Das Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance

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Das Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
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                                                  Ausgabe

                                                 05
                                                 Januar 2022

Das Wissenschafts-Magazin der
U Bremen Research Alliance

                                04   	Windkraftanlagen
                                        länger nutzen
                                08   	Langzeitbeobachtung
                                       und Forschung am
                                       Ozeanboden
                                12   	Aufklärer der Klima­
                                       krise: Bremen
                                       im Weltklimarat
Das Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
U Bremen                                                           Editorial                                                             3
Research Alliance
Ein Netzwerk aus dreizehn   Liebe Leserinnen und Leser,
Forschungsein­r ichtungen   der Klimawandel ist weltweit eines der                werden Proben entnommen. Welche Rückschlüsse
                            drängendsten Probleme unserer Zeit. Vor diesem        die Wissenschaftler:innen hieraus ziehen können,
                            Hintergrund ist es Aufgabe des Weltklimarates,        lesen Sie ab Seite 8 im Beitrag „Langzeitbeobachtung
                            den Stand der Forschung zum Klimawandel zu-           und Forschung am Ozeanboden“.
                            sammenzufassen und zu bewerten, um der Politik
                            eine wissenschaftsbasierte Grundlage für ihre Ent-    Ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen den Kli-
                            scheidungen zu liefern. In Sachstandsberichten        mawandel ist der Ausbau erneuerbarer Energien.

Von der Tiefsee
                            tragen drei Arbeitsgruppen regelmäßig das globale     Die Windkraft spielt dabei eine zentrale Rolle. Rund
                            Klima-Wissen zusammen. Im Februar ist es wieder       30.000 Windkraftanlagen erzeugen derzeit in der
                            so weit. Dann legt die Arbeitsgruppe II ihren Teil-   Bundesrepublik grünen Strom und tragen zum Er-

bis ins Weltall             bericht vor. Der Ko-Vorsitzende des einflussreichen
                            Gremiums – und erst der zweite deutsche
                            Wissenschaftler in dieser Position – kommt aus
                                                                                  reichen der Klimaziele bei. Wie können Lebensdauer
                                                                                  und Sicherheit von Windkraftanlagen erhöht und
                                                                                  gleichzeitig die Wartungs- und Stromerzeugungs-
                            der U Bremen Research Alliance: Professor Dr.         kosten sowie der CO₂-Ausstoß gesenkt werden?
                            Hans-­Otto Pörtner, Kooperationsprofessor vom         Ein Bauteil, das viel auszuhalten hat, haben die
Meeres-, Polar- und         Alfred-Wegener-Institut und der Universität
                            Bremen. Mehr zum bremischen Beitrag zur Arbeit
                                                                                  Wissenschaftler:innen dabei besonderes im Visier:
                                                                                  das Rotorblattlager (S. 4).
Klimaforschung              des Weltklimarats erfahren Sie ab Seite 12.
                                                                                  In der U Bremen Research Alliance kooperieren die
                            Der Ozeanboden ist Archiv für Umwelt- und             Universität Bremen und zwölf Institute der bund-
Materialwissenschaften      Klimaveränderungen, einzigartiger Lebensraum          länderfinanzierten außeruniversitären Forschung.
und ihre Technologien       und bedrohtes Ökosystem in einem. Wie sich            Die Zusammenarbeit erstreckt sich über vier
                            der Klimawandel hier auswirkt, untersuchen            Wissenschaftsschwerpunkte und somit „Von der
                            Wissenschaftler:innen aus der U Bremen Research       Tiefsee bis ins Weltall“. Wir freuen uns, dass wir
Gesundheits-                Alliance unter anderem beim Cap Blanc vor der         Ihnen wieder spannende Einblicke in das Wirken der
wissenschaften              mauretanischen Küste. Mithilfe sogenannter Sink-
                            stoff-Fallen, die teilweise in mehreren Tausend
                                                                                  kooperativen Forschung in Bremen geben können.

                            Metern Tiefe am Meeresgrund verankert sind,           Viel Spaß bei der Lektüre!
Minds, Media,
Machines

                            Prof. Dr.-Ing. Bernd Scholz-Reiter                    Prof. Dr. Iris Pigeot
                            Rektor der Universität Bremen,                        Institutsdirektorin Leibniz-Institut für
                            Vorsitzender U Bremen Research Alliance e. V.         Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS,
                                                                                  stv. Vorsitzende U Bremen Research Alliance e. V.
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4                          Windkraftanlagen                    30.000                                                                                                                   5

                            länger nutzen
                                                               Windkraftanlagen erzeugen
                                                               derzeit in der Bundesrepublik                            erbaren Energien und Erreichen der Klimaziele eine
                                                               grünen Strom.                                            zentrale Rolle. Bis 2030 soll der Stromanteil aus re-
                                                                                                                        generativen Quellen in Deutschland auf 65 Prozent
                                                                                                                        steigen, ein Großteil davon wird per Windenergie er-
                                                                                                                        zeugt werden. EU-weit soll die Hälfte des Stroms in
                                                                                                                        Europa bis 2050 aus Windkraft gewonnen werden.
    Lebensdauer und Sicherheit rauf, Wartungs-und Stromer-
    zeugungskosten sowie CO 2-Ausstoß runter: Das ist das
                                                                                                                        „Mit verschiedenen Hilfsmit-
    Ziel eines Forschungsvorhabens unter Beteiligung von

                                                               102
                                                                                                                        teln lässt sich nachverfolgen,
    Mitgliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance.
                                                                                                                        was in dem Metall passiert,
    Forschende vom Leibniz-Institut für Werkstofforientierte
                                                                                                                        wie die Prozesse ablaufen;
    Technologien - IWT und dem Fraunhofer-Institut für
                                                               Kugeln pro Laufbahn enthält                              das zu sehen und zu erleben,
    Windenergiesysteme IWES haben ein Bauteil von              ein Kugellager.
                                                                                                                        ist einfach unglaublich!“
    Windkraftanlagen im Visier, das viel auszuhalten hat:
    das Rotorblattlager.                                       Sie habe eine natürliche Vorliebe für Stahl, sagt
                                                               Brigitte Clausen. Was sie an dem Werkstoff so fas-       Immer leistungsfähiger werden die Anlagen, nicht zu-
                                                               ziniert? „Er hat variable Eigenschaften, ist sehr gut    letzt durch größere Rotorblätter und Computersteu-
                                                               formbar und recyclingfähig. Mit verschiedenen Hilfs-     erung. „Bei älteren Anlagen wurden die Rotorblätter,
                                                               mitteln lässt sich nachverfolgen, was in dem Metall      einfach ausgedrückt, morgens und abends einmal zum
                                                               passiert, wie die Prozesse ablaufen; das zu sehen        Wind ausgerichtet und das war’s“, erläutert Dipl.-Ing.
                                                               und zu erleben, ist einfach unglaublich!“ Und wenn       Vera Friederici, die gemeinsam mit Dr.-Ing. Jens
                                                               man als Wissenschaftlerin dann noch einen klei-          Schumacher als wissenschaftliche Mitarbeiterin für
                                                               nen Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten        das HBDV-Projekt am Leibniz-IWT arbeitet. „Neuere
                                                               könne, „dann finde ich das richtig gut“.                 Anlagen versuchen, eine möglichst gleichmäßige
                                                                                                                        Windlast herzustellen. Selbst den Windschatten, der
                                                               Gesellschaftlichen Nutzen und wissenschaftliches         bei jeder Drehung eines Flügels durch das Passieren
                                                               Interesse – diese beiden Aspekte verbindet ein For-      des Turms entsteht, gleichen sie durch eine mini-
                                                               schungsvorhaben nahezu idealtypisch, an dem die          male Korrektur der Flügelstellung im Bruchteil einer
                                                               54-jährige Leiterin der Abteilung Strukturmechanik       Sekunde aus.“
                                                               am Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Tech-
                                                                                                                                             Vera Friederici bringt einen Dehnungs-
                                                               nologien – IWT maßgeblich beteiligt ist. Es trägt
                                                                                                                                             messstreifen an, der die Spannung auf
                                                               den etwas sperrigen Titel „Auslegung hochbelaste-                                              der Oberfläche erfasst.
                                                               ter Drehverbindungen“, kurz: HBDV. Dabei geht es
                                                               um Windkraftanlagen. Genauer: um die Verbindung
                                                               zwischen Rotorblatt und Rotornabe, um die aus
                                                               Stahl geformten Wälzlager, die die Blätter halten, die
                                                               Drehbewegung zulassen und dabei enormen Kräften
                                                               ausgesetzt sind. Wie lässt sich deren Lebensdauer
                                                               vorhersagen und verlängern? Das ist die Frage.

                                                               Rund 30.000 Windkraftanlagen erzeugen derzeit
    Wo enorme Kräfte                                           in der Bundesrepublik grünen Strom. Es werden
    wirken: Der Lager-                                         deutlich mehr werden, so viel ist sicher. Manche
    prüfstand bildet die                                       Forschende prognostizieren eine Verdoppelung ihrer
    Bewegungen von
    Rotorblättern nach.
                                                               Zahl. Die Windkraft spielt beim Ausbau der erneu-
Das Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
6                                                                                                                                                                                                                                          7
                                                                                                                      „Abhängig von der Kraft, die wir aufwenden, wachsen       Material eher zäh, was wiederum Auswirkungen auf
    Diese permanente Anpassung hat Auswirkungen                                                                       die Risse“, erläutert Vera Friederici. „Wir messen, wie   die Rissbildung hat. „Aufgrund des Zustandes des
    auf die Wälzlager, die aus speziell gehärtetem Ver-                                                               schnell und in welcher Richtung der Riss bei einer be-    Werkstoffes und der Spannung sind wir jetzt in der
    gütungsstahl geformt sind. Die relativ kleinen Aus-                                                               stimmten Belastung wächst.“ Mit den Daten wird ein        Lage vorherzusagen, in welche Richtung und mit wel-
    gleichsbewegungen bewirken ein Hin- und Herrollen                                                                 Simulationsmodell gefüttert, mit dem das Werkstoff-       cher Geschwindigkeit sich ein Riss entwickelt und ob
    der Kugeln auf einer sehr kleinen Fläche bei großer                                                               verhalten vorhergesagt werden kann.                       er kritisch ist. Das konnten wir vorher nicht“, erzählt
    Belastung. Dafür sind die Lager ursprünglich nicht                                                                                                                          sie. Die Gefährdung durch Materialermüdung und
    ausgelegt. Mit mehr als 100 Millionen Umdrehungen                                                                                                                           Risse lasse sich nun viel besser einschätzen, ebenso
    im Lauf einer durchschnittlichen Lebensdauer von 20               Schätzt den Werkstoff                                                                                     die Notwendigkeit von Wartungen.
    Jahren kalkulieren die Erbauer der Windkraftanlagen.          Stahl: Prof. Dr.-Ing. Brigitte                      „Die Kooperation spielt eine
                                                                  Clausen, Leiterin der Abtei-

    2,2 Meter im Durchmesser sind die Rotorblattlager,
                                                                     lung Strukturmechanik.                           ganz wichtige Rolle. Wir                                  Im Frühjahr soll das Projekt abgeschlossen sein. Die
                                                                                                                                                                                Ergebnisse der Forschung fließen in eine Richtlinie ein,
    das entspricht in der Höhe etwa einer Wohnungstür.                                                                arbeiten Hand in Hand und                                 die es den Windkraftunternehmen ermöglicht, die Ro-
    Ihre doppelreihigen Kugellager sind mit 102 Kugeln pro                                                                                                                      torblattlager genauer zu bewerten und sicherer zu ma-
    Laufbahn gefüllt, jede hat nahezu den Umfang eines
                                                                                                                      ergänzen uns hervorragend."                               chen. In der Folge werden die Windkraftanlagen länger
    Tennisballs. Wie hält der Stahl den andauernden Belas-   Modellcharakter hat HBDV auch deshalb, weil an                                                                     Strom produzieren können, die Stromerzeugungskos-
    tungen durch die Bewegungen der Kugeln stand? Füh-       dem Forschungsprojekt, das vom Bundesministeri-                                                                    ten sinken und mit ihnen auch der CO2-Ausstoß.
    ren sie zur Ermüdung? Entstehen Risse? Und wenn ja:      um für Wirtschaft und Energie mit 3,8 Millionen Euro     Mehr als ein Dutzend Maschinen, die in unterschied-
    Wohin wachsen sie? Sind sie ungefährlich oder gefähr-    gefördert wird, viele große Hersteller von Windanla-     lichen Last- und Frequenzbereichen arbeiten, füllen       Die Forschenden aus der U Bremen Research Alliance
    den sie das Lager – und mit ihm die Anlage? „An diesen   gen beteiligt sind, trotz der Konkurrenz untereinan-     die Halle. Ein komplettes Wälzlager haben Mitar-          jedenfalls sind zufrieden mit den Resultaten ihrer Ar-
    Themen forschen wir“, sagt Brigitte Clausen.             der. Schließlich verursachen Schäden an den Lagern       beitende des Leibniz-IWT zerschnitten und daraus          beit. „Dazu beigetragen zu haben, eine Schwachstelle
                                                             lange Ausfallzeiten und hohe Kosten durch Stillstand     Materialproben gefertigt. „Die Proben liefern uns         zu eliminieren und damit auch Ressourcen zu schonen,
                                                             und für die Reparatur, und zwar ganz unabhängig          ganz viele Messdaten. Wir übertragen sie auf ein          ist schon ein gutes Gefühl“, sagt Brigitte Clausen.
                                                             vom Hersteller.                                          komplettes Lager und können mit ihrer Hilfe eine Le-
                                                                                                                      bensdauerprognose erstellen“, erklärt die 38-jährige,     www.iwt-bremen.de
                                                             Neben dem Leibniz-IWT sind fünf weitere For-             die über einen Teilbereich des Projektes auch promo-      www.iwes.fraunhofer.de
                                                             schungsinstitute an dem Projekt beteiligt, dar-          viert. „Diesen Prozess der Übertragung vom Kleinen
                                                             unter von der U Bremen Research Alliance das             ins Große, von Erkenntnissen aus den Proben auf das
                                                             Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES.         gesamte Lager, finde ich richtig spannend.“                           Korrosionsschutz für
                                                             Die Mitarbeitenden dort forschen an den Verschleiß-
                                                             schäden auf der Laufbahn eines Lagers, die durch die     Für Brigitte Clausen macht die Forschung an den
                                                                                                                                                                                            Windkraftanlagen
                                                             ständigen kleinen Bewegungen der Kugeln bei sehr         gegensätzlichen Materialeigenschaften einen we-                       Umweltgerechter Korrosionsschutz für
                                                             großen Lasten verursacht werden können. „Wir un-         sentlichen Teil ihres wissenschaftlichen Interesses an                Off­
                                                                                                                                                                                               shore-Windkraftanlagen ist eine be-
                                                             tersuchen, unter welchen Betriebsbelastungen diese       dem Projekt aus. Während die Kugeln im Lager und                      sondere Herausforderung. Wie er sich
                                                             Schäden entstehen, wie schnell sie auftreten kön-        ihre Laufbahn gehärtet sind, ist das sie umgebende                    verbessern und sich der Betrieb dieser
                                                             nen und wie sie sich vermeiden lassen“, sagt Karsten                                                                           Anlagen langlebiger und kostengünsti-
                                                             Behnke, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projekt-                                                                            ger gestalten lässt, hat ein Forschungs-
    Die Schwingprüfmaschine erzeugt in                       leiter des Forschungsprojekts am Fraunhofer IWES.        Unübersehbar: Ermüdungs-                                              projekt untersucht, das vom Bundes-
    Materialproben künstliche Risse.                         „Die Kooperation spielt eine ganz wichtige Rolle“,       erscheinungen im Kugellager.                                          ministerium für Wirtschaft und Energie
                                                             ergänzt Vera Friederici. „Wir arbeiten Hand in Hand                                                                            gefördert worden ist. An ihm waren die
    Die Wissenschaftler:innen betreten damit Neuland.        und ergänzen uns hervorragend." In 14-tägigen Tref-                                                                            Amtliche Materialprüfungsanstalt (MPA) –
    Untersuchungen zu den Belastungen der Drehver-           fen, manchmal bilateral, manchmal in großer Runde,                                                                             Geschäftsbereich des Leibniz-IWT –
    bindungen in einer Windkraftanlage sind Mangelwa-        tauschen sich die Beteiligten untereinander aus und                                                                            zusam­ men mit dem Fraunhofer IFAM
    re, zertifizierte Ansätze zur Abschätzung der Lebens-    besprechen die nächsten Arbeitsschritte.                                                                                       und der Bundesanstalt für Wasserbau
    dauer der Rotorblattlager gibt es bislang nicht. Von                                                                                                                                    beteiligt. Die Ergebnisse fanden Eingang
    einem Modellprojekt spricht Brigitte Clausen, deren      Wie die Belastungen des Lagerwerkstoffs nachge-                                                                                in die Konstruktion und Wartung von
    Leidenschaft für Stahl und andere Werkstoffe durch       ahmt werden, zeigt die Diplom-Ingenieurin an einem                                                                             Offshore-Windkraftanlagen aufseiten der
    eine Lehre als Werkstoffprüferin bei der Stahlhütte      Prüfstand in der Maschinenhalle des IWT. Dort ver-                                                                             Industrie und Überwachungsbehörden. So
    Klöckner geweckt worden ist. Später hat sie an der       setzt eine Schwingprüfmaschine die handtellergroße                                                                             zeigten Feld­ versuche, dass im Sediment
    Universität Bremen Produktionstechnik studiert, seit     Probe in Schwingungen. Sie ist mit einer kleinen Kerbe                                                                         vorkommende Mikroorganismen großen
    1996 ist sie am IWT beschäftigt.                         versehen, von der ein kaum sichtbarer Riss ausgeht.                                                                            Einfluss auf die Korrosion der Gründungs-
                                                                                                                                                                                            strukturen haben.
Das Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
Langzeitbeobachtung und
                                                                                                           Prof. Dr. Michal Kucera erforscht
                                                                                                                 die Geschichte der Ozeane.
8                                                                                                                                                                                                  9

                Forschung am Ozeanboden                                Endlich, da sind sie! Eine Reihe von orangen Bojen
                                                                       taucht aus der Tiefe des Wassers auf, tänzelt auf der
                                                                       Oberfläche, gar nicht weit entfernt vom Forschungs-
                                                                       schiff „Meteor“. Die Treibkörper sind das obere Ende
    Er ist Umwelt- und Klimaarchiv, sensibles Ökosystem und wichtig    einer Vorrichtung, die auf 4.200 Metern mit einem An-
                                                                       ker am Meeresboden befestigt gewesen ist. Fixiert an
    für den globalen Kohlenstoffkreislauf: Der Ozeanboden erfüllt      Ketten positionierte sie zwei Trichter in 3.500 und 1.500
    viele wichtige Funktionen. Im Exzellenzcluster „Der Ozeanboden –   Metern Tiefe – Sinkstoff-Fallen, mit denen das ganze
                                                                       Jahr über Proben des zum Meeresboden absinkenden
    unerforschte Schnittstelle der Erde“ untersuchen Wissenschaft-     Materials genommen wurden. Per akustischem Signal

                                                                                                                                                               71 %
    ler:innen aus der U Bremen Research Alliance unter anderem         hatte die Besatzung die Konstruktion gelöst, eine gute
                                                                       Viertelstunde brauchten die Bojen bis an die Oberfläche.
    Überreste des Meeresplanktons, die aus der lichtdurchfluteten
    Oberfläche zum Meeresboden gelangen. Sie offenbaren den
    Forschenden, wie sich der Klimawandel auf dieses Ökosystem         „Das Observatorium ermög-                                                                        der festen Erdoberfläche

    auswirkt.                                                          licht uns, die Auswirkungen                                                                    macht der Ozeanboden aus.

                                                                       des Klimawandels auf die
                                                                                                                                       mente steckt, die das Wasser zusätzlich düngen. Da-
                                                                       Biodiversität und Produktivität                                 durch reagiert das Gebiet besonders empfindlich auf
    Nach einem Jahr unter Wasser
    wird die Sinkstoff-Falle an Bord                                   des Meeres über mehrere                                         den Klimawandel und ist somit ein perfekter Standort
    des Forschungsschiffes gehievt.                                                                                                    für Langzeitbeobachtungen. Welche Partikel von der
                                                                       Dekaden zu untersuchen.“                                        Wasseroberfläche erreichen zu den verschiedenen
                                                                                                                                       Jahreszeiten den Meeresboden? Was passiert beim
                                                                                                                                       Absinken? Wie ändert sich ihre Menge und Zusam-
                                                                       Vor der mauretanischen Küste beim Cap Blanc nimmt               mensetzung?
                                                                       die „Meteor“ die Sinkstoff-Fallen an Bord. Dies ist
                                                                       der Standort einer Einrichtung, von der Professor Dr.           „Das Observatorium ermöglicht es uns, die Auswirkun-
                                                                       Michal Kucera sagt, sie sei ziemlich einmalig – dem             gen des Klimawandels auf die Biodiversität und Pro-
                                                                       Cap-Blanc-Observatorium. Aufgebaut wurde es 1988                duktivität des Meeres über mehrere Dekaden zu unter-
                                                                       auf Initiative von Professor Dr. Gerold Wefer, Grün-            suchen. Somit können wir direkte Beobachtungen mit
                                                                       dungsdirektor des MARUM – Zentrum für Marine                    Datenreihen aus der Erdgeschichte verbinden, die in
                                                                       Umweltwissenschaften der Universität Bremen, einer              Sedimenten des Ozeanbodens gespeichert sind“, sagt
                                                                       Mitgliedseinrichtung der U Bremen Research Alliance.            Michal Kucera. „Der Ozeanboden ist eine einzigartige
                                                                       Zwei Verankerungen mit Sinkstoff-Fallen sind dort               Quelle von Informationen. Wir nutzen sie, um Ände-
                                                                       seitdem auf variablen Positionen dauerhaft vorhanden.           rungen in der Vergangenheit zu entschlüsseln und so
                                                                       Fast jedes Jahr steuert ein Forschungsschiff das Gebiet         besser zu verstehen, was im Ozean künftig unter be-
                                                                       an, werden die Fallen an Bord geholt, die Proben ge-            stimmten Bedingungen passieren wird.“
                                                                       borgen, die Geräte gewartet und erneut auf dem Mee-
                                                                       resboden verankert. Auch Partnerinstitutionen aus der           71 Prozent der festen Erdoberfläche macht der Oze-
                                                                       U Bremen Research Alliance wie das Alfred-Wegener               anboden aus, im Durchschnitt befindet er sich 3.700
                                                                       -Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeres-             Meter unter dem Meeresspiegel. Von einer weitge-
                                                                       forschung, nutzen die Einrichtung.                              hend unerforschten Schnittstelle im System Erde, ei-
                                                                                                                                       ner empfindlichen Oase des Lebens, mit vielfältigen
                                                                       Die Region ist voller Leben. Aus der Tiefe steigt nähr-         Funktionen für den Planeten spricht Kucera. „Dort fin-
                                                                       stoffreiches Wasser empor. Es trifft auf Saharastaub,           den Prozesse statt, die das Klimasystem, den globalen
                                                                       den der Wind herüberträgt und der voller Spurenele-             Kohlenstoffkreislauf und die biologische Produktivität
Das Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
3.700
                                                               den ablagern. Mithilfe von
10   „Ich wollte mich fachlich                                 Überresten dieser plankto-                                                                                                                                                                11
                                                               nischen Einzeller lässt sich
     weiterentwickeln. Und da-                                 der Zustand des Planktons
     für war Bremen die richtige                               in vorindustrieller Zeit rekon-
                                                               struieren. Vergleicht man die
     Stelle. In unserem Feld ist                               Zusammensetzung der Fos-
                                                                                                                                                                  Meter unter dem Meeresspiegel
                                                                                                                                                                 befindet sich im Durchschnitt der

     Bremen eine Größe; es ist ein                             silien mit Material aus Sink-                                                                                        Tiefseeboden.

                                                               stoff-Fallen, zeigt sich, dass
     Mekka der Meeresforscher.“                                seit Beginn der Industrialisie-
                                                               rung und dem damit einher-
                                                               gehenden Klimawandel gan-
                                                               ze Artengemeinschaften des
     des Weltozeans beeinflussen.“ Der Ozeanboden ist Ar-      Planktons ihre angestamm-
     chiv für Umwelt- und Klimaveränderungen, einzigarti-      ten Gebiete bereits verlassen
     ger Lebensraum und bedrohtes Ökosystem in einem.          haben. „Durch die Langzeit-                                             gut sogar, denn der Wettbewerb um die Förderung
                                                               beobachtung können wir die                                              ist intensiv. „Dass wir das geschafft haben, ist auch
     Der Mikropaläontologe und seine Kollegin, die Biolo-      Einwanderung neuer Arten,                                               eine Bestätigung der gezielten, klugen und verlässli-
     gin Dr. Julie Meilland, erforschen das Plankton, also     das Verschwinden anderer                                                chen Unterstützung des Schwerpunktes Meereswis-               Die Sinkstoff-Falle fängt Planktonpartikel
     Kleinstlebewesen, die sich in den lichtdurchfluteten      und damit die Auswirkungen                                              senschaften durch das Land Bremen“, meint Kucera.             in verschiedenen Wassertiefen ein.
     obersten Wasserschichten der Ozeane bilden. Sie be-       des Klimawandels auf die                                                „Der große Vorteil des Clusters ist, dass wir uns lang-
     wegen sich nicht aus eigener Kraft fort, sondern lassen   Biodiversität nachvollziehen“,                                          fristig auf unsere Forschung konzentrieren können,
     sich treiben. Nach dem Tod sinken die Planktonpartikel    sagt Kucera.                         Aus Proben der Sinkstoff-Fallen    ohne alle zwei Jahre neue Förderungsanträge stel-
                                                                                                    extrahiert Dr. Julie Meilland
     als mariner Schnee gen Boden – und werden auf dem                                                                                 len zu müssen.“ Und er hilft, dringend benötigte und
                                                                                                    die Foraminiferenart „Orbulina
     Weg von den trichterartigen Sinkstoff-Fallen eingefan-    Und dann ist da noch die             universa“, die wie kleine Kugeln   teure Infrastrukturen mitzufinanzieren, wie etwa das
     gen. An deren unterem Ende sind 20 Flaschen auf einer     Sache mit dem Kohlenstoff-           aussieht.                          MARUM-Observatorium vor Cap Blanc oder Spezial-                    Hightech in der
     Art Karussell installiert, das sich je nach Programmie-
     rung alle 20 oder 30 Tage um eine Position dreht und
                                                               kreislauf: Ein Teil des Plank-
                                                               tons bindet Kohlendioxid und
                                                                                                                                       geräte, mit denen die Forschenden Bohrkerne aus dem
                                                                                                                                       Ozeanboden gewinnen.
                                                                                                                                                                                                          Tiefseeforschung
     dabei eine Probe des absinkenden Materials nimmt.         nimmt es mit auf den Meeresboden. Wie viel dieses                                                                                          Roboter, die autonom bis zu einer Was-
     Dieses organische Material wird später in Laboren des     Treibhausgases wird dort gespeichert? Und wie genau                     Kucera, aufgewachsen weitab jeden Ozeanes in der                   sertiefe von 5.000 Metern abtauchen;
     MARUM und der Partnerinstitutionen untersucht.            funktioniert der Transfer von Kohlenstoff von der Oze-                  Tschechoslowakei, kam über das Studium der Geolo-                  Bohrgeräte, die bis 200 Meter tief in den
                                                               anoberfläche bis zum Meeresboden? An dieser „biolo-                     gie zur Meeresforschung. Nach Promotion in Göteborg                Meeresboden vordringen, oder eben Sink-
     Ein wichtiger Bestandteil des Planktons sind Fora-        gischen Pumpe“ forscht Julie Meilland. Auch ihr Spe-                    sowie Stationen in den USA, in England und Tübingen,               stoff-Fallen in der Wassersäule am Cap
     miniferen, deren Kalkgehäuse sich am Meeresbo-            zialgebiet sind die Foraminiferen und der Kohlenstoff,                  wechselte er vor zehn Jahren nach Bremen. „Ich wollte              Blanc: In den extremen Bedingungen der
                                                               den sie in ihren Schalen am Meeresboden speichern.                      mich fachlich weiterentwickeln. Und dafür war Bremen               Tiefsee wären Umweltbeobachtungen
                                                                                                                                       die richtige Stelle. In unserem Feld ist Bremen eine               ohne innovative Technologien nicht mög-
                                                               Julie Meilland und Michal Kucera forschen im Exzel-                     Größe; es ist ein Mekka der Meeresforscher.“ Nicht viel            lich. Weltweit gibt es nur wenige Institu-
                                                               lenzcluster „Der Ozeanboden – unerforschte Schnitt-                     anders war das bei Julie Meilland, gebürtige Französin,            tionen, die über eine ähnliche Flotte mo-
                                                               stelle der Erde“. In diesem Verbund arbeiten Wis-                       die über Stationen in Norwegen und Frankreich nach                 derner Unterwassersysteme verfügen wie
                                                               senschaftler:innen verschiedenster Disziplinen der                      Bremen kam.                                                        das MARUM. Sie werden auch von For-
                                                               Meereswissenschaften aus der Region Bremen zusam-                                                                                          schenden der U Bremen Research Alliance
                                                               men. Unter ihnen befinden sich Forschende aus meh-                      2025 wird erneut über die Exzellenzstrategie und damit             genutzt und gemeinsam mit Partner:in-
                                                               reren Einrichtungen der U Bremen Research Alliance,                     die Fortführung des Clusters entschieden. „Das Klima“,             nen aus der Industrie weiterentwickelt.
                                                               wie dem Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum                      prognostiziert Kucera, „wird sich weiter ändern. Es wird           Diese Kompetenzen soll das neue Innova-
                                                               für Polar- und Meeresforschung, dem Max-Planck-In-                      sich schneller ändern. Umso wichtiger wird es sein, die            tionszentrum für Tiefsee-Umweltüberwa-
                                                               stitut für Marine Mikrobiologie, dem Leibniz-Zentrum                    Auswirkungen auf den Ozean und das Leben im Meer                   chung am MARUM ausbauen. Es will das
                                                               für Marine Tropenforschung und eben dem MARUM                           weiter zu beobachten und zu untersuchen.“ Je länger                technische Know-how in der Meeresfor-
                                                               der Universität Bremen, unter dessen Dach der Exzel-                    die Beobachtungsreihen werden, desto besser können                 schung verstärken, indem es konsequent
                                                               lenzcluster angesiedelt ist.                                            die beobachteten Veränderungen zugeordnet, verstan-                ingenieurswissenschaftliche Ansätze mit
                                                                                                                                       den und prognostiziert werden. Das Cap-Blanc-Obser-                wissenschaftlichen Anforderungen ver-
                                                               Finanziert von Bund und Ländern sollen solche Cluster                   vatorium bietet dafür ideale Voraussetzungen.                      bindet. Ziel ist die Entwicklung innovativer
                            Kam aus Frankreich zur
                            Forschung nach Bremen:             international sichtbare Spitzenforschung ermöglichen.                                                                                      und nachhaltiger Umweltbeobachtungs-
                            Dr. Julie Meilland.                Wer diesen Status erreichen will, muss gut sein, sehr                   www.marum.de                                                       systeme für die Meeresforschung.
Das Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
12
                  Aufklärer der                                                                                                                                                                               13

               Klimakrise: Bremen
                im Weltklimarat
                                                                                         Marktstraße 3 im Zentrum von Bremen, ein schmuck-
                                                                                         loses Bürogebäude unweit von Rathaus, Bürgerschaft
                                                                                         und Dom: Unten im Erdgeschoss offeriert eine Ket-
                                                                                         te ihre Kaffeeprodukte. Oben im fünften Stock wird
                                                                                         buchstäblich Klimageschichte geschrieben, ganz
                                                                                         unaufgeregt. Hier ist die Geschäftsstelle der Arbeits-
     Er dokumentiert das Wissen der Welt zu den Auswirkungen                             gruppe II des Weltklimarates zu Hause. Ein Team von
                                                                                         zwölf Mitarbeitenden unter Leitung des Meeresbiolo-
     des Klimawandels auf Ökosysteme und Artenvielfalt, auf                              gen Hans-Otto Pörtner.
     Mensch und Natur: Im Februar verabschiedet die Arbeits­                                                                                                Ruft zum Handeln auf:
                                                                                         Den Stand der Forschung zum Klimawandel zusam-
     gruppe II des Weltklimarates ihren Sachstandsbericht.                               menzufassen und zu bewerten, der Politik eine wis-
                                                                                                                                                            Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner,
                                                                                                                                                            Meeresbiologe am AWI.

     Ko-Vorsitzender des einflussreichen Gremiums ist ein Bremer:                        senschaftsbasierte Grundlage für ihre Entscheidun-
                                                                                         gen zu liefern, ist die Aufgabe des Weltklimarates. 195
     Professor Dr. Hans-Otto Pörtner, Kooperationsprofessor vom                          Staaten sind im „Intergovernmental Panel on Climate
                                                                                         Change“ (IPCC) vertreten, so die englischsprachige
     Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar-und                             Bezeichnung der zwischenstaatlichen, unabhängigen         gende Botschaft ist bereits jetzt klar. „Weiterdaddeln
     Meeresforschung (AWI) und der Universität Bremen.                                   Institution, die 1988 von den Vereinten Nationen ge-      wie bisher geht nicht“, sagt Pörtner. „Wir sind Zeitzeu-
                                                                                         gründet worden ist. In Sachstandsberichten tragen         gen der existentiellsten Krise des Planeten, der Na-
                                                                                         drei Arbeitsgruppen regelmäßig das Klima-Wissen           tur, der Menschheit. Noch haben wir die Hebel in der
                                                                                         der Welt zusammen.                                        Hand. Aber wir müssen auch bereit sein, sie zu bewe-
                                                                                                                                                   gen. Mit dem Klima können wir keine Verhandlungen
                                                   Eine Folge des Temperaturanstiegs
                                                            im Meer: Erst bleichen die                                                             führen; Naturgesetze müssen wir respektieren.“

                                                                                         „Weiterdaddeln wie bisher
                                                           Korallen, dann sterben sie.
                                                                                                                                                   Über einen Zeitraum von drei Jahren hat das Team
                                                                                         geht nicht. Wir sind Zeitzeu-                             an der Marktstraße mit Wissenschaftler:innen aus
                                                                                                                                                   der ganzen Welt kommuniziert, hat sie unterstützt in
                                                                                         gen der existentiellsten Krise                            wissenschaftlichen, organisatorischen, technischen
                                                                                         des Planeten, der Natur, der                              Fragen und das Wissen zusammengefügt. Etwa 280
                                                                                                                                                   Hauptautorinnen sind an dem Bericht beteiligt – Bio-
                                                                                         Menschheit.“                                              log:innen, Geolog:innen, Umweltphysiker:innen und
                                                                                                                                                   viele andere Disziplinen, oft die besten ihrer Zunft.
                                                                                                                                                   Alle sind wie Pörtner auch ehrenamtlich dabei. Her-
                                                                                         Im Februar ist es wieder so weit. Dann verabschiedet      ausgekommen ist ein voraussichtlich gut 2000 Sei-
                                                                                         die Arbeitsgruppe II, deren Ko-Vorsitzender Pörtner       ten starker Report, unterteilt in 18 Kapitel. Sie befas-
                                                                                         ist, ihre Ergebnisse. „Folgen des Klimawandels, Ver-      sen sich mit einzelnen Weltregionen, mit besonders
                                                                                         wundbarkeit und Anpassung“ lautet der Titel ihres         gefährdeten Systemen wie den tropischen Regen-
                                                                                         Hauptberichts im 6. Berichtszyklus. Mit den Folgen        wäldern oder den Polargebieten, mit der Artenvielfalt,
                                                                                         des Klimawandels für Ökosysteme und Artenvielfalt,        mit Ozeanen, der Waldwirtschaft und der Nahrungs-
                                                                                         mit der Verwundbarkeit von Mensch und Natur, mit          mittelproduktion.
                                                                                         den Möglichkeiten und Grenzen der Anpassungsfä-
                                                                                         higkeit der Systeme beschäftigt er sich. Auch ent-        Die gut 30-seitige politische Zusammenfassung
                                                                                         hält der Bericht Prognosen etwa darüber, wie viel         des Berichts wird im Februar auf der einwöchi-
                                                                                         Lebensraum der Mensch durch den Klimawandel               gen Vollversammlung des Weltklimarates mit rund
                                                                                         verliert oder wie die Mortalität durch die globale Er-    500 Regierungsvertreter:innen diskutiert. „Wir als
                                                                                         wärmung steigt.                                           Ko-Vorsitzende haben die Aufgabe, diesen Prozess zu
                                                                                                                                                   koordinieren und zu leiten“, sagt Pörtner, der sich die
                                                                                         Der Entwurf ist noch vertraulich, aber eine grundle-      Aufgabe mit der Südafrikanerin Debra Roberts teilt.
Das Wissenschafts-Magazin der U Bremen Research Alliance
Disziplinen und Institutionen hinweg. Dafür ist die       gefrorenen Systemen der Erde. Welche Wirkung auf
14                                                                                                                      Allianz ein sehr gutes Beispiel.“                         das Klima er sich von dem Bericht erhofft? „Dass            15
                                                                                                                                                                                  wir es schaffen, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad
                                                                                                                        Mittelpunkt seiner Forschung sind der Naturraum           Celsius zu begrenzen. Wir sind in den zehn entschei-
                                                                                                                        Ozean und die Auswirkungen des Klimawandels auf           denden Jahren der Klimapolitik. Wenn wir jetzt nicht

                                                                                                             3
                                                                                                                        das Leben im Meer. Drei zentrale Faktoren bestim-         die Dinge umdrehen, wird uns das Klima möglicher-
                                                                                                                        men die Veränderungen: der Temperaturanstieg, die         weise davonlaufen.“
                                                                                                                        zunehmende Sauerstoffarmut und die Versauerung
                                                                                                                        durch die steigende Aufnahme von Kohlendioxid.            In diesem Jahr steht noch ein weiterer Bericht an, der
                                                                                                                        „Tiere sind spezialisiert auf ein begrenztes Tempera-     die Ergebnisse der drei Arbeitsgruppen des Weltkli-
                                                                                                                        turfenster. Der antarktische Fisch stirbt bei drei Grad   marates zusammenfasst. Im November dann folgt
                                                                                                Grad Celsius bedeutet   Celsius den Hitzetod“, sagt er. Eine Folge der Erwär-     die UN-Klimakonferenz in Ägypten. 2023 endet seine
                                                                                                 den Hitzetod für den   mung ist die Artenwanderung. Die Wechselwirkun-           Amtszeit. Doch der Klimawandel schreitet weiter fort,
                                                                                                 antarktischen Fisch.   gen zwischen den Arten ändern sich, neue Ökosys-          und mit ihm das Berichtswesen. Ist das 1,5 Grad-Ziel
                                                                                                                        teme entstehen. „Wie funktionieren sie? Das ist eine      noch erreichbar? Pörtner ist verhalten optimistisch.
        Stadtbegrünung – wie hier in Singapur –                                                                         von vielen Fragen, die ich beantworten möchte.“           „Ja“, sagt er, die Betonung liege jedoch eindeutig auf
        soll helfen, das Mikroklima zu verbessern                                                                                                                                 „noch“. Und dann folgt das Aber: „Wir müssen bereit
        und extreme Hitze durch Kühlung zu mildern.
                                                               Das ist nicht nur eine Auszeichnung für ihn als Wis-                                                               sein für eine tiefgreifende Transformation, und zwar
                                                               senschaftler und Person, sondern auch für das AWI                                                                  jetzt. Was zu tun ist, ist bekannt.“
                                                               sowie insgesamt für den Wissenschaftsstandort            „Gute Wissenschaft geht
                                                               Bremen und die U Bremen Research Alliance. Der           nur gemeinsam, über die                                   www.ipcc.ch/working-group/wg2/
                                                               Biologe kam 1995 ins Bundesland Bremen, übernahm
                                                               dort die Leitung der Forschungsgruppe für Integrative    Grenzen der Disziplinen und
     Die Ko-Vorsitzenden sind dann weniger als Wissen-
     schaftler:innen gefragt, sondern als Diplomat:innen,
                                                               Ökophysiologie am AWI. Obwohl es an Anfragen aus
                                                               anderen Wissenschaftsstandorten nicht mangelte,
                                                                                                                        Institutionen hinweg. Dafür                                          Ausgezeichnete
     als Vermittler:innen – und als Personen mit dem           blieb er in Bremen. „Wir haben am AWI über die Jahre     ist die Allianz ein sehr                                             Klimamodellierung
     Hammer. Wort für Wort, Zeile für Zeile des Entwurfs       Forschungsmöglichkeiten aufgebaut, die sich nicht
     werden debattiert. „Sie glauben gar nicht, was da         überall finden“, meint Pörtner.
                                                                                                                        gutes Beispiel.“                                                     Spätestens seit Veröffentlichung des ers-
     noch an Wünschen kommen kann“, sagt der 66-jähri-                                                                                                                                       ten Teils des 6. Sachstandsberichtes des
     ge mit einem leichten Stöhnen. Ist Einigung über eine     Ein weiterer Faktor für sein Bleiben ist der enge Aus-                                                                        Weltklimarates vom Sommer 2021 kann es
     Formulierung erzielt, lässt er wie bei einer Auktion      tausch der Wissenschaft im Bundesland Bremen. Als        Im Weltklimarat hat es Pörtner mit Kolleg:innen ganz                 keinen Zweifel mehr daran geben: Mensch-
     den Hammer niedersausen. Dann springt die gelbe           Kooperationsprofessor ist Pörtner gleich für zwei Mit-   verschiedener Disziplinen zu tun. Dabei geht es nicht                liches Handeln ist verantwortlich für die glo-
     Schrift für strittige Formulierungen um auf Grün.         gliedseinrichtungen der U Bremen Research Alliance       nur um naturwissenschaftliche Fragen, sondern auch                   bale Erwärmung. Als koordinierende Leit-
                                                               tätig: für das AWI und für die Universität Bremen, an    um die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fol-                  autorin am Bericht der Arbeitsgruppe I, die
     Der Bericht ist ein Konsensprodukt, natürlich. Er wird    der er lehrt und Promovierende betreut. „Gute Wis-       gen der Klimakrise, etwa beim Fischfang. „Man muss                   die naturwissenschaftlichen Grundlagen
     gemeinsam verabschiedet von Wissenschaft und              senschaft geht nur gemeinsam, über die Grenzen der       die interdisziplinären Zusammenhänge sehen und die                   des Klimawandels zusammenfasst, ist daran
     Regierungen, fließt in deren Handeln mit ein. „Wir                                                                 Scheuklappen seines Fachs überwinden“, beschreibt                    eine Wissenschaftlerin aus Bremen beteiligt
     haben direkten Zugang zu den Regierungen und kön-                                                                  Pörtner eine Anforderung an seine Arbeit. So hat er                  gewesen: Professorin Dr. Veronika Eyring.
     nen Informationen unmittelbar in den Politikprozess                                                                im Sommer 2021 gemeinsam mit dem Weltbiodiver-                       Sie hat den Lehrstuhl für Klimamodellierung
                                                                            Zeit für Aktionen:
     einschleusen. Das ist der große Vorteil des Weltkli-                                                               sitätsrat eine Studie vorgelegt, die den Dreiklang aus               an der Universität Bremen inne. Zugleich
                                                                            Hans-Otto Pörtner auf
     marats“, sagt Pörtner. Ein Vetorecht habe die Politik                  der 25. Weltklima-                          Emissionsschutz, nachhaltigem Artenschutz und so-                    leitet sie die Abteilung für Erdsystemmo-
     nicht. „Die Wissenschaft hat das letzte Wort. Die                      konferenz in Madrid.                        zialer Gerechtigkeit erstmals thematisierte. „Dass wir               dellevaluierung und -analyse am Institut
     Wünsche der Regierungen können nie so weit gehen,                                                                  diesen Zusammenhang aufgezeigt und mit Fakten                        für Physik der Atmosphäre des Deutschen
     dass sie wissenschaftlichen Aussagen verändern.“                                                                   etabliert haben – darauf bin ich stolz.“ Nicht weniger               Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Ober-
                                                                                                                        stolz ist er, mitgeholfen zu haben, die Ozeane in den                pfaffenhofen. Schwerpunktmäßig forscht
     Pörtner engagiert sich seit Langem für den Weltkli-                                                                Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen zu ver-                    die Wissenschaftlerin – Anfang 2021 mit
     marat. Zunächst als Autor, später als Leitautor für das                                                            ankern. „Für die Meeresforschung ist das ein großer                  dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis aus-
     Kapitel Ozeansysteme. Als er 2015 gefragt wurde,                                                                   Erfolg.“                                                             gezeichnet, dem wichtigsten Forschungs-
     ob er sich als Ko-Vorsitzender zur Wahl stellen wol-                                                                                                                                    förderpreis in Deutschland – zur Erdsys-
     le, zögerte er nicht lange. Nach Professor Dr. Ottmar                                                              Für drei Sonderberichte des Weltklimarates im 6. Be-                 temmodellierung. Ziel ist ein besseres
     Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenfor-                                                                 richtszyklus trug Pörtner bislang Mitverantwortung,                  Verständnis des Erdsystems und des Klima-
     schung ist er erst der zweite Deutsche an der Spitze                                                               zur globalen Erwärmung um 1,5 Grad, zu Landsys-                      wandels zu erreichen.
     einer Arbeitsgruppe.                                                                                               temen sowie zu Ozeanen und der Kryosphäre, den                       www.iup.uni-bremen.de
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www.uni-bremen.de/research-alliance

Impressum/Fotonachweis

Herausgeber: U Bremen Research Alliance e. V.

Redaktion und Text: Rainer Busch

Korrektorat und Lektorat: Dr. Maria Zaffarana

Gestaltung: Büro 7 visuelle Kommunikation GmbH

Fotos: Jens
          Lehmkühler, außer Titel unten rechts: Korallen / The Ocean Agency;
Seite 8 und 11: Sinkstoff-Fallen / Jan-Berend Stuut – NIOZ;
Seite 12: Korallen / The Ocean Agency;
Seite 13: Porträt Pörtner / Kerstin Rolfes; Seite 14 unten: IPCC

Druck: Print74
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