen mit Pastellkreide, Gouache und Bearbeiten von Holz abverlangt. Bildhauerei bietet Acryl lädt den Patienten ein, frei und experimentie- sowohl den Widerstand des Materials als auch Struk- rend, spielerisch zu arbeiten. tur. Sie ist gekennzeichnet durch rhythmisch sich Im Malraum steht eine kleine Auswahl von Kunstbü- wiederholende Bewegungsabläufe, die im Laufe der chern zur Verfügung. Diese sind oft hilfreich auf dem Tätigkeit Sicherheit und eine klare Ordnung geben. Weg zum Umgang mit künstlerischen Medien. Hier- bei wird nicht angestrebt, eine exakte Kopie der Vor- Als strukturierende Arbeiten können Nistkästen, lage zu erstellen, vielmehr nutzt man ein komposito- Stühle, etc. gefertigt werden. Hier wird handwerkli- risch reiches und ausformuliertes Bild, um sich ihm ches „Know-How“ mit Handlungsplanung im Sinne mit den eigenen künstlerischen Mitteln zu nähern. der kompetenzzentrierten Methode verbunden. Viele Patienten verbinden mit dem Nachbilden eine gewisse Sicherheit, die die Grundlage für eigenes kre- atives Erleben sein kann. 5
Plastisch-therapeutisches Gestalten mit Speckstein Plastisch-therapeutisches Gestalten mit Ton Speckstein bietet ein breites Experimentierfeld mit Hände sind unser Werkzeug! Diese Aussage trifft unterschiedlichen Werkzeugen, der von allen plas- vor allem beim freien Modellieren mit glattem oder tisch-therapeutischen Angeboten am ehesten zum schamottiertem Ton zu. Die Unmittelbarkeit, mit der freien, abstrakten Gestalten einlädt. Verschiedene die Hände den weichen Ton bearbeiten und zu einer Specksteinarten werden angeboten, die unterschied- Plastik formen, erinnert oft an Erfahrungen aus der liche Härtegrade haben. Einige lassen sich schwer be- Kindheit (Knete, Sandkasten). Die taktile Wahrneh- arbeiten und der Patient muss viel Kraft und Ausdau- mung ist hier ein wesentliches Element im gestalteri- er aufbringen, damit aus einem Speckstein-Rohling schen Erleben. eine Skulptur werden kann. Andere wiederum sind Der Ton lässt sich leicht im Prozess verändern und fast „butterzart“. Dabei wird die sensomotorische umformen. Je nach Phantasie werden oft Masken, Perzeption angesprochen. Tiere, Köpfe oder auch freie Arbeiten plastiziert. Aber auch strukturierte Arbeiten wie Vasen, Schalen, Am Ende einer Specksteinarbeit bietet der zunächst etc. können gestaltet werden. Auch hierbei gibt es unscheinbare Stein einen Überraschungseffekt, der keine Schablonen. Es entsteht also immer ein indivi- erst beim Ölen oder Wachsen des Steines sichtbar duelles Stück. wird: Verschiedene Farben und Zeichnungen kom- men zum Vorschein und lassen den Speckstein be- Ausdrucksmalerei/ Malgruppe sonders wirkungsvoll aussehen. Oft neigen die Patienten dazu, sich davon blenden zu Dieses Angebot lehnt sich an den von Arno Stern lassen und den Speckstein wegen dieser Eigenschaft entwickelten sog. „Malort“ an: nur oberflächlich zu bearbeiten. Hier bedarf es häufig Die Malgruppe findet in einem Raum statt, der spezi- der Anregung der Therapeuten, aus der zweidimen- ell für diese Therapie ausgestattet ist und der während sionalen Betrachtung in die eigentliche plastische der Therapie geschlossen bleibt („closlieu“ = „der ge- Gestaltung zu kommen, mit Höhen und Tiefen zu schlossene Raum“). Die Wände sind mit Faserplatten arbeiten und mit konvexen und konkaven Formen zu versehen, an denen die Patienten ihre Offsetdruckpa- experimentieren. Schneller „Effekthascherei“ wird so pierbögen in der Größe von 100 x 70 cm aufspannen entgegen gewirkt. können, um im Stehen zu malen. In der Mitte des Raumes steht ein Tisch mit Farben und Pinseln, die von allen Patienten gemeinsam be- nutzt werden. Borstenpinsel verschiedener Größen und Gouache-Farben in 16 verschiedenen Tönen werden angeboten. Die Patienten werden angehalten, frei und ohne Vor- gaben zu malen. Durch das Arbeiten im Stehen und den damit ver- bundenen Bewegungsmöglichkeiten wird freies und großflächiges Gestalten erleichtert. Das räumlich-si- tuative Setting ist immer gleich, es ermöglicht Ruhe, Konzentration und Entspannung. Innerhalb dieser Gruppe werden die Bilder nicht bewertet oder ana- lysiert. Um den prozessorientierten Ansatz zu un- terstreichen, der den Patienten ohne Leistungsdruck gestalten lässt, bleiben die Bilder im Nebenraum und können nicht mit nach Hause genommen werden. 6
Die Sonderform: Die Kunst- und Ergotherapie auf fragt wie Planungsvermögen. Das Filmen, Schneiden der P09a und Vertonen gehört dabei zu den möglichen Auf- gaben, die von den Patienten übernommen werden. Die P09/ P09a ist eine allgemein-psychiatrische Sta- tion, die unterteilt ist in einen subakuten und akuten Musiktherapie Bereich. Damit auch auf die schwer erkrankten Pati- enten der P09a eingegangen werden kann, wird hier Für dieses Angebot benötigt der Patient keine musi- eine besondere Form der Kunst- und Ergotherapie kalischen Vorkenntnisse. Auf einfache und anschau- angeboten. liche Weise wird auf verschiedenen Instrumenten ein Auf der Station stehen den Patienten Materialien zur musikalisches Zusammenspiel möglich. Verfügung, die sich gut für den direkten Einsatz vor Neben dem angenehmen Erlebnis, mit seinem musi- Ort eignen. Die Therapie findet also vor allem in ei- kalischen Beitrag Teil eines Ganzen zu sein, ergeben nem kleinen, sehr geschützten und reizarmen Rah- sich auch neue Forderungen: Das Problem, ein Ohr men statt. Einerseits sorgen die Therapieangebote für eine Tagesstruktur, andererseits bekommen die Pa- tienten die Möglichkeit, sich trotz ihrer Erkrankung kreativ zu artikulieren. In der subakuten Krankheitsphase können die Pati- enten dann die Werkstätten im ersten Stock nutzen und auf der Station begonnene Arbeiten beenden. Filmgruppe Der Film als schnelle Abfolge von Bildern versetzt den Betrachter in die Lage, einen erzählerischen Zu- sammenhang herzustellen und somit eine Geschichte zu erleben. für sich zu haben, gleichzeitig das andere den Mitmu- In der einmal wöchentlich stattfindenden Filmgrup- sizierenden zu leihen, ist immer eine Gratwanderung pe arbeiten zwei bis vier Patienten (unter Anleitung) zwischen Nähe und Distanz. Ferner sind individuelle mit Kamera, Computer und entsprechender Software musikalische Freiheiten in der Gruppe willkommen an der Herstellung eines (Kurz-)Films. Dies ist meist und erlaubt. Diese sollten aber immer im Dienst der ein mehrwöchiges, manchmal mehrmonatiges Pro- ganzen Gestaltung stehen. jekt, in welchem die Patienten gemeinsam eine filmi- Lampenfieber, Gruppenfähigkeit, Konzentration, sche Idee entwickeln und diese bis zur Fertigstellung Achtsamkeit, Mitempfinden, Vorausempfinden, verfolgen. Durch die Unterschiedlichkeit der mögli- u.v.m. sind Eigenschaften, mit denen die Patienten chen Projekte, die von Animationsfilmen mit selbst ohne Worte in der Gruppe umgehen. Und: Vieles gestalteten Figuren, kurzen dargestellten Geschich- kann die kleine musikalische Gestaltung zum Ein- ten bis zur einfachen Sammlung und Verknüpfung sturz bringen. Das Zulassen eines möglichen Schei- thematisch ausgesuchter Motive gehen können, ha- terns ist aber auch immer die Berechtigung für einen ben die Teilnehmer großen Einfluss auf den wesentli- neuen Versuch. chen Produktionsinhalt. Die langfristige Auslegung der Gruppe erfordert Teamarbeit und Verlässlichkeit. Diese Grundpfeiler dienen dazu, sich über das Medium Film gemeinsam kreativ äußern zu können. Spontaneität ist ebenso ge- 7
Kochgruppe Außenaktivität Stationsübergreifend findet einmal wöchentlich eine In Zusammenarbeit mit einer Sozialarbeiterin wer- Kochgruppe in einer extra angelegten Lehrküche den jeden Mittwochnachmittag unterschiedliche statt. Freizeitaktivitäten, wie z. B. Museumsbesuche, Aus- Die Patientengruppe (max. 5 Pat.) bereitet sich ge- flüge in die nähere Umgebung Emdens und vieles meinsam auf die Nahrungszubereitung vor. Eigene weitere außerhalb der Klinik angeboten. In unre- Menüwünsche werden geäußert, Kochbücher zur gelmäßigen Abständen werden auch unterstützende Anregung hinzugezogen, saisonale Nahrungsmitte- Einrichtungen wie die Tagesstätte „Tandem“ oder das langebote berücksichtigt. Danach wird schließlich Kontaktcafé „Kumm Rin“ besucht. Diese Kontakt- gemeinsam entschieden, welches Gericht gekocht stellen können für einige Patienten auch nach der wird, in der Regel Hauptgericht und Nachspeise. Entlassung eine wichtige Trägerrolle übernehmen. In der stationsübergreifenden Gruppe können alt Nach dem Erstellen der Einkaufsliste übernimmt ein gehegte Freizeitaktivitäten für sich wiedergewonnen Teil der Gruppe selbstständig oder – wenn nötig – in oder neue Interessen geweckt werden. Man lernt an- Begleitung den Einkauf. Die anderen Gruppenteil- dere Menschen kennen, die unter einer ähnlichen nehmer bereiten einen Tee zu, überprüfen und ergän- Erkrankung leiden und findet Gesprächspartner zum zen die Ausstattung der Lehrküche bezüglich frischer Austausch. Die Anregung zur eigenen Entscheidung Handtücher etc. Anschließend wird beim gemeinsa- bei der Auswahl von verschiedenen Freizeitaktivitä- men Tee die weitere Aufgabenverteilung besprochen. ten kann auch nach dem stationären Aufenthalt eine Beim konkreten Arbeiten wird auf einen hygieni- Tagesstruktur, bzw. eine Balance zwischen Arbeit, schen Umgang mit Nahrungsmitteln und Geräten Entspannung und Aktivität schaffen. geachtet und eigenverantwortliches Handeln geför- dert. Gartenprojekt Im weiteren Verlauf der Gruppe hat jeder seine klei- nen Teilaufgaben. Es ist aber auch nötig, einen gewis- Hierbei handelt es sich um ein stationsübergreifendes sen Überblick über das Gesamtgeschehen zu haben, Angebot, bei dem es um die Bepflanzung und Bear- um den Ablauf zu koordinieren. beitung mehrerer Hochbeete geht. Ein bis zweimal Schließlich wird das Mahl auch gemeinsam einge- wöchentlich können bis zu fünf Patienten an dieser nommen. Gruppe teilnehmen. Durch die kompetenzzentrier- te Methode können Patienten selbstständig planen, In der Kochgruppe kommt die kompetenzzentrierte, die eigene Arbeitsbelastung und -leistung bewerten alltagsorientierte Methode zum Tragen, d. h. es wer- sowie ein sinnvolles Freizeitangebot nutzen. Patien- den Aktivitäten und Tätigkeiten durchgeführt, die den Patienten darin unterstützen, verloren gegange- ne oder beeinträchtigte kongnitive und sensomotori- sche Fähigkeiten zu üben. Das Planen von Arbeitsabläufen bzw. die Verbesse- rung oder Wiederaufnahme lebenspraktischer Fähig- keiten stehen in der Kochgruppe im Vordergrund. Sie dient auch der konkreten Vorbereitung auf die Ent- lassung in das häusliche Umfeld. Es wird für ein freundliches Miteinander gesorgt und auf einander geachtet. Deshalb werden natürlich auch kommunikative und soziale Fähigkeiten inner- halb der Kochgruppe gefördert. 8
ten können durch das Anlegen und Bearbeiten der führt. So kann mit unterschiedlichen Übungsgeräten Hochbeete auch den ressourcenorientierten Umgang gearbeitet werden. Vor allem die Muskelpartien der mit Lebensmitteln, Wasser und Energie lernen. Die oberen Extremitäten und des Oberkörpers werden Ernte sollte dann für die Kochgruppen der Stationen angesprochen. Außerdem muss sich der Patient bei verwendet werden. dieser Art von Übungen konzentrieren, um die ihm vorgemachten Übungen auch folgerichtig umsetzen Bewegung und Entspannung zu können. Der Spaß innerhalb der Gruppe trägt natürlich auch Ort der kombinierten Bewegungs- und Entspan- zum Wohlbefinden des Patienten bei. nungsgruppe ist der Gymnastikraum auf der Stati- on P 28, in dem maximal zehn Patienten gleichzeitig Sportgruppe Platz finden. Die Sportgruppe ist ein stationsübergreifendes Ange- Ein Ziel ist es, den Körper wieder zu entdecken, als bot das einmal wöchentlich in einer externen Sport- wichtiges, wertvolles Instrument und Ausdrucksmit- halle, bzw. (in den Ferien) im Freien stattfindet. Sie tel. Die eigenen Grenzen und Möglichkeiten der Be- besteht aus Patienten unterschiedlicher Altersstufen weglichkeit können erprobt und ein sorgsamer Um- und verschiedener Krankheitsbilder. gang mit dem Körper und Freude an der Bewegung erlebt werden. Gymnastik bezeichnet im Allgemeinen die gleichmä- ßige Ausbildung des Körpers. Es kommen verschie- dene gymnastische Geräte wie Bälle, Therabänder, Hanteln und Stöcke zum Einsatz. Elemente aus dem Yoga und der Wirbelsäulengymnastik fordern von den Teilnehmern eine Schulung der Körperwahrneh- mung und des Gleichgewichts. Den Abschluss einer jeden Bewegungseinheit bil- det eine Entspannungsphase, so dass der Körper lernt, nach einer Anspannungsleistung wieder los- zulassen. Hier wird insbesondere die Technik der progressiven Muskelentspannung angewendet, aber Die Sportgruppe gliedert sich in drei Abschnitte. auch körperbetonte Phantasiereisen und Wahrneh- In der ersten Phase werden Dehn- und Ausdauer- mungsübungen, unterstützend unterlegt mit ruhiger übungen durchgeführt. Im Anschluss daran wird ein Entspannungsmusik. Häufig angewandt stellt sich ein kurzes Aufwärmspiel angeboten. Hierzu wird meist Übungseffekt ein und auch Patienten, die unter ho- Badminton als Medium eingesetzt. Dabei klären die hen Anspannungen leiden, können positive Effekte Patienten untereinander, wer mit wem zusammen erzielen und ein besseres Gefühl für eigene Bedürf- spielt. Sie treten also in Kontakt und lernen, rück- nisse entwickeln und lernen mit Hilfe einfach erlern- sichtsvoll miteinander umzugehen. Der Hauptteil ter Techniken ihre Spannungszustände zu lösen. besteht dann aus einer Mannschaftssportart, wie Hockey, Fußball oder Basketball. Die Sportart wech- Sitzgymnastik selt wöchentlich, so dass viele sportliche Interessen berücksichtigt werden. Patienten lernen Regeln ein- Die Sitzgymnastik richtet sich, im Gegensatz zur Be- zuhalten, ihre Grenzen zu erfahren (auch rechtzeitig wegungs- und Entspannungsgruppe, an körperlich Pausen einzulegen) und fairen sportlichen Umgang eingeschränkte und ältere Personen. Deshalb werden zu pflegen. Die Interaktion in der Gruppe stellt da- hier die Übungen überwiegend im Sitzen durchge- bei eine wesentliche Herausforderung dar. Ungeahn- 9
tes Potential wird bei diesen sportlichen Aktivitäten Beim Tango Argentino gibt es keine festen Schrittfol- wachgerufen und Freude an der ausgelassenen, spie- gen, jede Bewegung zur Musik kann frei improvisiert lerischen Bewegung geweckt. werden. Dies gibt den Patienten die Möglichkeit, Kre- ativität und Spielfreude zu entdecken. Diese freie Im- Laufgruppe provisation erfordert ein hohes Maß an gegenseitiger Aufmerksamkeit. Durch den Wechsel der führenden Zweimal in der Woche wird morgens um 7:30 Uhr und folgenden Rolle und durch häufiges Wechseln (also noch vor dem Frühstück) eine Laufgruppe an- der Tanzpartner verstärkt sich das Gruppengefühl, geboten, die dem Patienten die Möglichkeit bietet, Selbst- und Fremdwahrnehmung werden gestärkt. den Tag bewusst und aktiv zu beginnen und so aus einer Routine auszubrechen. Ziel soll immer sein, die Bewegung mit innerer Be- teiligung nachzuvollziehen, um die eigenen körper- Die Laufgruppe teilt sich in eine Walking- und eine lichen Empfindungen besser wahrzunehmen, das ei- Jogginggruppe auf, damit die Patienten eigenverant- gene Bewegungsrepertoire zu erweitern und auf die wortlich entscheiden können, wie fit und laufstark sie Verbindung von Stimmung und Bewegung aufmerk- sich fühlen. Jeder Patient bestimmt also selbst sein sam zu werden, auch werden Balance und bessere Tempo. Je öfter an der Laufgruppe teilgenommen Raumwahrnehmung gefördert. wird, desto höher wird natürlich auch die Belastungs- grenze sein. Während sportlicher Aktivitäten werden im Gehirn Botenstoffe (Dopamin, Serotonin und Endorphi- ne) gebildet und ausgeschüttet, die zu einem Wohl- befinden führen. Die eigene Körperwahrnehmung wird beim Laufen gestärkt, aber auch der Kontakt zu Mitpatienten spielt eine tragende Rolle. Vor allem Patienten mit geringem Antrieb, sog. Morgentiefs oder Negativsymptomatik, fällt es schwer, den Tag strukturiert und pünktlich zu beginnen, obwohl sie es innerlich wollen. Innerhalb der Laufgruppe treffen sie Mitpatienten, denen es ähnlich geht. Das Zusam- mengehörigkeitsgefühl wird gestärkt. Tangotanzgruppe Die Tangotanzgruppe ist ein bewegungstherapeu- tisches Angebot, das mit den Elementen des Tango Argentino arbeitet. Spielerisch werden die Patienten durch Bewegungs- und Rhythmusübungen an das Tanzen herangeführt. Musik und Rhythmus werden durch einfaches Vor- wärts- und Rückwärtsgehen, sowie Pausen und Dre- hungen geübt; zunächst allein, dann als Paar. Die Selbsterfahrung durch Bewegung wird unterstützt durch verschiedene Übungen aus dem Feldenkrais, Pilates und der Piraldynamik. 10
Progressive Muskelentspannung (PMR) und Entspannungsgruppe P 29 Die Technik der PMR ist ein Entspannungstraining und Grundbestandteil der Verhaltenstherapie. Sie ist schnell und leicht zu erlernen und wird in zuneh- mendem Maße genutzt, um eine tiefe Entspannung des gesamten Körpers zu erlernen. Dabei werden nacheinander die einzelnen Muskelpartien in einer bestimmten Reihenfolge zunächst angespannt, die Muskelspannung wird kurz gehalten und anschlie- ßend wird die Spannung gelöst. Die Übungen kön- nen sowohl im Sitzen als auch im Liegen vorgenom- Cafeteria men werden, die Größe der Gruppe ist dabei nicht relevant. Die sogenannte „Patientencafeteria“ ist ein Cafe mit Ziel der PMR: Herstellen einer verringerten Grund- begrenzten Öffnungszeiten (11 – 14 Uhr, nur an spannung der Muskulatur, Hilfe gegen Spannungs- Werktagen), die sowohl von Patienten, als auch von kopfschmerz, Verbesserung des Körpergefühls, Mitarbeitern oder Besuchern des Klinikums genutzt Lockern von Verspannungen, Erleben von Entspan- werden kann. nung, Erlernen einer Einschlafhilfe, Stressbewälti- gung. Zwei Patienten arbeiten hier innerhalb eines drei- monatigen Einsatzes, im Anschluss einer stationären In der Entspannungsgruppe wird die Technik der oder tagesklinischen Behandlung oder in Angliede- Atem-Achtsamkeitsübung eingesetzt. Dabei wird rung über die PIA (Psychiatrische Institutsambu- der Atem nicht beeinflusst oder reguliert, sondern lanz). Hier kommt die arbeitstherapeutische Methode bewusst wahrgenommen. Aufsteigende Gedanken zum Tragen, in der es auch um die Ablösung aus dem werden akzeptiert, ohne dass man ihnen gedanklich Stationsmilieu geht. Neue Kontakte werden geknüpft weiter nachgeht. Man nimmt sie wahr und lässt sie und das Agieren in der Öffentlichkeit wird geübt. Die wieder ziehen. Dann konzentriert man sich wieder Patienten erlernen Pünktlichkeit und direkt auf die auf die Atmung. Diese Entspannungsphase dauert, Arbeit abgestimmte Fertigkeiten wie die Zubereitung wenn es dem Patienten möglich ist, bis zu zwanzig von Getränken, Bedienung, Hygiene, Kassenführung Minuten. Leise Musik kann den Prozess unterstützen. und Abrechnung. So lernen die Patienten ihr eigenes Ich zu stärken, In- Im Allgemeinen verbessern Entspannungsübungen teressen und Verantwortungsbewusstsein zu entwi- das eigene Körpergefühl und helfen bei der Stressbe- ckeln. Im Hinblick auf einen möglichen Einsatz oder wältigung im Alltag. eine Rückkehr auf den 1. oder 2. Arbeitsmarkt kön- Die Verbesserung der inneren Ausgeglichenheit ist in nen sie sich in ihrer Belastbarkeit überprüfen. ihrer neurophysiologischen Wirkung erforscht und belegt. Die Cafeteria ist zudem Ausstellungsort für Patien- tenarbeiten, Veranstaltungsort für die Treffen einer Selbsthilfegruppe und dient Freitagabends als Disco- thek. 11
Schlusswort Die Kunst- und Ergotherapie ermöglicht den Patien- Der wichtigste Aspekt bei allen vorgestellten the- ten die Hinwendung zu neuen, ästhetischen Erfah- rapeutischen Gruppenangeboten aber bleibt: rungen über eine gestalterisch-künstlerisch Tätigkeit, „Denn um es endlich auf einmal herauszusagen, der aber auch das (Wieder-) Erlernen alltäglicher Hand- Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wor- lungen und Aktivitäten, die eine selbstbestimmte Teil- tes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er habe am sozio-kulturellen Leben ermöglichen helfen. spielt.“ (Friedrich Schiller) 12
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