Cyberchondrie - ein modernes Symptom? - Gesundheitsängste und Internet
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Gesundheitsängste und Internet Cyberchondrie – ein modernes Symptom? Den mittlerweile nahezu flächendeckenden Zugang zum Internet nutzen immer mehr Patienten als Möglichkeit für gesundheitsbezogene Recherchen im World Wide Web. Allerdings können so selbst allgemein verbreitete Symptome nach einer Webrecherche als ernsthafte Krankheiten fehlinterpre- tiert werden. In der Folge können solche Suchsitzungen zu unnötiger Angst, Zeitinvestition und kostenintensiver Konsultation von Ärzten führen. CHRISTIANE EICHENBERG UND CAROLIN WOLTERS, WIEN Die Recherche kann in vielen Fäl- len hilfreich sein, die Suche im Inter- net birgt aber die Gefahr einer Intensivierung gesundheitlicher Sorgen. ©© Getty Images/iStockphoto 28 NeuroTransmitter 2013; 24 (7-8)
Fortbildung 28 C yberchondrie – ein modernes 36 Syndromspezifische ME Frontotemporale lobäre 46 C Symptom? und ganzheitliche Degenerationen Gesundheitsängste und Internet Adolenzentenpsychiatrie Erste Symptome unspezifisch – Reifungskrisen – Teil 2 Frühstadium häufig nicht 33 Wachstumsstörungen unter erkannt Therapie mit Methylphenidat? 42 K opfschmerzen bei Epilepsie Arzneimittel in der und Hemispastik 52 CME Fragebogen psychiatrischen Praxis Neurologische Kasuistik D ie andauernde Beschäftigung mit cyberchondriac-349809.html). In einem und Horvitz können solche Suchsitzun- der Möglichkeit, an einer ernst- Artikel wurde damit die umfassende gen zu unnötiger Angst, Zeitinvestition haften Krankheit zu leiden wird Nutzung von Gesundheitsseiten im In- und kostenintensiver Konsultation von als „Hypochondrie“ bezeichnet. Laut ternet beschrieben, die zu einer Verstär- Ärzten führen. Die Ergebnisse einer Be- ICD-10 ist eine hypochondrische Stö- kung von Gesundheitsängsten führen fragung und einer groß angelegten Ana- rung mit der Interpretation körperlicher könne. Auch die BBC berichtete kurz da- lyse der Nutzungsdaten einer Suchma- Wahrnehmungen als abnorm sowie der rauf vom Phänomen der Cyberchondrie schine unter Microsoft-Angestellten be- Manifestation körperlicher Symptome (http://news.bbc.co.uk/2/hi/health/ stätigten diese Annahmen. Einer weite- assoziiert [1]. 1274438.stm). Die erste systematische ren US-amerikanischen Online-Studie Heutzutage findet die Beschäftigung Untersuchung zur Cyberchondrie wur- zufolge [5] wächst mit steigender Ge- mit gesundheitlichen Problemen zuneh- de 2009 von den amerikanischen Mi- sundheitsangst der Zusammenhang mend auch im Internet statt. Einer be- crosoft-Wissenschaftlern Ryen White zwischen dem Ausmaß an Onlinere- völkerungsrepräsentativen Studie zufol- und Eric Horvitz durchgeführt [4]. Nach cherchen und Terminvereinbarungen ge greifen 63,5 % der deutschen Internet- Meinung der Autoren wird die gesund- bei Ärzten. Personen mit einem gerin- nutzer bei Gesundheitsfragen auf das In- heitsbezogene Internetrecherche häufig gen Ausmaß an Gesundheitsangst, die ternet zurück [2]. Die Möglichkeiten, im Sinne einer diagnostischen Methode häufig gesundheitsbezogene Recherche sich gesundheitsbezogene Informatio- genutzt, bei der aus der Reihenfolge und im Internet anstellen, hatten demnach nen zu beschaffen, reichen dabei von dem Informationsgehalt der Ergebnisse im Jahr vor der Befragung signifikant Suchmaschinenrecherchen über Inter- diagnostische Schlussfolgerungen gezo- seltener einen Arzt aufgesucht als Perso- netforen, in denen sich Laien unterein- gen würden. Selbst allgemein verbreitete nen mit einer stärker ausgeprägten Ge- ander oder mit Experten austauschen Symptome könnten somit in Folge einer sundheitsangst. können, bis hin zu Gesundheitsportalen, Webrecherche als ernsthafte Krankhei- Insgesamt tauchen zunehmend häufi- die spezifische Gesundheitsinformatio- ten fehlinterpretiert werden. Laut White ger Menschen in Arztpraxen auf, die nen aufbereiten. In einer Telefonbefra- gung in den USA waren 86 % der Teil- nehmer der Meinung, ihren Informa tionsbedarf bei vergangenen Gesund- Posting: Verunsicherung durch medizinische Online-Information heitsrecherchen im Internet gedeckt zu haben [3]. Im nachfolgenden Posting, auf das der Ratsuchende in einem medizinischen Laienforum innerhalb von einigen Stunden ein knappes Dutzend widersprüchliche Antworten bekam, Zum Begriff „Cyberchondrie“ illustriert die Problematik der Verunsicherung durch online recherchierten Gesundheits- Obwohl die Recherche in vielen Fällen informationen . hilfreich sein kann, birgt die Suche im „Hallo, also mich hat eine Zecke gebissen und mich verunsichert das ganze ziemlich. Ich habe schon Internet die Gefahr einer Intensivierung meinen gesamten Körper abgesucht, aber es war anscheinend nur eine Zecke, die sich in meinem gesundheitlicher Sorgen. Dieses Phäno- Intimbereich fest gebissen hatte. Ich denke sie hat mich erst vor etwa 12 bis 16 Stunden gebissen, men wurde bereits als „Cyberchondrie“ aber es ist halt ein blödes Gefühl, wenn ich weiß, dass ich erst in einigen Tagen/Wochen/Monaten/ bezeichnet [4] und definiert sich als eine Jahren erkranken könnte. Habe die Zecke jedenfalls mit einer Zeckenklammer (oder wie sich das be- unbegründete Angst oder erhöhte Auf- zeichnet) entfernen wollen, die Zecke war aber leider noch zu klein. Habe es dann letztendlich mit merksamkeit auf ernste Krankheiten, einer Pinzette hinbekommen. Jetzt ist meine Frage an euch: Sollte ich zum Arzt gehen? Habe die die auf der Zurkenntnisnahme von Web- Stelle schon desinfiziert, ein wenig Blut ausgedrückt aber trotzdem (...). Wie hoch ist die Wahr- inhalten basiert. scheinlichkeit, dass ich erkranke oder überhaupt irgendwelche Symptome auftreten? Also ich Die englische Zeitung „The Indepen- mach mir gerade wegen der Zeit viele Gedanken und dachte ihr könnt mir vielleicht ein paar Zah- dent“ verwendete den Begriff der Cyber len liefern, weil es später ja schlecht fest zu stellen ist, ob es eine normale Grippe ist oder von dem chondria erstmals 2001 (www.indepen- Zeckenbiss kommt. Also ich bedanke mich schon mal für jede Antwort.“ dent.ie/unsorted/features/are-you-a- NeuroTransmitter 2013; 24 (7-8) 29
Fortbildung Gesundheitsängste und Internet aufgrund der online recherchierten Ge- ner Online-Angebote deutlich höher zu sultieren dabei scheinbar alle der abge- sundheitsinformationen verunsichert liegen als in der Allgemeinbevölkerung, fragten Gesundheitsangebote häufiger sind [6] (siehe auch Posting). in der eine Prävalenz von 6,7 % für als Personen mit gering ausgeprägter Hypochondrie angenommen wird [10]. Gesundheitsangst (Abbildung 1). Erste Studie in Deutschland Frage 2: Wie häufig frequentieren hypo- Frage 3: Wie beurteilen hypochondrische Mittlerweile liegt eine erste deutsche chondrische und nicht hypochondrische und nicht hypochondrische Nutzer gesund- Studie zum Zusammenhang zwischen Nutzer welche gesundheitsbezogenen heitsbezogener Internetangebote die An- gesundheitsbezogener Internetrecher- Internetdienste? gebote jeweils hinsichtlich ihrer Informati- che und Hypochondrie vor, die drei For- Gut die Hälfte der Studienteilnehmer onsqualität, ihrem Potenzial Ängste zu schungsfragen bei 471 Nutzern (weib- gab ab, das Internet im letzten Jahr mehr lindern und ihrer Auswirkungen auf das lich: 84,5 %; männlich: 15,5%; Alter: M als zehnmal konsultiert zu haben, um eigene Gesundheitsverhalten? = 40 Jahre, SD = 13,3) verschiedener Ge- Informationen über akute oder chroni- Im Allgemeinen wurden professionelle sundheitsforen im Internet empirisch sche Erkrankungen zu erhalten. Die als Gesundheitsportale, Online-Beratungen untersuchte (siehe Ergebnisse) [7, 8]. Mit hypochondrisch klassifizierten Nutzer und der Austausch mit anderen Betrof- Hilfe eines selbst entwickelten Fragebo- suchen nach eigenen Angaben signifi- fenen hinsichtlich ihrer Informations- gens und der Illness Attitudes Scale kant häufiger im Internet nach eigenen qualität als verlässlicher bewertet als bei- (IAS) in deutscher Übersetzung [9] zur akuten und chronischen Symptomen spielsweise Videoportale oder Online- Erfassung klinisch relevanter Gesund- und Beschwerden anderer (z. B. von Fa- Diagnosesysteme sowie Webseiten von heitsängste sollten die Nutzer von Ge- milienangehörigen) als nicht hypochon- Pharmaherstellern, denen eher miss- sundheitsangeboten im Internet ent- drische Nutzer. traut wird (Tabelle 1). Ebenso scheinen sprechend der Forschungsfragen charak- Bezüglich der verschiedenen Online- letztere bei gesundheitlichen Fragen so- terisiert werden. Gesundheitsdienste gaben die Befragten gar eine beunruhigende Wirkung auf In- insgesamt an, gesundheitsbezogene Fo- ternetnutzer zu haben (Tabelle 2). Da- Ergebnisse ren am häufigsten aufzusuchen. Andere hingegen wurden beispielsweise Online- Gesundheitsdienste im Internet wie Beratungen und vor allem der Aus- Frage 1: Wie stark ist das Ausmaß der zum Beispiel Online-Enzyklopädien, tausch mit anderen Betroffenen in Foren Gesundheitsängste von Nutzern gesund- Websites von Pharmaherstellern, profes- als Ängste lindernd beschrieben. heitsbezogener Internetangebote? sionelle Gesundheitsportale oder On- Bezüglich der eingeschätzten Infor- Nach der IAS ließen sich gut 10% der Be- line-Beratungsangebote von medizini- mationsqualität zeigten sich Gruppen- fragten als hypochondrisch einstufen, schen Experten sind als Ratgeber bei Ge- unterschiede: Als hypochondrisch ein- während sich knapp 15 % der Gruppe sundheitsfragen dem Austausch mit an- gestufte Personen schätzten die Infor- „Verdacht auf Hypochondrie“ zugeordnet deren (betroffenen) Laien also nachge- mationsgüte der meisten Online-Ge- werden konnten. Der Anteil gesund- ordnet. Online-Diagnosesysteme und sundheitsdienste höher ein als die wenig heitsängstlicher Personen scheint somit Videoplattformen werden am seltensten gesundheitsängstlichen. Allerdings un- unter den Nutzern gesundheitsbezoge- genutzt. Hypochondrische Nutzer kon- terschieden sich die beiden Gruppen nicht bei der Beurteilung der Dienste hinsichtlich ihres Potenzials, krank- – Abbildung 1 – heitsbezogene Ängste zu lindern. Des Weiteren wurden mögliche Aus- Hypochonder Nicht-Hypochonder wirkungen auf das Gesundheitsverhal- ten infolge einer Internetrecherche nach Austausch mit anderen Betroffenen (z.B. via Foren) Gesundheitsproblemen erfragt. Die Online-Beratung wahrscheinlichste Reaktion auf die On- line-Suche stellt nach Angaben der Be- Webseiten von Pharmaherstellern fragten das Aufsuchen eines Arztes dar. Private Webseiten von Ärzten oder Experten Ebenfalls wahrscheinlich sei ein Ge- Professionelle Gesundheitsportale spräch mit Angehörigen oder Freunden, während beispielsweise das Unterlassen Online-Enzyklopädien ungesunder Verhaltensweisen als eher Online-Diagnosesysteme unwahrscheinlich eingeschätzt wurde. Alle abgefragten Verhaltensweisen als ©© C. Eichenberg Videoportale mögliche Reaktion auf die Rezeption 0 20 40 60 80 von Gesundheitsinformationen im In- ternet, einschließlich destruktiver Selbst- Anteil der Hypochonder und Nicht-Hypochonder (in %), die die erfragten behandlungsmaßnahmen wie dem Be- Online-Gesundheitsdienste wöchentlich oder häufiger nutzen. stellen von Medikamenten oder der In- 30 NeuroTransmitter 2013; 24 (7-8)
Gesundheitsängste und Internet Fortbildung tensivierung gesundheitsbezogener On- nungen in den Objektbeziehungen hin- Richtung objektbezogenen Dialog zu er- line-Aktivitäten, wurden von hypochon- weisen kann (Dialog mit dem Körper weitern, das heißt, Auflösung der Fixie- drischen Personen als wahrscheinlicher anstatt mit Objekten). Ebenso können rung auf das Körpersein in die Selbstre- eingeschätzt. hypochondrische Ängste auch der Aus- gulation von Körpersein und -haben druck unbewusster Fantasien sein, in (ausführlich zur Überblick psychoana- Überlegungen zur Ätiopathogenese denen körperliche Zustände ein krankes lytischer Theorien zur Hypochondrie der Cyberchondrie Objekt repräsentieren, mit dem identifi- siehe [11]). Der Entstehung der Cyberchondrie lie- katorisch Nähe hergestellt wird. Auch In Anlehnung an das kognitiv-beha- gen vermutlich ähnliche äthiopathoge- kann die intensive beziehungsweise viorale Modell nach Beck wird die hypo- netische Faktoren und Prozesse zugrun- zwanghafte Beschäftigung mit dem Kör- chondrische Störung als eine extreme de wie der Entstehung der Hypochon- per der Abwehr von Angst vor Selbstzer- Ausprägung von Angst gesehen, die sich drie. Es existieren unterschiedliche Mo- fall dienen. Insgesamt kann das Internet auf eine Bedrohung der Gesundheit be- delle in Abhängigkeit der jeweiligen in diesem Kontext auch für die Krank- zieht. Die Sorge um körperliche Unver- therapeutischen Schule. Aus psychody- heit als bedeutsamer Raum fungieren, sehrtheit ist verständlicherweise weit namischer Perspektive wird die Hypo- der aufgrund seiner Charakteristika ei- verbreitet. Dem Modell zufolge interpre- chondrie je nach psychoanalytischer nen Zwischenraum zwischen psychi- tieren Personen mit Hypochondrie je- Schule triebpsychologisch oder in Ver- scher Innenwelt und realer Außenwelt doch harmlose Körpersignale als Anzei- bindung mit der Objektbeziehungsthe- darstellt. Damit kann einerseits trotz der chen einer schweren Krankheit [12]. Die- orie beziehungsweise der Selbstpsycho- vermeintlichen Kommunikation mit an- sen Katastrophisierungen liegen allge- logie erklärt. So wird der Hypochondrie deren (über die befürchtete Krankheit) meine Annahmen über Gesundheit und zum Beispiel eine narzisstische Kompo- der Dialog rein selbstbezüglich bleiben. Krankheit zugrunde, die häufig aus per- nente zugeschrieben aufgrund des Andererseits kann über die krankheits- sönlichen Erfahrungen, beispielsweise selbstzentrierten Aufmerksamkeitsfo- bezogene Kommunikation auch ermög- der Krankheit eines nahen Angehörigen, kus, was gleichzeitig auf Mangelerschei- licht werden, den selbstbezogenen in hervorgehen [13]. So kann eine Annah- Anzeige NeuroTransmitter 2013; 24 (7-8) 31
Fortbildung Gesundheitsängste und Internet – Tabelle 1 – ausgegangen werden, dass die Internet- Beurteilung der Online-Gesundheitsangebote nutzung psychische Störungen (wie Hy- pochondrie oder Cyberchondrie) erzeugt, (Informationsqualität) sondern hier vielmehr als Katalysator Art des Online-Gesundheitsangebots M SD fungiert. Das Internet kann zum Aus- Online-Beratung 1,97 0,81 drucksfeld psychischer Störungen wer- Professionelle Gesundheitsportale 1,87 0,69 den sowie bestehende seelische Probleme verstärken (aber so eben auch lindern). Austausch mit anderen Betroffenen 1,77 0,81 Insgesamt sollten psychotherapeuti- (z. B. via Foren) sche Interventionen ätiologieorientiert Private Webseiten von Ärzten oder 1,74 0,77 und in enger Zusammenarbeit mit den Experten primär betreuenden Hausärzten erfol- Online-Enzyklopädien 1,73 0,78 gen (für die grundsätzlichen Empfeh- Webseiten von Pharmaherstellern 1,26 0,86 lungen im Umgang mit somatoformen Patienten siehe die entsprechende S3- Online-Diagnosesysteme 0,82 0,79 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Videoportale 0,53 0,71 Psychosomatische Medizin und Ärztli- 0= unzuverlässig; 3= verlässlich; M = Mittelwert; SD = Standardabweichung che Psychotherapie e. V., DGPM und des Deutschen Kollegiums für Psychosoma- tische Medizin, 2012 [17]). Je nach zu- grunde liegender Ätiologie der Cyber- – Tabelle 2 – chondrie (z. B. Sozialisationsbedingun- gen oder traumatische Erlebnisse) wird Beurteilung der Online-Gesundheitsangebote hinsichtlich dann entsprechend eher konfliktorien- ihres Potenzials Ängste zu lindern tiert, traumatherapeutisch oder kogni- Art des Online-Gesundheitsangebots M SD tiv-behavioral behandelt [18]. Allerdings Austausch mit anderen Betroffenen 1,94 0,83 empfiehlt es sich ätiologieunabhängig, (z. B. via Foren) die gesundheitsbezogene Internetnut- Online-Beratung 1,93 0,83 zung (z. B. unterstützt mit verhaltens- therapeutischen Techniken der Selbst- Private Webseiten von Ärzten oder 1,72 0,73 und Stimuluskontrolle) nach einer ers- Experten ten Stabilisierungsphase zu begrenzen. Professionelle Gesundheitsportale 1,67 0,74 In der alltäglichen Sprechstunde soll- Online-Enzyklopädien 1,56 0,74 ten Ärzte internetbasierte Gesundheits- Webseiten von Pharmaherstellern 1,38 0,71 recherchen von sich aus thematisieren und vor allem bei hypochondrisch dis- Online-Diagnosesysteme 1,10 0,77 ponierten Patienten die negativen Aus- Videoportale 0,98 0,83 wirkungen der Selbstrecherchen proble- 0 = beunruhigend; 3 = beruhigend; M = Mittelwert; SD = Standardabweichung matisieren. Insgesamt müssen Ärzte heutzutage darauf vorbereitet sein, dass sich Patienten Informationen aus dem Internet beschaffen und sich somit auch me darin bestehen, dass Gesundheit mit ignoriert werden. Aufgrund der Infor- die traditionelle Arzt-Patient-Beziehung der völligen Abwesenheit jeglicher Sym- mationsfülle des Internet ist es dabei verändert [19]. ptome assoziiert sei, oder eine besonde- sehr wahrscheinlich, bei einer Online- re Vulnerabilität für Krankheiten vorlie- Recherche scheinbar bestätigende Infor- ge. Kognitiv-behaviorale Modelle haben mationen für das Vorliegen einer ernst- vor allem Erklärungswert für die Auf- haften Krankheit zu finden. LITERATUR rechterhaltung der Gesundheitsangst, www.springermedizin.de/neurotransmitter zu der verschiedene Faktoren beitragen. Hinweise zur Therapie Ein insbesondere für die Cyberchondrie Mit dem Phänomen der Cyberchondrie relevanter Faktor ist dabei das Vorliegen wird derzeit die Diskussion über proble- Prof. Dr. phil. Christiane Eichenberg eines „Bestätigungsbias“. Dabei wird matische Bereiche des Netzes, wie bei- Sigmund Freud PrivatUniversität Wien eine selektive Aufmerksamkeit auf In- spielsweise Internetsucht [14] oder Platt- Department Psychologie formationen gerichtet, die auf eine formen, über die sich Jugendliche über Schnirchgasse 9a, A-1030 Wien Krankheit als Ursache von Symptomen Suizid oder Anorexie austauschen [15, 16], E-Mail: christiane@rz-online.de hindeuten, während Gegenbelege häufig erweitert. Es kann jedoch nicht davon www.christianeEichenberg.de 32 NeuroTransmitter 2013; 24 (7-8)
Literatur 1. Dilling H, Mombour W, Schmidt MH: Interna- S3 Leitlinie „Umgang mit Patienten mit tionale Klassifizierung der psychischer Stö- nicht-spezifischen, funktionellen und soma- rungen: ICD-10 Kapitel V (F). Klinisch-diag- toformen Körperbeschwerden“. [Online] nostische Leitlinien. Bern: Huber 2011 www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-001. 2. Eichenberg C, Brähler E: Das Internet als Rat- html (05.02.2013) geber bei psychischen Problemen: Eine be- 18. Fischer G, Kausale Psychotherapie. Manual völkerungsrepräsentative Befragung in zur ätiologieorientierten Behandlung psy- Deutschland. Psychotherapeut 2012. DOI chotraumatischer und neurotischer Störun- 10.1007/s00278-012-0893-0 gen. Kröning: Asanger 2007 3. Taylor H: Cyberchondriacs on the Rise? The 19. Eichenberg C, Malberg D, Der internetinfor- Harris Poll® #95, August 4th, 2010 mierte Patient - ein schwieriger Patient für 4. White RW, Horvitz E: Cyberchondria: Studies das Gesundheitswesen? In H-W Hoefert, M of the escalation of medical concerns in Härter (Hrsg.), Schwierige Patienten (S. 59- Web search. ACM Transactions on Informati- 82). Bern: Huber 2013 on Systems (TOIS) 2009; 27: 1–23 5. Eastin MS, Guinsler NM: Worried and Wired: Effects of Health Anxiety on Information- Seeking and Health Care Utilization Behavi- ors. CyberPsychology & Behavior 2006; 9(4): 494–498 6. Murray E, Lo B, Pollack L, Donelan K, Catania J, Lee K, Zapert K, Tuner R: The Impact of Health Information on the Internet on Health Care and the Physician-Patient Rela- tionship: National U.S. Survey among 1.050 U.S. Physicians. Journal of Medical Internet Research 2003;5(3):e17 7. Eichenberg C, Wolters C: Cyberchondria- Use of online health services in hypochond- riacs compared to non-hypochondriacs, un- der review 8. Eichenberg C: Gesundheitsängste und Inter- net. In HW Hoefert, C Klotter (Hrsg.), Ge- sundheitsängste (S. 239-263). Lengerich: Pabst Science Publishers 2012 9. Hiller W, Rief W: Internationale Skalen für Hypochondrie: Deutschsprachige Adaption des Whiteley-Index (WI) und der Illness atti- tude scales (IAS); Manual. Bern: Huber 2004 10. Bleichhardt G, Hiller W: Hypochondriasis and health anxiety in the German populati- on. British Journal of Health Psychology 2007, 12(4): 511–523 11. Röder CH, Overbeck G, Müller T: Psychoana- lytische Theorien zur Hypochondrie. Psyche 1995, 49(11): 1068–1098 12. Braddock AE, Abramowitz JS: Listening to hypochondriasis and hearing health anxiety. Expert Rev. Neurotherapeutics 2006, 6(9): 1307–1312 13. Taylor S, Asmundson GJG, Treating Health Anxiety: A Cognitive-Behavioral Approach. New York: Guilford 2004 14. Wölfling K, Jo C, Bengesser I, Beutel ME, Mül- ler KW, Computerspiel- und Internetsucht. Ein kognitiv-behaviorales Behandlungsma- nual. Stuttgart: Kohlhammer 2013 15. Sueki H, Eichenberg C, Suicide Bulletin Board Systems. Comparison Between Japan and Germany. Death Studies 2012, 36, 6: 565–580 16. Eichenberg C, Flümann A, Hensges K, Pro- Ana-Foren im Internet: Befragungsstudie ihrer Nutzerinnen. Psychotherapeut 2011: 6, 492-500. DOI 10.1007/s00278-011-0861-0 17. Deutschen Gesellschaft für Psychosomati- sche Medizin und Ärztliche Psychotherapie e.V. (DGPM) und Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM) (2012)
Sie können auch lesen