"Corona - Bayern gemeinsam stärken" - Online-Pressekonferenz Soziales Netz Bayern 12. November 2020, München

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"Corona - Bayern gemeinsam stärken" - Online-Pressekonferenz Soziales Netz Bayern 12. November 2020, München
Online-Pressekonferenz Soziales Netz Bayern
„Corona – Bayern gemeinsam stärken“
12. November 2020, München

Statement Prälat Bernhard Piendl, Landes-Caritasdirektor

es gilt das gesprochene Wort

Sperrfrist: Donnerstag, 12. November 2020, 12.00 Uhr
Prälat Bernhard Piendl, Online-PK „Corona – Bayern gemeinsam stärken“ am 12. November 2020   2

Anrede,

vielen Dank für Ihre Ausführung und vielen Dank für die Möglichkeit, mich heute hier zu
äußern. Auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen in diesem zugegebenermaßen
ungewöhnlichen Format für eine Pressekonferenz – auch wenn wir mittlerweile mit
Videokonferenzen ausreichend Übung haben.

Die Zeiten sind in der Tat besondere und fordern alle gesellschaftlichen Bereiche. Die
Coronapandemie greift in unser aller Leben in einer Art und Weise ein, wie wir es noch vor
einem Jahr nicht für möglich gehalten haben.

Besuchsbeschränkungen, Quarantänepflicht die Schließung ganzer Wirtschaftszweige,
eingeschränkter Betrieb von Schulen und Kindergärten und vieles Weiteres. Die Maßnahmen
verlangen uns Bürgerinnen und Bürgern einiges ab und erfordern ein hohes Maß an
Anpassungsleistung.

Die Institutionen der Wohlfahrtspflege waren und sind immer noch besonders gefordert. Denn
sie sind in all den Feldern tätig, wo die Probleme am stärksten aufschlagen: in Kindergärten,
in Krankenhäusern in Alten- und Pflegeheimen, in Behinderteneinrichtungen und der
Beratungsstellen. Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr kamen fast täglich neue Regelungen
und Vorschriften aus Ministerien und Behörden, die es umzusetzen und zu bewerten galt.
Damit einher ging die Sorge um die uns anvertrauten Menschen, die sich in ihrer Not an uns
gewendet haben, die zum Teil wie in den Altenheimen oder Behinderteneinrichtungen zur
sogenannten COVID-19 Risikogruppe gehören gepaart mit einer großen Unsicherheit der
Mitarbeitenden im Umgang mit dem Virus.

An dieser Stelle möchte ich es nicht versäumen, den rund 410.000 Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der freien Wohlfahrtspflege und allen weiteren danken, die sich in dieser
schwierigen Zeit um Menschen in Not, mit Unterstützungsbedarf oder existentiellen Fragen
kümmern, ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen und sich nach wie vor weit über das übliche
Maß hinaus einsetzen.

Uns als Verbänden der freien Wohlfahrtspflege, als Caritas und als Institutionen im Sozialen
Netz Bayern ist es wichtig eines immer wieder zu betonen: Die Politik gibt den Rahmen vor,
stellt Regeln auf und macht Vorschriften; das Gesicht des sozialen Bayerns aber sind wir, die
sich täglich und ganz konkret um diejenigen Menschen kümmern, die Hilfe und Unterstützung
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benötigen. Wir merken sehr schnell, wo Bedarfe sind, wo Regelungslücken sind und auch, wo
Regeln möglicherweise über das Ziel hinausschießen.

Zu Recht im öffentlichen Fokus stehen natürlich die von der Pandemie besonders betroffenen
Menschen in den Krankenhäusern, in Betrieben, in der Pflege oder auch der Gastronomie. Als
Wohlfahrtspflege ist es aber auch unsere Aufgabe, diejenigen zu sehen, die gerne übersehen
werden. Das sind insbesondere diejenigen, die bereits zu „normalen“ Zeiten am Rande des
Existenzminimums oder sogar darunter leben, wie beispielsweise Alleinerziehende, Menschen
mit Behinderung, Obdachlose, Immigranten, Flüchtlinge, um nur einige zu nennen. Sie sind
von den Auswirkungen der Coronapandemie ganz besonders betroffen. Die ohnehin schon
schwierigen Lebensumstände können sich dort schnell zu existentiellen Nöten auswachen.

Zu diesen Menschen kommen derzeit andere Gruppen von Menschen hinzu, die unsere Hilfe
und Beratung in Anspruch nehmen: Menschen in Kurzarbeit, Solo-Selbständige und
Kleinunternehmer, aber auch eine Reihe von Geringverdienern und Rentnern sind in diesem
Jahr in eine schwierige finanzielle Lage geraten. Das Risiko von Armut und Verschuldung
wächst und trifft sowohl Familien als auch Einzelpersonen - darunter nicht wenige, die zuvor
in gesicherten Verhältnissen lebten. Aus normalen, geordneten Verschuldungssituationen
können leicht existenzbedrohende Überschuldungen werden.

Eine Erhebung des Caritasverbandes von Mitte Oktober hat ergeben, dass sich die
Zielgruppen in der Schuldnerberatung verschieben. War es über den Sommer noch
einigermaßen ruhig, haben die Umfragen ab September zugenommen. Auffällig ist, dass neue
Zielgruppen hinzukommen: Ein junger Pilot hat im Frühjahr die Ausbildung beendet. Obwohl
hoch qualifiziert hat er keine Aussicht auf eine Anstellung. Er hat kein Einkommen und kann
den Ausbildungskredit nicht zurückzahlen.

Oder:    Ein   Schauspieler      der    bisher   jedes    Jahr    in   den    Sommermonaten      ein
Festspielengagement hatte. In diesem Jahr geht ihm ein vierstelliger Betrag verloren, mit dem
er das Studium der Tochter finanziert hat.

Oder: Eine alleinerziehende Mutter hat ihren Arbeitsplatz verloren, weil in Zeiten der Schul-
und Kitaschließungen die Versorgung der Kinder nicht gesichert war.

Das sind nur anekdotische Beispiele aus den Schuldnerberatungsstellen der Caritas, aber sie
sprechen eine deutliche Sprache.
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Mittlerweile machen Personen in Kurzarbeit, Soloselbstständige oder Aufstocker und Rentner
– Menschen die eigentlich ein Auskommen hatten – einen substanziellen Teil der Anfragen in
unseren Schuldnerberatungsstellen aus - mit steigender Tendenz.

Diese Beispiele aus der Schuldnerberatung stehen für viele andere Beratungsdienste und -
angebote, ist nur eines unter vielen, die für die niederschwelligen und flächendeckenden
Grunddienste stehen, die unsere Verbände und Institutionen anbieten. Sie müssen
ausreichend gefördert und finanziert sein. Dies gilt nicht nur für die Schuldnerberatung,
sondern für viele weitere Bereiche: die offene Behindertenarbeit, die sozialpsychiatrischen
Dienste, die Suchtberatung, die Migrations- und Integrationsberatung oder bei uns bei der
Caritas auch die Allgemeine Sozialberatung. Als Vertreter der Caritas darf ich an dieser Stelle
daran erinnern, dass gerade in diesen Bereich erhebliche Kirchensteuermittel fließen.

Während des Lockdowns haben diese Stellen ihren Betrieb aufrechterhalten, haben neue
Wege gefunden und ihre Angebote angepasst. Diese sozialen Dienste, Einrichtungen und
Institutionen sind, neben den klassischen Angeboten wie den Einrichtungen der Pflege, im
Gesundheitswesen        und    der   Behindertenarbeit,     die   Säulen     eines   funktionierenden
Gemeinwesens. Und sie sind geradezu eine der Voraussetzungen für eine starke bzw.
wiedererstarkende Wirtschaft. Die Finanzierung all dieser Dienste muss deshalb langfristig auf
sicheren Beinen stehen und darf nicht kurzfristigen Sparmaßnahmen zum Opfer fallen, um
auch nach der Krise den Menschen noch zur Verfügung zu stehen.

Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel anbringen, das im Angesicht der Schulschließungen im
Frühjahr in den Fokus gerückt ist und ein schon länger gärendes Problem adressiert.
Die Bildungschancen in Deutschland sind unterschiedlich ausgeprägt und stark von der
sozialen Herkunft beeinflusst [Vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung: Bildung in
Deutschland 2020. https://www.bildungsbericht.de/static_pdfs/bildungsbericht-2020.pdf]

In den letzten Monaten ist durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie die
Ungleichheit der Bildungsvoraussetzungen und -chancen zusätzlich verschärft worden. Die
unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler sind wie unter
einem Brennglas sichtbar geworden, eine differenzierte Förderung und Kompensation der
Belastungen gelang nur in Einzelfällen bzw. mit deutlicher Verzögerung. Die soziale Spaltung
im Bildungssystem droht in einer digitalen Gesellschaft weiter verschärft zu werden. Sowohl
während als auch nach den coronabedingten Einschränkungen sind deshalb der Lebenslage
und den Förderbedarfen junger Menschen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Es bedarf
gezielter Maßnahmen, um einer weiteren Spaltung der Bildungschancen entgegenzuwirken.
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Zum einen muss sichergestellt werden, dass alle bedürftigen Kinder und Jugendlichen mit
digitalen Endgeräten ausgestattet werden. Der Freistaat Bayern leistet hier mit seinem
Digitalpakt einen wichtigen und guten Beitrag. Für den Fall, dass dies nicht über die Schulen
geschieht, muss für alle jungen Menschen, die Transferleistungen beziehen, ein rechtssicherer
Anspruch auf die nötigen Geräte und auch die entsprechenden Zugänge ins Netz geschaffen
werden. Zudem müssen Bund und Länder die Förderung junger Menschen am Übergang von
der Schule in den Beruf über bedarfsgerechte Angebote der Berufseinstiegsbegleitung
nachhaltig sicherstellen.

Als letztes darf ich noch ein weiteres Thema ansprechen, das gerade schon angeklungen ist
und das uns als soziale Institutionen und Non-Profit-Unternehmen besonders umtreibt: die
Digitalisierung und digitale Transformation der Gesellschaft.

Die sozialen Institutionen und Non-Profit-Unternehmen können die Herausforderungen und
Anforderungen der digitalen Transformation weder alleine schaffen, noch wollen sie hier
alleine vorgehen: Die offensichtlich notwendige Mitgestaltung des Sozialen in der digitalen
Transformation lässt sich aber durch die Dienste, Einrichtungen und Verbände nur realisieren,
wenn sie – wie die freie Wirtschaft auch – durch die öffentliche Hand in ausreichendem Maße
und auf passende Art und Weise gefördert werden. „In den kommenden Jahren [sind wir]
gefordert, einen dynamischen Organisationsentwicklungsprozess zu gestalten, der angesichts
der großen Veränderungsdynamiken schnell angestoßen und geformt werden muss. Effizient,
nachhaltig und ressourcensparend wird er nur dann gelingen, wenn – ähnlich wie im Bereich
von eHealth – öffentliche Anschubfinanzierung die vielfältigen Innovationsinitiativen bündelt
und    verbreitet“,    so     die    gemeinsame        Absichtserklärung       von     BAGFW       und
Bundesfamilienministerium vom September 2017. „Gesellschaftliche Gewinne aus der
digitalen Transformation für die Bundesrepublik als demokratischem Sozialstaat lassen sich
verlässlich dann erzielen, wenn wesentliche Leistungssegmente sozialer Infrastruktur auch in
der digitalen Gesellschaft nachhaltig gemeinwohlorientiert gewährleistet werden.“ Dass
Innovation für die Zukunft wichtig sind und gerade in Krisenzeiten nötig sind, zeigt sich aktuell
besser denn je:

Ich verweise hier wieder beispielhaft auf ein Angebot der Caritas, nämlich die Onlineberatung,
deren Bereitstellung vor über 10 Jahren sich nun in der Krise auszahlen. Mit ihr will die Caritas
damit Menschen in Not in vielen verschiedenen Bereichen (Schwangerschaft, Sucht,
Schulden, Suizidprävention, HIV,...) digital Hilfe und Beratung von Fachleuten vor Ort
anbieten. Auch für Klienten in der analogen Beratung kann ergänzend dieser datensichere
Kommunikationsweg genutzt werden – zum Austausch von Unterlagen und Dokumenten. Für
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alle Menschen soll passgenaue Beratung verfügbar und dabei unterschiedliche Zugangswege
miteinander verknüpft werden.

Das, meine Damen und Herren, ist unser Weg in die Zukunft, den wir gerne, mit Engagement
und großer Expertise gestalten wollen. Und dabei gilt es unseren Kernauftrag nicht aus den
Augen zu verlieren: für die Menschen da zu sein, die Unterstützung und Hilfe benötigen. Dafür
treten wir, als Organisationen im Sozialen Netz Bayern, ein, dass die Verwirklichung sozialer
Gerechtigkeit und die Sorge für arme Menschen Kernaufgaben des Staates sind und bleiben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und selbstverständlich stehen wir Ihnen nun für
Rückfragen zur Verfügung.
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