Damit die Kunst ihr Fett nicht abbekommt - Lenbachhaus
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BEUYS 2021 Damit die Kunst ihr Fett nicht abbekommt Wer so etwas Vergängliches wie Fett auf Dauer erhalten will, muss kreativ sein. So wie Iris Winkel- meyer. Die Chefin der Restaurierungsabteilung im Münchener Lenbachhaus lässt sich einiges einfal- len, um die Arbeiten von Joseph Beuys zu bewahren. RESTAURO sprach mit ihr über die Herausfor- derungen im Umgang mit Gegenwartskunst 1 Foto: privat 44 3/2021
BEUYS 2021 RESTAURO: Frau Winkelmeyer, seit wann bilität er betonte „... was ich plastisch ge- 1 arbeiten Sie mit Gegenwartskunst? stalte, ist nicht festgelegt und vollendet. Sie hat keinerlei Berüh- rungsängste vor neuen Iris Winkelmeyer: Bereits in den 90er-Jahren Die Prozesse setzen sich fort: Chemische Materialien: Iris Win- war ich getrieben von der Vorstellung, mit Reaktionen, Gärungsprozesse, Farbver- kelmeyer, Chefin der zeitgenössischer Kunst zu arbeiten. Da die wandlungen, Austrocknung. Alles wandelt Restaurierungsabtei- Hochschulen diesen Restaurierungsschwer- sich.“ Ist der „Stillstand“ eines Exponates lung im Münchener punkt noch nicht anboten, habe ich u.a. am dann überhaupt in seinem Sinne? Lenbachhaus MoMA und am Museum Boijmans van Beun- Es sollte nicht das Ziel sein, einen absoluten ingen Praktika absolviert. Seitdem ich in Lon- Stillstand in einem Kunstwerk zu erreichen. don an einem College studiert habe, das auf Den gibt es bei Rembrandt übrigens auch die Fertigung und Restaurierung von Möbeln nicht. Auch da laufen ständig chemische Pro- spezialisiert war, habe ich keinerlei Berüh- zesse und Veränderungen ab. So wie wir uns rungsängste vor neuen Materialien: Ich habe jede Sekunde verwandeln, so ändern sich dort gelernt, wie man Plexiglas schneidet, auch die Arbeiten. Selbst wenn wir ein Objekt Werkzeuge herstellt und Holz verarbeitet. – wie im Fall der amerikanischen Unabhängig- Nach einem vierjährigen Praktikum in Bre- keitserklärung – in sauerstofflosen Vitrinen men habe ich in Stuttgart ein weiteres Diplom aufbewahrten, wäre der Verfall nicht völlig im Studiengang „Restaurierung von Gemäl- aufzuhalten. Das ist ein Ding des Lebens. den und gefassten Skulpturen“ erworben. In Bei Beuys muss man aufpassen – Künstler den Werkstätten der Staatsgalerie hatte ich sind voller Widersprüche. Die sagen am viel mit zeitgenössischer Kunst zu tun. Montag „Oh ist das toll, dass das Fett zer- krümelt“ und am Dienstag „Das ist ganz Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit im schlimm“. Ich habe ein Zitat von Beuys zu Lenbachhaus? der Fat Battery in der Tate Gallery gefunden: Anders als an vielen staatlichen Museen sind „Das sollte so lange halten wie die Pharao- Restaurator*innen sowohl für zeitgenössi- nen.“ Obwohl er natürlich wusste, dass sich sche als auch für alte Kunst zuständig. Diese das Material verändern würde. Als er die Ar- Vielfalt an Materialien und Fragestellungen beit wiedergesehen hat, hat er sich gefreut, liebe ich ganz besonders. Eines unserer weil sie weniger gealtert war als erwartet. Highlights ist die Beuys-Sammlung. Nach- dem das Büro Foster + Partners 2013 das Unter welchen konservatorischen Bedin- Lenbachhaus erweitert hat, schenkte Lothar gungen hält sich Fett am längsten? Schirmer uns fünfzehn plastische Arbeiten Eine normale Margarine verändert sich durch von Joseph Beuys, die dessen ganzes Schaf- Hitze sowie durch Bakterien und Metalle. Es fen abdecken und die jetzt in einem eigenen gibt z. B. eine Interaktion mit dem Fett in den Flügel untergebracht sind. Zinkkästen. Dann bilden sich Zinkseifen, die vermutlich durch die Säuren in dem Fett be- Beuys hat für viele seiner Arbeiten Fett schleunigt werden. Stabile Klimabedingun- eingesetzt... gen sind daher wichtig. Es ist auch sinnvoll, In unserer Sammlung gibt es verschiedene das Licht zu reduzieren, wenn es irgendwie Arbeiten mit Fett. Beuys hat ja immer diesen geht. Unsere Vitrinen mit dem eingravierten Oberbegriff verwendet, wobei es sich in vie- Beuys-Schriftzug sind zwar ästhetisch an- len Fällen um Margarine handelt. Ein Foto sprechend, schließen aber zu hermetisch. von 1968 zeigt Beuys beim Aufbau der Ar- Als Präventionsmaßnahme hat der Münche- beit „Das Schweigen von Marcel Duchamp ner Künstler Dietmar Tanterl daher einen klei- wird überbewertet“ im Haus der Kunst: Ne- ner Computer-Lüfter unten in den Vitrinen ben ihm stapeln sich zahlreiche Margarine- mit Beuys-Objekten eingebaut. Einmal in der dosen und -klötze. „Es gibt nichts Banaleres Woche docken wir dort mit einem Tablet an. ABSTRACT als Magarine, um die Leute zu schocken“, Der Lüfter füllt sich mit Strom und zieht die So that art does not get its grease hat er oft gesagt. Margarine war einfach ein schadstoffhaltige Luft, die sich im Innen- If you want to preserve something as ephemeral as fat in the long term, you have to be creative. Material, mit dem Beuys sehr schnell sehr raum in der Vitrine befindet, über einen Koh- Like Iris Winkelmeyer. The head of the conserva- viel Effekt erzielen konnte. lefilter heraus. tion department at the Lenbachhaus in Munich In Objekten wie dem Mäusestall – vom Ha- comes up with a lot of ideas to preserve the works of Joseph Beuys. RESTAURO spoke to her Für Beuys war Fett ein nicht auf Beständig- sengrab ganz zu schweigen – sind Unmen- about the challenges of dealing with contempo- keit angelegtes Werkzeug, das er für seine gen organische Materialien, die stark rie- rary art. Aktionen nutzte und dessen absolute Flexi- chen. Diese Verfallsprodukte in Gasform in- 3/2021 45
BEUYS 2021 teragieren vermutlich mit den Objekten und die wir abrufen können. Im Beuysschen Sinne beschleunigen damit den Verfall. bin ich wohl kreativ – entlang bestimmter Vor- gaben, die die Restaurator*innen sich mit ih- Für welche konservatorischen Herausfor- ren ethischen Kodizes setzen. derungen mussten sie bereits neue, krea- Es gibt kein Handbuch, in dem ich nach- tive Lösungen finden? schlagen kann, wie ich eine Garage über ein Eine kleine Fettpyramide hatte ihre Form Stückchen Fett bastele. Da braucht es Intui- verloren, so dass wir uns auf einen Eingriff tion. Ich glaube, die Lösung hätte Beuys ge- geeinigt haben. Es war uns wichtig, dass das fallen. Vielleicht hätte er sie aber auch total in Einklang mit Herrn Schirmer passiert, doof gefunden. Aber das ist Spekulation. denn er und Beuys waren „ein Stück weit ei- ne Person“. Ich habe einen Tetraeder aus Was sagen Sie denen, die Restaurator*innen Bienenwachsplatten gelötet, dessen Maße auch künstlerische Qualitäten zuschreiben? ich anhand von Fotos von Ute Klophaus be- Diese Aussage behagt mir nicht. Nein, rechnen konnte. Restaurator*innen sind keine heilenden Künstler*innen. Wir gehen hinter Künst Gehen Sie bei vergänglichen und instabi- ler*innen her, beschäftigen uns respektvoll len Werkstoffen also nach der Devise vor mit dem Werk und versuchen, dieses in ei- „so nah wie möglich am Original und zu- ner nachvollziehbaren Art zu erhalten. Der gleich reversibel bleiben“ ? Beruf besteht zum Großteil aus harten wis- Reversibilität ist für mich ein Kriterium. Heu- senschaftlichen Fakten: aus der Chemie, der te sitzt diese Fettgarage, wie ich sie nenne, Materialtechnik, Physik und der Klimakunde. praktisch wie eine Haube über dem alten Hinzu kommt die Geisteswissenschaft, d. h. Fettfleck. Man kann sie jederzeit wieder ab- die Kunstgeschichte, die Ikonographie. Das nehmen. Man sieht nicht, dass es sich um Wort Restaurator beginnt mit der Silbe „re“, eine Rekonstruktion handelt. also „zurück“. Wir sind nicht die Produzie- renden, sondern folgen eine Stufe drunter. Wenn Fett altert, wird es bräunlich. Wann ist der Punkt gekommen, dass Sie sich „Einen Rembrandt kann jeder“, hat ein- entschließen, das Fett zu ersetzen? mal eine Kollegin von Ihnen gesagt. Wor- Das Fett in den Kästen wird noch bräunlicher in sehen Sie die spannenden Herausfor- und krümeliger. Es erinnert ja jetzt schon derungen dabei, zeitgenössische Kunst zu nicht mehr an die gelbe, glatte Fläche von restaurieren? einst. Aber ich würde es nie ersetzen wollen. Jedes Werk ist neu und auch jede Fragestel- Mit dem Tetraeder, der seine geometrische lung. Wenn man Gemälde aus dem 19. Jahr- Form verloren hatte, war das etwas anderes. hundert restauriert, ist ja auch jedes Werk Aber ein Fett, das in einer Zinnschachtel neu, aber die Referenzfälle sind ungleich hö- braun wird, ist immer noch Fett und riecht her. Man kann da viel besser recherchieren immer noch nach Fett. und sich auf erlernte Methoden stützen. Mit der Erweiterung des Materials in der Beuys hat sich ja oft mit Restaurator*innen zeitgenössischen Kunst hat man eine un- abgesprochen, etwa mit Günter Schott in glaublich große Palette an Materialien, von Darmstadt, um nach konstruktiven Lösun- denen weder die Künstler*innen noch die gen zu suchen, wenn eines seiner Werke Restaurator*innen wissen, wie sie altern sich unerwünscht veränderte. Salopp for- werden. Insofern ist das ein Experimentierla- muliert: Ist ihre Arbeit einfacher mit oder bor. Aber dennoch gibt es Regeln. ohne Einmischung des Künstlers? Würden Ich liebe es, mit Künstler*innen zusam- Sie sich manchmal wünschen, Beuys lebte menzuarbeiten, auch wenn das manchmal noch und spräche sich mit Ihnen ab? Und eine Herausforderung ist. Es ist immer einfa- stellen Sie sich manchmal die Frage, ob er cher, eine Entscheidung für sich im stillen mit Ihrer Arbeit zufrieden gewesen wäre? Zimmer zu treffen und sich nicht der Diskus- Leider konnte ich Beuys nicht persönlich ken- sion auszusetzen. nenlernen. Das bedauere ich wirklich sehr. Ich hätte gerne mal mit ihm gesprochen. Die Fra- Gibt es eine Arbeit, die Sie besonders ge, ob er mit meiner Arbeit zufrieden wäre, reizt? kann ich nicht beantworten. Beuys hat ge- Ja, die gibt es tatsächlich. Mir ist es bis heute æD as komplette Programm sagt, jeder Mensch sei ein Künstler. Das heißt schleierhaft, wie Beuys seine Gelose-Arbei- unter: https://beuys2021.de für mich, dass in uns eine Kreativität wohnt, ten gefertigt hat. Er hatte ein alchemistisches 46 3/2021
BEUYS 2021 2 Wissen: Er kannte sich mit Lebensmitteltech- tenlage unter den Fettfleck geschoben. Ich 2 nologie ebenso aus wie mit dem Bäckerhand- habe einen Steg unter jedes Partikel gesetzt Joseph Beuys, zeige deine Wunde, 1976, werk. Die Gelose könnte Agar Agar sein, es – so ein Art Fett-Rollator. Eine komplett re- Städtische Galerie im könnte sich aber auch um eine Gelatine han- versible Maßnahme, die in keinem Lehrbuch Lenbachhaus und deln, die Beuys als Gelose bezeichnete. Man steht. Diese kleinen Teile habe ich mit winzi- Kunstbau München darf seine Materialzuschreibungen nicht eins gen Kaltfischleim-Punkten befestigt. Ich zu eins nehmen. Eine Analyse des Doerner-In- weiß nicht, ob das in zehn Jahren noch hält. stituts hat ergeben, welches Infrarot-Spekt- Aber man fährt halt auf Sicht. Schließlich rum die Gelosen haben und wieviel Anteil an können wir ein Werk nicht einfach in die Polysacchariden und Proteinen es gibt. Wenn Schublade legen und darauf warten, dass ir- ich sie nachkoche, zerfallen sie sofort und fan- gendjemand eine Diplomarbeit zur Proble- gen nach einer Woche an zu schimmeln. matik schreibt. Beuys‘ Objekte sind 55 Jahre alt und heute noch in einem relativ elastischen Zustand. Welche Möglichkeiten gibt es heute für Vielleicht schickt er mir die Rezeptur mal tele- Restaurator*innen, die sich für Gegen- pathisch. Vielleicht komme ich ihm aber auch wartskunst interessieren? so noch auf die Schliche. Heute gibt es diverse Schwerpunktkurse „Moderne Materialien“ oder „Konservie- Wird Ihnen jemals langweilig? rung Gegenwartskunst“. Die Akademie Foto: Lenbachhaus, München / Ernst Jank / © VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Restaurieren ist echt anstrengend, es ist Stuttgart etwa bietet ein Modul zeitgenössi- auch eine Nervensache. Nicht immer finde scher Kunst an. Es gibt z. B. den Studien- ich direkt eine Lösung. Ich habe beispiels- gang „Konservierung, Restaurierung neuer weise mal einen kleinen Fettfleck behandelt, Medien und digitaler Informationen“. Bei den Beuys mit dem Daumen auf ein Bett- dem Studiengang Objektrestaurierung wie- tuch geschmiert hatte. Dieser Fettfleck hat derum kommt alles, was ein dreidimensio- sich stellenweise aufgelöst und die Haftung nales Objekt ist, auf den Tisch – ob alt oder zu dem Tuch verloren. Dabei sollte das Ob- jung. Die Kölner Fachhochschule legt mit jekt am folgenden Tag in der Ausstellung dem Studiengang „Gemälde/ Skulptur/ Mo- hängen. In der Vertikale wäre der Fleck zer- derne Kunst“ den Schwerpunkt auf Kunst- brochen und ihn zurück zu drücken war keine stoffe. An der Fachhochschule in Bern gibt Option, da er zu krümelig war. es ein Modul „Moderne Materialien und Dann kam mir die Idee: Ich habe millimeter- Medien und das Courtauld Institute Of Art lange winzige Zettel aus Japanpapier ge- bietet Postgraduate Diploma, um nur einige schnitten. Diese dünnen versteiften Stege Beispiele zu nennen. habe ich dann unter dem Mikroskop in Sei- Dr. Inge Pett 3/2021 47
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