Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 1 | 2018 47. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege Baden ...
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Denkmalpflege 1 | 2018 in Baden-Württemberg 47. Jahrgang N A C H R I C H T E N B L AT T D E R L A N D E S D E N K M A L P F L E G E
Inhalt 1 Editorial 50 Zwei Heiligenfiguren in der katholischen Marienkirche in 2 Erleben, was uns verbindet Bad Mergentheim Das Europäische Kulturerbejahr 2018 in Nachtrag zum ursprünglichen Aufstel- Baden-Württemberg lungskontext Ikora-Bowlengefäß aus dem Christian Bollacher / Irene Plein / Dagmar Zimdars Tim Heilbronner historischen Warenarchiv der WMF. Foto: Heinz Scheiffele, Süßen. 10 Die Schlosskirche zum Hl. Kreuz 55 Beton und seine wachsende Rolle in Rastatt in der Denkmalpflege Wiedereröffnung eines „Raumwun- Teil 4: Frühe Betonfertigteile für Kunst- ders“ der Gegenreformation steinfassaden in Baden-Württemberg Johannes Wilhelm Geraldine Buchenau 18 Maßgeschneidert von der Stange 61 Auf den Spuren einer frühen Typen-Tankstellen der Nachkriegszeit Peter Huber „Industrielandschaft“ Eisenerzgewinnung und Herrschafts- 23 „Alles Schöne, was man so strukturen im Albvorland braucht“ Jörg Bofinger / Guntram Gassmann / Anke K. Scholz Das historische Warenarchiv der WMF in Geislingen an der Steige 67 Denkmalporträt Dieter Büchner Amalgam und Zungenzange 31 Bauforschung am Ulmer Münster Eine Zahnarztpraxis der Nachkriegszeit Denkmalpflege 2012 bis 2017 in Bietigheim-Bissingen in Baden-Württemberg Eine Projektkooperation zwischen dem Dieter Büchner / Andrea Steudle N A C H R I C H T E N B L AT T DER LANDESDENKMALPFLEGE Landesamt für Denkmalpflege und der 69 Ortstermin Otto-Friedrich-Universität Bamberg Feuerrotes Mobile 1/ 2018 47. Jahrgang Stefan Breitling / Tobias Apfel / Claudia Eckstein Die Restaurierung des „Roten Otto“ Herausgeber: Landesamt für Denkmal- 38 Der Salemer Pfleghof in Esslingen in Freiburg-Landwasser pflege im Regierungspräsidium Stuttgart. Hendrik Leonhardt Berliner Straße 12, 73728 Esslingen a.N. Neue baugeschichtliche Erkenntnisse gefördert vom Ministerium für Wirtschaft, während der Fassadeninstandsetzung Arbeit und Wohnungsbau Baden-Würt- 71 Rezension temberg – Oberste Denkmalschutzbe- Markus Numberger hörde. 71 Mitteilungen Verantwortlich im Sinne des Presserechts: 44 Moderne Kirchen braucht die Stadt Präsident des Landesamtes für Denkmal- Die Sakralbauten Helmut Strifflers in 74 Personalia pflege Prof. Dr. Claus Wolf Schriftleitung: Dr. Irene Plein Mannheim Stellvertretende Schriftleitung: Eva Seemann Grit Koltermann Redaktionsausschuss: Dr. Andrea Bräuning, Dr. Dieter Büchner, Dr. Andreas Haasis-Berner, Dr. Dörthe Jakobs, Daniel Keller, Dr. Melanie Mertens, Dr. Claudia Mohn, Dr. Anne- Christin Schöne, Susann Seyfert, Dr. Elisabeth Stephan Produktion: Verlagsbüro Wais & Partner, Stuttgart Lektorat: André Wais / Tina Steinhilber Gestaltung und Herstellung: Hans-Jürgen Trinkner, Rainer Maucher Druck: Bechtle, Esslingen Postverlagsort: 70178 Stuttgart Erscheinungsweise: vierteljährlich Auflage: 27500 Dieser Ausgabe liegt eine Beilage der Bankverbindung: Denkmalstiftung Baden-Württemberg Landesoberkasse Baden-Württemberg, bei. Sie ist auch kostenlos bei der Baden-Württembergische Bank Karlsruhe, Geschäftsstelle der Denkmalstiftung IBAN DE02 6005 0101 7495 5301 02 Baden-Württemberg, Charlottenplatz 17, BIC SOLADEST600. Nachdruck nur mit schriftlicher Geneh- 70173 Stuttgart, erhältlich. Desweiteren Verwendungszweck: migung des Landesamtes für Denkmal- liegen dieser Ausgabe das Jahres-Inhalts- Öffentlichkeitsarbeit Kz 8705171264618. pflege. Quellenangaben und die Über- verzeichnis des Jahrgangs 2017 und die lassung von zwei Belegexemplaren Wenn Sie eine Spendenbescheinigung wünschen, Stiftungsnachrichten der Förderstiftung an die Schriftleitung sind erforderlich. bitte Name und Anschrift angeben. Archäologie in Baden-Württemberg bei.
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, „Sharing Heritage – Sharing Values“ ist das Motto des von der Europäischen Kommission für 2018 aus- gerufenen Europäischen Kulturerbejahres (ECHY = European Cultural Heritage Year). Zahlreiche Pro- jekte wurden mittlerweile initiiert, die aus diesem Anlass die Vielfalt und integrative Kraft des ge- meinsamen europäischen kulturellen Erbes ins Be- wusstsein der Öffentlichkeit bringen sollen. Auch die Landesdenkmalpflege Baden-Württemberg ist in etliche nationale und transnationale Vorhaben eingebunden, über die wir Sie im vorliegenden Nachrichtenblatt ausführlich informieren. Das erste Denkmalschutzjahr 1975 war von para- digmatischer Bedeutung für die moderne Denk- malpflege, und es bleibt zu hoffen, dass ECHY 2018 eine ähnliche Strahlkraft entwickelt wie sein Vorbild vor nunmehr fast zwei Generationen. Aller- dings weist der diesjährige Leitgedanke über das einstige Motto von 1975 hinaus, das eng auf Denk- malschutz und Denkmalpflege beschränkt war. Es geht nun eben nicht mehr ausschließlich um das Albvorland über bauhistorische Analysen in Esslin- gemeinsame materielle, sondern auch um das im- gen und Ulm bis hin zu Fragen der modernen Be- materielle kulturelle Erbe und um die gemeinsa- tonkonservierung. Berichte über den „Roten Otto“ men Werte, die damit verbunden und geteilt wer- in Freiburg, eine Zahnarztpraxis der 1950er Jahre den. Dass sich dies nicht auf einen Kontinent be- aus Bietigheim-Bissingen und die Ausstattung der grenzen lässt, dass dieses zu bewahrende Erbe Rastatter Hofkirche illustrieren einmal mehr die nicht exklusiv europäisch ist, sondern letztlich als Bandbreite des denkmalpflegerisch betreuten kul- ein allen Menschen gemeinsames kulturelles Erbe turellen Erbes in Südwestdeutschland. Wie schon betrachtet werden muss, erlaube ich mir an dieser erwähnt, ist der Leitsatz von ECHY 2018 ein um- Stelle anzumerken. Trotz seines internationalen fassender und schließt das immaterielle Erbe Anspruchs müssen die Aufgaben, mit denen ECHY ebenso mit ein wie auch die Teile des materiellen 2018 an die Denkmalpflege herantritt, jedoch Erbes, deren Erhalt etwa den Archiven oder Mu- auch im regionalen Kontext bearbeitet werden. seen obliegt. Insofern ist der obige Hinweis auf die Neben den Impulsen, die von den speziell für die- nötige ideelle wie finanzielle Unterstützung und ses Jahr ins Leben gerufenen Leuchtturmprojekten Würdigung auf sämtliche mit dem Erhalt, der ausgehen werden, gilt es, die Aufmerksamkeit der Pflege und der Erforschung des kulturellen Erbes Öffentlichkeit also weiterhin auf die denkmalpfle- befassten Personen wie Institutionen auszudeh- gerische Alltagsarbeit zu lenken und auch künf- nen. Ohne sie, ohne eine geistes- und naturwis- tig die dafür benötigten Mittel bereitzustellen. Die senschaftliche Grundlagenforschung, ohne sich vielfältigen Fördermöglichkeiten, mit denen das weiterentwickelnde Museen und Archive, aber Land Baden-Württemberg denkmalpflegerische auch ohne die freiheitlichen Werte einer demokra- Maßnahmen unterstützt, und die in den letzten tischen Gesellschaft nebst ihrer Diskurse ist eine Jahren ausgebaute personelle Ausstattung der moderne Denkmalpflege nicht denkbar. Dies spie- Bau- und Kunstdenkmalpflege wie der archäolo- gelt sich in den Aufsätzen des vorliegenden Nach- gischen Denkmalpflege gleichermaßen sind in die- richtenblattes wider, bei dessen Lektüre ich Ihnen sem Zusammenhang beispielhaft. Einige mit staat- viel Freude wünsche. licher Hilfe ermöglichte Maßnahmen finden Sie im aktuellen Nachrichtenblatt vorgestellt. Sie reichen Prof. Dr. Claus Wolf von montanarchäologischen Untersuchungen im Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018 1
Erleben, was uns verbindet Das Europäische Kulturerbejahr 2018 in Baden-Württemberg 2018 ist europäisches Kulturerbejahr! Ziel dieses Jahres ist es, das Bewusstsein für die soziale und wirtschaftliche Bedeutung des kulturellen Erbes zu schärfen und zu zeigen, wie wichtig das Kulturerbe für die Förderung eines gemeinsa- men Identitätsgefühls und für die Gestaltung der Zukunft Europas ist. Aktuell ist die EU mit vielfältigen politischen und sozialen Herausforderungen konfron- tiert. Es werden hohe Erwartungen an ihre Rolle in der Weltpolitik gestellt, aber es sind auch Europaskepsis und Fragmentierungstendenzen innerhalb der Gemeinschaft zu beobachten. Vor diesem Hintergrund besinnen sich die EU- Staaten auf ihre gemeinsamen Wurzeln und deren integratives Potenzial. Un- ter dem Motto „Where the past meets the future“ hat sie daher das Europäi- sche Kulturerbejahr ausgerufen, das in Deutschland unter dem Motto „Sharing Heritage“ läuft (Abb. 1). Geplant ist, ein möglichst breites Publikum zu errei- chen, insbesondere Kinder und Jugendliche, lokale Gemeinschaften und Men- schen, die bisher andere Interessensschwerpunkte hatten, und sie zu motivie- ren, sich mit ihrem kulturellen Erbe auseinanderzusetzen und sich für dessen Erhalt zu engagieren. Im Folgenden soll der Beitrag der baden-württembergi- schen Denkmalpflege zu diesem Themenjahr aufgezeigt werden. Christian Bollacher / Irene Plein / Dagmar Zimdars Ursprung und Umsetzung des wickelt. Bund, Länder, Gemeinden, Kirchen, Fach- Europäischen Kulturerbejahres organisationen, Vereine und private Bürgerinitia- tiven arbeiten im DNK zusammen, um für den Ge- Die Idee zu einem europäischen Kulturerbejahr danken des Denkmalschutzes zu werben, für wurde im Deutschen Nationalkomitee für Denk- seine Nachhaltigkeit und sein Potenzial, sowie um malschutz (DNK) geboren. Dieses wurde 1973 zur neue und qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen. Koordination der deutschen Aktivitäten für das Das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 mar- Europäische Denkmalschutzjahr 1975 gegründet kiert den Beginn „moderner“ Denkmalpflege in und hat sich seitdem zu einer nationalen Schnitt- Westdeutschland (Abb. 2). Es war der Höhepunkt stelle für die Belange des Denkmalschutzes ent- einer Gegenbewegung zu der nach dem Krieg 1a und b Deutsches und internationales Logo des Europäischen Kulturerbe- jahres 2018. 2 D-Mark-Silbermünze zum Europäischen Denk- malschutzjahr 1975. 2 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018
jahrelang geduldeten Abrisswut historischer Bau- Deutsch-französische Gemeinschafts- 3 und 4 Eindrücke vom substanz und wurde von einer breiten Bevöl- projekte zum ehemaligen Konzen- Nationalen Festauftakt kerungsmehrheit getragen. Mit der Wiederauf- trationslager Natzweiler und seinen zum Europäischen Kultur- nahme des Europäischen Kulturerbejahres soll an Außenlagern erbejahr 2018 in Ham- das Europäische Denkmalschutzjahr angeknüpft burg 2018. 3 Von links: Kulturstaats- werden. Entsprechend liegt ein Schwerpunkt des Kurz vor dem Auftakt des Europäischen Kulturer- ministerin Monika Grüt- Europäischen Kulturerbejahres 2018 in Deutsch- bejahres ist bekannt geworden, dass das ehema- ters, DNK-Präsidentin land auf dem baulichen und archäologischen lige Konzentrationslager Natzweiler und 14 rechts Martina Münch, Ham- Erbe. und links des Rheins gelegene Außenlager das Eu- burgs Senator für Kultur Koordiniert wird das Europäische Kulturerbejahr ropäische Kulturerbe-Siegel erhalten. Mit dem Eu- und Medien Dr. Carsten 2018 in Deutschland erneut vom DNK. Unter ropäischen Kulturerbe-Siegel werden Stätten aus- Brosda und Petra Kam- www.sharingheritage.de hat das DNK im Internet gezeichnet, die einen bedeutenden europäischen merevert, Vorsitzende des eine Plattform geschaffen, auf der sämtliche Infor- symbolischen Wert haben und die gemeinsame Ausschusses für Kultur mationen rund um das Jahr, vor allem aber alle Pro- Geschichte Europas, den Aufbau der Europäischen und Bildung im Europäi- jekte und Veranstaltungen abrufbar sind (Stand Fe- Union (EU) sowie die europäischen Werte und die schen Parlament läuten das Jahr ein. bruar 2018: knapp 250 Projekte). In Abstimmung Menschenrechte hervorheben, welche das Fun- 4 Festgemeinde im mit Bund, Ländern und Gemeinden koordiniert es dament der europäischen Integration bilden. Seit prachtvollen Saal des Rat- die Vergabe der Fördermittel, die in Deutschland 2007 wurden 29 europäische Stätten mit dem Sie- hauses. möglichst vielen verschiedenen Projekten aus der gel ausgezeichnet. Im aktuellen Bewerbungsver- Bevölkerung, von Stiftungen, Vereinen, Bürgerini- fahren hatten sich 25 Stätten um das Siegel be- tiativen und Institutionen zukommen. worben, inklusive Natzweiler werden neun histo- Jedes Projekt hat einen Bezug zu einem der fünf rische Stätten das Siegel erhalten. Die offizielle formulierten Leitthemen: 1) Europa: Austausch Verleihung erfolgt Ende März 2018. und Bewegung; 2) Europa: Grenz- und Begeg- Zwischen Mannheim-Sandhofen und Spaichingen, nungsräume; 3) Die Europäische Stadt; 4) Europa: Offenburg und Ellwangen gab es in Baden-Würt- Erinnern und Aufbruch und 5) Europa: Gelebtes temberg etwa drei Dutzend Natzweiler-Außen- Erbe. Daneben sind einige nationale Großereig- kommandos, die teils als Barackenlager auf der nisse geplant: Am 8. Januar fand in Hamburg der grünen Wiese, teils in von der SS-Lagerverwaltung deutsche Auftakt zum Europäischen Kulturerbe- konfiszierten Bestandsgebäuden (z.B. Schulen, Ka- jahr statt (Abb. 3; 4), vom 18. bis 24. Juni 2018 sernen oder Flugzeughangars) eingerichtet wur- wird in Berlin der European Cultural Heritage Sum- den (vgl. den Beitrag im Nachrichtenblatt 1/ 2017). mit begangen, in dessen Zusammenhang unter an- Die meisten dieser Lager entstanden erst im Früh- derem der Europa Nostra Award verliehen wird. Fi- jahr oder Sommer 1944, als die deutsche Rüs- naler Höhepunkt und Möglichkeit für einen Rück- tungsindustrie infolge alliierter Luftoffensiven in blick wird die Europäische Leitmesse denkmal vom eine prekäre Lage geraten war. Durch die mörde- 8. bis 10. November 2018 in Leipzig sein. rische Ausbeutung menschlicher Körperkraft sollte Die Landesdenkmalpflege Baden-Württemberg das Unmögliche möglich gemacht und die vom NS- beteiligt sich mit verschiedenen Projekten am Eu- Regime verfügte „U(ntertage)-Verlagerung“, das ropäischen Kulturerbejahr. Diese unterstützt sie heißt die Translozierung kriegswichtiger Ferti- fachlich und fördert sie finanziell. Dafür wendet sie gungsbetriebe in bombensichere Stollen- und Tun- insgesamt knapp 45 000 Euro Sachmittel auf. nelsysteme, realisiert werden. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018 3
5 Bauliche Hinterlassen- schaften am Standort der KZ-Gedenkstätte Ecker- wald. Ein Zentrum dieser Aktivitäten entwickelte sich im Einen zweiten Schwerpunkt bildete der Natzwei- Umfeld der alten Gipsgruben bei Obrigheim am Un- ler-Komplex entlang der Bahnlinie Tübingen–Rott- teren Neckar, deren Ausbau zu geheimen Rüs- weil. Im Rahmen des „Mineralölsicherungsplans“, tungsfabriken den Produktionsausfall des kriegs- einem 1944 lancierten Geheimprojekt zur Ab- zerstörten Daimler-Benz-Flugmotorenwerks Gens- wendung des akut drohenden Kollapses der deut- hagen (Brandenburg) kompensieren sollte. Allein schen Treibstoffversorgung, wurde hier mit dem hier entstanden – neben diversen Unterkünften für Bau von zehn Schieferöl-Werken begonnen, in de- 6 „Die Aussichtslosigkeit der Gefangenschaft“. Mit freie und Zwangsarbeiter – sechs Außenkomman- nen aus den bitumenreichen Sedimenten des diesem Foto möchten dos des KZs Natzweiler, die so genannten Neckar- Schwarzen Jura Mineralöl gewonnen werden Schüler der Sibilla-Egen- lager, Leidensorte für mehr als 5000 KZ-Häftlinge. sollte. Mit diesen bis April 1945 nur teilweise ver- Schule in Schwäbisch Hall wirklichten und gänzlich ineffizienten Anlagen wa- Trauer, Schmerz und die ren sieben KZ-Außenlager assoziiert, in denen Tragik des Geschehens mehr als 10 000 meist jüdische Häftlinge unter- verdeutlichen. Aufge- gebracht waren – mehr als ein Drittel davon starb. nommen in der KZ-Ge- Insgesamt forderte der KZ-Komplex Natzweiler denkstätte in Hessental etwa 22 000 Opfer aus 30 Nationen. Ihr Tod wurde im Rahmen des Fotopro- vom NS-Regime und seinen Schergen nicht nur jektes. Ort: Zaunpfähle des Konzentrationslagers. hingenommen, sondern durch alle erdenklichen Formen körperlicher Qual und psychischen Terrors 7 Schüler beim Fotopro- forciert. jekt in der Gedenkstätte Die Ereignisse jener Zeit haben tiefe Spuren hinter- Hessental. lassen. Es sind Dinge über den Menschen und die Brüchigkeit moderner Zivilisation offenbar ge- worden, die es ratsam erscheinen lassen, die Erin- nerung daran wachzuhalten, um einer Wiederkehr der Geschehnisse entgegenzutreten. Es ist schon lange ein Anliegen der Landesdenk- malpflege, die in Baden-Württemberg vorhan- denen Relikte des NS-zeitlichen Lagersystems sys- tematisch zu erfassen und unter denkmalpflege- rischen Gesichtspunkten zu evaluieren. Vor dem Hintergrund der allmählich verstummenden Zeit- zeugengeneration rückt die materielle Hinterlas- senschaft des KZ-Terrors zwangsläufig ins Blickfeld einer neuen Aufmerksamkeit (Abb. 5). Das hapti- sche Relikt am historischen Ort entwickelt eine besonders eindringliche Zeugniskraft und kann, sofern es durch inhaltliche Vermittlung in seinen gesellschaftsgeschichtlichen Kontext gestellt wird, zum Impulsgeber historischer Reflexion werden. 4 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018
Darüber hinaus kommt den noch vorhandenen KZ- Denkmal-APP Oberrhein Resten ein wissenschaftlicher Quellenwert zu. Mit „EuropArtToGo“ archäologischen Methoden können dem Boden einstiger Lagerstandorte Informationen abgerun- Unter dem Arbeitstitel „EuropArtToGo“ haben die gen werden, die Lücken der schriftlichen und Dehio-Vereinigung, die Gesellschaft für Schwei- mündlichen Überlieferung zu schließen vermögen. zerische Kunstgeschichte, der Service de l’Inven- Viele Bereiche der Lebenswirklichkeit in den NS- taire et du Patrimoine de la Région Alsace, die Uni- Terrorlagern sind nie aktenkundig geworden. versität Straßburg, das Landesamt für Denkmal- Funde und Befunde können daher nicht nur Be- pflege im Regierungspräsidium Stuttgart sowie die kanntes illustrieren, sondern neue Erkenntnis zur Generaldirektion Kulturelles Erbe Mainz, Landes- baulichen Gestalt und Entwicklung sowie zur lo- amt für Denkmalpflege, ein Projekt angestoßen, gistischen Organisation der Lager, aber auch zu das die Entwicklung der ersten Denkmaltopogra- Herkunft, Größe und Alltagsleben der internierten fie des Oberrheins in Form einer App für Smart- Häftlingsgesellschaft liefern. phones und Tablets zum Ziel hat. Beispiele aus jüngster Zeit haben gezeigt, dass die Im Bewusstsein um das gemeinsame europäische baulichen Überreste des NS-Lagerterrors nach wie Kulturerbe und seine einigende Wirkung soll erst- vor nicht vor unsensibler Behandlung oder ge- mals in einem französisch-schweizerisch-deut- dankenloser Beseitigung gefeit sind. Eine wichtige schen Leuchtturmprojekt das Kulturerbe der Re- Aufgabe des denkmalpflegerischen Projektes be- gion Oberrhein als das Erbe einer gemeinsamen steht darin, mit der Bestandserfassung des noch Kulturlandschaft verstanden, erfasst und veröf- 8 Mandatsgebiet der Vorhandenen die Grundlage zur Erarbeitung eines fentlicht werden (Abb. 8). Durch die Vernetzung Oberrheinkonferenz. nachhaltigen Schutzkonzeptes bereitzustellen, in welchem Wesentliches von Unwesentlichem ge- schieden und Erhaltenswertes unter Denkmal- schutz gestellt wird. Neben dem Startschuss für die sicher mehrjährige Inventarisation der Hinterlassenschaften der KZ- Gedenkstätten schultert das Landesamt für Denk- malpflege gemeinsam mit dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden- Württemberg, der Obersten Denkmalschutzbe- hörde des Landes, dem Verbund der Gedenkstät- ten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler, dem Centre européen du résistant déporté, der Direc- tion régionale des affaires culturelles, Quinz’Art in Straßburg und PLAKAT WAND KUNST im Kul- turerbejahr 2018 ein Projekt, das aus einem Kunst- projekt und einem dazugehörigen pädagogischen Begleitprojekt besteht. Im Rahmen des Kunstpro- jektes werden sich deutsche und französische Künstler paarweise mit dem KZ-Komplex ausein- andersetzen und gemeinsam großformatige Ge- mälde auf Holzwänden gestalten. Zudem haben bereits deutsche und französische Jugendliche aus Schulen in der Nähe der Gedenkstätten diese be- sucht, sich fotografisch unter der Fragestellung „Was bleibt?/Que reste-t-il?“ mit dem Bestand aus- einandergesetzt (Abb. 6; 7), andere Jugendliche werden unter Impulsgebung der Künstler ihre Ein- drücke und Gedanken zu den Gedenkstätten künstlerisch verarbeiten. Die Ergebnisse dieser Aus- einandersetzungen werden gemeinsam mit einem neu zu entwickelnden Lernmodul in eine Wander- ausstellung einfließen, die im Frühsommer 2018 in Natzweiler-Struthof und auch im Haus der Wirt- schaft in Stuttgart gezeigt werden wird. Auch eine filmische Dokumentation, ein Katalog zur Ausstel- lung und ein Begleitprogramm sind geplant. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018 5
der Akteure wird die Zusammenarbeit in der For- medium mit Referenzcharakter an die Hand ge- schung und bei der Entwicklung innovativer digi- geben werden. Ergebnis der Zusammenarbeit in taler Darstellungsmethoden gefördert. diesem Projekt „Kunsttopografie der trinationalen Von den rund 95 000 Bau- und Kunstdenkmalen Metropolregion Oberrhein“ ist ein nach hohen in Baden-Württemberg verzeichnen die grenz- und kunstwissenschaftlichen Maßstäben erstelltes oberrheinnahen Regierungsbezirke Karlsruhe und mehrsprachiges digitales Medium mit georefe- Freiburg alleine um die 57 000. Eine trinationale To- renzierten topografischen Bezügen, mit Abbil- pografie Oberrhein bietet eine große Chance, ba- dungen in Plan und Fotografie und nach Mög- den-württembergisches Denkmalwissen erstmals lichkeit mit touristischen Routenvorschlägen. Die länderübergreifend zu spiegeln. Die Landesdenk- Auswahl der Objekte folgt primär kunsttopologi- malpflege Baden-Württemberg bringt ihr Wissen schen Kriterien der gemeinsamen Kunst- und Kul- über eine Auswahl von Stadtanlagen, Kirchen- turlandschaft. bauten, Schloss- und Festungsbauten, Industrie- „EuropArtToGo“ soll auf der technischen Grund- denkmalen und Einzeldenkmalen in der Modellre- lage der App „SwissArtToGo“ gemeinsam entwi- gion Oberrhein ein. Ihr eröffnet sich damit die ckelt und in einer Pilotfassung im Europäischen Chance, im grenzüberschreitenden Austausch, gat- Kulturerbejahr 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt tungsbezogen und regionübergreifend, Kunst- werden (Abb. 9). bzw. Kulturdenkmale vertiefend zu erkunden. Links und rechts des Rheins, von Weissenburg bis Sonderausstellung „Bewegte Zeiten. Basel, ist der Oberrhein reich an Baudenkmalen Archäologie in Deutschland“ und architektonischen Ensembles von europäi- schem Rang (Straßburger Münster, Rastatter Als Mitglied im Verband der Landesarchäologen Schloss …). Bis heute existiert aber kein leicht vor (VLA) beteiligt sich das Landesamt für Denkmal- Ort zu konsultierendes Informationsmedium, das pflege Baden-Württemberg zudem an dem ge- den aktuellen Wissensstand kurz und prägnant zu- meinsamen Projekt der Landesarchäologie in 9 Screenshot der APP sammenfasst, wie es auch kein den gesamten Deutschland, der großen Sonderausstellung „Be- „SwissArtToGo“, Vorbild für die DenkmalAPP Raum nach einheitlichen Kriterien abdeckendes wegte Zeiten. Archäologie in Deutschland“. Die Oberrhein. Referenzwerk für die verschiedenen Akteure im Be- Ausstellung wird in Kooperation mit dem Museum reich des Kulturtourismus gibt. für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Mu- Durch die Entwicklung einer Denkmaltopografie seen in Berlin von September 2018 bis Januar 2019 des Oberrheins in Form einer App für Smart- im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt werden phones und Tablets wollen die Partner des Projek- (Abb. 10). 10 Martin-Gropius-Bau tes einen innovativen Beitrag zur Vermittlung ihres Thema des Ausstellungsprojektes sind die archä- Berlin, Standort der ge- planten Ausstellung gemeinsamen Kulturerbes leisten. Dem interes- ologische Forschung der letzten 20 Jahre in „Bewegte Zeiten. Archäo- sierten Publikum, einheimischen und fremden Rei- Deutschland, ihre wissenschaftlichen Ergebnisse logie in Deutschland“ des senden, aber auch den im Tourismus- und Kultur- und ihr europäischer Kontext. Rund 1000 heraus- Verbandes der Landes- bereich tätigen Personen soll mit der App „Europ- ragende Exponate aus allen Bundesländern wer- archäologen. ArtToGo“ ein leicht zugängliches Informations- den auf insgesamt etwa 1600 qm Ausstellungs- fläche zu sehen sein, teilweise erstmals in einer Gesamtschau. Jedes Bundesland ist mit regional- spezifischen Themen und Exponaten vertreten, die zusammen weiträumigere archäologisch-histori- sche Ereignisse und Entwicklungsstränge in ganz Deutschland sichtbar machen werden. Ziel der Ausstellung ist die museale Darstellung des ein- zigartigen Netzwerkes kultureller Interaktion in Eu- ropa seit frühester Zeit bis in die jüngere Vergan- genheit. Die prägenden Aspekte des Zusammenlebens im Europa dieser Zeit lassen sich in vier Themenfel- dern fassen: Mobilität, Konflikt, Austausch und In- novation. Die baden-württembergische Denkmal- pflege steuert mit der Venus vom Hohle Fels und dem Löwenmenschen aus der Stadel-Höhle vom Hohlenstein unter anderem Funde zum Themen- komplex „Europa innovativ: Die Aneignung der Welt“ bei, zeugen diese doch von den schöpferi- schen und handwerklichen Fähigkeiten des frühen 6 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018
an junge Besucher wenden. Vertiefende Infor- 11 Ausschnitt aus dem mationen bieten auch das ausstellungsbeglei- Wandmalereifries eines tende Veranstaltungsprogramm, museumspäda- Hauses aus Bodman-Lud- gogische Angebote für Kinder und eine Begleit- wigshafen, Rekonstruk- tion einer Gestalt mit publikation. Kopf und flächig weiß ge- haltenem Gesichtsfeld. „Denkmal Europa. Entdecke Deine Geschichte vor der Haustür“ – Website, Ausstellung und Fachtagung Ferner beteiligt sich das Landesamt für Denkmal- pflege an dem Projekt der Vereinigung der Lan- desdenkmalpfleger (VDL), der Dachorganisation der Bau- und Kunstdenkmalpflege in Deutschland. Es basiert auf den Länderprojekten der jeweiligen Landesdenkmalämter und bildet mit der Website „Denkmal Europa. Entdecke Deine Geschichte vor der Haustür“, einer Ausstellung auf der Denkmal- messe in Leipzig im November 2018 (Abb. 13) und dem Tag für Denkmalpflege vor der großen Fach- tagung der VDL am 10. Juni 2018 in Trier die ge- meinsame Klammer um die Projekte. Wie das Natzweiler-Struthof-Projekt in Baden- Württemberg haben die meisten Landesdenkmal- ämter gemeinsam mit Partnern jeweils ein Län- derprojekt auf die Beine gestellt, wie zum Beispiel modernen Menschen und offenbaren eine neue „Stadt – Land – Burg. Die Mauern von Nideggen“ Sicht auf die Dinge. Mit einem der hölzernen Schei- (Landschaftsverband Rheinland), „Der junge Blick benräder und Modellrädern aus Bad Schussenried- auf Altes – Schlösser und Herrenhäuser in Deutsch- Olzreute vom Endneolithikum leistet Baden-Würt- land und Polen“ (Landesamt für Denkmalpflege in temberg darüber hinaus einen Beitrag zur Veran- Brandenburg), „Das Eigene und das Fremde – Hu- schaulichung technischer Innovation, wie der genotten in Hessen“ (Landesamt für Denkmal- 12 Screenshot der Web- Weiterentwicklung der Fortbewegung. Ideenaus- pflege Hessen), „Wiederaufbau im Saarland – Ar- site „Denkmal Europa“, tausch und geistiger Austausch über Grenzen hin- chitektur und politische Geschichte am Beginn der www.denkmal-europa.de. weg manifestieren sich in dem bunt bemalten EU“ (Landesdenkmalamt Saarland), „Das Erbe des Die Seite befindet sich Wandverputz eines Hauses aus Bodman-Lud- Eisernen Vorhangs – Die Berliner Denkmalbox“ zurzeit im Aufbau. Wei- wigshafen, der den Lesern des Nachrichtenblattes (Landesdenkmalamt Berlin) u.v.m. Insgesamt wer- tere Inhalte werden im und den Besuchern der Großen Landesausstellung den voraussichtlich etwa 15 Projekte stattfinden, Juni erwartet. „Pfahlbauten” bekannt ist (3867– 3861 v. Chr.; Abb. 11). Auf dem mehrere Meter langen frag- mentarisch erhaltenen Fries waren mehrere sche- matisch dargestellte Frauengestalten mit plastisch ausgeformten Brüsten abgebildet. Der Fries stellt eine neue Ausdrucksform kultisch-religiöser Vor- stellungen dar und wird entweder in Gänze oder in Auszügen für die Ausstellung ausgeliehen. Zielgruppe der Ausstellung sind die kulturell inter- essierte Öffentlichkeit und Fachleute. Die Er- schließung der Exponate erfolgt dabei auf ver- schiedenen Rezeptionsebenen: In erster Linie soll jedes Exponat mit seiner Aura wahrgenommen werden, um die intuitive Erfassung des Besonde- ren zu ermöglichen. Die thematische Verortung der Exponate geschieht durch verschiedene mu- seale Medien wie Texte, Abbildungen, Karten, Pro- jektionen und digitale Installationen. Hinzu kom- men Rekonstruktionen und Inszenierungen be- sonderer Fundsituationen, die sich insbesondere Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018 7
13 Stand der Vereini- von denen im ersten Projektschritt vier ausführlich gung der Landesdenk- auf der Website aufgearbeitet werden können. malpfleger auf der Denk- Ziel von „Denkmal Europa“ ist es, die Ergebnisse malmesse Leipzig 2016. der Länderprojekte medial aufzuarbeiten und möglichst viele Menschen zu motivieren, sich mit den Themen zu beschäftigen. Kulturvermittler fin- den auf der Website ein breites Angebot von An- regungen, um mit Kindern und Jugendlichen die europäischen Spuren der Denkmäler in ihrer Um- gebung zu erforschen und gemeinsam heraus- zufinden, warum sie schützenswert sind. Für die Erkundung des kulturellen Erbes und des denk- malpflegerischen Umgangs gibt es dazu eine maß- geschneiderte Toolbox (Abb. 12). Um die Übertragbarkeit der Länderprojekte auf an- dere Regionen zu gewährleisten, werden ihr jewei- liger Modellcharakter und ihre europäische Rele- Das Projekt ist auf Nachhaltigkeit ausgelegt und vanz herausgearbeitet. Ergänzend dazu werden soll über 2018 hinaus im Netz nutzbar bleiben. Methoden der didaktischen Umsetzung sowie digi- Erste Inhalte werden voraussichtlich zur VDL-Ta- tale Vermittlungsformate exemplarisch vorgestellt. gung im Juni, die vollständigen Inhalte zur Denk- „Denkmal Europa“ ist das erste länderübergrei- malmesse im November online gehen. Über die Ar- fende didaktische Material der Denkmalpflege beitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit der Vereinigung und leistet damit auf innovative Weise Grundla- der Landesdenkmalpfleger ist das Landesamt für genarbeit. Als digitales Medium steht sie jederzeit Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart überall zur Verfügung und erzielt bundesweite bereits seit 2017 an der Konzeption des Projektes Reichweite. Mit der attraktiven Aufarbeitung im unmittelbar beteiligt. Scrollytelling-Format mit animierten Graphic- Novel- und Infografik-Elementen, kurzen interes- Weitere Projekte in Baden-Württemberg santen Texten und anregenden Fragen beschrei- tet die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger Neben diesen Großprojekten wirkt das Landesamt methodisch einen neuen Weg, der über seinen für Denkmalpflege an weiteren Veranstaltungen niederschwelligen, bildreichen und erzählerischen in und außerhalb von Baden-Württemberg als Ko- Ansatz grundsätzlich alle Altersgruppen, vor allem operationspartner mit. So zum Beispiel an der Inter- aber auch Kinder und Jugendliche, ansprechen nationalen Konferenz von ICOMOS „Conservation soll. Ziel ist es, einen kreativen, lustvollen Zugang Ethics today“ vom 1. bis 3. März 2018 in Florenz, zum historischen Erkenntnisgewinn zu ermög- zu der das Fachgebiet Restaurierung der Bau- und lichen. Trotz der innovativen lebendigen Darstel- Kunstdenkmalpflege Baden-Württemberg im lungsmethode wird die Programmierung auch Herbst 2018 voraussichtlich in Ravensburg eine Sa- den Anforderungen an ein barrierefreies Webde- tellitenveranstaltung ausrichten wird. sign genügen. Ebenso unterstützt das Landesamt für Denkmal- pflege die erste Fachtagung des Verbandes für Gra- bungstechnik und Feldarchäologie vom 25. bis 28. April 2018 in Ulm. Als international angeleg- ter Kongress liefert die Tagung Besuchern und Fachfirmen wertvolle Ideen für ihre Arbeit. In vier Themenblöcken präsentieren Referenten und Unternehmen Produktneuheiten, Lösungen und Konzepte aus den Bereichen Grundsatzfragen der feldarchäologischen Forschung, der Restaurierung und Konservierung von archäologischem Kultur- erbe, dem Bereich der 3-D-Dokumentation und der GIS-Anwendungen. Ferner werden zahlreiche archäologische Projekte aus dem In- und dem eu- ropäischen Ausland vorgestellt. Vorträge und Pos- ter-Präsentationen behandeln darüber hinaus Leit- themen des Europäischen Kulturerbejahres wie 14 Staatsgalerie Stutt- „Austausch und Bewegung“ sowie „Gelebtes gart von James Stirling. Erbe“. 8 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018
Im März 2019 findet auf La Gomera und Teneriffa erhalten, das Interieur eines ehemaligen Hotels zu der vierte Weltkongress zu Terrassenlandschaften dokumentieren und den dazugehörigen histori- statt, um die engagierten Terrassenliebhaber, -er- schen Park zu revitalisieren. Das Projekt ist eine Ko- bauer und -nutzer in vielen Bergregionen der Welt operation von European Heritage Volunteers mit zusammenzubringen. Im Februar 2018 trifft sich dem Verein für Kulturdenkmale Freudenstadt und die deutsche Arbeitsgruppe in Bollschweil (Lkr. dem ehemaligen Hotel Waldlust (Abb. 15). Breisgau-Hochschwarzwald), um einen gemein- Auch die Koppelung des Tags des offenen Denk- samen Beitrag des deutschsprachigen Raumes vor- mals am zweiten Sonntag im September an einen zubereiten, die Terrassenlandschaften zu identifi- Tag des rollenden Kulturgutes, bei dem Oldtimer zieren, ein Netzwerk zu gründen und sich über das in Bewegung erlebt werden können, ist geplant. Thema auszutauschen. Bei der Veranstaltung im Haus der Volkskunst „Hei- „Europäische Perlen der Stadtbaugeschichte“ ist matklänge vor 40 000 Jahren?“ kommen Tanz- der Titel eines Veranstaltungsprogramms am Tag musikgruppen aus ganz Europa nach Balingen, um des offenen Denkmals, 9. September 2018, in im Rahmen eines europäischen Musikfestivals vom Stuttgart. Zum Leitthema „Die europäische Stadt“ 17. bis 22. Oktober 2018 auszuprobieren, wie die werden Experten unter anderem die Grabkapelle Menschen mit steinzeitlichen Knochen- und El- auf dem Rothenberg von Giovanni Salucci, die fenbeinflöten musiziert haben könnten (Abb. 16). Häuser von Le Corbusier in der Weißenhofsied- Man darf gespannt sein auf den Klang der in Ma- lung, James Stirlings Staatsgalerie und Gisels Son- terial und Bauweise sehr unterschiedlichen Flöten nenbergkirche präsentieren, allesamt Stuttgarter aus den im Juli 2017 zum UNESCO-Weltkulturerbe Bauwerke, die von renommierten Architekten aus erklärten Eiszeithöhlen der Schwäbischen Alb, dem europäischen Ausland errichtet wurden Frankreich, Griechenland, der Ukraine, Sardinien, (Abb. 14). Das Programm ist eine Kooperation zwi- Sizilien, Galizien, Georgien u.v.m. schen dem Landesamt für Denkmalpflege und der In den nächsten Monaten werden weitere Akti- Unteren Denkmalschutzbehörde Stuttgart. vitäten folgen. Zögern Sie nicht, Ihre Ideen und Pro- Voraussichtlich im Oktober veranstaltet das Lan- jekte einzubringen, damit das Jahr eine möglichst desamt für Denkmalpflege in Kooperation mit große Vielfalt entfalten kann, wir uns unseres reich- dem französischen Kulturministerium unter Betei- haltigen Kulturerbes bewusst werden und wir ge- ligung weiterer Partner in Baden-Württemberg meinsam erleben, was uns in Europa verbindet. eine Fachtagung. Diese beschäftigt sich damit, wie die Inwertsetzung von paläolithischen Höhlen mit Literatur Welterbestatus im Spannungsfeld zwischen tou- UROPEA E N ristischem Anspruch und konservatorischer Verant- Denise Beilharz: Das ehemalige Konzentrationslager • • E RS wortung gelingen kann. Natzweiler und seine Außenlager. Eine länderüber- H E R I TA Die AG Forum Kultur der Deutsch-Französisch- greifende Bewerbung um das Europäische Kulturer- TE Schweizerischen Oberrheinkonferenz (ORK) plant, besiegel, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg Aktivitäten zum Europäischen Kulturerbejahr 2018 46 / 1, 2017, S. 16– 22. G N E • im Mandatsgebiet der ORK zu bündeln und grenz- Aufruf zur Projektanmeldung für das Europäische Kul- VO L U überschreitend an die Bürgerinnen und Bürger zu turerbejahr 2018, in: Denkmalpflege in Baden-Würt- vermitteln (vgl. Abb. 8).Das Landesamt für Denk- temberg 46 / 2, 2017, S. 153– 154. 15 Logo der European malpflege unterstützt diese Aktivitäten fachlich. Heritage Volunteers. Auf der Internetseite www.sharingheritage.de des Praktischer Hinweis Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz wurden Anfang Januar 2018 außerdem folgende Informationen zur Projektdurchführung und zum Pro- Projekte in Baden-Württemberg aufgeführt: 1) von gramm unter www.sharingheritage.de der Badischen Landesbibliothek „Kloster Lichten- thal als Zentrum kultureller Überlieferung von Frauenklöstern“; 2) von der Universität Freiburg „Dialogforum Heritage Interpretation: Natur und Dr. Christian Bollacher Kultur zum Abenteuer machen“; 3) vom Pfahl- Dr. Irene Plein baumuseum Unteruhldingen „Experimentelle Ar- Landesamt für Denkmalpflege chäologie aus Europa – Wissen erlebbar gemacht“ im Regierungspräsidium Stuttgart und 4) vom Stadtarchiv Karlsruhe die Präsentation Dienstsitz Esslingen „Durchlacher Glanzstücke“. Außerdem findet vom 16 Plakat zur Veran- 14. bis 28. Juli 2018 in Freudenstadt ein Modul aus Dr. Dagmar Zimdars staltung „Heimatklänge der Veranstaltungsreihe „Modellhafte Beispiele für Landesamt für Denkmalpflege vor 40 000 Jahren?“ im Freiwilligenprojekte für das Europäische Kultur- im Regierungspräsidium Stuttgart Haus der Volkskunst in erbe“ statt, bei dem Jugendliche die Gelegenheit Dienstsitz Freiburg Balingen. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018 9
Die Schlosskirche zum Hl. Kreuz in Rastatt Wiedereröffnung eines „Raumwunders“ der Gegenreformation Sibylla Augusta von Baden-Baden, die nach dem Tode ihres Gatten Ludwig Wilhelm die Regentschaft für ihren unmündigen Sohn Ludwig Georg Simpert in der 1706 errichteten Residenz Rastatt übernommen hatte, verfolgte mit ihrer Politik die Festigung der katholischen Konfession in ihrem Territorium. In ihrer Bautätigkeit spiegelt sich diese religiöse Haltung wider, indem sie in ihrer Residenz wichtige Wallfahrtsorte sowohl baulich wie auch als Gnadenorte nachbildete. Nach umfassender Reinigung und Sicherung wurde die seit 1993 geschlossene Schlosskirche am 30. Juni 2017 wieder für die Öffentlichkeit zu- gänglich gemacht. Johannes Wilhelm Geschichte der Schlosskirche Mutter Gottes eingerichtet hat. Inspiriert durch ihre Romreise folgte 1719 die Errichtung der Nach dem Tode ihres Mannes Wilhelm Ludwig im Hl. Stiege mit der Kapelle des Leidens Christi im Januar 1707 übernahm Sibylla Augusta die Re- Obergeschoss in unmittelbarer Nähe der Privat- gentschaft für ihren unmündigen Sohn Ludwig Ge- gemächer. In den Jahren 1720 bis 1723 wurde org Simpert. In dieser Zeit beauftragte sie eine dann direkt an den Sibyllenflügel anschließend die Reihe von Baumaßnahmen, die einerseits der Fer- Kirche zum Hl. Kreuz erbaut, mit der sie ein dem tigstellung des 1705 bezogenen Residenzschlos- Papst gegebenes Versprechen zur Errichtung einer ses dienten, andererseits ihre streng römisch-ka- Pfarrkirche für Rastatt zu erfüllen gedachte tholische Haltung zum Ausdruck brachten. Den (Abb. 1). Hofbaumeister Domenico Egidio Rossi entließ sie, Rohrers Kirchenbau ordnet sich von außen gänz- da er von ihr für die Bauschäden am neuen Ra- lich in die Schlossanlage ein, er negiert die tradi- statter Schloss verantwortlich gemacht wurde. Als tionelle Ost-West-Ausrichtung und ist lediglich ge- sein Nachfolger wurde Johann Michael Ludwig gen die Lyzeumstraße hin als Portal einer Kirche zu 1 Ansicht der Schloss- Rohrer ernannt. Zunächst wurde nach den um- erkennen. Für den nach dem Vorarlberger Prinzip kirche von Nordosten aus fangreichen Reparaturarbeiten am Schloss 1712 mit innenliegenden Wandpfeilern konzipierten mit dem ehemaligen der so genannte Sibyllenflügel mit ihren persön- Bau wählte er zur Begrenzung der Dachhöhe eben- externen Zugang zur Hl. lichen Wohnräumen ausgeführt, in dessen Erdge- falls die Form eines Grubendaches, wie dies bereits Stiege. schoss man 1717 die Kapelle zur schmerzhaften auf dem Hauptgebäude des Schlosses vorgegeben war. Im Inneren legte er zwischen den Pfeilern in Eingangsnähe die Orgelempore und gegen den Schlossbau hin eine erhöhte Bühne für den Hoch- altar an, unter der sich ursprünglich die Anlage des Hl. Grabes befand (Abb. 2). An den Längsseiten wurde der Raum zwischen den Wandpfeilern für die Seitenaltäre benutzt, die jedoch nicht auf die Richtung des Hauptaltares ausgerichtet wurden. Den Raum schloss er durch ein flaches, aus massi- vem Stein gebautes Gewölbe ab, das zu den Sei- tenkapellen Stichgewölbe besitzt. Ausstattung Die Innenausstattung entstand unter der Leitung von Franz Pfleger, dem Kammerdiener und Hof- maler Sibylla Augustas, der bis zu seinem Tod 1752 10 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018
2 Blick von der Orgelem- pore der Schlosskirche auf den Kirchenraum mit der großzügigen Altar- anlage. 3 Die Kanzelseite der Schlosskirche mit ihrem aufwendigen Gliede- rungssystem zeigt zu- gleich den reichen Einsatz der vielfältigen Materia- lien. auch Kustos des Schlosses Favorite war. Die Viel- suiten wurde dieser Altar 1752 dem Gründer der falt der Materialien und die für einen Sakralraum Piaristen gewidmet, die neben der Schule auch die überreiche Dichte folgten ihrem Wunsch, dass die Betreuung der Schlosskirche übernommen hatten. Kirche „extra schön und keineswegs schlechter als Das Bild des hl. Joseph von Calasanz, geschaffen die Schlosszimmer gemacht“ werden sollte. Zu von Joseph Melling, zeigt den spanischen Priester dieser von der Bauherrin geforderten Gestaltung und Gründer des Piaristenordens. tritt ein ebenso durch ihre persönliche Überzeu- Die Seitenaltäre auf der Altarbühne sind links der gung geprägtes, theologisch-ikonografisches Pro- hl. Anna und rechts der unbefleckten Empfäng- gramm, das wohl nicht zuletzt ihr Beichtvater und nis gewidmet. Das Altarbild des Letzteren stammte seelsorgerischer Betreuer, der aus Düsseldorf stam- von Lorenzo Credi und datiert um das Jahr 1480. mende Jesuit Pater Joseph Mayer, begleitet hat und das ihre tiefe, treue Katholizität belegt (Abb. 3). Der Hauptaltar wird durch das große versilberte Kreuz über dem Tabernakel bestimmt. Darüber er- hebt sich die durch die Lichtkuppel in goldgelbem Licht schimmernde stuckierte Gruppe von Gott- vater und Heiligem Geist, die zusammen mit dem Kreuz das Thema des Gnadenstuhls aufgreift. Die flankierenden Stuckengel der Gloriole weisen mit der Lanze des Longinus und dem Stab mit dem Es- sigschwamm auf das Thema der „arma Christi“ hin, das sich auch in der Deckenmalerei der Stich- kappen vorbereitet. Die Alabastersäulen des Hoch- altars sind an ihrer Oberfläche mit Blumen ge- schmückt, deren Blüten sich zum Teil aus Glas- steinen zusammensetzen. Die Säulen konnten durch Öllampen, die in eine Art Paternoster-Kon- struktion eingehängt wurden, zu den Hochfesten beleuchtet werden, was im Volksmund als „Ra- 4 Der Seitenaltar zur un- statter Lichtwunder“ bezeichnet wurde. befleckten Empfängnis In dem bühnenartigen Unterbau des Hochaltares auf der Altarbühne mit ei- befand sich die Erinnerungsstätte an das Grab ner Kopie des Bildes des Christi, welche das Thema des Erlösungswerks des Florentiner Malers Hochaltares aufnahm. Nach dem Weggang der Je- Lorenzo Credi. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018 11
5 Der Seitenaltar des in der Armreliquie, die Sibylla Augusta vom Papst hl. Ignatius von Loyola in Rom übereignet bekommen hat. dokumentiert die Betreu- ung der Schlosskirche Wandmalereien durch die Jesuiten wäh- rend der Bauzeit. Das Patrozinium der Kirche zum Hl. Kreuz be- stimmt das Hauptthema der Gewölbemalerei mit der Kreuzauffindung, Kreuzverehrung und der Kreuzerhöhung. Sibylla Augusta beauftragte da- mit zunächst den italienischen Maler Lazarus Ma- ria Sanguinetti, dessen Entwurfsarbeiten ihr je- doch nicht genügten. Die Ausführung übernahm schließlich der aus Ottobeuren stammende und vor allem in Böhmen tätige Maler Johann Hiebel, der nach Zeugnis des Speyerer Bischofs Damian Hugo Schönborn diese Malerei 1722 in nur drei Monaten vollendete (Abb. 6). Über dem Chor wird die Auffindung des Kreuzes gezeigt, das bei der Zerstörung eines Venustem- pels und der Errichtung einer Kirche durch Maca- rius im Jahr 326 entdeckt wird. Die Schändung des Tempels ist durch die Zerschlagung des Götterbil- des symbolisiert. Die Erzählfolge nach links zeigt die Prüfung des Kreuzes und die Präsentation vor der hl. Helena, deren Person durch die mit Wit- wenschleier gekleidete, kniende Landesmutter selbst verkörpert wird und die damit die Hauptfi- gur der Bildlängsseite einnimmt. Über der Orgel- empore der Eingangsseite ist die Rückführung des Es war dank Sibylla Augustas Florentiner Bezie- 614 durch die Perser geraubten wahren Kreuzes hungen in ihren Besitz gelangt und wurde auf- nach Jerusalem im Jahr 630 durch Kaiser Heraklios grund seines Werts 1846 in die großherzogliche dargestellt. Dabei wird der Vorgang der Kreuztra- Gemäldegalerie nach Karlsruhe gebracht und vor gung thematisiert, der keine Hervorhebung ein- Ort durch eine Kopie ersetzt (Abb. 4). Die Seiten- zelner Personen erkennen lässt. Dies ist wohl im altäre im Langhaus, deren Bilder von Jan Ongher Bezug zu der von Sibylla Augusta gegründeten stammen und deren mit den Scagliola- und Stick- „kreuztragenden Gesellschaft“ zu sehen, die sich arbeiten gezierten Antependien von Matthias als Bruderschaft auch um die Kirche kümmerte. Bruckner ausgeführt wurden, bezeugen mit ihren Dieses Ereignis wird in der Kirche mit dem Fest der Patrozinien die romgetreue katholische Haltung: Kreuzerhöhung (14. September) gefeiert, dem Tag, Gegen den Eingang links in Richtung des Hochal- an dem auch das Patrozinium der Rastatter Schloss- tars findet sich der Altar des hl. Joseph von Naza- kirche traditionell begangen wurde. Die der Kreuz- reth, dessen Tod auf dem Altarbild thematisiert verehrung durch Helena gegenüberliegende wird; er belegt sowohl die Verehrung der Heiligen Längsseite des Deckenbildes widmet sich der Ver- Familie und deutet zugleich als Hausheiliger der kündung des Glaubens an die Völker. Des Glau- Habsburger die enge Bindung an das Kaiserhaus bens, dessen Inhalt das Zentrum des Gemäldes in an. Gegenüber steht der Altar des hl. Petrus mit der Gloriole des siegreichen Heilands aufzeigt. In der Schlüsselübergabe als Bildthema für die Papst- den Stichkappen zu den Seitenkapellen finden sich treue der Rastatter Regentin. In Richtung des Hoch- die von Putten gehaltenen „arma Christi“, zu altars folgt links der Altar des hl. Ignatius von Loy- denen thematisch auch diejenigen der Stuckengel ola (Abb. 5). Mit Blick auf die Erscheinung Christi, neben der Gloriole zu zählen sind. In den Gewöl- umgeben von den eucharistischen Symbolen, liegt ben der Seitenkapellen ist jeweils der Heilige zu se- vor ihm die Weltkugel, die, in die Flammen des hen, der für die Patrozinien der darunter befind- Glaubens gehüllt, auf die Missionstätigkeit der Je- lichen Seitenaltäre steht. Die Malerei unter der Or- suiten verweist. Gegenüber findet sich der Altar gelempore weist zentral die Erscheinung des des hl. Franz Xaver, eines Mitbegründers und Mis- Hl. Kreuzes auf. Die büßende Maria Magdalena sionars des Jesuitenordens, der nach Bekehrung mit der Signatur Johann Hiebels und als Pendant von 1 200 000 Menschen auf der Insel Sancian ver- König David finden sich über den Standorten der starb. Seine Verehrung hier begründete sich auch Beichtstühle. 12 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018
6 Das von Johann Hiebel geschaffene Deckenge- mälde zeigt in der Glo- riole Christus mit dem Kreuz als Siegeszeichen, die Auffindung des wah- ren Kreuzes, die Vereh- rung und die Kreuztra- gung sowie die Verkün- dung des Erlösungswerks. Materialvielfalt der Ausstattung die mit Reibern befestigten Rahmen nach Bedarf gewechselt werden (Abb. 8). Die beiden bekann- Neben den Altareinbauten und den Malereien ten Sätze in Gelb und Rot gingen jedoch verloren, (Abb. 7) ist der Kirchenraum besonders durch die sodass nur der ehemals weiße Festtagssatz erhal- Textilausstattung geprägt, die in der Vollständig- ten ist. Ergänzt wird die textile Ausstattung durch keit des Bestandes europaweit ihresgleichen sucht. die Medaillons der Antependien und den Bezug Ursprünglich hatten die aus Seidenmoiré mit auf- der Kanzel. Diese nach den Entwürfen von Franz wendigsten Paramentstickereien und Metallappli- Pfleger gefertigten Wandbehänge belegen den kationen gefertigten, auf Keilrahmen fixierten 28 Wunsch Sibylla Augustas nach der „extra schö- Pilasterbehänge die Funktion, die liturgischen Far- nen“ Ausstattung der Kirche, die damit auch die ben des Kirchenjahres zu begleiten. Dazu konnten weibliche Handschrift zum Ausdruck bringen. 7 Auch die Kanzel weist die hochwertige Textilaus- stattung des Kirchen- raums auf. 8 Detail der textilen Pilasterverkleidung. Er- kennbar sind die aufwen- dige Paramentstickerei sowie der Befestigungs- mechanismus zum Wech- sel der Ausstattung. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018 13
wählten Holzintarsien der Türen und der Beicht- stühle sowie die ebenfalls aus böhmischem Glas gefertigten Applikationen der Malereien auf den Alabastersäulen des Hochaltars belegen die Wert- schätzung des Kunsthandwerks. Illusionistische Dekorationen lockern die Schwere der Wandpfei- ler auf, die hinter aufgesetzten Fenstern Nischen und darüber auf Leinwand gemalte Wolkenen- sembles zeigen. Diese Fenster nehmen das Motiv der Verglasung der fürstlichen Oratorien rechts und links über dem Hochaltar auf. Die Räume konnte die Regentin di- rekt von ihren Privatgemächern erreichen. Das rechte besitzt einen Bestand von Pappmaché-Ta- peten, während das linke – wohl privatere – eine Ausstattung von chinesischen Seidentapeten auf- weist. Dort stand ihr auch ein Privataltar zur sepa- rierten Andacht zur Verfügung. Sibylla Augusta wählte die Kirche als ihre Grablege, 9 Bei den „Heiligen Lei- Von Sibylla Augustas Reliquienschätzen (Abb. 9) wo sie nach ihrem Tod am 10. Juli 1733 beerdigt bern“ handelt es sich wie hat sich nur wenig erhalten. So befinden sich die wurde. Die Inschrift auf dem Boden unter der Or- hier im Schausarkophag beiden gläsernen Schausarkophage der hl. Theo- gelempore zentral hinter dem Eingang „Bettet für des hl. Theodor auf dem dora und des hl. Theodor auf den hinteren Seiten- die grose Sünderin Augusta MDCCXXXIII“ bezeugt Josephsaltar um Reste altären. Die in Rom aus den Katakomben erhobe- dies bis heute. Der Zugang zur Gruft befindet sich der ursprünglich reichen nen „Heiligen Leiber“ wurden sorgsam gefasst neben dem Altar der ehemaligen in den Jahren Reliquienausstattung. und drapiert ausgestellt. Die Gesichter sind mit ge- 1892 bis 1896 erheblich umgestalteten Nepo- malten Masken ergänzt, wobei die Ähnlichkeit mit mukkapelle unter der Orgelempore links des Ein- dem Herrscherpaar sicher nicht zufällig war. gangs. Die Sorge um das materielle Detail zieht sich durch Die 1765 von Johann Ignaz Seuffert erbaute Orgel Glossar den ganzen Raum (Abb. 10): Das ehemals vergol- ist die dritte, die an dieser Stelle steht. Bei der ers- dete Geländer des Hochaltars und seiner Zugänge, ten Orgel, die 1723 durch den in Baden-Baden le- Antependium die versilberten Figuren der Grabwächterengel benden Böhmen Johann Preiß eingerichtet wor- Frontseite des Altartisches. über dem ehemaligen Hl. Grab mit ihren aus böh- den war, handelte sich, wie an der Brüstung der mischem Glas zusammengesetzten Blumensträu- Empore nachweisbar ist, um eine Brüstungsorgel arma Christi ßen, die Scagliolaarbeiten der Altäre, die ausge- mit Rückpositiv. Leidenswerkzeuge Christi, auch die sog. Siegeszei- chen Christi. Gloriole Strahlenkranz, Heiligen- schein. Grubendach Dachform, bei der die Dachflächen zur Hälfte nach innen geneigt sind, um die Firsthöhe zu redu- zieren, und mit Entwässe- rung der innenliegenden Flächen durch den Dach- raum. 10 Der Blick auf die Em- porenseite mit dem Portal zeigt neben der Orgel und den Beichtstühlen das Zusammenwirken der Ausstattungsmaterialien. 14 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 1 | 2018
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