Constantin Teetzmann Mit Missbrauchsrisiken begründete rechtliche Beschränkungen der Forschung in den Biowissenschaften
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Constantin Teetzmann Mit Missbrauchsrisiken begründete rechtliche Beschränkungen der Forschung in den Biowissenschaften Mit der Diskussion um Missbrauchsrisiken in den Bio- schung übergreift; und die Genehmigungspflichten wer- wissenschaften sind Forderungen nach der Beschrän- den sich in ihrer derzeitigen Ausformung als rechtlich kung der biowissenschaftlichen Forschung verbunden. nur teilweise tragbar erweisen. Zunächst fragt sich jedoch, inwieweit die Forschung bereits jetzt wegen dieser Risiken rechtlich eingeschränkt ist. I. Durchführung von Forschungsvorhaben Forscherin F ist in einem Hochsicherheitslabor tätig. Regeln zur Vorbeugung von Unfällen sind in ihrem La- Die Durchführung von Forschungsvorhaben unterliegt bor, wie für diese Sicherheitsstufe vorgesehen, Normali- keinen Beschränkungen wegen Missbrauchsrisiken. tät.1 Verschiedene Vorgaben sichern den Laborbetrieb Selbst dem Biowaffenverbot des Art. I Biowaffenkonven- dagegen ab, dass Erreger unbeabsichtigt nach außen tion3 ist dies nicht zu entnehmen. dringen. Doch wenn F an dem arbeitet, was andere als Nach Art. I Nr. 1 Biowaffenkonvention sind Herstel- „Killerviren“ bezeichnen, stellt sich noch ein anderes lung und Entwicklung von Agenzien und Toxinen, die Problem: Die hochansteckenden Erreger, an denen sie nicht zu friedlichen Zwecken gerechtfertigt sind, verbo- forscht, lassen sich womöglich absichtlich als biologi- ten. Dieses zwischenstaatliche Verbot gilt für Forscherin scher Kampfstoff einsetzen und ihre Forschungsergeb- F nicht unmittelbar, für sie gilt der wortgleiche Art. 2 nisse können vielleicht zur Entwicklung solcher Kampf- Abs. 1 des Gesetzes zum Biowaffenübereinkommen stoffe missbraucht werden. von 1983.4 Nun ist relevant, welchen Beschränkungen ihre For- Der Artikel hat eine zweistufige Struktur von Verbot schung wegen dieses Missbrauchsrisikos unterliegt. Vier und Rechtfertigung: Das Herstellen oder Entwickeln von Bereiche werden in diesem Beitrag auf solche Beschrän- Agenzien und Toxinen wird auf der ersten Stufe verbo- kungen untersucht, die das Problem des dual use bewäl- ten. Das Verbot gilt nicht, wenn die Herstellung und tigen und damit anders als die Regeln der Unfallvorbeu- Entwicklung zu friedlichen Zwecken gerechtfertigt ist. gung in Laboren, welche sogenannte biosafety bezwe- Das ist die zweite Stufe. cken, sogenannter biosecurity dienen sollen:2 Erstens die Dieser zweistufigen Struktur entspricht ein zweifa- Durchführung von Forschungsvorhaben, zweitens Pub- cher Forschungsbezug. Erstens stellt sich die Frage, likationen, drittens nicht öffentliche Kommunikation wann Forschung überhaupt als Entwicklung von Agen- und viertens internationale Forschungskooperationen. zien und Toxinen zu verstehen ist. Zweitens ist zu prü- Beschränkungen könnten sich für diese Bereiche ei- fen, wann dies zu friedlichen Zwecken geschieht. nerseits aus dem Biowaffenverbot der Biowaffenkonven- Die Konvention enthält kein ausdrückliches For- tion und andererseits aus Genehmigungspflichten des schungsverbot. Als Grund für den Verzicht gelten dro- Exportkontrollrechts ergeben. Es wird sich jedoch zei- hende Abgrenzungsprobleme zwischen defensiver und gen, dass das Biowaffenverbot nicht auf friedliche For- offensiver militärischer Forschung.5 Defensiv bezeichnet 1 Siehe für diesen Bereich: Teetzmann, Rechtsfragen der Sicherheit Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt sind…nie- in der biologischen Forschung, 2014, FIP 4/2014, S. 19 ff. mals und unter keinen Umständen zu entwickeln, herzustellen, zu 2 Zu den Begriffen biosafety, biosecurity, dual use siehe ebd., S. 2 lagern oder in anderer Weise zu erwerben oder zu behalten.“ f. und in diesem Heft die Ausführungen in den Aufsätzen von 4 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 10.4.1972 über das Verbot Jeremias, Reydon, Trute und Vöneky. der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer 3 Art. I Biowaffenkonvention: Übereinkommen vom 10. April 1972 (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Ver- über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung nichtung solcher Waffen, 25.2.1983, BGBl. 1983 II 132. bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen 5 Kischlat, Das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, sowie über die Vernichtung solcher Waffen, 10.4.1972, in Kraft seit Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen 26.3.1975, BGBl. 1983 II 132; 1015 UNTS 163: „Jeder Vertragsstaat und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen, dieses Übereinkommens verpflichtet sich, 1976, S. 153 f.; Goldblat, The Biological Weapons Convention, 1. mikrobiologische oder andere biologische Agenzien oder Int‘l Rev. Red Cross 1997, S. 251; Roffey, Biological weapons and - ungeachtet ihres Ursprungs oder ihrer Herstellungsmethode - potential indicators of offensive biological weapon activities, SIPRI Toxine, von Arten und in Mengen, die nicht durch Vorbeugungs-, Yearbook 2004, S. 557 (559). Ordnung der Wissenschaft 2015, ISSN 2197-9197
90 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 1 5 ) , 8 9 – 9 8 den militärischen Schutz vor Biowaffeneinsätzen durch hingenommen wurden, müssen erst recht im normaler- technische Einrichtungen, Impfstoffe oder ähnliches. weise nicht von Geheimhaltung geprägten Bereich zivi- Offensiv ist, was zur Schädigung von Menschen, Tieren ler Forschung Missbrauchsrisiken akzeptiert werden. oder der Umwelt genutzt wird oder genutzt werden Auch wenn sich ein friedlicher Zweck benennen kann.6 Defensive Forschung war gewollt, offensive lässt, wäre denkbar, für eine Rechtfertigung zu fordern, nicht.7 dass die Forschung für den genannten Zweck geeignet Da offensive Forschung verhindert werden soll, ist und erforderlich ist. Vor dem Ziel der Konvention, der Art. I Biowaffenkonvention so zu verstehen, dass offensi- Verhinderung offensiven Biowaffenpotentials, kann man ve Forschung verboten ist. Dem steht auch die Wortwahl Forschung in Frage stellen, die offensives Potential „Entwicklung“ nicht entgegen.8 Zwischen Entwicklung schafft, obwohl die Forschung für den vorgegebenen und Forschung besteht keine strenge Trennung, viel- Zweck keinen Nutzen erwarten lässt oder obwohl für die mehr wird in anderen Rechtsinstrumenten Forschung Forschungsziele alternative und gleichermaßen geeigne- sogar explizit als Teil der Entwicklung genannt.9 Inhalt te Wege vorhanden sind. der Forschung muss jedoch dem Wortlaut nach sein, Diese Bedenken lassen sich zwar mit den Zielen der dass Agenzien oder Toxine entwickelt werden. Als Ent- Biowaffenkonvention begründen, eine rechtliche Beschrän- wicklung sollte daher alle Forschung zu verstehen sein, kung ergibt sich aber nicht. Art. I Biowaffenkonvention die offensives Potential von Agenzien oder Toxinen er- fragt nicht, ob die Forschung sinnvoll ist. Art. X Abs. 2 Bio- möglicht, indem über die Agenzien oder Toxine Er- waffenkonvention12 verbietet sogar eine Durchführung der kenntnisse gewonnen werden, die einem Waffeneinsatz Konvention, die friedliche Forschung – ohne Differenzie- dienlich wären, weil zum Beispiel der Schädigungsgrad rung danach, ob sinnvoll oder nicht – behindern würde. des Erregers oder die Stabilität gegen Umwelteinflüsse Diese Vorgabe des Art. X Abs. 2 ist auch bei der Auslegung erhöht werden.10 des Verbots des Art. I zu beachten. Auf der ersten Stufe gilt also: Jede Forschung mit Forschung zu friedlichen Zwecken, die Erkenntnisse Agenzien, die offensives Potential hat, unterliegt zu- über das offensive Potential von Agenzien erzeugt, ge- nächst Art. I Biowaffenkonvention. Auf der zweiten Stu- schieht mithin in vollem Einklang mit Art. I Abs. 1 Bio- fe fragt sich, ob diese Forschung zu friedlichen Zwecken waffenkonvention.13 Das Biowaffenverbot des Art. I Bio- gerechtfertigt ist. waffenkonvention ist für Missbrauchsrisiken blind. Friedliche Zwecke sind nicht definiert. Forschung Wenn Forscherin F also Forschung durchführt, wel- wird in der Staatenpraxis pauschal den friedlichen Zwe- che trotz gleichwertiger Alternativen Erkenntnisse cken zugeordnet.11 Das gilt auch, wenn trotz des Verfol- schafft, die zur Schädigung von Mensch, Tier oder Um- gens friedlicher Zwecke Forschung offensives Potential welt missbraucht werden können, kann man dies vor hat. Das Missbrauchsrisiko ist hier irrelevant. Wenn auf dem Hintergrund der Ziele der Biowaffenkonvention eine Forschungsregelung verzichtet wurde, weil zwi- kritisieren. An der Durchführung friedlicher Forschung schen offensiver und defensiver militärischer Forschung hindert sie die Konvention jedoch trotz Missbrauchsrisi- Abgrenzungen schwer fallen, und damit im verborgenen ken nicht. Bereich militärischer Forschung Missbrauchsrisiken 6 Miller/Selgelid, Ethical and Philosophical Consideration of the „Vorrichtungen, Teile, Geräte, Einrichtungen, Substanzen und Dual-Use Dilemma in the Biological Sciences, 2008, S. 11. Organismen, die zivilen Zwecken oder der wissenschaftlichen, 7 Kischlat (Fn. 5), S. 153 f.; United Kingdom, Working paper on medizinischen oder industriellen Forschung auf den Gebieten microbiological warfare, UN Doc. ENDC/231, in: United Nations der reinen und angewandten Wissenschaft dienen“; „bona fide Disarmament Commission, Official Records, 1969, S. 43 (Rn. 7). research“, § 175.3 US Code Title 18: Biological Weapons Anti- 8 So aber Kischlat (Fn. 5), S. 152–155. Terrorism Act of 1989 (US Congress); „research“, Art. 6 Abs. 1 lit. 9 Begriffsbestimmungen in Anhang I EG-Dual-Use-Verordnung: a Tschechisches Biowaffengesetz: Act 281/2002 Coll. of 30 May Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5.5.2009 über 2002 on Some Measures Related to a Ban on Bacteriological (Bio- eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der logical) and Toxin Weapons and on Amendments to the Trades Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern Licensing Act (Tschechische Republik), 30.5.2002. mit doppeltem Verwendungszweck, Abl. L 134/1. 12 Zu Art. X Biowaffenkonvention siehe Fn. 35. 10 Vgl. die Indikatoren offensiver Forschung in Leitenberg, Assessing 13 Dies wird auch durch Staatenpraxis (vgl. Leitenberg, Assessing the biological weapons and bioterrorism threat, 2005, S. 72 f; the biological weapons and bioterrorism threat, 2005, S. 69 f.; van BTWC Meeting of the States Parties, Report, 19.12.2012, UN Aken, Aufrüstung im Reagenzglas, W & F 19 (2001) Nr. 4, S. 59) Doc. BWC/MSP/2012/5, Annex I Rn. 9. und travaux preparatoires (vgl. Kischlat (Fn. 5), S. 142) unter- 11 Teil A Kriegswaffenliste (Anhang zu § 1 Abs. 1 KrWaffKontrG): stützt, a.A. Leitenberg (Fn. 10), S. 80.
Teetzmann · Beschränkungen der Forschung in den Biowissenschaften 91 II. Publikationen die bloße Beobachtungen wiedergeben – man denke an die Sequenzen natürlicher Viren – sind daher keine tech- Während Publikationen im Inland keinen Beschränkun- nischen Unterlagen. Publikationen jedoch, die Informa- gen unterliegen, sieht es anders aus, wenn von der Euro- tionen zur Entwicklung und Herstellung gelisteter Agen- päischen Union aus jenseits der Grenzen des Unionsge- zien enthalten, sind technische Unterlagen. Diese Infor- biets veröffentlicht wird. Das hat sich auch schon in der mationen müssen nicht unbedingt das Forschungser- Praxis gezeigt: Von den Behörden der Niederlande wur- gebnis sein, sie können auch in der Beschreibung der de 2012 eine Publikation zur Übertragbarkeit des Methode enthalten sein. A/H5N1-Virus in der amerikanischen Zeitschrift Science einer Genehmigungspflicht unterworfen.14 Grundlage a) Ausnahme allgemein zugänglicher Informationen war die Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Nicht genehmigungspflichtig sind Publikationen, wenn Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kon- die relevanten Informationen allgemein zugänglich sind. trolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung Nach ihrem Wortlaut greift die Ausnahme für allgemein und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwen- zugängliche Informationen erst, wenn der Inhalt der dungszweck (EG-Dual-Use-Verordnung). Die Verord- Publikation schon allgemein zugänglich ist.17 F unterlä- nung beschränkt die Ausfuhr ziviler Güter, die militä- ge weiter der Genehmigungspflicht, wenn sie einen Auf- risch verwendet werden können. Sie enthält die Publika- satz bei einer Zeitschrift im Ausland einreichen will oder tionsbeschränkung für missbrauchsgefährdete auf einem ausländischen Server veröffentlicht. Gegen die Forschung auf EU-Ebene. Es besteht aber auch eine Genehmigungspflicht sprechen jedoch drei Punkte: Ein Genehmigungspflicht nach deutschem Recht. Im Ergeb- Vergleich mit der freien Ausfuhr von Informationen für nis wird sich die europäische Regelung angesichts der Patentanmeldungen, ein Blick in den Herkunftsstaat der Wissenschaftsfreiheit nicht, die deutsche nur bei enger Kontrolle technischer Unterlagen, die USA, und vor Auslegung aufrechterhalten lassen. allem die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 13 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGRCh). 1. EG-Dual-Use-Verordnung Die Ausfuhr von Technologien zur Entwicklung und aa) Ungleichbehandlung gegenüber Patentanmeldungen Herstellung einer Vielzahl von Agenzien nach Ländern Die Ausfuhr technischer Unterlagen, soweit sie für die außerhalb der Europäischen Union ist nach Art. 3 Abs. 1 Patentanmeldung erforderliche Informationen enthal- i.V.m. Anhang I Nr. 1E001, 1C351-1C354 EG-Dual-Use- ten, ist nach der Dual-Use-Verordnung nicht genehmi- Verordnung genehmigungspflichtig. Ausgenommen gungspflichtig. Damit stellt sich das Problem, ob die sind jedoch nach den Allgemeinen Technologie-Anmer- unterschiedliche Behandlung von Patentanmeldungen kungen der Verordnung Technologien, die allgemein und Publikationen mit dem Gleichheitsgrundsatz des zugänglich sind, und die Grundlagenforschung. Zudem Art. 20 EUGRCh vereinbar ist. Diese Informationen gibt es eine allgemeine Ausfuhrgenehmigung in Anhang werden nach Ausfuhr erst im Ausland geprüft und bei IIa EG-Dual-Use-Verordnung, nach der Technologien Erteilung des Patents veröffentlicht. Auch bei Publikatio- grundsätzlich in bestimmte Länder frei ausgeführt wer- nen in ausländischen Medien wird in der Regel erst den dürfen.15 geprüft und dann veröffentlicht. Der Umgang mit Infor- Technologie kann nach den Begriffsbestimmungen mationen für die Patentanmeldung ist also der Publika- im Anhang I der EG-Dual-Use-Verordnung in techni- tion im Ausland im Wesentlichen vergleichbar. Es ist schen Unterlagen verkörpert sein. Als Unterlagen wer- nicht ersichtlich, dass der Unterschied von Publikatio- den Blaupausen, Pläne und ähnliches erfasst, aber auch nen in ausländischen Zeitschriften und von Patentan- Beschreibungen und Anweisungen in Schriftform.16 Ih- meldungen für die Vorbeugung der Verbreitung der nen ist gemein, dass sie dem Nachbau des von ihnen Be- genehmigungspflichtigen Technologien von solcher schriebenen dienen. Wissenschaftliche Publikationen, Bedeutung wäre, dass die unterschiedliche Behandlung 14 Rechtbank Noord-Holland, Goederen voor tweeërlei gebruik, und Risiken beim Wissenstransfer - Teil II. Unterrichtungs- und Urteil, 20.9.2013 – Az. AWB 13/792. Genehmigungspflichten, 2004, S. 8; Berndt, Die Ausfuhrkontrolle 15 Australien, Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweiz von Know-how, 2008, S. 87; Wolffgang/Simonsen, Know-how- (einschließlich Liechtenstein), Vereinigte Staaten von Amerika. Transfer in Wirtschaft und Wissenschaft, in: Ehlers/Hahn/Lech- 16 Begriffsbestimmungen in Anhang I EG-Dual-Use-Verordnung. leitner/Wolffgang, Risikomanagement im Exportkontrollrecht, 17 Das gilt vor allem für die englische Formulierung der Ausnahme 2004, S. 107 (111). „has been made available“. BAFA, Merkblatt über Verantwortung
92 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 1 5 ) , 8 9 – 9 8 sich rechtfertigen ließe. Der Gleichheitsgrundsatz gebie- Vorabbeschränkungen, eingegangen. Für die Grund- tet daher, dass entweder auf die Ausnahme für Patentan- rechtecharta ist nach Art. 52 Abs. 3, 53 EUGRCh die Eu- meldungen verzichtet oder auch die Publikation im Aus- ropäische Menschenrechtskonvention Mindeststandard. land von der Genehmigungspflicht ausgenommen wird. In der für die Interpretation der Konvention wesentli- chen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für bb) Rechtslage in den USA Menschenrechte (EGMR)22 finden sich besondere An- Herkunftsland der Exportkontrolle für Technologien forderungen, damit Vorabbeschränkungen rechtmäßig sind die Vereinigten Staaten. Dort wurden Konflikte sind. Vorabbeschränkungen sind alle Beschränkungen zwischen Sicherheitsbehörden und Forschungsgemein- von Meinungsäußerungen vor deren Veröffentlichung schaft mit dem Ergebnis ausgetragen, dass die Ausnah- und Verbreitung. Dazu gehören auch Genehmigungs- me für allgemein zugängliche Informationen entwickelt pflichten für Publikationen. wurde.18 Die Technologiekontrolle wurde dann in das Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Vorabbe- Wassenaar Arrangement, bzw. dessen Vorläufer, die Lis- schränkungen ist insbesondere eine gesetzliche Rege- te des Coordinating Committee for Multilateral Export lung erforderlich, die eine strikteKontrolle über den Controls, aufgenommen. Den Inhalt dieser nicht rechts- Umfang der Beschränkungen erlaubt und eine effektive verbindlichen Vereinbarung hat die EU in der EG-Dual- richterliche Überprüfung zur Verhinderung eines Miss- Use-Verordnung übernommen. Auf dem Weg in die EG- brauchs der Genehmigungsbefugnis gewährleistet.23 Mit Dual-Use-Verordnung hat die Ausnahme für allgemein anderen Worten: Der Richter braucht ein Gesetzespro- zugängliche Informationen im Vergleich zu den US- gramm, anhand dessen er entscheiden kann, ob die Ge- Regelungen einen wesentlichen Teil verloren: In den nehmigungsentscheidung richtig oder falsch war. Für USA gilt die Ausnahme auch für „[Technologien,] die die Genehmigung der Ausfuhr von Publikationen ist allgemein zugänglich gemacht werden sollen“.19 Von den Art. 12 Abs. 1 Dual-Use-Verordnung Gesetzesprogramm. Export Administration Regulations ist zu jeder Zeit alle Er gibt vor, dass bei der Entscheidung über eine Geneh- Forschung nicht erfasst, bei der Forscher die Freiheit migung „alle sachdienlichen Erwägungen“ zu beachten haben, wissenschaftliche Informationen ohne andere seien. Darauf folgt eine Liste besonders beachtenswerter Beschränkungen oder Zeitverzögerungen zu publizie- Punkte, die aber auch nicht viel bestimmter ist. Damit ren.20 Eine eigenständige Exportkontrolle von Publikati- räumt die Vorschrift den Behörden praktisch unbe- onen findet praktisch nicht statt. grenztes Ermessen ein. Das entspricht nicht dem Kriteri- um der strikten Kontrolle des Gerichtshofs für Men- cc) Prior Restraint und Wissenschaftsfreiheit schenrechte. Damit verstößt die Genehmigungspflicht Der Blick in die USA hat auch Bedeutung für den dritten für Publikationen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung ge- Punkt, die Bewertung der Genehmigungspflicht anhand gen die Wissenschaftsfreiheit der Grundrechtecharta. der Wissenschaftsfreiheit. In den USA haben Gerichte schon Exportkontrollen für Technologien wegen nicht b) Ausnahme der Grundlagenforschung hinreichend geregelter prior restraints (Vorabbeschrän- Neben allgemein zugänglichen Informationen sind auch kungen) des first amendments (der Meinungsfreiheit) Publikationen der Grundlagenforschung von der Aus- der US-Verfassung, als verfassungswidrig eingestuft.21 In fuhrkontrolle befreit. Das soeben gefundene Ergebnis, der EU besteht dieses Problem ebenfalls. die Genehmigungspflicht für Publikationen verstoße Für wissenschaftliche Äußerungen gilt in der Euro- gegen Art. 13 EUGRCh, müsste revidiert werden, wenn päischen Union Art. 13 EUGRCh, die Freiheit der Wis- schon mit dieser Ausnahme der Wissenschaftsfreiheit senschaft. Ohne eine ausführliche grundrechtliche Be- genügt würde.24 wertung sei hier auf den Aspekt der prior restraints, der 18 Siehe dazu Fogleman/Viator, The Critical Technologies Approach, 22 Der EGMR ist nach Art. 19, 55 EMRK für zwischenstaatliche BYU J. Pub. L. 4 (1990), S. 293; Gerjuoy, Controls on Scientific Streitbeilegungen über die EMRK ausschließlich zuständig. Auch Information Exports, Yale L. & Pol‘y Rev. 3 (1984-1985), S. 447. in der Grundrechtecharta wird die Bedeutung der Rechtspre- 19 § 734.3 (b) (3) (i) EAR: Code of Federal Regulations Title 15, Part chung des EGMR deutlich: Im fünften Absatz der Präambel wird 134 - Export Administration Regulations (United States), Stand die Rechtsprechung als eine Quelle der in der Charta kodifizier- 8.4.2014: “Publicly available technology and software…that: ten Rechte benannt. (i) Are already published or will be published as described in 23 EGMR, Ekin/Frankreich, Urteil, 17.7.2001 – Az. 39288/98 §734.7 of this part”. (Rn. 58); EGMR, Observer und Guardian/Vereinigtes Königreich, 20 § 734.8 EAR. Urteil, 26.11.1991 – Az. 13585/88 (Rn. 60). 21 United States Court of Appeals, Ninth Circuit, Bernstein v. Uni- 24 So die Behauptung in BAFA, Technologietransfer und Non-Proli- ted States Department of Justice, Decision (withdrawn), 6.5.1999 feration, 2011, S. 9. – Az. 97-16686, F.3d 176 (1999), 1132.
Teetzmann · Beschränkungen der Forschung in den Biowissenschaften 93 Grundlagenforschung ist nach der Dual-Use-Verord- Belastung für die wissenschaftliche Kommunikation ist nung nur gegeben bei „experimentellen oder theoreti- hoch und die zu erwartenden Zahl missbräuchlicher schen Arbeiten hauptsächlich zur Erlangung von neuen Ausfuhren, die durch eine Genehmigungspflicht sich ef- Erkenntnissen über grundlegende Prinzipien von Phä- fektiv aufhalten lassen, dürfte gering sein, wenn das Ge- nomenen oder Tatsachen, die nicht in erster Linie auf ein nehmigungsverfahren nur inhaltsneutral durchgeführt spezifisches praktisches Ziel oder einen spezifischen wird. Damit entstehen Zweifel an der Verhältnismäßig- praktischen Zweck gerichtet sind“. Es muss das Erkennt- keit der Genehmigungspflichten. nisinteresse auf grundlegende Prinzipien, also auf Lediglich dem Kriterium strikter Kontrollierbarkeit hinter einzelnen Phänomenen stehende Gesetzmäßig- des EGMR genügt die deutsche Regelung ohne weiteres: keiten, gerichtet sein und die Forschung darf nicht in Nach § 8 Abs. 1 AWG ist eine Genehmigung „zu erteilen, erster Linie für eine Verwendung außerhalb der Wis- wenn zu erwarten ist, dass die Ausfuhr den Zweck der senschaft geschehen. Genehmigungspflicht nicht oder nur unwesentlich ge- Die Ausnahme für Grundlagenforschung allein ist je- fährdet.“ Die erheblichen Rechtsbegriffe sind voll justizi- doch für die Wissenschaftsfreiheit nicht ausreichend. abel, Ermessensspielraum wird keiner eingeräumt. Die Wissenschaftsfreiheit schützt auch angewandte For- Problem dieser Genehmigungskriterien dürfte je- schung. Ihr kann man ohne Änderung der Genehmi- doch erneut die Wissenschaftsfreiheit des Grundgeset- gungsvorschriften nur genügen, wenn man die Ausnah- zes sein: Die Gefährlichkeit der Ausfuhr der Publikation me für allgemein zugängliche Informationen auch auf wird vermutet. Damit wird die Publikationsfreiheit in noch zu publizierende Informationen ausweitet. Es ihr Gegenteil verkehrt. Einen für gerechtfertigte Eingrif- spricht also auch die Wissenschaftsfreiheit für eine sol- fe in die Wissenschaftsfreiheit erforderlichen Ausgleich che Ausweitung. der betroffenen Verfassungsgüter würde dies nur bein- halten, wenn die Vermutung auch der typischen Gefähr- 2. Außenwirtschaftsverordnung lichkeit der Informationen entspricht. Angesichts des Neben der Exportbeschränkung aus der EG-Dual-Use- weiten Umfangs der betroffenen Agenzien (die Kontrol- Verordnung besteht auch eine Beschränkung der Aus- le ist nicht auf bestimmte Arten von Erregern be- fuhr von technischen Unterlagen, die unverzichtbar für schränkt) ist eine typische Gefährlichkeit dieser Infor- die Entwicklung und Herstellung oder Verwendung von mationen fragwürdig. Agenzien für den Kriegsgebrauch sind, in Länder außer- Den Zweifeln an der Verhältnismäßigkeit der Aus- halb der Europäischen Union. Sie ergibt sich aus § 8 Abs. fuhrkontrolle nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 AWV kann nur begeg- 1 Nr. 1 AWV i.V.m. Nr. 0022b3, 0007a-0007g Ausfuhrlis- net werden, wenn der Umfang der Genehmigungspflich- te. Auch hier sind allgemein zugängliche Informationen, ten hinreichend eng ist. Die Genehmigungspflichten be- wissenschaftliche Grundlagenforschung und Patentan- treffen Technologien, die für die Herstellung von Agen- meldungen ausgenommen. Es gilt das zu der EU-Rege- zien „für den Kriegsgebrauch“ „unverzichtbar“ sind. Das lung Gesagte. bedeutet, dass die Technologie „besonders dafür verant- Die Genehmigungspflicht kollidiert mit dem auch wortlich“ sein muss, dass die „Leistungsmerkmale und für wissenschaftliche Publikationen geltenden25 Zensur- Charakteristiken“ zur Steigerung der Wirksamkeit bei verbot des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG. Die Genehmigungs- der „Schädigung von Mensch, Tier, Umwelt oder Mate- pflicht kann vor dem Zensurverbot nur bestehen, wenn rial“ „erreicht oder überschritten“ werden.28 Es kommt sie nicht als systematische Inhaltskontrolle freier Kom- also nicht darauf an, dass die Technologie für den Kriegs- munikation durchgeführt wird.26 Sie darf nur den Akt gebrauch bestimmt oder zumindest alternativlos ist. In der Ausfuhr, nicht jedoch die Inhalte der Publikation be- einem weiten Verständnis der Definition würde jede zi- treffen. Es könnte daher die Genehmigungspflicht da- vile Technologie erfasst, die dazu genutzt werden kann, durch verfassungskonform ausgelegt werden, dass sie le- den Schädigungsgrad von Agenzien zu erhöhen. Ver- diglich die Prüfung gebietet, ob jenseits der Kommuni- kleinern lässt sich die Menge erfasster Technologien, kation rechtswidrige Zwecke verfolgt werden.27 Auch ei- wenn das Definitionsmerkmal „besonders dafür verant- ner solchen Auslegung könnte jedoch die im Grundgesetz wortlich“ so verstanden wird, dass nur Technologie zur vorbehaltlose Wissenschaftsfreiheit entgegenstehen: Die Erhöhung des Schädigungsgrades erfasst wird, für die 25 Zum Verhältnis von Art. 5 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG: 26 Vgl. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Fehling, in: Bonner Kommentar, Art. 5 Abs. 3 (Wissenschaftsfrei- Rn. 174. heit), Rn. 268 mwN; Trute, „...that nature is the ultimate bioterro- 27 Teetzmann (Fn. 1), S. 15. rist“ in diesem Heft, Abschnitt V. 2. S. 113; 28 Siehe „unverzichtbar“ und „für den Kriegsgebrauch“ in den Be- a.A. Deutscher Ethikrat, Biosicherheit, 2014, S. 91. griffsbestimmungen zu Teil I Ausfuhrliste (Anlage 1 zur AWV).
94 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 1 5 ) , 8 9 – 9 8 auch die technischen Bedingungen vorhanden sind, um 1. Ausfuhrkontrollen sie unmittelbar für den Kriegsgebrauch zu benutzen. Dann besteht auch zwischen Technologie und zu schüt- Damit ist auch Kommunikation, die nicht auf Veröffent- zendem Gut ein derart enges Verhältnis, dass von einer lichung ausgerichtet ist, nach Art. 3 Abs. 1 EG-Dual-Use- typischen Gefährlichkeit der Informationen ausgegan- Verordnung und § 8 Abs. 1 Nr. 1 AWV genehmigungs- gen werden kann, und dann dürfte die Zahl der Kontrol- pflichtig. Diese Beschränkungen kann man wegen der len so gering sein, dass die Genehmigungspflicht sich schon zuvor zu den Publikationen diskutierten Punkten noch als verhältnismäßig einstufen lässt. anzweifeln. In Bezug auf Zensurverbot und EGMR- Forscherin F muss sich ihre Ausfuhr also auch nach Rechtsprechung zu Vorabbeschränkungen macht es § 8 Abs. 1 Nr. 1 AWV genehmigen lassen. Diese Geneh- jedoch einen wesentlichen Unterschied, dass es sich migungspflicht ist nur bei restriktiver Auslegung mit der nicht um öffentliche Kommunikation handelt. Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG zu vereinba- Soweit nach Art. 3 Abs. 1 EG-Dual-Use-Verordnung ren. Sie kollidiert mit dem Zensurverbot und muss auf nicht öffentliche Kommunikation genehmigungspflich- Technologien beschränkt werden, die unmittelbar für tig ist, ist die Rechtsprechung des EGMR für Vorabbe- den Kriegsgebrauch eingesetzt werden können. schränkungen nicht übertragbar. Öffentliche Kommuni- kation spielt in der Judikatur des EGMR eine Sonderrol- 3. Zwischenergebnis: Vorhandene, aber teilweise rechts- le29 und die Argumentation des Gerichtshofs, der die widrige Ausfuhrbeschränkungen Sonderbehandlung von Vorabbeschränkungen mit dem Führt also Forscherin F Informationen zur Herstellung öffentlichen Wettbewerb der Ideen begründet,30 lässt von Agenzien aus, indem sie im Ausland publiziert, sich kaum auf nicht öffentliche Kommunikation über- muss sie sich dies grundsätzlich genehmigen lassen. Das tragen. gilt nicht, wenn sie oder andere die Informationen schon Das gleiche Problem wirft die Genehmigungspflicht veröffentlicht haben oder sie Grundlagenforschung für nicht öffentliche Kommunikation nach § 8 Abs. 1 betreibt. Aber auch sonst, wenn F im Ausland publiziert, AWV in Bezug auf das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 S. sprechen einige Argumente gegen eine Genehmigungs- 3 GG auf. Hier ist jedoch die Genese der Vorschrift ein- pflicht. Solche Argumente ergeben sich aus dem Ver- deutig: Bis zur redaktionellen Bearbeitung am Ende der gleich mit der Patentausnahme sowie aus dem Blick auf Beratungen des parlamentarischen Rates bezog sich das die Regelungssituation in den USA. Vor allem führen die Zensurverbot allein auf Presse, Theater, Rundfunk und grundrechtlichen Vorgabe einer strikten Kontrollierbar- Vorträge.31 Individualkommunikation sollte vom Zen- keit von Vorabbeschränkungen bzw. das Zensurverbot surverbot nicht erfasst werden.32 Daher steht die nicht zu Zweifeln an den Genehmigungspflichten. Die deut- öffentliche Kommunikation auch nicht unter dem Schutz schen Regeln müssen daher eng ausgelegt werden und des Zensurverbots aus Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG. die Genehmigungspflicht aus der EG-Dual-Use-Verord- Auch hier bestehen allerdings Zweifel an der Verhält- nung ist deswegen rechtswidrig. nismäßigkeit der Genehmigungspflichten. Zwar wird die Kontrolle, die nicht durch Inhaltsneutralität begrenzt ist, III. Nicht öffentliche Kommunikation wesentlich effektiver sein als die Ausfuhrkontrolle von Publikationen, aber die Zahl der erfassten unbedenkli- Die Ausfuhrbeschränkungen, die für Publikationen gel- chen Kommunikationsvorgänge dürfte noch mal we- ten, erfassen jeweils auch die nicht öffentliche Kommu- sentlich höher sein. nikation durch Ausfuhr technischer Unterlagen oder Bei der Bewertung der Genehmigungspflicht des Art. andere technische Unterstützung. Für technische Unter- 3 Abs. 1 EG-Dual-Use-Verordnung für nicht öffentliche stützung sehen zudem §§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 Nr. 1, Kommunikation gilt zunächst, dass die Wissenschafts- Abs. 2 AWV Genehmigungspflichten vor. freiheit des Art. 13 EUGRCh nach Art. 52 Abs. 1 EU- 29 Z.B. EGMR, Thorgeier Thorgeierson/Island, Urteil, 25.6.1992 31 Doemming (Hrsg.), Entstehungsgeschichte der Artikel des – Az. 13778/88 (Rn. 63); EGMR, Castells/Spanien, Urteil, Grundgesetzes, 1951, S. 85. 23.04.1992 – Az. 11798/85 (Rn. 43); EGMR, Riolo/Italien, Urteil, 32 Jestaedt, Meinungsfreiheit, in: Merten/Papier, Handbuch der 17.07.2008 – Az. 42211/07 (Rn. 63). Grundrechte in Deutschland und Europa, 2011, S. 875 (Rn. 94). 30 EGMR, Ekin/Frankreich, Urteil, 17.7.2001 – Az. 39288/98 (Rn. 56); EGMR, Observer und Guardian/Vereinigtes Königreich, Urteil, 26.11.1991 – Az. 13585/88 (Rn. 60).
Teetzmann · Beschränkungen der Forschung in den Biowissenschaften 95 GRCh unter einfachem Gesetzesvorbehalt steht und die kationsempfänger es für die Verwendungszusammen- Verhältnismäßigkeit im Unionsrecht weniger streng als hänge nutzen kann. Jede Kommunikation von Wissen- im deutschen Recht zu prüfen ist.33 Dennoch dürfen die schaftlern, die nutzbare Informationen zur Entwicklung Belastungen für die Wissenschaftsfreiheit nicht zu dem oder Herstellung von Agenzien enthält, ist also techni- von dem Genehmigungspflichten zu erwartenden Ge- sche Unterstützung. winn an Sicherheit außer Verhältnis stehen. Die Menge Hier findet über den Zusammenhang mit bestimm- der erfassten Kommunikationsvorgänge muss daher ten Verwendungen eine punktuelle Anknüpfung an eine kompensiert werden, indem in der Genehmigungspraxis konkrete Gefahrensituation statt. Das bedeutet im Ver- Belastungen für die Wissenschaft vermieden werden. gleich zu allgemeinen Technologiekontrollen eine erheb- Genehmigungsverfahren müssen schnell und unkom- lich geringere Belastung für die Forschenden. Zudem pliziert durchgeführt werden und Wissenschaftlern wird die Genehmigungspflicht nur bei Unterrichtung müssen, soweit möglich, Globalgenehmigungen, das durch das BAFA ausgelöst. Beachtet man, dass Umfang heißt Genehmigungen die eine Gruppe mehrerer Kom- und Zahl der Unterrichtungen durch das BAFA gesteu- munikationsvorgänge, z.B. einen Forschungsverbund, ert und damit auf einem angemessenen Maß gehalten zusammenfassen, erteilt werden. werden können, ist eine Verhältnismäßigkeit der Geneh- Auch bei der deutschen Regelung lässt sich die migungspflicht gewährleistet. Verhältnismäßigkeit der Genehmigungspflichten be- Damit ist die nicht öffentliche Kommunikation in zweifeln. Ein hinreichender Ausgleich lässt sich er- Form technischer Unterstützung nach Unterrichtung neut nur gewährleisten, wenn „unerlässlich für den durch das BAFA in den Fällen der §§ 49 Abs. 1, 51 Abs. 1, Kriegsgebrauch“ wie schon bei Publikationen eng aus- 2 AWV genehmigungspflichtig. gelegt wird, Genehmigungsverfahren schnell und un- kompliziert sind und die Masse einzelner Kommuni- 3. Zwischenergebnis: Restriktiv zu handhabende kationsvorgänge mit Sammelgenehmigungen nach Beschränkungen der Kommunikation mit dem Ausland § 4 WV (das deutsche Pendant zur Globalgenehmi- F muss bei jeder nicht öffentlichen Kommunikation mit gung) aufgefangen wird. dem Ausland betreffend der Herstellung und Entwick- lung gelisteter Agenzien sich diese genehmigen lassen. 2. Genehmigung sonstiger technischer Unterstützung Die Verhältnismäßigkeit der Genehmigungspflichten ist nach Unterrichtung zwar fragwürdig, kann aber durch enge Auslegung und Die Genehmigungspflichten nicht öffentlicher Kommu- durch eine angemessene Durchführung der Genehmi- nikation gehen noch weiter. § 49 Abs. 1 Nr. 1 AWV unter- gungsverfahren noch gewährleistet werden. F muss sich wirft die Erbringung technologischer Unterstützung auch Kommunikation in Drittländern oder mit Auslän- durch Deutsche oder Inländer in Nicht-EU-Ländern dern genehmigen lassen, bei der sie durch das BAFA einer Genehmigungspflicht, wenn der Inländer durch unterrichtet wurde, dass diese im Zusammenhang mit das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle der Verwendung für biologische Waffen oder mit einer (BAFA) darüber unterrichtet wurde, dass die Unterstüt- militärischen Endverwendung in Embargoländern steht. zung zur Verwendung im Zusammenhang mit biologi- Zumindest dabei ist von einer Verhältnismäßigkeit der schen Waffen bestimmt ist. Die technische Unterstüt- Vorschriften auszugehen. zung im Inland gegenüber einem Ausländer ist nach § 51 Abs. 1, 2 AWV genehmigungspflichtig, wenn der Inlän- IV. Internationale Kooperation der durch das BAFA über die Bestimmung zur Verwen- dung im Zusammenhang mit biologischen Waffen oder Kommunikationsbeschränkungen belasten internatio- über den Zusammenhang mit einer militärischen End- nale Forschungskooperationen. Die Biowaffenkonventi- verwendung in Ländern, gegen die ein Embargo ver- on kann mangels unmittelbarer Wirkung für Forscherin hängt wurde,34 unterrichtet worden ist. F in der Frage, wie internationale Forschungskooperati- Das Außenwirtschaftsrecht kennt als Beispiele tech- onen im Angesicht des Missbrauchsrisikos zu bewerten nischer Unterstützung Unterweisungen, die Vermittlung sind, eigentlich außen vor bleiben. Dennoch ist Deutsch- von Fertigkeiten, Schulung, Beratungsdienste und die land an die Konvention gebunden und auch die EG- Weitergabe technischer Unterlagen. Wesentlich ist nur, Dual-Use-Verordnung verweist in Erwägungsgrund 3 dass Wissen so kommuniziert wird, dass der Kommuni- auf die internationalen Verpflichtungen der Mitglied- 33 Teetzmann (Fn. 1), S. 125 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/ 34 § 51 Abs. 2 AWV verweist hier auf Art. 4 Abs. 2 EG-Dual-Use- AEUV, 2011, Art. 52 EU-GRCharta, Rn. 65 ff. Verordnung.
96 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 2 ( 2 0 1 5 ) , 8 9 – 9 8 staaten. Daher sollte hier noch darauf verwiesen werden, braucht wird. Dann können begründete Zweifel an der dass die Kommunikationsbeschränkungen mit dem Friedlichkeit der Zwecke erhoben werden. besonderen Schutz internationaler Forschungskoopera- Genehmigungspflichten, die auf solchen begründe- tionen in der Biowaffenkonvention kollidieren. Art. X ten Zweifeln aufbauen, sind die §§ 49 Abs. 1, 51 Abs. 1, 2 Abs. 1 Biowaffenkonvention verpflichtet zur Erleichte- AWV. Sie knüpfen an konkrete Verwendungszusam- rung internationaler Kooperation und Abs. 2 schützt menhänge an und kollidieren daher nicht mit Art. X diese vor einer sie behindernden Durchführung des Bio- Abs. 2 Biowaffenkonvention. waffenverbots.35 Die Genehmigungspflichten der Art. 3 Abs. 1 EG-Dual- Absatz 1 begründet eine Rechtspflicht36 zur Erleichte- Use-Verordnung und des § 8 Abs. 1 AWV berücksichtigen rung des Austauschs von wissenschaftlichen und tech- hingegen nicht, ob friedliche Zwecke verfolgt werden und nologischen Informationen zur Verwendung bakteriolo- ob konkrete Anhaltspunkte für Missbrauchsabsichten be- gischer Agenzien für friedliche Zwecke. Die Idee hinter stehen. Der bloße Umgang mit Agenzien kann noch keinen dieser Pflicht ist für die Missbrauchsdiskussion höchst solchen konkreten Anhaltspunkt bilden, da sonst immer relevant: Zweifel an der Friedlichkeit begründet wären. Internationale Kooperation in der friedlichen For- Fraglich ist nur, ob Genehmigungspflichten schon als schung soll verhindern, dass im Geheimen nicht friedli- Behinderung internationaler Forschungskooperationen che Forschung betrieben werden kann.37 zu bewerten sind. Der Wortlaut spricht dafür: Im Fran- Art. X kann man im Spannungsverhältnis zu Art. III, zösischen heißt es, dass jede Behinderung39 vermieden dem Verbot der Verbreitung von Biowaffen, sehen. Die werden soll. Die Staatenpraxis ist in der Frage der Ex- Vertragsstaaten der Konvention betonen jedoch, dass portkontrollen jedoch gespalten. Einerseits sind die dieser Artikel nicht Art. X, also der internationalen For- Staaten des Wassenaar Arrangements auch Vertragspar- schungskooperation, entgegengestellt werden kann.38 teien der Biowaffenkonvention, andererseits kritisieren Letztlich formuliert der Art. X Abs. 2 einen Vorrang die blockfreien Staaten Exportkontrollen als ungerecht- friedlicher Forschungskooperation vor einer Prävention fertigte Behinderung.40 In der Situation einer sich so wi- durch Isolation. Dort heißt es, die Konvention sei so dersprechenden Staatenpraxis ist dem Wortlaut der Kon- durchzuführen, dass die wirtschaftliche und technologi- vention grundsätzlich Vorzug zu geben.41 sche Entwicklung und die internationale Kooperation Führen Genehmigungspflichten ohne Anhaltspunkte im Bereich friedlicher bakteriologischer Tätigkeiten für Missbrauchsabsichten zu tatsächlichen Behinderun- nicht behindert werde. Es muss nur nachgewiesen wer- gen internationaler Forschungskooperation sind sie also den, dass friedliche Zwecke verfolgt werden. Gelingt ein- mit Art. X Abs. 2 Biowaffenkonventionen nicht verein- mal dieser Nachweis, kann ein abstraktes Missbrauchsri- bar. Jede Forschungskooperation im Rahmen von Art. I siko nicht zur Beschränkung der Kooperation genügen. Biowaffenkonvention muss jedoch mit friedlichen Zwe- Eine Grenze dürfte jedoch gegeben sein, wenn konkrete cken gerechtfertigt werden. Es kann nicht im Rahmen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Kooperation miss- von Art. X Abs. 2 Biowaffenkonvention gewollt sein, den 35 Art. X Biowaffenkonvention (biologischer) Agenzien und von Toxinen für friedliche Zwecke „1. Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens verpflichten sich, im Einklang mit den Bestimmungen dieses Übereinkommens.“ den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material 36 Seventh BTWC Review Conference, Final Declaration, in: Final und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur Document of the Seventh Review Conference, 2012, UN Doc. Verwendung bakteriologischer (biologischer) Agenzien und von BWC/CONF.VII/7, S. 9, Rn. 50. Toxinen für friedliche Zwecke zu erleichtern, und sind berechtigt, 37 United States of America/Lederberg, Statement made at the daran teilzunehmen. Vertragsparteien, die hierzu in der Lage informal meeting held on 5.8.1970, in: United Nations Disarma- sind, arbeiten ferner zusammen, um allein oder gemeinsam mit ment Commission, Official Records, 1973, UN Doc. DC/234, anderen Staaten oder internationalen Organisationen zur Weiter- S. 54 (56). entwicklung und Anwendung wissenschaftlicher Entdeckungen 38 Seventh BTWC Review Conference (Fn. 36), Rn. 10. auf dem Gebiet der Bakteriologie (Biologie) zur Krankheitsver- 39 „à éviter toute entrave“. hütung oder zu anderen friedlichen Zwecken beizutragen. 40 BTWC Meeting of the States Parties, Measures for full, effective 2. Dieses Übereinkommen ist so durchzuführen, dass es keine and non-discriminatory Implementation of the Article X, Behinderung für die wirtschaftliche und technologische Ent- 13.8.2013, UN Doc. BWC/MSP/2013/MX/WP.17, Rn. 3, 5; wicklung der Vertragsstaaten des Übereinkommens oder für die Seventh BTWC Review Conference, Implementation of Article X internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet friedlicher bakte- of the Convention: Background information document submitted riologischer (biologischer) Tätigkeiten darstellt, einschließlich des by the Implementation Support Unit, 23.11.2011, UN Doc. BWC/ internationalen Austausches von bakteriologischen (biologi- CONF.VII/INF.8, Rn. 177. schen) Agenzien und Toxinen sowie von Ausrüstungen für die 41 A.A. Joyner, International law and the proliferation of weapons of Verarbeitung, Verwendung oder Herstellung bakteriologischer mass destruction, 2009, S. 92, 118.
Teetzmann · Beschränkungen der Forschung in den Biowissenschaften 97 Behörden die Gelegenheit zu verwehren, zu kontrollie- formationen sollte jedoch auf Ausfuhren zum Zweck der ren, ob friedliche Zwecke gewollt sind. Zudem kann eine Veröffentlichung ausgeweitet werden. Die Genehmi- Unterscheidung zwischen Behinderungen und bloßen gungspflichten sind vor allem unter grundrechtlichen Belästigungen getroffen werden. Es dürfte auch über das Gesichtspunkten fragwürdig. Die derzeitige Ausgestal- Ziel des Schutzes internationaler Forschungskooperati- tung der Genehmigungspflicht aus der EG-Dual-Use- on hinausgehen, wenn Kontrollen verboten wären, die Verordnung verstößt gegen die Wissenschaftsfreiheit, Schutz vor Proliferation gewährleisten und nicht mit ei- die Genehmigungspflicht aus der Außenwirtschaftsord- nem Schaden für die Forschungskooperation verbunden nung bedarf einer restriktiven Auslegung. sind. Um solche Schäden zu vermeiden, bedarf es, wie Zwar wird die nicht öffentliche Kommunikation wie schon im Angesicht der Wissenschaftsfreiheit, schneller die Publikation im Ausland beschränkt, die Beschrän- und unkomplizierter Genehmigungsverfahren. kungen sind jedoch nicht im gleichen Maße Zweifeln Die Biowaffenkonvention schützt die internationale ausgesetzt. Die punktuellen Genehmigungspflichten der Kooperation friedlicher Forschung, solange keine kon- §§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AWV nach Un- kreten Anhaltspunkte für einen Missbrauch gegeben terrichtung über einen konkreten Verwendungszusam- sind. Daher ist erforderlich, dass, wenn F sich trotz Feh- menhang sind verhältnismäßig, die Ausfuhrkontrollen lens solcher Anhaltspunkte Kommunikation mit dem müssen hingegen so ausgelegt und angewandt werden, Ausland genehmigen lassen muss, die Verfahren so dass es nicht zu übermäßigen Belastungen der Forschen- durchgeführt werden, dass sie keine tatsächliche Behin- den kommt. derung im internationalen Forschungsaustausch darstel- Die Beschränkung grenzüberschreitender Kommu- len. Allein: F kann sich auf diesen Schutz nicht berufen, nikation belastet auch die internationale Forschungs- da die Biowaffenkonvention nur zwischen den Vertrags- kooperation. Internationale Kooperation friedlicher staaten, nicht deren Bürgern, gilt. Forschung wird aber in der Biowaffenkonvention gegen die Argumentation mit der Prävention einer Biowaffen- V. Schluss: Keine Beschränkungen im Inland, aufrüstung geschützt. Behinderungen lassen sich nur bei begrenzte Kommunikation mit dem Ausland konkreten Anhaltspunkten rechtfertigen und anlasslose Kontrollen müssen so durchgeführt werden, dass sie Es ergibt sich also, dass F, während sie im Inland recht- noch keine tatsächliche Behinderung für die Forschung lich unbeschränkt forschen kann, bei der Kommunikati- darstellen. F jedoch kann sich wegen der rein zwischen- on mit dem Ausland trotz des Schutzes internationaler staatlichen Wirkung der Konvention nicht darauf berufen. Forschungskooperation in der Biowaffenkonvention Biowissenschaftlerin F muss also im derzeitigen einige Beschränkungen beachten muss. Recht nicht befürchten, dass die Durchführung ihrer Die Durchführung von Forschungsvorhaben in den Forschung wegen Missbrauchsrisiken eingeschränkt Biowissenschaften wird nicht wegen Missbrauchsrisiken wird. Sie muss aber damit rechnen, dass ihre Kommuni- beschränkt. Bedenken bestehen höchstens bei nicht er- kation mit dem Ausland, auch in Form von Publikatio- forderlichem offensivem Potential. nen, genehmigungspflichtig ist. Die Publikation von Informationen über die Herstel- lung von Agenzien im Ausland ist hingegen genehmi- Der Autor ist akademischer Mitarbeiter am Institut für gungspflichtig. Davon sind allgemein zugängliche Infor- öffentliches Recht, Abteilung II (Völkerrecht und Rechtsvergleichung) und am Kompetenznetzwerk für mationen und die Grundlagenforschung ausgenommen. das Recht der zivilen Sicherheit an der Nicht ausgenommen ist die Veröffentlichung von Infor- Universität Freiburg. mationen. Die Ausnahme für allgemein zugängliche In-
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