Soziale Netzwerke : Sie manipulieren, wir kollaborieren - Digitorial Design

 
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Soziale Netzwerke: Sie manipulieren, wir kollaborieren | ZEIT ONLINE                                                      30.04.18, 04)01

       Soziale Netzwerke : Sie
       manipulieren, wir kollaborieren
       Roberto Simanowski 26. März 2018, 10:18 Uhr

       Es ist leicht, Facebook und Cambridge Analytica die Schuld am
       Datenskandal zu geben. Das lenkt aber von der Frage ab: Welche Rolle
       spielen wir in der Welt von Big Data?

       IT-Unternehmen führen ein Realexperiment durch. Dagegen muss sich die Gesellschaft wehren. © [M] Josh
       Edelson/AFP

       Wie sich die Bilder widersprechen: Zuckerberg als "Person des Jahres" auf
       dem Cover des Time Magazine im Dezember 2010, Facebook als
       "Bedrohung für die Demokratie" auf dem Cover des Economist im
       November 2017, Zuckerberg mit Prellungen und Blutspuren im Gesicht auf
       dem Cover der Wired im März 2018. Der Grund war jeweils derselbe:
       Zuckerberg und Facebook verändern, wie Menschen miteinander umgehen
       und was sie übereinander wissen. Gewandelt hat sich allerdings die
       Einschätzung dieser Veränderung. Man sah genauer hin und ist nun
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       irritiert: Vermessung und Manipulierbarkeit der Facebook-Nutzer,
       Hassmeldungen, Filterblasen und Beihilfe zu Fake News und Narzissmus.

       Roberto Simanowski              Es gibt heute wenig, was man nicht schon
        ist Medienwissenschaftler und  2010 hätte wissen können. Dass Facebook die
       Autor des Buches Facebook-      Daten seiner Nutzerinnen und Nutzer
       Gesellschaft (2016). Sein neues
       Buch Stumme Medien. Vom         sammelt, auswertet und verkauft, war allen
       Verschwinden der Computer in    klar, die sich dafür interessierten. Dass man
       Bildung und Gesellschaft ist
                                       aus den Likes, die jemand vergibt, auf dessen
       soeben erschienen.
                                       Vorlieben schließen kann, lag auf der Hand,
       ebenso dass sich ein solches Wissen für eigene Interessen ausnutzen lässt.
       Im Grunde wussten alle Bescheid. Und dennoch machten alle mit. Was ist
       jetzt anders?

       Zum einen kann Facebook nicht mehr vom Ruf des
       demokratiefreundlichen Mediums zehren. Vorbei die Zeiten, da man
       Facebook pries, den sogenannten Arabischen Frühling ermöglicht zu
       haben. Vorbei die Zeit, da man es zum Organisationsort und Sprachrohr
       der Unterdrückten und Beleidigten stilisierte. Längst tummeln sich
       Vertreter aller möglichen ideologischen Couleur auf Facebook,
       einschließlich Ultrakonservative, Rechtsnationalisten, Identitäre und
       Misanthropen. Das sollte eigentlich niemanden erstaunen. Facebook ist für
       alle offen.

       Die Staatsmacht fühlt sich herausgefordert

       Enttäuschend ist die neue Vielfalt trotzdem, zumal wenn man vorher dem
       Glauben anhing, eine fortschrittliche Technologie könne nur den Freunden
       des gesellschaftlichen Fortschritts dienen. Zuckerberg selbst hat für diesen
       Mythos viel getan mit seinem Mantra von Facebooks Mission. Den Groll
       der Frustrierten hat er verdient.

       Zum anderen bekommt Facebook die Reste des Kalten Krieges zu spüren,
       wenn es verdächtigt wird, dem Erzfeind Russland geholfen zu haben, den

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       Präsidenten der USA zu bestimmen. Die Staatsmacht fühlt sich
       herausgefordert und mischt sich in das ein, was sie zuvor als alternative
       Jugendkultur oder ein interessantes Geschäftsmodell, in jedem Falle aber
       nicht als ihr Business betrachtete. Kaum jemand im US-amerikanischen
       Kongress hatte bisher etwas dagegen, dass Facebook die Aufmerksamkeit
       und die Daten seiner Nutzer an seine Kunden verkauft und im Interesse
       des Geschäfts seine "Community" in die Feedbackschleife der Likes und
       Shares lockt. Wenn für politische Werbung in Rubel bezahlt wird, hört der
       Spaß jedoch auf, den das neoliberale Wirtschaftsmodell den Unternehmen
       beim Reichwerden ansonsten zubilligt. Dann bestellt der Kongress die
       Kapitalisten ohne Grenzen zu einer peinlichen Befragung.

           Senator Feinstein Blasts Social media Companies at Hearing on Capital Hill

       "Sie haben auf Ihrer Seite ein enormes Problem. Und die USA werden das
       erste Land sein, das es Ihnen sagt. Andere werden es uns gleichtun. (…) Sie
       haben diese Plattformen erfunden, und jetzt werden sie missbraucht. Sie
       werden dagegen etwas tun müssen. Sonst tun wir es." So kommentierte am
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       31. Oktober 2017 die Senatorin Dianne Feinstein vor Vertretern von
       Facebook, Twitter und Google die Umtriebe feindlicher Kräfte auf sozialen
       Netzwerken. Sie tat es verärgert, drohend und zugleich ratlos. Denn wer
       das Problemgeflecht von Fake News, Hassreden, Filterblasen, Datenschutz
       und Manipulation weiterdenkt, ahnt, dass hier die Gesellschaft insgesamt
       gefordert ist, sich politisch und mental auf den Stand ihrer Technologien
       zu bringen. Die Vergehen der vorgeladenen IT-Unternehmen sind nur die
       Symptome eines viel größeren Problems, das niemand, der Kongress
       inbegriffen, wirklich angehen will. Die Löschung des eigenen Facebook-
       Accounts, die nun unter #deletefacebook im Trend liegt, ist eine große
       Geste, die davon ablenken könnte, zum Kern des Problems vorzustoßen.
       Wie auch immer man zu den Prügeln, die Zuckerberg nun einstecken
       muss, steht, man muss sich im Klaren darüber sein, dass es hier nicht nur
       um Facebook geht. Es geht um das an Facebook, was über das soziale
       Netzwerk hinausweist und typisch für unsere Zeit ist.

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       Zunächst einmal um Facebooks Funktion der Dark Posts: auf den
       Empfänger abgestimmte Botschaften, die nur dieser in seinem Newsfeed
       sieht. Es war dieses Feature, das Cambridge Analytica erlaubte, für seinen
       Auftraggeber Trump gezielt unentschlossenen afroamerikanischen
       Wählern das Video einer Rede von Hillary Clinton aus dem Jahr 1996 zu
       schicken, in der sie sich abschätzig über afroamerikanische Straftäter

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       äußert. Warum redet jeder über die erschlichenen Datensätze der 50
       Millionen Facebook-Nutzer und niemand über die jedem Kunden von
       Facebook zur Verfügung stehende Kommunikationsform Dark Post, ohne
       die jene Datensätze ziemlich wertlos wären?

       Natürlich ist man selbst das Produkt

       Betrachtet man das Vergehen, das jetzt so viel Aufregung verursacht,
       nüchtern, besteht es in der Verbindung von genauer Kenntnis einer Person
       und personalisierter Adressierung einer Werbeanzeige. Beides sind völlig
       legitime Verfahren, auf die es im Werbegeschäft ankommt. Werden sie
       kriminell, wenn man sie in die Sphäre der Politik überträgt? Versucht aber
       nicht auch die Politik, ihre potenziellen Wähler genauer zu kennen, um
       besser auf sie eingehen zu können? Wo beginnt der Missbrauch der von
       den neuen Medien geschaffenen Werkzeuge für die psychometrische
       Analyse und personalisierte Kommunikation? Wenn man seine
       potenziellen Wähler ungefragt kontaktiert? Wenn man auf unlautere
       Weise zur Kenntnis ihrer politischen Haltung kam? Wenn man negative
       Werbung einsetzt, um der Konkurrentin zu schaden? Liegt der Verstoß
       darin, dass Politiker die neuesten technischen Mittel für das nutzen, was
       sie schon immer getan haben? Denn die individualisierte Adressierung auf
       der Basis psychometrischer Daten ist am Ende ja nichts anderes als ein
       methodisches Update traditioneller demografischer Verfahren.

       Statt diesen für die Zukunft der Gesellschaft wichtigen Frage nachzugehen,
       konzentriert man sich auf eine Technikalität: Kam Cambridge Analytica
       illegal an die Daten der Facebook-Nutzer? Es ist eine möglicherweise
       justiziable, in jedem Falle aber symbolische Technikalität. Dass nämlich
       Facebooks Struktur ermöglicht hat, neben den Daten der freiwilligen
       Teilnehmer einer Umfrage auch die Daten ihrer Freunde abzugreifen,
       zeigt, wie verantwortungslos die Unternehmen mit den Daten ihrer Nutzer
       umgehen. Zuckerberg redet sich nun mit Facebooks Komplexität heraus,
       die schon mal dazu führen könne, dass Daten in unbefugte Hände geraten,

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       und spricht ansonsten von Vertrauensbruch, den Cambridge Analytica
       begangen und Schritten, die Facebook sofort unternommen habe.

       Es geht um das Geschäft

       Wer das Gesetz der Gratisdienste kennt, ist kein bisschen erstaunt:
       Natürlich ist man selbst das Produkt, das verkauft wird, wenn die Sache
       (Fernsehen, Facebook, Apps) kostenlos ist. In einer solchen Situation kann
       man – ganz gleich, was Zuckerberg in der Öffentlichkeit verkündet – nicht
       erwarten, dass die eigenen Interessen gegen die der finanzstarken Kunden
       gewahrt werden.

       Gerade deswegen aber darf man, wenn man zum eigentlichen Problem
       vorstoßen will, Facebook und Cambridge Analytica nicht für schuldig
       befinden. Der Schuldspruch wäre ebenso eine Ablenkung vom
       Eigentlichen, ebenso wie die Entlassung des zynischen CEOs von
       Cambridge Analytica. Es geht um das System, und das heißt in diesem Fall
       Big Data, und es geht um das Geschäft, das damit zu machen ist. Facebook
       und Cambridge Analytica repräsentieren dieses System auf je eigene Weise
       als Datenproduktions- und Datenanalyseunternehmen. Es geht um die
       Kollateralschäden der Digitalisierung der Gesellschaft, die eine immense
       Datafizierung ihrer Bürgerinnen und Bürger bedeutet. Es geht um das
       Internet der Dinge als nächste Runde der Digitalisierung, die von vielen
       schon ungeduldig erwartet wird. Es geht um unsere eigene Kollaboration
       in diesem Prozess. Und es geht um Michal Kosinski. Der Doktorand des
       Psychometrics Centre der Cambridge University hatte die Methode der
       psychometrischen Persönlichkeitsanalyse wesentlich entwickelt, erkannte
       irgendwann, dass sie zur Manipulation von Menschen missbraucht werden
       könnte und versah seine Publikationen fortan mit dem Disclaimer: "could
       pose a threat to an individual’s well-being, freedom, or even life". Das
       schützte seine Erfindung bekanntlich nicht davor, später von Cambridge
       Analytica eingesetzt zu werden, um Trump zum Präsidenten zu machen.

       Kosinskis Disclaimer ist es, worum es in der aktuellen Debatte eigentlich
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       geht. Es geht um die Naivität (oder Heuchelei), die er symbolisiert. Kann
       jemand auch nur für eine Minute glauben, ein Analyseinstrument, das die
       Erkundung der unausgesprochenen Gedanken und Gefühle von Menschen
       ermöglicht, werde nicht irgendwann auch gegen deren Interesse
       eingesetzt? Kann man wirklich übersehen, dass in dieser Welt eine solche
       Warnung auf viele wie eine Einladung wirkt? Akteure wie Cambridge
       Analytica sind nichts ohne Erfinder wie Kosinski. Aber auch Kosinski ist
       nur das Symptom eines größeren Problems: des Missverhältnisses von
       technischer Entwicklung und gesellschaftlicher Verantwortung. Wenn die
       Gesellschaft von der aktuellen Geschichte um Facebook und Cambridge
       Analytica profitieren will, muss sie zu diesem Problem vorstoßen. Sie muss
       aufs ganze Silicon Valley schauen statt nur auf Facebooks Hauptquartier.
       Sie muss auf alle Silicon Valleys der Welt schauen und fragen, an welchen
       Entwicklungen dort gearbeitet wird, wie diese die Struktur der Gesellschaft
       verändern und ob man das will.

       Verfügbares Wissen nicht nutzen

       Die Gesellschaft muss die Technikfolgenabschätzung wieder über das
       Realexperiment stellen, in das sie die IT-Unternehmen verwickelt haben.
       Gewiss, das ist im Konkreten schwer umzusetzen, und oft sind (das zeigte
       die Kritik an Facebooks Like-Button durch ehemalige Facebook-Manager
       Ende 2017) die negativen Folgen einer scheinbar völlig unschuldigen
       Erfindung erst Jahre später erkennbar. Weniger Fantasie benötigt man im
       Fall der Psychometrie oder ihres visuellen Pendants, der Physiognomie, an
       der zum Beispiel das Start-up Faception arbeitet, mit dem Ziel, bald den
       Charakter eines Menschen an seinen Gesichtszügen ablesen zu können.

       In jedem Falle weist die Losung "Digital first, Bedenken second", der sich
       inzwischen Teile der Politik und Wirtschaft verpflichtet haben, in die
       falsche Richtung. Die Gesellschaft muss bedenken, wohin es langfristig
       führt, wenn immer mehr Daten ihrer Bürger akkumuliert und analysiert
       werden können. Sie muss jetzt darüber sprechen, wie sie morgen das Recht

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       auf informationelle Selbstbestimmung schützen will, wenn niemand mehr
       Einspruch gegen intelligente Stromzähler oder die Blackbox im Auto
       erheben darf, weil die erhobenen Daten dem Umweltschutz und der
       Verkehrsregulierung zugutekommen. Die Gesellschaft muss sich im Klaren
       sein, dass es sehr schwer ist, Wissen, das verfügbar ist, nicht zu nutzen.
       Cambridge Analytica hat die Daten, die Facebook akkumuliert, zur
       Produktion von Wissen genutzt, an dem seine Kunden interessiert waren.

       Eine ganz normale Handlungskette, die seit Jahrtausenden menschliche
       Aktionen bestimmt und dies auch in Zukunft tun wird. Die
       Ungereimtheiten dieser Handlungskette an all ihren Enden dürfen nicht
       von der Frage ablenken, die aus der aktuellen Aufregung über diese
       Ungereimtheiten mitzunehmen ist: Wann schlägt der quantitative
       Unterschied (mehr verfügbare Daten, schneller operierende Algorithmen)
       in eine neue Qualität um, die das Zusammenleben der Gesellschaft
       gefährdet?

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