Damit die Kunst ihr Fett nicht abbekommt - Lenbachhaus

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Damit die Kunst ihr Fett nicht abbekommt - Lenbachhaus
BEUYS 2021

Damit die Kunst ihr Fett nicht abbekommt
Wer so etwas Vergängliches wie Fett auf Dauer erhalten will, muss kreativ sein. So wie Iris Winkel-
meyer. Die Chefin der Restaurierungsabteilung im Münchener Lenbachhaus lässt sich einiges einfal-
len, um die Arbeiten von Joseph Beuys zu bewahren. RESTAURO sprach mit ihr über die Herausfor-
derungen im Umgang mit Gegenwartskunst

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                                                                                                               Foto: privat

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Damit die Kunst ihr Fett nicht abbekommt - Lenbachhaus
BEUYS 2021

RESTAURO: Frau Winkelmeyer, seit wann            bilität er betonte „... was ich plastisch ge-                               1
arbeiten Sie mit Gegenwartskunst?                stalte, ist nicht festgelegt und vollendet.                                 Sie hat keinerlei Berüh-
                                                                                                                             rungsängste vor neuen
Iris Winkelmeyer: Bereits in den 90er-Jahren     Die Prozesse setzen sich fort: Chemische
                                                                                                                             Materialien: Iris Win-
war ich getrieben von der Vorstellung, mit       Reaktionen, Gärungsprozesse, Farbver-                                       kelmeyer, Chefin der
zeitgenössischer Kunst zu arbeiten. Da die       wandlungen, Austrocknung. Alles wandelt                                     Restaurierungsabtei-
Hochschulen diesen Restaurierungsschwer-         sich.“ Ist der „Stillstand“ eines Exponates                                 lung im Münchener
punkt noch nicht anboten, habe ich u.a. am       dann überhaupt in seinem Sinne?                                             Lenbachhaus

MoMA und am Museum Boijmans van Beun-            Es sollte nicht das Ziel sein, einen absoluten
ingen Praktika absolviert. Seitdem ich in Lon-   Stillstand in einem Kunstwerk zu erreichen.
don an einem College studiert habe, das auf      Den gibt es bei Rembrandt übrigens auch
die Fertigung und Restaurierung von Möbeln       nicht. Auch da laufen ständig chemische Pro-
spezialisiert war, habe ich keinerlei Berüh-     zesse und Veränderungen ab. So wie wir uns
rungsängste vor neuen Materialien: Ich habe      jede Sekunde verwandeln, so ändern sich
dort gelernt, wie man Plexiglas schneidet,       auch die Arbeiten. Selbst wenn wir ein Objekt
Werkzeuge herstellt und Holz verarbeitet.        – wie im Fall der amerikanischen Unabhängig-
  Nach einem vierjährigen Praktikum in Bre-      keitserklärung – in sauerstofflosen Vitrinen
men habe ich in Stuttgart ein weiteres Diplom    aufbewahrten, wäre der Verfall nicht völlig
im Studiengang „Restaurierung von Gemäl-         aufzuhalten. Das ist ein Ding des Lebens.
den und gefassten Skulpturen“ erworben. In         Bei Beuys muss man aufpassen – Künstler
den Werkstätten der Staatsgalerie hatte ich      sind voller Widersprüche. Die sagen am
viel mit zeitgenössischer Kunst zu tun.          Montag „Oh ist das toll, dass das Fett zer-
                                                 krümelt“ und am Dienstag „Das ist ganz
Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit im         schlimm“. Ich habe ein Zitat von Beuys zu
Lenbachhaus?                                     der Fat Battery in der Tate Gallery gefunden:
Anders als an vielen staatlichen Museen sind     „Das sollte so lange halten wie die Pharao-
Restaurator*innen sowohl für zeitgenössi-        nen.“ Obwohl er natürlich wusste, dass sich
sche als auch für alte Kunst zuständig. Diese    das Material verändern würde. Als er die Ar-
Vielfalt an Materialien und Fragestellungen      beit wiedergesehen hat, hat er sich gefreut,
liebe ich ganz besonders. Eines unserer          weil sie weniger gealtert war als erwartet.
Highlights ist die Beuys-Sammlung. Nach-
dem das Büro Foster + Partners 2013 das          Unter welchen konservatorischen Bedin-
Lenbachhaus erweitert hat, schenkte Lothar       gungen hält sich Fett am längsten?
Schirmer uns fünfzehn plastische Arbeiten        Eine normale Margarine verändert sich durch
von Joseph Beuys, die dessen ganzes Schaf-       Hitze sowie durch Bakterien und Metalle. Es
fen abdecken und die jetzt in einem eigenen      gibt z. B. eine Interaktion mit dem Fett in den
Flügel untergebracht sind.                       Zinkkästen. Dann bilden sich Zinkseifen, die
                                                 vermutlich durch die Säuren in dem Fett be-
Beuys hat für viele seiner Arbeiten Fett         schleunigt werden. Stabile Klimabedingun-
eingesetzt...                                    gen sind daher wichtig. Es ist auch sinnvoll,
In unserer Sammlung gibt es verschiedene         das Licht zu reduzieren, wenn es irgendwie
Arbeiten mit Fett. Beuys hat ja immer diesen     geht. Unsere Vitrinen mit dem eingravierten
Oberbegriff verwendet, wobei es sich in vie-     Beuys-Schriftzug sind zwar ästhetisch an-
len Fällen um Margarine handelt. Ein Foto        sprechend, schließen aber zu hermetisch.
von 1968 zeigt Beuys beim Aufbau der Ar-         Als Präventionsmaßnahme hat der Münche-
beit „Das Schweigen von Marcel Duchamp           ner Künstler Dietmar Tanterl daher einen klei-
wird überbewertet“ im Haus der Kunst: Ne-        ner Computer-Lüfter unten in den Vitrinen
ben ihm stapeln sich zahlreiche Margarine-       mit Beuys-Objekten eingebaut. Einmal in der
dosen und -klötze. „Es gibt nichts Banaleres     Woche docken wir dort mit einem Tablet an.        ABSTRACT

als Magarine, um die Leute zu schocken“,         Der Lüfter füllt sich mit Strom und zieht die     So that art does not get its grease

hat er oft gesagt. Margarine war einfach ein     schadstoffhaltige Luft, die sich im Innen-        If you want to preserve something as ephemeral
                                                                                                   as fat in the long term, you have to be creative.
Material, mit dem Beuys sehr schnell sehr        raum in der Vitrine befindet, über einen Koh-     Like Iris Winkelmeyer. The head of the conserva-
viel Effekt erzielen konnte.                     lefilter heraus.                                  tion department at the Lenbachhaus in Munich
                                                   In Objekten wie dem Mäusestall – vom Ha-        comes up with a lot of ideas to preserve the
                                                                                                   works of Joseph Beuys. RESTAURO spoke to her
Für Beuys war Fett ein nicht auf Beständig-      sengrab ganz zu schweigen – sind Unmen-           about the challenges of dealing with contempo-
keit angelegtes Werkzeug, das er für seine       gen organische Materialien, die stark rie-        rary art.
Aktionen nutzte und dessen absolute Flexi-       chen. Diese Verfallsprodukte in Gasform in-

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                               teragieren vermutlich mit den Objekten und        die wir abrufen können. Im Beuysschen Sinne
                               beschleunigen damit den Verfall.                  bin ich wohl kreativ – entlang bestimmter Vor-
                                                                                 gaben, die die Restaurator*innen sich mit ih-
                               Für welche konservatorischen Herausfor-           ren ethischen Kodizes setzen.
                               derungen mussten sie bereits neue, krea-            Es gibt kein Handbuch, in dem ich nach-
                               tive Lösungen finden?                             schlagen kann, wie ich eine Garage über ein
                               Eine kleine Fettpyramide hatte ihre Form          Stückchen Fett bastele. Da braucht es Intui-
                               verloren, so dass wir uns auf einen Eingriff      tion. Ich glaube, die Lösung hätte Beuys ge-
                               geeinigt haben. Es war uns wichtig, dass das      fallen. Vielleicht hätte er sie aber auch total
                               in Einklang mit Herrn Schirmer passiert,          doof gefunden. Aber das ist Spekulation.
                               denn er und Beuys waren „ein Stück weit ei-
                               ne Person“. Ich habe einen Tetraeder aus          Was sagen Sie denen, die Restaurator*innen
                               Bienenwachsplatten gelötet, dessen Maße           auch künstlerische Qualitäten zuschreiben?
                               ich anhand von Fotos von Ute Klophaus be-         Diese Aussage behagt mir nicht. Nein,
                               rechnen konnte.                                   Restaurator*innen sind keine heilenden
                                                                                 Künstler*innen. Wir gehen hinter Künst­
                               Gehen Sie bei vergänglichen und instabi-          ler*innen her, beschäftigen uns respektvoll
                               len Werkstoffen also nach der Devise vor          mit dem Werk und versuchen, dieses in ei-
                               „so nah wie möglich am Original und zu-           ner nachvollziehbaren Art zu erhalten. Der
                               gleich reversibel bleiben“ ?                      Beruf besteht zum Großteil aus harten wis-
                               Reversibilität ist für mich ein Kriterium. Heu-   senschaftlichen Fakten: aus der Chemie, der
                               te sitzt diese Fettgarage, wie ich sie nenne,     Materialtechnik, Physik und der Klimakunde.
                               praktisch wie eine Haube über dem alten           Hinzu kommt die Geisteswissenschaft, d. h.
                               Fettfleck. Man kann sie jederzeit wieder ab-      die Kunstgeschichte, die Ikonographie. Das
                               nehmen. Man sieht nicht, dass es sich um          Wort Restaurator beginnt mit der Silbe „re“,
                               eine Rekonstruktion handelt.                      also „zurück“. Wir sind nicht die Produzie-
                                                                                 renden, sondern folgen eine Stufe drunter.
                               Wenn Fett altert, wird es bräunlich. Wann
                               ist der Punkt gekommen, dass Sie sich             „Einen Rembrandt kann jeder“, hat ein-
                               entschließen, das Fett zu ersetzen?               mal eine Kollegin von Ihnen gesagt. Wor-
                               Das Fett in den Kästen wird noch bräunlicher      in sehen Sie die spannenden Herausfor-
                               und krümeliger. Es erinnert ja jetzt schon        derungen dabei, zeitgenössische Kunst zu
                               nicht mehr an die gelbe, glatte Fläche von        restaurieren?
                               einst. Aber ich würde es nie ersetzen wollen.     Jedes Werk ist neu und auch jede Fragestel-
                               Mit dem Tetraeder, der seine geometrische         lung. Wenn man Gemälde aus dem 19. Jahr-
                               Form verloren hatte, war das etwas anderes.       hundert restauriert, ist ja auch jedes Werk
                               Aber ein Fett, das in einer Zinnschachtel         neu, aber die Referenzfälle sind ungleich hö-
                               braun wird, ist immer noch Fett und riecht        her. Man kann da viel besser recherchieren
                               immer noch nach Fett.                             und sich auf erlernte Methoden stützen.
                                                                                   Mit der Erweiterung des Materials in der
                               Beuys hat sich ja oft mit Restaurator*innen       zeitgenössischen Kunst hat man eine un-
                               abgesprochen, etwa mit Günter Schott in           glaublich große Palette an Materialien, von
                               Darmstadt, um nach konstruktiven Lösun-           denen weder die Künstler*innen noch die
                               gen zu suchen, wenn eines seiner Werke            Restaurator*innen wissen, wie sie altern
                               sich unerwünscht veränderte. Salopp for-          werden. Insofern ist das ein Experimentierla-
                               muliert: Ist ihre Arbeit einfacher mit oder       bor. Aber dennoch gibt es Regeln.
                               ohne Einmischung des Künstlers? Würden              Ich liebe es, mit Künstler*innen zusam-
                               Sie sich manchmal wünschen, Beuys lebte           menzuarbeiten, auch wenn das manchmal
                               noch und spräche sich mit Ihnen ab? Und           eine Herausforderung ist. Es ist immer einfa-
                               stellen Sie sich manchmal die Frage, ob er        cher, eine Entscheidung für sich im stillen
                               mit Ihrer Arbeit zufrieden gewesen wäre?          Zimmer zu treffen und sich nicht der Diskus-
                               Leider konnte ich Beuys nicht persönlich ken-     sion auszusetzen.
                               nenlernen. Das bedauere ich wirklich sehr. Ich
                               hätte gerne mal mit ihm gesprochen. Die Fra-      Gibt es eine Arbeit, die Sie besonders
                               ge, ob er mit meiner Arbeit zufrieden wäre,       reizt?
                               kann ich nicht beantworten. Beuys hat ge-         Ja, die gibt es tatsächlich. Mir ist es bis heute
æD
  as komplette Programm       sagt, jeder Mensch sei ein Künstler. Das heißt    schleierhaft, wie Beuys seine Gelose-Arbei-
 unter: https://beuys2021.de   für mich, dass in uns eine Kreativität wohnt,     ten gefertigt hat. Er hatte ein alchemistisches

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                                                                       Wissen: Er kannte sich mit Lebensmitteltech-       tenlage unter den Fettfleck geschoben. Ich       2
                                                                       nologie ebenso aus wie mit dem Bäckerhand-         habe einen Steg unter jedes Partikel gesetzt     Joseph Beuys, zeige
                                                                                                                                                                           deine Wunde, 1976,
                                                                       werk. Die Gelose könnte Agar Agar sein, es         – so ein Art Fett-Rollator. Eine komplett re-
                                                                                                                                                                           Städtische Galerie im
                                                                       könnte sich aber auch um eine Gelatine han-        versible Maßnahme, die in keinem Lehrbuch        Lenbachhaus und
                                                                       deln, die Beuys als Gelose bezeichnete. Man        steht. Diese kleinen Teile habe ich mit winzi-   Kunstbau München
                                                                       darf seine Materialzuschreibungen nicht eins       gen Kaltfischleim-Punkten befestigt. Ich
                                                                       zu eins nehmen. Eine Analyse des Doerner-In-       weiß nicht, ob das in zehn Jahren noch hält.
                                                                       stituts hat ergeben, welches Infrarot-Spekt-       Aber man fährt halt auf Sicht. Schließlich
                                                                       rum die Gelosen haben und wieviel Anteil an        können wir ein Werk nicht einfach in die
                                                                       Polysacchariden und Proteinen es gibt. Wenn        Schublade legen und darauf warten, dass ir-
                                                                       ich sie nachkoche, zerfallen sie sofort und fan-   gendjemand eine Diplomarbeit zur Proble-
                                                                       gen nach einer Woche an zu schimmeln.              matik schreibt.
                                                                       Beuys‘ Objekte sind 55 Jahre alt und heute
                                                                       noch in einem relativ elastischen Zustand.         Welche Möglichkeiten gibt es heute für
                                                                       Vielleicht schickt er mir die Rezeptur mal tele-   Restaurator*innen, die sich für Gegen-
                                                                       pathisch. Vielleicht komme ich ihm aber auch       wartskunst interessieren?
                                                                       so noch auf die Schliche.                          Heute gibt es diverse Schwerpunktkurse
                                                                                                                          „Moderne Materialien“ oder „Konservie-
                                                                       Wird Ihnen jemals langweilig?                      rung Gegenwartskunst“. Die Akademie
Foto: Lenbachhaus, München / Ernst Jank / © VG Bild-Kunst, Bonn 2021

                                                                       Restaurieren ist echt anstrengend, es ist          Stuttgart etwa bietet ein Modul zeitgenössi-
                                                                       auch eine Nervensache. Nicht immer finde           scher Kunst an. Es gibt z. B. den Studien-
                                                                       ich direkt eine Lösung. Ich habe beispiels-        gang „Konservierung, Restaurierung neuer
                                                                       weise mal einen kleinen Fettfleck behandelt,       Medien und digitaler Informationen“. Bei
                                                                       den Beuys mit dem Daumen auf ein Bett-             dem Studiengang Objektrestaurierung wie-
                                                                       tuch geschmiert hatte. Dieser Fettfleck hat        derum kommt alles, was ein dreidimensio-
                                                                       sich stellenweise aufgelöst und die Haftung        nales Objekt ist, auf den Tisch – ob alt oder
                                                                       zu dem Tuch verloren. Dabei sollte das Ob-         jung. Die Kölner Fachhochschule legt mit
                                                                       jekt am folgenden Tag in der Ausstellung           dem Studiengang „Gemälde/ Skulptur/ Mo-
                                                                       hängen. In der Vertikale wäre der Fleck zer-       derne Kunst“ den Schwerpunkt auf Kunst-
                                                                       brochen und ihn zurück zu drücken war keine        stoffe. An der Fachhochschule in Bern gibt
                                                                       Option, da er zu krümelig war.                     es ein Modul „Moderne Materialien und
                                                                         Dann kam mir die Idee: Ich habe millimeter-      Medien und das Courtauld Institute Of Art
                                                                       lange winzige Zettel aus Japanpapier ge-           bietet Postgraduate Diploma, um nur einige
                                                                       schnitten. Diese dünnen versteiften Stege          Beispiele zu nennen.
                                                                       habe ich dann unter dem Mikroskop in Sei-                                          Dr. Inge Pett

                                                                                 3/2021                                                                                                        47
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