Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive - EDITION DW AK ADEMIE

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Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive - EDITION DW AK ADEMIE
EDI T ION DW AK ADEMIE | 202 1

    Coronavirus-Pandemie:
    Auswirkungen auf die
    Medienfreiheit in
    globaler Perspektive
Coronavirus-Pandemie:
Auswirkungen auf die
Medienfreiheit in
globaler Perspektive
Alexander Matschke
Impressum
HER AUSGEBER         AUTOR                        L AYO U T                            VERÖFFENTL ICHUNG
Deutsche Welle       Alexander Matschke           Christian Lück                       Juli 2021
53110 Bonn
Germany              CO - A U T O R I N N E N /   T I TELFOTO
                     CO - A U T O R               Picture Alliance/Eddy Peters
VER ANT WORTL ICH    Johanna Mack                 (Reporter Abdoulaye Dabo im
Carsten von Nahmen   Dennis Reineck               April 2020 vor dem internationalen
Jan Lublinski        Roja Zaitoonie               Flughafen Dakar, Senegal)            © DW Akademie

4
Inhalt

Zusammenfassung                                                                                         7

1. Einleitung: Eine globale Krise                                                                       8

2. Mediennutzung und Zugang zu Information                                                             14

3. Desinformation                                                                                      18

4. Journalismus und wirtschaftliche Tragfähigkeit der Medien                                          26

5. Repression                                                                                         34

6. Fazit: Wege zu mehr Resilienz                                                                      40

7. Politikempfehlungen                                                                                44

8. Anhang                                                                                             48

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Zusammenfassung

Die Coronavirus-Pandemie hat sich in weiten Teilen der Welt        Die Pandemie hat zudem bereits bestehende strukturelle
negativ auf die Meinungs- und Medienfreiheit ausgewirkt.           Schwächen moderner Informations-Ökosysteme offengelegt.
Betroffen sind viele Partnerländer der deutschen Entwicklungs-     Diese Trends erschweren es, die vielschichtigen Herausforde-
zusammenarbeit: Menschen können nicht auf relevante Infor-         rungen zu bewältigen. Menschen fehlt es an Information, auf
mationen zugreifen, unter anderem, weil sie keinen adäqua-         deren Grundlage sie risikobewusst handeln können. Einzelne
ten Internetzugang haben. Gesellschaften mangelt es an Ori-        Bevölkerungsgruppen drohen weiter abgehängt zu werden,
entierung, da sie von einer Flut an falschen Nachrichten über-     weil sie ihre Anliegen nicht wirksam zum Ausdruck bringen kön-
schwemmt werden. Journalistinnen und Journalisten können           nen. Gesellschaften können sich nicht umfassend über Wege
ihre Arbeit nur unzureichend erledigen, etwa aufgrund wirt-        aus der Krise verständigen.
schaftlicher Schwierigkeiten der Medienhäuser. Bürgerinnen
und Bürger sind von maßgeblichen Daten und Fakten zur Pan-         Um entwicklungspolitische Ziele erreichen zu können, braucht
demie abgeschnitten – insbesondere, weil Regierungen Nach-         es intakte Informations-Ökosysteme: mit allgemeinem Zugang,
richten zensieren und unabhängige Berichterstattung unter-         professionellen Qualitätsfiltern, unabhängigen Medienunter-
binden. Dabei greifen staatliche Stellen vermehrt auf repressive   nehmen und freiheitlichen Rahmenbedingungen. Die vorlie-
Maßnahmen zurück: sowohl gegenüber Journalistinnen und             gende Studie ist mit finanzieller Unterstützung des Bundesmi-
Journalisten als auch gegenüber der Bevölkerung insgesamt.         nisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
                                                                   lung (BMZ) entstanden. Sie enthält Politikempfehlungen, wie
                                                                   die deutsche Entwicklungszusammenarbeit funktionierende
                                                                   Informations-Ökosysteme in Partnerländern stärken kann.

                               DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive   7
1
Einleitung: Eine globale Krise
1. EINLEITUNG: EINE GLOBALE KR ISE

Um den Jahreswechsel 2019/2020 sind Berichte über eine Häu-                  Regierungen gehen manchmal gegen
fung schwerer Atemwegserkrankungen in der chinesischen
Stadt Wuhan erschienen, ausgelöst durch ein neuartiges Coro-
                                                                         den falschen Feind vor: Der Feind ist nicht
navirus. Am 31. Januar 2020 erklärte die Weltgesundheitsor-              die Bevölkerung, sondern das Virus.
ganisation (WHO) die Ausbreitung des Virus zur Gesundheits-              Sylvie Briand, WHO6
notlage von internationaler Tragweite, am 11. März charakteri-
sierte sie das Ausbruchsgeschehen als Pandemie.1
                                                                         6

Seitdem hat die Corona-Krise weltweit enorme Herausforde-                Korruption trägt zu diesen Entwicklungen bei: „Länder, die Kor-
rungen für die menschliche Entwicklung mit sich gebracht. Der            ruption nur unzureichend kontrollieren, verletzen bei ihrem
globale Virusausbruch trifft die Menschheit angesichts großer,           Umgang mit Covid-19 eher demokratische und menschen-
unbewältigter Problemkomplexe: Armut, Hunger, Ungleichheit,              rechtliche Standards“, betont die Antikorruptions-NGO Trans-
die Überlastung der natürlichen Lebensgrundlagen.                        parency International.7 Die Situation dürfte dadurch verschärft
                                                                         werden, dass wegen der Corona-Maßnahmen eine wichtige
Die durch das Coronavirus ausgelöste Krankheit Covid-19 kann             Kontrollinstanz unter erschwerten Bedingungen arbeitet: pro-
tödlich verlaufen. Im ersten Jahr seit Erklärung der Gesundheits-        fessionelle journalistische Medien. Und das vor dem Hinter-
krise zur Pandemie sind weltweit über 2,5 Millionen Menschen             grund einer für sie vielerorts bereits schwierigen politischen
im Zuge einer Infektion gestorben; über 100 Millionen haben              und wirtschaftlichen Gesamtsituation.
sich nachweislich infiziert. Die Auswirkungen der Pandemie
gehen jedoch weit über die gesundheitliche Dimension hinaus.
                                                                         Meinungs- und Medienfreiheit unter Druck
Rückschritte bei Demokratie und                                          Zensur, physische Angriffe, Inhaftierungen von Journalistinnen
Governance                                                               und Journalisten: In der Pandemie hat sich die Lage der Mei-
                                                                         nungs- und Medienfreiheit in großen Teilen der Welt drama-
Regierungen rund um die Welt haben den Notstand in unver-                tisch verschlechtert. Beobachterorganisationen haben Hun-
hältnismäßiger Weise genutzt, um Freiheitsrechte und gesell-             derte entsprechende Fälle registriert.8 Länder, die im jährlichen
schaftliche Mitbestimmung einzuschränken.2 Die Erosion                   Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen (RSF) ohne-
demokratischer Systeme – schon vor der Pandemie ein lang-                hin auf den hinteren Plätzen liegen, haben Informationen zur
jähriger, sich verfestigender Trend – hat sich verschärft. 3 Die         Gesundheitskrise in besonderem Maße unterdrückt.9
US-Nichtregierungsorganisation Freedom House hat festge-
stellt, dass sich im Jahr 2020 die Bedingungen für Demokra-              Laut Freedom House haben 91 Regierungen auf die Covid-19-
tie und Menschenrechte in 80 von 192 untersuchten Ländern                Lage mit neuen Restriktionen für die Medienberichterstattung
verschlechtert haben.4 Die Internationale Stiftung für Wahlsys-          reagiert.10 Hinzu kommt die Tragik der Pandemie: Hunderte von
teme (IFES) hat über 60 Länder gezählt, in denen Wahlen auf-             Journalistinnen und Journalisten sind im ersten Jahr nach dem
grund der Corona-Lage verschoben wurden.5                                Virusausbruch an einer Corona-Infektion gestorben.11

                                                                         6
                                                                              Im Interview für diese Studie
                                                                         7
                                                                              Transparency International: Why fighting corruption matters in
1
    WHO: Rolling updates on coronavirus disease (COVID-19), 2020,             times of COVID-19, 2021, https://www.transparency.org/en/news/
    https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-               cpi-2020-research-analysis-why-fighting-corruption-matters-in-
    2019/events-as-they-happen                                                times-of-covid-19
2
    Varieties of Democracy (V-Dem), Pandemic Backsliding, 2021,          8
                                                                              International Press Institute: IPI Covid-19 Tracker, fortlaufend,
    https://www.v-dem.net/en/our-work/research-projects/                      https://ipi.media/covid19-media-freedom-monitoring/
    pandemic-backsliding/                                                9
                                                                              RSF: 2020 World Press Freedom Index: https://rsf.org/en/2020-
3
    Diamond, Larry: Democratic regression in comparative                      world-press-freedom-index-entering-decisive-decade-journalism-
    perspective: scope, methods, and causes, 2020, https://www.               exacerbated-coronavirus
    tandfonline.com/doi/full/10.1080/13510347.2020.1807517               10
                                                                              Freedom House: Special Report 2020, Democracy under Lockdown,
4
    Freedom House: Special Report 2020, Democracy under Lockdown,             https://freedomhouse.org/report/special-report/2020/democracy-
    https://freedomhouse.org/report/special-report/2020/democracy-            under-lockdown
    under-lockdown                                                       11
                                                                              International Journalists´ Network: Nearly 500 journalists have died
5
    IFES: Elections Postponed Due to COVID-19, 2021, https://www.ifes.        from COVID-19 globally, 2020, https://ijnet.org/en/story/nearly-
    org/sites/default/files/elections_postponed_due_to_covid-19.pdf           500-journalists-have-died-covid-19-globally

                                    DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive                 9
Medienfreiheit unter Druck
      Indikator für Meinungsfreiheit im Bertelsmann Transformationsindex

         6,25

         6,00

         5,75

         5,50

         5,25

         5,00
                    2006          2008            2010            2012           2014          2016          2018           2020

      Durchschnittswert der Indikatoren für Meinungsfreiheit in 118 Transformationsländern im Zeitverlauf.
      Zugrundeliegende Skala: 1 (schlechtester Wert) bis 10 (bester Wert)

Quelle: Bertelsmann Stiftung, 2020, bti-project.org, eigene Darstellung

Schwerwiegende strukturelle Herausforderungen für die                     nommen, insbesondere über digitale Kanäle und Endgeräte.15
Medienfreiheit gab es schon vor der aktuellen Krise. Und zwar             Sich jedoch wirklich frei und verlässlich informieren und die
neben der politischen Restriktion vor allem durch den wirt-               eigene Meinung ohne Angst vor Repressalien äußern kön-
schaftlich-technologischen Wandel hin zum Digitalen. Die Pan-             nen: Das ist nur für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung
demie verstärkt hier Trends, wirkt aber auch wie ein Brennglas            selbstverständlich.16
für ungelöste Probleme.12

Printmedien sind weiter stark unter Druck. Das Beratungsun-               Demokratie-, Wirtschafts- und Hungerkrise
ternehmen PWC schätzt den globalen Umsatzrückgang des
Sektors im Jahr 2020 auf 14,3 Prozent.13                                  Die verschärfte Demokratiekrise vollzieht sich vor dem Hin-
                                                                          tergrund schwerwiegender Rückschläge für die menschli-
Zur gleichen Zeit überschwemmt eine Welle an Desinforma-                  che Entwicklung, ausgelöst durch die Corona-Pandemie. So
tion insbesondere digitale Medien. Der Plattformbetreiber                 bedroht ein dramatischer Wirtschaftseinbruch viele Entwick-
Facebook gab an, allein bis Mitte April 2020 hunderttausende              lungserfolge der vergangenen Dekaden. Der Internationale
Posts mit falschen Aussagen zu Covid-19 gelöscht zu haben.14              Währungsfonds spricht von der schwersten Rezession seit den
Die weltweite Mediennutzung hat unterdessen weiter zuge-                  1930er Jahren.17

12
     CIMA: Independent Media and the Pandemic. Lessons from the           15
                                                                               Global Web Index: Coronavirus research March 2020, https://
     Global South, 2020, https://www.cima.ned.org/blog/independent-            www.globalwebindex.com/hubfs/1.%20Coronavirus%20Research
     media-and-the-pandemic-lessons-from-the-global-south/                     %20PDFs/GWI%20coronavirus%20findings%20March%202020%20-
13
     PWC: Global Entertainment & Media Outlook, Segment Findings,              %20Multi-Market%20data%20(Release%203).pdf
     2020, https://www.pwc.com/gx/en/industries/tmt/media/outlook/        16
                                                                               Freedom House: Freedom in the World 2021. Democracy under
     segment-findings.html                                                     Siege, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2021/
14
     Facebook: An Update on Our Work to Keep People Informed and               democracy-under-siege
     Limit Misinformation About COVID-19, 2020, https://about.fb.com/     17
                                                                               IMF Annual Report 2020, https://www.imf.org/external/pubs/ft/
     news/2020/04/covid-19-misinfo-update/                                     ar/2020/eng/

10
1. EINLEITUNG: EINE GLOBALE KR ISE

Die extreme Armut hat zum ersten Mal seit der Jahrtausend-                 Warnungen vor Menschenfeindlichkeit
wende wieder zugenommen. Die Weltbank befürchtet, dass
                                                                           und Fragilität           22 23
über 100 Millionen Menschen erstmalig in extreme Armut
abrutschen.18 Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO)                 Die Vereinten Nationen haben vielfach vor neuen Wellen an
schätzt, dass 2020 die Zahl der weltweit geleisteten Arbeits-              Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Hass gewarnt. Es
stunden um 8,8 Prozent zurückgegangen ist. Das entspreche                  bestehe die Gefahr, dass bestimmte ethnische Gruppen zu Sün-
255 Millionen Vollzeitjobs.19                                              denböcken gemacht würden.24

Angesichts der Pandemie könnte Ziel Nr. 2 der UN-Entwick-                  Der Schutz vulnerabler Gruppen – etwa Minderheiten, indigene
lungsagenda verfehlt werden: den Hunger bis 2030 weltweit zu               Bevölkerungsteile oder Migrantinnen und Migranten – sei in
beenden. In etlichen Ländern trifft die Corona-Krise auf eine              besonderem Maße notwendig.25
bereits sehr ernste Lage bei der Nahrungsmittelsicherheit.
Der pandemiebedingte Wirtschaftseinbruch könnte zusätzli-                  Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
che 80 Millionen Menschen gefährden, schätzt die Welthunger-               wicklung (OECD) erwartet, dass die Covid-19-Krise zu mehr
hilfe.20 Laut Weltbank haben sich Nahrungsmittel weltweit im               gesellschaftlicher Fragilität führt. Gefährdete Gebiete wer-
Zeitraum von Januar 2020 bis Januar 2021 um fast 20 Prozent                den es noch schwieriger haben, langfristig Frieden, Sicherheit
verteuert.21                                                               und Prosperität zu erreichen, prognostiziert die Organisation.
                                                                           Bereits in den Jahren vor der Corona-Krise war die UN-Entwick-
                                                                           lungsagenda bis 2030 in fragilen Staaten nicht vorangekom-
Frauen stark betroffen                                                     men, inklusive des entscheidenden Ziels 16 für Fortschritte bei
                                                                           Frieden, Gerechtigkeit und starken Institutionen.26
Die Pandemie hat sich auf das Leben nahezu aller Menschen
ausgewirkt. Jedoch sind Frauen und Mädchen besonders stark
von den Auswirkungen der Coronavirus-Krise betroffen. Das                  Zu dieser Studie
UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) legt dar, dass weltweit
70 Prozent der Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegesek-                Die geschilderte weltweite, vielschichtige Krise wird sich – so
tor Frauen sind – sie sind daher einem überdurchschnittlichen              die zugrunde liegende Annahme dieser Studie – nur bewälti-
Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Frauen sind auch im informel-                gen lassen, wenn Gesellschaften über funktionierende Infor-
len Sektor überrepräsentiert und stärker von krisenbedingten               mations-Ökosysteme verfügen. Das heißt, wenn alle Menschen
Gehaltseinbußen betroffen als Männer.                                      sich frei aus verlässlichen Quellen informieren können und
                                                                           wenn sie in der Lage sind, ihre Meinung ohne Angst vor Repres-
Laut UNDP ist außerdem zu befürchten, dass sich die Gesund-                sion auszusprechen. Denn nur so ist eine sinnvolle gesellschaft-
heitsversorgung von Müttern und der Zugang zu Verhütungs-                  liche Verständigung über soziale Belange möglich. Nur so ist
mitteln in Folge der Maßnahmen zur Viruseindämmung ver-                    gewährleistet, dass Gesellschaften Entwicklungspfade betre-
schlechtert haben.22 Zudem geht die Organisation davon aus,                ten, auf denen niemand zurückgelassen wird.
dass die ohnehin schon dramatisch hohe Rate an geschlechts-
spezifischer Gewalt gegen Frauen weiter angestiegen ist.23

                                                                           22
                                                                                UNDP: Gender-based violence and COVID-19, 2020, https://www.
                                                                                undp.org/content/dam/undp/library/km-qap/undp-gender-GBV_
18
     World Bank: Updated estimates of the impact of COVID-19 on                 and_COVID-19.pdf
     global poverty, 2021, https://blogs.worldbank.org/opendata/           23
                                                                                UNDP: Gender inequality and the COVID-19 crisis: A Human Devel-
     updated-estimates-impact-covid-19-global-poverty-looking-back-             opment perspective, 2020, http://hdr.undp.org/sites/default/files/
     2020-and-outlook-2021; Dies.: Poverty and Shared Prosperity 2020:          covid-19_and_human_development_-_gender_dashboards_final.pdf
     Reversals of Fortune, https://openknowledge.worldbank.org/            24
                                                                                UN News: COVID-19 stoking xenophobia, hate and exclusion,
     bitstream/handle/10986/34496/9781464816024.pdf                             minority rights expert warns, 2020, https://news.un.org/en/story/
19
     ILO Monitor: Covid-19 and the world of work, 7th edition, 2021,            2020/03/1060602
     https://www.ilo.org/global/about-the-ilo/newsroom/news/               25
                                                                                OHCHR: States should take action against COVID-19-related
     WCMS_766949/lang--en/index.htm                                             expressions of xenophobia, says UN expert, 2020, https://
20
     Welthungerhilfe: Welthunger-Index 2020: Fortschritte und Rück­             www.ohchr.org/en/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?
     schritte, https://www.welthungerhilfe.de/hunger/welthunger-index/          NewsID=25739&LangID=E
21
     World Bank: Food Security and COVID-19, 2021, https://www.            26
                                                                                OECD: States of Fragility 2020, http://www.oecd.org/development/
     worldbank.org/en/topic/agriculture/brief/food-security-and-covid-19        states-of-fragility-fa5a6770-en.htm

                                     DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive               11
Unabhängige, journalistisch arbeitende Medien spielen hier          Zunächst folgt jedoch ein genauerer Blick auf:
eine Schlüsselrolle. Im besten Fall stellen sie verlässliche Fak-
ten bereit, die allen Menschen zugänglich sind und auf deren        Trends bei Medienzugang und -nutzung
Grundlage sie sich informieren und eine Meinung bilden kön-         Menschen haben sich in der Pandemie verstärkt Nachrichten-
nen. Sie schaffen – sowohl national als auch lokal – Problem-       quellen zugewendet, die als vertrauenswürdig gelten. Gleich-
lösungskapazität, sind zentrale Voraussetzung für Wahlen und        zeitig kam es zu einem starken Schub für die Digitalisierung.
demokratisches Regieren und wirken als wichtiges Korrektiv          Die digitale Kluft hat sich verschärft.
gegen Korruption.
                                                                    Herausforderungen durch Desinformation
Der Coronavirus-Ausbruch hat ein weiteres Schlaglicht auf die       Falschaussagen und Gerüchte zu Covid-19 haben sich als verita-
immense Bedeutung freier Medien für Gesellschaften welt-            bles Problem für die öffentliche Gesundheit entpuppt. Beson-
weit geworfen. Wohl noch nie war akkurate Information für so        ders betroffen sind digitale Verbreitungskanäle. Viele Men-
viele Menschen so wichtig, ja überlebenswichtig. Kaum jemals        schen haben Schwierigkeiten, sich in der digitalen Informati-
waren individuelle Entscheidungen so zentral für die Krisenbe-      onsumgebung zurechtzufinden.
wältigung, war das Vertrauen zwischen Gesellschaft und Regie-
rung so unabdingbar.                                                Auswirkungen auf Journalismus und wirtschaftliche
                                                                    Tragfähigkeit von Medien
Ziel der vorliegenden Studie ist es zunächst, Auswirkungen der      Medienschaffende haben seit Beginn der Pandemie weltweit
Coronavirus-Pandemie auf die Situation von Meinungs- und            unter schwierigen Bedingungen gearbeitet. Die Wirtschafts-
Medienfreiheit sowie den Zugang zu Information im globalen          krise hat zu Umsatzeinbußen und Entlassungen durch Medien-
Trend zu analysieren. Der Fokus liegt dabei auf Partnerländern      häuser geführt. Gleichzeitig musste ein komplexes Wissen-
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Darauf aufbau-            schafts-Thema verständlich aufbereitet und korrekt kommuni-
end skizziert die Studie Wege, wie eine größere Resilienz von       ziert werden.
Informations-Ökosystemen unterstützt werden kann.
                                                                    Repression
                                                                    Die Medienfreiheit ist in der Covid-19-Krise massiv unter Druck
Vorgehen                                                            geraten – durch Zensur, Angriffe auf Journalistinnen und Jour-
                                                                    nalisten oder extensive Online-Überwachung. Grundlage
Für diese Studie sind aktuelle Berichte und Untersuchun-            waren dafür teils bestehende, teils neu erlassene Gesetze zur
gen ausgewertet worden. Insgesamt zwölf Expertinnen und             Informationskontrolle. Vielerorts sind Medienschaffende für
Experten aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa haben          ihre Arbeit im Gefängnis gelandet.
in Hintergrundgesprächen wichtige Einblicke vermittelt. Sie
verfügen über spezielle Kenntnisse in Journalismus, Medien-
management, Meinungsfreiheit und Medienentwicklung, ins-            27

besondere in Partnerländern der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit. Ihre Einsichten sind vor allem in die Kapitel zu          Corona besiegen wir nur gemeinsam
Desinformation, zu Journalismus und wirtschaftlicher Tragfä-
higkeit der Medien sowie zu Repression eingeflossen, während
                                                                    in der Welt – oder gar nicht. In diesen
sich das Eingangskapitel zu Medienzugang- und Nutzung eher          Zeiten müssen wir auch neue Wege gehen.
auf aktuelle Daten und Umfrageergebnisse anderer Organisa-          Die Digitalisierung bietet uns die Chance,
tionen stützt.                                                      in kurzer Zeit kreative Antworten auf
Ein Kreis aus vier anerkannten Vertreterinnen und Vertre-
                                                                    Herausforderungen der Krise zu finden.
tern der Medienentwicklungs-Fachcommunity hat schließlich           Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
durch Anregungen und Kritik zum hier vorliegenden Ergebnis          Zusammenarbeit und Entwicklung27
beigetragen.

Zum Abschluss der Studie sind konkrete politische Handlungs-
empfehlungen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
im Medienbereich formuliert worden, die auf eine Stärkung
funktionsfähiger Informations-Ökosysteme in Partnerländern
abzielen.
                                                                    27
                                                                         BMZ: Drohnen liefern Sanitätsartikel in Malawi: BMZ prämiert
                                                                         digitale Lösungen für Corona-Krise, 2020, https://www.bmz.de/
                                                                         de/aktuelles/drohnen-liefern-sanitaetsartikel-in-malawi-29492

12
1. EINLEITUNG: EINE GLOBALE KR ISE

DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive   13
2
Mediennutzung und
Zugang zu Information
2 . MEDIENNUT ZUNG UND ZUG A NG ZU INFOR M AT ION

Vertrauen, Digitalisierung, Medienkompe­tenz:                           Auch bei der Mediennutzung in der Pandemie bestehen große
                                                                        Unterschiede zwischen einzelnen Ländern: So gaben bei
Bei der Mediennutzung und dem Zugang zu                                 Umfragen etwa in Südafrika und Brasilien über 70 beziehungs-
Information haben sich im Zuge der Corona-                              weise über 60 Prozent der Befragten an, verlässliche Informati-
Pandemie ambivalente Trends gezeigt. Digitale                           onen zum Virusausbruch vor allem über die digitalen Plattfor-
                                                                        men zu beziehen. In Großbritannien und Frankreich waren es
Medien haben einen Schub erfahren. Die Kluft                            nur knapp über 20 Prozent. Über alle untersuchten Länder hin-
zwischen Menschen mit und ohne adäquaten                                weg betrachtet nutzten zum Zeitpunkt der Umfrage insbeson-
                                                                        dere jüngere Menschen die Sozialen Medien für Updates rund
Zugang zum digitalen Raum ist indes größer
                                                                        um das neuartige Coronavirus. 31 32
geworden.

So wie frühere Krisen hat auch die Corona-Pandemie zu einem
erhöhten Orientierungsbedarf und einer steigenden Nach-                       Informations-Ökosysteme
frage nach verlässlichen Informationen geführt. Die Nutzung
von Nachrichtenmedien hat im Jahr 2020 weltweit und gene-                     Menschen kommen auf unterschiedlichsten Wegen an
rationsübergreifend zugenommen. Zu Beginn der Pandemie                        Nachrichten. Um die jeweiligen Informations-Umge-
haben sich die Menschen vor allem großen Nachrichtenorga-                     bungen, in denen sie sich bewegen, in den Blick zu neh-
nisationen zugewandt, um an Informationen über das Infekti-                   men, hat es sich in den vergangenen Jahren durchge-
onsgeschehen zu kommen. In vielen Ländern stieg der TV-Kon-                   setzt, von Informations-Ökosystemen zu sprechen. Die
sum deutlich.28 Aber auch die Nutzung Sozialer Medien nahm                    Medien-NGO Internews schlägt vor, diese als Systeme zu
stark zu, wenn es um Informationen über Covid-19 ging.29                      verstehen, die sowohl die notwendige Infrastruktur als
                                                                              auch Geräte sowie Produktions- und Nutzungsweisen
                                                                              umfasst. Kurz: alle sozialen Beziehungen, durch die Infor-
Vertrauen in die Medien:                                                      mation zwischen Menschen zirkuliert. In dieser Betrach-
ambivalente Trends                                                            tungsweise wird die Relevanz von Information deutlich.
                                                                              Internews zieht einen Vergleich mit der Energieversor-
Im Vergleich zum Vorjahr ist während des ersten Pandemie-                     gung: „Ein Mangel macht alles schwieriger.“32
Jahres 2020 das Vertrauen in die Medien im globalen Durch-
schnitt um 2 Prozentpunkte gestiegen. Das ergab das Edel-                     So wie Informations-Ökosysteme von Land zu Land stark
man Trust Barometer, eine jährliche repräsentative Befragung,                 variieren können, unterscheiden sich Mediennutzung
die 2020 in 27 Ländern durchgeführt wurde. Aber das Bild ist                  und Zugang zu Informationen in der Regel auch zwi-
uneinheitlich: In 13 der 27 Ländern der Studie überwiegt der                  schen Bevölkerungsteilen innerhalb eines Landes deut-
Argwohn. Und befragt nach ihrer Bewertung einzelner Infor-                    lich. Unter anderem spielen hier Alter, Geschlecht oder
mationsquellen ging das Vertrauen der Studienteilnehmenden                    Stadt-Land-Gefälle eine Rolle. So nutzen jüngere Men-
im Schnitt zurück. Auf traditionelle Medien verlassen sich nach               schen digitale Medien oft in höherem Maße als die Bevöl-
wie vor deutlich mehr Menschen als auf Soziale Medien. 30                     kerung insgesamt. Frauen und Mädchen verfügen teils
                                                                              über geringeren Zugang zu mobilen Endgeräten; weite
                                                                              Teile der ländlichen Bevölkerung nutzen mitunter das
                                                                              Radio als Hauptinformationsquelle.

28
     Oxford Business Group: How has Covid-19 changed media
     consumption? 2020, https://oxfordbusinessgroup.com/news/
     how-has-covid-19-changed-media-consumption
29
     Nielsen Research: Quarantined Consumers Are Staying Connected      31
                                                                             Edelman Trust Barometer 2020 Special Report Trust and the
     With TV and Social Media, 2020, https://www.nielsen.com/us/en/          Coronavirus, https://www.edelman.com/sites/g/files/aatuss191/
     insights/article/2020/quarantined-consumers-are-bridging-gaps-          files/2020-03/2020%20Edelman%20Trust%20Barometer
     in-social-contact-with-tv-and-social-media/                             %20Coronavirus%20Special%20Report_0.pdf
30
     Edelman Trust Barometer 2021, https://www.edelman.com/sites/       32
                                                                             Internews: Why Information Matters. A Foundation for Resilience,
     g/files/aatuss191/files/2021-01/2021%20Edelman%20Trust                  2015, https://www.internews.org/sites/default/files/resources/
     %20Barometer_Final.pdf                                                  150513-Internews_WhyInformationMatters.pdf

                                     DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive            15
Das mag nach wenig klingen, in den drei Vorjahren waren jedoch
      Anhaltende digitale Spaltung                                         jährliche Steigerungsraten von um die 20 Prozent registriert
      Menschen, die das Internet nutzen: Prozentualer Anteil an der        worden. Die regionalen Unterschiede waren dabei enorm. In
      Gesamtbevölkerung nach Region                                        der am stärksten betroffenen Region Mittelamerika betrug der
                                                                           Rückgang über 26 Prozent – mit potenziell negativen Auswir-
                                                                           kungen insbesondere für benachteiligte Bevölkerungsteile, die
                                                         90,3
                                                                           oft über eine schlechtere technische Ausstattung verfügen. 34
         Nordamerika
                                                        87,2
         Europa                                                            Digitale Ungleichheiten drohen sich zu
                                                 71,5                      verschärfen
         Lateinamerika/Karibik
                                                 70,8                      Die digitale Kluft ist ein vielschichtiges Phänomen mit unter-
                                                                           schiedlichen Ursachen. Zum einen fehlt es insbesondere in
         MENA-Region
                                                                           ländlichen Gebieten an technischer Infrastruktur, vor allem an
                                             67,7                          leistungsfähigen Funknetzen. Zum anderen behindern hohe
         Ozeanien                                                          Kosten den Zugang für weite Teile der Bevölkerung: Über eine
                                           63,2                            Milliarde Menschen weltweit leben in Ländern, in denen ein
         Weltweiter Durchschnitt                                           durchschnittliches Einkommen nicht ausreicht, um sich 1 GB
                                          59,5                             mobiles Breitband-Internet leisten zu können. Zweieinhalb
                                                                           Milliarden Menschen leben in Ländern, in denen das güns-
         Asien
                                                                           tigste Smartphone mehr als ein Viertel des monatlichen Durch-
                                   47,1
                                                                           schnittslohns kostet. 35
         Afrika
                                                                           Zu den wirtschaftlichen Aspekten kommen weitere Ursa-
      Schätzung von Oktober 2020                                           chen hinzu: Bildungsunterschiede, fehlende digitale Ange-
                                                                           bote in lokalen Sprachen, aber auch Ungleichheit zwischen den
Quelle: Internet World Stats, 2020; www.internetworldstats.com/stats.htm   Geschlechtern. Oft sind es Frauen, die benachteiligt sind: So
                                                                           übersteigt in Entwicklungs- und Schwellenländern die Zahl der
                                                                           Männer, die das mobile Internet nutzen, die der Frauen um 300
Trotz Krise: Schub bei Internetnutzung                                     Millionen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Männer in diesen Teilen
                                                                           der Welt ein Smartphone besitzen, ist gegenüber Frauen um 20
Insgesamt hat sich der globale Megatrend hin zu einer zuneh-               Prozent höher. 36
menden Internetnutzung während der Covid-19-Krise fort-
gesetzt. Etwas mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung nutzt
mittlerweile das Internet. Die weltweite Internetbandbreite                Risikofaktor digitale Kluft
hat sich 2020 gegenüber dem Vorjahr um 38 Prozent erhöht.
Zudem hat sich der relative Zuwachs im Vergleich zu den vori-              Die Coronavirus-Pandemie droht, den Graben zwischen Men-
gen Jahren weiter beschleunigt, und zwar insbesondere in                   schen mit und ohne Zugang zur digitalen Sphäre zu vertie-
Entwicklungsländern. 33                                                    fen. Beispiel Bildung: Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP)
                                                                           befürchtet, dass durch Schulschließungen in ärmeren Ländern
Schaut man jedoch nur auf die ersten 6 Monate des Jahres 2020              insbesondere Mädchen abgehängt werden. Grund sind bereits
und auf einzelne Regionen, ergibt sich ein höchst disparates Bild:         bestehende starke geschlechtsspezifische Benachteiligungen
Die erhöhte Nachfrage nach Internetbandbreite – unter dem                  bei der Online-Nutzung. 37
Eindruck von Grenzschließungen, Ausgangssperren und Kon-
taktbeschränkungen – hat in vielen Ländern zu Engpässen bei
der Datenübertragung geführt: Im Schnitt der 114 in einer Stu-
die untersuchten Länder sank die Bandbreite um rund 6 Prozent.             34
                                                                                Cable.co.uk: How global broadband speeds changed during
                                                                                COVID-19 lockdown periods, 2020, https://www.cable.co.uk/
                                                                                broadband/speed/broadband-speeds-covid-19-lockdown/
                                                                           35
                                                                                Alliance for Affordable Internet: 2020 Affordability Report,
                                                                                https://a4ai.org/affordability-report/report/2020/
33
     International Telecommunications Union: Measuring digital             36
                                                                                GSMA: The Mobile Gender Gap Report 2020, https://www.gsma.
     development. Facts and figures 2020, https://www.itu.int/en/               com/mobilefordevelopment/wp-content/uploads/2020/05/
     ITU-D/Statistics/Documents/facts/FactsFigures2020.pdf                      GSMA-The-Mobile-Gender-Gap-Report-2020.pdf

16
2 . MEDIENNUT ZUNG UND ZUG A NG ZU INFOR M AT ION

    Wir müssen die Medienkompetenz                                              Weltweite Zuwächse beim Zugang zum Internet und der Nut-
                                                                                zung Sozialer Medien haben für immer mehr Menschen eine
vieler Gruppen stärken.                                                         nie dagewesene Fülle an Informationen mit sich gebracht. Ihre
Saloua Ghazouani, Article 19 MENA, Tunesien38                                   Navigation hat jedoch viele Individuen vor Herausforderungen
                                                                                gestellt. In einer länderübergreifenden Studie der Friedrich-
                                                                                Naumann-Stiftung gab über die Hälfte der Befragten an, Nach-
37 38
                                                                                richten und Desinformation nur schwer auseinanderzuhalten
                                                                                zu können. Fast drei Viertel alarmierte die Zunahme bewusster
Die digitale Ungleichheit ist zu einem erheblichen Risikofaktor                 Falschmeldungen.43 Vor diesem Hintergrund hat sich die Infor-
in der Pandemie geworden. Zunächst auf individueller Ebene:                     mationsflut als enormes Hindernis für die Bekämpfung der glo-
Benachteiligte Bevölkerungsteile sind einer höheren Anste-                      balen Gesundheitsnotlage entpuppt. Die WHO spricht in die-
ckungsgefahr ausgesetzt, weil sie über weniger digitale Werk-                   sem Zusammenhang von einer „Infodemie“.
zeuge verfügen, durch die sie direkte Kontakte vermeiden können.
                                                                                Das Phänomen sei nicht neu, so die Initiatorin des Informations-
Die Covid-19-Krise verschärft auch die bestehende digitale                      netzwerks für Epidemien bei der WHO, Sylvie Briand, im Inter-
Ungleichheit. Folge: Die Bekämpfung des Virus und die Abmil-                    view für diese Studie. Auch bei früheren Virusausbrüchen habe
derung der Pandemiefolgen werden erschwert. 39 Entspre-                         man mit hohem Informationsaufkommen zu kämpfen gehabt –
chend listet der Global Risks Report, eine jährliche Umfrage im                 darunter viele Gerüchte und Falschmeldungen. Beispielsweise
Auftrag des Weltwirtschaftsforums, die digitale Kluft als kriti-                während der Ebola-Epidemie in Westafrika von 2014 bis 2016.
sche kurzfristige Bedrohung auf. Es bestehe die Gefahr, dass                    Präzedenzlos seien in der Corona-Pandemie jedoch die hohe
breite Schichten digital abgehängt werden.40                                    Geschwindigkeit und Verbreitung schädlicher Information. Das
                                                                                resultiere aus einer vermehrten Nutzung digitaler Medien.44

Zuwächse bei digitaler Mediennutzung,                                           45

Informationsflut
Trotz der digitalen Kluft hat die Coronavirus-Pandemie in vie-
len Ländern den Trend hin zu digitalen Nachrichtenmedien
verstärkt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Verbrei-                         Social-Media-Unternehmen müssen
tung von Printmedien unter Lockdown-Bedingungen schwieri-                       mehr tun, um Hass und schädliche
ger geworden ist.41 Einige Regierungen verboten im Frühjahr
2020 zwischenzeitlich sogar die Produktion und Distribution
                                                                                Information zu bekämpfen.
von Zeitungen – vorgeblich aus Angst vor einem möglichen                        António Guterres, UN-Generalsekretär45
Übertragungsweg.42

37
     UNDP: Gender inequality and the COVID-19 crisis: A Human
     Development perspective, 2020, http://hdr.undp.org/sites/default/
     files/covid-19_and_human_development_-_gender_dashboards_
     final.pdf
38
     Im Interview für diese Studie
39
     Beaunoyer et al.: COVID-19 and digital inequalities: Reciprocal
     impacts and mitigation strategies, 2020, https://doi.org/10.1016/
     j.chb.2020.106424
40
     Edelman Trust Barometer 2021, https://www.edelman.com/sites/               43
                                                                                     Friedrich-Naumann-Stiftung: Globale Studie: Desinformationen
     g/files/aatuss191/files/2021-01/2021%20Edelman%20Trust%20                       durchdringen Gesellschaften weltweit, 2020, https://www.freiheit.
     Barometer_Final.pdf                                                             org/de/freedomfightsfake-globale-studie-desinformationen-
41
     Reuters Institute: Digital News Report 2020, https://reutersinstitute.          durchdringen-gesellschaften-weltweit
     politics.ox.ac.uk/sites/default/files/2020-06/DNR_2020_FINAL.pdf           44
                                                                                     Interview mit Sylvie Briand
42
     Committee to Protect Journalists: Jordan, Oman, Morocco, and               45
                                                                                     UN Secretary-General’s video message on COVID-19 and
     Yemen suspend newspaper production, citing COVID-19 fears, 2020,                Misinformation, 2020, https://www.un.org/sg/en/content/sg/
     https://cpj.org/2020/03/jordan-oman-morocco-and-yemen-                          statement/2020-04-14/secretary-generals-video-message-
     suspend-newspaper-pr/                                                           covid-19-and-misinformation

                                       DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive                17
3
Desinformation
3. DE S INFOR M AT ION

Die Verbreitung von Gerüchten und Falschaus-                                China – das Land, in dem die ersten Covid-19-Fälle aufgetreten
                                                                            sind und das weithin als Ursprungsland des neuartigen Coro-
sagen hat nie dagewesene Ausmaße erreicht.                                  navirus gilt – scheint im Zuge der Pandemie verstärkt auf stra-
Das gilt insbesondere für digitale Medien,                                  tegische Propaganda zu setzten. Die EU hat die chinesische
auch wenn traditionelle Medien und persönli-                                Regierung in einem Atemzug mit Russland beschuldigt, Desin-
                                                                            formationskampagnen zu führen.49
che Gespräche ebenfalls eine Rolle spielen. Im
Folgenden werden verschiedene Aspekte der
                                                                            Digitale Desinformation
Desinformations-Krise, aber auch Lösungsan-
sätze beleuchtet.                                                           Angesichts der Zirkulation von Des- und Fehlinformation ste-
                                                                            hen besonders Unternehmen wie Facebook, YouTube, Twitter
Des- und Fehlinformation können schwerwiegende Konse-                       und Co in der Kritik. Die Formen der Verbreitung über die von
quenzen haben. In der Corona-Krise haben Gerüchte, absicht-                 ihnen betriebenen Social-Media-Plattformen sind dabei viel-
lich gestreute Falschaussagen oder die Verbreitung von Hass                 fältig: von in geschlossenen Chatgruppen gestreuten Gerüch-
die Bemühungen um eine Begrenzung der Pandemie-Auswir-                      ten über einfache Posts im Newsfeed bis hin zu professionell
kungen stark beeinträchtigt. Oft mit fatalen Folgen: Hunderte               gepushtem Marketing-Content.50
Todesfälle sind in Verbindung mit meist über Soziale Medien
verbreiteten falschen Aussagen dokumentiert.46 Auch legen
Studien nahe, dass die Impfbereitschaft abnimmt, wenn Fehl-
information rund ums Thema Impfung rezipiert wird.47                              Infodemie und Desinformation

Die Akteure hinter der Verbreitung von Des- und Fehlinforma-                      „Überangebot an Information“: Um auf die Relevanz von
tion und ihre Beweggründe sind hochgradig divers: besorgte                        akkurater Information für die Bekämpfung von Epide-
Menschen, die arglos Ungeprüftes verbreiten; betrügerische                        mien aufmerksam zu machen, hat die Weltgesundheits-
Geschäftsleute, die sich bereichern wollen; Regierungen, die                      organisation (WHO) den Begriff „Infodemie“ geprägt.
das eigene Missmanagement zu kaschieren versuchen.                                Die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kul-
                                                                                  tur (UNESCO) spricht analog dazu sogar von einer „Des-
Beispiel staatliche Propaganda: Laut einem unveröffentlich-                       infodemie“ – und lenkt den Blick so noch stärker auf die
ten Bericht des US-Außenministeriums tauchten zu Beginn                           Problematik der überbordenden Desinformation rund
der Pandemie ähnliche Motive in Desinformations-Kampag-                           um das Thema Covid-19. Die UNESCO empfiehlt zudem,
nen aus China, Russland und Iran auf. Falsche Darstellungen                       begrifflich zwischen Desinformation (Englisch: disinfor-
seien durch Staatsmedien verbreitet worden, aber auch durch                       mation) und Fehlinformation (Englisch: misinformation)
Online-Regierungskanäle. Beispielsweise habe eine vom russi-                      zu unterscheiden: Desinformation bezeichnet demnach
schen Verteidigungsministerium betriebene Webseite die Ver-                       falsche Aussagen, die absichtlich gemacht werden, um
schwörungstheorie verbreitet, der Milliardär Bill Gates habe                      Menschen, Gruppen, Organisationen oder Staaten zu
mit der Entstehung des neuartigen Coronavirus zu tun.48                           schaden. Fehlinformation bezeichnet Aussagen, die zwar
                                                                                  falsch sind, jedoch nicht mit der Absicht verbreitet wer-
                                                                                  den, Schaden anzurichten.51

                                                                            51

46
     Islam et al.: COVID-19–Related Infodemic and Its Impact on
     Public Health: A Global Social Media Analysis, 2020,
     https://www.ajtmh.org/content/journals/10.4269/ajtmh.20-0812           49
                                                                                 European Commission: Coronavirus: EU strengthens action to
47
     Loomba et al.: Measuring the Impact of Exposure to COVID-19                 tackle disinformation, 2020, https://ec.europa.eu/commission/
     Vaccine Misinformation on Vaccine Intent in the UK and US, 2020,            presscorner/detail/en/ip_20_1006
     https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.10.22.20217513v1.         50
                                                                                 Blackbird.ai: COVID-19 Disinformation Report (Vol. 1), 2020,
     full.pdf; Edelman 2020 (a. a. O.)                                           https://www.blackbird.ai/blog/2020/02/19/covid-19-coronavirus-
48
     Politico: State report: Russian, Chinese and Iranian disinformation         disinformation-report/
     narratives echo one another, 2020, https://www.politico.com/news/      51
                                                                                 UNESCO: Journalism, ‘Fake News’ & Disinformation, 2018,
     2020/04/21/russia-china-iran-disinformation-coronavirus-state-              https://en.unesco.org/sites/default/files/journalism_fake_news_
     department-193107                                                           disinformation_print_friendly_0.pdf

                                         DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive             19
Des- und Fehlinformation: In sechs Wochen um die Welt
     Die globale Ausbreitung eines unwahren Gerüchts über Soziale Medien:
     „Den Atem zehn Sekunden lang anzuhalten ist ein guter Test, um herauszufinden, ob man mit dem Coronavirus infiziert ist“.

     12. bis 25. Februar 2020

     26. Februar bis 10. März 2020

     11. bis 24. März 2020

Quelle: Poynter Institute und CovidInfodemicEurope (Correctiv, AFP, Pagella Politica/Facta, Full Fact and Maldita.es), eigene Darstellung

20
3. DE S INFOR M AT ION

Als wichtiger Faktor gilt das werbegestützte Geschäftsmodell                Ausmaß der Covid-19-Desinfodemie
der Social-Media-Unternehmen. Denn in der Konkurrenz um
                                                                            unüberschaubar
die Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer setzen die
Plattformen auf personalisierte Inhalte, um die Verweildauer                Wie viel Des- und Fehlinformation die Sozialen Medien ihren Nut-
beim jeweiligen Angebot zu maximieren. Dazu schalten sie                    zenden anzeigen, lässt sich kaum einschätzen. Die Unterneh-
zielgruppenspezifische Werbung. Die Basis bilden Datenbank-                 men halten die dazu erforderlichen Daten unter Verschluss. Ein
und Algorithmus-gestützte Entscheidungen darüber, was ein-                  Anhaltspunkt: Für den März 2020 erklärte Facebook, 40 Millionen
zelne Userinnen und User an Posts und Anzeigen zu sehen                     Posts aufgrund fehlender Faktentreue mit Warnhinweisen verse-
bekommen. Die Faktentreue dieser Inhalte ist dabei kein zent-               hen zu haben.54 Eine ungefähr zur gleichen Zeit laufende Studie
rales Kriterium; vielmehr priorisieren die automatisierten Vor-             ergab, dass Facebook fast ein Viertel der von Nutzenden als pro-
schlagssysteme polarisierende und reißerische Inhalte, wenn                 blematisch gemeldeten Inhalte nicht gelöscht hat. Auch Anzei-
das mehr Nutzer-Interaktion auslöst. Die zugrunde liegenden                 gen mit falschen Aussagen zur Wirksamkeit von Mitteln gegen
Algorithmen bleiben als Geschäftsgeheimnis der Plattformen                  das Coronavirus sind von dem Unternehmen akzeptiert worden.
intransparent für Dritte.
                                                                            Schätzungen auf dieser Grundlage haben ergeben, dass Des-
Eine weitere Kategorie von Algorithmen dient dem sogenann-                  und Fehlinformation allein auf Facebook millionenfach zirku-
ten Content Monitoring, der Identifikation von unerlaubten                  liert.55 Untersuchungen zu anderen Plattformen sind zu ver-
Inhalten. Geprüft wird hier, ob Nutzer-Inhalte den Verhaltens-              gleichbaren Ergebnissen gekommen.56 Als problematisch
regeln widersprechen, welche die Plattformen selbst aufge-                  erweist sich zudem, dass es nicht möglich ist, den Erfolg der von
stellt haben. Die Social-Media-Unternehmen haben die Auto-                  den Betreiberfirmen in Aussicht gestellten Maßnahmen zur Ein-
matisierung in diesem Bereich zuletzt ausgebaut.52 Die coro-                dämmung der Desinfodemie unabhängig zu bewerten. Auch
nabedingten Lockdowns in weiten Teilen der Welt im Frühjahr                 hier fehlt es an Transparenz von Seiten der Unternehmen.57
2020 bedeuteten einen Härtetest für das automatisierte Con-
tent-Monitoring in Sozialen Medien. In Folge der Ausgangsbe-
schränkungen konnten viele Angestellte, die die Social-Media-               Reaktionen auf die Desinformations-Krise
Plattformen frei von unliebsamem Content halten, nicht zur
Arbeit kommen. Die in dieser Phase gesammelten Erfahrun-                    Die wichtigsten Plattform-Unternehmen haben mit verschie-
gen mit verstärkt eingesetzten automatischen Filtern haben                  denen Maßnahmen auf die Herausforderungen reagiert. So
gezeigt, dass die Systeme noch nicht ausgereift sind: Die Zahl              schränkt Facebook etwa die Verbreitung von als falsch einge-
der gelöschten Inhalte auf Youtube und Facebook stieg im                    stuften Posts stärker ein. Für die Prüfung von Inhalten ver-
zweiten Quartal 2020 sprunghaft an. Gleichzeitig konnten                    lässt sich das Unternehmen auf externe Organisationen, die
Nutzerinnen und Nutzer nur beschränkt gegen aus ihrer Sicht                 Teil eines 2016 gestarteten Verifikations-Programms sind.58
ungerechtfertigte Löschungen vorgehen.53 54 55                              Außerdem verweist Facebook an prominenter Stelle auf Sei-
                                                                            ten der WHO oder anderer Organisationen mit geprüfter
                                                                            Gesundheitsinformation.59

52
     Ranking Digital Rights: It's Not Just the Content, It's the Business
     Model: Democracy’s Online Speech Challenge, 2020, https://
     d1y8sb8igg2f8e.cloudfront.net/documents/REAL_FINAL-Its_
     Not_ Just_the_Content_Its_the_Business_Model.pdf                       56
                                                                                 UNESCO: Journalism, Press Freedom and Covid-19, 2020, https://
53
     What happened when humans stopped managing social media                     en.unesco.org/sites/default/files/unesco_covid_brief_en.pdf
     content, 2020, https://www.politico.eu/article/facebook-content-       57
                                                                                 UNESCO: The role of judicial operators in the protection and
     moderation-automation/                                                      promotion of the right to freedom of expression: guidelines, 2020,
54
     Facebook: An Update on Our Work to Keep People Informed and                 https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000374208
     Limit Misinformation About COVID-19, 2020, https://about.fb.com/       58
                                                                                 Facebook: Facebook's Third-Party Fact-Checking Program, 2021,
     news/2020/04/covid-19-misinfo-update/                                       https://www.facebook.com/journalismproject/programs/third-
55
     Ranking Digital Rights: Getting to the Source of Infodemics: It’s           party-fact-checking
     the Business Model, 2020, https://d1y8sb8igg2f8e.cloudfront.net/       59
                                                                                 Facebook: An Update on Our Work to Keep People Informed and
     documents/Getting_to_the_Source_of_Infodemics_Its_the_                      Limit Misinformation About COVID-19, 2020, https://about.fb.com/
     Business_Model_2020-05.pdf                                                  news/2020/04/covid-19-misinfo-update/

                                       DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive              21
Digitale Plattformen haben                                              Besondere Verantwortung bei der Bekämpfung von Desinfor-
                                                                            mation übernehmen aber auch spezialisierte Faktencheck-Orga-
Maßnahmen gegen Desinformation                                              nisationen, die Des- und Fehlinformation aufspüren, prüfen und
ergriffen, die oft neue Probleme für die                                    widerlegen.
Meinungsfreiheit schaffen.
                                                                            Ein Beispiel für solche Initiativen ist die 2019 von Rabiu Alhas-
Gustavo Gómez, Observacom, Uruguay60
                                                                            san gegründete Faktencheck-Redaktion GhanaFact. „Als wir
                                                                            starteten, waren wir die einzige Vollzeit-Faktencheck-Organisa-
60
                                                                            tion in Ghana. Und als die Infodemie uns traf, waren wir gerade
                                                                            dabei, unsere Rolle zu verstehen und herauszufinden, welche
Auch Twitter verlinkt auf vertrauenswürdige Seiten und stützt               die effektivsten Strategien im Umgang mit Fehlinformation im
sich zur Prüfung von nutzergeneriertem Inhalt zum Teil auf                  Allgemeinen sind“, so Alhassan im Interview für diese Studie.
externe Partner. Das Unternehmen hat zudem neue Warnhin-                    Die Vernetzung mit dem internationalen Faktencheck-Netz-
weise eingeführt.61 Für Gustavo Gómez von der lateinamerika-                werk IFCN sei sehr hilfreich gewesen. So habe man von Erfah-
nischen Medien-NGO Observacom ist der Ansatz von Twitter                    rungen aus allen Teilen der Welt profitieren können.65
sinnvoller als der von Facebook: Fragwürdige Inhalte zu mar-
kieren, aber nicht zu entfernen, sei besser als Accounts einfach            Das IFCN ist bei der US-amerikanischen Medien-NGO Poynter
zu löschen, wenn sie die Regeln der Plattform verletzen. „Die               angesiedelt. Finanziert haben das Netzwerk seit seiner Grün-
Plattformen sind zu Gate-Keepern geworden, die entscheiden,                 dung 2015 unter anderem verschiedene gemeinnützige Stif-
was wir sehen und was wir nicht sehen“, so Gómez im Interview               tungen, die Digitalkonzerne Google und Facebook sowie das
für diese Studie. Nötig sei mehr demokratische Kontrolle.62                 US-Außenministerium.66 Mitte des Jahres 2020 hat Google ein
                                                                            IFCN-Programm zur Weiterentwicklung von Faktenchecks mit
Die gemeinsame Breitband-Kommission von Internationaler                     1 Million US-Dollar unterstützt.67
Fernmelde-Union (ITU) und UNESCO empfiehlt, für eine effek-
tive Bekämpfung der Desinfodemie mehrere Ebenen der Prob-                   Angesichts der coronabedingten Desinfodemie haben sich
lematik anzugehen: vom Moment der Erstellung und Verbrei-                   beim IFCN unter dem Rubrum #CoronaVirusFacts um die hun-
tung entsprechender Inhalte bis zu ihrer Rezeption. Das vorge-              dert Faktencheck-Initiativen aus über 70 Ländern zusammen-
schlagene Maßnahmenpaket umfasst Monitoring und Fakten-                     geschlossen. Die Allianz pflegt eine Datenbank mit tausenden
prüfung, technische, politische und regulatorische Antworten                Beispielen von Des- und Fehlinformation rund um die Corona-
sowie die Stärkung von Medienkompetenz. Wesentlich sei,                     Pandemie. Oft tauchen ähnliche Falschmeldungen im Lauf der
dass die Ansätze sensibel gegenüber den Grundrechten auf                    Zeit in verschiedenen Ländern auf.68
Meinungsfreiheit und Zugang zu Information sind.63
                                                                            Eine Herausforderung stellen Menschen mit vielen Followerin-
                                                                            nen und Followern in Sozialen Medien dar: Politikerinnen und
Faktenchecks                                                                Politiker und andere Prominente sind offenbar Katalysatoren
                                                                            bei der Verbreitung von Desinformation, da ihre Behauptungen
Auf dem afrikanischen Kontinent, wo das Medium Radio eine                   überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit hervorrufen – auch
vergleichsweise große Rolle spielt, sind es oftmals Radiosen-               nachweislich falsche.69
der, die sich der Desinformationswelle entgegenstemmten. Eine
besondere Rolle spielen dabei Radiomoderatorinnen.64

                                                                            65
                                                                                 Interview mit Rabiu Alhassan
                                                                            66
                                                                                 Poynter.: International Fact-Checking Network Transparency
60
     Im Interview für diese Studie                                               Statement, 2020, https://www.poynter.org/international-fact-
61
     Twitter: Updating our approach to misleading information,                   checking-network-transparency-statement/
     2020, https://blog.twitter.com/en_us/topics/product/2020/              67
                                                                                 Poynter.: The Fact-Checking Development Grant has awarded
     updating-our-approach-to-misleading-information.html                        22 projects in 12 countries. Meet the grant winners, 2020,
62
     Interview mit Gustavo Gómez                                                 https://www.poynter.org/fact-checking/2020/the-fact-checking-
63
     Broadband Commission: Balancing Act: Countering Digital                     development-grant-has-awarded-22-projects-in-12-countries-
     Disinformation While Respecting Freedom of Expression, 2020,                meet-the-grant-winners/
     https://www.broadbandcommission.org/Documents/working-                 68
                                                                                 Poynter.: Fighting the Infodemic: The #CoronaVirusFacts Alliance,
     groups/FoE_Disinfo_Report.pdf                                               2021, https://www.poynter.org/coronavirusfactsalliance/
64
     Reuters: Africa's female journalists use radio to dispel coronavirus   69
                                                                                 Reuters Institute: Types, sources, and claims of COVID-19
     fake news and sexism, 2020, https://www.reuters.com/article/                misinformation, 2020, https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/
     us-health-coronavirus-africa-women-featu-idUSKBN2331TR                      types-sources-and-claims-covid-19-misinformation

22
3. DE S INFOR M AT ION

                                                                          Medienhäuser: Nachholbedarf bei
      Schlaglicht: Faktenchecks in Kolumbien                              Faktencheck-Expertise
      Wie in vielen anderen Ländern auch, reichen coronabezo-             Medienunternehmen haben teils schon vor Jahren Expertise
      gene Falschinformationen in Kolumbien von Hausrezep-                zur Verifizierung von Online-Inhalten aufgebaut, um nutzer-
      ten für den Schutz vor Ansteckung bis hin zu ausgefeilten           generierte Inhalte in ihre Berichterstattung einbinden zu kön-
      Verschwörungstheorien. Ein Beispiel: Einem unwahren                 nen.74 Allerdings sahen viele es nicht als ihre vorderste Auf-
      Gerücht zufolge existiert ein „Covid-Kartell“ aus medizi-           gabe an, die im Internet zirkulierenden Verschwörungsmythen
      nischem Personal, das versucht, Patientinnen und Pati-              zu berichtigen – auch aus Furcht, den kruden Fehlinformatio-
      enten mit dem Corona-Virus zu infizieren, um sie gezielt            nen noch zusätzlich Aufmerksamkeit zu bescheren. Angesichts
      zu töten. Aufgrund der Verschwörungstheorie kam es                  des akuten Schadens, den Fehlinformation rund um Covid-19
      vereinzelt zu Protesten vor Krankenhäusern und medizi-              anrichten kann, ist es zu einem Umdenken gekommen. Aller-
      nischen Einrichtungen.70 Auch Gerüchte zu angeblichen               dings fehlt es in Redaktionen oft an den Ressourcen und der
      Regeländerungen im Lockdown oder zur Länge des Lock-                nötigen Expertise, Gerüchte effektiv zu entkräften, ohne sie
      downs sind verbreitet worden.71 Eine profilierte Influen-           durch die Berichterstattung womöglich zu verstärken.75
      cerin teilte auf ihrem Social-Media-Kanal die Falschinfor-
      mation, Chlordioxid sei ein Heilmittel gegen Covid-19.72            Ein Beispiel für einen Radiosender, der eng mit Faktencheck-
                                                                          Organisationen zusammenarbeitet, ist das palästinensische
      Laut lokalen Expertinnen und Experten ist es nicht                  Radio Nisaa FM. Leiterin Maysoun Gangat betont: „Wir nehmen
      immer leicht, Ketten von Falschinformation in Sozialen              nichts aus Sozialen Medien, das verdächtig aussieht. […] Vor
      Netzwerken nachzuvollziehen; Menschen verbreiteten                  der Veröffentlichung auf unserer Facebook-Seite oder unserer
      Falschaussagen oft gerade dann, wenn sie verunsichert               Webseite fragen wir bei Faktencheck-Organisationen nach. Wir
      seien. Diese emotionale Seite gelte es mit wahrheitsge-             haben aber auch jemanden in der Radio-Redaktion, der sich
      mäßer Information zu durchbrechen, so Pablo Medina,                 besonders gut mit Sozialen Medien auskennt, und beurteilen
      Direktor des Faktencheck-Netzwerks Colombiacheck, im                kann, ob etwas fake ist.“ 76
      Gespräch mit der Konrad-Adenauer-Stiftung. Das von der
      DW Akademie unterstützte Faktencheck-Netzwerk sam-                  GhanaFact teilt seinerseits Erfahrungen mit Faktenchecks mit
      melt und entlarvt Falschinformationen. Ein Fokus liegt              etablierten Medienhäusern. „In den vergangenen Monaten
      seit 2020 auf Des- und Fehlinformation zur Corona-Pan-              haben wir mit traditionellen Medienplattformen zusammenge-
      demie. Colombiacheck kooperiert dazu auch internatio-               arbeitet“, so Gründer Alhassan. Denn über Radio und TV könne
      nal im Rahmen verschiedener Faktencheck-Allianzen.73                man mehr Menschen erreichen. „Wir haben ein Netzwerk von
                                                                          auf Faktenchecks spezialisierten Journalistinnen und Journalis-
                                                                          ten und circa 35 Medienorganisationen in allen 16 Provinzen
                                                                          Ghanas aufgebaut. Ihnen bieten wir an, einige der von uns digi-
70 71 72 73
                                                                          tal produzierten Faktenchecks zu übernehmen.“ 77 78

                                                                              Wir wollen die Zusammenarbeit
                                                                          mit Radio- und TV-Stationen ausbauen,
                                                                          so dass sie Faktenchecks vermehrt
                                                                          weiterverbreiten.
70
     The Bogota Post: Going Local in coronavirus: The Viral versus The
                                                                          Rabiu Alhassan, GhanaFact, Ghana78
     Virus, 2020, https://thebogotapost.com/going-local-in-coronavirus-
     the-viral-versus-the-virus/47019/
71
     UN combats disinformation during pandemic, 2020, https://
     www.un.org/en/un-coronavirus-communications-team/                    74
                                                                               European Journalism Centre: Verification Handbook, 2014, https://
     un-combats-disinformatoin-during-pandemic                                 verificationhandbook.com/downloads/verification.handbook.pdf
72
     Fundación Gabo: ‘Influencers’ que desinforman sobre el corona­       75
                                                                               Nieman Reports: What Role Should Newsrooms Play in Debunking
     virus: ¿qué puede hacer el periodismo? 2021, https://                     COVID-19 Misinformation?, 2020, https://niemanreports.org/
     fundaciongabo.org/es/etica-periodistica/debate/influencers-que-           articles/what-role-should-newsrooms-play-in-debunking-covid-19-
     desinforman-sobre-el-coronavirus-que-puede-hacer-el                       misinformation/
73
     KAS: Covid-19 y Fake News, 2020, https://www.kas.de/de/web/          76
                                                                               Interview mit Maysoun Gangat
     kolumbien/veranstaltungsberichte/detail/-/content/                   77
                                                                               Interview mit Rabiu Alhassan
     expertenrunde-covid-19-und-fake-news-mit-colombia-check              78
                                                                               Im Interview für diese Studie

                                     DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive             23
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