Der bankinterne Compliance Officer - Arbeitsrechtliche Haftung und Sorgfaltspflicht bei der Bekämpfung von Geldwäscherei - Jusletter

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André Tanner

Der bankinterne Compliance Officer
Arbeitsrechtliche Haftung und Sorgfaltspflicht bei der
Bekämpfung von Geldwäscherei

Les compliance officers internes à la banque sont chargés de veiller au respect
des règles. Leur contrat de travail avec la banque, assorti d’exigences internes,
définit leurs spécifications, qui sont complétées en permanence par les exigen-
ces réglementaires applicables. L’objectif de cet article est d’attirer l’attention,
du point de vue d’un praticien, sur des problèmes choisis dans le domaine ju-
ridique du conflit dans la lutte contre le blanchiment d’argent et de sensibiliser
les compliance officers à leur responsabilité professionnelle et à leur devoir de
diligence.

Catégories d’articles: Articles scientifiques
Domaines juridiques: Droit du travail, Droit bancaire, Confiscation,
blanchiment d’argent, défaut de vigilance en matière d’opérations financières et
droit de communication, dispositions pénales de la loi sur le blanchiment
d’argent (LBA), organisation criminelle

Proposition de citation: André Tanner, Der bankinterne Compliance Officer, in : Jusletter 30
septembre 2019

ISSN 1424-7410, jusletter.weblaw.ch, Weblaw AG, info@weblaw.ch, T +41 31 380 57 77
André Tanner, Der bankinterne Compliance Officer, in : Jusletter 30 septembre 2019

Inhaltsübersicht
1.     Einleitung und Begriff des Compliance Officer
       1.1. Einleitung
       1.2. Begriff des Compliance Officer
2.     Tatbestand der Geldwäscherei gemäss Art. 305bis StGB
       2.1. Grundlagen
       2.2. Abgrenzung zu Art. 305ter StGB
       2.3. Vorgaben der FATF (GAFI)
       2.4. Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken (VSB)
       2.5. Strafrechtliche Garantenstellung des Compliance Officer
3.     Haftung des Compliance Officer aus Arbeitsvertrag
       3.1. Arbeitsvertragliche Treuepflicht des Compliance Officer
       3.2. Haftung gemäss Art. 321e OR
              3.2.1. Grundlagen
              3.2.2. Haftung bei Einhaltung der VSB im Besonderen
4.     Sorgfaltspflicht des Compliance Officer aus Arbeitsvertrag
       4.1. Sorgfaltspflicht gemäss Art. 321a OR
       4.2. Sorgfaltspflicht bei Melderecht und Meldepflicht im Besonderen
       4.3. Sorgfaltspflicht bei Einhaltung der VSB im Besonderen
              4.3.1. Grundsatz
              4.3.2. Auslegung des Begriffs «Sitzgesellschaft»
              4.3.3. Auslegung des Begriffs «Rechtsanwalt»
       4.4. Meldung von Missständen am Arbeitsplatz
              4.4.1. Ausgangslage
              4.4.2. (Gescheiterte) Teilrevision des Obligationenrechts
              4.4.3. Haftung und Strafbarkeit bei Meldung
5.     Schlussbetrachtung und Ausblick
       5.1. Schlussbetrachtung
       5.2. Ausblick

1.         Einleitung und Begriff des Compliance Officer
1.1.       Einleitung
[1] Die Reputation zählt zu den wertvollsten Gütern einer Bank. Das Ansehen vieler Schwei-
zer Banken litt jedoch in den letzten Jahren unter regelmässiger Negativberichterstattung über
Enforcement- oder Gerichtsverfahren sowie den daraus resultierenden Massnahmen und Bussen.
Umso grösser wurde indes die Bedeutung von Compliance, welche unabdingbar dafür ist, die
zunehmende Gesetzesflut und Regulierungsdichte zu bewältigen und damit das Ansehen einer
Bank sowie des Finanzplatzes sicherzustellen.1
[2] Im Mittelpunkt steht dabei der Compliance Officer.2 Doch welche Aufgaben kommen ihm zu
und welche Konsequenzen ergeben sich aus seinem Pflichtenheft? Welche Sorgfaltspflicht trifft
den Compliance Officer bei der Ausübung seiner Tätigkeit, wie vertieft müssen seine Abklärun-
gen sein und welcher Haftung setzt er sich aus? Wie soll er vorgehen, wenn er Unregelmässigkei-
ten am Arbeitsplatz bemerkt? Der vorliegende Beitrag beleuchtet aus Sicht eines Compliance Of-

1    Herbert G. Buff, Compliance Management – Aus Sicht eines Praktikers, Zürich/St. Gallen 2015, S. 1.
2    Christian Wind, Compliance – gestern – heute – morgen, in: Europäische Anwaltsvereinigung (Hrsg.), Comp-
     liance – Herausforderung oder Selbstverständlichkeit?, Zürich 2016, S. 54. Der Autor ist der Ansicht, dass die
     Compliance-Diskussion viel zu stark auf Prozesse, Tools, Kontrollen, Monitoring, Berichterstattung und Doku-
     mentation fokussiert ist, «entscheidend sind jedoch die Personen».

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ficer ausgewählte Probleme und Schnittstellen rund um diese Fragen. Compliance Officer sollen
darauf sensibilisiert werden, in welchem rechtlichen Spannungsfeld sie sich bei der Bekämpfung
von Geldwäscherei befinden.
[3] Einleitend wird auf die geltende rechtliche Regelung und die geplanten Revisionsvorhaben
rund um den Tatbestand der Geldwäscherei gemäss Art. 305bis des Schweizerischen Strafgesetz-
buches (StGB)3 eingegangen sowie die sich daraus ergebende strafrechtliche Garantenstellung
thematisiert. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht die arbeitsrechtliche Haftung und Sorgfalts-
pflicht des Compliance Officer bei der Bekämpfung von Geldwäscherei. Ebenfalls wird in diesem
Kontext die aus praktischer Sicht relevante Meldung von Missständen am Arbeitsplatz sowie das
diesbezüglich gescheiterte Revisionsvorhaben beleuchtet. Der Ausblick thematisiert letztlich die
zunehmende Digitalisierung beziehungsweise Robotik und die sich daraus ergebenden Konse-
quenzen für den Compliance Officer als Arbeitnehmer.

1.2.        Begriff des Compliance Officer
[4] Es gibt verschiedene Definitionen von «Compliance»4 . In der Schweizer Bankenwelt wird der
Begriff grundsätzlich für das Einhalten von gesetzlichen, regulatorischen und internen Vorschrif-
ten sowie von marktüblichen Standards und Standesregeln verwendet.5 Der Compliance Officer6
ist folglich ein Angestellter oder Beauftragter des Unternehmens, der für die Einhaltung der Re-
geltreue7 sorgen und damit mögliche Sanktionen abwenden und Reputationsrisiken minimieren
soll.
[5] Im vorliegenden Beitrag ist mit Compliance Officer lediglich der bankinterne8 Arbeitneh-
mer9 gemeint, der angestellt ist, um die Einhaltung von Gesetzen, Vorschriften, Weisungen und
Standards bei der Bekämpfung von Geldwäscherei zu überwachen und das Compliance-Risiko10

3    Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0).
4    Gemäss Buff sind Unternehmen nebst strikter «legal Compliance», also der Einhaltung von Recht und Gesetz,
     gehalten, auch Sozialverantwortung, Ethik und Integrität bei allen Geschäftsaktivitäten sicherzustellen, also ei-
     ne umfassende «legal and ethical Compliance» zu betreiben: Buff (Fn. 1), Vorwort; der ISO 19600 Standard de-
     finiert Compliance wie folgt: «Compliance is an outcome of an organization meeting its obligations, and is made
     sustainable by embedding it in the culture of an organization and in the behaviour and attitude of people working
     for it.» ISO 19600 – Compliance management systems – Guidelines, Introduction; Economiesuisse/SwissHoldings,
     Grundzüge eines wirksamen Compliance-Managements, Zürich 2014, S. 5.
5    FINMA-RS 08/24 «Überwachung und interne Kontrolle Banken» vom 20. November 2008, Rz. 97; FINMA-RS 17/1
     «Corporate Governance – Banken» vom 22. September 2016, Rz. 7; Economiesuisse/SwissHoldings (Fn. 4), S. 5.
6    Vgl. auch die 2014 publizierte Richtlinie der FATF (Financial Action Task Force) «Guidance for a
     risk-based approach - The Banking Sector» (zit. FATF risk-based approach), mit welcher die Im-
     plementierung eines Compliance Officer vorgegeben wird. Abrufbar unter: http://www.fatf-
     gafi.org/publications/fatfrecommendations/documents/risk-based-approach-banking-sector.html (alle Websites
     zuletzt besucht am 20. Juli 2019).
7    Daniel Lengauer/Lea Ruckstuhl, Compliance, Zürich/Basel/Genf 2017, Rz. 1; Helke Drenckhan, Compliance
     im Blick, in: Jusletter 22. Oktober 2018, S. 2 f.
8    «Bankintern» bezieht sich auf Personen, welche gemäss den Bestimmungen über den Arbeitsvertrag (Art. 319 ff.
     OR) bei einer Bank angestellt sind. «Bankexterne» Personen haben keinen Arbeitsvertrag mit der Bank, sondern
     unterstehen anderen Rechtsverhältnissen (wie beispielsweise dem Auftrag gemäss Art. 394 ff. OR). Im Bereich
     Compliance werden solche bankexternen Personen auch «Compliance Consultants» genannt.
9    Der vorliegende Beitrag bezieht sich nur auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse. Auf öffentlich-rechtliche Arbeits-
     verhältnisse wird nicht eingegangen.
10   «Als Compliance-Risiko gilt das Risiko von Verstössen gegen Vorschriften, Standards und Standesregeln und ent-
     sprechenden rechtlichen und regulatorischen Sanktionen, finanziellen Verlusten oder Reputationsschäden», in:
     FINMA-RS 08/24 (Fn. 5), Rz. 98.

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der Bank zu verhindern. Die bedeutendsten Aufgabenbereiche eines solchen Compliance Officer
sind vornehmlich die Überwachung der Beziehungs- und Kontoeröffnungen (Identifizierung des
Vertragspartners, Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten und des Kontrollinhabers), das Er-
kennen von Kundenbeziehungen mit erhöhtem Risiko («know your counterparty» oder «know
your client»; kurz: «KYC») – wie beispielsweise die Qualifikation der involvierten natürlichen
Personen als «politisch exponierte Personen (PEP)» – Tätigkeiten zur Verhinderung von Kapi-
talflucht und Steuerhinterziehung, Überwachen von (verdächtigen) Transaktionen («suspicious
transaction reports») und Geldflüssen11 sowie die Beurteilung und der Entscheid, ob eine Mel-
dung an die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS)12 bei Verdacht auf Geldwäscherei zu erfolgen
hat. Dabei hat der Compliance Officer sowohl die Geschäftsführung entsprechend zu unterstüt-
zen und zu beraten, als auch die Front13 im Tagesgeschäft zu schulen14 ; denn bei der Front fängt
Compliance an.15
[6] Der Compliance Officer hat bei seiner Tätigkeit Interessenkonflikte zu vermeiden, da die
Compliance-Funktion unabhängig in die Gesamtorganisation einzugliedern ist.16 Vor dem Hin-
tergrund der zunehmenden Bedeutung der Compliance-Funktion innerhalb der Bank und der
regulatorischen Vorgaben ist festzuhalten, dass das historisch gewachsene Verständnis, wonach
in der internen Organisation die Compliance-Funktion nur eine Nebenabteilung des Legal17 sei,
überholt ist.18 Die Juristen und Anwälte des Legal sind überwiegend operativ tätige Business-
Partner. Ihnen fehlt die Unabhängigkeit von der Linie, denn sie arbeiten transaktionsorientiert
an der Umsetzung der Geschäftsstrategie mit.19

11   Urs Rohner/Romeo Cerutti, Legal und Compliance im globalen (Finanz-) Unternehmen, in: GesKR –
     Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2007/1, S. 3.
12   Die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) im Bundesamt für Polizei (fedpol) ist die nationale Zentralstel-
     le für Verdachtsmeldungen gemäss Geldwäschereigesetz (GwG). Gegebenenfalls leitet sie solche von den Fi-
     nanzintermediären entgegengenommenen Meldungen an die Strafverfolgungsbehörden weiter. Siehe unter:
     https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/kriminalitaet/geldwaescherei.html.
13   Mit «Front» sind die Bankmitarbeiter gemeint, welche direkten Kundenkontakt haben und in erster Linie für die
     Kundenbetreuung zuständig sind.
14   Urs Rohner/Romeo Cerutti (Fn. 11), S. 3; Roland Müller/Patrick Bont, Der Compliance Officer im Finanzsek-
     tor – Bedeutung, Anforderungen, Position und Haftung, Liechtensteinische Juristenzeitung (LJZ), 4/2018, S. 184.
15   Mathias Pini, Risk Based Approach – ein neues Paradigma in der Geldwäschereibekämpfung (unter spezieller Be-
     rücksichtigung der Geldwäschreiverordnung der EBK), Diss. Basel 2007, S. 102: «Neben dem Erkennen-Können
     spielt natürlich auch das Erkennen-Wollen eine wichtige Rolle: der Frontmitarbeitende hat eine starke faktische
     Machtstellung inne, indem es zu einem grossen Teil in dessen Macht liegt, allfällige Ungereimtheiten durch Nich-
     terwähnen oder Nichtfesthalten in den Dossiers gar nicht erst eskalieren zu lassen (Nichtentstehenlassen des An-
     fangsverdachts)».
16   FINMA-RS 08/24 (Fn. 5), Rz. 100 ff.; Urs Rohner/Romeo Cerutti (Fn. 11), S. 3; Roland Müller/Patrick Bont
     (Fn. 14), S. 188.
17   «Legal» bezeichnet die Rechtsabteilung einer Bank.
18   Monika Roth, Good Corporate Governance: Compliance als Bestandteil des internen Kontrollsystems – Ein Hand-
     buch für die Praxis, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2015, S. 136.
19   Roland Müller/Daniel Lucien Bühr/Roland Maurhofer, Sicherstellung wirksamer Compliance als strategische
     Führungsaufgabe, EF 3/17, S. 159.

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2.         Tatbestand der Geldwäscherei gemäss Art. 305bis StGB
2.1.       Grundlagen
[7] Art. 305bis Ziff. 1 StGB definiert die Geldwäscherei als eine Handlung, die geeignet ist, die Er-
mittlung der Herkunft, die Auffindung oder die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln,
die, wie der Täter weiss oder annehmen muss, aus einem Verbrechen oder aus einem qualifizier-
ten Steuervergehen herrühren.
[8] Die Bekämpfung von Geldwäscherei wird im Geldwäschereigesetz (GwG)20 geregelt, welches
verschiedene Sorgfaltspflichten der Finanzintermediäre21 vorsieht.22 Art. 3–5 GwG enthalten all-
gemeine Sorgfaltspflichten. Die Kundenidentifizierung gemäss Art. 3 ff. GwG ist hierbei zentral,
denn auf diesem Element beruht die Wirksamkeit des Systems.23 Art. 6–8 GwG enthalten be-
sondere Sorgfaltspflichten der Finanzintermediäre. Gemäss Art. 6 Abs. 1 GwG ist die Bank ver-
pflichtet, Art und Zweck der von der Vertragspartei gewünschten Geschäftsbeziehung zu iden-
tifizieren. Zudem müssen die Hintergründe und der Zweck einer Transaktion oder einer Ge-
schäftsbeziehung abgeklärt werden (Art. 6 Abs. 2 GwG). Diese Abklärungspflichten nach Abs. 2
bestehen indes nicht permanent, sondern werden ausgelöst durch das Vorliegen eines Ungewöhn-
lichkeitstatbestands (lit. a)24 oder durch Anhaltspunkte auf bestimmte strafrechtliche Verbrechen
respektive ein qualifiziertes Steuervergehen (lit. b)25 .26
[9] Konkretisiert werden diese Sorgfaltspflichten für die ihr unterstellten Finanzintermediäre von
der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA27 , soweit nicht eine Selbstregulierungsorgani-
sation28 diese Sorgfaltspflichten und ihre Erfüllung regelt.29 Die FINMA verwendet dazu in erster
Linie Verordnungen und Rundschreiben.30 Insbesondere die Geldwäschereiverordnung-FINMA

20   Bundesgesetz über die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 10. Oktober 1997
     (GwG; SR 955.0).
21   Finanzintermediäre sind gemäss Art. 2 Abs. 2 lit. a GwG unter anderem Banken nach Art. 1a BankG und Personen
     nach Art. 1b BankG (Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen vom 8. November 1934 (BankG; SR 952.0).
22   Art. 1 GwG.
23   Botschaft zur Umsetzung der revidierten Empfehlungen der Groupe d’action financière (GAFI) vom 15. Juni 2007
     (BBl 2007 6269), S. 6283.
24   Ungewöhnlichkeit der Transaktion oder der Geschäftsbeziehung, ausser wenn ihre Rechtmässigkeit erkennbar ist.
25   Anhaltspunkte, dass Vermögenswerte aus einem Verbrechen oder aus einem qualifizierten Steuervergehen nach
     Art. 305bis Ziff. 1bis StGB herrühren, der Verfügungsmacht einer kriminellen Organisation (Art. 260ter Ziff. 1
     StGB) unterliegen oder der Terrorismusfinanzierung (Art. 260quinquies Abs. 1 StGB) dienen.
26   Marc-André Beat Schauwecker, Steuerdelikte als Vortaten zur Geldwäscherei und deren Konsequenzen für Fi-
     nanzintermediäre, Bern 2016, S. 146.
27   Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA ist als unabhängige Behörde für die Aufsicht über den schweize-
     rischen Finanzmarkt und die Finanzinstitute zuständig. Siehe unter: https://www.finma.ch/de/finma/alles-zur-
     finma/.
28   Eine von der FINMA anerkannte Selbstregulierungsorganisation ist beispielsweise der «VQF
     Verein zur Qualitätssicherung von Finanzdienstleistungen», siehe unter: http://www.vqf.ch/.
     Für weitere von der FINMA anerkannte Selbstregulierungsorganisationen siehe unter:
     https://www.finma.ch/de/bewilligung/selbstregulierungsorganisationen-sro/.
29   Art. 17 GwG.
30   Art. 7 Abs. 1 FINMAG (Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht vom 22. Juni 2007 (FINMAG;
     SR 956.1).

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(GwV-FINMA)31 legt fest, wie die Finanzintermediäre die Pflichten zur Bekämpfung von Geld-
wäscherei und Terrorismusfinanzierung umsetzen müssen.32
[10] Schliesslich treffen die Bank nicht nur verschiedene Sorgfaltspflichten, sondern auch ei-
ne Meldepflicht gemäss Art. 9 Abs. 1 GwG. Die Bank muss der Meldestelle für Geldwäscherei
(MROS) unverzüglich Meldung erstatten, wenn sie weiss oder den begründeten Verdacht hat,
dass die in die Geschäftsbeziehung involvierten Vermögenswerte beispielsweise im Zusammen-
hang mit einer strafbaren Handlung nach Art. 305bis StGB stehen. Zusätzlich zur Meldepflicht
statuiert Art. 305ter Abs. 2 StGB ein Melderecht des Compliance Officer.33 Dieses bezieht sich
auch auf Sachverhalte, welche die Schwelle des begründeten Verdachts nicht erreichen und stellt
damit einen gesetzlichen Rechtfertigungsgrund dar, unter welchem strafrechtlich geschützte In-
formationen gemeldet werden können.34

2.2.       Abgrenzung zu Art. 305ter StGB
[11] Weitere Sorgfaltspflichten bei der Bekämpfung von Geldwäscherei enthält Art. 305ter StGB,
wobei die Abgrenzung zu Art. 305bis StGB fliessend und somit umso relevanter für die Haftung
und Sorgfaltspflicht der involvierten Bankmitarbeiter ist.
[12] Gemäss Art. 305ter Abs. 1 StGB wird bestraft, wer berufsmässig fremde Vermögenswerte an-
nimmt, aufbewahrt, anlegen oder übertragen hilft und es unterlässt, mit der nach den Umständen
gebotenen Sorgfalt die Identität des wirtschaftlich Berechtigten festzustellen. Bei Wahrnehmun-
gen, die darauf schliessen lassen, dass Vermögenswerte aus einem Verbrechen oder aus einem
qualifizierten Steuervergehen nach Art. 305bis Ziff. 1bis StGB herrühren, sind die von Abs. 1 des
Art. 305ter StGB erfassten Personen berechtigt (also nicht verpflichtet), der Meldestelle für Geld-
wäscherei (MROS) Meldung zu erstatten (Abs. 2).
[13] Aus historischer Sicht handelt es sich bei Art. 305ter StGB nicht um einen Geldwäschetatbe-
stand, sondern um eine verwaltungsstrafrechtliche Norm zur Durchsetzung des KYC-Prinzips.
Die Pflicht zur Feststellung der wirtschaftlich berechtigten Person wurde unterdessen jedoch im
Detail ins Geldwäschereigesetz (GwG) sowie in entsprechende Ausführungsverordnungen (ins-
besondere die GwV-FINMA und die Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der
Banken (VSB)) überführt, weshalb Art. 305ter Abs. 1 StGB als «Lückenbüssernorm» angesehen
wird,35 dessen Inhalt nicht ins Strafgesetzbuch (StGB) sondern ins Geldwäschereigesetz (GwG)
gehört.

31   Verordnung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht über die Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismus-
     finanzierung im Finanzsektor vom 3. Juni 2015 (GwV-FINMA; SR 955.033.0).
32   Art. 1 Abs. 1 GwV-FINMA.
33   Der Täterkreis gemäss Art. 305ter StGB umfasst Personen, die berufsmässig fremde Vermögenswerte annehmen,
     aufbewahren, anlegen oder übertragen helfen. Das Strafgesetzbuch (StGB) richtet sich grundsätzlich an natürliche
     Personen, vorbehältlich des Art. 102 Abs. 2 StGB. Das Melderecht betrifft somit jeden Arbeitnehmer eines Unter-
     nehmens, welches fremdes Vermögen verwaltet, bei einer Bank typischerweise den Compliance Officer.
34   Doris Hutzler, in: Jürg-Beat Ackermann (Hrsg.), Kommentar Kriminelles Vermögen – Kriminelle Organi-
     sationen: Einziehung, Kriminelle Organisation, Finanzierung des Terrorismus, Geldwäscherei, Bd. II, Zürich/
     Basel/Genf 2018, N 1 zu Art. 9 GwG; Dave Zollinger, in: Thelesklaf/Wyss/Zollinger/van Thiel, GwG Kom-
     mentar, 2. Aufl., Zürich 2009 (zit. GwG Kommentar-Verfasser), N 20 ff. zu Art. 305ter StGB.
35   Mark Pieth, in: Basler Kommentar Strafgesetzbuch II, Basel 2018 (zit. BSK StGB II-Verfasser), N 1 ff. zu
     Art. 305ter .

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[14] Das Bundesgericht befasste sich im Entscheid BGE 138 IV 1 unter anderem mit der Verlet-
zung von weitergehenden Abklärungspflichten und deren Subsumption unter Art. 305bis StGB
und Art. 305ter StGB. Dem fehlbaren Bankmitarbeiter wurde zum Vorwurf gemacht, dass er die
Bankbeziehung nicht als «politisch exponierte Person (PEP)»36 qualifiziert hatte. Das Bundesge-
richt kam zum Schluss, die Verletzung von weitergehenden Abklärungspflichten falle bei gegebe-
nen Voraussetzungen unter Art. 305bis StGB, nicht aber unter Art. 305ter StGB. Es hielt dabei fest,
dass sich die Identifikationspflicht gemäss Art. 305ter StGB (nur) auf die Basiselemente (Name,
Vorname, Geburtsdatum, Nationalität) beschränkt37 .38 Zudem erfasst Art. 305ter StGB keine an-
deren Sorgfaltspflichten, insbesondere nicht die Pflicht der risikobasierten Prüfung gemäss Art. 6
GwG.39
[15] Folglich handelt es sich bei Art. 305ter Abs. 1 StGB nicht nur aus rechts-theoretischer, son-
dern auch aus praktischer Sicht um eine «Lückenbüssernorm». Der zuständige Compliance Offi-
cer wird bei der Identifizierung des Vertragspartners, beziehungsweise der Feststellung des wirt-
schaftlich Berechtigten oder des Kontrollinhabers seine Basiselemente gestützt auf die Art. 3–5
GwG sowie Art. 7 ff. und 21 ff. VSB 16 feststellen. Im heutigen Umfeld geht es regelmässig um
weit komplexere Abklärungen, ganz im Sinne der Bestrebungen, eine holistische Dokumentation
des Bankkunden zu erreichen.

2.3.        Vorgaben der FATF (GAFI)
[16] Die schweizerische Gesetzgebung betreffend die Bekämpfung von Geldwäscherei ist stark
von den Vorgaben der Financial Action Task Force FATF (auf Französisch: Groupe d‘action finan-
cière GAFI) geprägt. Dies ist eine zwischenstaatliche Einrichtung, die zum Ziel hat, die Geldwä-
scherei, Terrorismusfinanzierung und andere Bedrohungen der Integrität des internationalen Fi-
nanzsystems zu bekämpfen. Hierzu legt sie Standards fest, um dadurch ein internationales «level
playing field» zu schaffen. Heute umfasst die Gruppe 37 Mitglieder, darunter auch die Schweiz.40
[17] Im Jahre 1990 veröffentlichte die FATF 40 Empfehlungen zur Bekämpfung von Geldwäsche-
rei.41 Als Mitglied sah sich die Schweiz politisch verpflichtet, diese Empfehlungen umzusetzen. In
der Folge wurde beispielsweise das Melderecht in Art. 305ter Abs. 2 StGB sowie die Meldepflicht
in Art. 9 GwG verankert.42
[18] 2012 hatte die FATF ihre Standards43 überprüft. Um die entsprechenden Empfehlungen zu
erfüllen, wurden in der Folge qualifizierte Steuervergehen als Vortat zur Geldwäscherei in die

36   Siehe für eine Definition der «politisch exponierten Person (PEP)» Art. 2a Abs. 1 GwG.
37   Unter Hinweis auf BGE 136 IV 127, E. 3.1.3.2.
38   Claudio Kerber, 6B_729/2010: Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften Geldwäscherei, Kriminelle Organisation
     (amtl. Publ.), in: swissblawg vom 15. Februar 2012.
39   BSK StGB II-Pieth (Fn. 35), N 28 zu Art. 305ter .
40   Siehe unter: http://www.fatf-gafi.org/about/.
41   Siehe unter: http://www.fatf-gafi.org/media/fatf/documents/reports/1990%20ENG.pdf.
42   Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Revision des
     Einziehungsrechts, Strafbarkeit der kriminellen Organisation, Melderecht des Financiers) vom 30. Juni 1993 (BBl
     1993 III 277), S. 277, 293, 324 f.; Matthias Kuster, Zur Abgrenzung des Melderechts nach Art. 305er Abs. 2 StGB
     von der Meldepflicht nach Art. 9 GwG, in: Jusletter 26. Juni 2017, S. 2 f.
43   Siehe unter: https://www.fatf-gafi.org/publications/fatfrecommendations/documents/fatf-recommendations.html.

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schweizerische Gesetzgebung eingeführt.44 Dies hatte Auswirkungen auf die entsprechenden Ar-
tikel des Geldwäschereigesetzes (GwG)45 sowie des Strafgesetzbuches (StGB)46 .47
[19] Im Dezember 2016 stellte die FATF in ihrem Länderbericht zur Schweiz48 in einigen Berei-
chen Schwachstellen in der schweizerischen Gesetzgebung und der Wirksamkeit der Vorgaben
fest. Gestützt auf die Empfehlungen der FATF soll nun das Geldwäschereigesetz (GwG), zusam-
men mit weiteren Erlassen49 , teilrevidiert werden.50 Am 26. Juni 2019 hat der Bundesrat die
Botschaft zur Änderung des Geldwäschereigesetzes (GwG) verabschiedet.51 Nachfolgend soll auf
die aus Sicht des Schreibenden relevantesten Neuerungen eingegangen werden, namentlich die
Verifizierungs- und Aktualisierungspflicht sowie die Beibehaltung des Melderechts.
[20] Der Entwurf sieht in Art. 4 Abs. 1 erster Satz E-GwG eine Pflicht zur Verifizierung der vom
Kunden erhaltenen Angaben vor (Verifizierungspflicht). Des Weiteren soll mit Art. 7 Abs. 1bis
E-GwG eine generelle und explizite Aktualisierungspflicht der Kundendaten in das Geldwäsche-
reigesetz (GwG) aufgenommen werden. Da diese beiden Pflichten in der Praxis für viel Diskussi-
onsstoff gesorgt haben, bilden sie nicht mehr Gegenstand der teilrevidierten GwV-FINMA, wel-
che am 1. Januar 2020 in Kraft tritt,52 sondern sind neu auf Gesetzesstufe zu implementieren.53
Damit werden auch implizit geltende Pflichten des Compliance Officer kodifiziert,54 was aus
Sicht der Rechtssicherheit zu begrüssen ist. Jedoch gehen damit die Pflichten gemäss Entwurf
und Botschaft teilweise weiter als die bisherigen,55 weshalb mit Blick auf den finalen Gesetzes-
text und dessen Auslegung darauf zu achten ist, dass die Haftung des Compliance Officer nicht
unverhältnismässig erweitert wird. Insbesondere ist deshalb im geplanten Gesetzestext ein «ri-

44   Botschaft zur Umsetzung der 2012 revidierten Empfehlungen der Groupe d’action financière (GAFI) vom
     13. Dezember 2013 (BBl 2014 605) (zit. Botschaft GAFI 2013), S. 684 f.
45   Siehe insbesondere Art. 6 Abs. 2 lit. b und Art. 9 Abs. 1 lit. b und 1bis lit. b GwG.
46   Siehe insbesondere Art. 305bis Abs. 1 und Abs. 1bis StGB sowie Art. 305ter Abs. 2 StGB.
47   Peter Lutz/Martin Kern, Geldwäscherei und das qualifizierte Steuervergehen von Art. 305bis Ziff. 1bis StGB, in:
     SJZ 113/2017, S. 97.
48   Länderbericht zur Schweiz vom Dezember 2016, unter: http://www.fatf-gafi.org/media/fatf/content/images/mer-
     switzerland-2016.pdf (zit. Länderbericht Schweiz).
49   Betroffen sind auch Bestimmungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907 (ZGB; SR
     210), des Bundesgesetzes betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obliga-
     tionenrecht) vom 30. März 1911 (OR; SR 220), des Strafgesetzbuches (StGB), des Bundesgesetzes über die Kon-
     trolle des Verkehrs mit Edelmetallen und Edelmetallwaren vom 20. Juni 1933 (EMKG; SR 941.31), sowie des Bun-
     desgesetzes über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht vom 22. Juni 2007 (FINMAG; SR 956.1), siehe unter:
     https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/57535.pdf.
50   Siehe Medienmitteilung des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) vom 1. Juni 2018 unter:
     https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/dokumentation/nsb-news_list.msg-id-70973.html.
51   Siehe Medienmitteilung des Eidgenössischen Finanzdepartementes vom 26. Juni 2019 unter:
     https://www.efd.admin.ch/efd/de/home/dokumentation/nsb-news_list.msg-id-75603.html; Botschaft zur Än-
     derung des Geldwäschereigesetzes vom 26. Juni 2019 (BBl 2019 5451) (zit. Botschaft Teilrevision GwG).
52   Siehe Medienmitteilung der FINMA vom 18. Juli 2018 unter: https://www.finma.ch/de/news/2018/07/20180718-
     mm-gwv-finma/.
53   Erläuternder Bericht zur Vernehmlassungsvorlage zur geplanten Änderung des Geldwäschereigesetzes (GwG) vom
     1. Juni 2018, siehe unter: https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/52554.pdf (zit. Bericht zur
     Vernehmlassungsvorlage), S. 5 ff.
54   Bericht zur Vernehmlassungsvorlage (Fn. 53), S. 34.
55   Zur Verifizierungspflicht gemäss Art. 4 Abs. 1 erster Satz E-GwG ist der Botschaft Teilrevision GwG Folgendes
     zu entnehmen: «Mit der Einforderung lediglich einer Ausweiskopie der wirtschaftlich berechtigten Person für
     die Akten wird die genannte Pflicht nicht erfüllt», Botschaft Teilrevision GwG (Fn. 51), S. 5508. Betreffend die
     Aktualisierungspflicht gemäss Art. 7 Abs. 1bis E-GwG hält die Botschaft Teilrevision GwG fest: «Die Pflicht zur
     periodischen Überprüfung der Aktualität der Kundendaten betrifft alle Geschäftsbeziehungen ungeachtet des
     Risikos», Botschaft Teilrevision GwG (Fn. 51), S. 5476.

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André Tanner, Der bankinterne Compliance Officer, in : Jusletter 30 septembre 2019

sikobasierter Ansatz»56 zu verankern. Dies muss auch für zukünftige Revisionsvorhaben gelten.
Der Compliance Officer soll sich in der Praxis konsequent nach diesem Ansatz richten können.
[21] Darüber hinaus soll die von der FATF kritisierte Koexistenz von Meldepflicht und Melde-
recht bereinigt werden.57 Wie dem erläuternden Bericht zur Vernehmlassungsvorlage zu entneh-
men ist, bliebe kaum mehr ein Anwendungsbereich für das Melderecht nach Art. 305ter Abs. 2
StGB bestehen, da gemäss schweizerischer Rechtsprechung der Terminus des «begründeten Ver-
dachts» von Art. 9 GwG weit zu verstehen ist. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass der
Compliance Officer in der Regel von der Bank mit der Meldung an die Meldestelle für Geldwä-
scherei (MROS) betraut ist, weshalb durch die Aufhebung des Melderechts sowie die grosszügige
Auslegung von Art. 9 GwG das Risiko einer Verantwortlichkeit des Compliance Officer erhöht
würde. Dies gilt insbesondere mit Blick auf Art. 47 BankG (Bankkundengeheimnis als Berufs-
geheimnis)58 sowie Art. 37 GwG (Verletzung der Meldepflicht nach Art. 9 GwG).59 Dann näm-
lich entfiele der Rechtfertigungsgrund für eine Meldung von Sachverhalten, welche die Schwelle
des «begründeten Verdachts» (noch) nicht erreicht haben. Der Compliance Officer hätte dann
das Bankkundengeheimnis gemäss Art. 47 BankG verletzt, wenn er seinen Verdacht meldet, sich
jedoch im Nachhinein herausstellt, dass er dies nicht hätte tun dürfen, da die Schwelle des be-
gründeten Verdachts noch nicht erreicht war. Gleichzeitig fiele der Compliance Officer schneller
unter die Strafbestimmungen von Art. 37 GwG, da aufgrund der weiten Auslegung des Begriffs
des begründeten Verdachts die Schwelle zur fahrlässigen Unterlassung einer Meldung (Art. 37
Abs. 2 StGB) schneller erreicht würde. Der Bundesrat hat sich aufgrund der Kritik an der geplan-
ten Abschaffung für die Beibehaltung des Melderechts in Art. 305ter Abs. 2 StGB ausgesprochen
und vorgeschlagen, den Begriff des «begründeten Verdachts» von Art. 9 GwG in der Geldwä-
schereiverordnung (GwV)60 zu konkretisieren. Dabei soll auf die Auslegung der Rechtsprechung
abgestellt werden.61
[22] Begrüssenswert wäre indes, auch aus systematischer Sicht, das Melderecht vom Strafgesetz-
buch (StGB) ins Geldwäschereigesetz (GwG) unter Art. 9bis E-GwG zu verschieben.62 Gleichzeitig
könnte so auch der als «Lückenbüssernorm» kritisierte Abs. 1 und damit Art. 305ter StGB in toto
aufgehoben werden.
[23] Mit Blick auf eine kodifizierte Definition des «begründeten Verdachts»63 erscheint es sinn-
voll, auch diesbezüglich eine genügende gesetzliche Grundlage und damit Rechtssicherheit für

56   Vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 4.1.
57   Länderbericht Schweiz (Fn. 48), S. 195 und S. 238; Matthias Kuster (Fn. 42), S. 9; Botschaft Teilrevision GwG
     (Fn. 51), S. 5477 ff.
58   Art. 47 Abs. 1 BankG besagt, dass bestraft wird, wer vorsätzlich ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigen-
     schaft als Organ, Angestellter, Beauftragter oder Liquidator einer Bank anvertraut worden ist oder das er in dieser
     Eigenschaft wahrgenommen hat (lit. a); zu einer solchen Verletzung des Berufsgeheimnisses zu verleiten sucht
     (lit. b); ein ihm nach lit. a offenbartes Geheimnis weiteren Personen offenbart oder für sich oder einen anderen aus-
     nützt (lit. c). Wer fahrlässig handelt, wird gemäss Abs. 2 bestraft.
59   Art. 37 Abs. 1 GwG besagt, dass bestraft wird, wer vorsätzlich die Meldepflicht nach Art. 9 GwG verletzt. Wer
     fahrlässig handelt, wird gemäss Abs. 2 bestraft.
60   Verordnung über die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung vom 11. November 2015
     (GwV; SR 955.01).
61   Botschaft Teilrevision GwG (Fn. 51), S. 5478.
62   Stellungnahme der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) zur Änderung des Bundesgesetzes über die Be-
     kämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung (GwG) vom 14. September 2018 (zit. Stellungnah-
     me SBVg), S. 12.
63   «Ein Verdacht ist dann begründet, wenn er auf einem konkreten Hinweis oder mehreren Anhaltspunkten beruht,
     die einen verbrecherischen Ursprung der Vermögenswerte befürchten lassen», in: Botschaft zum Bundesgesetz

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André Tanner, Der bankinterne Compliance Officer, in : Jusletter 30 septembre 2019

die Bank und den Compliance Officer zu schaffen und in Art. 9 Abs. 1 lit. abis E-GwG64 folgende
an Art. 20 Abs. 1 der Geldwäschereiverordnung (GwV) angelehnte Definition zu verankern:

       «Ein begründeter Verdacht, der eine Meldepflicht nach Artikel 9 Absatz 1 GwG auslöst,
       liegt vor, wenn der Verdacht auf einem konkreten Hinweis oder mehreren Anhaltspunkten
       beruht, die eine Herkunft der Vermögenswerte aus einer strafbaren Handlung vermuten
       lassen und sich der Verdacht trotz zusätzlicher Abklärungen nach Artikel 6 GwG nicht
       hinreichend ausräumen lässt.»

[24] Mit dieser Definition wäre auf Gesetzesstufe festgehalten, dass ein einfacher Verdacht bezie-
hungsweise Zweifel oder ein einziger Anhaltspunkt für Geldwäscherei noch nicht für eine Mel-
depflicht der Bank ausreicht. Anschliessend wären auch das Bundesgericht und offenbar auch die
FINMA angehalten, ihre Rechtsprechung beziehungsweise Praxis entsprechend anzupassen.65
[25] Erst nach erfolgter GwG-Teilrevision würden allenfalls Ausführungsbestimmungen zu den
neu kodifizierten Pflichten in die GwV-FINMA, die Vereinbarung über die Standesregeln zur
Sorgfaltspflicht der Banken (VSB) und in den Reglementen der Selbstregulierungsorganisationen
aufzunehmen sein.

2.4.        Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken
            (VSB)
[26] Für Banken und Effektenhändler verweist die GwV-FINMA in Art. 35 betreffend Identifizie-
rung der Vertragsparteien und Feststellung des Kontrollinhabers sowie der an Vermögenswerten
wirtschaftlich berechtigten Person auf die Bestimmungen der Vereinbarung über die Standesre-
geln zur Sorgfaltspflicht der Banken (VSB). Diese wird jeweils zwischen der Schweizerischen Ban-
kiervereinigung als Selbstregulierungsorganisation (SRO) der Banken und den unterzeichnenden
Banken abgeschlossen und soll die Sorgfaltspflichten gemäss Art. 3–5 GwG sowie den Begriff der
«nach den Umständen gebotenen Sorgfalt» bei der Entgegennahme von Vermögenswerten ge-
mäss Art. 305ter StGB konkretisieren.66 Das Bundesgericht hat der VSB bei der Anwendung von
Art. 305ter StGB lediglich die Funktion einer Auslegungshilfe zugesprochen, indem es die VSB als
rein privatrechtliches Institut qualifiziert hatte.67 Mit Urteil vom 17. Januar 2011 stellte es seine
bisherige Rechtsprechung in Frage, ohne jedoch eine abschliessende Qualifikation der VSB vor-
zunehmen.68 Von der GwV-FINMA ist die VSB insofern abzugrenzen, als dass die GwV-FINMA

     zur Bekämpfung der Geldwäscherei im Finanzsektor (Geldwäschereigesetz, GwG) vom 17. Juni 1996 (BBl 1996 III
     1101) (zit. Botschaft GwG), S. 1130.
64   Stellungnahme SBVg (Fn. 62), S. 13.
65   In Kapitel 4.2 dieses Beitrags wird aufgezeigt, dass es für den Compliance Officer aufgrund der unscharfen Ab-
     grenzung sowie der Rechtsprechung des Bundesgerichts und offenbar auch der Praxis der FINMA schwierig ist,
     seiner Sorgfaltsplicht nachzugehen.
66   Art. 2 VSB 16.
67   BGE 109 Ib 146; BGE 125 IV 139; BGE 128 III 250; Georg Friedli/Dominik Eichenberger, Pra-
     xis der Aufsichtskommission zur Sorgfaltspflicht der Banken für die Jahre 2011 bis 2016, unter:
     https://www.swissbanking.org/de/themen/regulierung/geldwaeschereibekaempfung/20170704-3350-all-
     taetigkeitsbericht_ak_vsb_2011-2016_d-sba.pdf/view (zit. Praxis der Aufsichtskommission), S. 7.
68   Urteil des Bundesgerichts 6B_501/2009 vom 17. Januar 2011, E. 2.1.3.: «Ci si può chiedere se tale giurispruden-
     za possa essere mantenuta a seguito delle modifiche legislative nel frattempo intervenute [. . . ] Nella fattispecie la

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André Tanner, Der bankinterne Compliance Officer, in : Jusletter 30 septembre 2019

andere Pflichten statuiert (globale Überwachung der Rechts- und Reputationsrisiken, besondere
Abklärungspflichten bei Geschäftsbeziehungen oder Transaktionen mit erhöhtem Risiko etc.).69
[27] Obwohl die VSB zwischen der Schweizerischen Bankiervereinigung und den unterzeichnen-
den Banken abgeschlossen wird, ist ihr privatrechtlicher Charakter aufgrund des ausdrücklichen
Verweises in der GwV-FINMA umstritten, denn damit erhält die Vereinbarung (zumindest teil-
weise) Verordnungscharakter.70 Das Sanktionssystem der VSB hat jedoch klarerweise privatrecht-
lichen Charakter.71 Die in der Schweiz domizilierten Banken, mit sämtlichen Geschäftsstellen,
unterstehen per se den Standesregeln72 (mit Ausnahme des Sanktionssystems in Kapitel 8 der
VSB 16). Unterzeichnen die Banken die VSB nicht, unterstehen sie dem (aufsichtsrechtlichen)
Sanktionssystem gemäss Art. 30 ff. FINMAG. Unterzeichnen sie die VSB, so unterwerfen sie sich
zusätzlich dem in der VSB geregelten (monetären) Sanktionssystem gemäss Art. 58 ff. VSB 16.
[28] Als Ausfluss der überarbeiteten FATF-Empfehlungen wurde in der geltenden73 VSB 1674 der
Begriff des Kontrollinhabers75 geschaffen, welcher für den wirtschaftlich Berechtigten an einer
operativ tätigen, juristischen Person76 steht.77 So gibt es nun ein neues Formular K zur Feststel-
lung des Kontrollinhabers an nicht börsenkotierten, operativ tätigen, juristischen Personen und
Personengesellschaften. Die Vorlage für Formular K findet sich zusammen mit dem Formular
A (Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten), I (Informationen zu Lebensversicherungen mit
separater Konto-/ Depotführung, sogenannte Insurance Wrapper), S (Stiftungen sowie ähnliche
Konstrukte) und T (Trusts) im Anhang zur VSB.78 Hinzu kommt Formular R für Berufsgeheim-
nisträger, welches allerdings nur in Art. 36 Abs. 2 VSB 16 erwähnt wird, der VSB aber nicht
(mehr) angehängt ist.79 Ein überarbeitetes Musterformular R findet sich jedoch in der Formular-
sammlung der Schweizerischen Bankiervereinigung.80

     questione può tuttavia rimanere indecisa [. . . ].» Georg Friedli/Dominik Eichenberger, Praxis der Aufsichtskom-
     mission (Fn. 67), S. 7.
69   Art. 2 Abs. 2 VSB 16; Kommentar der Schweizerischen Bankiervereinigung zur Vereinbarung über die Standesre-
     geln zur Sorgfaltspflicht der Banken (VSB 16), 2. Aufl. (zit. Kommentar zur VSB 16), S. 37.
70   Urteil des Bundesgerichts 6B_501/2009 vom 17. Januar 2011, E. 2.1.3 mit Verweis auf GwG Kommentar-Wyss
     (Fn. 34), N 1–2 zu Art. 14 GwV-FINMA 1; Georg Friedli/Dominik Eichenberger, Praxis der Aufsichtskommission
     (Fn. 67), S. 7; Die Anerkennung als Mindeststandard ergibt sich auch aus dem Rundschreiben FINMA-RS 08/10
     «Selbstregulierung als Mindeststandard» vom 20. November 2008, Rz. 1 ff.
71   Georg Friedli/Dominik Eichenberger, Praxis der Aufsichtskommission (Fn. 67), S. 7.
72   Die FINMA gibt zu jeder VSB-Revision ihr Einverständnis, siehe hierzu: Kathrin Heim, VSB 2016 Praxiskommen-
     tar zur Vereinbarung über die Standesregeln zur Sorgfaltspflicht der Banken, 3. Aufl., Zürich 2016 (zit. Kathrin
     Heim Praxiskommentar VSB 16), S. 10.
73   Zusammen mit der teilrevidierten GwV-FINMA tritt die neue VSB 20 am 1. Januar 2020 in Kraft und enthält
     vornehmlich Neuerungen betreffend Kassageschäfte, Kontoeröffnung ohne vollständige Dokumentation,
     Video- und Online-Identifizierung und dem abgekürzten Verfahren vor der Aufsichtskommission, siehe
     unter: https://www.swissbanking.org/de/medien/news/vsb-20-revidierte-standesregeln-im-bereich-der-
     geldwaeschereibekaempfung.
74   Die geltende VSB 16 ist seit dem 1. Januar 2016 in Kraft (Art. 69 Abs. 1 VSB 16).
75   Siehe betreffend eine Definition der Kontrollinhaberin oder des Kontrollinhabers auch Art. 2 lit. f GwV-FINMA.
76   Siehe auch Art. 697i und Art. 697j OR.
77   Kommentar zur VSB 16 (Fn. 69), S. 17.
78   Kommentar zur VSB 16 (Fn. 69), S. 5.
79   Kathrin Heim Praxiskommentar VSB 16 (Fn. 72), S. 325 und 339 f.
80   Siehe unter: https://www.swissbanking.org/library/rahmenvertraege-formulare/formular-r-2016.

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[29] Gemäss Bundesgericht kommt dem Formular A, und somit allen VSB Formularen, eine er-
höhte Glaubwürdigkeit zu.81 Hinsichtlich der Erfüllung der Sorgfaltspflicht besitzen die Formu-
lare gegenüber Aufsichtsbehörden eine erhöhte Beweiskraft und stellen deshalb Urkunden im
Sinne von Art. 110 Ziff. 4 StGB dar.82 Aus diesem Grund enthält jedes Musterformular einen ex-
pliziten Verweis auf den Straftatbestand der Urkundenfälschung nach Art. 251 StGB.83 Täter der
Urkundenfälschung ist nur der Vertragspartner der Bank oder sein Bevollmächtigter. Seitens der
Organe oder Vertreter der Bank könnte jedoch Mittäterschaft84 , oder nach Ansicht des Schrei-
benden Gehilfenschaft, in Frage kommen. Umso mehr hat die Bank den Vertragspartner über
die rechtliche Qualifikation dieser Urkunden und die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen
im Falle der Falschbeurkundung aufzuklären.85 Gleichzeitig muss sich die Bank darauf verlassen
können, dass die vom Vertragspartner erhaltenen Angaben inhaltlich korrekt sind.86
[30] Unter geltendem Recht ist es die Pflicht des Compliance Officer, die erhaltenen Angaben zu
plausibilisieren, wenn nötig zu verifizieren und in Einzelfällen zu aktualisieren. De lege ferenda
soll er die erhaltenen Angaben plausibilisieren, stets verifizieren (Art. 4 Abs. 1 erster Satz E-GwG)
und auf allen Geschäftsbeziehungen periodisch aktualisieren müssen (Art. 7 Abs. 1bis E-GwG).
Dennoch darf von einem Compliance Officer nicht dieselbe Abklärungstiefe wie von Strafverfol-
gungsbehörden erwartet werden, denn der Compliance Officer ist kein Staatsanwalt87 und hat
auch einen anderen Aufgabenkatalog als dieser.88

2.5.       Strafrechtliche Garantenstellung des Compliance Officer
[31] Gemäss Art. 11 StGB kann ein Delikt auch durch pflichtwidriges Untätigbleiben began-
gen werden. Es macht sich strafbar, wer die Gefährdung oder Verletzung eines strafrechtlich
geschützten Rechtsgutes nicht verhindert, obwohl er aufgrund seiner Rechtstellung dazu ver-
pflichtet ist, namentlich auf Grund des Gesetzes, eines Vertrages, einer freiwillig eingegangenen
Gefahrengemeinschaft oder der Schaffung einer Gefahr.89 Besteht eine Rechtspflicht, den in con-
creto eingetretenen Erfolg nach Möglichkeit abzuwenden, so resultiert daraus eine Garantenstel-
lung.90

81   BSK StGB II-Boog (Fn. 35), N 130 zu Art. 251; vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_37/2013 vom 15. April 2013,
     E. 1.2.2; Urteil des Bundesgerichts 6B_574/2011 vom 20. Februar 2012, E. 2.2.1; Urteil des Bundesgerichts
     6S.293/2005 vom 24. Februar 2006, E. 8.2.1.
82   BGE 139 II 404, E. 9.9.2.; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 1C_370/2012 vom 3. Oktober 2012, E. 2.7; Urteil des
     Bundesgerichts 6P.144/2005 vom 15. Juni 2006, E. 7.2.2.
83   Siehe hierzu kritisch: BSK StGB II-Boog (Fn. 35), N 130 zu Art. 251; Gunther Arzt, Bankkunden, Bankformulare,
     Falschbeurkundung (zit. Bankformulare), recht 1/2010, S. 38 f.; Gunther Arzt, SJZ 1990, S. 189.
84   Kathrin Heim Praxiskommentar VSB 16 (Fn. 72), S. 245 f.
85   Monika Roth, Die Spielregeln des Private Banking in der Schweiz, Rechtliche Regelungen, Standes- und Verhal-
     tensregeln für Banken bei Anlageberatung und Vermögensverwaltung (zit. Spielregeln), 4. Aufl., Zürich 2016,
     S. 203.
86   Kathrin Heim Praxiskommentar VSB 16 (Fn. 72), S. 244.
87   Vgl. hierzu die Überlegungen von Felix Bommer, Die strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahr
     2010, in: Zeitschrift des bernischen Juristenvereins, ZBJV 151/2015, S. 352.
88   Siehe zur individuellen Sorgfaltspflicht des Compliance Officer Kapitel 4 dieses Beitrags.
89   Art. 11 Abs. 2 StGB.
90   Stefan Trechsel/Marc Jean-Richard-dit-Bressel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl.,
     Zürich/St. Gallen 2018, N 7 zu Art. 11..

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André Tanner, Der bankinterne Compliance Officer, in : Jusletter 30 septembre 2019

[32] Das Bundesgericht äusserte sich in BGE 136 IV 188 erstmals zur Frage, ob Geldwäscherei
von Finanzintermediären auch durch Unterlassung begangen werden kann und bejahte diese.
In seinem Leitentscheid betreffend Garantenstellung von Arbeitnehmern und Organen91 einer
Schweizer Bank verurteilte es fünf Compliance & Legal-Mitarbeiter. Sie hatten sich der Geldwä-
scherei gemäss Art. 305bis Abs. 1 StGB zugunsten von drei brasilianischen Fiskalagenten92 des
Bundesstaates Rio de Janeiro schuldig gemacht.93 Die Fiskalagenten wurden im Jahre 2007 von
einem Gericht in Rio de Janeiro wegen passiver Bestechung verurteilt. Sie hatten zuvor Schmier-
gelder auf ihre Konten bei der Schweizer Bank deponiert.94 Die Bank wäre im konkreten Fall
bei einem der Fiskalagenten verpflichtet gewesen zu überprüfen, ob die öffentliche Tätigkeit als
Beamter mit dem Halten von Geldern bei ihr kompatibel ist. Zusätzlich hätten beim Repräsentan-
ten der Bank in Rio de Janeiro weitere Informationen eingeholt werden sollen. In den jeweiligen
Sitzungen des Direktionsauschusses wurde das Thema jedoch nicht behandelt. Darüber hinaus
hätte der Fall der Generaldirektion zum Entscheid, ob eine Verdachtsmeldung an die Meldestelle
für Geldwäscherei (MROS) zu erstatten sei, unterbreitet werden sollen. Dies geschah ebenfalls
nicht. Die Versäumnisse kamen erst bei der Fusion mit einer anderen Bank zum Vorschein.95
[33] Die Ausführungen des Bundesgerichts in BGE 136 IV 188 wurden in der Doktrin kritisiert.
Bommer hält diesbezüglich fest, dass das Bundesgericht nicht begründe, weshalb die gesetzlichen
Pflichten96 , namentlich diejenigen in Art. 6 GwG und Art. 9 GwG im Speziellen sowie ganz gene-
rell die Regeln zur Bekämpfung von Geldwäscherei (Art. 3–10 GwG) zu einer Garantenstellung
führen. Eine solche ergäbe sich erst, wenn dem Finanzintermediär das gleiche Mass an Verantwor-
tung für die Rechtspflege zukommen würde und er derart qualifizierte Pflichten hätte wie etwa
ein institutionell zuständiger Staatsanwalt. Dem sei jedoch bei einem Finanzintermediär nicht so.
Er muss zwar einschlägige Beobachtungen weitergeben, wird jedoch nicht zum Garanten für die
Durchsetzung staatlicher Einziehungsansprüche.97
[34] Folglich können sich gemäss schweizerischer höchstrichterlicher Rechtsprechung alle Arbeit-
nehmer und Organe einer Bank, welche in die Prävention und Bekämpfung von Geldwäscherei
rechtlich eingebunden sind, der Geldwäscherei durch Unterlassung strafbar machen. Vorausset-
zung hierfür ist erstens, dass sie es versäumen, ihren Sorgfaltspflichten trotz konkretem Verdacht
auf eine verbrecherische Herkunft von Vermögenswerten nachzukommen und zweitens, dass
dadurch eine Verdachtsmeldung und Vermögenssperre unterbleibt. Erfasst werden damit auch
Compliance Officer, die gemäss den internen Richtlinien selber gar nicht die Verantwortung für
die Erstattung der Meldung oder die Anordnung der Vermögenssperre tragen.98

91   Betreffend Vertretungsverhältnisse und die Zurechnung an Arbeitnehmer siehe Art. 29 StGB.
92   Ein «Fiskalagent» verwaltet als Bevollmächtigter für eine Drittpartei verschiedene ihrer finanziellen Angelegenhei-
     ten, wie beispielsweise die Rückzahlung von Anleihen oder die Bearbeitung von Steuerfragen.
93   Michael Kunz, Die strafrechtliche Garantenstellung von Bankorganen bei der Geldwäscherei, in: Jusletter 14.
     Februar 2011, S. 2.
94   Michael Kunz (Fn. 93), S. 2; BGE 136 IV 188, S. 188 f.
95   Michael Kunz (Fn. 93), S. 2; BGE 136 IV 188, S. 189 f.
96   Art. 11 Abs. 2 lit. a StGB.
97   Felix Bommer (Fn. 87), S. 352.
98   Michael Kunz (Fn. 93), S. 5.

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André Tanner, Der bankinterne Compliance Officer, in : Jusletter 30 septembre 2019

3.          Haftung des Compliance Officer aus Arbeitsvertrag
3.1.        Arbeitsvertragliche Treuepflicht des Compliance Officer
[35] Die Verpflichtung des bankinternen Compliance Officer, die Gefährdung oder Verletzung
eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes zu verhindern, ergibt sich aus seinem Arbeitsvertrag
mit der Bank.99
[36] Als Korrelat zur Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin sieht das Anstellungsverhältnis eine all-
gemeine Treuepflicht des Arbeitnehmers vor. Gemäss Art. 321a Abs. 1 OR hat er die berechtigten
Interessen der Arbeitgeberin in guten Treuen zu wahren. Die Funktion und Aufgabe des Arbeit-
nehmers sowie die betrieblichen Verhältnisse bestimmen den Umfang der Treuepflicht.100 Eine
Verletzung der Treuepflicht führt nicht nur zur arbeitsrechtlichen Sanktionierung, sondern kann
gerade beim Compliance Officer auch strafrechtlich relevant werden.
[37] In BGE 113 IV 68 hat das Bundesgericht festgehalten, dass eine arbeitsvertragliche Treue-
pflicht gemäss Art. 321a Abs. 1 OR allein nicht zu einer strafrechtlichen Garantenstellung des
Arbeitnehmers führt. Der Arbeitnehmer in einer verantwortlichen Position besitzt jedoch in sei-
nem Zuständigkeitsbereich101 eine Garantenstellung für das Vermögen seiner Arbeitgeberin.102
[38] Die in diesem Fall fehlbaren Arbeitnehmer A. und X. der Z. AG wickelten über ein Bro-
kerhaus103 in Genf private Spekulationsgeschäfte ab. Sie überwälzten dabei das Margenrisiko
vollumfänglich auf ihre Arbeitgeberin und erlitten erhebliche Verluste. Um diese auszugleichen
und weiter spekulieren zu können, nahm A., namens und auf Rechnung seiner Arbeitgeberin,
bei Drittbanken Festgelder auf. X. wurde vorgeworfen, er habe geduldet, dass A. horrende Fest-
geldaufnahmen tätigte und dass X. seiner Arbeitgeberin keine Meldung erstattet hatte. Ebenfalls
wurde ihm zur Last gelegt, eine Bestätigung betreffend eine der Festgeldaufnahmen verwahrt zu
haben, anstatt sie pflichtgemäss an die Buchhaltung seiner Arbeitgeberin weiterzuleiten.104
[39] Die Arbeitnehmer A. und X. waren aufgrund des damals gültigen Organigramms einander
in der Hierarchie gleichgestellt. X. hatte aufgrund seiner verantwortungsvollen Position in sei-
nem Zuständigkeitsbereich eine Garantenstellung für das Vermögen seiner Arbeitgeberin inne
und hätte gegen Machenschaften von ihm Untergebenen einschreiten müssen. Der Bereich seiner
Garantenstellung ist jedoch auf den Sektor der eigenen Zuständigkeit zu beschränken. In Bezug
auf die von A. begangenen Delikte ist die Garantenstellung von X. zu verneinen, denn A. konn-
te Kraft seiner eigenen Stellung auch in den Aufgabenbereich des X. eingreifen und war nicht
der Untergebene von X., sondern für seine Eingriffe selber zuständig und verantwortlich. Der
Kompetenzbereich von X. war insoweit beschränkt, als dass A. in diesen eingegriffen hat.105
[40] Ergäbe sich stets eine Garantenstellung des Arbeitnehmers aus seiner allgemeinen arbeits-
rechtlichen Treuepflicht, so würde diese strafrechtlich überdehnt. Im Bereich der eigenen

99   Monika Roth, Compliance - in a nutshell, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2018, S. 45.
100 Streiff/Von Kaenel/Rudolph, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319–362 OR, 7. Aufl., Zürich 2012, N 2
     zu Art. 321a OR.
101 Mit Zuständigkeitsbereich meint das Bundesgericht den Aufgabenbereich des Arbeitnehmers, welcher in seine
     (alleinige) Kompetenz fällt.
102 Streiff/Von Kaenel/Rudolph (Fn. 100), N 7 zu Art. 321a.
103 Ein Brokerhaus ist ein Unternehmen, das Börsengeschäfte vermittelt.
104 BGE 113 IV 68, S. 68 ff.
105 BGE 113 IV 68, S. 68 ff.

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Kompetenz ist eine Garantenstellung jedoch möglich, denn abzustellen ist auf die Kompetenzzu-
weisung.106

3.2.       Haftung gemäss Art. 321e OR
3.2.1.     Grundlagen

[41] Gemäss Art. 321e Abs. 1 OR107 ist der Arbeitnehmer für den Schaden verantwortlich, den
er absichtlich oder fahrlässig der Arbeitgeberin zufügt.108 Unter Umständen trifft ihn sogar eine
strafrechtliche Garantenstellung für das Vermögen seiner Arbeitgeberin. Dass er sich dieser auch
bewusst ist, darf vorausgesetzt werden.109 Art. 321e Abs. 2 OR bestimmt das Mass der Sorgfalt,
für das der Arbeitnehmer einzustehen hat. Diese Bestimmung ist sowohl Haftungsmassstab wie
auch Bemessungsgrundlage für den Schadenersatz,110 der sich nicht nur nach Art. 43 und 44
OR richtet.111 Berücksichtigt werden Faktoren wie das Berufsrisiko, der Bildungsgrad, die Fach-
kenntnisse sowie die Fähigkeiten und Eigenschaften des Arbeitnehmers112 , wie auch die Frage, ob
er genügend instruiert und überwacht wurde.113 Voraussetzung für die Haftung des Arbeitneh-
mers ist eine Vertragsverletzung, Verschulden, Schaden sowie ein adäquater Kausalzusammen-
hang zwischen der Vertragsverletzung und dem eingetretenen Schaden. Nicht bloss ein Tun, auch
eine Unterlassung kann zu Schadenersatz führen.114 Auf mögliche innerbetriebliche Sanktionen
durch die Arbeitgeberin, welche abhängig sind von der individuell nachweisbaren Pflichtverlet-
zung, soll hier nicht eingegangen werden.115
[42] Bemessen wird die arbeitsrechtliche Haftung primär nach Art. 321e Abs. 2 OR, ergänzend
nach Art. 99 Abs. 3 OR i. V. m. Art. 43 und 44 OR.116 Gemäss Rechtsprechung des Bundesge-
richts und der daraus von Müller als Orientierungshilfe entwickelten Faustformel117 kann je
nach Verschulden von verschiedener Haftungshöhe ausgegangen werden. Bei leichter Fahrlässig-
keit beträgt die Maximalhaftung grundsätzlich einen Monatslohn des Arbeitnehmers. Bei mittle-
rer Fahrlässigkeit kann von einer Maximalhaftung in Höhe von zwei Monatslöhnen ausgegangen

106 BGE 113 IV 68, S. 76; siehe zu dieser Thematik: Thomas Geiser, Die Treuepflicht des Arbeitnehmers und ihre
    Schranken, Diss. Bern 1983, S. 175 ff.
107 Gemäss Art. 362 OR ist Art. 321e OR relativ zwingend.
108 Art. 321e Abs. 1 OR.
109 Roland Müller/Patrick Bont (Fn. 14), S. 191; Siehe auch Fn. 102.
110 BK-Rehbinder/Stöckli, N 19 zu Art. 321e OR.
111 Streiff/Von Kaenel/Rudolph (Fn. 100), N 3 zu Art. 321e OR.
112 Art. 321e Abs. 2 OR; BGE 123 III 257, E. 5a.
113 Gabriel Aubert, Quatre cents arrêts sur le contrat de travail, Lausanne 1984, Nr. 86; Streiff/Von Kaenel/
    Rudolph (Fn. 100), N 3 zu Art. 321e OR.
114 Streiff/Von Kaenel/Rudolph (Fn. 100), N 4 zu Art. 321e OR.
115 Siehe hierzu: Simona Wantz/Sara Licci, Arbeitsvertragliche Rechte und Pflichten bei internen Untersuchungen,
    in: Jusletter 18. Februar 2019, S. 33 ff.
116 Geiser/Müller/Pärli, SjL Arbeitsrecht in der Schweiz, 4. Aufl., Rz. 470; Roland Müller, Aufgaben, Kompetenzen
    und Verantwortung des VR-Sekretärs, EF 12/15 S. 1047; BGE 110 II 344, E. 6b.
117 Rechtsprechung zusammengestellt und Faustformel entwickelt von Roland Müller, Aktuelle Rechtsprechung zur
    Haftung des Arbeitnehmers, in: ArbR 2006.

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