Das war historisch! - Verlag Die Werkstatt
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OLYMPIA DAS TAGEBUCH DER SPIELE VON PEKING Ulrich Kühne-Hellmessen /Detlef Vetten DAS TAGEBUCH DER SPIELE VON PEKING Das war historisch! Im Eiskanal von Yanqing wurde deutsche Sportgeschichte geschrieben. Hier holte Natalie Geisenberger ihre Goldmedaillen Nummer fünf und sechs, machte sich damit zu Deutschlands Olympia-Queen. Historisch auch die Skeleton-Piloten: Gold für Männer und Frauen, die ersten deutschen Medaillen überhaupt in dieser 2022 Das Tagebuch 20222022 Disziplin. Im Zweierbob gingen sogar Gold, Silber der Spiele und Bronze an Deutschland. Das gab es von Peking nie zuvor. Francesco Friedrich verteidigte seine Titel im Zweier- und Viererbob – einmalig. OLYMPIA Hier holten die deutschen Athleten neun von zehn möglichen Goldmedaillen und sorgten für eine spektakuläre deutsche Olympia-Bilanz: Platz zwei im Medaillen- spiegel! OLYMPIA Die XXIV. Winterspiele von Peking haben uns gefesselt und fasziniert. Tag für Tag können Sie in diesem Buch die High- lights der Spiele erleben. Mit packenden Fotos, pointierten Geschichten, frechen Sprüchen und einem umfassenden Statistikteil. In Zusammenarbeit mit der dpa-Fotoagentur ISBN 978–3–7307–0576–6 VERLAG DIE WERKSTATT
NATALIE GEISENBERGER Rodeln JOHANNES LUDWIG Rodeln VINZENZ GEIGER Nordische Kombination NATALIE GEISENBERGER, JOHANNES LUDWIG, TOBIAS WENDL UND TOBIAS ARLT Rodeln, Mixed-Staffel THORSTEN MARGIS, FRANCESCO FRIEDRICH Zweierbob Deutsche Goldmedaillen
DENISE HERRMANN Biathlon TOBIAS ARLT/TOBIAS WENDL Rodeln, Doppelsitzer CHRISTOPHER GROTHEER Skeleton HANNAH NEISE Skeleton KATHARINA HENNIG, VICTORIA CARL Skilanglauf, Teamsprint LAURA NOLTE, DEBORAH LEVI Zweierbob FRANCESCO FRIEDRICH, THORSTEN MARGIS, CANDY BAUER, ALEXANDER SCHÜLLER Viererbob 6 | 7 Olympia 2022
INHALT Die Autoren 4 Olympia-Tagebuch Deutsche Medaillen 6 ■ Tag 8 JETZT ODER NIE 88 ■ Tag 9 EY! ECHT? 94 Editorial 13 ■ Tag 10 ALLES ODER NICHTS 100 ■ Tag 11 DAS LACHEN IST ZURÜCK 106 Titelstory ■ Tag 12 EINS ZWEI DREI 112 DÜNNES EIS 34 ■ Tag 13 NICHT ZU FASSEN 118 ■ Tag 14 ERIC HAT FREIGANG 124 Olympia-Tagebuch 40 ■ Tag 15 BACKEN AUFBLASEN! 130 ■ Tag 16 WIR UMARMEN DIE WELT 136 ■ Tag 1 EISKALTE PERFEKTION 42 ■ Tag 17 UNTERNEHMEN GOLD 142 ■ Tag 2 AUF DEM SPRUNG 46 ■ Tag 3 DAS »MONSTER« MEISTERN 52 Statistik 148 ■ Tag 4 SIEG DES WILLENS 58 ■ Tag 5 VERFLIXTE DREIZEHN 64 Medaillenspiegel ■ Tag 6 THE DAY AFTER 70 Teilnehmende Nationen 156 ■ Tag 7 KÖNIG DER VIERFACHEN 76 Bildergalerie 82
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, die sportliche Bilanz kann sich sehen lassen. Wie in Pyeongchang belegt das deutsche Team Platz zwei in der Medaillenwertung, wie 2018 hinter Norwegen. 12x Gold, 10x Silber, 5x Bronze – das sind 27 Medaillen und elf weniger als vor vier Jahren. Trotzdem heisst es: Ziel erreicht! Dennoch blieb in Peking vieles auf der Strecke. Die Zuschauer zum Beispiel, die nur vereinzelt geladen waren. Es gab ein olympisches Dorf, das keine Begegnungsstätte sein durfte. Selbst ausgelassene Siegesfeiern hatten in Pandemie-Zeiten keinen Platz. Stattdessen gab es Quarantänehotels und Sportler, die sich in einer Blase gefangen fühlten. In China wurde die »Non-Covid«-Strategie rigoros umgesetzt. Und es fegte ein eisiger Wind durch die nordchinesische Provinz, meteorologisch wie politisch. Olympia 2022 wurde zu ganz besonderen Spielen, eingeklemmt zwischen Pandemie und neuerlichem Ost-West- Konflikt mitten in Europa. Das hat die Redaktion veranlasst, die Rubrik »und sonst?« einzuführen, um eine Einordnung der Spiele in die aktuelle Weltpolitik zu ermöglichen. Zum Glück trug der Sport all jene Emotionen in die Welt, die uns immer wieder faszinieren. Jubel und Tränen, Freude und Trauer, große Siege und bittere Enttäuschungen, begeisternde Sportler und auch gestürzte Helden. All das hat auch diese Winterspiele zu einem nur alle vier Jahre wiederkehrenden Ereignis gemacht, über das Sportler und Sportfans noch Jahre später diskutieren werden. Auch deshalb haben wir die Athleten und Athletinnen in den Mittelpunkt gerückt und uns in unserem Buch auf den Sport konzentriert. All die Emotionen haben wir in unser Tagebuch gepackt und so die 24. Olympischen Winterspiele auf ganz besondere Art reflektiert. Viel Spaß beim Lesen der spannenden Geschichten und beim Anschauen der faszinierenden Fotos wüscht Ihnen ULRICH KÜHNE-HELLMESSEN Herausgeber
ENTFLAMMT Die Jugend der Welt trifft sich in China und treibt Wintersport. Wie wird das werden? Die Gastgeber versuchen, bei der Eröffnungsfeier ihre eigene Philosophie in die Welt zu versenden: Alle Nationen sind Schneeflocken, die sich beim friedlich-glänzenden Treiben vereinen. So mögen sie denn beginnen, die Spiele.
GOLDIG Angefangen hat sie klein, bei Olympia. 2010 wurde Natalie Geisenberger in Vancouver Dritte im Rodeln. Doch dann hat sie nichts mehr ausgelas- sen. Zwei Goldmedaillen ließ sie sich in Sotschi, in Pyeongchang und nun wieder in Peking umhängen. Jetzt ist es genug, sagt die erfolgreichste deutsche Wintersportlerin. Basta – da beißt die Maus keinen Faden ab.
ABGEHOBEN Als die besten Springer der Welt zum ersten Mal an den Schanzen der Olympischen Spiele stehen, sind sie baff. Größer, gigantischer geht es nimmer. Nie war eine Arena ihres Sports bizarrer. Dass sich auf den Tribünen in der Eiseskälte ein paar wenige geladene Funktionäre und Mannschaftskollegen verlieren, macht die Geschichte noch irrealer. Na ja, man nimmt’s, wie’s kommt – und hebt ab.
Dünnes Eis Text von Vor den Spielen hat es viel Kritik gegeben: Olympia DETLEF VETTEN solle nicht an ein Land vergeben werden, in dem die Menschenrechte nichts gelten. Das Winter-Event gehöre nicht in eine Region der Welt, in der die Einheimischen gar nicht so viel Ahnung von Ski und Rodel haben. Und dann noch ein Fest der Jugend der Welt, während Diese Zeichen stehen – ausgespro- chen wird ungefähr wie »wán der Globus Corona hat. Dennoch: Sie kommen, die shàn« – ungefähr für »perfekt«. Für »ta- dellos«. Für »ohne nachweisbaren Feh- Sportlerinnen und die Sportler. Was sie zeigen, ler«. Für die runde Sache. Für das durch und durch Geplante, das dann ohne ist mitreißend, wundervoll – und manchmal Wenn und Aber umgesetzt worden ist. Mao hat geschrieben: »Wo der Besen sehr tragisch. nicht hinlangt, wird der Staub nicht von selbst verschwinden.« Bei Olympia haben die Chinesen ihre Arbeit hervorragend ge- Er heißt Thomas Bach und ist ausgesprochen macht. Alle Hinterwinkelecken haben sie fein gesäubert und zufrieden mit den Chinesen. desinfiziert. »Die Spiele waren ein großer Erfolg«, sagt Die Ziele sind erreicht, die Vorgaben eingehalten, es hat keine Bach. »Das olympische Peking war in besonderen Vorkommnisse gegeben. Der Plan ist erfüllt. den letzten zwei Wochen einer Der Chef der Olympia-Verantwortlichen kommt aus dem be- der sichersten schaulichen Tauberbischofsheim, war mal Fechter und hat sich Orte auf dem fintenreich und mit langem Atem ins höchste Amt des Sports Planeten.« laviert.
EISZEIT. Kalte Winde und Temperaturen um minus 20 Grad lassen den norwegischen Biath- leten Sturla Holm Laegreid zum Eiszapfen wer- den. Norwegen war die dominierende Nation in Peking, belegte Platz eins im Medaillenspiegel. 35 | 35 Olympia 2022 TITELSTORY
SYMBOLFOTO FÜR DIE SPIELE IN PENKING. Männer mit Masken und Schutzanzügen vor dem Maskottchen und den Ringen der Olympia-Idee. Bach tritt diesmal leger auf. Weiße Maske, hellblauer Sport- positiven Tests mehrere Tage in Isolation verbringen mussten blouson, Bach kann diesmal auf den gedeckten Anzug verzich- und teils ihre Wettkämpfe verpasst haben. Sie mussten extre- ten, er ist unter seinesgleichen, ein Ober-Athlet sozusagen. me mentale und psychische Herausforderungen bewältigen.« Der IOC-Boss signalisiert den Aktiven, er sei einer der Ihren, er Aber, alles in allem: Der Spiele-Chef ist hochzufrieden. habe dazu auch etwas Wichtiges zu sagen. Wir kommen später Aus seiner Warte sieht alles prima aus. noch drauf. Wenn man es so betrachtet – oder wenn man ein Organisator Zuerst einmal lobt Thomas Bach die »Blase«. Man habe Coro- der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking ist –, dann kann na in die Schranken gewiesen. »Die Pandemie hat das Leben man sich am 20. Februar des Jahres zurücklehnen und denken: der olympischen Bewegung bedroht und zwei Spiele in höchste Gefahr gebracht – doch wir haben uns der Aufgabe gestellt.« In der Blase in Peking, Yanqing und Zhangjiakou mussten die 3000 Athletinnen und Athleten und die mehr als 60.000 wei- Am 20. Februar – in China bricht gerade der Schlusstag der teren Teilnehmer der Spiele neben täglichen PCR-Tests ständig Spiele an – haben die Freunde Tobias Wendl und Tobias Arndt Masken tragen. Kontakt zur Bevölkerung in Chinas Hauptstadt in Mainz einen Fernsehauftritt hinter sich gebracht. Jetzt geht’s war nicht gestattet, ein spielerischer Umgang mit dem Alltag zurück nach Oberbayern, und die Spezl unterhalten sich über nicht geduldet. die Zukunft. Sie haben als Doppelsitzer im Rodeln an den Olym- Kein »Deutsches Haus«, keine »Österreicher-Hütte«, kein Sight- pischen Spielen teilgenommen, sie haben in ihrer Disziplin und seeing, nicht ein einziger Olympia-Tourist. als Zweierpack-Element im Teamwettbewerb zweimal Gold ge- Null Covid – das ist das Ziel gewesen. Und die Veranstalter sind wonnen. Jetzt werden sie in der Heimat bei den Sendern und stolz, dass sie unnachgiebig Olympia den Spaß ausgetrieben Medien herumgereicht. Gerade waren sie im »Aktuellen Sport- haben. studio«. Sie haben darüber geredet, dass man für ein Olympia- Die Zahl der Fälle ist nach der Einreisewelle zu Beginn der Spie- Gold von Kind an dabei sein muss, »sonst hast keine Chance. le schnell gesunken. Anfangs hat das Beijing Organizing Com- Die Asiaten haben bei zwei Spielen versucht, Gold-Rodler in mittee for the Olympic Winter Games (BOCOG) noch mehr als vier Jahren zu formen, aber sie haben es nicht geschafft. Wer 30 Fälle am Tag registriert. In der zweiten Woche gab es Tage bei Olympia gewinnen will, muss seinen Sport seit der Kindheit ohne neue Coronafälle. leben und erleben.« Die Spiele hätten somit eine »Botschaft« an die Welt gesendet, Das wird den Olympia-Funktionären des 21. Jahrhunderts nicht so Bach: »Wenn alle in Solidarität die Regeln beachten und ih- gefallen. Die haben die Olympischen Winterspiele nach China ren Teil beitragen, lassen sich in einer Pandemie selbst so gro- vergeben und dann erklärt, sie würden damit Aberabermillio- ße Events wie die Olympischen Winterspiele ausrichten.« nen von Menschen den Weg zu Winterfreuden ebnen. Also, schwärmt Bach: »Peking 2022 waren sehr erfolgreiche Johannes Herber, Geschäftsführer des Vereins Athleten Winterspiele. Ich habe Athleten getroffen, die mit dem Dorf, Deutschland, mag nicht in den Jubelchor der Offiziellen ein- den Sportstätten, der Betreuung und der Sicherheit extrem zu- stimmen. Olympia 2022 macht ihm keine Freude. frieden gewesen sind.« Herber ist ein Don Quixote des Sports, er zieht für hehre Werte Sicher, es hat auch Schicksale gegeben, die man nur bedauern und seine Minne zum Sport in ein sinnloses Gefecht. Insider könne. »Ich spreche den Sportlern mein Mitgefühl aus, die nach Herber (»Almost Heaven: Mein Leben als Basketballprofi«) for-
DER HERR DER RINGE. IOC-Präsident Dr. Thomas Bach versteckt sich hinter der Maske und oftmals GIGANTISCHE EISRÖHRE. 16 Kurven, 1,9 km lang, 500 Millionen Dollar teuer: So schlängelt sich die Bahn des auch vor der schwierigen Stuttgarter Architekten Uwe Deyle durch die Hügel von Yanqing. Der Eiskanal der Superlative wurde zur deutschen Situation. Medaillenfabrik. dert das IOC zu einer eingehenden Analyse der Winterspiele in Monsterschanzen in die Mondlandschaft von Zhangjiakou Peking auf. »Ich erwarte, dass es eine kritische Nachbetrach- zu betonieren. Die Bobfahrer und Rodler starrten ungläubig tung gibt. Die Verantwortlichen müssen umdenken – in Sachen auf eine vom ersten bis zum letzten Meter überdachte und zukünftige Vergabepraxis des IOC sowie bei der Haltung zu teils mit einem gigantischen Hotel überbaute Bahn, die ih- Menschenrechten und der Umsetzung einer Menschenrechts- resgleichen nicht auf der Welt hat und deren Erbauer – ein strategie. Ich vermute, dass die Aufmerksamkeit, die auf die verschmitzter Schwabe – sich immer eins grienen muss, weil Menschenrechtsverletzungen gelenkt wurde, auf das weitere ihm mit dieser Halbmilliardenanlage ein einzigartiger Coup Verhalten der chinesischen Regierung keinen Einfluss haben gelungen ist. Solche Dinge lassen sich nur planen und bau- wird.« en, wenn die Auftraggeber sich komplett dem Größenwahn Von den Menschenrechten reden die Offiziellen aber nicht, als hingegeben haben. sie Bilanz ziehen. Da halten sie sich ans Motto des Chefs. Tho- »Es ist sehr wichtig, künftig Weltcups und Weltmeisterschaften mas Bach will diese Dinge mit den Uiguren und den Diktaturen in diesen prachtvollen Sportstätten auszutragen. Es ist sehr und diese übrigen Miesmachereien nicht hören: »Wir haben die wichtig, dass China und die internationalen Verbände sich da Einigkeit darüber bekräftigt, dass wir unmissverständlich zur austauschen«, sagt IOC-Olympiadirektor Christophe Dubi. Der politischen Neutralität verpflichtet sind.« Mann ist ein smarter Fürsprecher der IOC-Milliarden. Ihn kriegt Drei Tage vor der Schlussfeier rennen und schießen die Biath- man nie auf dem falschen Fuß. Für China, erklärt er unabläs- letinnen und die Biathleten noch einmal um Medaillen in den sig, für China und die Welt seien die Spiele in Peking ein Segen. Massenstarts. Sie müssen das im Akkord absolvieren, weil am Danach könne man im Reich der Mitte die Maschinen anwer- nächsten Tag die Kälte die Berge erstarren lässt. fen, mit denen die Wintersportvermarkter das große Geld dru- Also messen sich die Besten der Welt ein letztes Mal bei Olym- cken. 300 Millionen Menschen sollen durch Olympia in China pia. Sie hadern wieder einmal mit dem stumpfen klirrkalten zu passionierten Pistenfreaks, Snowboardern oder Schlitten- Kunstschnee, mit dem Frost, mit den Böen, die aus der Wüste fahrern geworden sein. Gobi reinpfeifen. Sie geben ihr Bestes (für die deutsche Biath- Echt? letenschar ist das nicht besonders befriedigend). Der Biathlet Erik Lesser ist auch ein smarter Mann. Aber er Es gibt Erste, Zweite und Dritte. Und Hinterherläufer. kennt den Begriff »political correctness« nicht. Als er abreist, Dann reisen sie ab. Aus der Arena, aus dem Olympischen Dorf, sagt er, er habe es persönlich »verbockt und verkackt«, da gebe eventuell aus dem Quarantänehotel. es keine Ausrede, aber er weine diesem Winter-China keine Steigen in den Flieger, diese Prachtexemplare der Jugend der Träne nach. »Der Gigantismus ist wirklich krass. Die Anlagen Welt. Und sind weg. sind einfach geisteskrank. Die Schanzen, unsere Loipen und Was bleibt: das Stadion – wie riesig das alles! Ich habe das gesehen und Ein Milliardengrab. Offiziell nennt die chinesische Regierung mich gefragt, was daraus wird. Das sind doch schon Ruinen, Gesamtkosten von 3,9 Milliarden Dollar für die Spiele. Ernst- wenn wir abreisen.« hafte Experten schätzen die Summe auf das Zehnfache, zu- Lesser ist nicht der Einzige, der Frust schiebt. Am vorletzten mal China offenbar Kosten für Infrastruktur aus der Gleichung Tag steht Wolfgang Maier, der Cheftrainer der Alpinen, im nimmt und nur einige der neuen Sportstätten durchkalkuliert. Ziel-Areal und ärgert sich. Der letzte Wettbewerb muss wegen Fünf Milliarden hat es gekostet, einen Biathlon-Park und zwei des Sturms und der eisigen Kälte auf den nächsten Vormittag 36 | 37 Olympia 2022 TITELSTORY
2022 TAGEBUCH
2 Tag AUF DEM SPRUNG Katharina Althaus gewinnt Silber nach einem großartigen Wettkampf auf einer gigantischen Schanze – und das ist prima. Die Oberstdorfe- rin ist eine Leitfigur in der »Me-too«- Bewegung der Skispringerinnen. Sie und ihre Kolleginnen sind es leid, im Schatten der Männer ihren Sport zu betreiben. »Wir sind dabei, uns hochzukämpfen. Wir springen MIT GOLDENEM HELM ZU SILBER. Katharina Althaus holt die erste doch auch nicht schlechter als die Medaille für Deutschland. Burschen.« ➔
SPEKTAKULÄRE SCHANZE. Katharina Althaus fliegt in Zhangjiakou in die grau-weiße Nacht. Spruch des Tages 105,5 Meter! effekten. Wenn der Chinese sich das Gute Noten für eine saubere Telemark- leisten kann, ist das okay. Wir werden »Ein richtig freudiges und un- das genießen, das Ambiente, wir werden Landung an einer Stelle, an der das Ste- beschwertes Fest wird es nicht werden. Die Sportler müssen es henbleiben nach dem Flug schon eine staunen – aber in letzter Konsequenz hinnehmen, wie es ist.« Katarina große Herausforderung ist. bleibt dann Skispringen übrig.« Witt, Eiskunstlauf-Doppel-Olympia- Platz 1 – noch vor einer Slowenin, die 2017 begannen die Bauarbeiten für die siegerin von 1984 und 1988. gerade den Schanzenrekord getoppt hat. Anlage. Drei Jahre später war das »Ufo« Katharina Althaus schnallt ab, hüpft fröh- in einer Senke zwischen zwei Hügeln lich durch den Auslauf der olympischen fertig. Das Skisprung-Center besteht aus Zahl des Tages Schanze. Dann bremst die Skispringerin zwei Schanzen. Am oberen Ende des 3,77 … sich und stellt das Jubeln ein. Grinsend Anlaufs ragt eine 40 Meter hohe, kreis- … Millionen Sportfans haben in verschwindet sie hinter den Absperrun- förmige Aussichtsplattform samt Pano- Deutschland die über zweistündi- gen. Im Mannschaftscontainer warten ramarestaurant mit einem Durchmesser ge Live-Übertragung im ZDF gese- der Physio, der Servicemann, der Trainer. von 80 Metern himmelwärts. Die Groß- hen. Der Marktanteil lag damit bei 32,8 Prozent – das ist weit über Noch ein guter Sprung, dann hat Kathari- schanze, auf der die Männer ein Einzel- dem Senderdurchschnitt. na Althaus olympisches Gold. und das Teamspringen bestreiten, hat Sie fühlt sich in Form, sie ist bester Din- einen K-Punkt von 125 Metern, bei der ge, sie mag die Schanze. Die ist ein Archi- Normalschanze liegt der Kritische Punkt Entscheidungen tekturgigant wie aus einer anderen Welt. bei 95 Metern. Gekostet hat das Ganze Der deutsche Herrentrainer Stefan Horn- über 60 Millionen Dollar. Biathlon Mixed Staffel 4 x 6 km Gold: Norwegen; Silber: Frankreich; gacher hat die Anlage in Zhangjiakou ge- »Eine Mega-Anlage«, hat Katharina Alt- Bronze: Russisches Olympisches sehen und gesagt: »Das ist bombastisch. haus nach dem ersten Training gesagt. Komitee ++++ Ski Langlauf Ein Wahnsinnsding mit all diesen Licht- Und dann gemeint: »Schade, dass wir
Und sonst? ● Wenige Tage vor Beginn eines umstrittenen Militärmanövers hat Russland Kampfflugzeuge des Typs Suchoi Su-25SM nach Belarus verlegt. Die Maschinen wurden über 7.000 Kilometer aus der Region Primorje am Japanischen Meer auf Militärflug- plätze im Gebiet von Brest nahe der Grenze zu Polen ge- bracht. Die ukrainische Hauptstadt Kiew liegt nur knapp 80 Kilometer von der belarussischen entfernt. Russland weist aufs Neue Vorwürfe zurück, einen Angriff auf die Ukraine zu planen. ● In Österreich sterben innerhalb von zwei Tagen acht Menschen in Lawinen. ● Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (67) hat Corona. plin für Frauen sei. Da gebe es Be- gen zum Leistungssport dazu. Da hat bei denkenträger, die warnten, dass Sportle- den Männern vor 30 Jahren auch keiner rinnen bei der Landung die Gebärmutter nachgefragt! Das Risiko gehen wir ein.« platze oder sie häufig andere schwere Sie will doch nur eine Gleichbehandlung. Verletzungen wie Wirbelsäulenschäden »Die Funktionäre haben offenbar Angst erleiden … davor, dass die Frauen zu stark werden. Katharina Althaus, die in Oberstdorf das Auf den Monsterbakken – da fliegt man Springen gelernt hat (der Bruder nahm 200 Meter und weiter – würde sich zei- sie mit, den ersten Hupfer machte sie als gen, dass die Besten von uns den ganz Sechsjährige), mag den »Schmarrn« nicht großen Schanzen absolut gewachsen mehr hören. sind. Vielleicht würden Frauen gegen- »Das Gebärmutter-Argument ist selte- über den Männern Vorteile haben und ner geworden. Dass es für Frauen an- weiter fliegen.« geblich eine größere Verletzungsgefahr Hach, wäre das fein! gibt, höre ich aber noch immer öfters. »Dann würden wir Frauen natürlich den Stimmt natürlich nicht, alles Unfug. Die Führungsanspruch der männlichen besten 15 Frauen kommen überall he- Springer in Frage stellen. Denn fliegen runter, und die übrigen springen auch Frauen erst mal von den Monsterbak- nicht schlechter als jüngere männliche ken, gibt es kein Argument mehr, uns Kollegen. Außerdem gehören Verletzun- irgendwelche Schanzen zu verweigern. nur auf der Normalschanze randürfen.« Da war sie wieder mal bei einem ihrer Lieblingsthemen. Sie und die besten Ski- springerinnen der Welt erklären selbstbe- wusst, es sei für sie an der Zeit, dass sie ihr sportliches »Me too« erleben dürften. Sie wollen wie die Männer behandelt wer- den. Schließlich seien sie es wert. Wenn Katharina gefragt wird, ob sie und ihre Kolleginnen genauso gut springen könnten wie die Männer, sagt sie ohne zu zögern »Ja klar!«. »Frauen brauchen nur mehr Anlauf, um dieselbe Geschwindigkeit wie die Männer zu erreichen. Dann springen wir grundsätzlich mindestens so weit! Etwa in Oberstdorf landen wir ebenso bei 130 Metern wie die Männer, starten aber zehn bis zwölf Luken höher von der Schanze. Das sind vier, fünf Meter.« Ein Reporter von »Focus« wollte unlängst von Katharina wissen, ob Skispringen GOLD VERLOREN? Wer dieses Siegerlächeln sieht, der ahnt, dass Katharina Althaus Silber nicht eine spezifisch gefährliche Diszi- gewonnen hat. 48 | 49 Olympia 2022 SAMSTAG, 5.2. TAG 2
OLYMPIA DAS TAGEBUCH DER SPIELE VON PEKING Ulrich Kühne-Hellmessen /Detlef Vetten DAS TAGEBUCH DER SPIELE VON PEKING Das war historisch! Im Eiskanal von Yanqing wurde deutsche Sportgeschichte geschrieben. Hier holte Natalie Geisenberger ihre Goldmedaillen Nummer fünf und sechs, machte sich damit zu Deutschlands Olympia-Queen. Historisch auch die Skeleton-Piloten: Gold für Männer und Frauen, die ersten deutschen Medaillen überhaupt in dieser 2022 Das Tagebuch 20222022 Disziplin. Im Zweierbob gingen sogar Gold, Silber der Spiele und Bronze an Deutschland. Das gab es von Peking nie zuvor. Francesco Friedrich verteidigte seine Titel im Zweier- und Viererbob – einmalig. OLYMPIA Hier holten die deutschen Athleten neun von zehn möglichen Goldmedaillen und sorgten für eine spektakuläre deutsche Olympia-Bilanz: Platz zwei im Medaillen- spiegel! OLYMPIA Die XXIV. Winterspiele von Peking haben uns gefesselt und fasziniert. Tag für Tag können Sie in diesem Buch die High- lights der Spiele erleben. Mit packenden Fotos, pointierten Geschichten, frechen Sprüchen und einem umfassenden Statistikteil. In Zusammenarbeit mit der dpa-Fotoagentur ISBN 978–3–7307–0576–6 VERLAG DIE WERKSTATT
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