MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN EINER KONSENSLOSEN KÖRPERLICHEN UNTERSUCHUNG IM STRAFVERFAHREN - JKU ePUB
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MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN EINER KONSENSLOSEN KÖRPERLICHEN UNTERSUCHUNG IM STRAFVERFAHREN Eingereicht von Angela Walzl Angefertigt am Institut für Strafrechtswissenschaften Beurteiler DIPLOMARBEIT Univ.-Prof. Dr. Alois Birklbauer zur Erlangung des akademischen Grades Mitbetreuung Magistra der Rechtswissenschaften MMag.a Dr.in Kathrin Stiebellehner im Diplomstudium September 2020 Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Kronstorf, 15.09.2020 Anmerkung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit sind sämtliche geschlechtsspezifische Ausdrücke in dieser Diplomarbeit, sofern dies sprachlich in Betracht kommt, ebenfalls in der jeweils anderen Form zu verstehen. 15. September 2020 Angela Walzl 2/33
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis .......................................................................................................... 5 1. Rechtliche Grundlagen ................................................................................................... 6 2. Definition der körperlichen Untersuchung ....................................................................... 6 2.1 Durchsuchung von Körperöffnungen gem § 117 Z 4 1. Fall StPO............................ 6 2.2 Abnahme einer Blutprobe gem § 117 Z 4 2. Fall StPO ............................................ 7 2.3 Andere Eingriffe in die körperliche Integrität gem § 117 Z 4 3. Fall StPO ................. 7 3. Zweck der körperlichen Untersuchung ............................................................................ 9 4. Möglichkeiten bzw Zulässigkeit der körperlichen Untersuchung...................................... 9 4.1 Abs 1 Z 1: Suche nach und Sicherstellung von tatrelevanten Spuren am oder im Körper, die eine Person hinterlassen hat ................................................................. 9 4.2 Abs 1 Z 2: Suche nach und Sicherstellung von verfahrensrelevanten Gegenständen im Körper............................................................................................................... 10 4.3 Abs 1 Z 3: Feststellung tatrelevanter oder für die Zurechnungsfähigkeit relevanter Tatsachen ............................................................................................................. 11 4.4 Abs 2: Reihenuntersuchungen .............................................................................. 12 4.5 Abs 4 Satz 3: Blutabnahmen und vergleichbar geringfügige Eingriffe .................... 13 5. Grenzen der körperlichen Untersuchung ...................................................................... 15 5.1 Die körperliche Untersuchung nach Einwilligung ................................................... 17 5.1.1 Operative Eingriffe ...................................................................................... 17 5.1.2 Nicht operative Eingriffe mit einer möglichen Gesundheitsschädigung von mehr als dreitätiger Dauer .......................................................................... 17 5.2 Die verhältnismäßige zwangsweise Durchsetzung bei fehlender Einwilligung ....... 18 5.2.1 Die körperliche Untersuchung nach der StPO ............................................ 18 5.2.2 Blutabnahme nach der StVO ...................................................................... 21 5.2.3 Körperliche Untersuchung nach dem SPG ................................................. 22 5.2.4 Körperliche Untersuchung nach dem SMG ................................................. 24 6. Formelle Voraussetzungen der körperlichen Untersuchung gem § 123 Abs 3 StPO ..... 25 7. Durchführung der körperlichen Untersuchung gem § 123 Abs 5 StPO.......................... 25 8. Verwendungsbeschränkung von Beweisen gem § 123 Abs 6 und 7 StPO .................... 26 9. Rechtsschutz ................................................................................................................ 28 9.1 Beschwerde gem § 87 StPO ................................................................................. 28 9.2 Einspruch gem § 106 StPO ................................................................................... 28 9.3 Maßnahmenbeschwerde gem Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG ......................................... 28 9.4 Beschwerde gem Art 132 Abs 1 Z 1 B-VG, sowie gem Art 144 Abs 1 B-VG .......... 29 15. September 2020 Angela Walzl 3/33
10. Fazit.............................................................................................................................. 29 Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 30 Sonstige Quellen ................................................................................................................. 32 15. September 2020 Angela Walzl 4/33
Abkürzungsverzeichnis ABGB Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch Abs Absatz Art Artikel BGBl Bundesgesetzblatt bspw beispielsweise B-VG Bundesverfassungsgesetz bzw beziehungsweise DNA deoxyribonucleic acid EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EMRK Europäische Menschenrechtskonvention ff fortfolgende gem gemäß inkl inklusive iSd im Sinne des iSv im Sinne von iVm in Verbindung mit lit littera Lt Laut OGH Oberster Gerichtshof Rz Randziffer SMG Suchtmittelgesetz SPG Sicherheitspolizeigesetz StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StrSchG Strahlenschutzgesetz StVO Straßenverkehrsordnung ua unter anderem VfGH Verfassungsgerichtshof VwGH Verwaltungsgerichtshof Z Ziffer zB zum Beispiel 15. September 2020 Angela Walzl 5/33
1. Rechtliche Grundlagen Die körperliche Untersuchung findet ihre rechtliche Grundlage in § 117 und § 123 StPO. § 117 Z 4 StPO definiert die „körperliche Untersuchung“.1 § 123 StPO normiert die Zulässigkeit respektive Unzulässigkeit von körperlichen Untersuchungen, die formellen und materiellen Voraussetzungen einer solcher, sowie Zulässigkeitsvoraussetzungen für Beweismittel.2 In Bezug auf die Grundrechte sind Art 8 EMRK, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, sowie der Nemo-tenetur-Grundsatz, welcher sich aus Art 90 Abs 2 B-VG und Art 6 EMRK ableiten lässt, von Bedeutung.3 2. Definition der körperlichen Untersuchung Gem § 117 Z 4 StPO handelt es sich bei einer körperlichen Untersuchung um die Durchsuchung von Körperöffnungen, die Abnahme einer Blutprobe und um jeden anderen Eingriff in die körperliche Integrität einer Person.4 2.1 Durchsuchung von Körperöffnungen gem § 117 Z 4 1. Fall StPO Unter den Terminus „Körperöffnungen“ lassen sich nur funktionale Öffnungen im Körper eines Menschen, wie etwa der Mund, After, Vagina, Nasenlöcher und Ohren subsumieren. Durch Verletzung entstandene Öffnungen sind allerdings keine Körperöffnungen gem § 117 Z 4 StPO. Eine medizinische Befundung solcher fällt unter § 117 Z 4 3. Fall StPO.5 1 Vgl Fabrizy, StPO, Kurzkommentar13 § 123 Rz 1. 2 Vgl Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl 1975/631. 3 Vgl Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 2; Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 2. 4 Vgl Birklbauer/Keplinger, StPO, Polizeiausgabe11 164; Tauschmann in StPO Kommentar1 § 117 Rz 16. 5 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 117 Rz 28. 15. September 2020 Angela Walzl 6/33
2.2 Abnahme einer Blutprobe gem § 117 Z 4 2. Fall StPO In diesem Fall muss es sich um eine Blutabnahme, welche unmittelbar aus dem Körper entnommen wird, handeln (durch Punktion eines Blutgefäßes unter Verwendung einer Kanüle). Keine Abnahme ist daher ein Sichern und anschließendes Untersuchen von bereits aus dem Körper ausgetretenem Blut.6 Dies wäre ein Fall der Sicherstellung und Beschlagnahme.7 2.3 Andere Eingriffe in die körperliche Integrität gem § 117 Z 4 3. Fall StPO Dieser Begriff beinhaltet eine physische und psychische Komponente. Unter einen physischen Eingriff in die körperliche Integrität werden Eingriffe in das hautumschlossene Innere des Körpers, da mit dem Durchstechen der Haut eine Beeinträchtigung der körperlichen Substanz verbunden ist (invasive Eingriffe), erachtet, auch wenn diese nur kurz sein können, wie etwa regelmäßig bei der Entnahme natürlicher Körperbestandteile (Blut, Gewebeproben) durch eine Punktion respektive dem Zuführen von Stoffen durch beispielsweise Injektion, Infusion oder orale Einnahme.8 Auch die Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens, wie sie im Rahmen der Durchsuchung von Körperöffnungen erfolgt, lässt sich unter einen „Eingriff in die körperliche Integrität“ subsumieren, auch wenn die körperliche Substanz im Zuge dessen nicht verletzt wird. Begründen kann man die Einbeziehung des psychischen Wohlbefindens einerseits dadurch, dass Körperverletzungsdelikte ebenfalls den Schutz vor psychischer Beeinträchtigung umfassen, andererseits, dass Art 8 EMRK, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, die körperliche und psychische Integrität schützt. Auch Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren, wenn der Betroffene infolgedessen radioaktiver Strahlung (Röntgenstrahlen, Ultraschallwellen) ausgesetzt wird, stellen eine körperliche Untersuchung dar. Im Gegensatz zu invasiven Eingriffen kommt es hier üblicherweise zu keiner wenigstens geringfügigen Beeinträchtigung der körperlichen Substanz und lässt sich daher auch ein Eingriff in die Privat- und Intimsphäre des Betroffenen ableiten.9 6 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 117 Rz 29. 7 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 117 Rz 18. 8 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 117 Rz 19. 9 Vgl Mayerhofer/Salzmann, StPO, Zweiter Teil6 Rz 2; Birklbauer in WK StPO (2013) § 117 Rz 30-33. 15. September 2020 Angela Walzl 7/33
Folglich werden auch Eingriffe in das muskelumschlossene Körperinnere ohne Substanzbeeinträchtigung als Verletzung in die körperliche Integrität gewertet. Die Verabreichung eines Brechmittels mittels einer Magensonde oder eines Einlaufs werden demnach als Eingriff in die körperliche Integrität gewertet. 10 Die schlichte medizinische Begutachtung von Verletzungen, körperlichen Gebrechen oder ganz allgemein von körperlichen Reaktionen ist unter die körperliche Untersuchung gem § 117 Z 4 3. Fall StPO zu subsumieren, sobald eine körperliche Berührung stattfindet. Das Abschneiden der Fingernägel beim Vergewaltigungsopfer oder auch das Abnehmen von versengten Haaren zur Klärung eines Brandstiftungstatverdachtes stellen einen Eingriff in die körperliche Integrität dar. Eine körperliche Untersuchung ist jedoch nicht die Befundung durch Beobachtung oder Befragung, oder wenn bei anderen Untersuchungen keine körperliche Berührung stattfindet, da es hier an der Mindestschwelle für einen Eingriff in die körperliche Integrität mangelt. Eine Besichtigung eines unbekleideten Körpers einer Person ist dementsprechend eine Durchsuchung einer Person iSd § 117 Z 3 lit b StPO. Findet eine niederschwellige, medizinische Untersuchung ohne körperliche Berührung statt, fällt diese daher auch nicht unter die Voraussetzungen des § 123 StPO.11 Weiters ist auch die Sicherstellung von Spuren an Fingernägeln einer Person, welche in den Eingriff nicht einwilligt, kein Fall des § 123 StPO, sondern ein Unterfall des § 119 Abs 2 Z 2 StPO.12 Es sei noch erwähnt, dass die Untersuchung von Körperbestandteilen oder -flüssigkeiten, die der Betroffene ausgeschieden hat (wie etwa Blut, Speichel, Harn oder Samen) oder die im Zuge einer nicht strafprozessual angeordneten körperlichen Untersuchung gewonnen wurden, nicht unter die Normierungen der körperlichen Untersuchung fallen, sondern unter den § 74 StPO über das Verwenden von Daten bzw unter § 117 Z 5 StPO über die Verwendung der Analyseergebnisse einer molekulargenetischen Untersuchung.13 10 Vgl EGMR 11.7.2006, 54810/00, Jalloh/Deutschland. 11 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 117 Rz 34-36. 12 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 117 Rz 23; Fabrizy, StPO, Kurzkommentar13 § 123 Rz 1. 13 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 117 Rz 38. 15. September 2020 Angela Walzl 8/33
3. Zweck der körperlichen Untersuchung Zweck der körperlichen Untersuchung ist einerseits die Suche nach im Körper verborgenen Beweisgegenständen, zum anderen die Feststellung sonstiger für das Strafverfahren bedeutsamer Umstände (zB die Schwere einer zugefügten Verletzung oder die Zurechnungsfähigkeit im Tatzeitpunkt).14 4. Möglichkeiten bzw Zulässigkeit der körperlichen Untersuchung Körperliche Untersuchungen greifen in Art 8 EMRK, dem Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, ein. Art 8 Abs 2 EMRK gestattet unter Umständen allerdings solche Eingriffe, soweit diese verhältnismäßig sind. § 123 StPO stellt eine Norm dar, welche es ermöglicht unter gewissen Voraussetzungen eine körperliche Untersuchung durchzuführen, ohne dass damit eine Verletzung des Art 8 EMRK einhergeht.15 • Abs 1 Z 1: Suche nach und Sicherstellung von tatrelevanten Spuren am oder im Körper, die eine Person hinterlassen hat • Abs 1 Z 2: Suche nach und Sicherstellung von verfahrensrelevanten Gegenständen im Körper • Abs 1 Z 3: Feststellung tatrelevanter oder für die Zurechnungsfähigkeit relevanter Tatsachen • Abs 2: Reihenuntersuchung • Abs 4 Satz 3: Blutabnahmen oder vergleichbar geringfügige Eingriffe16 4.1 Abs 1 Z 1: Suche nach und Sicherstellung von tatrelevanten Spuren am oder im Körper, die eine Person hinterlassen hat In Z 1 ist eine „Person“ angeführt und kann dies daher sowohl der Beschuldigte, als auch jede andere Person sein. Allerdings darf der Verletzte nach § 123 Abs 5 iVm § 121 Abs 1 StPO nicht gezwungen werden, aktiv an einer körperlichen Untersuchung mitzuwirken. 14 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 117 Rz 26. 15 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 2. 16 Vgl Strafprozessordnung 1975 (StPO), BGBl 1975/631. 15. September 2020 Angela Walzl 9/33
Weiters ist aus Z 1 der Begriff „Spur“ zu entnehmen. „Spur“ beschreibt einen Hinweis darüber, üblicherweise in Form von Materialablagerungen oder Abdrücken, dass eine bestimmte Person als Spurenträger oder -verursacher mit einem Ort oder einer Person in Kontakt war.17 Unter diese Ziffer fällt zum einen die Untersuchung einer Person, um eine Tatortspur der untersuchten Person zuordnen zu können und zum anderen auch die Untersuchung, um die an ihr befindliche Spur (zB Blut oder Sperma nach einem Angriff) sicherzustellen und jemandem zuordnen zu können, sowie die Suche und Sicherstellung von tatrelevanten Spuren in Körperöffnungen.18 Jedenfalls muss für die körperliche Untersuchung nach Z 1 die Verhältnismäßigkeit iSd § 5 StPO gegeben sein. Die körperliche Untersuchung ist bspw nicht zulässig, wenn eine Besichtigung des Körpers iSd § 117 Z 3 lit b StPO ausreichend ist.19 4.2 Abs 1 Z 2: Suche nach und Sicherstellung von verfahrensrelevanten Gegenständen im Körper Auch für Z 2 gelten jene Ausführungen wie in Z 1, dass die angeführte „Person“ der Beschuldigte, als auch jedes sonstige Individuum sein kann, der Verletzte allerdings gem § 123 Abs 5 iVm § 121 Abs 1 StPO nicht gezwungen werden kann, aktiv an einer körperlichen Untersuchung mitzuwirken.20 Diese Ziffer normiert die Zulässigkeit zur Suche nach sicherzustellenden Gegenständen im Körper einer Person. Die Art der Suche, die eingesetzte Methode oder die verwendeten Hilfsmittel sind dabei irrelevant. Möglich sind sowohl manuelle Suchen in Körperhöhlen, als auch die Suche im Körper mittels Röntgen, Ultraschall oder anderen bildgebenden Verfahren.21 Unter den Begriff „Gegenstände“ lassen sich solche in fester Form, die vom untersuchten Körper als eigene Teile isoliert werden können, also Fremdkörper, subsumieren. Darunter versteht man zB (verpackte) Suchtmittel, Diamanten, 17 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 6-7. 18 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 8. 19 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 7. 20 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 6. 21 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 10. 15. September 2020 Angela Walzl 10/33
Mikrochips oder im Körper eingepflanzte Implantate, die bspw zum Nachweis eines Versicherungsbetruges sichergestellt werden müssen.22 Auch die Suche im Körper von unverdächtigen Personen ist grundsätzlich zulässig, da lt Z 2 kein Tatverdacht gegen die durchsuchte Person von Nöten ist. Allein die begründete Annahme des Besitzes von Gegenständen, die der Sicherstellung unterliegen, genügt. Somit ist auch eine grundsätzliche Zulässigkeit einer Suche im Körper von Unverdächtigen gegeben. Dies könnte beispielsweise bei Unverdächtigen eine Suche nach Implantaten, um dessen mindere Qualität und damit einen Betrug nachweisen zu können, sein. Anzumerken ist jedoch, dass für die Sicherstellung des Implantates kein medizinischer Eingriff von Nöten sein darf, da dies ansonsten unter Abs 4 fällt.23 4.3 Abs 1 Z 3: Feststellung tatrelevanter oder für die Zurechnungsfähigkeit relevanter Tatsachen Unter Z 3 sind jene Tatsachen zu subsumieren, die weder zu den verfahrensrelevanten Spuren, noch zu den sicherzustellenden Gegenständen gehören, also überwiegend aus dem psychischen Bereich. Z 3 normiert, dass eine körperliche Untersuchung nur erlaubt ist, wenn sie zur Aufklärung einer Straftat fungiert. Folglich kann eine Untersuchung des Beschuldigten zur Feststellung seiner Verhandlungsfähigkeit gegen seinen Willen nicht auf Z 3 ausgelegt werden. 24 Weiters besteht für den Beschuldigten in Hinblick auf den Nemo-tenetur-Grundsatz keine Verpflichtung an einer Untersuchung zur Verhandlungsfähigkeit mitzuwirken.25 Gleichsam verhält es sich mit der Untersuchung eines Zeugen zur Feststellung seiner Vernehmungsfähigkeit. Dies hat auch keinen Bezug zur Tataufklärung und ist ebenso unzulässig.26 Darüber hinaus muss ein Zeuge seinen Körper für Beweiszwecke ohnehin nicht zur Verfügung stellen, da es keine gesetzliche Ermächtigung zur zwangsweisen Durchsetzung solch einer Untersuchung gegen den Willen des Betroffenen gibt. 22 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 11. 23 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 12. 24 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 16. 25 Vgl OGH 14 Os 48/12h = RS0097815. 26 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 10. 15. September 2020 Angela Walzl 11/33
Es muss daher eine Einwilligung des zu Untersuchenden stattfinden respektive die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters und generell begründete Zweifel hinsichtlich des Geisteszustandes von Zeugen respektive der Fähigkeit, Wahrnehmungen zu machen und diese wiederzugeben, vorliegen.27 Glaubwürdigkeitsgutachten, also die psychologische/psychiatrische Untersuchung von Zeugen zur Feststellung seiner Glaubwürdigkeit kommen selten vor, da die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zwar eine Rolle bei der Tataufklärung spielen kann, aber für die Zulässigkeit einer körperlichen Untersuchung die maßgeblichen aufklärungsrelevanten Tatsachen auf andere Weise nicht feststellbar sein dürfen. Zu bedenken ist auch, dass bei Durchführung gegen den Willen der zu untersuchenden Person selten brauchbare Ergebnisse erzielt werden. Darüber hinaus ist die Glaubwürdigkeitsbeurteilung eine Frage der freien Beweiswürdigung, welche dem erkennenden Gericht zukommt.28 Unter den Begriff der körperlichen Untersuchung fällt nicht, eine schlichte Beobachtung des Verhaltens eines Festgenommenen, um daraus Rückschlüsse auf seine Verhandlungsfähigkeit ziehen zu können, und ist daher zulässig.29 Unter der Voraussetzung, dass kein Eingriff in die körperliche Integrität nötig ist, hat ein Angeklagter auch einfache Untersuchungen (wie etwa das Abhören von Herz und Lunge, Messen des Blutdrucks und der Körpertemperatur) zur Feststellung der Verhandlungsfähigkeit hinzunehmen.30 4.4 Abs 2: Reihenuntersuchungen Unter Reihenuntersuchungen versteht man körperliche Untersuchungen an Personen, die einem durch bestimmte Merkmale individualisierbaren Personenkreis angehören. Diese ist ua zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sich der Täter in diesem Personenkreis befindet.31 Das Gesetz lässt allerdings offen, wie groß dieser Personenkreis sein darf. 27 Vgl OGH 14 Os 84/03; 15 Os 45/05i = RS0098015. 28 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 19; OGH 12 Os 32/18z = RS0097733; OGH 11 Os 68/17k; 15 Os 53/19m = RS0118956; OGH 12 Os 93/19x = RS0098297. 29 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 17. 30 Vgl Schwaighofer in WK StPO (2017) § 275 Rz 15; Ratz in WK StPO (2020) Rz 379. 31 Vgl Birklbauer, ÖJZ 2008/39, 347 (348); Fabrizy, StPO, Kurzkommentar13 § 123 Rz 4. 15. September 2020 Angela Walzl 12/33
Zu berücksichtigen ist aber bezüglich der Verhältnismäßigkeit, dass jedenfalls ein bestimmtes Maß an Tatverdacht notwendig ist. Als Richtwert kommt hier ein Personenkreis von nicht mehr als 20 Personen in Betracht. 32 Da Reihenuntersuchungen nur zur Sicherstellung von Spuren zulässig sind, erlangt häufig ein Mundhöhlenabstrich Bedeutung. Der Verdacht auf eine mögliche Sehschwäche oder Sprachfehler eines Täters stellen keinen Grund für eine gültige Reihenuntersuchung dar, da eine Reihenuntersuchung zur Ermittlung von Personen mit Beeinträchtigungen keine Spuren, sondern Merkmale des Tatverdächtigen ermittelt.33 Weitere Zulässigkeitsvoraussetzung für die Reihenuntersuchung ist, dass es sich um die Aufklärung einer Straftat, welche mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, oder aber auch eines Verbrechens nach dem 10. Abschnitt des StGB, Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung, handelt.34 Verbrechen sind entsprechend § 17 Abs 1 StGB Handlungen, die vorsätzlich begangen werden und mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Insofern fallen jene Bestimmungen des 10. Abschnittes weg, die mit einer Freiheitsstrafe bis zu einschließlich drei Jahren bedroht sind. Dies ist Ausfluss dessen, dass bei einigen dieser strafbaren Handlungen die Hinterlassung verwertbarer Spuren äußerst rar ist oder sich die strafbaren Handlungen im familiären Nahbereich ereignen, weshalb die Untersuchung ohnehin nicht in Betracht käme, weil sie zu keinen bedeutsamen Informationen für die Aufklärung der Tat führen würde.35 4.5 Abs 4 Satz 3: Blutabnahmen und vergleichbar geringfügige Eingriffe In Abs 4 Satz 3 werden die Voraussetzungen für eine Blutabnahme oder einen vergleichbar geringfügigen Eingriff, bei welchem der Eintritt von anderen als bloß unbedeutenden Folgen ausgeschlossen ist, normiert.36 32 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 20-21; Bertel/Venier in Kommentar StPO1 (2012) § 123 Rz 5. 33 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 22. 34 Vgl Birklbauer, ÖJZ 2008/39, 347 (348). 35 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 23. 36 Vgl Birklbauer, StPO, Einführung in das Grundstudium4 Rz 8/106. 15. September 2020 Angela Walzl 13/33
Gem § 123 Abs 4 Z 1 lit a StPO darf solch ein Eingriff bei Personen durchgeführt werden, die im Verdacht stehen, eine Straftat nach § 178 StGB, Vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten, verwirklicht zu haben.37 Unter übertragbare Krankheiten sind jene Krankheiten zu subsumieren, die anzeige- oder meldepflichtig sind. Welche diese sind, ergibt sich aus diversen Verwaltungsgesetzen und aus entsprechenden Verordnungen. Eine Anzeige- und Meldepflicht besteht bspw für Aids, Hepatitis, Tuberkulose, Scharlach, Malaria oder Syphilis.38 Es ist nicht entscheidend, ob der Verdacht besteht, dass die Person Träger einer solchen Krankheit ist, sondern nur, ob diese Person eine vorsätzliche Handlung gesetzt hat, die tauglich ist, das Risiko der Verbreitung solch einer übertragbaren Krankheit unter Menschen herbeizuführen. Demgemäß reicht auch eine fahrlässige Herbeiführung nicht aus, um einen Eingriff vorzunehmen.39 Ein weiterer Fall für derartige Eingriffe ist gem § 123 Abs 4 Z 1 lit b StPO, wenn eine Person verdächtigt wird, eine Straftat gegen Leib und Leben durch Ausübung einer gefährlichen Tätigkeit in alkoholisiertem oder sonst durch ein berauschendes Mittel beeinträchtigtem Zustand begangen zu haben.40 Gefährlich ist eine Tätigkeit dann, wenn deren Vornahme in beeinträchtigtem Zustand geeignet ist, eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern.41 Es reicht hier schon der geringste Verdacht, dass die gefährliche Tätigkeit in alkoholisiertem oder sonst durch ein berauschendes Mittel beeinträchtigtem Zustand vorgenommen wurde, um eine Blutabnahme anzuordnen. 37 Vgl Bertel/Venier in Kommentar StPO1 (2012) § 123 Rz 5. 38 Vgl Murschetz in WK StGB2 § 179 Rz 5. 39 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 24c. 40 Vgl Oshidari, ÖJZ 2008/17, 138 (141). 41 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 24d. 15. September 2020 Angela Walzl 14/33
Suchtmittel und bestimmte Medikamente, die die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigen können, lassen sich unter den Begriff der berauschenden Mittel subsumieren.42 Weiters dürfen nach § 123 Abs 4 Z 1 lit b StPO, wie auch in Z 2, eine Blutabnahme und vergleichbar geringfügige Eingriffe auch vorgenommen werden, wenn es zur Aufklärung einer Straftat, welche mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, oder eines Verbrechens nach dem 10. Abschnitt des StGB erforderlich ist.43 5. Grenzen der körperlichen Untersuchung § 123 Abs 4 StPO normiert, dass trotz Vorliegen aller materiellen Voraussetzungen und selbst bei Zustimmung der betroffenen Person, operative Eingriffe und alle Eingriffe mit einer möglichen Gesundheitsschädigung von einer Dauer von mehr als drei Tagen (Satz 1), unzulässig sind. Alle anderen Eingriffe bedürfen, nach Aufklärung über mögliche Folgen, einer Einwilligung des Betroffenen (Satz 2). 44 Lediglich die Blutabnahme und vergleichbar geringfügige Eingriffe dürfen in bestimmten Fällen ohne Zustimmung des Betroffenen vorgenommen werden (Satz 3).45 Die Einwilligung ist demnach ein Zulässigkeitskriterium für die Durchführung.46 In Bezug auf die Einwilligung existieren keine Formvorschriften, auch eine mündliche Zustimmung findet das Auslangen. Für die Einwilligung gelten die nach dem ABGB allgemeinen Voraussetzungen einer Willenserklärung.47 Die Einwilligung muss selbstverständlich frei von Willensmängeln sein. Um eine Einwilligung zu erhalten, dürfen wie auch beim Geständnis, keine Vorspiegelungen, Versprechungen oder Drohungen angewandt werden. 42 Vgl Tipold in Kommentar StGB1 § 287 Rz 7; Eder-Rieder in SbgK (2009) § 287 Rz 34; OGH 12 Os 31/93 = RS0095806. 43 Vgl Bertel/Venier in Kommentar StPO1 § 123 Rz 5. 44 Vgl Birklbauer, ÖJZ 2008/39, 347 (348-349). 45 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 28. 46 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 24. 47 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 36. 15. September 2020 Angela Walzl 15/33
Es ist eine angemessene Zeit, um über Zustimmung oder Ablehnung der Untersuchung zu entscheiden, zu billigen.48 Weiters ist nötig, dass der Einwilligende die Folgen seiner Zustimmung erfasst und über mögliche Risiken informiert ist.49 Entscheidungsfähige Minderjährige können in medizinische Behandlungen nur selbst einwilligen (§ 173 Abs 1 ABGB) und sollte dies auch bei körperlichen Untersuchungen bedacht werden.50 Bei mündig Minderjährigen wird im Zweifel das Vorliegen der Entscheidungsfähigkeit vermutet. Ist die notwendige Entscheidungsfähigkeit nicht gegeben, ist das Einverständnis der Person erforderlich, die mit der gesetzlichen Vertretung bei Pflege und Erziehung betraut ist.51 Kommt eine solche Person als Beschuldigter in Frage und besteht die Gefahr, dass die Einwilligung zur Verschleierung einer strafbaren Handlung anstatt zum Wohle des Kindes verweigert wird, muss nach § 181 Abs 1 ABGB das Pflegschaftsgericht angerufen werden, welches die erforderliche Einwilligung ersetzen könnte. In Fällen, in denen das Pflegschaftsgericht nicht erreicht werden kann und Gefahr im Verzug besteht, ist der Kinder- und Jugendhilfeträger zu kontaktieren und eine Entscheidung nach § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB einzuholen. Eine solche Entscheidung kann auch außerhalb der Amtsstunden und an Wochenenden eingeholt werden kann, da bei den Magistraten und Bezirkshauptmannschaften Journal- und Bereitschaftsdienste eingerichtet sind.52 Eine analoge Anwendung des § 173 ABGB erfolgt für unter Erwachsenenschutzrecht stehende Personen, wenn diese nicht entscheidungsfähig sind.53 Im Strafverfahren ist unter Umständen für eine körperliche Untersuchung eine Aufklärung geboten, dass die Verweigerung der Zustimmung zur Untersuchung freisteht und die Einwilligung jederzeit widerrufen werden könne. Jedoch kann eine 48 Vgl Tipold in WK StPO (2003) § 132 Rz 12. 49 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 36; Bertel/Venier/Tipold, StPO13 Rz 240. 50 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 37. 51 Vgl Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie JGS 1811/946 § 173 Abs 1. 52 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 37, 39. 53 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 38. 15. September 2020 Angela Walzl 16/33
Zustimmung auch konkludent erfolgen und ist es nicht immer erforderlich, über Verweigerungsmöglichkeiten aufzuklären.54 5.1 Die Unzulässigkeit der körperlichen Untersuchung trotz Einwilligung 5.1.1 Operative Eingriffe Unter operative Eingriffe, welche trotz Einwilligung unzulässig sind, versteht man nur Eingriffe in die physische Komponente der körperlichen Integrität. Es handelt sich daher ausschließlich um invasive Eingriffe, bei denen das hautumschlossene Gewebe durchstoßen wird.55 5.1.2 Nicht operative Eingriffe mit einer möglichen Gesundheitsschädigung von mehr als dreitätiger Dauer Bei den nicht operativen Eingriffen mit einer möglichen Gesundheitsschädigung von mehr als dreitägiger Dauer, welche auch trotz Einwilligung unzulässig sind, kommt es auf keine bestimmte Eingriffsmethode an. Hiervon sind alle Untersuchungen iSv § 117 Z 4 StPO erfasst. Die Gesundheitsschädigung umfasst auch mögliche später auftretende Folgen einer Untersuchung mit Strahlen, sowie eventuelle psychische Beeinträchtigungen einer Untersuchung. 56 Weiters sind auch körperliche Untersuchungen, mit denen grundsätzlich eine geringe physische/psychische Beeinträchtigung impliziert ist, die allerdings mit dem Wesen eines fairen Prozesses unvereinbar sind, unzulässig. Dies ist darauf zurückzuführen, weil sie bspw entsprechend § 164 Abs 4 Satz 2 StPO die Freiheit der Willensentschließung oder Willensbetätigung beeinträchtigen können. Daher dürfen beispielshalber auch die Verabreichung hemmungslösender Mittel zur Narkoanalyse oder die Hypnose nicht eingesetzt werden.57 Auch wenn die Methode nicht darauf gerichtet ist, eine bestimmte Aussage einer Person zu gewinnen, sondern nur für die Erstellung eines psychologisch/psychiatrischen Gutachtens fungiert, ist sie infolge 54 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 32; VwGH 23.03.1984, 82/02/0252 = RS2; VwGH 14.12.2007, 2007/02/0098 = RS1. 55 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 33; Tipold in Kommentar StGB1 § 51 Rz 24; Schroll in WK StGB2 § 51 Rz 42. 56 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 34. 57 Vgl Kirchbacher/Sadoghi in WK StPO (2020) § 245 Rz 72; OGH 11 Os 11/07p, 12 Os 34/99 = RS0089591; OGH 11 Os 11/07p = RS0098197; OGH 11 Os 11/07, 12 Os 34/99, 12 Os 75/17x = RS0074642. 15. September 2020 Angela Walzl 17/33
zum Art 6 EMRK, dem Fairnessgrundsatz, unzulässig, da dadurch die Würde des Menschen zu intensiv berührt wird. Zudem ist auch die sogenannte Suchtmittelprovokation, also das Verabreichen von Suchtmitteln zur Feststellung ihrer Wirkung auf den Betroffenen, unzulässig.58 Selbst wenn der Betroffene zustimmt und auch nur ein geringes Gesundheitsrisiko besteht, sind diese Vorgehensweisen aufgrund deren Unsicherheitsfaktoren unzulässig und verstoßen zudem gegen Art 6 Abs 1 EMRK.59 5.2 Die verhältnismäßige zwangsweise Durchsetzung bei fehlender Einwilligung 5.2.1 Die körperliche Untersuchung nach der StPO Aus § 93 StPO lässt sich entnehmen, dass die in der StPO bestimmten Grundrechtseingriffe grundsätzlich gegen den Willen des Betroffenen mit verhältnismäßigem Zwang durchgesetzt werden dürfen. Es ist allerdings, aus den für Grundrechtseingriffen geltenden Grenzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit, unzulässig, den Beschuldigten festzunehmen, um eine zwangsweise Vorführung zu einem Arzt vorzunehmen. Daraus folgt, dass ein Beschuldigter, welcher einer körperlichen Untersuchung nicht zustimmt, von der Polizei mit dem Arzt in dessen Wohnung aufzusuchen ist und die Untersuchung dort stattzufinden hat. Aus § 123 Abs 4 StPO lässt sich entnehmen, dass ohne Zustimmung des Betroffenen nur eine Blutabnahme oder ein vergleichbar geringfügiger Eingriff, bei dem der Eintritt von anderen als bloß unbedeutenden Folgen ausgeschlossen ist, unter gewissen Voraussetzungen vorgenommen werden darf. Wie bereits zuvor ausgeführt, ist es nicht zulässig anderweitige Untersuchungen als die aufgezählten zwangsweise durchzusetzen. Dies ergibt sich aus Abs 4 Satz 1.60 In Hinblick auf den Nemo-tenetur-Grundsatz Art 90 Abs 2 B-VG, Art 6 EMRK, besteht für den Beschuldigten keine Pflicht, an einer körperlichen Untersuchung aktiv mitzuwirken.61 58 Vgl OGH 12 Os 47/77 = RS0089591, RS0098187, RS0098197, RS0097541, RS0097513, RS0074642. 59 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 35. Mayerhofer/Salzmann, StPO Zweiter Teil6 Rz 10. 60 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 36-37. 61 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 2; OGH 12 Os 87/18p = RS0132267. 15. September 2020 Angela Walzl 18/33
Auch der VfGH führte in seiner Entscheidung B502/85 vom 26.09.1986 aus, dass der Angeklagte (Beschuldigte, Verdächtige) nicht verpflichtet ist, seinen Körper als Beweismittel zur Verfügung zu stellen.62 Bei einer zulässigen zwangsweisen Blutabnahme könnte man in Erwägung ziehen, dass diese gegen den Nemo-tenetur-Grundsatz verstößt, allerdings wäre für die körperliche Untersuchung lt Rechtsprechung des EGMR dafür ein aktives Tun des Beschuldigten Voraussetzung.63 Da es sich allerdings dabei nur um die Gewinnung einer Körpersubstanz handelt, die unabhängig vom Willen des Beschuldigten existiert, ist keine aktive Mitwirkung erforderlich, der Beschuldigte muss es lediglich dulden. Daher ist eine zwangsweise Blutabnahme durchaus mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz vereinbar.64 Die zwangsweise Durchsetzung der körperlichen Untersuchungen darf allerdings nur vorgenommen werden, wenn weder geringfügige physische, noch geringfügige psychische Folgen zu erwarten sind.65 Daher wird angenommen, dass die Verabreichung eines Einlaufs ohne Einwilligung nicht zulässig ist, auch wenn umstritten ist, ob mit dem Einlauf überhaupt eine physische Gesundheitsschädigung einhergeht.66 Burgstaller/Fabrizy jedoch vertreten die Ansicht, dass die Folgen eines gelinde wirkenden Abführmittels noch nicht als Gesundheitsschädigung iSd StGB zu qualifizieren sind.67 Der EGMR entschied in seinem Urteil Jalloh gegen Deutschland im Jahre 2006, dass die Verabreichung eines Brechmittels ohne Einwilligung jedenfalls unzulässig ist.68 Unter einem einwilligungsunabhängigen geringfügigen Eingriff versteht sich etwa eine röntgenologische Untersuchung.69 Auch wenn die radiologische Untersuchung als einwilligungsunabhängigen, geringfügigen Eingriff gewertet wird, so ist die generelle Gefährlichkeit dieser Untersuchung zu beachten.70 62 Vgl Mayerhofer/Salzmann, StPO, Zweiter Teil6 Rz 1; VfGH B502/85 = Slgnr 10976. 63 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 37; OGH 11 Os 60/16g (11Os118/16m) = RS0131006. 64 Vgl Birklbauer, StPO, Einführung in das Grundstudium4 Rz 1/33. 65 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 38. 66 Vgl Burgstaller/Fabrizy in WK StGB2 § 83 Rz 11. 67 Vgl Burgstaller/Fabrizy in WK StGB2 § 83 Rz 11. 68 Vgl EGMR 11.07.2006, 54810/00, Jalloh/ Deutschland. 69 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 42a. 70 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 38-38a. 15. September 2020 Angela Walzl 19/33
§ 4 Abs 3 StrSchG normiert, dass auf den menschlichen Körper ionisierende Strahlen, nach Maßgabe des jeweiligen Standes der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse, ausschließlich für medizinische Zwecke angewendet werden dürfen, sofern nicht durch Bundesgesetz andere gerechtfertigte Anwendungen für zulässig erklärt wurden.71 Durchaus könnte § 123 StPO als entsprechendes Ausführungsgesetz angedacht werden, doch sind die Eingriffsbefugnisse im Rahmen der StPO, die sich nicht aus medizinischen Erwägungen bzw Erfordernissen ergeben, aufgrund der mit solchen Untersuchungen einhergehenden Gefahr, eng auszulegen.72 Folgt man hingegen der Ansicht von Bertel und Venier, so ist eine radiologische Untersuchung kein „geringfügiger Eingriff“, da das Risiko an Krebs zu erkranken durchaus gering, aber dennoch nicht auszuschließen ist.73 Bei fehlender Einwilligung ist auch hier wieder zu beachten, dass die Untersuchung zur Tataufklärung erforderlich und angemessen sein muss. Lt. Birklbauer sind zwangsweise radiologische Untersuchungen zur Altersfeststellung eines Beschuldigten mangels dafür vorgesehener Erlaubnis in der StPO und mangels Deckung iSv § 4 Abs 3 StrahlenschutzG rechtswidrig.74 Eine andere Ansicht hierzu vertritt Tauschmann. Für ihn ist eine röntgenologische Handwurzeluntersuchung zur Feststellung des Alters ohne Einwilligung des Beschuldigten bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 123 Abs 4 StPO zulässig. Er argumentiert - anders als Birklbauer - dass der in Abs 1 Z 3 erwähnte Begriff der Zurechnungsfähigkeit nicht nur iSd § 11 StGB, sondern auch am Begriff der Unmündigkeit nach § 74 Abs 1 Z 1 StGB auszulegen sei.75 Es ist erlaubt, an Bewusstlosen Blut abzunehmen, da es bei Blutabnahmen und vergleichbar geringfügigen Eingriffen nicht nötig ist, dass der Betroffene einwilligt. 76 Unzulässig wäre es allerdings nach den Vorschriften der StVO, da dies hier einer unzulässigen, zwangsweisen Blutabnahme gleichkäme. Die Verwertbarkeit der 71 Vgl Bundesgesetz über Maßnahmen zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen einschließlich ihrer Nachkommenschaft vor Schäden durch ionisierende Strahlen (Strahlenschutzgesetz – StrSchG), BGBl 1969/227. 72 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 38-38a. 73 Vgl Bertel/Venier in Kommentar StPO1 § 123 Rz 4. 74 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 38a. 75 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 42a. 76 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 39. 15. September 2020 Angela Walzl 20/33
Ergebnisse einer Analyse von Blut, welchem dem Bewusstlosen aus medizinischen Gründen abgenommen wurde, ist hingegen erlaubt.77 Da aufgrund von Verhältnismäßigkeitsgründen eine körperliche Untersuchung nicht durchzuführen ist, wenn das Ergebnis auch durch weniger gravierende Eingriffe, mit denen der Betroffene einverstanden ist, erzielt werden kann, ist auch bei verschluckten Drogenkapseln, bei denen keine akute Gefahr droht, die Ausscheidung auf natürlichem Wege zuzulassen und erst im Anschluss daran sicherzustellen. Bevor jedoch eine Blutabnahme zur Feststellung einer Beeinträchtigung durch Alkohol oder andere berauschende Mittel verhältnismäßig ist, muss zuerst eine grobklinische Untersuchung vorgenommen werden. Liefert diese grobklinische Untersuchung bereits ein definitives Resultat, darf eine Blutabnahme nicht mehr durchgeführt werden. Es scheitert hier an der Erforderlichkeit.78 Dies geht auch aus dem Urteil des VwGH 89/18/0139, ZVR 1991/3 hervor.79 Weiters ist zu beachten, dass ein Stirn- oder Nackenabrieb dem Mundhöhlenabstrich der Vorzug zu geben ist.80 § 123 StPO Abs 5 iVm § 121 StPO normiert, dass eine zwangsweise Durchsuchung einer Person, die durch eine Straftat verletzt wurde, unzulässig ist.81 Daraus folgt, dass ein Zeuge, welcher die körperliche Untersuchung verweigert, seinen Körper weder zur Beurteilung seines Geisteszustandes, noch seiner Zeugnisfähigkeit als Beweismittel zur Verfügung stellen muss.82 5.2.2 Blutabnahme nach der StVO Wie bereits zuvor ausgeführt, ist es gesetzwidrig, an einem Bewusstlosen eine Blutabnahme vorzunehmen.83 Blutabnahmen und klinische Untersuchungen dürfen den Vorschriften der StVO, § 5 Abs 4a, Abs 5, Abs 6 StVO, zufolge nicht mit unmittelbarer Zwangsgewalt durchgeführt werden.84 77 Vgl Pürstl, StVO-ON15 § 5 Anm 29; VfGH B1092/87 = Slgnr 11923; VwGH 2000/02/0232 = RS1. 78 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 40; Murschetz, JAP 2000/2001, 132. 79 Vgl VwGH 89/18/0139 = RS4. 80 Vgl Fabrizy StPO, Kurzkommentar13 § 123 Rz 10; Weiland, ÖJZ 2013/63, 592 (594). 81 Vgl St. Seiler, Strafprozessrecht18 Rz 478; Fabrizy, StPO, Kurzkommentar13 § 123 Rz 10. 82 Vgl OGH 10 Os 150/78 = RS0090934; OGH 15 Os 79/03 = RS0098015; OGH 15 Os 45/05i. 83 Vgl Verlag Österreich, JBl 1989, 374; VfGH B1092/87 = Slgnr 11923. 84 Vgl Schwaighofer, Die Presse – Recht 2005, 6. 15. September 2020 Angela Walzl 21/33
Es besteht lediglich gem § 5 Abs 6 StVO eine Verpflichtung des Betroffenen eine Blutabnahme vornehmen zu lassen, wenn die Person in Verdacht steht, ein Fahrzeug in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben.85 Der VfGH führte in seiner Entscheidung B1092/87 vom 06.12.1988 aus, dass aufgrund des Nemo-tenetur-Grundsatzes der Verfassungsgesetzgeber § 5 Abs 6 StVO als Verfassungsbestimmung beschließen und bezeichnen musste, um eine Ausnahme in Bezug auf Verkehrsdelikte zu schaffen. Diese Bestimmung ermächtigt allerdings nicht zur zwangsweisen behördlichen Blutabnahme.86 Verweigert man solch eine Blutabnahme respektive Untersuchung, begeht man eine Verwaltungsübertretung, welche mit Geldstrafe von 1.600,00 € bis 5.900,00 € geahndet wird. Im Falle der Uneinbringlichkeit droht ein Arrest von zwei bis sechs Wochen. Dies normiert § 99 Abs 1 lit b, sowie lit c StVO.87 Demzufolge kann sich der Fahrzeuglenker bei Akzeptieren der Strafe von der Blutabnahme freikaufen (nach der gesetzten Verwaltungsübertretung besteht keine Mitwirkungspflicht an einer neuerlichen Blutabnahme oder Untersuchung), wohingegen im Strafverfahren die Blutabnahme mit verhältnismäßigem Zwang durchgesetzt werden kann.88 5.2.3 Körperliche Untersuchung nach dem SPG Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind gem § 50 Abs 1 SPG grundsätzlich ermächtigt Befugnisse, die ihnen eingeräumt werden, mit unmittelbarer Zwangsgewalt durchzusetzen. Aus § 50 Abs 2 SPG ist zu entnehmen, dass die Zwangsgewalt anzudrohen und anzukündigen ist.89 § 40 Abs 4 SPG ermächtigt zur zwangsweisen Durchführung von Eingriffen in Körperöffnungen im Rahmen der Durchsuchung von Menschen.90 Die sicherheitspolizeiliche Durchsuchung fungiert lediglich zur Verhinderung einer Gefährdung der körperlichen Sicherheit eines Festgenommenen oder anderer 85 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 42, Rz 26. 86 Vgl VfGH B1092/87 = Slgnr 11923. 87 Vgl Bundesgesetz vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO. 1960), BGBl 1960/159; VfGH B281/74 Slgnr 7499; VfGH B131/74 Slgnr 7509; VfGH B14/77 Slgnr 8231; Bertel/Venier, Grundriss des österreichischen Strafprozessrechts 8 Rz 493. 88 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 42. 89 Vgl Bundesgesetz über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz – SPG), BGBl 1991/566. 90 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 43. 15. September 2020 Angela Walzl 22/33
Personen, sowie eine bestehenden Gefahr gegen Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum in Verbindung mit einer Festnahme abzuwehren und nicht zur Beweissicherung (siehe § 40 Abs 1 SPG). Ist die akute Gefahr beendet, ist eine derartige Durchsuchung im Zusammenhang mit der Suche nach Gegenständen im Körper eines Verdächtigen nicht mehr gestattet.91 Wenn eine Festnahme gem §§ 170 ff StPO im Strafverfahren durchgeführt wird, darf keine körperliche Untersuchung iSd § 123 StPO durchgeführt werden, da § 123 StPO die Festnahme nicht als Grund für eine körperliche Untersuchung nennt. Daher ist es zulässig, die Durchsuchung von Körperöffnungen in Zusammenhang mit einer strafprozessualen Festnahme auf § 40 Abs 4 SPG zu stützen, da es bei einer Festnahme um die Beseitigung einer bestehenden, akuten Gefahr geht.92 Mundhöhlenabstriche, welche in den erkennungsdienstlichen Behandlungen nach § 64 Abs 2 SPG normiert sind, können gem § 78 SPG durchgeführt werden, wenn diese tatsächlich möglich sind und dadurch auch kein Eingriff in die körperliche Integrität einhergeht. Folgt man den Bestimmungen der StPO sind Mundhöhlenabstriche als Eingriff in die körperliche Integrität zu werten.93 Allerdings werden Mundhöhlenabstriche in Kommentaren zum SPG - überwiegend zur Gewinnung von Material für eine DNA-Analyse - nicht als Eingriff in die körperliche Integrität erachtet. 94 Darüber sollte allerdings reflektiert werden und die zwangsweise Durchsetzung eines Mundhöhlenabstriches auch nach § 78 SPG als Eingriff in die körperliche Integrität gewertet werden. Darüber hinaus ergibt sich aus Verhältnismäßigkeitsüberlegungen, dass ein Nackenabrieb oder Auszupfen einzelner Haare dem Mundhöhlenabstrich vorzuziehen sind, da dadurch nicht in die körperliche Integrität eingegriffen wird und auch auf diese Weise das nötige Körpermaterial für eine DNA-Analyse gewonnen werden kann.95 Unter dem Gesichtspunkt, dass eine zwangsweise Durchsetzung des Mundhöhlenabstriches zulässig ist, muss der Betroffene entsprechend § 77 Abs 1 91 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 43. 92 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 14. 93 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 44. 94 Vgl Hauer/Keplinger, SPG Kommentar4 § 67 710, 712. 95 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 44. 15. September 2020 Angela Walzl 23/33
SPG von der Behörde zuerst dazu aufgefordert werden und ist ihm auch der maßgebliche Grund dieser Untersuchung mitzuteilen. Folgt man dieser Aufforderung nicht, ist einem nicht festgenommenen Tatverdächtigen und Gelegenheitspersonen die Verpflichtung gem § 77 Abs 2 Satz 1 SPG bescheidmäßig aufzuerlegen. Der Bescheid erwächst sofort in Rechtskraft, da gegen diesen kein Rechtsmittel zulässig ist. Wenn der Bescheid nicht mit Bescheidbeschwerde beim VwGH oder VfGH bekämpft und aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, kann dieser mit unmittelbarer Zwangsgewalt nach § 78 SPG vollstreckt werden. Handelt es sich dabei jedoch um einen festgenommenen Tatverdächtigen, ist es gem § 77 Abs 4 SPG möglich, diesen zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung vorzuführen und kann diese unmittelbar nach § 78 SPG auch zwangsweise durchgesetzt werden. Es bedarf hier keines Bescheids. Die zwangsweise Durchsetzung nach sicherheitspolizeilichen Vorschriften ist auch bei Festnahmen im Dienste der Strafjustiz gem § 170 ff StPO anwendbar, da dieser Ablauf für alle Festnahmen „aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde“ gilt. 96 5.2.4 Körperliche Untersuchung nach dem SMG § 43 Abs 2 SMG normiert, dass eine, aufgrund des Verdachtes im Körper Suchtmittel zu verbergen, festgenommene Person nach §§ 170 ff StPO von der Sicherheitsbehörde fordern kann, dass der Körper mit geeigneten bildgebenden Verfahren untersucht wird, um eine weitere Anhaltung zu vermeiden. Gem § 43 Abs 3 SMG ist die Untersuchung auf das geringstmögliche Maß zu beschränken und ist der Beschuldigte unverzüglich einem Arzt vorzuführen.97 Verweigert die Staatsanwaltschaft die Untersuchung, kann der Betroffene mit Einspruch wegen Rechtsverletzung an das Gericht gem § 106 StPO dagegen vorgehen.98 Weigert sich hingegen die Kriminalpolizei, ist lediglich ein Rechtsschutz gegen polizeiautonomes Verhalten, die Maßnahmenbeschwerde gem § 130 Abs 1 Z 2 B-VG, möglich.99 96 Vgl Hauer/Keplinger, SPG Kommentar4 § 67 758 (759). 97 Vgl Bundesgesetz über Suchtgifte, psychotrope Stoffe und Drogenausgangsstoffe (Suchtmittelgesetz – SMG), BGBl 1997/112. 98 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 15. 99 Vgl Leitl-Staudinger, Öffentliches Recht I9 Rz 24/1. 15. September 2020 Angela Walzl 24/33
6. Formelle Voraussetzungen der körperlichen Untersuchung gem § 123 Abs 3 StPO Ist der Betroffene mit der körperlichen Untersuchung nicht einverstanden, so ist für jede Untersuchung die Anordnung durch die Staatsanwaltschaft, sowie eine Bewilligung des Gerichts nötig.100 Auch wenn es sich um einen Fall von Gefahr im Verzug handelt, kann die Untersuchung nur umgesetzt werden, wenn dies die Staatsanwaltschaft anordnet. Die Bewilligung des Gerichts muss die Staatsanwaltschaft jedoch unverzüglich einholen. Sollte diese Bewilligung nicht erteilt werden, ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, ihre Anordnung sofort zu widerrufen und auch das Ergebnis vernichten lassen.101 Angefertigte Protokolle und Amtsvermerke in Hinblick auf die Untersuchung sind aufgrund fehlender Voraussetzungen iSd § 123 Abs 6 StPO unverwertbar.102 Aus § 123 Abs 3 StPO kann man entnehmen, dass die Kriminalpolizei nur einen Mundhöhlenabstrich von sich aus vornehmen kann. Es ist dafür keine Gefahr im Verzug notwendig.103 7. Durchführung der körperlichen Untersuchung gem § 123 Abs 5 StPO Sämtliche körperlichen Untersuchungen gem § 123 Abs 5 StPO sind von einem Arzt vorzunehmen. Der Mundhöhlenabstrich kann allerdings auch von Personen, welche für diese Zwecke besonders geschult sind, abgenommen werden.104 Dies ist darauf zurückzuführen, dass Mundhöhlenabstriche nicht als schwerwiegende Eingriffe in die Intimsphäre angesehen werden, schmerzlos und mit ihnen auch keine gesundheitlichen Risiken verbunden sind.105 § 123 Abs 5 Satz 1 iVm § 121 Abs 3 StPO normiert, dass der untersuchende Arzt nicht dem gleichen Geschlecht wie dem der zu untersuchenden Person angehören muss. Bedenkt man allerdings, dass es in manchen Kulturkreisen eine Demütigung darstellt, von einem Arzt des anderen Geschlechts im Intimbereich untersucht zu werden, ist es 100 Vgl Birklbauer, StPO, Einführung in das Grundstudium4 Rz 8/99. 101 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 16. 102 Vgl Birklbauer, StPO, Einführung in das Grundstudium 4 Rz 8/99. 103 Vgl Birklbauer, Körperliche Untersuchung und DNA-Analyse, ÖJZ 2008/39, 348. 104 Vgl Birklbauer, StPO, Einführung in das Grundstudium 4 Rz 8/109. 105 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 50. 15. September 2020 Angela Walzl 25/33
in Hinblick auf die Grundrechte und der Verhältnismäßigkeit durchaus angebracht, solange keine Gefahr im Verzug gegeben ist, die Untersuchung von einem Arzt des gleichen Geschlechts durchführen zu lassen.106 § 123 Abs 5 StPO, welcher auf § 121 StPO verweist, normiert, dass der Betroffene über Grund und Zweck der Untersuchung zu informieren und ihm die Möglichkeit einzuräumen ist, den gesuchten Gegenstand freiwillig herauszugeben.107 Aus § 123 Abs 5 iVm § 121 Abs 2 StPO lässt sich entnehmen, dass jeder Betroffene das Recht hat, zur körperlichen Untersuchung eine Vertrauensperson, für welche die Einschränkungen des § 160 Abs 2 StPO sinngemäß gelten, beizuziehen. Da es sich um eine körperliche Untersuchung handelt und nicht um eine Aussage, ist es für die Zulassung als Vertrauensperson irrelevant, ob die Person mitverdächtig ist, als Zeuge in Betracht kommen kann, oder anderweitig am Verfahren beteiligt ist. Die Anwesenheit der Vertrauensperson kann die körperliche Untersuchung des Betroffenen auch in ihrer Aussagekraft nicht beeinflussen und stellt dies deshalb auch keinen Ausschließungsgrund dar. Mit der Untersuchung muss allerdings nicht bis zum Eintreffen der Vertrauensperson gewartet werden, wenn Gefahr im Verzug gegeben ist.108 Entsprechend § 123 Abs 5 iVm § 122 Abs 3 StPO ist dem Betroffenen umgehend oder spätestens innerhalb von 24 Stunden über die erfolgte Untersuchung und deren Ergebnis, sowie allenfalls die Anordnung der Staatsanwaltschaft inkl der Entscheidung des Gerichts, eine Bestätigung auszufolgen oder zuzustellen.109 8. Verwendungsbeschränkung von Beweisen gem § 123 Abs 6 und 7 StPO § 123 Abs 6 StPO normiert Zulässigkeitsvoraussetzungen von Ergebnissen einer körperlichen Untersuchung als Beweismittel. Als Beweismittel dürfen diese nur verwendet werden, wenn 1. für eine körperliche Untersuchung die Voraussetzungen vorlagen, 106 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 51. 107 Vgl Fabrizy, StPO, Kurzkommentar13 § 123 Rz 10. 108 Vgl Birklbauer in WK StPO (2013) § 123 Rz 52-53. 109 Vgl Tauschmann in StPO Kommentar1 § 123 Rz 54. 15. September 2020 Angela Walzl 26/33
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