ITIZEN CIENCE - Strategie des NHM Wien - Naturhistorisches Museum Wien
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2 Citizen Science – Strategie des NHM Wien | März 2017
1. Vorwort Die Beteiligung von Bürgerinnen/Bürgern an wis- In Reaktion auf die „Entdeckung“ und Aufwertung senschaftlichen Aktivitäten geht bis in das 18. Jahr- dieser Form der wissenschaftlichen Arbeit auf der hundert zurück. Gerade am NHM Wien leisteten in- Ebene nationaler und europäischer Forschungs teressierte Personen einen bedeutenden Beitrag zu politik (z.B. Horizon 2020, European Science Foun- vielen Forschungs- und Sammlungsaktivitäten. dation) gibt sich das NHM Wien mit seiner Citizen „Citizen Science“ erfährt derzeit – besonders durch Science-Strategie nun einen abteilungsübergreifen- die digitale Revolution der vergangenen Jahre – einen den Handlungsrahmen. Dieser soll nicht nur dazu erheblichen Aufschwung in der europäischen For- beitragen, die Wechselwirkung zwischen Wissen- schungs- und Förderpolitik. Ziel ist, Wissenschaft und schaft und Gesellschaft weiter zu stärken und zu Gesellschaft einander wieder stärker anzunähern: professionalisieren, sondern sie auch sichtbar und Eingebettet in die forschungspolitischen Schwer - transparent zu machen, damit sie von der Öffentlich- punkte “Responsible Research & Innovation” so- keit, der Politik und nicht zuletzt den Fördergebern in wie “Digital Science” soll “Citizen Science” zu einer ihrer ganzen Bandbreite bewusst wahrgenommen, offenen, kollaborativen, global verteilten, kreativen anerkannt und unterstützt werden kann. und gesellschaftsnahen Art der Wissensprodukti- on beitragen. Das Innovationspotenzial dieses For- schungs-Ansatzes liegt vor allem in der Kombinati- on des lokalen, praktischen Wissens (“know how”) der Gemeinschaft mit dem systematisierten Wissen (“know why”) der Forscher/innen (Wissenschaft und Gesellschaft im Dialog „Responsible Science“, bmw- fw, 2016). 3
2. Begriffliche Definitionen und Rahmenbedingungen Responsible Research & Innovation Open Innovation Responsible Science, im EU-Kontext auch als “Re Gemäß der Open Innovation Strategie für Österreich sponsible Research and Innovation” (RRI) bezeichnet, kann die Einbindung von Bürgerinnen/Bürgern in bindet die Zivilgesellschaft aktiv in Forschungs- und einen wissenschaftlichen Prozess von der reinen Innovationsprozesse ein, um aktuelle Herausforde- Datensammlung bis zu von Bürgerinnen und Bür- rungen effektiver und im Einklang mit den Werten, gern initiierten Forschungsprojekten reichen, bei Erwartungen und Bedürfnissen der Gesellschaft denen die Wissenschafter/innen gemeinsam mit bewältigen zu können. Seitens der Europäischen Bürgerinitiativen eine wissenschaftliche Fragestel- Kommission gewinnt das Konzept als Orientie- lung erarbeiten. Diese neuen Formate ermöglichen rungsrahmen für Forschung und Forschungsför- es, breit gestreutes Wissen zu erschließen, indem derung zusehends an Bedeutung. Auch Österreich externe Wissensgeber eingebunden werden (Open hat Responsible Science als wichtiges Element in Innovation Strategie für Österreich, bmwfw, 2016). den „Ak tionsplan für einen wettbewerbsfähigen Die Öffnung des Forschungsprozesses beruht dabei Forschungsraum“ des Bundesministeriums für auf vier zentralen Kriterien, die einen Mehrwert für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (bmwfw) Wissenschaft und Gesellschaft bedeuten: aufgenommen. Einer der ersten daraus abgeleite- ten Schritte war die Gründung einer Allianz für Re- Adaptivity: Reflexion und Anpassung des For- sponsible Science, der sich auch das NHM Wien an- schungsprojektes an laufende Lernerfahrungen geschlossen hat (www.responsiblescience.at). Diese bzw. Bedürfnisse der Beteiligten versteht Citizen Science als Ausdruck praktizierter Dialogfähigkeit zwischen Wissenschaft und Gesell- Anticipation: Erfassen gesellschaftlicher Bedürfnis- schaft – eine zentrale Aufgabe jeder modernen Wis- se und die Anwendung von Lösungsvorschlägen auf sensgesellschaft und somit auch dem NHM Wien “real-world problems” ein wesentliches Anliegen. Openness: Klären, welche Art von Öffnung des wis- senschaftlichen Erkenntnisprozesses sinnvoll ist; Teilen des Wissens mit einem breiteren Publikum Inclusion: Inter- und Transdisziplinarität von For- schungsprojekten, adäquate Heterogenität der ex- ternen Partner in Hinblick auf das Forschungsziel 4 Citizen Science – Strategie des NHM Wien | März 2017
Citizen Science und Crowd Science in Museen Als Citizen Scientists werden Personen definiert, die sich in einem Wissenschaftsbereich engagie- ren, an den sie nicht institutionell gebunden sind. Die Beteiligung an wissenschaftlichen Prozessen im Rahmen von Citizen Science kann von kurzzeitiger Datenerhebung bis zu längerfristigem intensivem Einsatz von Freizeit reichen, bei dem sich Citizen Scientists gemeinsam mit Wissenschafterinnen/ Wissenschaftern und/oder anderen Ehrenamtlichen in ein Forschungsthema vertiefen. Obwohl viele ehrenamtliche Forscher/innen eine akademische Ausbildung aufweisen, ist dies keine Voraussetzung für die Teilnahme an Forschungsprojekten. Wichtig sind allerdings die Kenntnis und Einhaltung wissen- schaftlicher Standards, vor allem Transparenz im Hinblick auf die Methodik der Datenerhebung und die öffentliche Diskussion der Ergebnisse (www.bu- ergerschaffenwissen.de). Da speziell in Museen die Sammlungserweiterung, Sammlungserschließung und Sammlungsarbeit als Grundlage für die For- schung dienen, können Citizen Scientists gerade in diesen Bereichen einen wertvollen Beitrag im wis- senschaftlichen Arbeitsprozess leisten. Durch die zunehmende Digitalisierung gewinnt aber auch Crowd Science – die Integration einer unlimi- tierten Anzahl von Citizen Scientists in Forschungs- vorhaben über digitale Medien – zunehmend an Be- deutung für die museale Arbeit. 5
3. Zielsetzung der Citizen Science-Strategie des NHM Wien Das NHM Wien soll als bedeutender, physischer, Die lange Tradition und Erfahrung mit unter- nicht nur virtueller Ort für Citizen Science etabliert schiedlichen Formen von ehrenamtlicher For- werden, an dem auf nationaler und internationaler schung und Einbindung von Bürgerinnen/Bür- Ebene ein wechselseitiger Dialog auf Augenhöhe gern in Forschungsprozesse garantieren Langfris- zwischen Wissenschaft und Gesellschaft stattfindet. tigkeit. Die Etablierung des NHM Wien als Anwendungsort Als bedeutendes naturwissenschaftliches Muse- (Hub) für Citizen Science soll nicht nur einen ent- um ist das NHM Wien einer der wenigen großen, scheidenden Impuls für neue Formen von Bildungs- von Wissenschafterinnen/Wissenschaftern und strukturen darstellen, sondern auch die Bedeutung Bürgerinnen/Bürgern alltagsbedingt geteilten von Citizen Science für die Forschung und die Gesell- Räume. schaft sichtbar und erlebbar machen. Das NHM Wien definiert sich über Forschung und Kommunikation. Es ist somit ein Ort, wo Ver- Dies wird durch adäquate Vermittlungsaktivitäten, mittlung von Wissen an die Gesellschaft laufend jedoch auch durch die gezielte Zusammenarbeit stattfindet: ein Ort des Lernens und der Bildung mit Bürgerinnen/Bürgern in der Forschung erfol- im Rahmen von schulischen Aktivitäten, aber gen. Dort, wo es sinnvoll und möglich ist, wird das auch ein außerschulischer, gesellschaftlicher NHM Wien Citizen Scientists in Forschungsprozesse Lernort, der lebenslanges Lernen ermöglicht, so- einbinden und damit Forschungsvorhaben ermög- wie ein transformativer Lernort für Bürger/innen lichen, welche andernfalls thematisch und/oder in und Wissenschafter/innen. Bezug auf die Art der Tätigkeiten nicht durchgeführt Als Museum bildet das NHM Wien eine wichtige werden könnten. Dabei sind bezüglich der Anwen- Brücke zwischen Forschungsinstitutionen, be- dung von Citizen Science keine thematischen Ein- sonders den Universitäten, und der Gesellschaft. schränkungen geplant. In Zukunft soll noch mehr Wert auf die Sensibili- Die anerkannte und prädestinierte Rolle des NHM sierung der Öffentlichkeit für die Bedeutung von Wien als Ort für Citizen Science ergibt sich aus fol- Forschung gelegt werden – vor allem durch neue genden Faktoren: Formen partizipativer Kommunikation und durch einen neuen, offenen Innovations- und Experimen- tierraum („Deck 50“), der als multifunktionale Kom- munikationsplattform mit einer großen Bandbreite an Vermittlungsangeboten den professionellen Rah- men für Citizen Science und Dialogaktivitäten bil- den kann. Citizen Science ist somit ein wesentlicher Teil des Modernisierungs- und Bildungsauftrages des NHM Wien. 6 Citizen Science – Strategie des NHM Wien | März 2017
4. Ausgangslage Fakten und Zahlen Historische Verankerung von Citizen Science Das NHM Wien ist eine der größten außeruniversi- im NHM Wien tären Forschungsinstitutionen Österreichs und ein Die Gründung der Naturaliensammlung geht auf wichtiges Kompetenzzentrum für öffentliche Fragen einen Laien zurück: Kaiser Franz I. Stephan von Loth- zu Human-, Erd- und Biowissenschaften: ringen. Der Sammlungszuwachs am NHM Wien war häufig das Resultat von Aufsammlungen durch 60 Wissenschafter/innen Reisende, Jäger, Gesandte und naturwissenschaft- Ca. 300 Citizen Scientists lich interessierte Bürger/innen. Im 19. und 20. Jh. 30 Millionen Sammlungsobjekte wurden zahlreiche wissenschaftliche Gesellschaf- 100.000 Schauobjekte auf 8460 Quadratmetern ten gegründet, die ihren Sitz am NHM Wien hatten in 39 Schausälen oder haben (z.B. Anthropologische Gesellschaft in Wien, Österreichische Mineralogische Gesellschaft, Jährlich: Österreichische Gesellschaft für Herpetologie, Wie- Ca. 700.000 Besucher/innen ner Coleopterologenverein, BirdLife Österreich etc.). Ca. 7.500 Vermittlungsangebote Diese dienten häufig als Schnittstelle zwischen den Ca. 120.000 Teilnehmer/innen an Laien und den Forscherinnen/Forschern. Die Finan- den Vermittlungsprogrammen zierung von Forschungsvorhaben, Expeditionen und Ankäufen erfolgte und erfolgt nicht selten über Vereine, z.B. über die 1923 gegründeten „Freunde des NHM Wien“. Seit der Regierungszeit von Maria Theresia dient das NHM Wien auch der „Volksbil- dung“. Ab dem frühen 20. Jh. gab es eine enge Zu- sammenarbeit mit den Volkshochschulen. Bereits in den 1960er Jahren fanden Bestimmungsabende statt – etwa die von der Geobotanisch-Floristischen Arbeitsgemeinschaft veranstalteten „Floristischen Abende“, bei denen Besucher/innen ihre „Fundstü- cke“ bestimmen lassen konnten und es zu einem regen Informationsaustausch kam. Zahlreiche Wis- senschafter/innen am k.k. Naturhistorischen Hof- museum und später am Naturhistorischen Museum begannen ihre Laufbahn als unbezahlte Volontäre/ Volontärinnen. 7
5. Aktuelle Bedeutung von Citizen Science und Crowd Science für das NHM Wien Eine aktuelle Bestandsaufnahme zeigt, dass in mehr In der Vermittlung bekommen offene, partizipative als 30 Aktivitäten des NHM Wien Citizen Scientists Formate einen immer höheren Stellenwert – z.B. mit mit einer großen thematischen und fachlichen dem ersten Citizen Science Day im Oktober 2016 und Bandbreite involviert sind. Die Formen der Zusam- der ersten offenen Werkstatt für Familien (Maker- menarbeit reichen vom klassischen Datensammeln space) in der Langen Nacht der Museen 2016. Längst bis zur Generierung von Forschungsfragen aus der ist das NHM Wien auch zum physischen Ort der Be- Crowd. Die Zusammenarbeit findet sowohl physisch gegnung und Diskussion mit Partnern aus allen Be- und direkt als auch über Online-Plattformen statt. reichen der Gesellschaft geworden (z.B. Umwelt im Gespräch 2016, Public meets Biodivers.city 2017). 8 Citizen Science – Strategie des NHM Wien | März 2017
6. Maßnahmen für eine Stärkung von Citizen Science- und Crowd Science-Aktivitäten am NHM Wien Das NHM Wien möchte den Bürgerinnen/Bürgern Geplant sind: die Möglichkeit bieten, sich in allen wissenschaftli- chen Bereichen einzubringen. Durch die Vereinigung Stärkung von Citizen Science und Crowd Science von 10 wissenschaftlichen Fachabteilungen in einer am NHM Wien auf strategischer Ebene Institution und in einem Gebäude wird die inter- Klares Bekenntnis zu Citizen Science und transdisziplinäre Forschung begünstigt. Diese Citizen Science als Teil des Modernisierungs- Kernkompetenz des NHM Wien ermöglicht es, ge- und Bildungsauftrages mäß dem Response-Gedanken der österreichischen Neue Allianzen zwischen Wissenschaft Forschungspolitik (www.responsiblescience.at) auf und Gesellschaft die Erwartungen und Bedürfnisse der Gesellschaft Intensivieren der internen Kommunikation zu reagieren. Schaffen eines internen Bewusstseins Definieren einheitlicher Begrifflichkeiten Verstärktes Sichtbarmachen der Tätigkeiten von ehrenamtlichen Forscherinnen/Forschern nach innen und außen sowie verstärktes Sichtbar machen von Projekten und Interaktionsmög lichkeiten Integration von Citizen Science und Crowd Science in die internen und externen Kommuni- kationsaktivitäten des NHM Wien Verstärkte Integration von Citizen Science und Crowd Science in Forschungsaktivitäten des NHM Wien Verstärkte Integration von Citizen Science und Crowd Science in Vermittlungsaktivitäten des NHM Wien Ausarbeitung eines jährlichen Maßnahmen kataloges zur Umsetzung der Citizen Science Strategie und regelmäßige Evaluierung 9
7. Maßnahmenkatalog für 2017 Information zu Beteiligungsmöglichkeiten an Einrichten einer Kontaktstelle Citizen Science Citizen Science-Aktivitäten des NHM Wien über für fachlich/methodische Kompetenz- alle Kommunikationskanäle Vermittlung und Forschungskoordination: eigener Bereich auf der Homepage citizen-science@nhm-wien.ac.at Verlinken mit nationalen und Betreuung durch iris.ott@nhm-wien.ac.at internationalen Citizen Science-Plattformen (Abteilung Ausstellung & Bildung); Aufrufe über soziale Medien silke.schweiger@nhm-wien.ac.at Presseaussendungen zu Citizen Science- (I Zoologische Abteilung); Projekten katharina.wölfel@nhm-wien.ac.at Berichte im Universum-Magazin und im (Forschungskoordination) Jahresbericht 10 Citizen Science – Strategie des NHM Wien | März 2017
Wien, am 31. März 2017 Für das NHM Wien Univ.-Prof. Dr. Christian Köberl Dr. Herbert Kritscher Generaldirektor Vizedirektor Die Strategie basiert auf den Ergebnissen von zwei Workshops für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des NHM Wien. Für die Formulierung der Strategie zeichnen verantwortlich: Andreas Hantschk, Agnes Mair, Pauline Oberender, Iris Ott, Christa Riedl-Dorn, Gertrude Schaller, Brigitta Schmid, Silke Schweiger, Christian Steinwender, Karin Wiltschke, Katharina Wölfel Beratend begleitet von winnovation – Open Innovation Forschung und Beratung durch Dr. Gertraud Leimüller Dr. Anett Richter, Koordinatorin und Mitautorin der Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland, Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig (iDiv) 11
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