Rechtsfragen der Ausforschung vermisster Personen - Diplomarbeit - JKU ePUB

 
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Rechtsfragen der Ausforschung vermisster Personen - Diplomarbeit - JKU ePUB
Eingereicht von
                                        Reinhard Nosofsky

                                        Angefertigt am
                                        Institut für
                                        Strafrechtswissenschaften

                                        Beurteilerin
                                        Univ.-Prof.in Dr.in Lyane Sautner

                                        Februar 2021

Rechtsfragen der
Ausforschung vermisster
Personen

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magister der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium
Rechtswissenschaften

                                        JOHANNES KEPLER
                                        UNIVERSITÄT LINZ
                                        Altenberger Straße 69
                                        4040 Linz, Österreich
                                        www.jku.at
                                        DVR 0093696
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig und ohne
fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt
bzw die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht
habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument
identisch.

Reinsberg, 11. Februar 2021

Unterschrift

Februar 2021                        Reinhard Nosofsky                                 2
INHALTSVERZEICHNIS
Abkürzungsverzeichnis                                       5
1.      Einleitung                                          7
1.1.    Persönlicher Bezug zum Thema                        8
1.2.    Zielsetzung und Fragestellung                       8
2.      Definition der vermissten Person                    9
3.      Gründe für eine Abgängigkeit                       10
4.      Rechtliche Rahmenbedingungen                       11
5.      Polizeiarbeit                                      12
5.1.    Zuständigkeit                                      13
5.2.    Vermisstenanzeige                                  13
5.3.    Erhebungen                                         14
5.4.    Fahndung                                           14
5.5.    Fahndungsarten                                     15
        Gezielte Fahndung                                  15
        Großfahndung                                       15
5.6.    Ausschreibung                                      16
        Fahndungssysteme                                   16
        Arten von Ausschreibungen                          17
5.7.    Statistische Daten                                 18
5.8.    Aufruf an die Öffentlichkeit                       18
5.9.    Ante-Mortem-Daten                                  19
5.10.     Ende der Fahndung                                20
6.      Wann wird ein Vermisster für tot erklärt?          21
7.      Das Ermittlungsverfahren                           22
8.      Der Anfangsverdacht                                24
9.      Berichtspflicht der Kriminalpolizei                27
10. Verfahrensbeteiligte                                   30
10.1.     Der Angezeigte                                   30

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10.2.     Der Verdächtige                                30
10.3.     Der Beschuldigte                               31
10.4.     Der Zeuge                                      31
11. Die Angehörigen als Opfer                            32
12. Der Beweis                                           34
13. Indizien                                             35
14. Instruktionsprinzip                                  36
15. Die Doppelfunktionalität                             36
16. Von der Befürchtung zum Anfangsverdacht              37
17. Von der Vermisstenanzeige zum Ermittlungsverfahren   38
18. Mord ohne Leiche                                     40
19. Schlussbemerkungen                                   43
20. Literaturverzeichnis                                 45

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Abkürzungsverzeichnis

§              Paragraph
§§             Paragraphe /-n
ABGB           Allgemein bürgerliches Gesetzbuch
Abs            Absatz
Art            Artikel
BlgNR          Beilage(-n) zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates
BMI            Bundesministerium für Inneres
BMJ            Bundesministerium für Justiz
bspw           beispielsweise
bzw            beziehungsweise
DNA            engl. Desoxyribonucleinacid
DVI            engl. Disaster Victim Identification
ErläutRV       Erläuterungen zur Regierungsvorlage
etc            et cetera (und die übrigen [Dinge])
EvBl           Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen
ff             folgend
gem            gemäß
GFI            Gemeinsame Fahndungs- und Informationsvorschrift
GZ             Geschäftszahl
Hrsg           Herausgeber
ICPO           International Criminal Police Organization (Interpol)
iSd            im Sinne des
JAB            Bericht des Justizausschusses
JABl           Amtsblatt der österreichischen Justizverwaltung (Jahr/Nummer)
KAP            Kompetenzzentrum für abgängige Personen
LKA            Landeskriminalamt
LPD            Landespolizeidirektion
lit            lat. Littera
mE             meines Erachtens
NÖ             Niederösterreich
OGH            Oberster Gerichtshof
ÖJZ            Österreichische Juristenzeitung
österr.        Österreichisch
PFX            Personenfahndungsdatei
RL             Richtlinie
Rz             Randziffer
SIRENE         Supplent d'Informations Requis à l'Entrée Nationale (Supplement
               Information Request at the National Entry)
SIS II         Schengener Informationssystem II
sog            sogenannt
SPG            Sicherheitspolizeigesetz
StA            Staatsanwaltschaft
StAG           Staatsanwaltsgesetz
StGB           Strafgesetzbuch
StGG           Staatsgrundgesetz
StPO           Strafprozessordnung
TEG            Todeserklärungsgesetz

Februar 2021                    Reinhard Nosofsky                              5
ua             unter anderem
UbG            Unterbringungsgesetz
udgl           und dergleichen
vgl            vergleiche
WK             Wiener Kommentar
Z              Ziffer
zB             zum Beispiel
ZMR            Zentrales Melderegister
ZPEMRK         Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und
               Grundfreiheiten

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1.    Einleitung

In Österreich werden pro Jahr etwa 11.000 Vermisstenanzeigen bei der Polizei erstattet,
das sind im Durchschnitt 30 Menschen an einem Tag. In den vergangenen vier Jahren
wurden 85 Prozent der Vermisstenfälle nach einer Woche und 95 Prozent nach einem
Monat geklärt. Die weitaus meisten Vermissten tauchen innerhalb kurzer Zeit wieder auf,
und das unversehrt. Mit Juli 2020 waren dennoch 659 Personen, die länger als sechs
Monate vermisst und 25 Personen mit dem Vermerk „Verbrechen befürchtet“ zur
Fahndung ausgeschrieben. (Quelle Bundeskriminalamt, Kooperationszentrum für
Abgängige Personen).

Die Staatsanwaltschaft ist zuständig, wenn in einem Vermisstenfall der Verdacht
besteht, dass es sich um ein Verbrechen handelt. Solange die Person „nur“ als vermisst
gilt, ist das Sicherheitspolizeigesetz anzuwenden und es wird von der Polizei ohne das
Zutun der Staatsanwaltschaft gefahndet. Zwischen der Strafprozessordnung (StPO), die
mehr Möglichkeiten für die Ermittler bietet, und dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG)
steht der Anfangsverdacht als Schranke zum Eintritt in ein Ermittlungsverfahren. Nicht
immer ist der Verdacht einer Straftat sofort erkennbar. Viele Mordfälle beginnen mit einer
Vermisstenanzeige und auch Elisabeth Fritzl oder Natascha Kampusch waren
Abgängige, nach denen gefahndet wurde.

Dass ein Vermisstenfall bei Bekanntwerden vom Grad her niedriger eingestuft wird als
ein Tötungsdelikt mit Tatort und Leiche erklärt sich anhand der Anzeigenhäufigkeit und
der daraus resultierenden Polizeiroutine. Eine Vermisstenanzeige stellt per se auch
keinen Anfangsverdacht für ein Ermittlungsverfahren dar. Gerade die ersten
Wahrnehmungen, Aussagen und Informationen nach dem Verschwinden einer Person
sind von enormer Bedeutung in einem möglichen späteren Ermittlungsverfahren.

Das    Diplomarbeitsvorhaben    beschäftigt    sich      mit   den   Rechtsfragen,   die   bei
Vermisstenfahndung auftreten einerseits – Wer darf die Anzeige wo und wann erstatten,
was sind die Aufgaben der Polizei und wann betrifft es die Justizbehörden? – und
andererseits den Spezifikationen, wenn es zu einem Strafverfahren bei ungeklärten
Vermisstenfällen – möglicherweise zu einem „Mord ohne Leiche“ – kommt.

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1.1. Persönlicher Bezug zum Thema

Die vorliegende Diplomarbeit zum Thema „Rechtsfragen der Ausforschung vermisster
Personen“ entstand aus meiner beruflichen Tätigkeit als Kriminalbeamter. Ich habe als
Fahnder und Mordermittler die traurigen Höhepunkte vieler persönlichen und familiären
Katastrophen unserer Gesellschaft kennengelernt. Menschen verschwinden, tauchen
unter oder nehmen sich eine Auszeit, die Gründe reichen von Stress oder Mobbing in
der Schule, Ehekrisen, häuslicher Gewalt, Krankheit, Arbeitsplatzverlust und sozialem
Abstieg, Ängsten und vielem mehr - und manchmal geht es um Freiheitsentziehung oder
Mord. Das Faszinierende bei der Vermisstenfahndung ist das Agieren in einem nach
allen Richtungen völlig offenem Ermittlungsfeld, was jedoch gleichzeitig eine spezielle
Herausforderung für Polizei und Justizbehörden darstellt.

Wenn die vermisste Person spurlos verschwunden bleibt und sich der Verdacht auftut,
dass sich eine Straftat ereignet hat, wird unter Umständen der Vermisstenfall zum
Mordfall. Ein Strafverfahren womöglich ohne unmittelbare Beweise stellt eine besondere
Herausforderung für die Ermittlungsbehörden dar, anhand von Indizien und einem
plausiblen Motiv muss ein Tatverdächtiger überführt werden.

      1.2. Zielsetzung und Fragestellung

Das Diplomarbeitsprojekt beschäftigt sich mit der Vermisstenfahndung sowie dem
Ablauf von der Anzeigeerstattung bis in ein mögliches Strafverfahren. In einer Analyse
dieses Prozesses sollen auftretende Rechtsfragen geklärt werden.

Der Begriff „Verdacht“ soll mit besonderem Interesse betrachtet werden. Was sind
tatsächliche Anhaltspunkte, die für einen Anfangsverdacht erforderlich sind1 und wie
werden bloße Vermutungen oder ein „Bauchgefühl“ eingeordnet?

1   Vgl BMJ Erlass BMJ-S578.028/0021-IV 3/2014 eJABl 13/2014.

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In der Diplomarbeit sollen einerseits die Besonderheiten der Ausforschung vermisster
Personen aufgezeigt sowie mögliche Fehlerrisiken identifiziert und andererseits die
Spezifikationen in einem Strafverfahren „Mord ohne Leiche“ diskutiert werden. In
derartigen Strafverfahren rücken vor allem der mittelbare Beweis und die Motivsuche ins
Zentrum der Ermittlungen.

Darüber hinaus soll die Rolle der Angehörigen von vermissten Personen als Opfer wie
auch die Möglichkeiten, wenn es darum geht, die Angelegenheiten der vermissten
Person endgültig zu regeln, betrachtet werden.

2.      Definition der vermissten Person

Wenn wir von Vermissten sprechen und sich diesem Thema nähern, ist zunächst ein
etymologischer Blick auf das Wort „vermissen“ unumgänglich. Im allgemeinen
Sprachgebrauch wird das Wort vermissen häufiger im übertragenen, als im
unmittelbaren Wortsinn verwendet. Die eigentliche Bedeutung wird als „Mit Bedauern
bewusst sein, dass jemand, etwas nicht mehr in der Nähe ist, [...] und dies als
persönlichen Mangel empfinden“2 beschrieben. Im übertragenen Sinn wird das Wort
vermissen regelmäßig auch dann verwendet, wenn das kurzfristige oder auch
momentane         Fehlen     gemeint     ist.   Man    vermisst   möglicherweise      auch     einen
nahestehenden Menschen, der nach Amerika ausgewandert oder verstorben ist.

Im Kontext dieser Diplomarbeit bezieht sich vermissen immer auf die unmittelbare
Bedeutung, es geht um verschwundene Personen, von denen wir nicht wissen, ob sie
lebendig oder tot sind, weil wir weder ihren Aufenthaltsort noch ihr Schicksal kennen.

2   Duden, Wörterbuch, https://www.duden.de/node/197034/revision/197070 (abgerufen am 21.10.2020).

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3.    Gründe für eine Abgängigkeit

Die Gründe, warum Menschen als abgängig gemeldet werden müssen, sind vielfältig.
Probleme in der Schule oder mit dem Studium, Missbrauch, Liebeskummer, aber auch
Gewalt innerhalb der Familie, Mobbing und Drogen sind nur demonstrative Beispiele,
warum Menschen einfach verschwinden.3 Ein Unfall im alpinen Gelände oder in einem
Gewässer sowie ein Suizid an exponierten Orten kommen ebenso in Frage, wie ein
verübtes       Verbrechen.   Drei   Sachverhalte       aus    der   Praxis   sollen   beispielhaft
veranschaulichen, wie mannigfaltig die Gründe für eine Abgängigkeit sind.

Dem „Hamsterrad“ entfliehen, alles hinter sich lassen wollte der gut situierte Manager
und Vater zweier Kleinkinder als er an jenem Tag nach einem Meeting in Wien sein
Handy abschaltete, es aus dem Fenster seines SUV warf und direkt etwa 1.700 km bis
in ein kleines Fischerdorf nach Südfrankreich gefahren ist. Seine Gattin war davon
überzeugt, dass ihr Mann einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, als sie die
Vermisstenanzeige machte.

Alles deutete auf ein Gewaltverbrechen hin, als der junge Fabrikarbeiter seinen Kollegen
kurz vor Beginn der Schicht im Umkleideraum der Firma sagte, dass er noch kurz was
von seinem Auto am Parkplatz holen müsse, und nicht zurückkam. Die Annahme war
ein Unfall auf dem Firmengelände oder eine Straftat. Niemand ahnte, dass der Mann
seinen lang gehegten Wunsch, sein Leben als Frau zu führen, in diesem Moment
spontan in die Tat umsetzte.

Als der alleinstehende Mitvierziger nicht mehr die Sozialhilfe vom Magistrat abholte und
auch in seiner Wohnung in Wien nicht angetroffen werden konnte, wurde angenommen,
dass er „auf die Straße“ gegangen sei. Dies hatten die amtliche Abmeldung und
Neuvergabe der Wohnung zur Folge, eine Vermisstenanzeige unterblieb jedoch. Als
acht Jahre später bei Holzarbeiten im nördlichen NÖ eine unbekannte Leiche gefunden
wurde, sollten die Ermittlungen nach erfolgter Identifizierung ergeben, dass der „nicht
vermisste“ Mann tatsächlich von seinem psychisch kranken Nachbar erschossen wurde.

3    Vgl    BMI,    Bundeskriminalamt,     Kompetenzzentrum   für   Abgängige   Personen    (KAP)
https://bundeskriminalamt.at/ 404/files/KAP.

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Der Grund für die Abgängigkeit einer Person ist die erste Frage, mit der sich eine
Ermittlerin oder ein Ermittler intensiv auseinandersetzen muss. Ist ein Mensch
verschwunden, sind zumindest in der Annahme alle denkmöglichen Szenarien als
Hypothesen zu bilden und auf ihre Plausibilität und Wahrscheinlichkeit vor dem
Hintergrund der Faktenlage zu prüfen. Dieser Prozess ist unstrittig richtungsgebend für
die weiteren Maßnahmen.

4.    Rechtliche Rahmenbedingungen

Der gesetzliche Auftrag der Polizei zur Bearbeitung von Vermisstenfällen resultiert
primär auf dem sicherheitspolizeilichen Recht zur Gefahrenabwehr und zur Allgemeinen
Hilfeleistung - wenn ein Anfangsverdacht begründet ist - aus der Pflicht zur
Strafverfolgung.   Das   Sicherheitspolizeigesetz       (SPG)   dient   als   grundlegende
Ermächtigung bei bestimmten Verdachtsmomenten (§ 24 Abs 1 SPG) eine
Personenfahndung und damit notwendige Erhebungsmaßnahmen durchzuführen. Die
Sicherheitsverwaltung wird von den Sicherheitsbehörden besorgt (§ 2 Abs 1 SPG).

Dem Bundesministerium für Inneres (BMI) sind die Landespolizeidirektionen (LPD) in
jedem Bundesland unterstellt und in den Ländern Bezirksverwaltungsbehörden
nachgeordnet (§ 4 SPG).

Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft sind nach der Strafprozessordnung (StPO)
verpflichtet, eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung – Voraussetzung dafür ist
das Vorliegen eines Anfangsverdachtes gem § 1 Abs 3 StPO – aufzuklären. Die
Erfüllung der „Aufgabe Kriminalpolizei“ wird gem § 18 Abs 2 StPO exklusiv den
Sicherheitsbehörden übertragen.

Demnach werden die Sicherheitsbehörden je nach konkreter Aufgabenstellung,
entweder im Rahmen der Sicherheitsverwaltung oder als Kriminalpolizei tätig.
„Kriminalpolizei“ ist also als funktionaler Begriff zu verstehen und definiert keine

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Organisation.4 Die Zuständigkeit ergibt sich nach der, im SPG normierten
Behördenstruktur der Sicherheitsbehörden.

Staatsanwaltschaften oder Gerichte sind nicht direkte Auftraggeber bestimmter
Polizeidienststellen oder einzelner Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, die den
Sicherheitsbehörden zur Erledigung ihrer Aufgaben zur Verfügung stehen. Es werden
formell immer nur die Sicherheitsbehörden in Anspruch genommen. Bei der Besorgung
der   Aufgabe     „Kriminalpolizei“    werden     deshalb     die   Organe   des   öffentlichen
Sicherheitsdienstes funktionell als Organe der Sicherheitsbehörde und nicht als
unmittelbar der Justiz zurechenbare Organe tätig.5

Die Gemeinsame Fahndungs- und Informationsvorschrift der Bundesministerien für
Inneres, Justiz und Finanzen 2020 regelt ua die mit der Ausschreibung von Fahndungen
(§ 24 SPG) in Zentralen Informationssammlungen in Zusammenhang stehenden
Maßnahmen der Sicherheitsbehörden.6

5.    Polizeiarbeit

Für gewöhnlich wird die Abgängigkeitsanzeige bei einer Polizeidienststelle dann
erstattet, wenn eine Person von einem Angehörigen, vom Arbeitgeber oder einer
sonstigen Bezugsperson vermisst wird. Das kann bedeuten, dass eine Person ihren
gewohnten Lebenskreis verlassen hat, jedenfalls aber ihr derzeitiger Aufenthalt
unbekannt ist. Voraussetzung ist, dass die verschwundene Person zumindest von einer
anderen Person „vermisst“ wird.

Unter diesem Punkt sollen die Fragen der Zuständigkeit und die Möglichkeiten der
polizeilichen Maßnahmen bei der Personenfahndung geklärt, aber auch dem Mythos
eine Person erst nach 24 Stunden abgängig zu melden auf den Grund gegangen
werden.

4 Vgl Birklbauer, Strafprozessrecht8 (2016), Rz 2/1.
5 Vgl Lepuschitz/Schindler, SPG6 (2012) 7.
6 Vgl Erlass BMI, BMJ, BMF GFI 2020, GZ 2020-0.287.097 (2020) 13.

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5.1. Zuständigkeit

Ein Vermisstenfall wird grundsätzlich gem § 10 SPG von der örtlich zuständigen
Polizeiinspektion bearbeitet. Die Rechtsgrundlage zur Fahndung nach Abgängigen
findet sich im § 24 SPG. Fahndungsmaßen können, abhängig von den Umständen des
Falles auch von den Landeskriminalämtern durchgeführt werden. Wenn sich die
vermisste Person im Ausland aufhalten könnte, wird auch das Bundeskriminalamt als
Schnittstelle zu anderen Staaten tätig.7

    5.2. Vermisstenanzeige

Tatsächlich gibt es keine Definition oder gesetzliche Schranke, wann eine Person als
vermisst oder abgängig (österr. Amtssprache) gilt. Die Polizei empfiehlt eine
Anzeigeerstattung, sobald sich eine Person entgegen ihren Gewohnheiten nicht mehr
meldet oder deren Abwesenheit oder Verspätung unerklärlich oder ungewöhnlich sind
und man davon ausgehen kann, dass die Person verschwunden ist.8

Den Mythos, dass eine Anzeige erst nach 24 oder 48 Stunden aufgenommen wird, gibt
es demnach nicht. Es existieren keine gesetzlichen Fristen, die einzuhalten sind, bevor
eine Vermisstenanzeige erstattet werden kann.

Erwachsene haben jedoch, sofern sie im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, das
verfassungsrechtlich verbriefte Recht ihren Aufenthaltsort frei zu wählen, auch ohne dies
ihren Verwandten oder Freunden mitzuteilen (Art 6 Abs 1 StGG; Art 2 Abs 1 4.
ZPEMRK).

Die Polizei nimmt, basierend auf den Hinweisen und Angaben der anzeigenden Person,
sämtliche      Daten    zur    vermissten      Person      auf.    Dazu     gehören      neben      der
Personenbeschreibung, der Kleidung und mitgenommenen Gegenständen/Dokumenten
natürlich auch mutmaßliche Gründe für die Abgängigkeit sowie Anhaltspunkte für einen
Verdacht auf Suizid, Unfall oder Verbrechen.

7 Vgl BMI Bundeskriminalamt, Fahndung & Internationales, https://bundeskriminalamt.at/404/ (abgerufen am

21.10.2020).
8 Vgl oesterreich.gv.at, Abgängigkeitsanzeige, https://www.oesterreich.gv.at/themen/gesundheit_und_

notfaelle/vermisst/Seite.2970010.html (abgerufen am 21.10.2020).

Februar 2021                               Reinhard Nosofsky                                         13
5.3. Erhebungen

Wird eine Vermisstenanzeige erstattet, starten unverzüglich die polizeilichen
Erhebungen           und     die     Fahndung       nach      der       Person.       Im    Rahmen     der
sicherheitspolizeilichen           Gefahrenerforschung       (§     16    Abs     4    SPG)    sowie   der
Hilfeleistungspflicht (§ 19 SPG) wird eine Nachschau am Ort des letzten Aufenthaltes
(Wohnung/Wohnhaus, Keller, Dachboden, Stallungen, etc.) der vermissten Person
sowie Erhebungen im Umfeld (Nachbarn, Arbeitsplatz, Vereine, usw.) durchgeführt und
eine Funkfahndung eingeleitet.

Die Daten der vermissten Person werden mit dem Zentralen Melderegister (ZMR), der
Anhaltedatei- Vollzugsverwaltung der Justiz sowie den Evidenzen in Kranken- und
Pflegeanstalten,           Obdachlosenunterkünften          etc      abgeglichen,          Auskünfte   zur
Telekommunikation (Verkehrs-, Zugangs- und Standortdaten) eingeholt sowie
erkennungsdienstliches Vergleichsmaterial (Ante-Mortem-Daten) von der vermissten
Person gesichert.

Doch zunächst zur eigentlichen Suche nach der vermissten Person und zu den
Möglichkeiten der Fahndung.

      5.4. Fahndung

Unter Fahndung versteht man die planmäßige gezielte (oder unter Zuhilfenahme der
Öffentlichkeit durchgeführte) Suche nach Personen und Gegenständen. Diese erfolgt
zum Zweck der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung.9

Die Polizei leitet gem § 24 SPG eine Fahndung ein, wenn befürchtet wird, dass
Suizidgefahr besteht oder die abgängige Person Opfer einer Gewalttat oder eines
Unfalls geworden sein könnte, die abgängige Person auf Grund einer psychischen
Behinderung hilflos ist oder Leben oder Gesundheit anderer ernstlich und erheblich
gefährdet oder wenn es sich um eine Minderjährige oder einen Minderjährigen handelt
und ein Ersuchen eines berechtigten Elternteils (§ 162 Abs 1 ABGB) vorliegt.

9   Vgl Möllers (Hrsg.), Wörterbuch der Polizei, München (2001), 541.

Februar 2021                                  Reinhard Nosofsky                                         14
An der Stelle ist anzuführen, dass § 24 SPG eine reine Aufgabennorm darstellt, und der
Polizei nach dieser Bestimmung keine Eingriffsrechte hinsichtlich der Fahndungs-
maßnahmen selbst oder danach zusteht. Die Fahndung darf grundsätzlich nur mit Mitteln
durchgeführt werden, die nicht in die Rechte des Menschen eingreifen (§ 28 Abs 2 SPG).

Die sicherheitspolizeilichen Maßnahmen zur Durchführung der Fahndung nach einer
vermissten Person sind stets vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit (§ 29 SPG)
zu betrachten.

      5.5. Fahndungsarten

Im Folgenden werden die gezielte Fahndung sowie die Großfahndung als Methoden der
operativen „aktiven“ Fahndung nach vermissten Personen dargestellt.

                 Gezielte Fahndung

Dabei handelt es sich um örtlich begrenzte Fahndungsmaßnahmen aufgrund konkreter
Anhaltspunkte über den Aufenthalt einer gesuchten Person unter Annahme, dass dem
Zweck der Fahndung unmittelbar entsprochen werden kann.10 Ein konkreter Hinweis
zum Aufenthaltsort einer vermissten Person an einem bestimmbaren, abgrenzbaren Ort
würde demnach eine „gezielte Fahndung“ auslösen.

                  Großfahndung

Wenn die Gefahr besteht, dass ein Vermisster Selbstmord begehen könnte oder Opfer
einer Gewalttat oder eines Unfalles geworden ist (§ 24 Abs 1 Z 2 SPG) und die
Bedeutung des Falles den Aufwand rechtfertigt ist eine Großfahndung - die Suche in
einem bestimmten begrenzten Gebiet durch Konzentration von Einsatzkräften -
einzuleiten. Großfahndungen sind durch die, für das betroffene Gebiet örtlich zuständige
Sicherheitsbehörde anzuordnen.11

10   Vgl Erlass BMI/BMJ/BMF, GFI 2020, GZ 2020-0.287.097 (2020) 8.
11   Vgl Erlass BMI, Besondere Fahndungsmaßnahmen, GZ 2020-03.22.623 (2020) 2.

Februar 2021                              Reinhard Nosofsky                           15
Bei derartigen Fahndungen sind orientiert an der Zweckmäßigkeit der Einsatz von
Suchmannschaften, Diensthunde, Hubschrauber und Wärmebildkameras denkbar.

     5.6. Ausschreibung

Wir wollen uns nun der „passiven“ Fahndungsmethode, nämlich der Ausschreibung der
Person zuwenden. Sobald eine Anzeige erstattet wird und die geforderten Kriterien (§ 24
SPG) vorliegen, erfolgt eine Speicherung der Personendaten in den nationalen und
internationalen elektronischen Fahndungssystemen. Damit wird „per Knopfdruck“ eine
nationale, wie europaweite Fahndung und bei Hinweisen, dass sich die vermisste Person
im außereuropäischen Raum aufhält, zusätzlich eine weltweite Fahndung eingeleitet.

                Fahndungssysteme

Die Daten von abgängigen Personen werden in der österreichischen zentralen
Informationssammlung          (PFX)12      sowie      im       gemeinsamen        elektronischen
                                                         13
Fahndungssystem der Schengen-Staaten (SIS II)                 gespeichert. Das SIS II wird in 26
europäischen Ländern verwendet, nämlich in 22 EU Mitgliedstaaten (Bulgarien, Irland,
Kroatien, Rumänien und Zypern sind derzeit nicht mit dem SIS II verbunden) sowie
Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz. Die Fahndungsdaten aus den
Mitgliedstaaten werden in die Zentraleinheit in Straßburg eingespeist. In jedem
Mitgliedstaat existiert ein SIRENE-Büro als Ansprechstelle für nationale Behörden und
Kontaktstelle zu den anderen Staaten.14 Das SIRENE-Büro Österreich ist im
Bundesministerium für Inneres, Bundeskriminalamt eingerichtet.

Zu den Interpol-Fahndungen zählen alle Fahndungsmaßnahmen, die über den Bereich
von Schengen hinausgehen. Hier werden die Daten der vermissten Person den Interpol
Mitgliedstaaten übermittelt. Die ICPO wurde 1923 in Wien gegründet und ist heute eine
weltweite kriminalpolizeiliche Organisation mit derzeit 194 Mitgliedstaaten15 mit dem

12 Vgl § 57 SPG.
13 Vgl VO (EG) Nr. 1987/2006 Art 1.
14 Vgl M. Zwerenz, Das Schengener Informationssystem, JAP 2005/2006/33, (204).
15 Vgl BMI Bundeskriminalamt, Fahndung & Internationales,        https://www. bundeskriminalamt.at/
402/start.aspx.

Februar 2021                             Reinhard Nosofsky                                      16
Zweck des koordinierten und strukturierten Austausches personenbezogener Daten in
Fahndungs- und /oder Ermittlungsfällen.

Bei vermissten Personen in Österreich werden grundsätzlich erst bei konkretem
Auslandsbezug durch das Bundeskriminalamt als nationales Zentralbüro (NZB) ein
Auslandsschriftverkehr auf dem Interpol Kanal eingeleitet.16

Die Prüfung auf Rechtmäßigkeit der durchzuführenden Speicherung und die Richtigkeit
der zu speichernden Daten haben die Behörden und Dienststellen vor der Veranlassung
der Ausschreibung vorzunehmen und nach erfolgter Speicherung deren Richtigkeit
durch eine Abfrage zu überprüfen.17

                Arten von Ausschreibungen

Bei der Ausschreibung von vermissten Personen ist zwischen Fahndungsgründen mit
und ohne Freiheitsentziehung zu unterscheiden. Entwichene Personen, die nach dem
UbG untergebracht sind sowie abgängige Minderjährige, wenn ein Selbstmord, eine
Gewalttat oder ein Unfall befürchtet wird oder ein Ersuchen eines berechtigten
Elternteiles (§ 162 Abs 1 ABGB) vorliegt, werden gem § 57 iVm § 24 SPG zur Festnahme
ausgeschrieben.

Abgängige psychisch beeinträchtigte Personen und Volljährige werden in den
Fahndungssystemen zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben. Ebenso verhält es sich
bei Minderjährigen, sofern kein Fahndungsgrund gem § 24 Abs 1 Z 2 SPG vorliegt oder
kein Ersuchen eines berechtigten Elternteiles (§ 162 Abs 1 ABGB).18

Die Ausschreibung der vermissten Person in den Fahndungssystemen ist unverzüglich
zu veranlassen, wenn „gezielte Fahndungen“ oder sonstige Fahndungsmaßnahmen zu
keinem Erfolg geführt haben.19

16 Vgl Erlass BMI/BMJ/BMF, GFI 2020, GZ 2020-0.287.097 (2020) 57.
17
   Vgl Erlass BMI/BMJ/BMF, GFI 2020, GZ 2020-0.287.097 (2020) 13.
18 Vgl Erlass BMI/BMJ/BMF, GFI 2020, GZ 2020-0.287.097 (2020) 56.
19 Vgl Erlass BMI/BMJ/BMF, GFI 2020, GZ 2020-0.287.097 (2020) 38.

Februar 2021                             Reinhard Nosofsky                        17
5.7. Statistische Daten

Eine Auswertung20 der gespeicherten Daten in der österreichischen zentralen
Informationssammlung (PFX) zeigte mit Stand Juli 2020 folgendes Bild:

                   VERMISSTE PERSONEN                                                   ANZAHL
                                        insgesamt                                             807
                        länger als sechs Monate                                               659
                               Suizid befürchtet                                              79
                                  Unfall befürchtet                                           138
                          Verbrechen befürchtet                                               25
                                    Minderjährige                                             292
                  Sonstige Fahndungsgründe                                                    273

    5.8. Aufruf an die Öffentlichkeit

Die Sicherheitsbehörden können selbst (z.B.: Internet) oder unter Zuhilfenahme von
Medienunternehmen (zB: Rundfunk, Fernsehen, Print- und elektronische Medien,
Infoscreen,      etc)     durch     Veröffentlichung     die     Bevölkerung     um   Bekanntgabe
zweckdienlicher Hinweise ersuchen.21 Die Bekanntgabe personenbezogener Daten ist
zulässig, wenn bei abgängigen Minderjährigen ein entsprechendes Ersuchen gem § 162
Abs    1       ABGB     des   Erziehungsberechtigten            sowie   dessen   Zustimmung    zur
Veröffentlichung vorliegt.

Im Falle eines erwachsenen Abgängigen kann ein Aufruf an die Öffentlichkeit nur dann
durchgeführt werden, wenn ein betrauter Sachwalter oder Abwesenheitskurator der
Übermittlung zugestimmt hat.22

20 BMI Bundeskriminalamt, Auswertung der Vermisstendatenbank im Kompetenzzentrum für abgängige

Personen.
21 Vgl Erlass BMI, GZ 2020-03.22.623 (2020) 5.
22 Vgl Erlass BMI, GZ 2020-03.22.623 (2020) 6.

Februar 2021                                Reinhard Nosofsky                                   18
Exkurs zum Abwesenheitskurator
Nur mit einer Vollmacht ausgestattete Personen oder eine vom Gericht bestellte
gesetzliche Vertreterin/ ein vom Gericht bestellter gesetzlicher Vertreter, sogenannte
Abwesenheitskuratoren (§ 276 ABGB) können Rechtshandlungen (z.B. Zahlung von
Schulden, Abgabe von Steuererklärungen, Zugriff auf Konten und Sparbücher) für die
vermisste Person setzen. Der Abwesenheitskurator muss die unauffindbare Person
vertreten und wird dabei vom Gericht kontrolliert.23

     5.9. Ante-Mortem-Daten

Sicherheitsbehörden sind gem § 65a SPG ermächtigt, erkennungsdienstliche Daten
eines Menschen zu ermitteln, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist,
dass dieser Selbstmord begangen hat, Opfer einer Gewalttat oder eines Unfalls
geworden ist. Liegt eine Straftat, also eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung
vor und ist eine bestimmte Person verdächtig, gelten ausschließlich die Bestimmungen
der StPO als Regelwerk für das Strafverfahren (§ 1 Abs 1 StPO). Davon unberührt
bleiben ua jedoch die Bestimmungen über den Erkennungsdienst sowie die
Verarbeitung dieser Daten (§ 22 Abs 3 SPG).24

Bei erkennungsdienstlichen Daten handelt es sich um biometrische oder genetische
Daten, wie Papillarlinienabdrücke, DNA, Abbildungen, Messungen sowie Stimmproben,
äußerliche körperliche Merkmale und Schriftproben eines Menschen mit dem Zweck der
Wiedererkennung (§ 64 Abs 2 SPG).

In der Praxis wird bspw bei der Vermisstenanzeige ein Lichtbild der abgängigen Person
übergeben. Ebenso kann DNA-Material auf Zahnbürsten und Rasierer gesichert werden.
Auf dem Büchereinband oder dem Musikinstrument der vermissten Person können
Fingerabdruckspuren abgenommen und die zahnmedizinischen Daten in Form von
Röntgenbildern oder Gebissabdrücken ermittelt werden.25 Ist dabei die Mitwirkung von

23 Vgl OGH 06.07.2016, 7 Ob 51/16z.
24
   Vgl Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg.), StPO Praktikerkommentar zu § 1 Rz 7 (2015).
25 Vgl ErläutRV 1138 BlgNr XXI GP 33; vgl BMI Bundeskriminalamt, Kriminalistischer Leitfaden,

http://www.bk.bmi.intra.gv.at/Krim-Navigator/Tatortleitfaden/SitePages/Homepage.aspx.

Februar 2021                           Reinhard Nosofsky                                   19
Angehörigen (sog Dritte) erforderlich, ist auf den amtlichen Charakter der Ermittlungen
und auf die Freiwilligkeit der Mitwirkung hinzuweisen.26 Die rechtliche Grundlage hierfür
findet sich in § 65a letzter Satz SPG.

Diese Ante-Mortem-Daten werden durch das Bundeskriminalamt national und
international mit Post-Mortem-Daten von unbekannten Leichen abgeglichen.27

Das DNA-Profil, die Fingerabdrücke und die Zahnschemata einer Person gelten in
einem,       nach    Interpolstandards   geführten     Identifizierungsprozess    als   primäre
Identifizierungskriterien („Primary Identifiers“).28

Das Löschen von erkennungsdienstlichen Daten erfolgt nicht nur auf Antrag der
Betroffenen (§ 74 Abs 3 SPG) sondern auch nach den Bestimmungen des § 73 SPG
von Amts wegen. Erkennungsdienstliche Daten von Vermissten, die gem § 65a SPG
ermittelt wurden sind demnach von Amts wegen, nach Auffindung des Betroffenen oder
im Falle der Feststellung des Todes nach fünf Jahren zu löschen (§73 Abs 4 SPG).
Dieser Umstand kann nicht nur zu kollidierenden Interessen bei den Angehörigen von
vermissten Personen führen, sondern ebenso die Identifizierung einer später
aufgefundenen unbekannten Leiche verhindern.

     5.10.          Ende der Fahndung

Wird eine gefahndete Person aufgegriffen, ist der Fahndungserfolg eingetreten und
demnach die Ausschreibung unverzüglich zu widerrufen.29 Handelt es sich um eine
volljährige, geistig gesunde Person, wird lediglich deren Aufenthaltsort festgestellt.
Minderjährige        und   zwingend      unter   14-jährige     (Unmündige)      werden    zum
Erziehungsberechtigten gebracht und übergeben.

26 Vgl VwGH 07.10.2003, 2003/01/0191.
27 Vgl Erlass BMI/BMJ/BMF, GFI 2020, GZ 2020-0.287.097 (2020) 58.
28 Vgl Interpol, DVI Guide (2018) 17.
29 Vgl Erlass BMI/BMJ/BMF, GFI 2020, GZ 2020-0.287.097 (2020) 59.

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Bei gerichtlicher Todeserklärung einer vermissten Person, werden die Fahndung und
deren Ausschreibung in den Fahndungssystemen PFX und SIS II nicht widerrufen.30

6.    Wann wird ein Vermisster für tot erklärt?

Eine besonders schwere Frage, mit der sich Angehörige einer verschwundenen Person
früher oder später konfrontiert sehen, weil nicht zuletzt deren Angelegenheiten eines
Tages endgültig erledigt werden müssen. Nach dem Todeserklärungsgesetz (TEG)
können unter gewissen Voraussetzungen die Todeserklärung (§§ 3 bis 7 TEG) bzw die
Beweisführung des Todes (§ 21 TEG) angestrebt werden.

Beide Verfahren erfolgen immer nur aufgrund eines Antrages, niemals wird von Amts
wegen wird ein Verfahren über eine Todeserklärung eröffnet.31 Die Verschollenheit einer
Person stellt die Grundvoraussetzung der Todeserklärung dar.32

Eine Person gilt als verschollen, wenn ihr Aufenthaltsort allgemein nicht feststellbar ist,
es über längere Zeit keinerlei „Lebenszeichen“ von der verschollenen Person gibt und
für den Tod dieser Person eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ spricht.33 Die Prüfung der
Voraussetzungen für eine Verschollenheit unterliegen einem strengen Maßstab.34

Ab wann eine Person für tot erklärt werden kann, hängt von der Art des Verschwindens
ab. Handelt es sich um ein bestimmbares, bekanntes Ereignis, sinkt die
Verschollenheitsfrist, die abgelaufen sein muss, ehe eine Person für tot erklärt werden
kann. Passagiere eines verunglückten Flugzeuges können bereits nach drei Monaten
für tot erklärt werden. Bei Seefahrenden liegt die Frist bei sechs Monaten und in allen
anderen Unglücksfällen muss zunächst ein Jahr gewartet werden. Personen unter
fünfundzwanzig Jahren dürfen nicht für tot erklärt werden, wenn ihr Verschwinden nicht
erkennbar mit einem Unfall in Zusammenhang steht. Personen über fünfundzwanzig

30 Vgl Erlass BMI/BMJ/BMF, GFI 2020, GZ 2020-0.287.097 (2020) 58.
31 Vgl G. Aichinger, Die Todeserklärung österreichischer Flutopfer, ÖJZ 2006/01 1.
32 Vgl Ferrari/Guggenberger, Todeserklärung (Stand 01.3.2020, Lexis Briefings in lexis360.at).
33 Vgl § 1 TEG, OGH 28.11.1991, 8 Ob 599/90, RZ 1993/63.
34 Vgl OGH 06.10.1961, 3 Ob 209/61, EvBl 1961/313.

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Jahren nach zehn Jahren und Personen über achtzig, nach fünf Jahren. Gem § 13 TEG
ist jenes Bezirksgericht zur Todeserklärung zuständig, in dessen Sprengel die
verschollene Person ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte, subsidiär das
Bezirksgericht Innere Stadt Wien. Der Beschluss begründet die Vermutung des Todes
und bewirkt den Eintritt der Rechtsfolgen des Todes.35

7.    Das Ermittlungsverfahren

Das Strafverfahren gem § 1 Abs 2 StPO beginnt, sobald Kriminalpolizei oder
Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts nach den Bestimmungen der
§§ 91 ff. StPO ermitteln. Viele Verfahren beginnen auch damit, dass eine Anzeige gegen
einen (un)bekannten Täter erstattet wird, aufgrund welcher von der Staatsanwaltschaft
oder der Kriminalpolizei Ermittlungen durchgeführt werden.

Das Ermittlungsverfahren ist durch die Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft und
Kriminalpolizei gekennzeichnet.36 Auch wenn das Verfahren „so weit wie möglich“ im
Einvernehmen mit der Kriminalpolizei („Kooperationsprinzip“) zu führen ist, liegen die
Verantwortlichkeiten klar auf Seiten der Staatsanwaltschaft,37 die auch in ihrer
Leitungsbefugnis verbindliche Anordnungen an die Kriminalpolizei erteilen kann.38

Das Ziel des Ermittlungsverfahrens ist, Tatverdacht und Sachverhalt soweit zu klären,
dass die Staatsanwaltschaft über eine Anklage, Rücktritt von der Verfolgung oder die
Einstellung        des       Verfahrens         entscheiden          kann       (Ermittlungs-         und
                             39
Entscheidungsfunktion).           Im    Fall    der    Anklage      bilden    die    Ergebnisse       des

35 Vgl G. Aichinger, Die Todeserklärung österreichischer Flutopfer, ÖJZ 2006/01 1.
36
   Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 98 Rz 2 (Stand 11.5.2020, rdb.at); vgl Bertel in Bertel/Venier (Hrsg),
StPO: Kommentar (2012) zu § 98 Rz 1.
37
   Vgl Birklbauer, Strafprozessrecht8 (2016) Rz 9/1.
38 Vgl § 98 Abs 1 StPO; Nimmervoll in Nimmervoll (Hrsg), Das Strafverfahren2 (2017) Rz 39; vgl Bertel in

Bertel/Venier (Hrsg), StPO: Kommentar (2012) zu § 98 Rz 1.
39 Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK-StPO (Stand: 1.11.2019, rdb.at) § 91 Rz 2; vgl ErläutRV 25 BlgNR 22. GP

118f; vgl Koller in Schmölzer/Mühlbacher, StPO I1.02 (Stand April 2015, lexisnexis.at) § 91 StPO Rz 2; vgl
Koenig/Pilnacek, ÖJZ 2008/3 12; vgl Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren (2004) Rz 364ff.

Februar 2021                                Reinhard Nosofsky                                           22
Ermittlungsverfahrens die Grundlage für die Durchführung der Hauptverhandlung.
(Sicherungsfunktion).40

Eine Ermittlung iSd § 91 Abs 2 StPO ist: „jede Tätigkeit der Kriminalpolizei, der
Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, die der Gewinnung, Sicherstellung, Auswertung
oder Verarbeitung einer Information zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat steht.“41
Ermittlungen iSd § 91 Abs 2 StPO sind entweder als Erkundigung (§ 151 Z 1 StPO) oder
als Beweisaufnahme (§§ 109 ff StPO) zu führen.42

Die Erkundigung als Vorbereitung auf die eigentliche Beweisaufnahme durch
Vernehmung steht am Beginn des Verfahrens und ist die Befragung von Personen
(formlos), regelmäßig zu einem Zeitpunkt, in dem die Rolle dieser Person noch nicht
feststeht.43 Davon strikt zu trennen ist die Beweisaufnahme mit dem Zweck der
Beweissicherung.44

Die „Bestimmungen über die Vernehmung des Beschuldigten und von Zeugen“ dürfen
durch Erkundigungen, bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden.45

Gerade bei der Auswahl von Art und Taktik bei Erkundigungen und Beweisaufnahmen
sollte die Erfahrung und Ermittlungskompetenz der Kriminalpolizei jedenfalls in die
juristische Entscheidung mit einfließen.46

Obwohl das amtliche Wahrnehmen eines Sachverhalts oder das bloße zur
Kenntnisnehmen des Verdachts einer Straftat aufgrund einer Anzeige zu einem
Tätigwerden verpflichten, wird das Ermittlungsverfahren allein dadurch jedenfalls noch

40 Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO (Stand 1.11.2019, rdb.at) § 91 Rz 4; vgl ErläutRV 25 BlgNR 22. GP

119; vgl Koller in Schmölzer/Mühlbacher, StPO I1.02 § 91 StPO Rz 3 (Stand April 2015, lexisnexis.at); vgl
Koenig/Pilnacek, ÖJZ 2008/3 12; vgl Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren (2004) Rz 364.
41 Vgl ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 119; vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 91 Rz 5 (Stand 1.11.2019, rdb.at).
42
   Vgl Pilnacek/Stricker in Fuchs/Ratz, WK StPO § 104 Rz 5 (Stand 13.11.2017, rdb.at).
43 Vgl Birklbauer, Strafprozessrecht8 Rz 7/5; vgl Bertel in Bertel/Venier (Hrsg), StPO: Kommentar (2012) zu

§ 152 Rz 1.
44 Vgl Kirchbacher in Fuchs/Ratz, WK StPO § 151 Rz 4 ff (Stand 1.10.2013, rdb.at).
45 Vgl Kirchbacher in Fuchs/Ratz, WK StPO § 152 Rz 1 (Stand 1.10.2013, rdb.at).
46 Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 91 Rz 7 (Stand 1.11.2019, rdb.at).

Februar 2021                                 Reinhard Nosofsky                                          23
nicht in Gang gesetzt.47 So auch bei einer Vermisstenanzeige alleine, wenngleich auch
die Gefahr besteht, dass ein Vermisster Selbstmord begehen könnte oder Opfer einer
Gewalttat oder eines Unfalles geworden ist (§ 24 Abs 1 Z 2 SPG). Um Ermittlungen
durchführen zu können, muss zumindest ein Anfangsverdacht vorliegen.48 Liegt
hingegen ein solcher Anfangsverdacht nicht vor, ist von der StA auch kein
Ermittlungsverfahren zu führen.49

8.    Der Anfangsverdacht

Ein Anfangsverdacht liegt gem § 1 Abs 3 StPO dann vor, wenn aufgrund bestimmter
Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen worden ist.
Spekulationen, vage Hinweise oder ein „Bauchgefühl“ reichen nicht für einen
Anfangsverdacht.        Vielmehr       muss      das    Gesamtbild        in   Zusammenschau            mit
kriminalistischer Erfahrung das Vorliegen einer Straftat möglich erscheinen lassen.50 Die
Grundlage ist also ein Sachverhalt, der in Richtung eines Geschehens deutet, das unter
einem Tatbestand des materiellen Strafrechts subsumierbar ist.51

Zunächst wird der Sachverhalt nur auf der Sachebene betrachtet, also ob überhaupt eine
Straftat begangen wurde. Es könnte sich später noch immer herausstellen, dass nicht
ein Mensch, sondern eine Naturgewalt bspw Ursache für eine Beschädigung an einem
Gebäude ist.52 Ein Ermittlungsverfahren wird auch erst gegen unbekannte Täter oder
Verdächtige geführt, wenn noch kein konkreter Tatverdacht gegen eine bestimmte
Person vorliegt.53

47 Vgl Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher, StPO I 1.02 (Stand April 2015, lexisnexis.at) § 1 Rz 2a; vgl Vogl in

Fuchs/Ratz, WK StPO § 19 Rz 9 (Stand 1.11.2019, rdb.at).
48 Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 91 Rz 9 (Stand 1.11.2019, rdb.at).

49 Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 91 Rz 5 (Stand 1.11.2019, rdb.at).
50
   Vgl BMJ Erlass BMJ-S578.028/0021-IV 3/2014 5 1.2.1; vgl Markel in Fuchs/Ratz, WK StPO § 1 Rz 26
(Stand 1.9.2015, rdb.at); vgl Voppichler, Verdächtige und Beschuldigte im Strafverfahren (Stand 11.9.2019,
Lexis Briefings in lexis360.at).
51 OGH 1Präs.2690-2113/12i RIS-Justiz RS0127791 = EvBl 2012/100 (Ratz) = JBl 2012, 671 (Venier), ua.
52 Vgl Johannes Oberlaber, Der Verdacht, ÖJZ 2018/8 63.
53 Vgl BMJ Erlass BMJ-S578.028/0021-IV 3/2014 eJABl 13/2014 13 2.1.

Februar 2021                                 Reinhard Nosofsky                                           24
Nähert man sich der Frage, diesen Verdacht einer Straftat einer bestimmten Person
zuzuordnen, begibt man sich auf die Personenebene.54 Insofern gewinnt auch die Frage
nach der Schuld Bedeutung und man gelangt vom „Verdacht einer Straftat“ zum
„Verdacht einer strafbaren Handlung“.55

Es können durchaus mehrere Personen einer Straftat verdächtigt werden, auch wenn
objektiv nur eine der Personen die strafbare Handlung verübt hat.56 Wenn eine Person
in den Fokus der Ermittlungen rückt, ist auch der „Grad des Tatverdachts“57 zu
bestimmen.

Werden von der Kriminalpolizei „Vorfeldermittlungen minderer Intensität“ (§ 91 Abs 2 S
2 StPO) also lediglich Erkundungen zur Klärung, ob ein Anfangsverdacht vorliegt,
durchgeführt oder nur Informationsquellen genutzt, sind das keine Ermittlungen und
begründen daher auch nicht den Beginn des Strafverfahrens.58 Eine Erkundigung, also
(nur) das Verlangen einer (freiwilligen) Auskunft und die Entgegennahme einer
Mitteilung ist in § 151 Z 1 StPO definiert.59 Daraus ergibt sich eine klare Grenze zu
Ermittlungstätigkeiten (§ 91 Abs 2 StPO). Die Bestimmungen über die Vernehmung des
Beschuldigten und von Zeugen (§§ 153 ff StPO) dürfen durch Erkundigungen, bei
sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden.60 Jene Informationen, die durch
Erkundigungen erlangt wurden, sind gem § 152 Abs 3 StPO in einem Amtsvermerk
festzuhalten.61

Bei den Informationsquellen unterscheidet das Gesetz zwischen allgemein zugänglichen
Informationsquellen wie Internet, Telefon sowie öffentliche Register (zB Grund- und
Firmenbuch,        Gewerbe-         und      Personenstandsregister)           und      sogenannten

54 Vgl Johannes Oberlaber, Der Verdacht, ÖJZ 2018/8 63.
55 Vgl Nimmervoll, Die polizeiautonome Festnahme (2012) 19 mwN.
56 Dies schadet der Annahme eines Verdachts nicht: Vgl Bertel in Bertel/Venier (Hrsg), StPO-Kommentar

§ 48 Rz 1.
57 BMJ Erlass BMJ-S578.028/0021-IV 3/2014 eJABl 13/2014 6 1.2.1.
58 Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 91 Rz 10 (Stand 1.11.2019, rdb.at); vgl Nimmervoll in Nimmervoll

(Hrsg), Das Strafverfahren2 (2017) Ermittlung – keine Ermittlung 65 Rz 208; vgl Markel in Fuchs/Ratz, WK
StPO § 1 Rz 26 (Stand 1.9.2015, rdb.at); vgl ErläutRV 181 BlgNR 25. GP 2f.
59 OGH 15 Os 20/19h.
60 Vgl BMJ Erlass BMJ-S578.028/0021-IV 3/2014 eJABl 13/2014 6, vgl Koller in Schmölzer/Mühlbacher

(Hrsg.), StPO Praktikerkommentar (2013) zu § 152 StPO.
61 Vgl Kirchbacher in Fuchs/Ratz, WK StPO § 152 Rz 4 (Stand 1.10.2013, rdb.at), vgl Koller in

Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg.), StPO Praktikerkommentar (2013) zu § 152 StPO.

Februar 2021                               Reinhard Nosofsky                                         25
behördeninternen Informationsquellen (§ 91 Abs 2 StPO).62 Die Frage, welche Quellen
als   „behördenintern“       anzusehen        sind,    wird      unterschiedlich    beantwortet.      Die
Gesetzesmaterialien, der Einführungserlass des BMJ, ein Senat des OGH und Teile der
Literatur stellen auf den „Verantwortlichen“ iSd Art 4 Z 7 DSGV oder des § 36 Abs 2 Z 8
DSG, also jeweils die einzelne StA bzw das einzelne Gericht ab. Demnach würde
ausschließlich die Einsichtnahme bspw in den VJ-Bereich oder dem Polizei-
Aktenprotokollierungs- und Dokumentationssystem (PAD) der eigenen Behörde
(Dienststelle) „keine Ermittlungen“ iSd § 91 Abs 2 letzter Satz StPO darstellen.63 Nach
Ansicht eines anderen Senats des OGH sind alle Aufzeichnungen oder Speicherungen
von Informationen, die bereits Gegenstand der Datenverarbeitung irgendeiner Behörde
waren Informationsquellen. Der Senat begründete, dass es auf die, für den Angezeigten
möglichst rasche und schonende Abklärung ankomme, um dadurch allenfalls einen
Anfangsverdacht ausschließen zu können.64

Art, Umfang und Ergebnis der Nutzung von Informationsquellen sind iSd § 152 Abs 3
StPO in einem Amtsvermerk (§ 95 StPO) festzuhalten.65

Die Kriminalpolizei hat einen Bericht iSd 100 Abs 3a StPO an die StA wegen deren
Leitungsbefugnis (§ 98 Abs 1 StPO) zu erstatten, wenn sie Vorfeldermittlungen minderer
Intensität zur Klärung, ob überhaupt ein Anfangsverdacht vorliegt, durchführt hat. Also
nicht nur, wenn die Kriminalpolizei Zweifel am Vorliegen eines Anfangsverdachts hat,
sondern auch wenn aus ihrer Sicht gar kein Anfangsverdacht vorliegt, sie aber dennoch
den Sachverhalt aufgenommen hat.66 Diese Berichtspflicht ist vor allem bei
Vermisstenfälle ein wirkvolles Kontrollinstrument67.

62 Vgl BMJ Erlass BMJ-S578.028/0021-IV 3/2014 eJABl 13/2014 6; vgl Vogl in WK-StPO § 91 Rz 12.
63  Vgl EBRV StPRÄG 2014, 3; OGH 15 Os 20/19h; vgl Erlass des BMJ vom 12. 12. 2014, BMJ-
S 578.028/0021-IV 3/2014, 7; vgl Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher, StPO 1 § 1 Rz 2c, 2d; vgl Vogl § 91
Rz 11 (2015); vgl Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.5; vgl Nimmervoll in Nimmervoll (Hrsg), Das
Strafverfahren2 (2017) Ermittlung – keine Ermittlung 65 Rz 209; vgl Stricker, Probleme 12, erachtet darüber
hinaus auch die Abfrage aus dem Strafregister für zulässig; vgl kritisch Tipold, JSt 2014, 102.
64 Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 91 Rz 11/2 (Stand 1.11.2019, rdb.at); OGH 14 Os 21/19y.
65 Vgl Nimmervoll in Nimmervoll (Hrsg), Das Strafverfahren2 (2017) Ermittlung – keine Ermittlung 65 Rz 210;

vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 91 Rz 12 (Stand 1.11.2019, rdb.at).
66 Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 91 Rz 13 (Stand 1.11.2019, rdb.at).
67 Vgl Ratz, Vom Übergang in ein Ermittlungs- und Hauptverfahren (FN 1), ÖJZ 2020/48 356.

Februar 2021                                 Reinhard Nosofsky                                          26
9.    Berichtspflicht der Kriminalpolizei

Ein zwischen Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei gemeinsam, einheitlich geführtes
Ermittlungsverfahren setzt eine gegenseitige umfassende Information voraus und in der
StPO ist eine umfassende Berichtspflicht normiert (§ 100 StPO).68

Die Kriminalpolizei hat ihre Ermittlungen zu dokumentieren, Anlass, Durchführung und
Ergebnis ihrer Tätigkeiten im Verfahren müssen nachvollzogen werden können.69 Daher
sind alle wesentliche Ermittlungsschritte in schriftlichen Berichten festzuhalten,
wenngleich auch die Kommunikation mit der StA persönlich, per E-Mail oder Telefon
erfolgt.70

Anfallsbericht (§100 Abs 2 Z1 StPO) – unverzüglich immer dann, wenn die
Kriminalpolizei Kenntnis „vom Verdacht eines schwerwiegenden Verbrechens oder einer
sonstigen      Straftat    von     besonderem        öffentlichem      Interesse“      erlangt.     Ein
schwerwiegendes Verbrechen liegt in diesem Kontext vor, wenn objektiv besonders
wichtige Rechtsgüter verletzt werden, wie dies typischerweise bei Tötungsdelikte,
Vergewaltigung,       schwerer       Kindesmisshandlung,          Brandstiftung,      Drogenhandel,
bewaffneter Raub udgl der Fall ist oder die Straftat mit einer mehr als fünfjährigen
Freiheitsstrafe bedroht ist.71 Das besondere öffentliche Interesse wird anzunehmen sein,
wenn der Verdächtige oder das Opfer Personen des öffentlichen Lebens (zB Politiker,
Sportler, Künstler) sind oder die Straftat im Zusammenhang mit Sachen, an denen
öffentliches Interesse besteht (zB Denkmäler, Kunstwerke, öffentliche Einrichtungen)
verübt wurde.72 Das besondere öffentliche Interesse wird vor allem durch
dementsprechender medialer Berichterstattung gegeben sein.73 Bei schwerwiegenden

68 Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 100 Rz 1 ff (Stand 11.5.2020, rdb.at).
69 Vgl Fabrizy, StPO12 § 100 Rz 2; Pilnacek/Pleischl, Vorverfahren Rz 407; ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 132;
vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 100 Rz 4 (Stand 11.5.2020, rdb.at).
70 Vgl Koller in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg.), StPO Praktikerkommentar (2013) zu § 152 StPO 480 Rz 4.
71
   Vgl ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 131 ff; vgl Koller in Schmölzer/Mühlbacher, StPO I1.02 § 100 StPO Rz 8;
vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 100 Rz 12 (Stand 11.5.2020, rdb.at).
72   Vgl Pilnacek/Pleischl, Vorverfahren § 100 Rz 408; vgl Birklbauer/Dillinger/Keplinger,
Strafprozessordnung11 § 100 Anm 6; vgl Fabrizy, StPO13 § 100 StPO Rz 4; vgl St. Seiler, StPO18 Rz 637;
vgl Schick, ZÖR 2010, 597.
73 Vgl Birklbauer/Dillinger/Keplinger, Strafprozessordnung11 § 100 Anm 7; Schick, ZÖR 2010, 597.

Februar 2021                               Reinhard Nosofsky                                         27
Verbrechen ist ein Anfallsbericht auch dann zu erstatten, wenn die Ermittlungen gegen
unbekannte Täter geführt werden.74

Zwischenbericht (§ 100 Abs 2 Z 3 StPO) – nach Ablauf von drei Monaten nach der
ersten Ermittlungshandlung gegen eine bestimmte Person, wenn in der Zwischenzeit
kein anderer Bericht erfolgt ist oder seit dem letzten Bericht drei Monate vergangen
sind.75 Bei Ermittlungen gegen unbekannte Täter ist ein Zwischenbericht nicht zwingend
vorgesehen.76

Abschlussbericht (§ 100 Abs 2 Z 4 StPO) – wenn aus Sicht der Kriminalpolizei
Sachverhalt und Tatverdacht soweit geklärt sind oder keine weiteren zielführenden
Ermittlungsansätze vorhanden sind - die Staatsanwaltschaft über ihre weitere
Vorgehensweise im konkreten Fall entscheiden kann.77 Der Staatsanwaltschaft ist es
unbenommen         auch     nach   einem     Abschlussbericht        weitere    Ermittlungsschritte
anzuordnen, falls sie das für notwendig hält.78

Anlassbericht (§ 100 Abs 2 Z 2 StPO) – wenn eine Anordnung oder Genehmigung der
Staatsanwaltschaft oder eine Entscheidung des Gerichts erforderlich oder zweckmäßig
ist oder die Staatsanwaltschaft von sich aus einen Bericht verlangt.79

Wenn die Kriminalpolizei Zweifel am Vorliegen eines Anfangsverdachts hat oder nach
deren Auffassung gar kein Anfangsverdacht vorliegt, hat sie den aufgenommenen
Sachverhalt ebenso mit Anlassbericht (§ 100 Abs 3a StPO) der Staatsanwaltschaft
mitzuteilen.80 Vorerhebungen hat die Kriminalpolizei grundsätzlich in allen Fällen der
Staatsanwaltschaft zu berichten. In diesem Fall hat die StA darüber zu entscheiden, ob
sie   die      Ansicht    der   Kriminalpolizei    teilt      und   von   der   Einleitung    eines

74 Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 100 Rz 13 (Stand 11.5.2020, rdb.at).
75  Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO (Stand 11.5.2020, rdb.at) § 100 Rz 20; vgl Koller in
Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg.), StPO Praktikerkommentar (2013) zu § 100 481 Rz 13, vgl ErläutRV zu BGBl
2004/19 BlgNR 22. GP 131 ff.
76 Vgl Birklbauer/Dillinger/Keplinger, Strafprozessordnung11 (2018) § 100 Anm 11.
77 Vgl Koller in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO Praktikerkommentar (2015) § 100 482 Rz 15.
78
   Vgl Koller in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO Praktikerkommentar (2015) § 100 482 Rz 16.
79 Vgl Koller in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO Praktikerkommentar (2015) § 100 481 Rz 10.

80 Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO (Stand 11.5.2020, rdb.at) § 100 Rz 16.

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Ermittlungsverfahrens gem § 35c StAG absieht.81 Diese Möglichkeit hat die StA nicht
mehr, auch wenn sie keinen Anfangsverdacht erkennen kann, wenn bereits Ermittlungen
durch die Kriminalpolizei erfolgt sind.82

Prüfschema83:

81
   Vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO (Stand 1.11.2019, rdb.at) § 91 Rz 13.
82 Vgl ErläutRV 181 BlgNR 25. GP 22; Bertel/Venier, Strafprozessrecht8 (2017) Rz 390a.
83 BMJ Erlass BMJ-S578.028/0021-IV 3/2014 eJABl 13/2014 11 1.2.3.

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10. Verfahrensbeteiligte

Die prozessuale Stellung einer Person in einem Strafverfahren – Verfahren zur
Aufklärung von Straftaten (§ 1 Abs 1 StPO) – ist nicht von einem Formalakt (zB Einleitung
der Voruntersuchung) abhängig, sondern ergibt sich automatisch, sobald die
notwendigen Voraussetzungen vorliegen ex lege.84

     10.1.       Der Angezeigte

Solange die Staatsanwaltschaft das Vorliegen eines Anfangsverdachts iSd § 1 Abs 3
StPO oder auch eines konkreten Verdachts gegen eine bestimmte Person nicht
abschließend geprüft hat und gegen diese Person - mit Ausnahme von Erkundigungen
- noch nicht iSd StPO ermittelt bzw Zwang ausgeübt wurde, hat gegen diese Person
noch kein Ermittlungsverfahren begonnen.85 Eine dieserart von einer Anzeige (§ 80
StPO) betroffene Person ist weder Verdächtiger noch Beschuldigter, sondern wird
ausgehend von § 35c StAG, der auf den „Anzeiger“ Bezug nimmt, daher als „angezeigte
Person“ oder „Angezeigter“ tituliert.86

     10.2.       Der Verdächtige

Wird „gegen jemand“ ermittelt, weil bestimmte Tatsachen dafürsprechen, dass die
Straftat von der Person begangen wurde oder sie daran beteiligt war, wird diese Person
zum Verdächtigen (§ 48 Abs 1 Z 1 StPO).

Die Phase der Ermittlungen bis zur Konkretisierung des Verdachts bedeuten noch keine
„Beschuldigung“. Dies ergibt sich durch die Definition des Anfangsverdachts (§ 1 Abs 3
StPO) als Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.87

84
   Vgl Nimmervoll, Strafverfahren1 (2014) 128.
85 Vgl Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher, StPO I 1.02 § 1 StPO Rz 2i (Stand April 2015, lexismexis.at).
86 Vgl Voppichler, Verdächtige und Beschuldigte im Strafverfahren (Stand 11.9.2019, Lexis Briefings in

lexis360.at); vgl Nimmervoll, Das Strafverfahren, Kap. II, VI, Rz 131; vgl BMJ Erlass BMJ-S578.028/0021-
IV 3/2014 eJABl 13/2014 12 1.2.4.
87 Vgl ErläutRV 181 BlgNR 25. GP 3.

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