Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive - EDITION DW AK ADEMIE
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EDI T ION DW AK ADEMIE | 202 1 Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive
Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive Alexander Matschke
Impressum HER AUSGEBER AUTOR L AYO U T VERÖFFENTL ICHUNG Deutsche Welle Alexander Matschke Christian Lück Juli 2021 53110 Bonn Germany CO - A U T O R I N N E N / T I TELFOTO CO - A U T O R Picture Alliance/Eddy Peters VER ANT WORTL ICH Johanna Mack (Reporter Abdoulaye Dabo im Carsten von Nahmen Dennis Reineck April 2020 vor dem internationalen Jan Lublinski Roja Zaitoonie Flughafen Dakar, Senegal) © DW Akademie 4
Inhalt Zusammenfassung 7 1. Einleitung: Eine globale Krise 8 2. Mediennutzung und Zugang zu Information 14 3. Desinformation 18 4. Journalismus und wirtschaftliche Tragfähigkeit der Medien 26 5. Repression 34 6. Fazit: Wege zu mehr Resilienz 40 7. Politikempfehlungen 44 8. Anhang 48 DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive 5
Zusammenfassung Die Coronavirus-Pandemie hat sich in weiten Teilen der Welt Die Pandemie hat zudem bereits bestehende strukturelle negativ auf die Meinungs- und Medienfreiheit ausgewirkt. Schwächen moderner Informations-Ökosysteme offengelegt. Betroffen sind viele Partnerländer der deutschen Entwicklungs- Diese Trends erschweren es, die vielschichtigen Herausforde- zusammenarbeit: Menschen können nicht auf relevante Infor- rungen zu bewältigen. Menschen fehlt es an Information, auf mationen zugreifen, unter anderem, weil sie keinen adäqua- deren Grundlage sie risikobewusst handeln können. Einzelne ten Internetzugang haben. Gesellschaften mangelt es an Ori- Bevölkerungsgruppen drohen weiter abgehängt zu werden, entierung, da sie von einer Flut an falschen Nachrichten über- weil sie ihre Anliegen nicht wirksam zum Ausdruck bringen kön- schwemmt werden. Journalistinnen und Journalisten können nen. Gesellschaften können sich nicht umfassend über Wege ihre Arbeit nur unzureichend erledigen, etwa aufgrund wirt- aus der Krise verständigen. schaftlicher Schwierigkeiten der Medienhäuser. Bürgerinnen und Bürger sind von maßgeblichen Daten und Fakten zur Pan- Um entwicklungspolitische Ziele erreichen zu können, braucht demie abgeschnitten – insbesondere, weil Regierungen Nach- es intakte Informations-Ökosysteme: mit allgemeinem Zugang, richten zensieren und unabhängige Berichterstattung unter- professionellen Qualitätsfiltern, unabhängigen Medienunter- binden. Dabei greifen staatliche Stellen vermehrt auf repressive nehmen und freiheitlichen Rahmenbedingungen. Die vorlie- Maßnahmen zurück: sowohl gegenüber Journalistinnen und gende Studie ist mit finanzieller Unterstützung des Bundesmi- Journalisten als auch gegenüber der Bevölkerung insgesamt. nisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung (BMZ) entstanden. Sie enthält Politikempfehlungen, wie die deutsche Entwicklungszusammenarbeit funktionierende Informations-Ökosysteme in Partnerländern stärken kann. DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive 7
1 Einleitung: Eine globale Krise
1. EINLEITUNG: EINE GLOBALE KR ISE Um den Jahreswechsel 2019/2020 sind Berichte über eine Häu- Regierungen gehen manchmal gegen fung schwerer Atemwegserkrankungen in der chinesischen Stadt Wuhan erschienen, ausgelöst durch ein neuartiges Coro- den falschen Feind vor: Der Feind ist nicht navirus. Am 31. Januar 2020 erklärte die Weltgesundheitsor- die Bevölkerung, sondern das Virus. ganisation (WHO) die Ausbreitung des Virus zur Gesundheits- Sylvie Briand, WHO6 notlage von internationaler Tragweite, am 11. März charakteri- sierte sie das Ausbruchsgeschehen als Pandemie.1 6 Seitdem hat die Corona-Krise weltweit enorme Herausforde- Korruption trägt zu diesen Entwicklungen bei: „Länder, die Kor- rungen für die menschliche Entwicklung mit sich gebracht. Der ruption nur unzureichend kontrollieren, verletzen bei ihrem globale Virusausbruch trifft die Menschheit angesichts großer, Umgang mit Covid-19 eher demokratische und menschen- unbewältigter Problemkomplexe: Armut, Hunger, Ungleichheit, rechtliche Standards“, betont die Antikorruptions-NGO Trans- die Überlastung der natürlichen Lebensgrundlagen. parency International.7 Die Situation dürfte dadurch verschärft werden, dass wegen der Corona-Maßnahmen eine wichtige Die durch das Coronavirus ausgelöste Krankheit Covid-19 kann Kontrollinstanz unter erschwerten Bedingungen arbeitet: pro- tödlich verlaufen. Im ersten Jahr seit Erklärung der Gesundheits- fessionelle journalistische Medien. Und das vor dem Hinter- krise zur Pandemie sind weltweit über 2,5 Millionen Menschen grund einer für sie vielerorts bereits schwierigen politischen im Zuge einer Infektion gestorben; über 100 Millionen haben und wirtschaftlichen Gesamtsituation. sich nachweislich infiziert. Die Auswirkungen der Pandemie gehen jedoch weit über die gesundheitliche Dimension hinaus. Meinungs- und Medienfreiheit unter Druck Rückschritte bei Demokratie und Zensur, physische Angriffe, Inhaftierungen von Journalistinnen Governance und Journalisten: In der Pandemie hat sich die Lage der Mei- nungs- und Medienfreiheit in großen Teilen der Welt drama- Regierungen rund um die Welt haben den Notstand in unver- tisch verschlechtert. Beobachterorganisationen haben Hun- hältnismäßiger Weise genutzt, um Freiheitsrechte und gesell- derte entsprechende Fälle registriert.8 Länder, die im jährlichen schaftliche Mitbestimmung einzuschränken.2 Die Erosion Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen (RSF) ohne- demokratischer Systeme – schon vor der Pandemie ein lang- hin auf den hinteren Plätzen liegen, haben Informationen zur jähriger, sich verfestigender Trend – hat sich verschärft. 3 Die Gesundheitskrise in besonderem Maße unterdrückt.9 US-Nichtregierungsorganisation Freedom House hat festge- stellt, dass sich im Jahr 2020 die Bedingungen für Demokra- Laut Freedom House haben 91 Regierungen auf die Covid-19- tie und Menschenrechte in 80 von 192 untersuchten Ländern Lage mit neuen Restriktionen für die Medienberichterstattung verschlechtert haben.4 Die Internationale Stiftung für Wahlsys- reagiert.10 Hinzu kommt die Tragik der Pandemie: Hunderte von teme (IFES) hat über 60 Länder gezählt, in denen Wahlen auf- Journalistinnen und Journalisten sind im ersten Jahr nach dem grund der Corona-Lage verschoben wurden.5 Virusausbruch an einer Corona-Infektion gestorben.11 6 Im Interview für diese Studie 7 Transparency International: Why fighting corruption matters in 1 WHO: Rolling updates on coronavirus disease (COVID-19), 2020, times of COVID-19, 2021, https://www.transparency.org/en/news/ https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus- cpi-2020-research-analysis-why-fighting-corruption-matters-in- 2019/events-as-they-happen times-of-covid-19 2 Varieties of Democracy (V-Dem), Pandemic Backsliding, 2021, 8 International Press Institute: IPI Covid-19 Tracker, fortlaufend, https://www.v-dem.net/en/our-work/research-projects/ https://ipi.media/covid19-media-freedom-monitoring/ pandemic-backsliding/ 9 RSF: 2020 World Press Freedom Index: https://rsf.org/en/2020- 3 Diamond, Larry: Democratic regression in comparative world-press-freedom-index-entering-decisive-decade-journalism- perspective: scope, methods, and causes, 2020, https://www. exacerbated-coronavirus tandfonline.com/doi/full/10.1080/13510347.2020.1807517 10 Freedom House: Special Report 2020, Democracy under Lockdown, 4 Freedom House: Special Report 2020, Democracy under Lockdown, https://freedomhouse.org/report/special-report/2020/democracy- https://freedomhouse.org/report/special-report/2020/democracy- under-lockdown under-lockdown 11 International Journalists´ Network: Nearly 500 journalists have died 5 IFES: Elections Postponed Due to COVID-19, 2021, https://www.ifes. from COVID-19 globally, 2020, https://ijnet.org/en/story/nearly- org/sites/default/files/elections_postponed_due_to_covid-19.pdf 500-journalists-have-died-covid-19-globally DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive 9
Medienfreiheit unter Druck Indikator für Meinungsfreiheit im Bertelsmann Transformationsindex 6,25 6,00 5,75 5,50 5,25 5,00 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 Durchschnittswert der Indikatoren für Meinungsfreiheit in 118 Transformationsländern im Zeitverlauf. Zugrundeliegende Skala: 1 (schlechtester Wert) bis 10 (bester Wert) Quelle: Bertelsmann Stiftung, 2020, bti-project.org, eigene Darstellung Schwerwiegende strukturelle Herausforderungen für die nommen, insbesondere über digitale Kanäle und Endgeräte.15 Medienfreiheit gab es schon vor der aktuellen Krise. Und zwar Sich jedoch wirklich frei und verlässlich informieren und die neben der politischen Restriktion vor allem durch den wirt- eigene Meinung ohne Angst vor Repressalien äußern kön- schaftlich-technologischen Wandel hin zum Digitalen. Die Pan- nen: Das ist nur für einen kleinen Teil der Weltbevölkerung demie verstärkt hier Trends, wirkt aber auch wie ein Brennglas selbstverständlich.16 für ungelöste Probleme.12 Printmedien sind weiter stark unter Druck. Das Beratungsun- Demokratie-, Wirtschafts- und Hungerkrise ternehmen PWC schätzt den globalen Umsatzrückgang des Sektors im Jahr 2020 auf 14,3 Prozent.13 Die verschärfte Demokratiekrise vollzieht sich vor dem Hin- tergrund schwerwiegender Rückschläge für die menschli- Zur gleichen Zeit überschwemmt eine Welle an Desinforma- che Entwicklung, ausgelöst durch die Corona-Pandemie. So tion insbesondere digitale Medien. Der Plattformbetreiber bedroht ein dramatischer Wirtschaftseinbruch viele Entwick- Facebook gab an, allein bis Mitte April 2020 hunderttausende lungserfolge der vergangenen Dekaden. Der Internationale Posts mit falschen Aussagen zu Covid-19 gelöscht zu haben.14 Währungsfonds spricht von der schwersten Rezession seit den Die weltweite Mediennutzung hat unterdessen weiter zuge- 1930er Jahren.17 12 CIMA: Independent Media and the Pandemic. Lessons from the 15 Global Web Index: Coronavirus research March 2020, https:// Global South, 2020, https://www.cima.ned.org/blog/independent- www.globalwebindex.com/hubfs/1.%20Coronavirus%20Research media-and-the-pandemic-lessons-from-the-global-south/ %20PDFs/GWI%20coronavirus%20findings%20March%202020%20- 13 PWC: Global Entertainment & Media Outlook, Segment Findings, %20Multi-Market%20data%20(Release%203).pdf 2020, https://www.pwc.com/gx/en/industries/tmt/media/outlook/ 16 Freedom House: Freedom in the World 2021. Democracy under segment-findings.html Siege, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2021/ 14 Facebook: An Update on Our Work to Keep People Informed and democracy-under-siege Limit Misinformation About COVID-19, 2020, https://about.fb.com/ 17 IMF Annual Report 2020, https://www.imf.org/external/pubs/ft/ news/2020/04/covid-19-misinfo-update/ ar/2020/eng/ 10
1. EINLEITUNG: EINE GLOBALE KR ISE Die extreme Armut hat zum ersten Mal seit der Jahrtausend- Warnungen vor Menschenfeindlichkeit wende wieder zugenommen. Die Weltbank befürchtet, dass und Fragilität 22 23 über 100 Millionen Menschen erstmalig in extreme Armut abrutschen.18 Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) Die Vereinten Nationen haben vielfach vor neuen Wellen an schätzt, dass 2020 die Zahl der weltweit geleisteten Arbeits- Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Hass gewarnt. Es stunden um 8,8 Prozent zurückgegangen ist. Das entspreche bestehe die Gefahr, dass bestimmte ethnische Gruppen zu Sün- 255 Millionen Vollzeitjobs.19 denböcken gemacht würden.24 Angesichts der Pandemie könnte Ziel Nr. 2 der UN-Entwick- Der Schutz vulnerabler Gruppen – etwa Minderheiten, indigene lungsagenda verfehlt werden: den Hunger bis 2030 weltweit zu Bevölkerungsteile oder Migrantinnen und Migranten – sei in beenden. In etlichen Ländern trifft die Corona-Krise auf eine besonderem Maße notwendig.25 bereits sehr ernste Lage bei der Nahrungsmittelsicherheit. Der pandemiebedingte Wirtschaftseinbruch könnte zusätzli- Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- che 80 Millionen Menschen gefährden, schätzt die Welthunger- wicklung (OECD) erwartet, dass die Covid-19-Krise zu mehr hilfe.20 Laut Weltbank haben sich Nahrungsmittel weltweit im gesellschaftlicher Fragilität führt. Gefährdete Gebiete wer- Zeitraum von Januar 2020 bis Januar 2021 um fast 20 Prozent den es noch schwieriger haben, langfristig Frieden, Sicherheit verteuert.21 und Prosperität zu erreichen, prognostiziert die Organisation. Bereits in den Jahren vor der Corona-Krise war die UN-Entwick- lungsagenda bis 2030 in fragilen Staaten nicht vorangekom- Frauen stark betroffen men, inklusive des entscheidenden Ziels 16 für Fortschritte bei Frieden, Gerechtigkeit und starken Institutionen.26 Die Pandemie hat sich auf das Leben nahezu aller Menschen ausgewirkt. Jedoch sind Frauen und Mädchen besonders stark von den Auswirkungen der Coronavirus-Krise betroffen. Das Zu dieser Studie UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) legt dar, dass weltweit 70 Prozent der Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegesek- Die geschilderte weltweite, vielschichtige Krise wird sich – so tor Frauen sind – sie sind daher einem überdurchschnittlichen die zugrunde liegende Annahme dieser Studie – nur bewälti- Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Frauen sind auch im informel- gen lassen, wenn Gesellschaften über funktionierende Infor- len Sektor überrepräsentiert und stärker von krisenbedingten mations-Ökosysteme verfügen. Das heißt, wenn alle Menschen Gehaltseinbußen betroffen als Männer. sich frei aus verlässlichen Quellen informieren können und wenn sie in der Lage sind, ihre Meinung ohne Angst vor Repres- Laut UNDP ist außerdem zu befürchten, dass sich die Gesund- sion auszusprechen. Denn nur so ist eine sinnvolle gesellschaft- heitsversorgung von Müttern und der Zugang zu Verhütungs- liche Verständigung über soziale Belange möglich. Nur so ist mitteln in Folge der Maßnahmen zur Viruseindämmung ver- gewährleistet, dass Gesellschaften Entwicklungspfade betre- schlechtert haben.22 Zudem geht die Organisation davon aus, ten, auf denen niemand zurückgelassen wird. dass die ohnehin schon dramatisch hohe Rate an geschlechts- spezifischer Gewalt gegen Frauen weiter angestiegen ist.23 22 UNDP: Gender-based violence and COVID-19, 2020, https://www. undp.org/content/dam/undp/library/km-qap/undp-gender-GBV_ 18 World Bank: Updated estimates of the impact of COVID-19 on and_COVID-19.pdf global poverty, 2021, https://blogs.worldbank.org/opendata/ 23 UNDP: Gender inequality and the COVID-19 crisis: A Human Devel- updated-estimates-impact-covid-19-global-poverty-looking-back- opment perspective, 2020, http://hdr.undp.org/sites/default/files/ 2020-and-outlook-2021; Dies.: Poverty and Shared Prosperity 2020: covid-19_and_human_development_-_gender_dashboards_final.pdf Reversals of Fortune, https://openknowledge.worldbank.org/ 24 UN News: COVID-19 stoking xenophobia, hate and exclusion, bitstream/handle/10986/34496/9781464816024.pdf minority rights expert warns, 2020, https://news.un.org/en/story/ 19 ILO Monitor: Covid-19 and the world of work, 7th edition, 2021, 2020/03/1060602 https://www.ilo.org/global/about-the-ilo/newsroom/news/ 25 OHCHR: States should take action against COVID-19-related WCMS_766949/lang--en/index.htm expressions of xenophobia, says UN expert, 2020, https:// 20 Welthungerhilfe: Welthunger-Index 2020: Fortschritte und Rück www.ohchr.org/en/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx? schritte, https://www.welthungerhilfe.de/hunger/welthunger-index/ NewsID=25739&LangID=E 21 World Bank: Food Security and COVID-19, 2021, https://www. 26 OECD: States of Fragility 2020, http://www.oecd.org/development/ worldbank.org/en/topic/agriculture/brief/food-security-and-covid-19 states-of-fragility-fa5a6770-en.htm DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive 11
Unabhängige, journalistisch arbeitende Medien spielen hier Zunächst folgt jedoch ein genauerer Blick auf: eine Schlüsselrolle. Im besten Fall stellen sie verlässliche Fak- ten bereit, die allen Menschen zugänglich sind und auf deren Trends bei Medienzugang und -nutzung Grundlage sie sich informieren und eine Meinung bilden kön- Menschen haben sich in der Pandemie verstärkt Nachrichten- nen. Sie schaffen – sowohl national als auch lokal – Problem- quellen zugewendet, die als vertrauenswürdig gelten. Gleich- lösungskapazität, sind zentrale Voraussetzung für Wahlen und zeitig kam es zu einem starken Schub für die Digitalisierung. demokratisches Regieren und wirken als wichtiges Korrektiv Die digitale Kluft hat sich verschärft. gegen Korruption. Herausforderungen durch Desinformation Der Coronavirus-Ausbruch hat ein weiteres Schlaglicht auf die Falschaussagen und Gerüchte zu Covid-19 haben sich als verita- immense Bedeutung freier Medien für Gesellschaften welt- bles Problem für die öffentliche Gesundheit entpuppt. Beson- weit geworfen. Wohl noch nie war akkurate Information für so ders betroffen sind digitale Verbreitungskanäle. Viele Men- viele Menschen so wichtig, ja überlebenswichtig. Kaum jemals schen haben Schwierigkeiten, sich in der digitalen Informati- waren individuelle Entscheidungen so zentral für die Krisenbe- onsumgebung zurechtzufinden. wältigung, war das Vertrauen zwischen Gesellschaft und Regie- rung so unabdingbar. Auswirkungen auf Journalismus und wirtschaftliche Tragfähigkeit von Medien Ziel der vorliegenden Studie ist es zunächst, Auswirkungen der Medienschaffende haben seit Beginn der Pandemie weltweit Coronavirus-Pandemie auf die Situation von Meinungs- und unter schwierigen Bedingungen gearbeitet. Die Wirtschafts- Medienfreiheit sowie den Zugang zu Information im globalen krise hat zu Umsatzeinbußen und Entlassungen durch Medien- Trend zu analysieren. Der Fokus liegt dabei auf Partnerländern häuser geführt. Gleichzeitig musste ein komplexes Wissen- der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Darauf aufbau- schafts-Thema verständlich aufbereitet und korrekt kommuni- end skizziert die Studie Wege, wie eine größere Resilienz von ziert werden. Informations-Ökosystemen unterstützt werden kann. Repression Die Medienfreiheit ist in der Covid-19-Krise massiv unter Druck Vorgehen geraten – durch Zensur, Angriffe auf Journalistinnen und Jour- nalisten oder extensive Online-Überwachung. Grundlage Für diese Studie sind aktuelle Berichte und Untersuchun- waren dafür teils bestehende, teils neu erlassene Gesetze zur gen ausgewertet worden. Insgesamt zwölf Expertinnen und Informationskontrolle. Vielerorts sind Medienschaffende für Experten aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa haben ihre Arbeit im Gefängnis gelandet. in Hintergrundgesprächen wichtige Einblicke vermittelt. Sie verfügen über spezielle Kenntnisse in Journalismus, Medien- management, Meinungsfreiheit und Medienentwicklung, ins- 27 besondere in Partnerländern der deutschen Entwicklungszu- sammenarbeit. Ihre Einsichten sind vor allem in die Kapitel zu Corona besiegen wir nur gemeinsam Desinformation, zu Journalismus und wirtschaftlicher Tragfä- higkeit der Medien sowie zu Repression eingeflossen, während in der Welt – oder gar nicht. In diesen sich das Eingangskapitel zu Medienzugang- und Nutzung eher Zeiten müssen wir auch neue Wege gehen. auf aktuelle Daten und Umfrageergebnisse anderer Organisa- Die Digitalisierung bietet uns die Chance, tionen stützt. in kurzer Zeit kreative Antworten auf Ein Kreis aus vier anerkannten Vertreterinnen und Vertre- Herausforderungen der Krise zu finden. tern der Medienentwicklungs-Fachcommunity hat schließlich Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche durch Anregungen und Kritik zum hier vorliegenden Ergebnis Zusammenarbeit und Entwicklung27 beigetragen. Zum Abschluss der Studie sind konkrete politische Handlungs- empfehlungen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Medienbereich formuliert worden, die auf eine Stärkung funktionsfähiger Informations-Ökosysteme in Partnerländern abzielen. 27 BMZ: Drohnen liefern Sanitätsartikel in Malawi: BMZ prämiert digitale Lösungen für Corona-Krise, 2020, https://www.bmz.de/ de/aktuelles/drohnen-liefern-sanitaetsartikel-in-malawi-29492 12
1. EINLEITUNG: EINE GLOBALE KR ISE DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive 13
2 Mediennutzung und Zugang zu Information
2 . MEDIENNUT ZUNG UND ZUG A NG ZU INFOR M AT ION Vertrauen, Digitalisierung, Medienkompetenz: Auch bei der Mediennutzung in der Pandemie bestehen große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern: So gaben bei Bei der Mediennutzung und dem Zugang zu Umfragen etwa in Südafrika und Brasilien über 70 beziehungs- Information haben sich im Zuge der Corona- weise über 60 Prozent der Befragten an, verlässliche Informati- Pandemie ambivalente Trends gezeigt. Digitale onen zum Virusausbruch vor allem über die digitalen Plattfor- men zu beziehen. In Großbritannien und Frankreich waren es Medien haben einen Schub erfahren. Die Kluft nur knapp über 20 Prozent. Über alle untersuchten Länder hin- zwischen Menschen mit und ohne adäquaten weg betrachtet nutzten zum Zeitpunkt der Umfrage insbeson- dere jüngere Menschen die Sozialen Medien für Updates rund Zugang zum digitalen Raum ist indes größer um das neuartige Coronavirus. 31 32 geworden. So wie frühere Krisen hat auch die Corona-Pandemie zu einem erhöhten Orientierungsbedarf und einer steigenden Nach- Informations-Ökosysteme frage nach verlässlichen Informationen geführt. Die Nutzung von Nachrichtenmedien hat im Jahr 2020 weltweit und gene- Menschen kommen auf unterschiedlichsten Wegen an rationsübergreifend zugenommen. Zu Beginn der Pandemie Nachrichten. Um die jeweiligen Informations-Umge- haben sich die Menschen vor allem großen Nachrichtenorga- bungen, in denen sie sich bewegen, in den Blick zu neh- nisationen zugewandt, um an Informationen über das Infekti- men, hat es sich in den vergangenen Jahren durchge- onsgeschehen zu kommen. In vielen Ländern stieg der TV-Kon- setzt, von Informations-Ökosystemen zu sprechen. Die sum deutlich.28 Aber auch die Nutzung Sozialer Medien nahm Medien-NGO Internews schlägt vor, diese als Systeme zu stark zu, wenn es um Informationen über Covid-19 ging.29 verstehen, die sowohl die notwendige Infrastruktur als auch Geräte sowie Produktions- und Nutzungsweisen umfasst. Kurz: alle sozialen Beziehungen, durch die Infor- Vertrauen in die Medien: mation zwischen Menschen zirkuliert. In dieser Betrach- ambivalente Trends tungsweise wird die Relevanz von Information deutlich. Internews zieht einen Vergleich mit der Energieversor- Im Vergleich zum Vorjahr ist während des ersten Pandemie- gung: „Ein Mangel macht alles schwieriger.“32 Jahres 2020 das Vertrauen in die Medien im globalen Durch- schnitt um 2 Prozentpunkte gestiegen. Das ergab das Edel- So wie Informations-Ökosysteme von Land zu Land stark man Trust Barometer, eine jährliche repräsentative Befragung, variieren können, unterscheiden sich Mediennutzung die 2020 in 27 Ländern durchgeführt wurde. Aber das Bild ist und Zugang zu Informationen in der Regel auch zwi- uneinheitlich: In 13 der 27 Ländern der Studie überwiegt der schen Bevölkerungsteilen innerhalb eines Landes deut- Argwohn. Und befragt nach ihrer Bewertung einzelner Infor- lich. Unter anderem spielen hier Alter, Geschlecht oder mationsquellen ging das Vertrauen der Studienteilnehmenden Stadt-Land-Gefälle eine Rolle. So nutzen jüngere Men- im Schnitt zurück. Auf traditionelle Medien verlassen sich nach schen digitale Medien oft in höherem Maße als die Bevöl- wie vor deutlich mehr Menschen als auf Soziale Medien. 30 kerung insgesamt. Frauen und Mädchen verfügen teils über geringeren Zugang zu mobilen Endgeräten; weite Teile der ländlichen Bevölkerung nutzen mitunter das Radio als Hauptinformationsquelle. 28 Oxford Business Group: How has Covid-19 changed media consumption? 2020, https://oxfordbusinessgroup.com/news/ how-has-covid-19-changed-media-consumption 29 Nielsen Research: Quarantined Consumers Are Staying Connected 31 Edelman Trust Barometer 2020 Special Report Trust and the With TV and Social Media, 2020, https://www.nielsen.com/us/en/ Coronavirus, https://www.edelman.com/sites/g/files/aatuss191/ insights/article/2020/quarantined-consumers-are-bridging-gaps- files/2020-03/2020%20Edelman%20Trust%20Barometer in-social-contact-with-tv-and-social-media/ %20Coronavirus%20Special%20Report_0.pdf 30 Edelman Trust Barometer 2021, https://www.edelman.com/sites/ 32 Internews: Why Information Matters. A Foundation for Resilience, g/files/aatuss191/files/2021-01/2021%20Edelman%20Trust 2015, https://www.internews.org/sites/default/files/resources/ %20Barometer_Final.pdf 150513-Internews_WhyInformationMatters.pdf DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive 15
Das mag nach wenig klingen, in den drei Vorjahren waren jedoch Anhaltende digitale Spaltung jährliche Steigerungsraten von um die 20 Prozent registriert Menschen, die das Internet nutzen: Prozentualer Anteil an der worden. Die regionalen Unterschiede waren dabei enorm. In Gesamtbevölkerung nach Region der am stärksten betroffenen Region Mittelamerika betrug der Rückgang über 26 Prozent – mit potenziell negativen Auswir- kungen insbesondere für benachteiligte Bevölkerungsteile, die 90,3 oft über eine schlechtere technische Ausstattung verfügen. 34 Nordamerika 87,2 Europa Digitale Ungleichheiten drohen sich zu 71,5 verschärfen Lateinamerika/Karibik 70,8 Die digitale Kluft ist ein vielschichtiges Phänomen mit unter- schiedlichen Ursachen. Zum einen fehlt es insbesondere in MENA-Region ländlichen Gebieten an technischer Infrastruktur, vor allem an 67,7 leistungsfähigen Funknetzen. Zum anderen behindern hohe Ozeanien Kosten den Zugang für weite Teile der Bevölkerung: Über eine 63,2 Milliarde Menschen weltweit leben in Ländern, in denen ein Weltweiter Durchschnitt durchschnittliches Einkommen nicht ausreicht, um sich 1 GB 59,5 mobiles Breitband-Internet leisten zu können. Zweieinhalb Milliarden Menschen leben in Ländern, in denen das güns- Asien tigste Smartphone mehr als ein Viertel des monatlichen Durch- 47,1 schnittslohns kostet. 35 Afrika Zu den wirtschaftlichen Aspekten kommen weitere Ursa- Schätzung von Oktober 2020 chen hinzu: Bildungsunterschiede, fehlende digitale Ange- bote in lokalen Sprachen, aber auch Ungleichheit zwischen den Quelle: Internet World Stats, 2020; www.internetworldstats.com/stats.htm Geschlechtern. Oft sind es Frauen, die benachteiligt sind: So übersteigt in Entwicklungs- und Schwellenländern die Zahl der Männer, die das mobile Internet nutzen, die der Frauen um 300 Trotz Krise: Schub bei Internetnutzung Millionen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Männer in diesen Teilen der Welt ein Smartphone besitzen, ist gegenüber Frauen um 20 Insgesamt hat sich der globale Megatrend hin zu einer zuneh- Prozent höher. 36 menden Internetnutzung während der Covid-19-Krise fort- gesetzt. Etwas mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung nutzt mittlerweile das Internet. Die weltweite Internetbandbreite Risikofaktor digitale Kluft hat sich 2020 gegenüber dem Vorjahr um 38 Prozent erhöht. Zudem hat sich der relative Zuwachs im Vergleich zu den vori- Die Coronavirus-Pandemie droht, den Graben zwischen Men- gen Jahren weiter beschleunigt, und zwar insbesondere in schen mit und ohne Zugang zur digitalen Sphäre zu vertie- Entwicklungsländern. 33 fen. Beispiel Bildung: Das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) befürchtet, dass durch Schulschließungen in ärmeren Ländern Schaut man jedoch nur auf die ersten 6 Monate des Jahres 2020 insbesondere Mädchen abgehängt werden. Grund sind bereits und auf einzelne Regionen, ergibt sich ein höchst disparates Bild: bestehende starke geschlechtsspezifische Benachteiligungen Die erhöhte Nachfrage nach Internetbandbreite – unter dem bei der Online-Nutzung. 37 Eindruck von Grenzschließungen, Ausgangssperren und Kon- taktbeschränkungen – hat in vielen Ländern zu Engpässen bei der Datenübertragung geführt: Im Schnitt der 114 in einer Stu- die untersuchten Länder sank die Bandbreite um rund 6 Prozent. 34 Cable.co.uk: How global broadband speeds changed during COVID-19 lockdown periods, 2020, https://www.cable.co.uk/ broadband/speed/broadband-speeds-covid-19-lockdown/ 35 Alliance for Affordable Internet: 2020 Affordability Report, https://a4ai.org/affordability-report/report/2020/ 33 International Telecommunications Union: Measuring digital 36 GSMA: The Mobile Gender Gap Report 2020, https://www.gsma. development. Facts and figures 2020, https://www.itu.int/en/ com/mobilefordevelopment/wp-content/uploads/2020/05/ ITU-D/Statistics/Documents/facts/FactsFigures2020.pdf GSMA-The-Mobile-Gender-Gap-Report-2020.pdf 16
2 . MEDIENNUT ZUNG UND ZUG A NG ZU INFOR M AT ION Wir müssen die Medienkompetenz Weltweite Zuwächse beim Zugang zum Internet und der Nut- zung Sozialer Medien haben für immer mehr Menschen eine vieler Gruppen stärken. nie dagewesene Fülle an Informationen mit sich gebracht. Ihre Saloua Ghazouani, Article 19 MENA, Tunesien38 Navigation hat jedoch viele Individuen vor Herausforderungen gestellt. In einer länderübergreifenden Studie der Friedrich- Naumann-Stiftung gab über die Hälfte der Befragten an, Nach- 37 38 richten und Desinformation nur schwer auseinanderzuhalten zu können. Fast drei Viertel alarmierte die Zunahme bewusster Die digitale Ungleichheit ist zu einem erheblichen Risikofaktor Falschmeldungen.43 Vor diesem Hintergrund hat sich die Infor- in der Pandemie geworden. Zunächst auf individueller Ebene: mationsflut als enormes Hindernis für die Bekämpfung der glo- Benachteiligte Bevölkerungsteile sind einer höheren Anste- balen Gesundheitsnotlage entpuppt. Die WHO spricht in die- ckungsgefahr ausgesetzt, weil sie über weniger digitale Werk- sem Zusammenhang von einer „Infodemie“. zeuge verfügen, durch die sie direkte Kontakte vermeiden können. Das Phänomen sei nicht neu, so die Initiatorin des Informations- Die Covid-19-Krise verschärft auch die bestehende digitale netzwerks für Epidemien bei der WHO, Sylvie Briand, im Inter- Ungleichheit. Folge: Die Bekämpfung des Virus und die Abmil- view für diese Studie. Auch bei früheren Virusausbrüchen habe derung der Pandemiefolgen werden erschwert. 39 Entspre- man mit hohem Informationsaufkommen zu kämpfen gehabt – chend listet der Global Risks Report, eine jährliche Umfrage im darunter viele Gerüchte und Falschmeldungen. Beispielsweise Auftrag des Weltwirtschaftsforums, die digitale Kluft als kriti- während der Ebola-Epidemie in Westafrika von 2014 bis 2016. sche kurzfristige Bedrohung auf. Es bestehe die Gefahr, dass Präzedenzlos seien in der Corona-Pandemie jedoch die hohe breite Schichten digital abgehängt werden.40 Geschwindigkeit und Verbreitung schädlicher Information. Das resultiere aus einer vermehrten Nutzung digitaler Medien.44 Zuwächse bei digitaler Mediennutzung, 45 Informationsflut Trotz der digitalen Kluft hat die Coronavirus-Pandemie in vie- len Ländern den Trend hin zu digitalen Nachrichtenmedien verstärkt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Verbrei- Social-Media-Unternehmen müssen tung von Printmedien unter Lockdown-Bedingungen schwieri- mehr tun, um Hass und schädliche ger geworden ist.41 Einige Regierungen verboten im Frühjahr 2020 zwischenzeitlich sogar die Produktion und Distribution Information zu bekämpfen. von Zeitungen – vorgeblich aus Angst vor einem möglichen António Guterres, UN-Generalsekretär45 Übertragungsweg.42 37 UNDP: Gender inequality and the COVID-19 crisis: A Human Development perspective, 2020, http://hdr.undp.org/sites/default/ files/covid-19_and_human_development_-_gender_dashboards_ final.pdf 38 Im Interview für diese Studie 39 Beaunoyer et al.: COVID-19 and digital inequalities: Reciprocal impacts and mitigation strategies, 2020, https://doi.org/10.1016/ j.chb.2020.106424 40 Edelman Trust Barometer 2021, https://www.edelman.com/sites/ 43 Friedrich-Naumann-Stiftung: Globale Studie: Desinformationen g/files/aatuss191/files/2021-01/2021%20Edelman%20Trust%20 durchdringen Gesellschaften weltweit, 2020, https://www.freiheit. Barometer_Final.pdf org/de/freedomfightsfake-globale-studie-desinformationen- 41 Reuters Institute: Digital News Report 2020, https://reutersinstitute. durchdringen-gesellschaften-weltweit politics.ox.ac.uk/sites/default/files/2020-06/DNR_2020_FINAL.pdf 44 Interview mit Sylvie Briand 42 Committee to Protect Journalists: Jordan, Oman, Morocco, and 45 UN Secretary-General’s video message on COVID-19 and Yemen suspend newspaper production, citing COVID-19 fears, 2020, Misinformation, 2020, https://www.un.org/sg/en/content/sg/ https://cpj.org/2020/03/jordan-oman-morocco-and-yemen- statement/2020-04-14/secretary-generals-video-message- suspend-newspaper-pr/ covid-19-and-misinformation DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive 17
3 Desinformation
3. DE S INFOR M AT ION Die Verbreitung von Gerüchten und Falschaus- China – das Land, in dem die ersten Covid-19-Fälle aufgetreten sind und das weithin als Ursprungsland des neuartigen Coro- sagen hat nie dagewesene Ausmaße erreicht. navirus gilt – scheint im Zuge der Pandemie verstärkt auf stra- Das gilt insbesondere für digitale Medien, tegische Propaganda zu setzten. Die EU hat die chinesische auch wenn traditionelle Medien und persönli- Regierung in einem Atemzug mit Russland beschuldigt, Desin- formationskampagnen zu führen.49 che Gespräche ebenfalls eine Rolle spielen. Im Folgenden werden verschiedene Aspekte der Digitale Desinformation Desinformations-Krise, aber auch Lösungsan- sätze beleuchtet. Angesichts der Zirkulation von Des- und Fehlinformation ste- hen besonders Unternehmen wie Facebook, YouTube, Twitter Des- und Fehlinformation können schwerwiegende Konse- und Co in der Kritik. Die Formen der Verbreitung über die von quenzen haben. In der Corona-Krise haben Gerüchte, absicht- ihnen betriebenen Social-Media-Plattformen sind dabei viel- lich gestreute Falschaussagen oder die Verbreitung von Hass fältig: von in geschlossenen Chatgruppen gestreuten Gerüch- die Bemühungen um eine Begrenzung der Pandemie-Auswir- ten über einfache Posts im Newsfeed bis hin zu professionell kungen stark beeinträchtigt. Oft mit fatalen Folgen: Hunderte gepushtem Marketing-Content.50 Todesfälle sind in Verbindung mit meist über Soziale Medien verbreiteten falschen Aussagen dokumentiert.46 Auch legen Studien nahe, dass die Impfbereitschaft abnimmt, wenn Fehl- information rund ums Thema Impfung rezipiert wird.47 Infodemie und Desinformation Die Akteure hinter der Verbreitung von Des- und Fehlinforma- „Überangebot an Information“: Um auf die Relevanz von tion und ihre Beweggründe sind hochgradig divers: besorgte akkurater Information für die Bekämpfung von Epide- Menschen, die arglos Ungeprüftes verbreiten; betrügerische mien aufmerksam zu machen, hat die Weltgesundheits- Geschäftsleute, die sich bereichern wollen; Regierungen, die organisation (WHO) den Begriff „Infodemie“ geprägt. das eigene Missmanagement zu kaschieren versuchen. Die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kul- tur (UNESCO) spricht analog dazu sogar von einer „Des- Beispiel staatliche Propaganda: Laut einem unveröffentlich- infodemie“ – und lenkt den Blick so noch stärker auf die ten Bericht des US-Außenministeriums tauchten zu Beginn Problematik der überbordenden Desinformation rund der Pandemie ähnliche Motive in Desinformations-Kampag- um das Thema Covid-19. Die UNESCO empfiehlt zudem, nen aus China, Russland und Iran auf. Falsche Darstellungen begrifflich zwischen Desinformation (Englisch: disinfor- seien durch Staatsmedien verbreitet worden, aber auch durch mation) und Fehlinformation (Englisch: misinformation) Online-Regierungskanäle. Beispielsweise habe eine vom russi- zu unterscheiden: Desinformation bezeichnet demnach schen Verteidigungsministerium betriebene Webseite die Ver- falsche Aussagen, die absichtlich gemacht werden, um schwörungstheorie verbreitet, der Milliardär Bill Gates habe Menschen, Gruppen, Organisationen oder Staaten zu mit der Entstehung des neuartigen Coronavirus zu tun.48 schaden. Fehlinformation bezeichnet Aussagen, die zwar falsch sind, jedoch nicht mit der Absicht verbreitet wer- den, Schaden anzurichten.51 51 46 Islam et al.: COVID-19–Related Infodemic and Its Impact on Public Health: A Global Social Media Analysis, 2020, https://www.ajtmh.org/content/journals/10.4269/ajtmh.20-0812 49 European Commission: Coronavirus: EU strengthens action to 47 Loomba et al.: Measuring the Impact of Exposure to COVID-19 tackle disinformation, 2020, https://ec.europa.eu/commission/ Vaccine Misinformation on Vaccine Intent in the UK and US, 2020, presscorner/detail/en/ip_20_1006 https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.10.22.20217513v1. 50 Blackbird.ai: COVID-19 Disinformation Report (Vol. 1), 2020, full.pdf; Edelman 2020 (a. a. O.) https://www.blackbird.ai/blog/2020/02/19/covid-19-coronavirus- 48 Politico: State report: Russian, Chinese and Iranian disinformation disinformation-report/ narratives echo one another, 2020, https://www.politico.com/news/ 51 UNESCO: Journalism, ‘Fake News’ & Disinformation, 2018, 2020/04/21/russia-china-iran-disinformation-coronavirus-state- https://en.unesco.org/sites/default/files/journalism_fake_news_ department-193107 disinformation_print_friendly_0.pdf DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive 19
Des- und Fehlinformation: In sechs Wochen um die Welt Die globale Ausbreitung eines unwahren Gerüchts über Soziale Medien: „Den Atem zehn Sekunden lang anzuhalten ist ein guter Test, um herauszufinden, ob man mit dem Coronavirus infiziert ist“. 12. bis 25. Februar 2020 26. Februar bis 10. März 2020 11. bis 24. März 2020 Quelle: Poynter Institute und CovidInfodemicEurope (Correctiv, AFP, Pagella Politica/Facta, Full Fact and Maldita.es), eigene Darstellung 20
3. DE S INFOR M AT ION Als wichtiger Faktor gilt das werbegestützte Geschäftsmodell Ausmaß der Covid-19-Desinfodemie der Social-Media-Unternehmen. Denn in der Konkurrenz um unüberschaubar die Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer setzen die Plattformen auf personalisierte Inhalte, um die Verweildauer Wie viel Des- und Fehlinformation die Sozialen Medien ihren Nut- beim jeweiligen Angebot zu maximieren. Dazu schalten sie zenden anzeigen, lässt sich kaum einschätzen. Die Unterneh- zielgruppenspezifische Werbung. Die Basis bilden Datenbank- men halten die dazu erforderlichen Daten unter Verschluss. Ein und Algorithmus-gestützte Entscheidungen darüber, was ein- Anhaltspunkt: Für den März 2020 erklärte Facebook, 40 Millionen zelne Userinnen und User an Posts und Anzeigen zu sehen Posts aufgrund fehlender Faktentreue mit Warnhinweisen verse- bekommen. Die Faktentreue dieser Inhalte ist dabei kein zent- hen zu haben.54 Eine ungefähr zur gleichen Zeit laufende Studie rales Kriterium; vielmehr priorisieren die automatisierten Vor- ergab, dass Facebook fast ein Viertel der von Nutzenden als pro- schlagssysteme polarisierende und reißerische Inhalte, wenn blematisch gemeldeten Inhalte nicht gelöscht hat. Auch Anzei- das mehr Nutzer-Interaktion auslöst. Die zugrunde liegenden gen mit falschen Aussagen zur Wirksamkeit von Mitteln gegen Algorithmen bleiben als Geschäftsgeheimnis der Plattformen das Coronavirus sind von dem Unternehmen akzeptiert worden. intransparent für Dritte. Schätzungen auf dieser Grundlage haben ergeben, dass Des- Eine weitere Kategorie von Algorithmen dient dem sogenann- und Fehlinformation allein auf Facebook millionenfach zirku- ten Content Monitoring, der Identifikation von unerlaubten liert.55 Untersuchungen zu anderen Plattformen sind zu ver- Inhalten. Geprüft wird hier, ob Nutzer-Inhalte den Verhaltens- gleichbaren Ergebnissen gekommen.56 Als problematisch regeln widersprechen, welche die Plattformen selbst aufge- erweist sich zudem, dass es nicht möglich ist, den Erfolg der von stellt haben. Die Social-Media-Unternehmen haben die Auto- den Betreiberfirmen in Aussicht gestellten Maßnahmen zur Ein- matisierung in diesem Bereich zuletzt ausgebaut.52 Die coro- dämmung der Desinfodemie unabhängig zu bewerten. Auch nabedingten Lockdowns in weiten Teilen der Welt im Frühjahr hier fehlt es an Transparenz von Seiten der Unternehmen.57 2020 bedeuteten einen Härtetest für das automatisierte Con- tent-Monitoring in Sozialen Medien. In Folge der Ausgangsbe- schränkungen konnten viele Angestellte, die die Social-Media- Reaktionen auf die Desinformations-Krise Plattformen frei von unliebsamem Content halten, nicht zur Arbeit kommen. Die in dieser Phase gesammelten Erfahrun- Die wichtigsten Plattform-Unternehmen haben mit verschie- gen mit verstärkt eingesetzten automatischen Filtern haben denen Maßnahmen auf die Herausforderungen reagiert. So gezeigt, dass die Systeme noch nicht ausgereift sind: Die Zahl schränkt Facebook etwa die Verbreitung von als falsch einge- der gelöschten Inhalte auf Youtube und Facebook stieg im stuften Posts stärker ein. Für die Prüfung von Inhalten ver- zweiten Quartal 2020 sprunghaft an. Gleichzeitig konnten lässt sich das Unternehmen auf externe Organisationen, die Nutzerinnen und Nutzer nur beschränkt gegen aus ihrer Sicht Teil eines 2016 gestarteten Verifikations-Programms sind.58 ungerechtfertigte Löschungen vorgehen.53 54 55 Außerdem verweist Facebook an prominenter Stelle auf Sei- ten der WHO oder anderer Organisationen mit geprüfter Gesundheitsinformation.59 52 Ranking Digital Rights: It's Not Just the Content, It's the Business Model: Democracy’s Online Speech Challenge, 2020, https:// d1y8sb8igg2f8e.cloudfront.net/documents/REAL_FINAL-Its_ Not_ Just_the_Content_Its_the_Business_Model.pdf 56 UNESCO: Journalism, Press Freedom and Covid-19, 2020, https:// 53 What happened when humans stopped managing social media en.unesco.org/sites/default/files/unesco_covid_brief_en.pdf content, 2020, https://www.politico.eu/article/facebook-content- 57 UNESCO: The role of judicial operators in the protection and moderation-automation/ promotion of the right to freedom of expression: guidelines, 2020, 54 Facebook: An Update on Our Work to Keep People Informed and https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000374208 Limit Misinformation About COVID-19, 2020, https://about.fb.com/ 58 Facebook: Facebook's Third-Party Fact-Checking Program, 2021, news/2020/04/covid-19-misinfo-update/ https://www.facebook.com/journalismproject/programs/third- 55 Ranking Digital Rights: Getting to the Source of Infodemics: It’s party-fact-checking the Business Model, 2020, https://d1y8sb8igg2f8e.cloudfront.net/ 59 Facebook: An Update on Our Work to Keep People Informed and documents/Getting_to_the_Source_of_Infodemics_Its_the_ Limit Misinformation About COVID-19, 2020, https://about.fb.com/ Business_Model_2020-05.pdf news/2020/04/covid-19-misinfo-update/ DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive 21
Digitale Plattformen haben Besondere Verantwortung bei der Bekämpfung von Desinfor- mation übernehmen aber auch spezialisierte Faktencheck-Orga- Maßnahmen gegen Desinformation nisationen, die Des- und Fehlinformation aufspüren, prüfen und ergriffen, die oft neue Probleme für die widerlegen. Meinungsfreiheit schaffen. Ein Beispiel für solche Initiativen ist die 2019 von Rabiu Alhas- Gustavo Gómez, Observacom, Uruguay60 san gegründete Faktencheck-Redaktion GhanaFact. „Als wir starteten, waren wir die einzige Vollzeit-Faktencheck-Organisa- 60 tion in Ghana. Und als die Infodemie uns traf, waren wir gerade dabei, unsere Rolle zu verstehen und herauszufinden, welche Auch Twitter verlinkt auf vertrauenswürdige Seiten und stützt die effektivsten Strategien im Umgang mit Fehlinformation im sich zur Prüfung von nutzergeneriertem Inhalt zum Teil auf Allgemeinen sind“, so Alhassan im Interview für diese Studie. externe Partner. Das Unternehmen hat zudem neue Warnhin- Die Vernetzung mit dem internationalen Faktencheck-Netz- weise eingeführt.61 Für Gustavo Gómez von der lateinamerika- werk IFCN sei sehr hilfreich gewesen. So habe man von Erfah- nischen Medien-NGO Observacom ist der Ansatz von Twitter rungen aus allen Teilen der Welt profitieren können.65 sinnvoller als der von Facebook: Fragwürdige Inhalte zu mar- kieren, aber nicht zu entfernen, sei besser als Accounts einfach Das IFCN ist bei der US-amerikanischen Medien-NGO Poynter zu löschen, wenn sie die Regeln der Plattform verletzen. „Die angesiedelt. Finanziert haben das Netzwerk seit seiner Grün- Plattformen sind zu Gate-Keepern geworden, die entscheiden, dung 2015 unter anderem verschiedene gemeinnützige Stif- was wir sehen und was wir nicht sehen“, so Gómez im Interview tungen, die Digitalkonzerne Google und Facebook sowie das für diese Studie. Nötig sei mehr demokratische Kontrolle.62 US-Außenministerium.66 Mitte des Jahres 2020 hat Google ein IFCN-Programm zur Weiterentwicklung von Faktenchecks mit Die gemeinsame Breitband-Kommission von Internationaler 1 Million US-Dollar unterstützt.67 Fernmelde-Union (ITU) und UNESCO empfiehlt, für eine effek- tive Bekämpfung der Desinfodemie mehrere Ebenen der Prob- Angesichts der coronabedingten Desinfodemie haben sich lematik anzugehen: vom Moment der Erstellung und Verbrei- beim IFCN unter dem Rubrum #CoronaVirusFacts um die hun- tung entsprechender Inhalte bis zu ihrer Rezeption. Das vorge- dert Faktencheck-Initiativen aus über 70 Ländern zusammen- schlagene Maßnahmenpaket umfasst Monitoring und Fakten- geschlossen. Die Allianz pflegt eine Datenbank mit tausenden prüfung, technische, politische und regulatorische Antworten Beispielen von Des- und Fehlinformation rund um die Corona- sowie die Stärkung von Medienkompetenz. Wesentlich sei, Pandemie. Oft tauchen ähnliche Falschmeldungen im Lauf der dass die Ansätze sensibel gegenüber den Grundrechten auf Zeit in verschiedenen Ländern auf.68 Meinungsfreiheit und Zugang zu Information sind.63 Eine Herausforderung stellen Menschen mit vielen Followerin- nen und Followern in Sozialen Medien dar: Politikerinnen und Faktenchecks Politiker und andere Prominente sind offenbar Katalysatoren bei der Verbreitung von Desinformation, da ihre Behauptungen Auf dem afrikanischen Kontinent, wo das Medium Radio eine überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit hervorrufen – auch vergleichsweise große Rolle spielt, sind es oftmals Radiosen- nachweislich falsche.69 der, die sich der Desinformationswelle entgegenstemmten. Eine besondere Rolle spielen dabei Radiomoderatorinnen.64 65 Interview mit Rabiu Alhassan 66 Poynter.: International Fact-Checking Network Transparency 60 Im Interview für diese Studie Statement, 2020, https://www.poynter.org/international-fact- 61 Twitter: Updating our approach to misleading information, checking-network-transparency-statement/ 2020, https://blog.twitter.com/en_us/topics/product/2020/ 67 Poynter.: The Fact-Checking Development Grant has awarded updating-our-approach-to-misleading-information.html 22 projects in 12 countries. Meet the grant winners, 2020, 62 Interview mit Gustavo Gómez https://www.poynter.org/fact-checking/2020/the-fact-checking- 63 Broadband Commission: Balancing Act: Countering Digital development-grant-has-awarded-22-projects-in-12-countries- Disinformation While Respecting Freedom of Expression, 2020, meet-the-grant-winners/ https://www.broadbandcommission.org/Documents/working- 68 Poynter.: Fighting the Infodemic: The #CoronaVirusFacts Alliance, groups/FoE_Disinfo_Report.pdf 2021, https://www.poynter.org/coronavirusfactsalliance/ 64 Reuters: Africa's female journalists use radio to dispel coronavirus 69 Reuters Institute: Types, sources, and claims of COVID-19 fake news and sexism, 2020, https://www.reuters.com/article/ misinformation, 2020, https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/ us-health-coronavirus-africa-women-featu-idUSKBN2331TR types-sources-and-claims-covid-19-misinformation 22
3. DE S INFOR M AT ION Medienhäuser: Nachholbedarf bei Schlaglicht: Faktenchecks in Kolumbien Faktencheck-Expertise Wie in vielen anderen Ländern auch, reichen coronabezo- Medienunternehmen haben teils schon vor Jahren Expertise gene Falschinformationen in Kolumbien von Hausrezep- zur Verifizierung von Online-Inhalten aufgebaut, um nutzer- ten für den Schutz vor Ansteckung bis hin zu ausgefeilten generierte Inhalte in ihre Berichterstattung einbinden zu kön- Verschwörungstheorien. Ein Beispiel: Einem unwahren nen.74 Allerdings sahen viele es nicht als ihre vorderste Auf- Gerücht zufolge existiert ein „Covid-Kartell“ aus medizi- gabe an, die im Internet zirkulierenden Verschwörungsmythen nischem Personal, das versucht, Patientinnen und Pati- zu berichtigen – auch aus Furcht, den kruden Fehlinformatio- enten mit dem Corona-Virus zu infizieren, um sie gezielt nen noch zusätzlich Aufmerksamkeit zu bescheren. Angesichts zu töten. Aufgrund der Verschwörungstheorie kam es des akuten Schadens, den Fehlinformation rund um Covid-19 vereinzelt zu Protesten vor Krankenhäusern und medizi- anrichten kann, ist es zu einem Umdenken gekommen. Aller- nischen Einrichtungen.70 Auch Gerüchte zu angeblichen dings fehlt es in Redaktionen oft an den Ressourcen und der Regeländerungen im Lockdown oder zur Länge des Lock- nötigen Expertise, Gerüchte effektiv zu entkräften, ohne sie downs sind verbreitet worden.71 Eine profilierte Influen- durch die Berichterstattung womöglich zu verstärken.75 cerin teilte auf ihrem Social-Media-Kanal die Falschinfor- mation, Chlordioxid sei ein Heilmittel gegen Covid-19.72 Ein Beispiel für einen Radiosender, der eng mit Faktencheck- Organisationen zusammenarbeitet, ist das palästinensische Laut lokalen Expertinnen und Experten ist es nicht Radio Nisaa FM. Leiterin Maysoun Gangat betont: „Wir nehmen immer leicht, Ketten von Falschinformation in Sozialen nichts aus Sozialen Medien, das verdächtig aussieht. […] Vor Netzwerken nachzuvollziehen; Menschen verbreiteten der Veröffentlichung auf unserer Facebook-Seite oder unserer Falschaussagen oft gerade dann, wenn sie verunsichert Webseite fragen wir bei Faktencheck-Organisationen nach. Wir seien. Diese emotionale Seite gelte es mit wahrheitsge- haben aber auch jemanden in der Radio-Redaktion, der sich mäßer Information zu durchbrechen, so Pablo Medina, besonders gut mit Sozialen Medien auskennt, und beurteilen Direktor des Faktencheck-Netzwerks Colombiacheck, im kann, ob etwas fake ist.“ 76 Gespräch mit der Konrad-Adenauer-Stiftung. Das von der DW Akademie unterstützte Faktencheck-Netzwerk sam- GhanaFact teilt seinerseits Erfahrungen mit Faktenchecks mit melt und entlarvt Falschinformationen. Ein Fokus liegt etablierten Medienhäusern. „In den vergangenen Monaten seit 2020 auf Des- und Fehlinformation zur Corona-Pan- haben wir mit traditionellen Medienplattformen zusammenge- demie. Colombiacheck kooperiert dazu auch internatio- arbeitet“, so Gründer Alhassan. Denn über Radio und TV könne nal im Rahmen verschiedener Faktencheck-Allianzen.73 man mehr Menschen erreichen. „Wir haben ein Netzwerk von auf Faktenchecks spezialisierten Journalistinnen und Journalis- ten und circa 35 Medienorganisationen in allen 16 Provinzen Ghanas aufgebaut. Ihnen bieten wir an, einige der von uns digi- 70 71 72 73 tal produzierten Faktenchecks zu übernehmen.“ 77 78 Wir wollen die Zusammenarbeit mit Radio- und TV-Stationen ausbauen, so dass sie Faktenchecks vermehrt weiterverbreiten. 70 The Bogota Post: Going Local in coronavirus: The Viral versus The Rabiu Alhassan, GhanaFact, Ghana78 Virus, 2020, https://thebogotapost.com/going-local-in-coronavirus- the-viral-versus-the-virus/47019/ 71 UN combats disinformation during pandemic, 2020, https:// www.un.org/en/un-coronavirus-communications-team/ 74 European Journalism Centre: Verification Handbook, 2014, https:// un-combats-disinformatoin-during-pandemic verificationhandbook.com/downloads/verification.handbook.pdf 72 Fundación Gabo: ‘Influencers’ que desinforman sobre el corona 75 Nieman Reports: What Role Should Newsrooms Play in Debunking virus: ¿qué puede hacer el periodismo? 2021, https:// COVID-19 Misinformation?, 2020, https://niemanreports.org/ fundaciongabo.org/es/etica-periodistica/debate/influencers-que- articles/what-role-should-newsrooms-play-in-debunking-covid-19- desinforman-sobre-el-coronavirus-que-puede-hacer-el misinformation/ 73 KAS: Covid-19 y Fake News, 2020, https://www.kas.de/de/web/ 76 Interview mit Maysoun Gangat kolumbien/veranstaltungsberichte/detail/-/content/ 77 Interview mit Rabiu Alhassan expertenrunde-covid-19-und-fake-news-mit-colombia-check 78 Im Interview für diese Studie DW Akademie Coronavirus-Pandemie: Auswirkungen auf die Medienfreiheit in globaler Perspektive 23
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