Das neue Erwachsenenschutzgesetz - Recht, Autonomie und notwendige Entscheidungen auf der Intensivstation - IZI

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Das neue Erwachsenenschutzgesetz - Recht, Autonomie und notwendige Entscheidungen auf der Intensivstation - IZI
Das neue Erwachsenenschutzgesetz
Recht, Autonomie und notwendige Entscheidungen
auf der Intensivstation

Univ.-Prof. Dr. Christiane Wendehorst, LL.M.   37. Hernsteiner Fortbildungstagung
                                                           für die Intensivmedizin
Das neue Erwachsenenschutzgesetz - Recht, Autonomie und notwendige Entscheidungen auf der Intensivstation - IZI
Grundlage der medizinischen
Behandlung

         Autonomie
           Autonomie          Fürsorge

Christiane Wendehorst                    2
Das neue Erwachsenenschutzgesetz - Recht, Autonomie und notwendige Entscheidungen auf der Intensivstation - IZI
Grundlage der medizinischen
Behandlung
                                 Medizinische Indikation

                                          +
                  Einwilligung                               Gesetzlich
                                                             definierter
                     des
                                                               Notfall
            entscheidungsfähigen
                                              Mutmaßliche
            Patienten selbst oder
                                              Einwilligung
              seines Vertreters

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Einwilligung
                        Wirksamkeitsvoraussetzungen:

                          Entscheidungsfähigkeit
                         oder wirksame Vertretung
                                      +
                        ordnungsmäßige Aufklärung
                                                       Bei Nichtbeachtung
                                      +
                                                       drohen Strafbarkeit
                        Freiwilligkeit/kein Widerruf
                                                       (§ 110 StGB) und
                                                       Schadenersatzpflicht
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Entscheidungsfähigkeit
                        Anforderungen an die Entscheidungsfähigkeit des Patienten sind
                        für jede einzelne Behandlungsmaßnahme gesondert zu bestimmen,
                        d.h. Anforderungen sind bei einfachen bzw harmlosen Maßnahmen
                        geringer als bei schwerwiegenden Eingriffen

                        Entscheidungsfähigkeit ist eine tatsächliche Fähigkeit des Patienten,
                        die vom behandelnden Arzt konkret beurteilt werden muss; dieser
                        kann bei Volljährigen im Zweifel von Entscheidungsfähigkeit ausgehen.

                        Fähigkeit zur Einwilligung entspricht nicht immer auch der
                        Geschäftsfähigkeit, um wirksam einen Behandlungsvertrag abschließen zu
                        können (Unterscheidung wichtig v.a. bei teuren Wahlleistungen)
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Beispiel:

   Die 89-jährige Paula, die an einer fortgeschrittenen Demenzerkrankung
   leidet, wird nach einem Sturz mit Schulterbruch, Hämatomen und
   blutenden Wunden in die Notfallambulanz eingeliefert.

   Abhängig von der konkreten Einschätzung der behandelnden Ärztin (die zu
   dokumentieren ist!) kann Paula zB für die Erstversorgung der blutenen
   Wunden voll entscheidungsfähig sein, für die Frage der Behandlung des
   Schulterbruchs aber nicht.

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Das 2. Erwachsenenschutzgesetz

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2. Erwachsenenschutzgesetz

 Dient der Stärkung der Autonomie schutzbedürftiger Erwachsener,
  insbesondere vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention
 Inkrafttreten am 1. Juli 2018
 Löst die bisherige Sachwalterschaft und Vertretungsbefugnis nächster
  Angehöriger ab und regelt auch die Vorsorgevollmacht neu
 Weitgehende Neuregelung auch der Einwilligung in die ärztliche
  Heilbehandlung im weitesten Sinn
 Entsprechende Anwendung der für die ärztliche Behandlung geltenden
  Grundsätze auf Maßnahmen anderer geregelter Gesundheitsberufe
  (zB Krankenpflege)
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2. Erwachsenenschutzgesetz
 Übergangsregelungen:
        − Bisherige Sachwalterschaften werden mit Wirkung vom 1. Juli 2018 in die neue
          „gerichtliche Erwachsenenvertretung“ überführt, schrittweise überprüft und danach
          entweder beseitigt/reduziert oder erneuert; mangels Erneuerung enden sie
          spätestens mit 1. Jänner 2024.
        − Bisherige Vorsorgevollmachten bleiben wirksam; tritt der Vorsorgefall ab dem 1.
          Juli 2018 ein, bedarf der Eintritt aber der Eintragung im ÖZVV
        − Vertretungsbefugnisse nächster Angehöriger bleiben nur wirksam, wenn sie vor
          dem 1. Juli 2018 registriert worden sind und erlöschen spätestens nach dem 30.
          Juni 2021; bis dahin gilt für fortwirkende Vertretungen weiterhin §§ 284b bis 284e
          ABGB in der bisherigen Fassung

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Definition Entscheidungsfähigkeit

                        Begriff der Entscheidungsfähigkeit löst den bisherigen
                        Begriff der „Einsichts- und Urteilsfähigkeit” ab

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Erwachsenenschutz: Instrumente
                                              Unterstützung

                                             Vorsorgevollmacht
             Erwachsenenvertretung

                                      Gewählter Erwachsenenvertreter
Vertretung

                                        Erwachsenenvertreterverfügung

                                     Gesetzlicher Erwachsenenvertreter

                                               Gerichtlicher
                                           Erwachsenenvertreter
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Erwachsenenschutz: Instrumente
 Vorsorgevollmacht: Patient bestimmt selbst im noch geschäftsfähigen Zustand, wer
  wie für sie handeln soll; kann jederzeit widerrufen oder gekündigt werden; Registrierung
  der Vorsorgevollmacht und des Eintritts des Vorsorgefalls im ÖZVV erforderlich
 Gewählter Erwachsenenvertreter: durch zweiseitige Vereinbarung; geminderte
  Entscheidungsfähigkeit zum Abschluss ausreichend; kann jederzeit widerrufen oder
  gekündigt werden; Registrierung im ÖZVV erforderlich
 Gesetzlicher Erwachsenenvertreter: nächste Angehörige oder durch EV-Verfügung
  nominierte Person; jederzeitiges Widerspruchsrecht des Vertretenen; Erneuerung oder
  Erlöschen spätestens nach 3 Jahren; Registrierung im ÖZVV erforderlich
 Gerichtlicher Erwachsenenvertreter: vom Gericht bestellt, wenn keine andere
  Möglichkeit besteht (ultima ratio); in EV-Verfügung nominierte bzw nahestehende
  Person, sonst EV-Verein, Rechtsanwalt, Notar, etc.; Erneuerung oder Erlöschen
  spätestens nach 3 Jahren; wird ebenfalls registriert
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Erwachsenenschutz: Instrumente
                        Ist ein Patient nach Einschätzung des Arztes konkret entscheidungsfähig,
                        kann ausschließlich der Patient selbst (nach Aufklärung) in die
                        Behandlung einwilligen. Das gilt auch dann, wenn ein Vertreter mit
                        Wirkungskreis „medizinische Behandlung“ bestellt wurde.

                        Der Vertretungszustand eines nicht entscheidungsfähigen Patienten kann
                        einigermaßen verlässlich nur durch Abfrage im ÖZVV ermittelt werden
                        (aber auch insofern Lücken: Altfälle, Patienten aus dem Ausland, …)

                        Im Klinikalltag Ermittlung des Vertretungszustands aufwändig und ohne
                        Journalrichter oft nicht zu leisten; bessere Zugänglichkeit der Daten (zB E-
                        card) wäre wünschenswert (Datenschutz versus Patientenautonomie).
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Beispiel:
   Die 89-jährige Paula wird nach einem Schlaganfall auf der Intensivstation
   aufgenommen. Sie ist kaum ansprechbar und eindeutig nicht entscheidungsfähig. Mit
   im Ambulanzwagen sitzt ihre Tochter, die ein mit „Vorsorgevollmacht”
   überschriebenes Dokument vorweisen kann.
   1.       Wann wurde die Vorsorgevollmacht errichtet? Vor oder ab dem 1.7.2018?
                  − Bei Altfällen Differenzierung zwischen schwerwiegenden medizinischen
                    Maßnahmen (VV muss vor Notar, Rechtsanwalt oder Gericht errichtet sein) und
                    normalen Maßnahmen (eigenhändig geschrieben und unterschrieben sowie
                    bestimmte andere Formen genügen auch); Eintragung der VV als solche nicht
                    Wirksamkeitsvoraussetzung
                  − Bei Neufällen höchstpersönliche und schriftliche Errichtung vor Notar,
                    Rechtsanwalt oder Erwachsenenschutzverein; Eintragung der VV im ÖZVV
                    erforderlich
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2.      Wenn VV vor dem 1.7.2018 errichtet: Wann ist der Vorsorgefall (d.h. der Verlust
        der Entscheidungsfähigkeit) eingetreten, vor oder nach dem 1.7.2018?
               − Bei Verlust der Entscheidungsfähigkeit vor 1.7.2018 keine Registrierung des
                 Vorsorgefalls im ÖZVV zur Wirksamkeit erforderlich (bei nicht registrierten VV aber
                 auch kein Schutz des Vertrauens des Arztes, zB könnte VV längst widerrufen sein)
               − Bei Verlust der Entscheidungsfähigkeit ab 1.7.2018 VV erst dann wirksam, wenn
                 Eintritt des Vorsorgefalls im ÖZVV registriert wurde (dies gilt selbst dann, wenn die VV
                 vor 1.7.2018 errichtet wurde!)
               − Wenn schon die VV erst ab 1.7.2018 errichtet, erlangt die VV jedenfalls erst dann
                 Wirkung, wenn der Eintritt des Vorsorgefalls im ÖZVV registriert wurde.
               Beachte: Auch bei „alten“ und noch wirksamen VV gelten für die Rechtswirkungen, zB bei
               der medizinischen Heilbehandlung, ab 1.7.2018 ausschließlich das neue Recht.

3. Sind die anstehenden Fragen von der Vorsorgevollmacht gedeckt?
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Ärztliche Behandlung im Notfall
      („Gefahr im Verzug“)

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„Gefahr im Verzug”

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„Gefahr im Verzug”
 Notfall (auch: „Gefahr im Verzug“) im Gesetz (immer noch) definiert als
  „Gefährdung des Lebens, Gefahr einer schweren Schädigung der
  Gesundheit oder starke Schmerzen“
        − Formel findet sich ähnlich (ohne Erwähnung von starken Schmerzen) seit
          Jahrzehnten in österreichischen Gesetzen
        − Müsste heißen, dass man bei fehlender Einwilligungsfähigkeit und Abwesenheit
          eines Vertreters bei Gefahr bloß leichter bis mittlerer Gesundheitsschäden
          oder bloß leichten bis mittelstarken Schmerzen nicht behandeln darf
        − Widerspricht dem Wohl UND der Autonomie des Patienten

 Mutmaßliche Einwilligung zB in der Judikatur zur Operationserweiterung bei
  Patienten in Narkose anerkannt, bislang aber nicht vom Gesetzgeber,
  insbesondere nicht bei dauerhafter Entscheidungsunfähigkeit
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„Gefahr im Verzug”
 Pragmatische Lösungen in Österreich:
        − Zunächst Abklärung der Gefahr einer ernsten Diagnose bzw eines schweren
          Kausalverlaufs (und entsprechende Dokumentation) und sodann Berufung auf
          Regelung zur Behandlungsfortsetzung nach Abwendung von Gefahrenmomenten
        − Anforderungen an die Entscheidungsfähigkeit bei harmlosen Maßnahmen
          entsprechend niedrig anzusetzen, ggf verbunden mit Annahme und Dokumentation
          eines lucidum intervallum anhand einer Abwägungsentscheidung
        − „Wo kein Kläger, da kein Richter“ (§ 110 StGB Privatanklagedelikt, in der Praxis
          weitgehend totes Recht; meist passiert bei harmlosen Eingriffen ohnehin nichts und
          hat niemand Grund zur Klage)

 Lösung in Deutschland: bei unaufschiebbaren Maßnahmen mutmaßliche
  Einwilligung, im Zweifel Behandlung nach medizinischer Indikation (wäre auch
     für Österreich als ehrlichere Lösung vorzuziehen).
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„Gefahr im Verzug”
   Gefährdung des Lebens, Gefahr einer schweren Schädigung
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           der Gesundheit oder starke Schmerzen?

                                  ja                  Behandlung aus medizinischer Sicht sonst
        ja                                            unaufschiebbar UND entspricht eindeutig
                             unter Heranziehung
                                                        dem mutmaßlichen Patientenwillen
                         pragmatischer „Lösungen”
                           (rechtliche Grauzone!)
                                                                                 nein
Behandlung unmittelbar zu beginnen,
unverzüglich danach Entscheidungsfähigkeit               Behandlung zu unterlassen und gesetzlicher
herzustellen, gesetzlichen Vertreter zu erforschen         Vertreter zu erforschen bzw Gericht wegen
oder Gericht wegen Bestellung eines Vertreters           Bestellung eines Vertreters oder Erweiterung
oder Erweiterung des Wirkungskreises anzurufen                         des Wirkungskreises anzurufen
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Beispiel:
   Die 89-jährige Paula wird nach einem Schlaganfall auf der Intensivstation
   aufgenommen. Sie ist kaum ansprechbar und eindeutig nicht entscheidungsfähig,
   kann dauerhaft auch keine Nahrung aufnehmen. Beim Sturz hat sie sich leichte
   Schürfwunden und ein Hämatom zugezogen; dies scheint ihr leichte bis
   mittelschwere Schmerzen zu verursachen.
   1.       Akutversorgung des Schlaganfalls ist eindeutig ohne weitere Aufklärung und
            Einwilligung eines Vertreters geboten und gerechtfertigt.
   2.       Versorgung der leichten Schürfwunden und Gabe von Schmerzmitteln nach dem
            Gesetzeswortlaut eigentlich ohne Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters
            unzulässig, wird aber wohl pragmatisch gelöst und dennoch behandelt.
   3.       Legen einer Magensonde wäre nicht ohne Einwilligung eines Vertreters möglich,
            da weder unaufschiebbar noch eindeutig vom mutmaßlichen Willen gedeckt.

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Der neue „Unterstützerkreis”

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Entscheidungsfähiger Patient

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Unterstützerkreis

 Entscheidungsfähiger Patient kann nur selbst – nach Aufklärung – wirksam in
  Maßnahme einwilligen (entspricht § 283 Abs 1 aF).
 Neu: Auch „eigentlich“ nicht entscheidungsfähiger Patient muss durch
  Unterstützung möglichst in entscheidungsfähigen Zustand versetzt werden
        − Arzt muss normalerweise Angehörige, Vertrauenspersonen, Fachleute usw
          beiziehen und dies dokumentieren
        − Arzt muss den äußerungsfähigen Patienten vorher über die geplante Beiziehung
          und Weitergabe von medizinischen Informationen informieren
        − Keine Weitergabe von Informationen, wenn der Patient (gleich wie und in welchem
          Zustand) zu erkennen gibt, dies nicht zu wünschen

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Unterstützerkreis
 Gesetz macht keine Einschränkung bei offenkundiger Aussichtslosigkeit
         − vertretbar wäre teleologische Reduktion, auch unter Berücksichtigung der
           Verankerung der Regelung unter der Überschrift „entscheidungsfähige Personen“
         − Arzt bewegt sich aber insofern in rechtlicher Grauzone; Hoffnung auf praktikable
           Lösung in zu erwartenden Handlungsanleitungen und Konsenspapieren
         − Bei nicht äußerungsfähigen Patienten aber idR keine Unterstützung erforderlich,
           weil Patient den Arzt nicht wirksam von Verschwiegenheitspflicht entbinden kann

 Generell nur zumutbare Bemühungen geschuldet, Dokumentation der
  Bemühungen wichtig
 Bei Gefahr für Leben, Gefahr schwerer Gesundheitsschäden oder starken
  Schmerzen („Gefahr im Verzug”) entbehrlich, siehe oben
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Unterstützerkreis
           Notfall iSd § 252 Abs 4?                     nein bzw                 Patient entscheidungsfähig in
            („Gefahr im Verzug”)                       abgewendet                Bezug auf med Behandlung?

                          Weitergabe medizinischer
                                                                         nein
                         Informationen erforderlich?

                             ja                              nein
         ja                                                                                               ja
                                                                                Unterstützung
                          Patient äußerungsfähig und                ja
                         entbindet mind schweigend?

                                                      nein

Behandlung allein nach            Aufklärung und Einwilligung des gesetzlichen Vertreters         Einwilligung des
medizinischer Indikation                (plus Aufklärung des Patienten) erforderlich        Patienten erforderlich
 Christiane Wendehorst                                                                                           27
Beispiel:
  Der 87-jährige Peter liegt nach einem Schlaganfall auf der Intensivstation. Es stellt sich
  die Frage, ob ein mit Risiken verbundener Eingriff zur Weitung von Gehirngefäßen
  durchgeführt werden soll. Wie viel Peter noch versteht, ist nicht ganz klar, der Arzt
  hält ihn aber trotz der Vermutung in § 24 ABGB für nicht entscheidungsfähig.
  Hier müsste sich der Arzt bemühen, Verwandte und andere nahe stehende Personen
  oder besonders ausgebildetes Personal hinzuzuziehen, das auf Peter eingeht, ihn
  beruhigt, und ihm die Lage in einer für ihn verständlichen Weise erläutert. Dies
  müsste der Arzt auch dokumentieren. Gibt Peter aber durch Gesten, Grimassen usw
  zu erkennen, dass er die Beiziehung anderer ablehnt, hat dies zu unterbleiben.
  Ist diese Unterstützung erfolgt, müsste der Arzt erneut abwägen, ob Peter wohl eher
  entscheidungsfähig ist (dann Einwilligung des Peter erforderlich) oder doch nicht
  (dann Einwilligung eines – ggf erst zu bestellenden – Vertreters erforderlich)
Christiane Wendehorst                                                                      28
Zusammenwirken der Beteiligten
  bei Entscheidungsunfähigkeit
          des Patienten

                                 29
Zusammenwirken der Beteiligten

Christiane Wendehorst            30
Zusammenwirken der Beteiligten

Christiane Wendehorst            31
Zusammenwirken der Beteiligten
 Notfallmaßnahmen iSv § 253 Abs 3 dürfen zunächst immer getroffen werden
 Bei entscheidungsunfähigen Patienten ist in erster Linie nach einer
  Patientenverfügung zu forschen, welche
        − wirksam ist (vgl insbesondere jederzeitige Widerrufsmöglichkeit des Patienten,
          auch in nicht entscheidungsfähigem Zustand, auch schlüssig);
        − verbindlich ist (vgl strenge Anforderungen des PatVG, ua Erneuerung alle 5 Jahre);
        − die infrage kommende medizinische Behandlung erfasst.

 In zweiter Linie ist nach einem gesetzlichen Vertreter zu forschen, welcher
        − wirksam bestellt ist (teilweise NEU: Erfordernis Eintragung im ÖZVV bzw
          Gerichtsbeschluss, bei Vorsorgevollmacht auch Eintragung des Vorsorgefalls); und
        − seinem Wirkungskreis nach über die Behandlung entscheiden kann.
Christiane Wendehorst                                                                      32
Zusammenwirken der Beteiligten
 Die medizinische Behandlung ist durchzuführen, wenn
        − der gesetzliche Vertreter nach Aufklärung einwilligt; und
        − der äußerungsfähige Patient (dem die Maßnahme zu erläutern ist, sofern möglich
          und seinem Wohl nicht abträglich) keinen abweichenden Willen erkennen lässt.
        NEU: (1) Regelung gilt unabhängig von der Schwere des Eingriffs;
        (2) das Zeugnis eines zweiten Arztes ist nicht mehr erforderlich.

 Das Gericht ist anzurufen, wenn
        − der äußerungsfähige Patient einen abweichenden Willen erkennen lässt
          (NEU: gilt jetzt eindeutig unabhängig von der Schwere des Eingriffs)
        − der Vertreter ablehnt, ohne dass dies dem hinreichend erwiesenen Willen des
          Patienten entspricht (NEU: Gesetz spricht nicht mehr vom „Wohl“); oder
        − ein Vertreter erst zu bestellen oder sein Wirkungskreis zu erweitern ist.
Christiane Wendehorst                                                                   33
Zusammenwirken der Beteiligten
           Notfall iSd § 253 Abs 3?                         nein bzw                Ablehnung durch verbindliche
            („Gefahr im Verzug”)                           abgewendet                   und wirksame PatV?

                                                                     Existenz eines gesetzlichen
                                                                                                         nein
                                                                   Vertreters mit Wirkungsbereich?
                         Vertreter erklärt Einwilligung
                               nach Aufklärung?                         ja                 nein
  ja
                                                                             Ablehnung entspricht eindeutig        ja
                             ja                     nein
                                                                               dem Willen des Patienten?

                              Ablehnung durch                      ja               nein
                         äußerungsfähigen Patienten?                                                     ja

                                                  nein                                Gericht
Behandlung allein nach                                                                                 Behandlung muss
medizinischer Indikation             Behandlung (plus Aufklärung des Patienten)                            unterbleiben
 Christiane Wendehorst                                                                                             34
Beispiel:
  Der 87-jährige Peter ist ins Koma gefallen, sein Zustand verschlechtert sich
  dramatisch. Seine Lebensfunktionen sind nur durch ständige künstliche Beatmung
  und Legen einer Magensonde aufrecht zu erhalten. Der als gesetzlicher
  Erwachsenenvertreter eingetragene Sohn Vinzenz lehnt eine weitere Behandlung ab
  und verweist auf ein mit „Patientenverfügung“ überschriebenes Schriftstück
  1. Ist die Patientenverfügung wirksam?
         −      Unwirksamkeitsgründe:
                 o      Stand der medizinischen Wissenschaft hat sich seit Errichtung der PatV wesentlich
                        geändert (zB vormals unheilbare Krankheit ist nunmehr heilbar)
                 o      PatV durch Irrtum, List, Täuschung, Zwang oÄ zustande gekommen oder Inhalt
                        strafrechtlich nicht zulässig (zB aktive Tötung)
         −      Widerruf: Patient kann jederzeit, egal in welchem Zustand, signalisieren, doch
                behandelt zu werden und damit die PatV konkret widerrufen
Christiane Wendehorst                                                                                       35
2. Erfasst die PatV die betreffende Maßnahme überhaupt?
3. Ist die Patientenverfügung verbindlich?
       −     Inhalt: abgelehnte Maßnahmen müssen konkret beschrieben sein und es muss sich aus
             der PatV ergeben dass Patient nach Aufklärung die Folgen zutreffend eingeschätzt hat.
       −     Aufklärung: volle Aufklärung des entscheidungsfähigen Patienten, in Urkunde
             dokumentiert
       −     Form: Schriftlich unter Angabe des Datums vor einem Notar, Rechtsanwalt oder
             rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretungen errichtet
       −     Ablauf: Ablauffrist vom Patienten festzulegen, aber spätestens 5 Jahre nach Errichtung
             muss PatV formgerecht erneuert werden (formgerechte Änderung gilt als Erneuerung;
             Ablauf unbeachtlich, wenn Patient vor Ablauf Entscheidungsfähigkeit verloren hat
       Wenn die PatV (noch) wirksam und verbindlich ist UND die geplante Behandlung erfasst und
       eindeutig ablehnt, hat die Behandlung zu unterbleiben.
Christiane Wendehorst                                                                                 36
4. Wenn die PatV wirksam, aber nicht (mehr) verbindlich ist, wie stark ist der Grad
   ihrer Beachtlichkeit, dh ist sie hinreichender Beleg für den Willen des Patienten?
       −     Ausmaß, in dem Inhalt, Form und Zeitmomente den Anforderungen an eine
             verbindliche Verfügung nahekommen

       Wenn die PatV hinreichend beachtlich ist, um einen entsprechenden Willen von
       Peter anzunehmen, und der gesetzliche Vertreter die Einwilligung in die (weitere)
       Behandlung verweigert, muss die Behandlung abgebrochen werden. Das Gericht
       ist in diesem Fall nicht zu befassen.
       Zu einer Einschaltung des Gerichts kommt es erst, wenn nicht hinreichend klar
       feststellbar ist, ob der Behandlungsabbruch Peters Willen entspricht oder nicht.
       Im Zweifel ist zugunsten der Behandlung zu entscheiden.

Christiane Wendehorst                                                                      37
Besondere Maßnahmen

                      38
Besondere Maßnahmen

Christiane Wendehorst   39
Besondere Maßnahmen
 Regelung zur Sterilisation entspricht weitgehend der geltenden Rechtslage
        − Zustimmung des Vertreters nur bei strikter medizinischer Indikation
        − in jedem Fall gerichtliche Genehmigung erforderlich
        − Erstreckung auf Vorsorgebevollmächtigten

 Gestufte Regelung zur medizinischen Forschung
        − Zustimmung des Vertreters nur bei unmittelbarem Nutzen für Patienten
        − Positives Votum einer Ethikkommission oder gerichtliche Genehmigung
        − Bei Widerstand des äußerungsfähigen Patienten jedenfalls gerichtliche
          Genehmigung erforderlich, und nur zulässig wenn sonst Wohl erheblich gefährdet

 Sonderbestimmungen (zB AMG, MPG) bleiben unberührt
Christiane Wendehorst                                                                  40
Wichtigste Neuerungen im Überblick
 Wirksamkeitsvoraussetzungen für Vorsorgevollmacht, Vertretung durch
  Angehörige usw haben sich stark verändert, was vom Arzt bedacht werden
  muss, damit er die richtige Person aufklärt und die richtige Person einwilligt.

 Bei eigentlich nicht gegebener Entscheidungsfähigkeit bzw Zweifeln ist
  Beiziehung von Unterstützern erforderlich und zu dokumentieren

 Regelungen bei entscheidungsunfähigen Patienten differenzieren nicht
  mehr nach mehr oder weniger schwerwiegenden Maßnahmen
  (Sonderregeln aber weiterhin für Sterilisation und Forschung)

 Kein Zeugnis eines zweiten Arztes bei schwerwiegenden Maßnahmen mehr
  erforderlich, es genügt Übereinstimmung von Patienten- und Vertreterwille
                                                                                    41
christiane.wendehorst@univie.ac.at
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