Biotope City - die Stadt als Natur - Wohnungswirtschaft-heute

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Biotope City - die Stadt als Natur - Wohnungswirtschaft-heute
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                                        Biotope City –
                                      die Stadt als Natur
     Auf dem Wienerberg entsteht
     auf dem ehemaligen Gelände
     eines internationalen Getränke-
     herstellers die „Biotope City“
     mit 900 Wohnungen. Ähnlich
     wie bei der grünen Mitte Linz
     steht auch hier ein Park im
     Zentrum. Stadt als Natur
     verstehen ist jedoch hier der

                                                                                                                                                             Visualisierung: RLP Rüdiger Lainer + Partner
     Ansatz – ein Ausblick in eine
     grüne Zukunft.

     GERHARD KRAUSE
                                                                                                                                                      1

                                                                 D           as Wort Biotop leitet sich aus
                                                                             bíos (Leben) und tópos (Ort)
                                                                             ab. Es bezeichnet ideale Le-
                                                                             bensräume für Gemeinschaften.
                                                                 Und genau das wollen fünf Bauträger auf
                                                                 dem Wienerberg verwirklichen. Das Pro-
                                                                                                                 von Coca-Cola wird bis 2019 qualitativ
                                                                                                                 hochwertiges Wohnen mitten in einem
                                                                                                                 Park mit begrünten Fassaden und dicht
                                                                                                                 bepflanzten Balkonen, mit weiten Freiräu-
                                                                                                                 men, Gemeinschaftsgärten für „urban gar-
                                                                                                                 dening“, mehreren Kinderspielplätzen und
                                                                 jekt wird nach den Prinzipien von Bioto-        natürlich mit einem Dachschwimmbad
                                                                 pe City, als dichtes Stadtquartier im engen     zum Entspannen und Sonnenbaden, ent-
                                                                 Miteinander von Natur und Menschen re-          stehen. Und das alles mit einem Panora-
                                                                 alisiert. Biotope City ist ein städteplaneri-   mablick über das Naherholungsgebiet mit
                                                                 sches Konzept der „Stadt als Natur“. Stadt-     den Wienerbergteichen – an klaren Tagen
                                                                 planerin Helga Fassbinder – siehe dazu          bis zum Schneeberg und zur Rax. Die Bio-
                                                                 auch das Interview auf Seite 22 – begrün-       tope City soll urbanes Leben mit Schulen
                                                                 dete 2002 den Begriff. Ihre Idee postuliert     und Kindergärten, gepaart mit attraktiven
                                                                 eine neue grüne Ästhetik für den Städte-        Freizeitmöglichkeiten und höchster Le-
                                                                 bau, die mit einer neuen Formensprache          bensqualität bieten.
                                                                 nicht nur Forderungen der Nachhaltigkeit
                                                                 berücksichtigt, sondern auch den Men-           Kooperatives Planungsverfahren
                                                                 schen konkrete Ausdrucksformen für ihre         Möglich wurde die neue Wohnidee durch
                                                                 Sehnsucht nach Naturnähe bietet.                ein interdisziplinäres und kooperatives
     1 / Der von Architekt Rüdiger Lainer geplante Bauteil           Auf dem Wienerberg wird nun der             Planungsverfahren. Beteiligt im interdis-
     für die ÖSW AG zeichnet sich durch den weiten Blick und     erste Stadtteil Österreichs nach dem Bio-       ziplinären Planungsteam waren neben
     die ungehinderte Zugänglichkeit in den südlichen Grünraum   tope-City-Konzept errichtet. Das neue           Harry Glück und der Stadtplanerin Helga
     des Naherholungsgebietes aus.                               Wohnquartier soll den künftigen Bewoh-          Fassbinder von der Stiftung Biotope City,
     2 / Städteplanerisches Konzept der Biotope City:            nern und Besuchern ein völlig neues             RLP Rüdiger Lainer + Partner, Renate Rö-
     Grün für alle ist die Devise des Wohnbauprojekts am         Wohngefühl vermitteln. Auf dem 50.000           del/Franz Sumnitsch, BKK3, die Freiraum-
     Wienerberg mit 900 Wohnungen.                               Quadratmeter großen, ehemaligen Areal           planer Maria Auböck und János Kárácz,

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Biotope City - die Stadt als Natur - Wohnungswirtschaft-heute
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die Mobilitäts- und Verkehrsexperten          ter Grün- und Freiräume
Andreas Käfer und TraffiX sowie das Insti-    ergänzt.
tut für Ingenieurbiologie und Landschafts-        Die Bandbreite der an-
bau der Boku-Wien. Projektauslober war        gebotenen unterschied-
die Gesiba, in Kooperation mit Wien Süd       lichen Wohnmodelle ist
und Mischek/Wiener Heim.                      vielfältig und bietet damit
    Harry Glück brachte seine Erfahrun-       beste Voraussetzungen für
gen mit den von ihm geplanten Wohntür-        ein lebendiges Quartier.
men von Alterlaa ein, welche sich immer       Das größte Projekt ent-
noch einer ungebrochenen Wohnzufrie-          steht auf dem Bauplatz
denheit erfreuen. Glück zeichnet bei der      3, direkt an der Triester

                                                                                                                                            Plan: RLP Rüdiger Lainer + Partner
Biotope-City auch für den Masterplan ver-     Straße. Das ÖSW errich-
antwortlich. Seine „gestapelten Einfamili-    tet nach Plänen von RLP
enhäuser“ im Wohnturm entwickelte er zu       Rüdiger Lainer + Part-
„Grünen Wohnbauten“ weiter. Neben den         ner 197 geförderte Miet-
Grünflächen und Fassadenbepflanzun-           wohnungen, 66 davon
                                                                                                                                     2
gen, welche das Mikroklima beeinflussen,      als      Smart-Wohnungen.
den Feinstaub binden und die CO2-Bilanz       Das Wohnungsangebot umfasst Zwei- bis
neutralisieren, gilt es nachhaltig zu bau-    Vier-Zimmer-Wohnungen in den Größen
en: Energieeffizienz, Baubiologie und die     von 40 bis 102 Quadratmeter. Sie alle ver-      Biotope-City:
Recycelbarkeit der Baumaterialien.            fügen über begrünte, private Freiräume          Die geförderten
                                              mit Loggien, Balkonen mit großzügigen
Ohne Zäune und Mauern                         Pflanzentrögen oder wohnungserweitern-
                                                                                              Wohnprojekte im Überblick
Neben der hoher Wohnqualität sollen in        den Gärten. In Erdgeschoß-Wohnungen             Bauplatz 3:
der „Biotope-City“ vielfältige Outdoor-Ak-    sorgen leicht angehobene Freiraumflä-           Bauträger: ÖSW, Architekt RLP
tivitäten im Grünen geboten werden. Das       chen dafür, dass die Privatsphäre auch          197 Wohnungen, 66 davon
Quartier soll zum Entspannen und Ver-         im Garten, auf der Terrasse oder in den         SMART-Wohnungen
weilen einladen, aber gleichzeitig auch       Loggia-Wohnungen gewahrt bleibt. Mi-            Bauplatz 4/1:
urbane Räume und ein reichhaltiges groß-      chael Pech, ÖSW-Vorstand, freut sich über       Bauträger Gesiba, Architektur RLP
städtisches Hinterland bieten. Wohnen         den neuen Stadtteil: „Der von Architekt         Rüdiger Lainer + Partner
von seiner schönsten Seite also. Geplant      Rüdiger Lainer geplante Bauteil zeichnet        63 Wohnungen, 21 davon
ist, auf 13 Bauplätzen rund 900 Wohnun-       sich durch den weiten Blick und die un-         SMART-Wohnungen
gen zu errichten, 608 davon gefördert.        gehinderte Zugänglichkeit in den südli-         Bauplatz 4/2: Bauträger: Gesiba,
217 Wohnungen werden als besonders            chen Grünraum des Wienerbergs aus. Das          Architektur RLP Rüdiger Lainer +
kostengünstige Smart-Wohnungen ausge-         ÖSW stellt mit diesem ökosozialen Wohn-         Partner, 29 Wohnungen, 24 davon
führt. „In der Biotope-City verschmelzen      bau einmal mehr seine Verantwortung für         SMART-Wohnungen
die 13 verschiedenen Wohnverbauungen          Mensch und Umwelt unter Beweis.“ Nicht          Bauplatz 5:
gleichsam über die gemeinsam geplan-          zu vergessen – das Highlight der Anlage:        Bauträger Wien Süd, Architektur
ten grünen Freiräume, ohne Zäune oder         Ein Schwimmbad auf dem Dach, mit groß-          Glück/HD Architekten, 98 Wohnun-
Mauern dazwischen und mit wertvol-            zügigen Liegeflächen sowie einer schatti-       gen, 33 davon SMART-Wohnungen
len Gemeinschaftseinrichtungen,“ betont       gen Pergola.                                    Bauplatz 6:
Wohnbau-Stadtrat Michael Ludwig. Bei                                                          Bauträger: ARWAG, Architektur
Gesamtbaukosten von rund 100 Millionen        Frei finanziert                                 Glück/Peretti&Peretti, 160 Wohnun-
Euro für die geförderten Wohnprojekte         Die Bewohnervielfalt soll auch durch die        gen, 53 davon SMART-Wohnungen
schießt die Stadt Wien insgesamt 32 Millio-   unterschiedlichen Finanzierungskonzep-          Bauplatz 7:
nen Euro an Fördermitteln zu. Die Kosten      te gewährleistet werden. Deshalb wer-           Bauträger Gesiba, Architektur: RLP
liegen zwischen 6,89 bis zu 7,50 Euro pro     den rund 300 freifinanzierte Eigentums-         Rüdiger Lainer + Partner, 61 Wohnun-
Quadratmeter und Monat.                       wohnungen angeboten. Die autofreie              gen, 20 davon SMART-Wohnungen
                                              Anlage soll die Gemeinschaft zwischen
Bewohnter Park                                den Bewohnern stärken und eine the-
Das gesamte Areal der „Biotope City“ wird     matische Verbindung zum angrenzenden         zahlreiche – teilweise überdachte – Fahr-
naturnah bepflanzt sein und neben Kin-        Erholungsgebiet Wienerberg darstellen.       radstellplätze und barrierefreie Abstell-
dergarten, Schule und Geschäften auch         Die Gemeinschaftsflächen für Sport, ein      räume für Kinderwagen. Die hauseigene
weitläufige Erholungs- und Spielflächen       Mobility Point sowie Kultur-, Sozial-, Ge-   Tiefgarage bietet Platz für 153 Pkw. Bioto-
sowie die Möglichkeit zum „urban garde-       sundheits- und Bildungseinrichtungen         pe City wird öffentlich gut erreichbar, ab
ning“ bieten. Zentrales Thema der „Bio-       erstrecken sich über mehrere Bauplätze.      2028 fährt die U2 bis vor die Haustüre. Das
tope City“ ist wie auch bei der grünen        Begegnungszonen bilden eine Erschlie-        Baufeld für den neuen Stadtteil wird be-
Mitte Linz mit ihren „hängenden Gärten“,      ßungshalle im Erdgeschoß mit einem           reits frei gemacht, die Fertigstellung ist für
die vertikale Fassadenbegrünung zur Kli-      Kinderspielraum, einen Waschsalon mit        Herbst 2019 geplant. Dann ist das Erlebnis
maregulierung und zur Optimierung des         vorgelagertem Kinderspielplatz sowie         Stadt als Natur zu erfahren bei einem Spa-
Mikroklimas. Das Erholungsgebiet Wie-         zweigeschossige Gemeinschaftsbalkone.        ziergang durch den neuen Stadtteil auch
nerberg wird so durch 18.000 Quadratme-       Die Wohnhausanlage verfügt auch über         für Gäste von außen möglich.

                                                                                                                   WOHNENPLUS . 2|2017                      21
Biotope City - die Stadt als Natur - Wohnungswirtschaft-heute
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           Stadt braucht mehr Grün

     Die Biotope City auf den
     ehemaligen Coca-Cola-Gründen
     in Wien-Favoriten ist ein
     Demonstrationsprojekt für den
     künftigen Umgang mit Grün-
     raum in der Stadtplanung. Ein
     gut geplanter Freiraum senkt
     die sommerliche Temperatur,
     hält Regenwasser zurück, schafft
     Atmosphäre und Sozialisation
     – und kostet keinen Cent mehr.
     Ein Gespräch mit der Projekt-
     initiatorin und Stadtplanerin
     Helga Fassbinder.

     WOJCIECH CZAJA

                                                                                                                               Foto: Heribert Corn

                                        Haben Sie einen Garten?                    Als eine von wenigen Stadtplanerinnen
                                        Fassbinder: „Ja, ich wohne mitten in       in Europa kreiden Sie der heutigen Stadt-
                                        Amsterdam, an einer Gracht, und ich        planung enorm viele Fehler an. Unter
                                        habe hinter dem Haus einen kleinen         anderem vertreten Sie die Meinung, dass
                                        Garten. Der ist zwar nur so groß wie ein   unsere Städte zu wenig grün sind.
                                        Wohnzimmer, aber ich habe regelmäßig       Fassbinder: „Die Städte in Europa sind
                                        Besuch von vielen Vögeln. Und hier in      Betonwüsten. Und das, obwohl wir in
                                        Wien wohne ich in einem Wohnhaus von       unserem Kulturkreis auf eine Jahrhunder-
                                        Harry Glück. Ich habe einen Balkon und     te lange Garten- und Landschaftskultur
                                        den kleinen Auersperg-Park vor mir. Die    zurückblicken – von der Antike über den
                                        Bäume reichen bis hoch in den fünften      Barock bis hin zu den Anfängen des 20.
                                        Stock und noch höher. Es ist ein wunder-   Jahrhunderts. Ich beobachte allerdings,
                                        barer Ort.“                                wie sich bei den Bürgern und Bewoh-

22   WOHNENPLUS . 2|2017
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nern in den letzten Jahren etwas getan       Favoriten planen Sie in Zusammenarbeit       den, als Pflanzentröge auf der privaten
hat. Sie entwickeln Interesse, die Sensi-    mit mehreren Bauträgern und Architek-        Loggia, als intensiv und extensiv begrün-
bilität steigt, und viele sehnen sich nach   ten ein Stadterweiterungsgebiet mit aus-     tes Dach und so weiter. Das schafft na-
mehr Grün in ihrem Lebensumfeld.“            gesprochen viel Grün. Was genau soll auf     türlich eine ganz eigene Atmosphäre, ein
                                             diesem Areal passieren?                      sinnliches Erlebnis, das sich nicht zuletzt
Und was ist mit den Architekten und          Fassbinder: „Die Coca-Cola-Gründe sind       auf die Seele auswirkt. Mein ganz per-
Stadtplanern?                                ein 5,4 Hektar großes Areal, auf dem         sönliches Highlight ist, dass in der Bioto-
Fassbinder: „Das ist der Punkt! Es gibt      rund 900 Wohnungen realisiert werden         pe City zum größten Teil große, erwach-
zwar einzelne Projekte, bei denen sich       sollen – davon rund zwei Drittel geför-      sene Bäume eingesetzt werden sollen
Architekten eine systematische Integra-      dert. Anders als in bisherigen Stadterwei-   – heimische Laubbäume wie etwa Birken
tion von Grün ins Bauwerk getraut ha-        terungs- und Stadtverdichtungsprojekten      und Platanen. Das schafft vom ersten Tag
ben – so wie etwa Stefano Boeri mit dem      spielt die Grünraumplanung hier nicht        an eine unverwechselbare Atmosphäre,
Bosco Verticale in Mailand oder Édouard      nur eine untergeordnete, sondern eine        die sonst erst nach zehn, fünfzehn Jahren
François mit dem Flower Tower in Paris.      zentrale, ja sogar essentielle Rolle. Das    eintritt. Vor allem aber – und das ist der
Aber Tatsache ist: Im Städtebau wird das     Grün legt sich, wenn Sie so wollen, als      technisch wichtigste Punkt – dient das
Grün generell immer noch sehr stiefmüt-      größter gemeinsamer Nenner über alle         Grün hier als sogenannte grüne Infra-
terlich behandelt.“                          Teilprojekte. Es geht uns hier erstmals      struktur.“
                                             – wirklich – um die Renaturierung der
Warum ist die Stadt noch nicht so weit?      Stadt, um die dichte Stadt als Natur.“       Das heißt?
Fassbinder: Die systematische Integrati-                                                  Fassbinder: „Das Grün ist, wenn Sie so
on von Grün in die Stadt erfordert ein       Wie sieht das im Detail aus                  wollen, eine durchdachte, leistbare Ant-
umfassendes Umdenken und auch ein            Fassbinder: „In einem klassischen Wohn-      wort auf den Klimawandel. Es trägt zur
Umorganisieren des gesamten Regelsys-        projekt gibt es eine Freiraumplanung mit     Temperatursenkung auf dem Areal bei, es
tems. Das kann keine Berufsgruppe al-        Wiesen, Stauden und Jungbäumen und           regelt die Luftfeuchtigkeit in der warmen
leine stemmen. Schon gar nicht die Land-     vielleicht noch ein extensiv begrüntes       Jahreszeit, es hält das Wasser bei Stark-
schaftsarchitekten.                          Flachdach. Doch hier soll das Grün in je-    regen zurück, es absorbiert Feinstaub.
                                             der erdenklichen Form realisiert werden      Besonders freue ich mich darüber, dass
Sie wollen das nun ändern. Auf den ehe-      – als Garten, als Gstätten, als begrünte     sogenannte Rain-Gardens angelegt wer-
maligen Coca-Cola-Gründen in Wien-           Fassade, als Atrium mit begrünten Wän-       den. Das sind bewusst eingeplante Auf-

                                          das PLUS an                     das PLUS an
                                         Möglichkeiten                    knOW-hOW

                                                                                                      das PLUS an
                                                                                                       eFFiZienZ

                                                                                                              das PLUS an
                                                                                                              MOBilitÄt

                                                                                                          das PLUS an
                                          das PLUS an                                                     SicheRheit
                                        innOVatiOnen                      das PLUS an
                                                                        kUnDenSeRVice

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THEMA

     fang- und Sickerflächen, in denen sich        denke, ergeben sich hier Schnittstellen,      kann. Mit speziellen Computer-Simulati-
     das Wasser bei starken Regenfällen sam-       die man bei einem klassischen Projekt         onen können wir die Effekte der Begrü-
     melt. Sie sollen das städtische Kanalnetz     nicht hat.                                    nung in der Biotope City darstellen. Und
     entlasten, indem sie den Wasserabfluss        Fassbinder: „Genau so ist es. Manche          wir haben berechnet, dass die gefühlte
     reduzieren und verlangsamen.“                 Planer und Errichter tun sich leichter,       Temperatur im Außenbereich an den
                                                   mit Biologen, Wasserwirtschaftern, Kul-       meisten Stellen von über 40 Grad Cel-
     Reisen wir für einen Moment zehn Jahre        turtechnikern und Landschaftsarchitekt-       sius auf unter 30 Grad gesenkt wird. Mit
     in die Zukunft. Wie sieht die Biotope City    innen zusammenzuarbeiten und sich bei         einem Wort: Mehr Grün in die Stadt ist
     aus?                                          der eigenen Arbeit ein bisschen reinpfu-      ein relativ simples und kostengünstiges
     Fassbinder:: „Grün! Ich sehe einen dicht      schen zu lassen – andere tun sich schwe-      Mittel, um die Probleme zu mildern, die
     begrünten Stadtteil mit Veitschi, Glyzini-    rer. Tatsache ist: Hier gibt es nicht nur     der Klimawandel uns beschert.“
     en und anderen Kletterpflanzen an den         kollaborative, sondern auch technische
     Fassaden, mit Flächen für Urban Garde-        Schnittstellen, die von Anfang an Milli-      Klingt überzeugend. Warum macht man
     ning und einer gut vernetzten, stabilisier-   meter für Millimeter mitgeplant werden        das nicht öfter?
     ten Nachbarschaft. Harry Glück hat bei        müssen. Das funktioniert nicht zuletzt        Fassbinder: „Unbekanntes Terrain! Das
     seinen Schwimmbädern am Dach gesagt:          auch deshalb gut, weil wir hier eine in-      ist das allergrößte Problem. Es gibt ei-
     Das Wasser habe eine bandstiftende Wir-       terdisziplinäre, wissenschaftliche Projekt-   nen Wust von Paragrafen, Bauvorschrif-
     kung, denn in der Badehose seien alle         betreuung haben.“                             ten und Haftungsfragen sowie eine ge-
     Menschen gleich – vom Vorstandsdirek-                                                       wisse Angst und fehlende Erfahrung bei
     tor bis zum Aushilfskellner. Beim Garteln     Wie wird dieser Mehraufwand finan-            Architekten, Bauträgern und Behörden.
     ist es so ähnlich. Mit dem Unterschied        ziert?                                        Das Neuland will noch erforscht werden.
     vielleicht, dass die Wienerin von der ana-    Fassbinder: „Das Ganze läuft als For-         Genau das ist die mittel- und langfristige
     tolischen Immigrantin noch viel Wertvol-      schungsprojekt und wird mit 100.000           Aufgabe der Biotope City. Sie ist gewis-
     les über Tomatenanbau lernen kann.“           Euro finanziert. Wir haben jetzt weitere      sermaßen das Demonstrationsobjekt.“
                                                   300.000 Euro für weitere drei Jahre be-
     Welche technischen, juristischen und lo-      antragt. Sinn und Zweck dieses Projekts       Wie lautet Ihr Appell an die Stadtplanung
     gistischen Schwierigkeiten bringt die Bio-    ist ja, am Ende eine Betriebsanleitung        und Politik?
     tope City mit sich?                           zu bekommen, wie so ein Stadtteil, wie        Fassbinder: „Ich wünsche mir generell
     Fassbinder: „Eine große technische und        so ein grüner Ansatz auch anderswo re-        mehr Offenheit und Weitsicht. Ich wün-
     baurechtliche Schwierigkeit ist leider        alisiert werden kann. Dazu braucht es         sche mir, dass die Stadtplanung erkennt,
     der Brandschutz. Immer wieder wird ar-        objektive Aussagen und eine entspre-          dass eine engagierte und ambitionierte
     gumentiert, dass Grün eine gefährliche        chende Dokumentation in Form eines            Grünraumplanung die eierlegende Woll-
     Brandlast sei. Ja und nein. Efeu – um nur     Forschungsberichts.“                          milchsau ist, die viele unserer städti-
     ein Beispiel zu nennen – hat einen ho-                                                      schen, mikroklimatischen und auch sozi-
     hen Ölanteil und brennt im Gegensatz zu       In der Regel geben Bauträger zwei bis         alen Probleme erheblich mildern kann.“
     wildem Wein relativ leicht. Daher wer-        drei Prozent der Baukosten für die Frei-
     den wir Efeu nur punktuell einsetzen.         raumanlagen aus. Wie groß ist der Anteil      Und an die Bauwirtschaft?
     Auch bei anderen Pflanzen muss man            in der Biotope City?                          Fassbinder: „Trauen Sie sich! Machen
     das Brandverhalten sehr genau differen-       Fassbinder: „Genauso hoch. Keinen             Sie! Sie werden sehen: Größere Wohnzu-
     zieren. Wir haben zu diesem Thema so-         Cent mehr. Es ist nur ein Umdenken und        friedenheit, viel weniger Mieterwechsel –
     gar einen eigenen Workshop mit Exper-         Paradigmenwechsel in der Planung.“            und das spart viel Geld.“
     tinnen und Experten veranstaltet. Aktuell
     werden in Zusammenarbeit mit der Boku         Das geht sich aus?
     sehr komplexe Brandversuche gemacht.“         Fassbinder: „Ja. Das Geheimnis ist: Es
                                                   gibt – wie überall auf der Welt – auch
     Wie schaut es mit der Ansiedelung von         in der Landschaftsarchitektur Trends und
     Tieren aus?                                   Moden. Und diese Trends und Moden
     Fassbinder: „Nun, wo Blattgrün ist, sie-      sind teuer. Wir greifen, wenn Sie so wol-
     deln sich auch zwangsweise Vögel und          len, auf die Vorjahrskollektion zurück,
     Insekten an. Flora ohne Fauna geht            die längst out ist, und können das Pro-          Helga Fassbinder, geboren 1941,
     nicht. Das ist eine wertvolle Symbiose        jekt auf diese Weise gut finanzieren.“           studierte Architektur, Städtebau,
     und muss bei der Planung entsprechend                                                          Kunstgeschichte und Politologie.
     mitberücksichtigt werden. Diese Kom-          Welche Auswirkungen wird das Projekt             Sie ist Professorin für Stadtpla-
     plexität im Blickfeld zu behalten ist eine    kurz- und mittelfristig auf die Wiener           nung an der TU Eindhoven und
     meiner Aufgaben und Kompetenzen.              Baukultur haben?                                 an der TU Hamburg-Harburg.
     Wenn Sie mich fragen: Die Biotope City        Fassbinder: „Hoffentlich einen sehr gro-         2004 gründete sie die Stiftung
     wird ein Stadtteil mit einigen Millionen      ßen! In vielen Städten herrscht ein richti-      Biotope City, die sich mit Kon-
     Bewohnern werden!“                            ger Backofen-Effekt im Sommer. Studien           zepten für Stadtbegrünung
                                                   haben ergeben, dass man mit zehn Pro-            beschäftigt. Beim Projekt Biotope
     Wie sieht die Zusammenarbeit mit den          zent mehr Grün – und das ist gar nicht           City am Wienerberg ist sie als
     Architekten und Bauträgern aus? Allein,       so viel – die sommerliche Temperatur in          Initiatorin maßgeblich beteiligt.
     wenn ich an die begrünten Fassaden            den Städten um drei Grad Celsius senken

24    WOHNENPLUS . 2|2017
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