Das Exotische, das Gewagte - Filmplakat: GROSSSTADTSCHMETTERLING - BALLADE EINER LIEBE Text von: Sarah Peil
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Das Exotische, das Gewagte. Filmplakat: GROSSSTADTSCHMETTERLING – BALLADE EINER LIEBE Text von: Sarah Peil Filmplakat Ein Plakat eines westlichen Films, das eine junge Frau asiatischer Herkunft in der Hauptrolle zeigt, scheint heutzutage keine große Besonderheit zu sein. Erst kürzlich gewann PARASITE als erster südkoreanischer Film vier Oscars. 2018 feierte CRAZY RICH ASIANS als erster Hollywood-Film seit den 90ern, der größtenteils mit Schauspielern und Schauspielerinnen asiatischer Herkunft besetzt ist, große Erfolge und die erste Marvel-Adaption mit einem chinesisch- amerikanischen Protagonisten, steht bereits in den Startlöchern. Doch trotz vermehrter Repräsentation asiatischer Menschen und Kultur im westlichen Mainstream-Kino der vergangenen Jahre war dies lange (und ist bis heute) leider keine Selbstverständlichkeit. Das Plakat des deutschen Films GROSSSTADTSCHMETTERLING – BALLADE EINER LIEBE aus dem Jahr 1928 unter Regie von Richard Eichberg, zeigt Anna 1
May Wong, eine der ersten erfolgreichen asiatisch-amerikanischen Schauspielerinnen. Anna May Wong wurde 1905 als Tochter einer chinesischen Migrantenfamilie in Los Angeles geboren.1 Schon in ihrer Jugend begeisterte sie sich für das Kino und begann noch während der High-School erste Komparsenrollen in Stummfilmen zu übernehmen. Mit 17 brach sie die Schule ab, um sich ganz der Schauspielerei zu widmen. 2 Aufgrund des vorherrschenden Rassismus in Hollywood und dem Verbot interethnischer sexueller Beziehungen und Ehen in vielen US- Bundesstaaten wurde sie jedoch hauptsächlich für kleinere Rollen gecastet. Eine Ausnahme ist die Hauptrolle in Chester M. Franklins Adaption des Madam- Butterfly-Narrativs TOLL OF THE SEA. Sonst wurden die Hauptrollen vornehmlich mit weißen Schauspielerinnen besetzt, oft auch in Yellow Face.3 Wongs Rollen waren zudem meist geprägt durch Klischees und orientalistische Fantasien.4 Wie viele andere nicht-weiße Künstler und Künstlerinnen verließ Wong die USA Ende der 20er Jahre, um in Europa größere und bessere Rollen zu bekommen.5 Tatsächlich entwickelte sie sich in Europa, vor allem in Deutschland und Großbritannien, zu einer der bekanntesten Schauspielerinnen der Stummfilm- Ära. Doch trotz des Erfolges und der Dankbarkeit, die Wong Europa entgegenbrachte, lassen sich auch in den europäischen Produktionen orientalistische, rassistische und sexistische Tendenzen erkennen.6 GROSSSTADTSCHMETTERLING – BALLADE EINER LIEBE, von 1929, ist der zweite Film aus einer Reihe von drei deutsch-britischen Ko-Produktionen unter der Regie von Richard Eichberg und nach einem Drehbuch von Adolf Lantz. Wong spielt Mah, eine ethnische Außenseiterin, die sich als Tänzerin unter dem Namen Princess Butterfly ihr Geld verdient. Als sie von einem Zuschauer verfolgt und bedroht wird, findet sie Unterschlupf beim jungen Maler Kusmin, in den sie sich verliebt. Als sie Geld für ihn zur Bank bringen soll, wird sie überfallen. Der Täter droht, Kusmin umzubringen, wenn sie ihn verrate. Um Kusmin zu schützen, nimmt Mah die Schuld auf sich und wird von dem jungen Maler vor die Tür gesetzt. 1 Vgl. Chan (2007), Perpetually Cool, S. 14. 2 Vgl. Chan (2007), S. 30-34. 3 Vgl. Walk (2014), Anna May Wong and Weimar Cinema, S. 137. 4 Vgl. Leong (2005) , The China Mystique, S. 63. 5 Vgl. Walk (2014), S. 137. 6 Dieser Text konzentriert sich auf Anna May Wongs Karriere in Deutschland. Ähnliche Tendenzen lassen sich jedoch auch im weiteren europäischen Raum beobachten, siehe z.B.: Leong (2006), Anna May Wong and the British Film Industry. 2
Wieder einsam auf der Straße, findet sie Zuflucht bei einem Baron, der sie in die aristokratische Welt einführt. Als dieser das Missverständnis zwischen Kusmin und Mah auflösen will, ist es bereits zu spät. Zwischen Kusmin und der weißen Tochter eines Kunsthändlers bahnt sich bereits eine neue Liebe an. Mah will dem Glück nicht im Wege stehen und gibt ihre Liebe auf. Die letzte Einstellung zeigt wie sie in der Dunkelheit verschwindet.7 GROSSSTADTSCHMETTERLING, sowie die Eichberg-Filme SONG (1928) und HAI TANG (1930) und deren dazugehörige Marketing-Kampagne sollten Wong zum Star machen. Sie spielte die Hauptrolle in allen drei Filmen, ihr Name war prominent in Großbuchstaben auf den Plakaten platziert und alle Filme feierten ihre Premiere glamourös in den größten Kinos von Berlin.8 Eine Schauspielerin chinesischer Herkunft so zelebriert zu sehen, war auch für Deutschland eine Sensation. Filme über den fernen Osten waren zwar keine Seltenheit im Kino der Weimarer Republik, doch wurden meist weiße, deutsche Schauspieler und Schauspielerinnen eingesetzt, die Yellow Face benutzten, um die asiatischen Charaktere darzustellen.9 Trotz der dadurch gewonnenen Authentizität und Repräsentation folgen alle drei Filme einem ähnlichen Narrativ, welches Stereotypen, Klischees und Vorurteile gegenüber Frauen asiatischer Herkunft bestätigt und hervorbringt und die westliche, männliche Hegemonie verteidigt. Wong spielt eine Straßenkünstlerin aus ärmlichen Verhältnissen, die sich in einen weißen Mann verliebt. Am Ende muss sie sterben oder weggehen, um dem Glück des weißen Mannes nicht im Weg zu stehen.10 Diese Erzählung kann als eine Abwandlung des ‚Madame Butterfly‘- Narrativs gedeutet werden, welches sich seit Pierre Lotis Kurzgeschichte ‚Madame Chrysanthème‘ aus dem Jahr 1898 in verschiedenen Variationen in der Kunst- und Mediengeschichte der vergangenen zwei Jahrhunderte finden lässt.11 Die fremde Frau aus dem fernen Osten wird zur Projektionsfläche westlicher, männlicher Begierden und Ängste und muss eliminiert werden, um den Status Quo der weißen, patriarchalischen Hegemonie aufrechtzuerhalten.12 7 Vgl. Walk (2014), S. 144-147. 8 Vgl. Walk (2014), S. 138-140. 9 Vgl. Walk (2014), S. 149. 10 Vgl. Walk 2014, S. 140. 11 Für mehr Informationen siehe z.B.: Lee (2020), Metamorphosen der Madame Butterfly. 12 Vgl. Walk 2014, S. 140, 149. 3
Adolf Lantz, der Drehbuchautor der drei Eichberg-Filme, fand hingegen eine andere Erklärung für das wiederkehrende Narrativ. So schrieb er in einem Artikel, dass nicht-weiße Schauspielerinnen aufgrund der amerikanischen Zensur dem Dogma eines tragischen Endes unterlägen. Ein Happy End in einem kommerziellen Film würde eine Heirat der nicht-weißen, weiblichen Figur mit der weißen, männlichen Figur bedeuten. Durch das Verbot interethnischer Partnerschaften in den USA befürchtete die europäische Filmindustrie, dass ein solcher Film von der amerikanischen Zensur nicht zugelassen würde und man somit den amerikanischen Markt verliere.13 Die Kritiken zum Zeitpunkt des Erscheinens der drei Filme verfielen größtenteils dem gleichen Orientalismus und Sexismus, der in den Filmen vorherrscht. Zwar wurde Wongs schauspielerische Leistung sehr gelobt, doch explizite, anzügliche Beschreibungen von Wongs Körper und Analogien zu Kindern und Tieren demonstrieren die orientalistischen Fantasien der männlichen Blicke und den westlichen Blick auf den fernen Osten. So schrieb Ernst Blaß im Berliner Tageblatt: „Im Abendkleid manchmal zu ,angezogen‘, als ob man eine wunderbare kleine Siamkatze im Varieté dressiert auftreten ließe“.14 Herrmann Linden schrieb in der Frankfurter Zeitung: „wie das äugelt, wie das die Lippen spitzt, heimlich und katzenhaft ungehorsam ist!“15 und Hans Sahl schrieb im Der Montag Morgen von Gesten, die „an das Spiel von Kindern oder Tieren erinnert“. 16 In diesen Beschreibungen wird ein stereotypes Bild der exotischen, unterwürfigen und schutzbedürftigen asiatischen Frau entworfen, welches das ideologische Verhältnis von Kolonialmacht und Kolonie wiederspiegelt. Es gab jedoch auch Ausnahmen. So schrieb die Sozialistische Bildung schon damals: „Die Chinesin muss nach amerikanischem Schema einen jungen Weißen retten, einen Maler, und bekommt zum Schluß, weil die weiße Rasse der gelben so himmelhoch überlegen ist, den üblichen Fußtritt“.17 Es lässt sich feststellen, dass Wongs Karriere in Europa ihr zu größeren Rollen, Anerkennung und Erfolg verhalf. Sie wurde jedoch auch hier, aufgrund ihrer chinesischen Herkunft, für Rollen mit orientalistischen, rassistischen und sexistischen Prägungen eingesetzt. 13 Lantz (1929), Filmstar muß sterben. 14 Blaß (1929), Der neue Film mit Anna May Wong. 15 Linden (1929), Anna May Wong. 16 Sahl (1929), Anna May Wong. 17 o.V. (1929), Großstadtschmetterling. 4
Quellen: Blaß, Ernst: Der neue Film mit Anna May Wong / Großstadtschmetterling im Universum. In: Berliner Tageblatt Nr. 176. 14.04.1929. Chan, Anthony B.: Perpetually Cool. The Many Lives of Anna May Wong (1905-1961). Lanham, Maryland u.a. 2007. Lantz, Adolf: Filmstar muß sterben. In: Tempo Nr. 83. 10.04.1929. Lee, Hyunseon: Metamorphosen der Madame Butterfly. Interkulturelle Liebschaften zwischen Literatur, Oper und Film. Heidelberg 2020. Leong, Karen J.: The China Mystique. Pearl S. Buck, Anna May Wong, Mayling Soong, and the Transformation of American Orientalism. Berkeley u.a. 2005. Quellen: Leong, Karen J.: Anna May Wong and the British Film Industry. In: Quarterly Review of Film and Video, 23:1, 13-22 2006. Linden, Hermann: Anna May Wong. In: Frankfurter Zeitung Nr. 331. 04.05.1929. o.V.: Großstadtschmetterling. In: Sozialistische Bildung Nr. 5. Mai 1929. Sahl, Hans: Anna May Wong / Großstadtschmetterling. In: Der Montag Morgen Nr. 15. 15.04.1929. (Sammelkritik). Walk, Cynthia: Anna May Wong and Weimar Cinema. Orientalism in Postcolonial Germany. In: Beyond Alterity. German Encounters with Modern East Asia. Hg.: Shen, Qinna / Rosenstock, Martin. New York 2014. S. 137-168. 5
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