Das letzte Wort ist gefallen: Ein moderneres Erbrecht für die Schweiz
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Thouvenin Rechtsanwälte KLG Klausstrasse 33 CH - 8024 Zurich www.thouvenin.com Das letzte Wort ist gefallen: Ein moderneres Erbrecht für die Schweiz Am 18. Dezember 2020 hiess das Parlament die Vor- Beispiel: Herr Meier hat drei Kinder aus einer ersten lage zur Revision des Schweizerischen Erbrechts gut. Ehe und lebt seit 10 Jahren mit einer neuen Partnerin Am 10. April 2021 ist die Referendumsfrist unbenützt im Konkubinat. Eine (neue) Heirat ist für beide ausge- abgelaufen. Damit steht nun endgültig fest, was sich schlossen, beide haben Kampfscheidungen hinter mit dem revidierten Erbrecht in der Schweiz ändern sich. Aufgrund der reduzierten Pflichtteile seiner Kin- wird: Die Schweiz wird ein moderneres und neuen Le- der kann Herr Meier seiner neuen Partnerin nun die bensformen angepasstes Erbrecht erhalten, welches Hälfte seines ganzen Vermögens testamentarisch die Verfügungsfreiheit des Einzelnen bei der Planung (oder mittels Erbvertrag) zu Eigentum hinterlassen. seines Nachlasses deutlich erweitert. Das neue Recht Unter heutigem Recht könnte er ihr lediglich ¼ seines wird voraussichtlich am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Nachlasses zuweisen. Zu den Neuerungen im Einzelnen: Die andere Seite der Medaille bzw. der reduzierten Pflichtteile der Nachkommen besteht darin, dass sich 1 Wegfall der Eltern-Pflichtteile diese künftig weniger gegen die Privilegierung von Neu steht den Eltern kein Pflichtteil mehr zu, wenn ein (neuen) Ehegatten und neuen Lebenspartnern wehren Kind ohne eigene Nachkommen verstirbt. Für Perso- können. Solche Begünstigungen erfolgen in der Praxis nen, die keine Kinder, aber noch Eltern haben, erleich- nicht nur auf den Tod hin, sondern oftmals bereits vor- tert das die Nachlassplanung wesentlich. Kinderlose her durch lebzeitige Vermögensverschiebungen (in Ehegatten und Partner in eingetragener Partnerschaft der Regel Schenkungen), die ebenfalls pflichtteilsrele- können sich nun gegenseitig unbeschränkt als Allein- vant sind. erben einsetzen, ohne wie bis anhin den Elternpflicht- teil durch Begründung einer Gütergemeinschaft oder 3 Kein Pflichtteilsanspruch von Ehegatten bei ei- durch Einholung eines vertraglichen Erbverzichts um- nem hängigen Scheidungsverfahren gehen zu müssen. Stirbt ein Ehegatte während eines gerichtlichen Schei- dungsverfahrens, so hat der überlebende (noch nicht 2 Reduktion der Pflichtteile der Nachkommen geschiedene) Ehegatte keinen Pflichtteilsanspruch Der im internationalen Vergleich hohe Pflichtteil von mehr. Für die Berechnung der Pflichtteile der übrigen Nachkommen von ¾ des gesetzlichen Erbteils wird auf Pflichtteilserben (Nachkommen) wird er behandelt, wie die Hälfte (des gesetzlichen Erbteils) reduziert. Die wenn er vorverstorben bzw. bereits geschieden wäre. Höhe des Pflichtteils von Ehegatten und eingetrage- Ebenso stehen dem überlebenden Ehegatten in einem nen Partnern bleibt unverändert. solchen Fall weder güterrechtliche Meistbegünsti- gungsansprüche aus einem bestehenden Ehevertrag Die mit der Reduktion der Pflichtteile der Nachkommen noch Ansprüche aus einem Testament oder einem einhergehende erhöhte Verfügungsfreiheit bei der Erbvertrag des verstorbenen Ehegatten zu (auch wenn Nachlassplanung wird vor allem Personen, die Nach- dieser eine solche Regelung nicht mehr abgeändert kommen haben und in einer Patchwork-Familie oder hat). Nach wie vor besteht in einer solchen Konstella- im Konkubinat leben, freuen: Eine zweite Ehefrau oder tion indes der gesetzliche Erbanspruch (der zum Tra- ein neuer Lebenspartner, aber auch ein Stiefkind kann gen kommt, wenn ein Erblasser letztwillig nichts gere- in dieser Konstellation nun deutlich mehr begünstigt gelt hat). Ehegatten, die sich in einem laufenden werden. Scheidungsverfahren befinden und die dem anderen 1|4
Ehegatten (für den Fall eines unerwarteten Ablebens zustehen) miteinzuberechnen, nicht aber das Pensi- während des Scheidungsverfahrens) nichts mehr zu- onskassenguthaben der Verstorbenen, das aufgrund halten möchten, ist deshalb geraten, diesem mittels ei- pensionskassenrechtlicher Vorschriften ebenfalls di- nem Testament den Erb- und Pflichtteilsanspruch zu rekt dem Ehemann zufällt. Der Pflichtteil der beiden entziehen. Kinder von Frau Huber beläuft sich nach neuem Recht auf je CHF 100'000 (1/8 von CHF 800'000 [reiner Nach- 4 Keine Pflichtteils-Relevanz der ehevertraglichen lass plus Säule 3a-Bankguthaben]). Nach geltendem Vorschlagszuweisung für gemeinsame Kinder Recht würde er je CHF 150'000 betragen (heutiger Pflichtteil von je 3/16 x CHF 800'000). Das revidierte Recht stellt neu klar, was in der Praxis Verstirbt Frau Huber ohne Testament, so erhalten ihre bis anhin umstritten war: Die (in der Praxis weitverbrei- Kinder nach neuem Recht je ¼ des Nachlasses ohne tete) Meistbegünstigung des überlebenden Ehegatten Hinzuzählung der Säule 3a-Bankguthaben, mithin also mittels einer ehevertraglichen vollen Vorschlagszuwei- je CHF 150'000 (1/4 x CHF 600'000). Die Säule 3a- sung ist bei der Berechnung der Pflichtteile von ge- Bankguthaben werden neu nur noch für die Berech- meinsamen Kindern nicht mitzuzählen. Nicht gemein- nung von Pflichtteilen berücksichtigt. same Nachkommen müssen sich eine solche Vor- schlagszuweisung weiterhin nicht gefallen lassen, wenn dadurch ihre Pflichtteile verletzt werden. 6 Erleichterte Anfechtbarkeit von Schenkungen nach Abschluss eines Erbvertrages 5 Berücksichtigung von Säule 3a-Bankguthaben lediglich noch für die Berechnung der Pflichtteile Schenkungen nach Abschluss eines Erbvertrages (so- weit es sich nicht lediglich um Gelegenheitsgeschenke Das neue Recht stellt klar, dass Begünstigungen aus handelt) werden neu per se anfechtbar sein, ausser einem Säule 3a-Bankguthaben (welche der begünstig- der Erbvertrag erlaubt solche Schenkungen explizit. ten Person regelmässig direkt zufallen) nicht Teil des Das Bundesgericht regelte diese Frage bis anhin ge- Nachlasses sind, aber für die Berechnung der Pflicht- rade umgekehrt: Enthält ein Erbvertrag kein Schen- teile hinzugerechnet werden. Bis anhin wurden solche kungsverbot, so sind lebzeitige Schenkungen heute Ansprüche voll in den Nachlass hineingerechnet und nur anfechtbar, wenn ihnen eine offensichtliche Schä- der Grundsatz der Berücksichtigung ausschliesslich digungsabsicht zugrunde liegt. Letzteres ist in der Re- zur Berechnung des Pflichtteils galt lediglich für Versi- gel schwierig zu beweisen. cherungsansprüche (aus Lebensversicherungen oder Säule 3a-Versicherungslösungen) (Hinzurechnung zu Beispiel: Die kinderlosen, vermögenden Ehegatten Rückkaufswerten). Für die Berechnung von Erb- und Stebler vereinbarten mit Erbvertrag, dass der überle- Pflichtteilsansprüchen weiterhin nicht relevant sind Be- bende Ehegatte Alleinerbe sein wird und nach dessen günstigungen aus der beruflichen Vorsorge. Solche Ableben alles Vermögen an Terre des Hommes und Begünstigungen können erheblich und einiges höher die Schweizer Berghilfe (als Alleinerben im zweiten als Säule 3a-Bankguthaben sein, wenn der Erblasser Erbfall) geht. Herr Stebler verstirbt im Jahre 2022. Zwei über ein hohes Pensionskassenguthaben verfügt und Jahre später (und damit nach Inkrafttreten der neuen vor dem Vorsorgefall verstirbt. Bestimmungen) schenkt seine Ehefrau und Alleinerbin ihren beiden Patenkindern je CHF 300'000. Kurz da- Beispiel: Frau Huber, eine selbständige Gynäkologin, nach verstirbt sie. Nach neuem Recht werden Terre hinterlässt zwei erwachsene Kinder und ihren Ehe- des Hommes und die Schweizer Berghilfe diese mann, als sie mit 61 unerwartet an einem Herzinfarkt Schenkungen erfolgreich anfechten können (mittels ei- verstirbt. Ihr Nachlass beläuft sich auf CHF 600'000, ner Klage gegen die beiden Patenkinder von Frau Ste- daneben verfügt sie über zwei Säule 3a-Bankkonten bler), denn der Erbvertrag enthält keine Klausel, wel- (mit einem Guthaben von je CHF 100'000) und einem che solche Zuwendungen erlaubt. Unter geltendem Pensionskassenguthaben von CHF 900'000. Ihre bei- Recht würde eine solche Klage wohl scheitern. den Kinder hat Frau Huber testamentarisch auf den Pflichtteil gesetzt und ihren Ehemann meistbegünstigt. Für die Berechnung des Pflichtteils der Kinder (je 1/8) sind die Säule 3a-Guthaben (welche dem Ehemann gemäss Gesetz und Reglement der Bankstiftung direkt 2|4
7 Konkubinatspartner weiterhin ohne gesetzliche 9 Handlungsbedarf für Sie? Erbansprüche Aufgrund der erweiterten Verfügungsfreiheit und direk- Die Revisionsvorlage sah für Konkubinatspartner ei- ten Anwendbarkeit des neuen Rechts auf bestehende nen Unterstützungsanspruch vor, falls sie durch das Testamente und Erbverträge empfehlen wir, folgende Ableben des Erblassers "in Not geraten". Das Parla- Fragen zu klären: ment lehnte diesen Vorschlag ersatzlos ab mit dem Hinweis, dass ein Erblasser die Möglichkeit habe, sei- Ist mein bestehendes Testament/mein bestehen- nen Lebenspartner letztwillig zu begünstigen und wenn der Erbvertrag vereinbar mit den neuen Vor- er dies nicht tue, keine Notwendigkeit bestehe, ihm ei- schriften? nen erbrechtlichen Zwangsanspruch einzuräumen. Möchte ich jemanden für den Fall meines Able- bens neu oder verstärkt begünstigen? 8 Ausblick Ein Ja auf nur eine dieser Fragen führt zu einem An- Das revidierte Erbrecht wird nach seinem Inkrafttreten passungsbedarf bei Ihrer bestehenden Nachlasspla- (voraussichtlich am 1. Januar 2023) auf alle neuen To- nung. Die Mitglieder unseres Private Clients Team un- desfälle direkt anwendbar sein. Auf separate Über- terstützen Sie gerne bei einer solchen Abklärung und gangsbestimmungen hat das Parlament verzichtet. stehen gerne für ein Beratungsgespräch zur Verfü- Das bedeutet, dass das neue Recht auf alle bestehen- gung. den Testamente und Erbverträge, die unter heutigem Recht errichtet wurden, anwendbar sein wird. Zürich, 12. April 2021 Mit dem Erlass und Inkrafttreten der neuen Bestim- Das Private Clients | Entrepreneurs Team von Thou- mungen ist die Modernisierung des Schweizer Erb- venin Rechtsanwälte KLG: rechts aber noch nicht abgeschlossen. Es laufen be- reits neue Gesetzgebungsverfahren, nämlich die An- passung der erbrechtlichen Vorschriften im IPRG Sandra Spirig, Fachanwältin SAV Erbrecht (Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht) an Pius Bumann, Fachanwalt SAV Erbrecht die europäische Erbrechtsverordnung sowie die Daniel Stoll, Rechtsanwalt Schaffung eines separaten Unternehmens-Erbrechts, Tom Loher, Rechtsanwalt das die Unternehmensnachfolge erleichtern soll. Nicola Neth, Rechtsanwältin 3|4
Sandra Spirig Pius Bumann Partnerin, Rechtsanwältin Partner, Rechtsanwalt s.spirig@thouvenin.com p.bumann@thouvenin.com Tom Loher Dr. Daniel Stoll Managing Partner, Senior Partner, Rechtsanwalt Rechtsanwalt, d.stoll@thouvenin.com t.loher@thouvenin.com Nicola Neth Rechtsanwältin n.neth@thouvenin.com Thouvenin Rechtsanwälte Kompakt Wir sind eine partnergeführte Wirtschaftskanzlei mit Beratungsschwerpunkt auch in den Bereichen Nachlasspla- nung, Willensvollstreckung und Vertretung von Klienten in erbrechtlichen Auseinandersetzungen. 4|4
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