Cyberchondrie - ein modernes Symptom? - Gesundheitsängste und Internet

Die Seite wird erstellt Stephan Kuhlmann
 
WEITER LESEN
Cyberchondrie - ein modernes Symptom? - Gesundheitsängste und Internet
Gesundheitsängste und Internet

Cyberchondrie – ein modernes
Symptom?

Den mittlerweile nahezu flächendeckenden Zugang zum Internet nutzen immer mehr Patienten als
Möglichkeit für gesundheitsbezogene Recherchen im World Wide Web. Allerdings können so selbst
allgemein verbreitete Symptome nach einer Webrecherche als ernsthafte Krankheiten fehlinterpre-
tiert werden. In der Folge können solche Suchsitzungen zu unnötiger Angst, Zeitinvestition und
kostenintensiver Konsultation von Ärzten führen.
CHRISTIANE EICHENBERG UND CAROLIN WOLTERS, WIEN

                                                                                    Die Recherche
                                                                                    kann in vielen Fäl-
                                                                                    len hilfreich sein,
                                                                                    die Suche im Inter-
                                                                                    net birgt aber die
                                                                                    Gefahr einer
                                                                                    Intensivierung
                                                                                    gesundheitlicher
                                                                                    Sorgen.

                                                                                                                       ©© Getty Images/iStockphoto

28                                                                                NeuroTransmitter   2013; 24 (7-8)
Fortbildung

 28 C
     yberchondrie – ein modernes             36 Syndromspezifische                                      ME Frontotemporale lobäre
                                                                                                      46 C
    Symptom?                                      und ganzheitliche                                      Degenerationen
    Gesundheitsängste und Internet               Adolenzentenpsychiatrie                                 Erste Symptome unspezifisch –
                                                  Reifungskrisen – Teil 2                                Frühstadium häufig nicht
 33 Wachstumsstörungen unter
                                                                                                         erkannt
    Therapie mit Methylphenidat?              42 K
                                                  opfschmerzen bei Epilepsie
    Arzneimittel in der                          und Hemispastik                                      52 CME Fragebogen
     psychiatrischen Praxis                      Neurologische Kasuistik

D
        ie andauernde Beschäftigung mit      cyberchondriac-349809.html). In einem                  und Horvitz können solche Suchsitzun-
        der Möglichkeit, an einer ernst-     Artikel wurde damit die umfassende                     gen zu unnötiger Angst, Zeitinvestition
        haften Krankheit zu leiden wird      Nutzung von Gesundheitsseiten im In-                   und kostenintensiver Konsultation von
als „Hypochondrie“ bezeichnet. Laut          ternet beschrieben, die zu einer Verstär-              Ärzten führen. Die Ergebnisse einer Be-
ICD-10 ist eine hypochondrische Stö-         kung von Gesundheitsängsten führen                     fragung und einer groß angelegten Ana-
rung mit der Interpretation körperlicher     könne. Auch die BBC berichtete kurz da-                lyse der Nutzungsdaten einer Suchma-
Wahrnehmungen als abnorm sowie der           rauf vom Phänomen der Cyberchondrie                    schine unter Microsoft-Angestellten be-
Manifestation körperlicher Symptome          (http://news.bbc.co.uk/2/hi/health/                    stätigten diese Annahmen. Einer weite-
assoziiert [1].                              1274438.stm). Die erste systematische                  ren US-amerikanischen Online-Studie
   Heutzutage findet die Beschäftigung       Untersuchung zur Cyberchondrie wur-                    zufolge [5] wächst mit steigender Ge-
mit gesundheitlichen Problemen zuneh-        de 2009 von den amerikanischen Mi-                     sundheitsangst der Zusammenhang
mend auch im Internet statt. Einer be-       crosoft-Wissenschaftlern Ryen White                    zwischen dem Ausmaß an Onlinere-
völkerungsrepräsentativen Studie zufol-      und Eric Horvitz durchgeführt [4]. Nach                cherchen und Terminvereinbarungen
ge greifen 63,5 % der deutschen Internet-    Meinung der Autoren wird die gesund-                   bei Ärzten. Personen mit einem gerin-
nutzer bei Gesundheitsfragen auf das In-     heitsbezogene Internetrecherche häufig                 gen Ausmaß an Gesundheitsangst, die
ternet zurück [2]. Die Möglichkeiten,        im Sinne einer diagnostischen Methode                  häufig gesundheitsbezogene Recherche
sich gesundheitsbezogene Informatio-         genutzt, bei der aus der Reihenfolge und               im Internet anstellen, hatten demnach
nen zu beschaffen, reichen dabei von         dem Informationsgehalt der Ergebnisse                  im Jahr vor der Befragung signifikant
Suchmaschinenrecherchen über Inter-          diagnostische Schlussfolgerungen gezo-                 seltener einen Arzt aufgesucht als Perso-
netforen, in denen sich Laien unterein-      gen würden. Selbst allgemein verbreitete               nen mit einer stärker ausgeprägten Ge-
ander oder mit Experten austauschen          Symptome könnten somit in Folge einer                  sundheitsangst.
können, bis hin zu Gesundheitsportalen,      Webrecherche als ernsthafte Krankhei-                    Insgesamt tauchen zunehmend häufi-
die spezifische Gesundheitsinformatio-       ten fehlinterpretiert werden. Laut White               ger Menschen in Arztpraxen auf, die
nen aufbereiten. In einer Telefonbefra-
gung in den USA waren 86 % der Teil-
nehmer der Meinung, ihren Informa­
tionsbedarf bei vergangenen Gesund-           Posting: Verunsicherung durch medizinische Online-Information
heitsrecherchen im Internet gedeckt zu
haben [3].                                    Im nachfolgenden Posting, auf das der Ratsuchende in einem medizinischen Laienforum
                                              innerhalb von einigen Stunden ein knappes Dutzend widersprüchliche Antworten bekam,
Zum Begriff „Cyberchondrie“                   illustriert die Problematik der Verunsicherung durch online recherchierten Gesundheits-
Obwohl die Recherche in vielen Fällen         informationen .
hilfreich sein kann, birgt die Suche im       „Hallo, also mich hat eine Zecke gebissen und mich verunsichert das ganze ziemlich. Ich habe schon
Internet die Gefahr einer Intensivierung       meinen gesamten Körper abgesucht, aber es war anscheinend nur eine Zecke, die sich in meinem
gesundheitlicher Sorgen. Dieses Phäno-         Intimbereich fest gebissen hatte. Ich denke sie hat mich erst vor etwa 12 bis 16 Stunden gebissen,
men wurde bereits als „Cyberchondrie“          aber es ist halt ein blödes Gefühl, wenn ich weiß, dass ich erst in einigen Tagen/Wochen/Monaten/
bezeichnet [4] und definiert sich als eine     Jahren erkranken könnte. Habe die Zecke jedenfalls mit einer Zeckenklammer (oder wie sich das be-
unbegründete Angst oder erhöhte Auf-           zeichnet) entfernen wollen, die Zecke war aber leider noch zu klein. Habe es dann letztendlich mit
merksamkeit auf ernste Krankheiten,            einer Pinzette hinbekommen. Jetzt ist meine Frage an euch: Sollte ich zum Arzt gehen? Habe die
die auf der Zurkenntnisnahme von Web-          Stelle schon desinfiziert, ein wenig Blut ausgedrückt aber trotzdem (...). Wie hoch ist die Wahr-
inhalten basiert.                              scheinlichkeit, dass ich erkranke oder überhaupt irgendwelche Symptome auftreten? Also ich
  Die englische Zeitung „The Indepen-          mach mir gerade wegen der Zeit viele Gedanken und dachte ihr könnt mir vielleicht ein paar Zah-
dent“ verwendete den Begriff der Cyber­        len liefern, weil es später ja schlecht fest zu stellen ist, ob es eine normale Grippe ist oder von dem
chondria erstmals 2001 (www.indepen-           Zeckenbiss kommt. Also ich bedanke mich schon mal für jede Antwort.“
dent.ie/unsorted/features/are-you-a-

NeuroTransmitter   2013; 24 (7-8)                                                                                                                  29
Fortbildung                 Gesundheitsängste und Internet

aufgrund der online recherchierten Ge-                          ner Online-Angebote deutlich höher zu                             sultieren dabei scheinbar alle der abge-
sundheitsinformationen verunsichert                             liegen als in der Allgemeinbevölkerung,                           fragten Gesundheitsangebote häufiger
sind [6] (siehe auch Posting).                                  in der eine Prävalenz von 6,7 % für                               als Personen mit gering ausgeprägter
                                                                Hypo­chondrie angenommen wird [10].                               Gesundheitsangst (Abbildung 1).

Erste Studie in Deutschland                                     Frage 2: Wie häufig frequentieren hypo-                           Frage 3: Wie beurteilen hypochondrische
Mittlerweile liegt eine erste deutsche                          chondrische und nicht hypochondrische                             und nicht hypochondrische Nutzer gesund-
Studie zum Zusammenhang zwischen                                Nutzer welche gesundheitsbezogenen                                heitsbezogener Internetangebote die An-
gesundheitsbezogener Internetrecher-                            Internetdienste?                                                  gebote jeweils hinsichtlich ihrer Informati-
che und Hypochondrie vor, die drei For-                         Gut die Hälfte der Studienteilnehmer                              onsqualität, ihrem Potenzial Ängste zu
schungsfragen bei 471 Nutzern (weib-                            gab ab, das Internet im letzten Jahr mehr                         lindern und ihrer Auswirkungen auf das
lich: 84,5 %; männlich: 15,5%; Alter: M                         als zehnmal konsultiert zu haben, um                              eigene Gesundheitsverhalten?
= 40 Jahre, SD = 13,3) verschiedener Ge-                        Informationen über akute oder chroni-                             Im Allgemeinen wurden professionelle
sundheitsforen im Internet empirisch                            sche Erkrankungen zu erhalten. Die als                            Gesundheitsportale, Online-Beratungen
untersuchte (siehe Ergebnisse) [7, 8]. Mit                      hypochondrisch klassifizierten Nutzer                             und der Austausch mit anderen Betrof-
Hilfe eines selbst entwickelten Fragebo-                        suchen nach eigenen Angaben signifi-                              fenen hinsichtlich ihrer Informations-
gens und der Illness Attitudes Scale                            kant häufiger im Internet nach eigenen                            qualität als verlässlicher bewertet als bei-
(IAS) in deutscher Übersetzung [9] zur                          akuten und chronischen Symptomen                                  spielsweise Videoportale oder Online-
Erfassung klinisch relevanter Gesund-                           und Beschwerden anderer (z. B. von Fa-                            Diagnosesysteme sowie Webseiten von
heitsängste sollten die Nutzer von Ge-                          milienangehörigen) als nicht hypochon-                            Pharmaherstellern, denen eher miss-
sundheitsangeboten im Internet ent-                             drische Nutzer.                                                   traut wird (Tabelle 1). Ebenso scheinen
sprechend der Forschungsfragen charak-                             Bezüglich der verschiedenen Online-                            letztere bei gesundheitlichen Fragen so-
terisiert werden.                                               Gesundheitsdienste gaben die Befragten                            gar eine beunruhigende Wirkung auf In-
                                                                insgesamt an, gesundheitsbezogene Fo-                             ternetnutzer zu haben (Tabelle 2). Da-
Ergebnisse                                                      ren am häufigsten aufzusuchen. Andere                             hingegen wurden beispielsweise Online-
                                                                Gesundheitsdienste im Internet wie                                Beratungen und vor allem der Aus-
Frage 1: Wie stark ist das Ausmaß der                           zum Beispiel Online-Enzyklopädien,                                tausch mit anderen Betroffenen in Foren
Gesundheitsängste von Nutzern gesund-                           Websites von Pharmaherstellern, profes-                           als Ängste lindernd beschrieben.
heitsbezogener Internetangebote?                                sionelle Gesundheitsportale oder On-                                 Bezüglich der eingeschätzten Infor-
 Nach der IAS ließen sich gut 10% der Be-                       line-Beratungsangebote von medizini-                              mationsqualität zeigten sich Gruppen-
 fragten als hypochondrisch einstufen,                          schen Experten sind als Ratgeber bei Ge-                          unterschiede: Als hypochondrisch ein-
 während sich knapp 15 % der Gruppe                             sundheitsfragen dem Austausch mit an-                             gestufte Personen schätzten die Infor-
„Verdacht auf Hypochondrie“ zugeordnet                          deren (betroffenen) Laien also nachge-                            mationsgüte der meisten Online-Ge-
 werden konnten. Der Anteil gesund-                             ordnet. Online-Diagnosesysteme und                                sundheitsdienste höher ein als die wenig
 heitsängstlicher Personen scheint somit                        Videoplattformen werden am seltensten                             gesundheitsängstlichen. Allerdings un-
 unter den Nutzern gesundheitsbezoge-                           genutzt. Hypochondrische Nutzer kon-                              terschieden sich die beiden Gruppen
                                                                                                                                  nicht bei der Beurteilung der Dienste
                                                                                                                                  hinsichtlich ihres Potenzials, krank-
                                                                                             – Abbildung 1 –                      heitsbezogene Ängste zu lindern.
                                                                                                                                     Des Weiteren wurden mögliche Aus-
                                                                 Hypochonder    Nicht-Hypochonder
                                                                                                                                  wirkungen auf das Gesundheitsverhal-
                                                                                                                                  ten infolge einer Internetrecherche nach
       Austausch mit anderen Betroffenen (z.B. via Foren)
                                                                                                                                  Gesundheitsproblemen erfragt. Die
                                        Online-Beratung                                                                           wahrscheinlichste Reaktion auf die On-
                                                                                                                                  line-Suche stellt nach Angaben der Be-
                       Webseiten von Pharmaherstellern
                                                                                                                                  fragten das Aufsuchen eines Arztes dar.
             Private Webseiten von Ärzten oder Experten                                                                           Ebenfalls wahrscheinlich sei ein Ge-
                      Professionelle Gesundheitsportale                                                                           spräch mit Angehörigen oder Freunden,
                                                                                                                                  während beispielsweise das Unterlassen
                                  Online-Enzyklopädien
                                                                                                                                  ungesunder Verhaltensweisen als eher
                               Online-Diagnosesysteme                                                                             unwahrscheinlich eingeschätzt wurde.
                                                                                                                                  Alle abgefragten Verhaltensweisen als
                                                                                                               ©© C. Eichenberg

                                            Videoportale
                                                                                                                                  mögliche Reaktion auf die Rezeption
                                                            0        20        40       60          80                            von Gesundheitsinformationen im In-
                                                                                                                                  ternet, einschließlich destruktiver Selbst-
Anteil der Hypochonder und Nicht-Hypochonder (in %), die die erfragten                                                            behandlungsmaßnahmen wie dem Be-
Online-Gesundheitsdienste wöchentlich oder häufiger nutzen.                                                                       stellen von Medikamenten oder der In-

30                                                                                                                                                NeuroTransmitter   2013; 24 (7-8)
Gesundheitsängste und Internet           Fortbildung

tensivierung gesundheitsbezogener On-      nungen in den Objektbeziehungen hin-         Richtung objektbezogenen Dialog zu er-
line-Aktivitäten, wurden von hypochon-     weisen kann (Dialog mit dem Körper           weitern, das heißt, Auflösung der Fixie-
drischen Personen als wahrscheinlicher     anstatt mit Objekten). Ebenso können         rung auf das Körpersein in die Selbstre-
eingeschätzt.                              hypochondrische Ängste auch der Aus-         gulation von Körpersein und -haben
                                           druck unbewusster Fantasien sein, in         (ausführlich zur Überblick psychoana-
Überlegungen zur Ätiopathogenese           denen körperliche Zustände ein krankes       lytischer Theorien zur Hypochondrie
der Cyberchondrie                          Objekt repräsentieren, mit dem identifi-     siehe [11]).
Der Entstehung der Cyberchondrie lie-      katorisch Nähe hergestellt wird. Auch           In Anlehnung an das kognitiv-beha-
gen vermutlich ähnliche äthiopathoge-      kann die intensive beziehungsweise           viorale Modell nach Beck wird die hypo-
netische Faktoren und Prozesse zugrun-     zwanghafte Beschäftigung mit dem Kör-        chondrische Störung als eine extreme
de wie der Entstehung der Hypochon-        per der Abwehr von Angst vor Selbstzer-      Ausprägung von Angst gesehen, die sich
drie. Es existieren unterschiedliche Mo-   fall dienen. Insgesamt kann das Internet     auf eine Bedrohung der Gesundheit be-
delle in Abhängigkeit der jeweiligen       in diesem Kontext auch für die Krank-        zieht. Die Sorge um körperliche Unver-
therapeutischen Schule. Aus psychody-      heit als bedeutsamer Raum fungieren,         sehrtheit ist verständlicherweise weit
namischer Perspektive wird die Hypo-       der aufgrund seiner Charakteristika ei-      verbreitet. Dem Modell zufolge interpre-
chondrie je nach psychoanalytischer        nen Zwischenraum zwischen psychi-            tieren Personen mit Hypochondrie je-
Schule triebpsychologisch oder in Ver-     scher Innenwelt und realer Außenwelt         doch harmlose Körpersignale als Anzei-
bindung mit der Objektbeziehungsthe-       darstellt. Damit kann einerseits trotz der   chen einer schweren Krankheit [12]. Die-
orie beziehungsweise der Selbstpsycho-     vermeintlichen Kommunikation mit an-         sen Katastrophisierungen liegen allge-
logie erklärt. So wird der Hypochondrie    deren (über die befürchtete Krankheit)       meine Annahmen über Gesundheit und
zum Beispiel eine narzisstische Kompo-     der Dialog rein selbstbezüglich bleiben.     Krankheit zugrunde, die häufig aus per-
nente zugeschrieben aufgrund des           Andererseits kann über die krankheits-       sönlichen Erfahrungen, beispielsweise
selbstzentrierten Aufmerksamkeitsfo-       bezogene Kommunikation auch ermög-           der Krankheit eines nahen Angehörigen,
kus, was gleichzeitig auf Mangelerschei-   licht werden, den selbstbezogenen in         hervorgehen [13]. So kann eine Annah-

                                                                                                                         Anzeige

NeuroTransmitter   2013; 24 (7-8)                                                                                          31
Fortbildung               Gesundheitsängste und Internet

                                                                                         – Tabelle 1 –    ausgegangen werden, dass die Internet-
 Beurteilung der Online-Gesundheitsangebote                                                               nutzung psychische Störungen (wie Hy-
                                                                                                          pochondrie oder Cyberchondrie) erzeugt,
 (Informationsqualität)
                                                                                                          sondern hier vielmehr als Katalysator
 Art des Online-Gesundheitsangebots                M                           SD                         fungiert. Das Internet kann zum Aus-
 Online-Beratung                                   1,97                        0,81                       drucksfeld psychischer Störungen wer-
 Professionelle Gesundheitsportale                 1,87                        0,69                       den sowie bestehende seelische Probleme
                                                                                                          verstärken (aber so eben auch lindern).
 Austausch mit anderen Betroffenen                 1,77                        0,81
                                                                                                             Insgesamt sollten psychotherapeuti-
 (z. B. via Foren)
                                                                                                          sche Interventionen ätiologieorientiert
 Private Webseiten von Ärzten oder                 1,74                        0,77                       und in enger Zusammenarbeit mit den
 Experten                                                                                                 primär betreuenden Hausärzten erfol-
 Online-Enzyklopädien                              1,73                        0,78                       gen (für die grundsätzlichen Empfeh-
 Webseiten von Pharmaherstellern                   1,26                        0,86                       lungen im Umgang mit somatoformen
                                                                                                          Patienten siehe die entsprechende S3-
 Online-Diagnosesysteme                            0,82                        0,79
                                                                                                          Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für
 Videoportale                                      0,53                        0,71                       Psychosomatische Medizin und Ärztli-
 0= unzuverlässig; 3= verlässlich; M = Mittelwert; SD = Standardabweichung                                che Psychotherapie e. V., DGPM und des
                                                                                                          Deutschen Kollegiums für Psychosoma-
                                                                                                          tische Medizin, 2012 [17]). Je nach zu-
                                                                                                          grunde liegender Ätiologie der Cyber-
                                                                                         – Tabelle 2 –    chondrie (z. B. Sozialisationsbedingun-
                                                                                                          gen oder traumatische Erlebnisse) wird
 Beurteilung der Online-Gesundheitsangebote hinsichtlich
                                                                                                          dann entsprechend eher konfliktorien-
 ihres Potenzials Ängste zu lindern
                                                                                                          tiert, traumatherapeutisch oder kogni-
 Art des Online-Gesundheitsangebots                M                          SD                          tiv-behavioral behandelt [18]. Allerdings
 Austausch mit anderen Betroffenen                 1,94                       0,83                        empfiehlt es sich ätiologieunabhängig,
 (z. B. via Foren)                                                                                        die gesundheitsbezogene Internetnut-
 Online-Beratung                                   1,93                       0,83                        zung (z. B. unterstützt mit verhaltens-
                                                                                                          therapeutischen Techniken der Selbst-
 Private Webseiten von Ärzten oder                 1,72                       0,73
                                                                                                          und Stimuluskontrolle) nach einer ers-
 Experten
                                                                                                          ten Stabilisierungsphase zu begrenzen.
 Professionelle Gesundheitsportale                 1,67                       0,74                           In der alltäglichen Sprechstunde soll-
 Online-Enzyklopädien                              1,56                       0,74                        ten Ärzte internetbasierte Gesundheits-
 Webseiten von Pharmaherstellern                   1,38                       0,71                        recherchen von sich aus thematisieren
                                                                                                          und vor allem bei hypochondrisch dis-
 Online-Diagnosesysteme                            1,10                       0,77
                                                                                                          ponierten Patienten die negativen Aus-
 Videoportale                                      0,98                       0,83                        wirkungen der Selbstrecherchen proble-
 0 = beunruhigend; 3 = beruhigend; M = Mittelwert; SD = Standardabweichung                                matisieren. Insgesamt müssen Ärzte
                                                                                                          heutzutage darauf vorbereitet sein, dass
                                                                                                          sich Patienten Informationen aus dem
                                                                                                          Internet beschaffen und sich somit auch
me darin bestehen, dass Gesundheit mit                       ignoriert werden. Aufgrund der Infor-        die traditionelle Arzt-Patient-Beziehung
der völligen Abwesenheit jeglicher Sym-                      mationsfülle des Internet ist es dabei       verändert [19]. 
ptome assoziiert sei, oder eine besonde-                     sehr wahrscheinlich, bei einer Online-
re Vulnerabilität für Krankheiten vorlie-                    Recherche scheinbar bestätigende Infor-
ge. Kognitiv-behaviorale Modelle haben                       mationen für das Vorliegen einer ernst-
vor allem Erklärungswert für die Auf-                        haften Krankheit zu finden.                  LITERATUR
rechterhaltung der Gesundheitsangst,                                                                      www.springermedizin.de/neurotransmitter
zu der verschiedene Faktoren beitragen.                      Hinweise zur Therapie
Ein insbesondere für die Cyberchondrie                       Mit dem Phänomen der Cyberchondrie
relevanter Faktor ist dabei das Vorliegen                    wird derzeit die Diskussion über proble-     Prof. Dr. phil. Christiane Eichenberg
eines „Bestätigungsbias“. Dabei wird                         matische Bereiche des Netzes, wie bei-       Sigmund Freud PrivatUniversität Wien
eine selektive Aufmerksamkeit auf In-                        spielsweise Internetsucht [14] oder Platt-   Department Psychologie
formationen gerichtet, die auf eine                          formen, über die sich Jugendliche über       Schnirchgasse 9a, A-1030 Wien
Krankheit als Ursache von Symptomen                          Suizid oder Anorexie austauschen [15, 16],   E-Mail: christiane@rz-online.de
hindeuten, während Gegenbelege häufig                        erweitert. Es kann jedoch nicht davon        www.christianeEichenberg.de

32                                                                                                                         NeuroTransmitter   2013; 24 (7-8)
Literatur
1. Dilling H, Mombour W, Schmidt MH: Interna-            S3 Leitlinie „Umgang mit Patienten mit
    tionale Klassifizierung der psychischer Stö-         nicht-spezifischen, funktionellen und soma-
    rungen: ICD-10 Kapitel V (F). Klinisch-diag-         toformen Körperbeschwerden“. [Online]
    nostische Leitlinien. Bern: Huber 2011               www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-001.
2. Eichenberg C, Brähler E: Das Internet als Rat-        html (05.02.2013)
    geber bei psychischen Problemen: Eine be-        18. Fischer G, Kausale Psychotherapie. Manual
    völkerungsrepräsentative Befragung in                zur ätiologieorientierten Behandlung psy-
    Deutschland. Psychotherapeut 2012. DOI               chotraumatischer und neurotischer Störun-
    10.1007/s00278-012-0893-0                            gen. Kröning: Asanger 2007
3. Taylor H: Cyberchondriacs on the Rise? The        19. Eichenberg C, Malberg D, Der internetinfor-
    Harris Poll® #95, August 4th, 2010                   mierte Patient - ein schwieriger Patient für
4. White RW, Horvitz E: Cyberchondria: Studies           das Gesundheitswesen? In H-W Hoefert, M
    of the escalation of medical concerns in             Härter (Hrsg.), Schwierige Patienten (S. 59-
    Web search. ACM Transactions on Informati-           82). Bern: Huber 2013
    on Systems (TOIS) 2009; 27: 1–23
5. Eastin MS, Guinsler NM: Worried and Wired:
    Effects of Health Anxiety on Information-
    Seeking and Health Care Utilization Behavi-
    ors. CyberPsychology & Behavior 2006; 9(4):
    494–498
6. Murray E, Lo B, Pollack L, Donelan K, Catania
    J, Lee K, Zapert K, Tuner R: The Impact of
    Health Information on the Internet on
    Health Care and the Physician-Patient Rela-
    tionship: National U.S. Survey among 1.050
    U.S. Physicians. Journal of Medical Internet
    Research 2003;5(3):e17
7. Eichenberg C, Wolters C: Cyberchondria-
    Use of online health services in hypochond-
    riacs compared to non-hypochondriacs, un-
    der review
8. Eichenberg C: Gesundheitsängste und Inter-
    net. In HW Hoefert, C Klotter (Hrsg.), Ge-
    sundheitsängste (S. 239-263). Lengerich:
    Pabst Science Publishers 2012
9. Hiller W, Rief W: Internationale Skalen für
    Hypochondrie: Deutschsprachige Adaption
    des Whiteley-Index (WI) und der Illness atti-
    tude scales (IAS); Manual. Bern: Huber 2004
10. Bleichhardt G, Hiller W: Hypochondriasis
    and health anxiety in the German populati-
    on. British Journal of Health Psychology
    2007, 12(4): 511–523
11. Röder CH, Overbeck G, Müller T: Psychoana-
    lytische Theorien zur Hypochondrie. Psyche
    1995, 49(11): 1068–1098
12. Braddock AE, Abramowitz JS: Listening to
    hypochondriasis and hearing health anxiety.
    Expert Rev. Neurotherapeutics 2006, 6(9):
    1307–1312
13. Taylor S, Asmundson GJG, Treating Health
    Anxiety: A Cognitive-Behavioral Approach.
    New York: Guilford 2004
14. Wölfling K, Jo C, Bengesser I, Beutel ME, Mül-
    ler KW, Computerspiel- und Internetsucht.
    Ein kognitiv-behaviorales Behandlungsma-
    nual. Stuttgart: Kohlhammer 2013
15. Sueki H, Eichenberg C, Suicide Bulletin
    Board Systems. Comparison Between Japan
    and Germany. Death Studies 2012, 36, 6:
    565–580
16. Eichenberg C, Flümann A, Hensges K, Pro-
    Ana-Foren im Internet: Befragungsstudie
    ihrer Nutzerinnen. Psychotherapeut 2011: 6,
    492-500. DOI 10.1007/s00278-011-0861-0
17. Deutschen Gesellschaft für Psychosomati-
    sche Medizin und Ärztliche Psychotherapie
    e.V. (DGPM) und Deutsches Kollegium für
    Psychosomatische Medizin (DKPM) (2012)
Sie können auch lesen