Das Schlössli Wartegg und seine Bewohner - Quartierverein ...
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Das Schlössli Wartegg und seine Bewohner zweiter Teil Quartiergeschichte. Hier auf der Warteggrippe, die das Tribschen- Langensand-Quartier in seine beiden Teile trennt, thront das Schlössli Wartegg. In der letzten Tripsche Zytig schrieb Rolf Stocker über die Ge- schichte des Hauses und das Leben seines Bewohners Ernst von Hesse Wartegg. In dieser Ausgabe geht es um seine nicht minder berühmte Gattin, die amerikanische Opernsängerin Minnie Hauk und seine Tochter Vera Hartegg. von Rolf Stocker Minnie Hauck war zu ihrer Zeit eine der berühmtesten Opernsängerin- nen. Zusammen mit ihrem Mann Ernst von Hesse Wartegg be- wohnte sie ab 1889 das Schlössli Wartegg. Die Niuachi nannten sie die „Blume der Prärie“ Die Primadonna wurde 1851 als Tochter eines deutschstämmigen Mathematikers in New York gebo- ren. Ende der 1850er Jahre zog die Familie nach Sumner City in Mis- souri, wo der Vater als Bootsbauer arbeitete. Ihre Mutter betrieb eine kleine Pension. Minnie Hauk war für die damalige Zeit ein sonderbares Kind. Sie hielt sich gerne in den Lagern der Mis- souri Indianer oder den Niuachi, wie sie sich selbst nannten, auf. Sie liebte das Einfache und Natürliche und spielte mit den Indianerkin- dern im Freien. Sie erinnerte sich: «Die Indianer nannten mich ihre 'Prärieblume'. Sie gaben mir Früchte, trugen mich in ihren Ar- Minnie Hauk war zu ihrer Zeit trotz ihrer Jugendlichkeit eine der be- men und nahmen mich mit auf ih- kanntesten und beliebtesten Opernsängerinnen. Mit ihrer Interpreta- ren kleinen Ponys. Sie zeigten mir, tion von «Carmen» verhalf sie u.a. Georges Bizets Oper zum Durch-
wie man einen Bogen schnürt und Rolle der Julia. Die Aufführung war «Wilden Westen» Amerikas zu- einen Pfeil abschiesst». ein Riesenerfolg. Bald folgten auch rechtfand und auf einem Mustang Auftritte in Europa: Covent Garden ohne Sattel reiten konnte. Der Stamm der Missouri-Indianer in London, Brüssel, Paris, Moskau, gehörte zur Sioux-Sprachfamilie, die 1678 von den grossen Seen in St. Petersburg, Berlin und Wien. Von 1874 bis 1878 sang sie an der «Ich habe das jüngste Stubenmadl meiner den Südwesten zog. Pockenepide- Hofoper Berlin. mien und zahlreiche Stammes- kämpfe reduzierten dieses stolze Ein Vierteljahrhundert lang war sie Herzenskammer Volk. 1854 wurden sie in die Reser- der Liebling Europas. Die Familie vation gezwungen. des österreichischen Kaisers liebte kennengerlernt» und verehrte sie. Die Bühnen von Eine grosse Überschwemmung des Ernst von Hesse-Wartegg London, Moskau, Wien, Budapest zu seinem Jugendfreund Missouri-Rivers zerstörte weite und Berlin waren ihr Zuhause. Robert Pornitz Teile von Sumner-City. Als Folge Künstler wie Franz Liszt, Richard davon wurden die Hauks mittellos Wagner oder Enrico Caruso zählten Ernst von Hesse-Wartegg lernte und verarmten. Minnies Vater aber zu ihren Bekannten. Minnie Hauk 1874 auf einer Reise gab nicht auf. Er baute für sich und seine Familie ein Hausboot. Damit Sie erlebte und prägte jene Zeit der durch Deutschland kennen. Sei- fuhren sie über den Mississippi grossen Opernbegeisterung, als nem Jugendfreund Robert Pornitz nach New Orleans, wo sie von ei- man noch eine Nacht lang mit der soll er dabei offenbart haben, dass nem Mississippi-Dampfer gerammt Eisenbahn fuhr, nur um die Lucca in er «das jüngste Stubenmadl seiner wurden. Wieder verloren sie alles. «Lucia di Lammermoor» zu hören Herzenskammer» kennengelernt In New Orleans nahm Minnie oder ihr Minister für ihre Reisen die habe. Minnie Hauk erhielt von ihm Hauck Gesangsunterricht und Staatssalonwagen zur Verfügung ein gerahmtes Porträt, das sie im- hatte ihre ersten Auftritte, u.a. auf stellten und Ozeandampfer den mer bei sich trug. Minnie und Ernst einer Wanderbühne. Hafen mit Verspätung verliessen, blieben in Briefkontakt. Beide wa- wenn sie sang. ren unterwegs und verfolgten ihre Später kehrte die Familie nach New eigenen Karrieren. Im Mai 1876 York zurück. Dort entdeckte man Zu ihrer Beliebtheit trug sicherlich kehrte Minnie Hauk erstmals wie- das ausserordentliche Talent der auch ihre spezielle Lebensge- der in ihre amerikanische Heimat jungen Sängerin. Ihre grossartige schichte bei. Französische Zeitun- zurück. An der Eröffnung der Welt- Karriere begann einen Tag vor ih- gen verglichen sie gerne mit Po- ausstellung in Philadelphia traf sie rem 16. Geburtstag. In der ameri- cahontas, da sie sich nicht nur auf Ernst von Hesse-Wartegg, der dort kanischen Premiere von Gounods den grossen Opernbühnen bewe- über den Anlass berichtete. «Romeo et Juliette» sang sie die gen konnte sondern sich auch im Der-Minnie-Hauk-Saal im Schlössli Wartegg erinnert an die grossartige Primadonna. Heute gehört der Raum der Musikschule Luzern. Hier fin- den immer wieder Konzerte und Veranstaltungen statt. Der Raum kann auch für pri- vate Anlässe gemietet wer- den.
Die Liebesodysee aber dauerte an. Ernst von Hesse-Wartegg blieb in Für Vera Hartegg Ausflüge mit ihrem Vater nach Lu- zern und auf die Rigi. Nach dem Amerika, Minnie Hauk kehrte nach war ihr Vater viele Tod von Ernst von Hesse-Wartegg Europa zurück. Beide trafen sich besuchte sie als 17-jährige Minnie erst im Herbst 1877 wieder bei ei- Jahre lang ihr Hauk in Tribschen und blieb ein ner Soirée von Graf Chotek, dem späteren Schwiegervater des ös- „mon oncle“ Jahr lang bei ihr wohnen. Von ihr erfuhr sie, dass ihr „mon oncle“, terreichischen Thronfolgers Franz wie Vera Ernst von Hesse-Wartegg Ferdinand. Von da an schrieb Ernst Ernst von Hesse-Warteggs einzige nannte, ihr leiblicher Vater war. von Hesse-Wartegg regelmässig Tochter wurde am 28. Mai 1902 Vera heiratete den Arzt Dr. Regen- Artikel über die Opernwelt und unehelich in Straßburg geboren. burger, mit dem sie zwei Töchter, schickte Minnie Blumen auf die Sie wurde auf den Namen Vera El- hatte. Erst spät entschied sie sich Bühne. Bald erfuhr die ganze Welt vira Weiß getauft. Name und Ur- für eine Schauspielkarriere. Nach von ihrer Beziehung. kunde wurden von Hesse-Wartegg ihrer Ausbildung am Max Rein- gefälscht. Vera wusste lange nicht, Minnie und Ernst heirateten heim- hardt Seminar war Vera in den wer ihr leiblicher Vater war. lich am 24. August 1878. Sie konn- 1930er Jahren Ensemblemitglied ten ihre Hochzeit über drei Jahre Vera wuchs bei Pflegeeltern in beim Lobe-Theater in Breslau, lang verschweigen. Den ersten ge- Strasbourg auf. Später kam sie in beim Wiesbadener Staatstheater meinsamen Wohnsitz bezogen sie ein Schweizer Internat. In dieser und beim Thalia Theater in Ham- 1885 im Schloss Binningen. Zwei Zeit unternahm sie immer wieder burg. Danach zog sie nach Berlin. Jahre später zogen sie um. Der Lärm der neuen Strassenbahn ver- trieb sie. 1889 trafen sie in Trib- schen ein. Nach dem Tode ihrer Mutter, die ihr während ihrer Laufbahn immer zur Seite stand, beendete Minnie Hauk ihre öffentliche Karriere. Sie war damals etwas über vierzig Jahre alt. Sie genoss die Stille von Tribschen, hielt zahme Tauben und einen sprechenden Kakadu, den ihr Ehemann Ernst aus Südamerika mitbrachte. Immer aber erhielt das Ehepaar Be- such namhafter Persönlichkeiten aus ganz Europa. Sie wollten Min- nie Hauk im Schlössli Wartegg sin- gen hören oder die Kunstschätze ihres Gatten bewundern Als ihr Mann nach 37 Ehejahren starb, zog sich Minnie Hauk voll- ständig aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Die Geldentwertung der Kriegs- und Nachkriegszeit brachte sie in große finanzielle Nöte. Dazu belastete sie ein Au- genleiden, das letztlich zur Erblin- dung führte. Am 3. Februar 1929 starb Minnie Hauk mit 78 Jahren. In ihrem Testament setzte sie die Ernst von Hesse-Warteggs uneheliche Tochter Vera wirkte als Schauspie- Stadt Luzern als Erbin ihres Vermö- lerin in vielen Bühnen- und Filmproduktionen mit. Hier eines ihrer selte- gens und der Villa Wartegg ein. nen Fotos (Film und Partner unbekannt).
1935 startete sie ihre Filmkarriere. Nach dem Tod von Konstantin Hierl Diese dauerte nur fünf Jahre und 1955 verlieren sich auch die Spuren verlief unspektakulär. Meist spielte von Vera Hartegg. Zwei einzige Do- sie kleinere Rollen: Stubenmäd- kumente belegen, dass sie unter chen, Mägde, Wirtschafterinnen dem Namen: Elwira Margaretha und Empfangsdamen. Während Hierl, geborene Weiß, katholisch, dieser Zeit lernte sie Regisseure wohnhaft in Baden-Baden am 1. wie Josef von Baky, Victor Tour- Oktober 1981 um 04.00 Uhr im jansky, Eduard von Borsody und Krankenhaus Ebersteinburg in Ba- Luis Trenker kennen. Mit Magda den-Baden verstorben ist. Schneider spielte sie 1938 im Me- lodrama «Die Frau am Scheide- wege», 1939 stand sie in «Der Feu- erteufel» mit Luis Trenker vor der Kamera und 1940 im Propaganda- spielfilm „Wunschkonzert“ mit Ma- rika Röck und Heinz Rühmann. Immer wieder wurde sie wegen ih- res „jüdischen“ Namens verhört. Fast wie durch ein Wunder entging sie einer Verhaftung und Abschie- bung in ein Konzentrationslager. Verwandte ihres verstorbenen Gatten vermittelten ihr die Adresse eines Bekannten, der sie kennen lernen möchte und ihr helfen könnte. So traf sie sich im Hotel Ad- lon in Berlin mit dem 27 Jahre älte- ren Konstantin Hierl. Nur Wochen später heirateten die beiden. Die Stellung ihres Mannes schützte Vera vor weiteren Vorladungen des Rasseamtes. Konstantin Hierl war deutscher Of- fizier und nationalsozialistischer Politiker und Funktionär. 1919/20 lernte er Adolf Hitler kennen und unterstützte die Deutsche Arbei- terpartei. 1930 bis Kriegsende ge- hörte er dem Reichstag an. Nach der "Machtergreifung" durch die Nazis wurde er im März 1933 Staatssekretär im Reichsarbeitsmi- nisterium. Wenig später übernahm er die Leitung des Reichsarbeits- dienstes (RAD). Diese Funktion be- hielt er bis zum Kriegsende. Der RAD war Bestandteil der deutschen Wirtschaft und diente zur Erzie- hung der Arbeitsmoral und Beseiti- gung von Klassengegensätzen. 1948 wurde Hierl im Entnazifizie- rungsverfahren zu fünf Jahren Ar- beitslager verurteilt und sein Ver- mögen eingezogen. Vera hielt auch in dieser schwierigen Zeit nach dem Krieg zu ihrem Mann.
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