DAS SUBJEKTIVE RECHT DES BESCHULDIGTEN AUF BESCHRÄNKUNG DER AKTENEINSICHT NACH 49 ABS 2 STPO
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Wirtschaftsstrafrecht Recht auf Beschränkung der Akteneinsicht Das subjektive Recht des Beschuldigten auf Beschränkung der Akteneinsicht nach § 49 Abs 2 StPO Julia Schröder / Norbert Wess Durch die Akteneinsicht von Opfern, Privatbeteiligten, Privatanklägern, aber auch von sonstigen Personen mit begründetem rechtlichen Interesse wird regelmäßig das Recht des Beschuldigten (und allenfalls anderer Personen) auf Geheimhaltung personenbezogener Daten sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens berührt oder sogar verletzt. Die Geltendmachung einer Verletzung dieser (nur verfassungsrechtlich, nicht aber einfachge- setzlich in der StPO abgesicherten) Rechte im Wege eines Einspruchs wegen Rechtsverlet- zung war lange Zeit unmöglich, weil die Oberlandesgerichte aus § 68 Abs 1 StPO kein subjektives Recht des Beschuldigten ableiteten, Antragstellern nur in dem in § 68 Abs 1 StPO oder § 77 StPO normierten Ausmaß Akteneinsicht zu gewähren. In § 49 Abs 2 StPO hat der Gesetzgeber nun ausdrücklich ein solches subjektives Recht des Beschuldigten nor- Dr. Julia Schröder ist miert, wodurch sich der Beschuldigte gegen die Gewährung überschießender Akteneinsicht Rechtsanwältin bei wkk an Opfer, Privatbeteiligte und Privatankläger mittels eines Einspruchs wegen Rechtsverlet- law Rechtsanwälte in zung nach § 106 Abs 1 StPO zur Wehr setzen kann. Auf Antragsteller gem § 77 StPO nimmt Wien. der Gesetzgeber in § 49 Abs 2 StPO demgegenüber nicht ausdrücklich Bezug. 1. Das Recht auf Akteneinsicht Schließlich ist auf § 77 Abs 1 StPO zu verwei- 1.1. Allgemeines sen, wonach auch sonstigen Dritten im Falle be- gründeten rechtlichen Interesses Akteneinsicht zu Aus Sicht des Beschuldigten sowie des Strafver- gewähren ist, soweit dem nicht überwiegende öf- teidigers stellt das Recht auf Akteneinsicht un- fentliche oder private Interessen entgegenstehen. strittig eine unabdingbare Grundvoraussetzung für ein faires Verfahren iSd Art 6 EMRK dar.1 Es Für die Akteneinsicht durch Privatbeteiligte, dient nicht nur der Gewährleistung der Waffen- Privatankläger und Opfer gelten gem § 68 Abs 1 gleichheit, sondern auch der Sicherung des StPO die §§ 51, 52 Abs 1, 2 Z 1, 3 und 4 sowie 53 rechtlichen Gehörs und stellt damit eine wesent- StPO sinngemäß. In § 77 Abs 1 StPO findet sich liche Voraussetzung für eine wirksame Verteidi- hierzu keine ausdrückliche Regelung. Das Ver- gung dar.2 fahren bei Akteneinsicht wird sich allerdings Dr. Norbert Wess, LL.M., M.B.L. ist Rechtsanwalt Gleichermaßen stellt das Recht auf Akten- auch hier nach § 53 StPO richten.5 und Partner bei wkk law einsicht aber auch für Opfer, Privatbeteiligte Privatbeteiligte, Privatankläger und Opfer Rechtsanwälte in Wien. und Privatankläger ein zentrales Verfahrens- sind gem § 68 Abs 1 iVm § 51 Abs 1 StPO grund- recht dar, das insb der effektiven Wahrnehmung sätzlich6 im selben Ausmaß wie der Beschul- der Privatbeteiligung und der Privatanklage digte berechtigt, in die der Kriminalpolizei, der dient.3 Dementsprechend gewährt § 66 Abs 1 Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorliegen- Z 2 StPO ausdrücklich auch Opfern das Recht, den Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und Akteneinsicht zu nehmen. Konkretisiert wird des Hauptverfahrens Einsicht sowie Beweisge- dieses Recht durch § 68 Abs 1 und 2 StPO, wo- genstände in Augenschein zu nehmen.7 Gem nach Privatbeteiligte, Privatankläger und nicht § 68 Abs 1 iVm § 51 Abs 2 StPO kann auch ge- als Privatbeteiligte am Strafverfahren beteiligte genüber Privatbeteiligten, Privatanklägern und Opfer zur Akteneinsicht berechtigt sind, soweit Opfern die Akteneinsicht beschränkt werden, ihre Interessen betroffen sind. Personen, die wenn entweder eine der in § 162 StPO genannte ohne Opfer zu sein ein Interesse am Verfahrens- Gefahr besteht8 oder vor Beendigung des Er- fortgang haben (zB der Anzeiger, der nicht zu- 5 gleich Opfer ist), haben demgegenüber kein Oshidari in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 77 Rz 5. 6 Siehe dazu sogleich unten unter Pkt 1.2. Recht auf Akteneinsicht.4 7 Schilchegger in Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/Wess, LiK StPO, § 68 Rz 4; zum Umfang des Rechts auf Ak- 1 Vgl dazu etwa EGMR 12. 5. 2005 (GK), Bsw 46221/99, teneinsicht ausgehend vom Grundsatz der Aktenvoll- Öcalan gg Türkei, Rn 138 ff; 13. 2. 2011, Bsw 24479/94, ständigkeit siehe Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 (2020) Lietzow gg Deutschland, Rn 46 ff. § 51 Rz 2 ff; McAllister/Wess in Birklbauer/Haumer/ 2 Grabenwarter/Pabel, EMRK6 (2016) § 24 Rz 72; Meyer Nimmervoll/Wess, LiK StPO, § 51 Rz 8 ff; Soyer/Stuefer in Karpenstein/Mayer, EMRK2 (2015) Art 6 Rz 120. in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 53 Rz 5 ff. 8 Siehe dazu auch McAllister/Wess in Birklbauer/Haumer/ In diesem Fall hat die Beschränkung der Akteneinsicht Nimmervoll/Wess, Linzer Kommentar zur StPO (2020) iSd gelindesten Mittels vorrangig durch eine Unkennt- § 51 Rz 1; Wess in Kier/Wess, Handbuch Strafverteidi- lichmachung/Schwärzung bestimmter Textpassagen gung (2017) Rz 6.13. und Daten zu erfolgen. Das Unzugänglichmachen gan- 3 Schilchegger in Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/Wess, zer Aktenstücke kann schon dem Wortlaut folgend nur LiK StPO, § 68 Rz 1. in besonderen Ausnahmefällen zulässig sein. Siehe 4 Kirschenhofer in Schmölzer/Mühlbacher, StPO1.02, § 68 dazu auch ErlRV 25 BlgNR 20. GP, 72; Soyer/Stuefer in Rz 1. Fuchs/Ratz, WK StPO, § 53 Rz 21. 94 3/2021 ZWF
Recht auf Beschränkung der Akteneinsicht Wirtschaftsstrafrecht mittlungsverfahrens besondere Umstände be- Beteiligter des Verfahrens oder Dritter enthalten fürchten lassen, dass durch eine sofortige und nicht in öffentlicher Verhandlung vorge- Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken kommen sind oder sonst öffentlich bekannt der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre.9 wurden, in einem Medienwerk oder sonst auf Nähere Regelungen zur Vorgehensweise bei der eine Weise zu veröffentlichen, dass die Mittei- Akteneinsicht, der Herstellung von Kopien und lung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich anfallenden Gebühren finden sich auch für die wird, wenn dadurch schutzwürdige Geheimhal- genannten Verfahrensbeteiligten in §§ 52 und tungsinteressen iSd § 1 Abs 1 DSG anderer Be- 53 StPO. teiligter des Verfahrens oder Dritter, die gegen- Sonstige Dritte haben gem § 77 Abs 1 StPO über dem öffentlichen Informationsinteresse das Recht, in die der Staatsanwaltschaft und überwiegen, verletzt werden würden.14 dem Gericht – nicht aber der Kriminalpolizei10 – Damit beschränkt die StPO nur in sehr en- vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungsverfah- gen Teilbereichen die Verwertungsmöglichkei- rens und des Hauptverfahrens Einsicht zu neh- ten der im Wege der Akteneinsicht erlangten In- men. Wenngleich die genannte Bestimmung im formationen. Die Regelung des § 54 Satz 2 StPO Gegensatz zu § 68 Abs 1 StPO keinen Verweis ist zudem vergleichsweise zahnlos, da Verlet- auf § 51 Abs 2 StPO enthält, sind Beschränkun- zungen des Verbots der Veröffentlichung regel- gen der Akteneinsicht schon aus systematischen mäßig keiner strafrechtlichen Sanktion unterlie- Erwägungen auch bei sonstigen Dritten maß- gen.15 Es bleiben sohin nur (allgemeine) Sankti- geblich. onen nach dem DSG, dem MedienG, dem UrhG Gem § 68 Abs 3 bzw § 77 Abs 3 StPO gilt für sowie zivilrechtliche Ansprüche bzw im Falle Privatbeteiligte, Privatankläger, Opfer sowie einer Verletzung durch einen Rechtsanwalt dis- sonstige Dritte § 54 StPO sinngemäß. Die Über- ziplinarrechtliche Maßnahmen nach dem DSt.16 schrift dieser Bestimmung („Verbot der Veröf- Zudem greift § 68 Abs 3 bzw § 77 Abs 3 iVm § 54 fentlichung“) ist irreführend. In Wahrheit nor- Satz 2 StPO erst bei der Verwertung der (auch) miert die genannte Bestimmung sehr weitrei- im Wege der Akteneinsicht erlangten Informa- chende Rechte zur Veröffentlichung und nur in tionen ein. Das Recht auf Akteneinsicht von Pri- eingeschränktem Maße ein Verbot.11 Auch Op- vatbeteiligten, Privatanklägern und Opfern so- fer, Privatbeteiligte und Privatankläger sowie wie sonstigen Dritten ist davon nicht berührt sonstige Dritte sind daher gem § 68 Abs 3 bzw und geht mit dem Verbot einer Veröffentli- § 77 Abs 3 jeweils iVm § 54 Satz 1 StPO im Sinne chung natürlich noch keine Beschränkung der eines Rechts auf Veröffentlichung berechtigt, Akteneinsicht einher. Informationen, die sie im Verfahren in nicht öf- fentlicher Verhandlung, im Zuge einer nicht öf- 1.2. Umfang des Rechts auf Akteneinsicht fentlichen Beweisaufnahme oder – besonders Wie oben bereits dargelegt verweist § 68 Abs 1 relevant – im Wege der Akteneinsicht erlangt StPO auf § 51 Abs 1 StPO, weshalb Privatbetei- haben, bei überwiegendem Interesse zu verwer- ligte, Privatankläger und Opfer grundsätzlich ten.12 Als ein solches (allenfalls überwiegendes) ebenso wie der Beschuldigte berechtigt sind, in Interesse ist hier in erster Linie an das Interesse die der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft des Privatbeteiligten an der Verfolgung seiner und dem Gericht vorliegenden Ergebnisse des Ansprüche zu denken.13 In der Praxis führen Ermittlungsverfahrens und des Hauptverfah- derartige Konstellationen zu durchaus kontro- rens Einsicht zu nehmen sowie Beweisgegen- versiellen Diskussionen, normiert die StPO stände in Augenschein zu nehmen. Sonstige doch an anderer Stelle, dass das Ermittlungsver- Dritte sind in ähnlicher Weise berechtigt, in die fahren nicht öffentlich (§ 12 Abs 1 Satz 2 StPO) der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorlie- zu führen ist. genden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens Ungeachtet dessen ist es Privatbeteiligten, und des Hauptverfahrens Einsicht zu nehmen Privatanklägern und Opfern bzw sonstigen Eine Beschränkung dieses Umfangs erfährt Dritten gem § 68 Abs 3 bzw § 77 Abs 3 jeweils das Recht auf Akteneinsicht für Privatbeteiligte, iVm § 54 Satz 2 StPO lediglich untersagt, Infor- mationen, die personenbezogene Daten anderer 14 Dazu ausführlich McAllister/Wess in Birklbauer/Hau- mer/Nimmervoll/Wess, LiK StPO, § 54 Rz 8 ff; Soyer/ 9 Siehe dazu ausführlich McAllister/Wess in Birklbauer/ Stuefer in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 54 Rz 9 ff. 15 Haumer/Nimmervoll/Wess, LiK StPO, § 51 Rz 14 ff; So bereits ErlRV 25 BlgNR 22. GP, 78; ebenso Haißl in Soyer/Stuefer in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 53 Rz 21 ff. Schmölzer/Mühlbacher, StPO1.02, § 54 Rz 12; McAllister/ 10 Brandstetter/Zeinhofer in Birklbauer/Haumer/Nimmer- Wess in Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/Wess, LiK voll/Wess, LiK StPO, § 77 Rz 8; Oshidari in Fuchs/Ratz, StPO, § 54 Rz 13; Pilnacek/Swiderski in Höpfel/Ratz, WK StPO, § 77 Rz 4. WK StPO2, § 301 Rz 22/1; Soyer/Stuefer in Fuchs/Ratz, 11 McAllister/Wess in Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/ WK StPO, § 54 Rz 21; nach Nimmervoll kann ein Ver- Wess, LiK StPO, § 54 Rz 1 ff. stoß unter Umständen nach § 301 StGB strafbar sein, 12 Im Detail dazu McAllister/Wess in Birklbauer/Haumer/ Nimmervoll, Strafverfahren2 (2017) Rz 332; vgl dazu Nimmervoll/Wess, LiK StPO, § 54 Rz 4 ff; Soyer/Stuefer auch Kirchbacher/Fabrizy, StPO14, § 54 Rz 12. 16 in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 54 Rz 2 ff. Kirchbacher/Fabrizy, StPO14, § 54 Rz 12; Lehner in En- 13 Kirschenhofer in Schmölzer/Mühlbacher, StPO1.02, § 68 gelhart et al, RAO10 (2018) § 9 Rz 15; McAllister/Wess in Rz 7; Korn/Zöchbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 68 Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/Wess, LiK StPO, § 54 Rz 7; Schilchegger in Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/ Rz 15; Soyer/Stuefer in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 54 Wess, LiK StPO, § 68 Rz 14. Rz 22. 3/2021 ZWF 3/2021 95
Wirtschaftsstrafrecht Recht auf Beschränkung der Akteneinsicht Privatankläger und Opfer allerdings durch § 68 währen ist.21 Bei Aktenbestandteilen, die zB Abs 1 StPO selbst: Gem § 68 Abs 1 Satz 1 StPO Einkommensnachweise oder Buchhaltungsun- sind Privatbeteiligte und Privatankläger sowie terlagen enthalten, wird ein rechtlich schutz- (gem § 68 Abs 2 StPO) Opfer zur Akteneinsicht würdiges Interesse im Regelfall bestehen, wes- berechtigt, soweit ihre Interessen betroffen sind. halb im Wege einer Interessenabwägung im Nichts anderes kann uE für sonstige Dritte gel- Einzelfall zu entscheiden ist, ob derartige Akten- ten, denen aufgrund der Bestimmung des § 77 bestandteile der Akteneinsicht durch Privatbe- StPO Akteneinsicht gewährt wird, zumal in teiligte, Privatankläger und Opfer unterliegen.22 Abs 1 leg cit gleichermaßen auf ein begründetes Unzulässig ist vor diesem Hintergrund daher je- rechtliches Interesse des Antragstellers abge- denfalls die pauschale Gewährung von Akten- stellt wird und zudem ausdrücklich eine Interes- einsicht in den gesamten Ermittlungsakt, wenn senabwägung vorgesehen ist („soweit dem nicht nicht eine Interessenabwägung ergeben hat, überwiegende öffentliche oder private Interessen dass tatsächlich an allen Aktenbestandteilen ein entgegenstehen“). (überwiegendes) rechtlich schutzwürdiges Inte- Privatbeteiligten, Privatanklägern und Op- resse des Privatbeteiligten, Privatanklägers, des fern, aber auch sonstigen Dritten steht eine Ein- Opfers oder des sonstigen Dritten besteht. Un- sicht daher nicht uneingeschränkt zu, sondern abhängig davon sind bei einer solchen Akten- nur in dem Ausmaß, in dem deren rechtlich einsicht von Privatbeteiligten, Privatanklägern, schutzwürdigen Interessen betroffen sind. Das Opfern und sonstigen Dritten auch die allge- ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Akten- meinen Beschränkungen der Akteneinsicht einsicht erforderlich ist, um (privatrechtliche) nach (§ 68 Abs 1 iVm) § 51 Abs 2 StPO zu be- Ansprüche durchzusetzen oder abzuwehren.17 achten. Bei sonstigen Dritten dürfen überdies – hie- Privatbeteiligte, Privatankläger, Opfer sowie rauf stellt die Bestimmung ausdrücklich ab – an- sonstige Dritte haben daher im Vergleich zu Be- dersgelagerte Interessen nicht entgegenstehen.18 schuldigten kein unbeschränktes Recht auf Ak- Eine Interessenabwägung ist allerdings nicht auf teneinsicht und folglich nicht (bzw zumindest Anträge nach § 77 Abs 1 StPO beschränkt, son- nicht zwingend) das Recht, in den vollständigen dern findet auch bei Privatbeteiligten, Privatan- Ermittlungsakt Einsicht zu nehmen. Vielmehr klägern und Opfern Anwendung: Im Einzelfall ist jeweils für den Einzelfall zu prüfen, in wel- ist daher immer eine Interessenabwägung zwi- chem Umfang das Recht auf Akteneinsicht be- schen dem Interesse des Privatbeteiligten, des steht und welche Aktenbestandteile dem Privat- Privatanklägers, des Opfers und der sonstigen beteiligten, Privatankläger und Opfer in con- Dritten an der Akteneinsicht und dem Recht creto zugänglich zu machen sind. (vor allem) des Beschuldigten an der Geheim- haltung seiner personenbezogenen Daten iSd 2. Die Regelung des § 49 Abs 2 StPO § 1 DSG und an der Achtung seines Privat- und Bereits die oben geschilderte Interessenabwä- Familienlebens iSv Art 8 EMRK vorzuneh- gung zeigt deutlich, dass einem solchen Recht men.19 Dabei ist zu prüfen, inwiefern Bestand- auf Akteneinsicht regelmäßig gleichermaßen teile des Akts, an denen Betroffene ein Geheim- schutzwürdige Interessen des Beschuldigten haltungsinteresse haben, der Verfolgung des oder Dritter auf Geheimhaltung gegenüberste- rechtlich schutzwürdigen Interesses des Antrag- hen. Insb das Grundrecht auf Datenschutz nach stellers dienen. Nur in diesem Umfang ist dem § 1 Abs 1 DSG und das Recht auf Achtung des Genannten tatsächlich Akteneinsicht zu gewäh- Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK ren.20 werden von einer Akteneinsicht regelmäßig zu- Die Interessenabwägung ist nun aber für je- mindest berührt bzw allenfalls sogar verletzt.23 den Aktenbestandteil gesondert vorzunehmen: Aus Sicht des Beschuldigten problematisch So betreffen etwa aufrechte EKIS- bzw SIS-Aus- sind insb jene Fälle, in denen Privatbeteiligten, schreibungen regelmäßig kein rechtlich schutz- Privatanklägern, Opfern sowie sonstigen Drit- würdiges Interesse von Privatbeteiligten, Privat- ten überschießend Akteneinsicht gewährt wird, anklägern und Opfern, weshalb in diese Akten- diesen also Aktenbestandteile in einem Ausmaß bestandteile im Regelfall keine Einsicht zu ge- zugänglich gemacht werden, das zur Wahrung ihrer rechtlich schutzwürdigen Interessen nicht 17 Kirschenhofer in Schmölzer/Mühlbacher, StPO1.02, § 68 erforderlich ist. In diesem Fall liegt regelmäßig Rz 2; Korn/Zöchbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 68 eine Verletzung des Rechts (vor allem) des Be- Rz 2; Schilchegger in Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/ Wess, LiK StPO, § 68 Rz 6. Zu § 77 Abs 1 StPO siehe Os- schuldigten auf Geheimhaltung seiner perso- hidari in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 77 Rz 2 f. 18 21 Oshidari in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 77 Rz 3. Kirschenhofer in Schmölzer/Mühlbacher, StPO1.02, § 68 19 OGH 23. 8. 2017, 15 Os 7/17v, 15 Os 69/17m, 15 Os 73/ Rz 2; Korn/Zöchbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 68 17z, 15 Os 74/17x, RIS-Justiz RS0131618; Kirchbacher/ Rz 2. Fabrizy, StPO14, § 68 Rz 2; Kirschenhofer in Schmölzer/ 22 Kirchbacher/Fabrizy, StPO14, § 68 Rz 2; Kirschenhofer Mühlbacher, StPO1.02, § 68 Rz 2; Korn/Zöchbauer in in Schmölzer/Mühlbacher, StPO1.02, § 68 Rz 2; eine Ak- Fuchs/Ratz, WK StPO, § 68 Rz 2; Schilchegger in Bir- teneinsicht in derartige Unterlagen uneingeschränkt klbauer/Haumer/Nimmervoll/Wess, LiK StPO, § 68 befürwortend wohl Schilchegger in Birklbauer/Haumer/ Rz 7. Nimmervoll/Wess, LiK StPO, § 68 Rz 6. 20 23 Korn/Zöchbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 68 Rz 2. So auch ErlRV 481 BlgNR 27. GP, 29. 96 3/2021 ZWF
Recht auf Beschränkung der Akteneinsicht Wirtschaftsstrafrecht nenbezogenen Daten und auf Achtung seines § 106 Abs 1 StPO einfließen und dergestalt im Privat- und Familienlebens vor. Rahmen eines Einspruchs wegen Rechtsverlet- Die Geltendmachung der Verletzung dieser zung gem § 106 Abs 1 StPO geltend gemacht Rechte im Strafverfahren war jedoch lange Zeit werden können.27 Gerade im Hinblick auf Ver- nahezu unmöglich, weil es sich beim Recht auf letzungen des Grundrechts auf Datenschutz Geheimhaltung personenbezogener Daten gem nach § 1 DSG sowie des Rechts auf Achtung des § 1 Abs 1 DSG sowie beim Recht auf Achtung Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK des Privat- und Familienlebens nach Art 8 hat der OGH dabei ausdrücklich geurteilt, dass EMRK um verfassungsrechtlich gewährleistete eine (behauptete) Verletzung dieser Grund- Rechte handelt, mit denen keine einfachgesetzli- rechte durch staatsanwaltschaftliche Entschei- che Ausgestaltung in der StPO korrespondiert.24 dungen und Anordnungen im Wege mittels Gerade diese einfachgesetzliche Ausgestal- Einspruchs wegen Rechtsverletzung bei Gericht tung in Form eines in der StPO geregelten sub- bekämpft werden können.28 In diesem Sinne jektiven Rechts ist allerdings unabdingbare Vo- steht dem Beschuldigten auf Grundlage dieser raussetzung für die Bekämpfung von Rechtsver- Rsp des OGH seither an sich auch die Möglich- letzungen mittels eines Einspruchs wegen keit offen, gegen die Gewährung überschießen- Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 StPO, wo- der Akteneinsicht mittels Einspruchs wegen hingegen im Hinblick auf andere, außerhalb der Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 StPO vorzu- StPO eingeräumte subjektive Rechte ein Ein- gehen. An der gesetzlichen Grundlage des § 68 spruch wegen Rechtsverletzung nicht in Be- Abs 1 StPO, aus dem sich dem Wortlaut nach tracht kommt.25 nicht zwingend ein subjektives Recht entneh- Im Hinblick auf § 68 Abs 1 StPO wurde von men lässt, hat sich durch die Rsp des OGH frei- den Oberlandesgerichten (zumindest teil- lich nichts geändert. weise)26 die Ansicht vertreten, dass sich aus Aufgrund der praktischen Bedeutung und dieser Bestimmung kein subjektives Recht des der in der Judikatur (von den Oberlandesgerich- Beschuldigten ableiten lasse, dem Privatbeteilig- ten) vertretenen, divergierenden Ansicht hat der ten, Privatankläger und Opfer nur unter den Gesetzgeber im Zuge des Hass-im-Netz-Be- dort genannten Voraussetzungen Akteneinsicht kämpfungs-Gesetzes (HiNBG)29 mit Inkrafttre- zu gewähren. Mangels eines in der StPO geregel- ten zum 1. 1. 2021 nunmehr eine Klarstellung ten subjektiven Rechts des Beschuldigten stand vorgenommen und in § 49 StPO einen neuen diesem folglich – selbst im Falle einer unzulässi- Abs 2 geschaffen, demzufolge der Beschuldigte gen, überschießenden Akteneinsicht und einer das Recht hat, dass Opfern, Privatbeteiligten damit einhergehenden Verletzung des Rechts oder Privatanklägern Akteneinsicht nur inso- auf Datenschutz und auf Achtung des Privat- weit gewährt wird, als dies zur Wahrung ihrer und Familienlebens – ein Einspruch wegen Interessen erforderlich ist. Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 StPO nicht Den Mat zufolge soll Opfern, Privatbeteilig- offen. Dies hatte letzten Endes zur Folge, dass ten oder Privatanklägern Akteneinsicht genau – die Gewährung überschießender Akteneinsicht und gleichzeitig: nur – in jenem Umfang ge- an Privatbeteiligte, Privatankläger und Opfer währt werden, als dies zur Durchsetzung oder durch den Beschuldigten im Rahmen des Straf- Abwehr von Rechtsansprüchen erforderlich ist. verfahrens nicht bekämpft werden konnte, ob- Diesem Interesse stehe wiederum das durch die wohl regelmäßig (sogar) eine Verletzung verfas- Akteneinsicht regelmäßig berührte Interesse sungsrechtlich gewährleisteter Rechte vorlag. Dritter (auch des Beschuldigten) an der Ge- Entschärft wurde diese Problematik zwi- heimhaltung personenbezogener Daten sowie schenzeitig durch den OGH, der in seiner jünge- an der Achtung seines Privat- und Familienle- ren Rsp ausdrücklich festgehalten hat, dass die bens gegenüber. Es sei daher anhand des Grund- Garantien der EMRK über § 5 Abs 1 StPO in satzes der Verhältnismäßigkeit nach § 5 StPO eine Interessenabwägung vorzunehmen, inwie- 24 OGH 28. 4. 2015, 14 Os 128/14a, 14 Os 129/14y, 14 Os fern Aktenbestandteile, an denen ein Geheim- 26/15b; so auch ErlRV 481 BlgNR 27. GP, 28; Korn/ haltungsinteresse bestehe, zur Durchsetzung Zöchbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 68 Rz 2. oder Abwehr von Rechtsansprüchen des Privat- 25 Hinterhofer/Oshidari, System des österreichischen Strafverfahrens (2017) Rz 7.1057; Pilnacek/Stricker in beteiligten, Privatanklägers oder Opfers unbe- Fuchs/Ratz, WK StPO, § 106 Rz 14; Schroll/Kier in Kert/ dingt dienlich seien. Nur in diesem Umfang sei Kodek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht (2016) Rz 23.3; Opfern, Privatbeteiligten oder Privatanklägern Wess in Kier/Wess, HB Strafverteidigung, Rz 6.63 ff, kritisch dazu bereits Wess, Aktenvollständigkeit, zeit- Akteneinsicht zu gewähren.30 nahes Zum-Akt-Nehmen, Akteneinsicht, Recht auf 27 Verteidigung, Schattenakt, JSt 2020, 67 (59). OGH 28. 7. 2020, 11 Os 51/20i; 13. 10. 2020, 11 Os 56/ 26 ErlRV 481 BlgNR 27. GP, 28 mit Verweis auf OLG 20z; siehe dazu auch Divjak, Einspruch wegen EMRK- Wien 17 Bs 67/20g (nicht veröffentlicht). Inwiefern und Verletzung, JSt 2021, 170 (170 ff); siehe dazu auch in welchem Ausmaß durch die Oberlandesgerichte jüngst Schröder/Wess, Begründungspflicht der StA bei auch die andere Sichtweise vertreten wurde, dass aus Beschränkung der Akteneinsicht, JSt 2021, 301 (307). 28 § 68 Abs 1 StPO sehr wohl ein subjektives Recht des Be- OGH 13. 10. 2020, 11 Os 56/20z. 29 schuldigten abzuleiten sei, lässt sich nicht beurteilen, da BGBl I 2020/148. 30 die Entscheidungen der Oberlandesgerichte bis auf we- ErlRV 481 BlgNR 27. GP, 29 mit Verweis auf Korn/ nige Ausnahmefälle nicht veröffentlicht werden. Zöchbauer in Fuchs/Ratz, WK StPO, § 68 Rz 2. 3/2021 ZWF 3/2021 97
Wirtschaftsstrafrecht Recht auf Beschränkung der Akteneinsicht Aus § 49 Abs 2 StPO lässt sich folglich nun- Beschuldigten gestärkt werden. In systemati- mehr sowohl dem Wortlaut als auch dem Willen scher Hinsicht sind von dieser Neuregelung je- des Gesetzgebers folgend ein subjektives Recht denfalls auch Antragsteller nach § 77 StPO mit- des Beschuldigten ableiten, dass Opfern, Privat- umfasst, wenngleich die neugefasste Bestim- beteiligten oder Privatanklägern Akteneinsicht mung auf diesen Personenkreis nicht ausdrück- nur insoweit gewährt wird, als dies zur Wah- lich Bezug nimmt. rung ihrer Interessen erforderlich ist. Im Falle Eine (weitere) Beschränkung des Rechts auf einer Verletzung dieses subjektiven Rechts kann Akteneinsicht für Privatbeteiligte, Privatanklä- diese mit einem Einspruch wegen Rechtsverlet- ger, Opfer sowie sonstige Dritte ist durch den zung gem § 106 Abs 1 StPO geltend gemacht eingefügten § 49 Abs 2 StPO entgegen den Mat werden. Zudem soll dieses subjektive Recht im Übrigen nicht zu befürchten:34 Privatbetei- nicht nur gegenüber der Staatsanwaltschaft von ligte, Privatankläger und Opfer waren nämlich – Bedeutung sein, sondern auch gegenüber dem rechtsrichtig betrachtet – bereits zuvor nach Gericht, dh mittels Beschwerde gem § 87 StPO, § 68 Abs 1 StPO nur zur Akteneinsicht berech- geltend gemacht werden können.31 Bezüglich tigt, soweit ihre (rechtlich schützenswerten) In- sonstiger Dritter iSd § 77 StPO kann nichts an- teressen betroffen sind. Daran hat sich durch deres gelten, zumal im dortigen Abs 1 bereits im § 49 Abs 2 StPO nichts geändert. Vielmehr stellt Rahmen der Entscheidung über die Gewährung die Neuregelung lediglich das Pendant der für der Akteneinsicht ausdrücklich eine Interessen- Privatbeteiligte, Privatankläger und Opfer abwägung vorzunehmen ist. Dennoch ist es ein schon bislang geltenden Regelung aus Beschul- wenig verwunderlich, dass auf diese weder in digtensicht dar. Für § 77 StPO gilt nichts ande- den Mat noch im neu gefassten Abs 2 des § 49 res. StPO Bezug genommen wird. 3. Fazit ▶ Auf den Punkt gebracht Durch § 49 Abs 2 StPO hat der Gesetzgeber dem Beschuldigten nunmehr ausdrücklich ein sub- Der Gesetzgeber hat mit dem HiNBG jektives Recht eingeräumt, dass Opfern, Privat- einen neuen Abs 2 in § 49 StPO eingefügt beteiligten oder Privatanklägern Akteneinsicht und damit klargestellt, dass der Beschul- nur in dem Umfang gewährt werden darf, in digte ein subjektives Recht hat, dass Op- dem dies zur Wahrung ihrer Interessen, also fern, Privatbeteiligten oder Privatanklä- insb zur Durchsetzung und Abwehr (zivilrecht- gern Akteneinsicht nur insoweit gewährt licher) Ansprüche erforderlich ist. Damit eröff- wird, als dies zur Wahrung ihrer Interes- net der Gesetzgeber dem Beschuldigten bei einer Verletzung durch überschießende Akten- sen erforderlich ist. Rechtsrichtig be- einsicht ausdrücklich die Erhebung eines Ein- trachtet sind hiervon auch Antragsteller spruchs wegen Rechtsverletzung nach § 106 nach § 77 StPO mitumfasst. Wenngleich Abs 1 StPO eröffnet. diesem Personenkreis schon davor gem In Anbetracht der jüngeren Rsp des OGH, § 68 Abs 1 und 2 StPO sowie gem § 77 wonach die Rechte der EMRK über § 5 StPO in Abs 1 StPO Akteneinsicht nur in diesem § 106 Abs 1 StPO einfließen32 und (behauptete) Umfang zugestanden ist, lässt sich aus Verletzungen des Grundrechts auf Datenschutz § 49 Abs 2 StPO nun ausdrücklich ein nach § 1 DSG sowie des Rechts auf Achtung des subjektives Recht des Beschuldigten ab- Privat- und Familienlebens nach Art 8 EMRK leiten, dessen Verletzung mit einem Ein- durch staatsanwaltschaftliche Entscheidungen spruch wegen Rechtsverletzung nach und Anordnungen im Wege mittels Einspruchs § 106 Abs 1 StPO geltend gemacht wer- wegen Rechtsverletzung bei Gericht bekämpft den kann. Für die Antragsteller ergibt sich werden können,33 ist dies zwar keine gänzlich daher durch die Neuregelung keine Än- neue Möglichkeit für den Beschuldigten. Begrü- derung, auch der Umfang des ihnen zu- ßenswert ist diese Klarstellung aus Beschuldig- stehenden Rechts auf Akteneinsicht wird tensicht aber dennoch, da dergestalt eine klare durch § 49 Abs 2 StPO nicht (weiter) ein- gesetzliche Regelung vorliegt und die Rechte des geschränkt. 31 ErlRV 481 BlgNR 27. GP, 29. 32 OGH 28. 7. 2020, 11 Os 51/20i. 33 34 OGH 13. 10. 2020, 11 Os 56/20z. ErlRV 481 BlgNR 27. GP, 29. 98 3/2021 ZWF
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