Das Wesen und die Bedeutung von Software für Volunteered Geographic Information am Fallbeispiel von OpenStreetMap - OPUS 4
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Das Wesen und die Bedeutung von Software für Volunteered Geographic Information am Fallbeispiel von OpenStreetMap Der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich‐Alexander‐Universität Erlangen‐Nürnberg Zur Erlangung des Doktorgrades Dr. rer. nat. vorgelegt von Matthias Platzer (geb. Plennert)
Als Dissertation genehmigt von der naturwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Tag der mündlichen Prüfung: 29.01.2020 Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. Georg Kreimer Gutachter: Prof. Dr. Georg Glasze Prof. Dr. Marc Boeckler
Für meine Tochter Luise weil du die schönste Belohnung für diese Arbeit bist ii
Danksagungen Viele Menschen und Organisationen haben mich bei der Fertigstellung dieser Dissertation unterstützt. Ich möchte mich dafür ausdrücklich und ganz herzlich bedanken. Ich danke der Hanns-Seidel-Stiftung, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, der Wagner Stiftung und der Dr. Hertha und Helmut Schmauser-Stiftung für die finanzielle Unterstützung, die meine Forschung und Auslandsaufenthalte erst möglich gemacht haben. Ich möchte mich bei meinem Betreuer Prof. Dr. Georg Glasze für seinen offenen und ehrlichen Umgang auf Augenhöhe sowie seine Unterstützung und Motivation auch in schwierigeren Promotionsphasen bedanken. Aus meiner Zeit in Erlangen möchte ich meinen KollegInnen Katharina Paulus, Christian Bittner, Anna Franke, Björn Saß, Jan Winkler, Christian Eichenmüller, Boris Michel, Finn Dammann, Andreas Tijè Dra, Tim Elrick, Christoph Baumann, Johann Braun, Cosima Werner, Santina Wey und Franziska Sielker danken. Ich konnte mir kein besseres kollegiales Umfeld vorstellen und werde mich immer mit Freude an meine Zeit in Erlangen erinnern. Ich danke den Mitgliedern des Netzwerks „Digitale Geographien“ für das wertvolle Feedback und die zahlreichen spannenden Diskussionen. Insbesondere möchte ich mich bei Florian Ledermann, Till Straube, Prof. Dr. Marc Boeckler und Prof. Dr. Christoph Schlieder für die hilfreichen Gespräche und die wertvolle Zusammenarbeit bedanken. Ich bedanke mich bei der OpenStreetMap-community und insbesondere bei allen Interviewpartnern, die sich Zeit für meine Forschung genommen haben. Ich danke meinen Eltern, meiner Familie und ganz besonders meiner Frau Eva, die mich immer unterstützt, mir den Rücken freigehalten und mich bei Rückschlägen wiederaufgebaut haben. iii
Zusammenfassung Geographische Inhalte verorten sich im Spannungsfeld zwischen ortsbezogenen Daten, Informationen und Wissen. Sowohl die Inhalte als auch der Ortsbezug können vielfältige Formen annehmen wie bspw. Koordinatenpaare oder Adressen; die zentrale „Säule“ geographischer Inhalte und damit die wirkmächtigste Form ist jedoch die Karte (Harvey 2001, S. 217). Sie beeinflusst das „[…] Denken und Handeln und [ist] in diesem Sinne mächtig“ (Glasze 2009, S. 181). Mit der zentralen Bedeutung der Karte als Kommunikationsmedium von geographischen Inhalten war der Bezug darauf in kritischen Studien häufig ausreichend (wie bspw. in der frühen Kritischen Kartographie). Im Zuge der Digitalisierung von geographischen Prozessen und Medien greift die Beschränkung auf Karten jedoch zu kurz. Geographische Inhalte umfassen nun auch bspw. Datenbanken, web-basierte Kartendienste oder geographische Suchmaschinen. Mit dem Aufkommen neuer partizipativer Technologien des Internets erfuhr die Herstellung geographischer Inhalte einen weiteren Umbruch. Diese neuen digitalen Technologien – auch bekannt unter dem Begriff Web 2.0 Technologien – führten zu einer rasanten Zunahme neuer geographischer Inhalte, Akteure und Praktiken. In diesem Kontext umschreibt Volunteered Geographic Information (VGI) freiwillig erhobene und beigetragene Geodaten und nimmt eine prominente Rolle innerhalb der Gesamtheit geographischer Inhalte im Internet bzw. des Geowebs ein. Betrachtet man die technologischen Rahmenbedingungen von VGI, so kann man fundamentale Veränderungen zu konventionellen geographischen Technologien erkennen: lange Zeit dominierten vor allem lokal installierte geographische Softwareanwendungen, die von professionellen Softwareentwicklern in einem privatwirtschaftlichen Kontext programmiert wurden, die Herstellung geographischer Inhalte. Mit dem Aufkommen und der Etablierung von Web Mapping 2.0 Technologien änderte sich der technologische Rahmen. Sie markieren einen elementaren Umbruch, der die Herstellung von VGI mit ermöglichte – Web Mapping 2.0 Technologien und VGI sind somit eng miteinander verbunden. Dabei unterscheiden sich gerade die in der Herstellung von VGI involvierten Technologien in zentralen Punkten von konventionellen geographischen Softwareanwendungen: Sie sind i.d.R. browserbasiert und werden als „Software as a Service“ angeboten, sie sind kostenlos, frei in der Nutzung, ihr Quellcode ist offen und sie werden kollaborativ-freiwillig, ohne Bezahlung in der Freizeit, entwickelt. Es zeichnen sich somit vielfältige Brüche in den verwendeten digitalen Technologien im Kontext von VGI ab, die es zu untersuchen gilt. Die Herstellung von geographischen Inhalten in VGI Projekten ist einerseits durch eine Öffnung und Pluralisierung gekennzeichnet, die auch mit Demokratisierung umschrieben wurde. Andererseits belegen mehrere Studien, dass VGI mit neuen Exklusionen, Marginalisierungen und Ungleichheiten iv
durchzogen sind. Es zeigen sich also neue Machtasymmetrien innerhalb von VGI Projekten. In dieser sozialwissenschaftlich-kritischen Debatte um VGI fällt jedoch auf, dass sie vorwiegend auf Beiträgen aufbaut, welche sich auf Geodaten fokussieren und dabei digitale Technologien eher als eine abstrakte Kategorie verhandeln. Es wird also eher nach den Effekten und dem Einfluss von „der“ Technologie gefragt, als die technologischen Artefakte selbst, also die konkreten Softwareanwendungen, zu analysieren. Diese Perspektive läuft Gefahr, die Heterogenität und Komplexität der Softwareanwendungen zu vernachlässigen und verdeutlicht eine Forschungslücke, die es zu schließen gilt. Der technologische Umbruch hin zu Web Mapping 2.0 Technologien mit den zuvor skizzierten fundamentalen Veränderungen zeigt sich deutlich in OpenStreetMap (OSM), eines der erfolgreichsten und prominentesten VGI Projekte: es baut auf eine umfangreiche, digitale und heterogene Software-Infrastruktur auf, die einen starken Kontrast zu konventioneller geographischer Software darstellt. Zudem zeigt sich insbesondere am Fallbeispiel von OSM die zuvor skizzierte Debatte um die Öffnung und Pluralisierung geographischer Inhalte. Daher widmet sich diese Dissertation der Erforschung der technologischen Infrastruktur dieses VGI-Projekts. Das Ziel dieser Dissertation ist eine differenziertere Betrachtung von Softwareanwendungen im Kontext von VGI am Beispiel von OSM. Denn gerade ein tiefgreifenderes Verständnis von Software bietet die Chance, die Machtstrukturen, Mechanismen und Effekte von digitalen Anwendungen offenzulegen. Dabei soll jedoch nicht das fertige Softwareprodukt im Zentrum der Forschung stehen, sondern vielmehr der sozio-kulturell-technische Entstehungsprozess untersucht werden. Mit diesem Ansatz sollen machtvolle soziale Fixierung von bestimmten Kategorisierungen, Abläufen und Prozessen sowie Einschreibungen von Rollen, Aufgaben, Interessen und Ideen in Software offengelegt werden. Forschungsleitende Fragen sind daher: Welche Softwarekomponenten definieren OSM als VGI Projekt? Wie sind diese entstanden? Welche Machtstrukturen verbergen sich hinter den digitalen Werkzeugen, wie sind sie entstanden und inwiefern beeinflussen sie das Projekt? Kann man diese Strukturen überwinden? Dabei leistet diese Dissertation einen Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit VGI, Geoweb und Neogeographie. Der theoretische Unterbau dieser Dissertation basiert auf der Forschungstradition der Kritischen Kartographie und Critical GIS, welche ein sozialwissenschaftlich-kritisches Verständnis von geographischen Inhalten, deren Produktion und Repräsentation pflegen. Neuere Debatten um digitale Technologien, Software und Raum greifen zunehmend auf Konzepte und Ideen der Science and Technology Studies (STS) zurück. Auch diese Dissertation fußt maßgeblich auf Ideen, Theorien und Konzepten, welche den STS zuzuschreiben sind. Sie stellen „ein interdisziplinäres Feld [dar], das ein integratives Verständnis des Ursprungs, der Dynamiken und Konsequenzen von Wissenschaft und v
Technologie bildet“ (Hackett et al. 2008, S. 1). Im Rahmen dieser Dissertation kamen mehrere Theorien und Konzepte zur Anwendung, die den STS zuzuschreiben sind: Actor Network Theory (ANT) (Law und Callon 1997; Callon 2006b; Akrich 1997), Software Studies (Fuller 2008; Berry [2011] 2015; Mackenzie 2006; Manovich op. 2001), Social Construction of Technology (SCOT) (Bijker 1987, 2002; Pinch und Bijker 2012) sowie der Philosophy of Technology (Feenberg 2001, 1999, 2008, 2006). Mit dieser theoretisch-konzeptionellen Brille kann das Medium Software aus einer sozialwissenschaftlich- kritischen Perspektive analysiert werden. Dadurch wird es möglich, soziale Fixierungen und Einschreibungen und damit das Wesen und die Bedeutung von Software sichtbar zu machen. Das Forschungsdesign gliedert sich in drei methodische Säulen: die Rekonstruktion der Entstehung von digitalen Strukturen und Artefakten, was hier unter den Begriff „Digitale Genealogie“ zusammengefasst wird; die Untersuchung von archivierten Kommunikationsmedien sowie qualitative Interviews mit Schlüsselfiguren aus dem Kontext von OSM. Es handelt sich also um einen methodischen Zugriff nach dem sogenannten mixed-methods Ansatz (Bittner 2017c, S. 38)., der eine methodenübergreifende Triangulation bezeichnet (Denzin 1978). Um die fundamentalen Unterschiede der OSM Software zu ergründen, baut der empirische Teil der Arbeit auf drei Fallstudien auf, welche sich zunächst an den sozio-technischen Dynamiken der Genese zentraler Softwarekomponenten orientieren: das Annotationssystem in Form von Folksonomies sowie die Datenbank mit der Datenstruktur illustrieren technologischen Wandel und Widerständigkeit in OSM. Aufbauend auf den Ergebnissen und den identifizierten Machtasymmetrien der ersten beiden Fallstudien werden in einer dritten Fallstudie Technologien zur technischen Vermittlung zwischen Softwarenutzer und -entwickler*innen untersucht. Damit werden soziale Dynamiken zwischen Entwicklern und Nutzern im Softwareentwicklungsprozess in den Fokus genommen, die einen Ausgleich zwischen beiden Personengruppen herstellen sollen. Alle drei Fallstudien teilen eine sozialwissenschaftlich-kritische Perspektive, die durch Theorien und Konzepte der Science and Technology Studies (STS) strukturiert wird. Je nach Fallbeispiel wird die konzeptionelle Perspektive angepasst und geschärft: im ersten Fallbeispiel mit dem Fokus auf technologischem Wandel wurden Konzepte aus der Actor-Network-Theory (ANT) und den Software Studies herangezogen, um Software als kulturelles Objekt zu rahmen und Einschreibungen in ebendieser darzulegen. Die zweite Fallstudie adressiert technologischen Stillstand in OSM mit der Social Construction of Technology (SCOT) Theorie. Diese ermöglicht eine Konzeptualisierung des Stillstands mit „technologischer Widerständigkeit“ sowie die Offenlegung von Machtasymmetrien zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, die diesen Stillstand konstruieren. Das letzte Fallbeispiel geht auf technologische Vermittlung zwischen Nutzern und Entwicklern der Software ein. Dafür dient vi
Feenberg’s Philosophy of Technology als theoretische Grundlage, da sie Konzepte zum Ausgleich von Machtasymmetrien in der Entwicklung von Technologien bietet. Die erste Fallstudie des Promotionsprojekts arbeitet die herausragende Bedeutung einer elementaren Softwarekomponente in OSM – den Folksonomies – heraus und spürt deren Genese nach. In dieser Arbeit wurden damit erste Spuren der Entstehung des OSM-Software-Ökosystems offengelegt, welche in den Folgestudien weiterverfolgt wurden. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die Erkenntnis, dass die Softwarearchitektur von OSM in ganz grundlegender Weise von etablierten Konventionen der Geoinformatik abweicht (Plennert et al. 2019). Besonders deutlich wird das am Beispiel der Folksonomies, die in OSM als Attributierungssystem von Geodaten verwendet werden. Der Ausgangspunkt der zweiten Fallstudie ist die Beobachtung eines allgemeinen technologischen Stillstands in zentralen Teilen der digitalen Infrastruktur OSMs, insbesondere im Kontext der Datenstruktur. Somit wurde für dieses Teilprojekt ein Perspektivenwechsel vorgenommen: OSM wurde nicht im Kontext technologischer Innovationen betrachtet, sondern vielmehr im Kontext technologischen Stillstands betrachtet. Zudem setzt sich die Fallstudie mit dem Wesen von OSM als Open Source Projekt auseinander und vernachlässigt damit die die Debatte dominierende Eigenschaft von OSM als Open Data Projekt. Damit fokussiert dieser Artikel den technologischen Stillstand in einem Open Source Projekt am Beispiel OSM. Die letzte Fallstudie knüpft an die übergeordnete Debatte von Neogeographie und der Demokratisierung von VGI am Beispiel von OSM an. Der Artikel baut dabei auf den Ergebnissen der vorherigen Studien auf: er betrachtet OSM als Free/Libre Open Source Software (FLOSS) Projekt und sieht darin auch wesentliche Gründe der Machtasymmetrien. Er erörtert, inwiefern eine technische Vermittlung innerhalb von FLOSS zwischen der kleinen Gruppe von Softwareentwicklern und der großen Gruppe an heterogenen Endnutzern möglich ist. Dies geschieht am Beispiel der Issue Tracking Software (ITS) für zentrale Editoren in OSM. Insgesamt zeigt die Arbeit den wesentlichen Anteil von FLOSS an der Entstehung von Machtasymmetrien in OSM: mit seinen spezifischen organisatorischen, kulturellen und sozialen Eigenschaften prägte FLOSS maßgeblich die Genese der OSM Software Infrastruktur. Dabei zeigt sich deutlich, dass Entscheidungen nicht legitimiert oder koordiniert werden. Entscheidungen, die sich retroperspektivisch als wichtiger Faktor für das Gelingen des Projekts herausgestellt haben, wurden unilateral ohne Einbeziehung dritter Interessen gefällt – ermöglicht durch Do-ocracy. Spezifische Eigenschaften einer freiwillig-kollaborativ entwickelten, selbstorganisierten und offenen Software prägen also große Teile der Softwareinfrastruktur in OSM und damit des gesamten Projekts. Die Arbeit argumentiert also, dass die Gestaltung der Software ganz essenziell die Eigenschaften eines VGI Projektes beeinflussen. Dabei ist die Verwendung von FLOSS – obgleich zunächst ein vii
emanzipatorischer Schritt gegenüber dem Einsatz von proprietärer Software – kritisch zu sehen, da sie neue Machtasymmetrien und Ungleichheiten mit sich bringen, die sich in der Komplexität der Software verbergen. Somit werden alte Machtasymmetrien durch neue Machtasymmetrien ersetzt. viii
Anhangsverzeichnis Anhang 1: Publikation „The Socio-Technical Background of an Unconventional Software Architecture in OpenStreetMap: Understanding the Implementation of ‘Folksonomy’” ............ xxi Anhang 2: Publikation „The social construction of technological stasis: The stagnating data structure in OpenStreetMap” ....................................................................................................... xxii Anhang 3: Publikationsprojekt “Technical Intermediation in OpenStreetMap: the ambivalent nature of Free/Libre Open Source Software”.............................................................................. xxiii ix
Abkürzungsverzeichnis ANT Actor-Network-Theory FLOSS Free/Libre Open Source Software GIS Geographisches Informationssystem GPS Global Positioning System ITS Issue Tracking Software JOSM Java-OpenStreetMap-Editor OSM OpenStreetMap OSMF OpenStreetMap Foundation PPGIS Public Participation Geographic Information System SCOT Social Construction of Technology STS Science and Technology Studies SVN Apache Subversion VGI Volunteered Geographic Information x
Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung................................................................................................................................... iv Anhangsverzeichnis ................................................................................................................................. ix Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................................................. x Inhaltsverzeichnis .................................................................................................................................... xi 1 Einleitung ..........................................................................................................................................1 2 Neue Verfügbarkeit von interaktiven Technologien: Web Mapping 2.0.........................................3 3 Ausgangspunkt der Forschung .........................................................................................................8 3.1 Kritische Geoweb Forschung ..................................................................................................8 3.2 Software in OpenStreetMap ............................................................................................... 12 4 Forschungsdesign .......................................................................................................................... 15 4.1 Ziele und Fragestellungen ................................................................................................... 15 4.2 Theoretische Perspektiven .................................................................................................. 16 4.2.1 Forschungstradition der Kritischen Kartographie und Critical GIS........................... 16 4.2.2 Aktuelle Auseinandersetzungen mit digitalen Technologien/Software und Raum .. 18 4.2.3 Science and Technology Studies (STS) ...................................................................... 21 4.3 Methodik ............................................................................................................................. 25 5 Fallstudien...................................................................................................................................... 28 5.1 Fallstudie 1: „The Socio-Technical Background of an Unconventional Software Architecture in OpenStreetMap: Understanding the Implementation of ‘Folksonomy’”...................................................................................................................... 28 5.2 Fallstudie 2: „The social construction of technological stasis: The stagnating data structure in OpenStreetMap” ............................................................................................. 31 5.3 Fallstudie 3: „Technical Intermediation in OpenStreetMap: the ambivalent nature of Free/Libre Open Source Software.” ................................................................................ 33 6 Fazit und Diskussion ...................................................................................................................... 35 7 Literaturverzeichnis ........................................................................................................................ xii Anhang ................................................................................................................................................... xx xi
Einleitung 1 Einleitung Die vorliegende Dissertation widmet sich der Bedeutung und dem Wesen von Software für Volunteered Geographic Information (VGI) am Beispiel von OpenStreetMap (OSM). Die Herstellung von geographischen Inhalten ist seit jeher geprägt durch machtvolle Prozesse. Dabei hat es insbesondere in den letzten Dekaden technologische Entwicklungen gegeben, welche zu einer zunehmenden Bedeutung digitaler Technologien im Herstellungsprozess dieser Inhalte führte. So ist heute die Erstellung von Karten und aller Formen von Geovisualisierung sowie darüberhinausgehend aller Diensten, die auf georeferenzierten Informationen basieren, ohne digitale Werkzeuge kaum noch denkbar. Diese Technologien beeinflussen in hohem Maße den Handlungsrahmen. Im Kontext des technologischen Umbruchs, der mit dem Begriff Web 2.0 umschrieben wird, hat die Bedeutung von digitalen Werkzeugen weiter zugenommen. Mit dem Aufkommen von partizipativen Technologien und VGI gab es einen vermeintlichen „digital turn“ in der Geographie, der mit neuen Akteuren sowie neuen geographischen Inhalten und Praktiken einherging (Ash et al. 2018). Die partizipative Herstellung von VGI wurde zunächst als eine Öffnung und Demokratisierung der Herstellung geographischer Inhalte beschrieben (Gartner 2009; Warf und Sui 2010; Turner 2006). Glasze bemerkte die erwarteten „[…] enormen Potenziale der Web 2.0 Kartographie für die Verbesserung von gesellschaftlicher Transparenz, Chancengleichheit und Partizipation […]“ (Glasze 2013, S. 126). In einer darauffolgenden kritischen wissenschaftlichen Debatte um VGI wurden die Entwicklungen reflektiert, wobei besonders neue Ungleichheiten und Marginalisierungen diskutiert wurden. Das Fallbeispiel OpenStreetMap – das wohl prominenteste und erfolgreichste VGI Projekt – steht als eines der wichtigsten Forschungsobjekte stellvertretend für sowohl die technologische Entwicklung als auch deren Diskussion. In dieser Debatte verortet sich auch diese Arbeit. Dabei zielt die Dissertation jedoch auf einen bislang weniger beachteten Aspekt der Debatte ab: einer Aufarbeitung der Bedeutung und des Wesens der Software für VGI am Beispiel von OSM. Bisher wurden digitale Technologien im Kontext von VGI häufig als abstrakte Kategorie verhandelt. Diese Arbeit hingegen soll eine differenziertere Perspektive einnehmen: Welche Softwarekomponenten definieren OSM als VGI Projekt? Wie wurden diese entwickelt? Welche Machtstrukturen verbergen sich hinter den digitalen Werkzeugen, wie sind sie entstanden und inwiefern beeinflussen sie das Projekt? Die vorliegende Dissertation strukturiert sich wie folgt: Zunächst werden die grundlegenden technologischen Entwicklungen im Kontext von geographischen Inhalten nachgezeichnet, mit einem besonderen Fokus auf den jüngeren Entwicklungen um VGI, sowie zentrale Begriffe erläutert. Anschließend wird die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den zuvor beschriebenen 1
Einleitung Entwicklungen aufgearbeitet und die Forschungslücke dargestellt. Darauf folgt eine Einführung in das Fallbeispiel OSM mit einem besonderen Augenmerk auf die Softwareinfrastruktur. Danach werden Ziele und Fragestellung der Arbeit formuliert. Das Kapitel „Theoretische Perspektiven“ gibt einen Überblick über die in den Fallstudien verwendeten Theorien und Konzepte. Das Methodik-Kapitel erläutert dann die methodischen Säulen sowie zentrale Quellen der Dissertation. Das vorletzte Kapitel widmet sich den einzelnen Fallstudien und gibt deren Inhalte in kompakter und gekürzter Form wieder. Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst, diskutiert und deren Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte aufgezeigt. 2
Neue Verfügbarkeit von interaktiven Technologien: Web Mapping 2.0 2 Neue Verfügbarkeit von interaktiven Technologien: Web Mapping 2.0 Im Jahr 1968 veröffentlichte Roger Tomlinson den Artikel „A Geographical Information System for Regional Planning“. Damit wurde zum ersten Mal der Begriff „Geographisches Informationssystem“ (GIS) verwendet und der Beginn der Ära der digitalen Geodatenverarbeitung hatte begonnen. Mit diesen Systemen wurde es möglich, „raumbezogene Daten digital [zu] erfassen, verarbeiten, analysieren und kartographisch [zu] präsentieren“ (Glasze 2009, S. 187). Die zunehmende Digitalisierung beschleunigte den Wandel der kartographischen Arbeitsweise grundlegend, wobei Software eine immer größere Rolle im kartographischen Alltag einnahm. Geodaten liegen heute in der Regel in digitaler Form vor. Die Vernetzung von digitalen Medien im Zuge der Verbreitung und Weiterentwicklung des Internets führte zu den nächsten großen Umbrüchen bei der Erhebung, Verarbeitung und Speicherung von räumlichen Informationen. In den ersten Jahren des Internets – von ca. 1990 bis 2000 – beschränkten sich die Möglichkeiten auf die Präsentation von Inhalten. Webseiten, die in dieser Zeit entstanden, waren in der Regel statisch und dienten lediglich der Aufbereitung von Informationen, welche von Internet-Nutzern konsumiert werden konnten. Grundsätzlich wurden diese Inhalte von einigen wenigen Akteuren erstellt, welche die notwendigen technischen Ressourcen und das Knowhow dazu hatten. Dadurch ergab sich ein Ungleichgewicht zwischen Produzierenden und Konsumierenden von Inhalten im Internet, was heute mit dem Begriff des „Web 1.0“ beschrieben wird (O'Reilly 2005; Haklay et al. 2008). Mit dem Jahr 2005 deutete sich der nächste Umbruch der digitalen Landschaft im Kontext geographischer Inhalte und Praktiken an: Dieser Wandel stützte sich auf die Verbreitung und Nutzung spezifischer Technologien im Internet, die mit dem Begriff „Web 2.0“ zusammengefasst wurden (Haklay et al. 2008, S. 1). Das „Web 2.0“ vereinfachte Kollaborationen und Interaktionen und erweiterte damit die potenzielle Nutzerbasis im Internet (Byrne und Pickard 2016, S. 2). Das führte zu einem teilweisen Aufbrechen des Ungleichgewichts zwischen Produzenten und Konsumenten. Internetnutzern wurde es nun möglich, durch Interaktion mit digitalen Plattformen und ohne größere technische Ressourcen oder spezifischer Expertise Inhalte gleichwertig zu produzieren und zu konsumieren. Dadurch entwickelte sich der Nutzer vom Konsumenten zum sogenannten prosumer (Ritzer und Jurgenson 2010) bzw. produser (Bruns op. 2009). Im Kontext des „Web 2.0“ wird die Erstellung von Inhalten durch zahlreiche Individuen, welche von keiner Autorität gelenkt werden, als crowdsourcing, collective authorship oder co-creative labor bezeichnet. Die Beitragenden haben dabei in der Regel keine besondere Ausbildung oder Expertise, die sie für die Arbeit qualifiziert. Das 3
Neue Verfügbarkeit von interaktiven Technologien: Web Mapping 2.0 Fehlen einer Autorität sowie die breite Masse an ungelernten Individuen, die in ihrer Freizeit kollaborativ Inhalte beitragen, sind wesentliche Merkmale von Praktiken im Kontext von „Web 2.0“ (Elwood et al. 2012, 574 f.). Die Erstellung von geographischen Inhalten wurde durch diese Entwicklung fundamental verändert. Haklay et al. (2008, S. 2013) beschrieben diesen Umbruch mit „Web Mapping 2.0“. Sie erkannten einen Wandel sowohl in der Art und Weise der Geodatenerhebung als auch der Verbreitung dieser Praktiken. Laut Haklay et al. und Gartner (2008, S. 2013; 2009, S. 279) bauen die Veränderungen des Web Mapping 2.0 im Kern auf Web-Standards, plattformunabhängige Programmiersprachen und interaktive Software auf. Daneben führte die verbesserte zivile Verfügbarkeit des Global Positioning Systems (GPS) dazu, dass auch Einzelpersonen ohne große finanzielle Ressourcen relativ einfach Geodaten erstellen konnten. Das Ergebnis dieses Umbruchs war letztendlich, dass geographische Praktiken und Informationen durch das Web Mapping 2.0 im Mainstream ankamen (Haklay et al. 2008, S. 2012): Individuen ohne fachliche Expertise konnten nun eigenständig und in ihrer Freizeit geographische Inhalte im Internet erstellen. In diesem Kontext beschreibt das Geoweb „[…] die rasch anwachsende Gesamtheit geographischer Informationen im Internet […]“ (Glasze 2013, S. 125). Der Begriff Geoweb umfasst somit auch die Verbreitung von geographischen Inhalten im Internet und damit auch die steigende und breitere Rezeption und Nutzung dieser Daten. Im Zuge dieser Entwicklung wurden Geodaten nicht mehr ausschließlich von den traditionellen großen Akteuren, wie bspw. staatlichen Ämtern für Kartographie oder Geodäsie, erfasst, sondern entstanden auch über kollaborative und interaktive Plattformen. Diese crowdbasierte Erhebung von Geodaten wurde zunächst generell unter dem Begriff Volunteered Geographic Information (VGI) zusammengefasst. Als einer der ersten definierte Goodchild VGI als “[…] the widespread engagement of large numbers of private citizens, often with little in the way of formal qualifications, in the creation of geographic information, a function that for centuries has been reserved to official agencies. They are largely untrained and their actions are almost always voluntary, and the results may or may not be accurate. But collectively, they represent a dramatic innovation that will certainly have profound impacts on geographic information systems (GIS) and more generally on the discipline of geography and its relationship to the general public. I term this volunteered geographic information (VGI), a special case of the more general Web phenomenon of usergenerated content, and it is the subject of this paper” (Goodchild 2007, S. 212). 4
Neue Verfügbarkeit von interaktiven Technologien: Web Mapping 2.0 Goodchild beschrieb VGI also in erster Linie als eine freiwillige Praktik der Geodatenerstellung und als Subkategorie von usergenerated content (UGC). Dabei betonte er die fehlende Expertise der Beitragenden. Später erweiterten Elwood et al. (2012, S. 575) diese Definition, indem sie das Phänomen VGI als geographische Informationen definieren, die durch freiwillige Arbeit von Einzelnen oder Gruppen zur Verfügung gestellt wurden. Goodchild und Elwood et al. heben beide Web 2.0 Technologien für die Erhebung und Vermittlung der Daten hervor. McConchie diskutierte den Begriff VGI grundsätzlich als Teil des Geowebs, welches durch den Einsatz durch Geoweb Technologien, bzw. Web Mapping 2.0 Technologien, ermöglicht wurde (2015, S. 875). Jedoch verwies er zusätzlich darauf, dass der Begriff VGI auch dazu verwendet wird, die involvierte Software, kartographische Repräsentationen und Praktiken zu umfassen. Betrachtet man die verschiedenen Definitionen zeigt sich, dass wiederholt die Bedeutung von Geoweb Technologien, bzw. Web 2.0 Technologien, hervorgehoben wurden. Wie genau diese Technologien in den einzelnen VGI Initiativen umgesetzt wurden, ist jedoch eher selten das Ziel wissenschaftlicher Arbeiten. Dabei können die eingesetzten Technologien sehr unterschiedliche Formen annehmen. Dazu bemerkte Bittner, dass VGI auf dem ersten Blick auf uniformen technologische Lösungen aufbauen; bei näherer Betrachtung werden jedoch deutliche Unterschiede sichtbar (Bittner 2017a, S. 902). Was es letztendlich für VGI Initiativen bedeutet, auf Web 2.0 Technologien aufzubauen, ist daher nicht einfach zu beantworten. Neben den anfangs erwähnten technozentristischen Definitionen von Haklay (2008) oder O’Reilly (2005) gibt es dazu wenig Forschung. Wie Tabelle 1 illustriert zeigen verschiedene Arbeiten, dass im Kontext von VGI die konkrete Umsetzung, bzw. Ausprägung der verwendeten Technologien häufig implizit auf verschiedenen Achsen verhandelt wird: Es wird die zugrundeliegende IT-Infrastruktur, die Lizensierung und der Entstehungskontext der Software herangezogen, ohne explizit darauf zu verweisen. Bei der IT-Infrastruktur wird zwischen Desktop Software und „Software as a Service“ unterschieden. Diese Unterscheidung spiegelt die Verfügbarkeit von browserbasierten Anwendungen wider, wie bspw. Google Maps, die ohne vorherige Installation genutzt werden können. Auch die Idee des „web as platform“ (Crampton 2009, S. 98) kann zum Teil auf dieser Achse verortet werden, da implizit einer „lokale“ Plattform, ein Desktop GIS, gegenübergestellt wird. Im Gegensatz dazu erwähnt Turner (2006) die Desktop Anwendungen GPS Babel oder Google Earth, welche er gleichermaßen der Neogeographie zuordnet, die eine einfache Manipulation und Visualisierung von Geodaten erlauben. Darauf aufbauend kann bezüglich der Lizensierung zwischen proprietären, freien und offenen Anwendungen differenziert werden. Frei in diesem Sinne bedeutet kostenlos oder gratis, es wird also keine monetäre Gegenleistung für die Nutzung der Software erwartet (Open Knowledge Foundation o.J.). Offen 5
Neue Verfügbarkeit von interaktiven Technologien: Web Mapping 2.0 hingegen adressiert den Umgang mit dem Quellcode der Software: Dieser kann offen einsehbar sein und sogar, je nach Lizenz, geändert und wiederverwendet werden. Im Gegensatz dazu steht die proprietäre Software, deren Quellcode ausschließlich der Kontrolle des Urhebers unterliegt. Die im Kontext des Web 2.0 häufig erwähnten offenen Application Programming Interfaces (API) (Haklay et al. 2008, S. 2020), wie bspw. die Schnittstelle von Google Maps, können dabei quer zu den vorherigen Kategorien liegen: Die Google Maps API ist ein browserbasierter Web Service, der es ermöglicht, die Google Maps Karte mit eigenen Informationen anzureichern (Dalton 2013). Diese map mashups (Pietroniro und Fichter 2006) auf Basis von Google Maps sind zunächst ohne monetäre Gegenleistung möglich, jedoch bleibt der Quellcode der API, bzw. der Web Services, proprietär und damit komplett unter der Kontrolle von Google. Daran anschließend ist die Unterscheidung zwischen Software, die in professionell-privatwirtschaftlichen Kontext entstanden ist und solcher die von Einzelpersonen oder Gruppen freiwillig programmiert wurde. Die zugrundeliegende Software der großen Kartendienst-Anbieter wie Google Maps, Yahoo Maps oder Bing Maps wurden bspw. von bezahlten Softwareentwicklern programmiert mit dem grundlegenden Ziel, den Unternehmensgewinn zu steigern. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch offene Technologien mit vergleichbarem Funktionsumfang wie bspw. Leaflet oder Openlayers, die von einer losen Gruppe an Beitragenden bzw. einer community als Hobby in deren Freizeit entwickelt werden (Leaflet) oder in einem professionellem Rahmen einer non-profit Stiftung entstehen (Openlayers). Geographische Software IT-Infrastruktur Lizensierung Entstehungskontext professionell- ArcMap Desktop lokal proprietär privatwirtschaftlich begrenzt freie Nutzung, professionell- Google Earth lokal proprietärer Quellcode privatwirtschaftlich browserbasiert/ begrenzt freie Nutzung, professionell- Google Maps Service proprietärer Quellcode privatwirtschaftlich freie Nutzung, professionell- Google Earth lokal proprietärer Quellcode privatwirtschaftlich browserbasiert/ begrenzt freie Nutzung, professionell- Yahoo Maps Service proprietärer Quellcode privatwirtschaftlich GPS Babel lokal frei und offen freiwillig-kollaborativ browserbasiert/ OpenStreetMap frei und offen freiwillig-kollaborativ Service unter Verwendung Leaflet Serversoftware frei und offen freiwillig-kollaborativ von bspw. Openlayers Serversoftware frei und offen freiwillig-kollaborativ Tabelle 1: Charakteristika geographischer Softwareanwendungen Aus dieser Perspektive kann man zum einen feststellen, dass VGI Projekte, die auf freiwillig entwickelter und offener Software aufbauen, den größten Kontrast zu konventionell erhobenen Geodaten und deren Kontexten darstellen. Damit eignen sich solche Projekte in besonderer Weise als Forschungsobjekt, um die neue Verfügbarkeit interaktiver Technologien um VGI zu untersuchen. Zum anderen zeigt die obige Abhandlung, dass gerade das Wesen dieser Software noch nicht 6
Neue Verfügbarkeit von interaktiven Technologien: Web Mapping 2.0 ausreichend ergründet wurde. Um den Wissensstand über das Wesen der Software besser einordnen zu können, soll der aktuelle Stand der Forschung im Kontext des Geowebs im Folgenden genauer dargestellt werden. 7
Ausgangspunkt der Forschung 3 Ausgangspunkt der Forschung 3.1 Kritische Geoweb Forschung Mit der zunehmenden Vernetzung und Digitalisierung des Herstellungsprozesses geographischer Informationen im Internet begann auch eine kritische Auseinandersetzung damit. Die Erkenntnisse dieser Studien werden hier unter dem Terminus „kritische Geoweb Forschung“ zusammengefasst. Im folgenden Kapitel werden zunächst die grundlegenden Entwicklungen skizziert, um anschließend insbesondere solche Arbeiten zu diskutieren, die neue digitale Technologien adressieren. Im wissenschaftlichen Diskurs um das Geoweb wurden insbesondere neue Akteure, Praktiken und Inhalte beleuchtet. McConchie erläuterte, wie mit den neuen Technologien auch neue Nutzergruppen entstanden, die aus nicht-professionellen Individuen und Gruppen bestehen. Diese Nutzergruppen haben insgesamt mehr Möglichkeiten, geographische Inhalte und digitale Werkzeuge für deren Gestaltung zu nutzen (2015, S. 875). Dazu schreiben Carraro und Wissink, dass crowdsourcing – auch bei der Erhebung geographischer Inhalte – die Grenzen zwischen Experten und Amateuren sowie Produzenten und Konsumenten verwischt hat. Dadurch wurde dem so entstandenen Wissen eine größere Autorität zuteil (2018, S. 3; Dodge et al. 2011). Diese Entwicklung wurde auch mit dem Begriff „Neogeographie“ beschrieben (Turner 2006, S. 3). Der Begriff Neogeographie umschreibt neue Techniken und Werkzeuge außerhalb konventioneller GIS, betont dabei jedoch zusätzlich die Möglichkeit von Menschen ohne fachliche Expertise, ihre eigenen räumlichen Informationen und Repräsentationen zu erstellen und zu verbreiten (Haklay et al. 2008; Byrne und Pickard 2016). Wurden zuvor räumliche Informationen fast ausschließlich von einigen wenigen Akteuren erhoben, bearbeitet, visualisiert und verbreitet, ist dies nun auch für Laien möglich. Dadurch erweiterten sich kartographische Praktiken und Akteure (Elwood et al. 2012, 574 f.). Die Produktion von VGI wurde in diesem Kontext als eine Form von Neogeographie identifiziert (Elwood et al. 2012, S. 573). Haklay stellt dabei fest, dass Neogeographie zunehmend mit Teilhabe und Zugang zu geographischen Informationen konnotiert wurde (Haklay 2013, S. 55). Das Aufkommen von Neogeographie und VGI ist teilweise als „Öffnung“ und „Demokratisierung“ von Kartographie und Geoinformation interpretiert worden – eine Entwicklung, die auch mit dem Begriff der „Demokratisierungsthese“ umschrieben wird. Die Zutrittshürden zu räumlichen Informationen wurden niedriger, wodurch sich eine potenzielle Pluralisierung und Diversifizierung von Akteuren und Inhalten des Geowebs ergab (Byrne und Pickard 2016, S. 1). Verschiedene Studien konnten jedoch zeigen, dass es vielfach ganz bestimmte soziale Gruppen sind, die sich an diesen Projekten beteiligen, andere Gruppen sind deutlich unterrepräsentiert (Bittner 2014). Gleichzeitig ist es vielfach schwierig, 8
Ausgangspunkt der Forschung von „freiwillig“ erhobenen Geodaten zu sprechen, da der Begriff VGI zum Teil undifferenziert für Geodaten verwendet wird, die ohne aktive Zustimmung gesammelt wurden (Harvey 2013, S. 31). Innerhalb der Gruppe der Beitragenden lässt sich zudem vielfach das Long-Tail-Phänomen beobachten: Eine sehr kleine Gruppe von Mitwirkenden erstellt, bearbeitet oder bestimmt den Großteil des kollaborativ erstellten Inhalts (Wood 2014). Die kleine Gruppe der aktiven Mitwirkenden wiederum besteht häufig aus jungen technik-affinen Männern aus einer höheren Einkommensschicht. Diese ungleiche Beteiligung an der Herstellung geographischer Inhalte wurde als ‚Illusion der Demokratie‘ (Haklay 2013, S. 55) und „gleichzeitige Befähigung und Entmachtung“ (Byrne und Pickard 2016, S. 3) der Internetnutzer charakterisiert. VGI communities sind durch eine ungleiche Teilhabe gekennzeichnet. In ihrer empirischen Analyse der Aktivitäten von VGI Beitragenden am Beispiel von OSM zeigten Neis und Zipf u.a., dass ein Großteil der Beitragenden aus Europa stammt, besonders aktive Personen bis zu zehn Quadratkilometer Fläche digital bearbeiten und die meisten Beitragenden innerhalb der ersten drei Monate nach der Anmeldung am Projekt den Großteil ihrer Editierungen vornehmen (2012). In einer ähnlichen Studie beschrieben Ma et al. eine große Heterogenität in VGI-communities und Daten, sowie eine eindeutige Potenzgesetz-Verteilung unter Verwendung von head/tail-breaks (2015). Mehrere andere Studien bestätigen diese Ergebnisse, indem sie sich auf Long-Tail-Verteilung, Potenzgesetz oder starke Heterogenität bezüglich der Nutzerbeteiligung beziehen: Wenige Beitragende erstellen den Großteil der Geodaten (Budhathoki 2010; Haklay und Weber 2008; 2013; Mooney und Corcoran 2012; Quattrone et al. 2015; Wood 2014). Die Aktivität der Mitwirkenden und die Ungleichheit bei der Teilnahme an OSM ähnelt anderen community-basierten Projekten wie Wikipedia, die oft einer 90-9-1-Regel folgen: 90% der Nutzer beobachten/lesen die bereitgestellten Inhalte, 9% der Nutzer tragen ab und zu bei, und nur 1% der Nutzer tragen den Großteil der Inhalte bei (Nielsen 2006). Diese ungleiche Beteiligung führt in gewissem Maße auch zu einer verzerrten Datenerhebung. So wurden beispielsweise in einer quantitativen Studie von Quattrone et al. (2014) räumliche Unterschiede in der Datenerhebung von hochaktivem Nutzer und Gelegenheitsanwender beschrieben. Haklay (2010) berichtete auch über räumliche Verzerrungen, die auf sozioökonomischen Faktoren basieren. Darüber hinaus zeigten Quattrone et al. (2014) Unterschiede in der Dynamik der Datenerfassung zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Stephens verwies auf die geschlechtsspezifische Dimension der Ausgrenzung, als sie feststellte, dass aufgrund der geringen Beteiligung von Frauen die Inhalte von VGI eine männliche Perspektive auf die Landschaft widerspiegeln (2013, S. 982). In Anbetracht dieser Ergebnisse fasste Bittner zu Recht zusammen, dass "[....] weder die community noch die Daten von OSM frei von politischen oder wirtschaftlichen 9
Ausgangspunkt der Forschung Strukturen sind und das Projekt ein Verschmelzung heterogener Akteure, Werte und Interessen ist" (2017b, S. 36). Zusammenfassend zeigen diese wissenschaftlichen Arbeiten, dass viele VGI Projekte westlich bzw. eurozentrisch sind, reich an Details in urbanen Gebieten und hauptsächlich von gut ausgebildeten, wohlhabenden, jungen, weißen Männern mit technischer Expertise stammen (Budhathoki 2010; Haklay 2013; Elwood et al. 2012). Wie die zuvor beschriebene Debatte zeigt, wird die kritische Auseinandersetzung mit VGI von Arbeiten zu geographischen Inhalten, deren Erhebungsprozessen und Nutzung dominiert. Einen deutlich kleineren Anteil an der Debatte adressieren die Softwareinfrastruktur und Technologien von VGI sowie die darin verborgenen Machtstrukturen. In der Diskussion um Web Mapping 2.0 Technologien wurden insbesondere die den neuen Web 2.0 Technologien zugesprochenen demokratisierende Effekte kritisiert. Diese Illusion der Demokratisierung fußt zum Teil auch auf der versprochenen Offenheit von Free/Libre Open Source Software (FLOSS), welche häufig als technologische Infrastruktur für VGI Projekte dient. Crampton argumentierte bereits früh, dass freie und offene Software ein elementarer Bestandteil des Geowebs darstellt: FLOSS liegt bspw. die Idee des Grundrechts auf Weiterverbreitung zugrunde, was Eingang in Prinzipien des „Map Hackings“ gefunden hat (2009, S. 93). Diese Sichtweise wurde von McConchie mit dem Konzept der „Hacker Cartography“ später bestätigt (2015). Bezugnehmend auf diese demokratisierende Konnotation von Technologie im Kontext des Geowebs und von VGI wirft Leszczynski die Frage nach einem neuen „technological evangelism“ und „technical colonialism“ auf, die soziale Ursprünge und Ungleichheiten in den Technologien verschleiert und die Technologie selbst als neutral, notwendig und unumgänglich darstellt (Byrne und Pickard 2016, S. 13; Leszczynski 2013). Gleichermaßen warnen Warf und Sui vor einer „Glorifizierung von offenen Technologien“ und einer möglichen Abwertung von Expertenwissen (2010). Neben diesen Stimmen ist es insbesondere auch Haklay (2012), der dieses Thema in seiner Forschung adressierte: Er stellte fest, dass digitale Technologien einen sehr starken Einfluss darauf haben, was erreicht werden kann (2012, S. 477). Darüber hinaus identifizierte er eine "Hacking-Hierarchie" (2013, S. 66), die sich auf die technische Expertise der Community-Mitglieder bezieht: je höher das technische Wissen von Beitragenden, desto größer die Möglichkeiten der Einflussnahme auf das Projekt. McConchie bestätigt dieses Argument, indem er sich bei der Betrachtung von Geoweb, Neogeographie und VGI auf "hacker cartography“ (2015) bezieht. Besondere Brisanz erhalten die Erkenntnisse dadurch, dass durch die Verwendung dieser Technologien in Initiativen zur Ermächtigung eine Illusion von Kontrolle bzw. egalitärem Zugang oder Demokratisierung entsteht (Haklay 2013; Sieber 2006). Neben einer potenziellen Ermächtigung durch diese Technologien entstehen also zeitgleich neue Marginalisierungen (Stephens 2013, S. 982). 10
Ausgangspunkt der Forschung Insgesamt zeigen die Arbeiten im Kontext kritischer Geoweb Forschung zum Thema Technologien, dass Web 2.0 bzw. Web Mapping 2.0 Technologien mit demokratisierenden Effekten in Verbindung gebracht werden. Diese Konnotation wird häufig kritisiert, da Web Mapping 2.0 Technologien in der Regel mit neuen Marginalisierungen einhergehen. Dabei fällt jedoch auf, dass in dieser sozialwissenschaftlich-kritischen Debatte Technologie häufig eher als abstrakte Kategorie verhandelt wird. Es wird eher nach den Effekten und Einfluss von „der“ Technologie gefragt, als die sozio- technische Herstellung und die Effekte der Software zu analysieren. Diese Perspektive verkennt die Heterogenität und Komplexität der Softwareanwendungen und verdeutlicht eine Forschungslücke, die es zu schließen gilt. 11
Ausgangspunkt der Forschung 3.2 Software in OpenStreetMap Das OpenStreetMap-Projekt (OSM) dient für diese Studie als Fallbeispiel – es ist das wohl prominenteste und erfolgreichste VGI Projekt. OSM ist eine wiki-community mit dem erklärten Ziel, digitale Geodaten zu erheben und diese offen zur Verfügung zu stellen. Seit der Gründung von OSM im Jahr 2004 wurde von einer Gemeinschaft von Freiwilligen eine umfassende Software-Infrastruktur aufgebaut. Im Kern basiert es auf Prinzipien und Mechanismen, die im Wesentlichen als Web Mapping 2.0 bezeichnet werden können. Die community arbeitet freiwillig aus einer intrinsischen Motivation heraus mit dem gemeinsamen ideellen Ziel, Geodaten frei verfügbar zu machen (Budhathoki 2010; Budhathoki und Haythornthwaite 2013). Stand März 2019 verfügt OSM über mehr als fünf Millionen registrierte Nutzer. Davon waren zuletzt (2018) jeden Monat zwischen 40.000 und 50.000 Beitragende aktiv. Diese haben inzwischen fast fünf Milliarden Nodes und über 500 Millionen Ways erstellt1. Die Geodatenerhebung wird dabei grundsätzlich von der OSM Foundation (OSMF) unterstützt. OSMF ist eine non-profit Organisation, welche in erster Linie die technischen und finanziellen Rahmenbedingungen schafft und erhält (Glasze und Perkins 2015, S. 153). Dabei nimmt sie eine zurückhaltende und moderierende Rolle ein, d.h. sie greift nicht aktiv in den täglichen Betrieb in OSM ein. Vielmehr verwaltet sie unter anderem die Hardware und Spenden, welche zugunsten OSM getätigt werden (OpenStreetMap Wiki contributors). Grundsätzlich ist es „[…] jedem möglich, gegen einen [monetären] Beitrag der Foundation beizutreten. Die Foundation selbst wählt einen Vorstand aus sechs Mitgliedern. Neben dem Vorstand existieren acht Arbeitsgruppen, die sich den Themen Kommunikationen, Daten, Lizenz, Ortsgruppen, Entwicklung, der „State of the Map“ Konferenz und Strategie widmen“ (Plennert 2016, S. 29). Grundsätzlich ist OSM allerdings eher durch bottom-up Strukturen geprägt – durch informelle und lokale Entscheidungsprozesse von lokalen Gruppen. Seit 2004, dem Gründungsjahr von OSM, hat sich eine umfangreiche und vielfältige technische Infrastruktur entwickelt. Diese Infrastruktur baut fast ausschließlich auf freiwillig entwickelter offener Software auf (FLOSS) (Crampton 2009, S. 95). Wie Abbildung 1 zeigt, unterscheiden sich die einzelnen Softwarekomponenten in ihrer Zentralität. Einige Anwendungen sind redundant (z.B. Editoren, Renderer), während andere ein notwendiges und unumgängliches Element für das System bilden (z.B. Datenbank, API). Neben den Editoren oder Kartendarstellungen stellt dabei vor allem die Datenbank das Herzstück des Projekts dar. Hier werden die gesammelten Geodaten gespeichert. Die Datenbank dient als Basis für alle Anwendungen von OSM-Daten, wie bspw. Visualisierungen in Form 1 https://wiki.openstreetmap.org/wiki/Stats 12
Ausgangspunkt der Forschung von interaktiven Karten oder standortbezogenen Diensten wie Navigations-Systemen. Daneben existieren Schnittstellen und Editoren, wie der JOSM-Editor, ID-Editor, Potlatch-Editor oder die Overpass-API, die das Abrufen und Bearbeiten der Geodaten in OSM strukturieren. Diese sind unterschiedlich komplex aufgebaut, um den Nutzern mit ihrer unterschiedlichen technischen und fachlichen Expertise gerecht zu werden. Dadurch werden sowohl einfachere Editierungen als auch komplexe Zugriffe ermöglicht. Die Kommunikation in OSM wird zu einem großen Teil online über Foren oder Mailinglisten abgewickelt, welche vollumfassend archiviert und verfügbar sind. Hinzu kommen projekteigene Dokumentationen auf diversen Wiki-Seiten, welche in ihrer aktuellen und vergangenen Fassung untersucht werden können (Glasze und Perkins 2015, S. 152). Abbildung 1: Software-Infrastruktur von OSM (eigene Darstellung basierend auf: https://wiki.openstreetmap.org/wiki/Component_overview) Die Wahl des OSM-Projekts als Fallbeispiel bringt mehrere Vorteile mit sich: Zunächst handelt es sich um eines der prominentesten VGI-Projekte. OSM ist dabei nicht nur sehr bekannt, die erhobenen Geodaten werden zudem von zahlreichen Institutionen, Initiativen, Unternehmen und anderen Anwendern aus Gesellschaft, Politik und Verwaltung verwendet (z.B. Kartenanwendungen für Rollstuhlfahrer, für Rettungskräfte oder archäologische Objekte, partizipative Projekte für die Kartierung von Katastrophengebieten oder zur Teilhabe an der Stadtentwicklung). Außerdem verfügt OSM, vor allem im deutschsprachigen Raum, über eine sehr große und aktive community. OSM als VGI-Projekt verbindet zudem wichtige Eigenschaften des Geowebs und der Neogeographie: Es ist eine digitale Online-Plattform, auf der Laien kollaborativ und freiwillig räumliche Informationen erheben, bearbeiten, verwalten und visualisieren können (Haklay et al. 2008, S. 2028). Zudem dient OSM in der wissenschaftlichen Debatte als primäres Fallbeispiel für die Demokratisierungsthese 13
Ausgangspunkt der Forschung (Haklay 2013). Insgesamt ist Software dabei ein selbstverständliches Werkzeug, das zwischen allen Teilkomponenten und Akteuren vermittelt. Die Software-Architektur von OSM wurde von Anfang an von Beitragenden selbst konzipiert und entwickelt. Damit entspricht die Software-Infrastruktur den zuvor skizzierten Eigenschaften von Web Mapping 2.0 Technologien: Sie ist browserbasiert, frei, kostenlos, offen und wurde freiwillig-kollaborativ entwickelt. Damit stellt sie den extremsten Gegensatz zu den privatwirtschaftlich-konventionell entwickelte Desktop GIS dar (Haklay et al. 2008, S. 2028). Zusammenfassend zeigt sich, dass OSM eines der erfolgreichsten und prominentesten VGI Projekte ist. Dabei baut es auf eine umfangreiche, digitale und heterogene Software Infrastruktur auf, die fast ausschließlich dem FLOSS Kontext zuzuordnen ist. Damit repräsentiert OSM besonders deutlich die neuen technologischen Entwicklungen, die mit den Begriffen Geoweb und Web Mapping 2.0 umschrieben werden. Daher widmet sich diese Dissertation der Erforschung der technologischen Infrastruktur dieses VGI-Projekts. Im Folgenden werden nun die Ziele und Fragestellung dargelegt. 14
Forschungsdesign 4 Forschungsdesign 4.1 Ziele und Fragestellungen Mit neuen Formen der Herstellung geographischer Inhalte – dem Web Mapping 2.0 – kam es auch zu einer Zunahme neuer Formen geographischer Inhalte, dem Geoweb. Dabei ist VGI eine besonders zentrale Ausprägung des Geowebs und Teil der Debatte um Neogeographie und der Demokratisierungsthese. Somit ist VGI eng verknüpft mit den spezifischen Eigenschaften von Web Mapping 2.0 Technologien. In der wissenschaftlichen Debatte um VGI überwiegen jedoch Beiträge, die die Geodaten selbst in das Zentrum der Forschung stellen. Es gibt also wenige Studien zu den verwendeten Technologien, die sich zudem vornehmlich mit den Effekten von Technologien beschäftigen. Es dominiert eher ein Verständnis von Technologie als eine abstrakte Kategorie. Diese undifferenzierte Betrachtung von Web Mapping 2.0 Technologien gilt es aus einer sozialwissenschaftlich-kritischen Perspektive aufzuarbeiten. Die zuvor beschriebenen Beobachtungen werden am Fallbeispiel OSM besonders deutlich: Sowohl dessen Eigenschaften als VGI Projekt mit Web Mapping 2.0 Technologien als auch die wissenschaftliche Diskussion spiegeln sich in diesem Projekt. Gerade OSM illustriert dabei neue Formen einer digitalen Infrastruktur, die sich grundlegend von konventioneller traditioneller Kartographie unterscheidet. Das Ziel dieser Dissertation ist daher eine differenzierte Betrachtung von Softwareanwendungen im Kontext von VGI am Beispiel von OSM. Denn gerade ein tiefgreifenderes Verständnis von Software bietet die Chance, die Machtstrukturen, Mechanismen und Effekte von digitalen Anwendungen offenzulegen. Dabei soll jedoch nicht das fertige Softwareprodukt im Zentrum der Forschung stehen, sondern vielmehr der sozio-kulturelle Entstehungsprozess untersucht werden. Mit diesem Ansatz sollen machtvolle soziale Fixierung von bestimmten Kategorisierungen, Abläufen und Prozessen sowie Einschreibungen von Rollen, Aufgaben, Interessen und Ideen in Software offengelegt werden. Forschungsleitende Fragen sind daher: Welche Softwarekomponenten definieren OSM als VGI Projekt? Wie sind diese entstanden? Welche Machtstrukturen verbergen sich hinter den digitalen Werkzeugen, wie sind sie entstanden und inwiefern beeinflussen sie das Projekt? Kann man diese Strukturen überwinden? Dabei sollen die Ergebnisse im Kontext der Debatte um VGI, Geoweb, und Neogeographie verortet werden. Im Folgenden werden nun die unterschiedlichen theoretischen Perspektiven erläutert, welche den Blick auf die Fallstudien strukturieren. 15
Sie können auch lesen