DIE ABGRENZUNG DES RÜCKTRITTS VON DER TÄTIGEN REUE NACH ART. 23 STGB
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Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB Fachbereich Strafrecht Praktische Erstjahresübung von Raphael Kottmann Matrikel-Nr. 01-279-694 1. Semester Sonneggweg 9 6210 Sursee 041 920 15 20 raphael.kottmann@stud.unilu.ch Verfasst im Rahmen der Einführung in das juristische Arbeiten von Prof. Dr. iur. Karin Müller im HS 07 an der Universität Luzern
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB II Inhaltsverzeichnis Literaturverzeichnis ................................................................................ III Abkürzungsverzeichnis ..........................................................................IV I. Einleitung ..........................................................................1 II. Der Rücktritt vom Versuch ..............................................2 1. Gründe der Privilegierung ........................................................... 2 2. Unbeendeter und beendeter Versuch......................................... 3 3. Der Rücktritt vom unbeendeten Versuch ...................................3 3.1. Freiwilligkeit .............................................................................................. 4 3.2. Verzicht auf weitere Ausführung ............................................................... 4 4. Tätige Reue................................................................................... 4 4.1. Freiwilligkeit .............................................................................................. 5 4.2. Abwendung des Erfolges .......................................................................... 5 5. Rechtsfolgen ................................................................................ 5 III. Rücktritt bei der Tatbeteiligung ......................................6 1. Tragweite ...................................................................................... 6 2. des mittelbaren Täters .................................................................6 3. des Mittäters................................................................................. 7 4. des Teilnehmers........................................................................... 7 IV. Wirkungsloser Rücktritt...................................................7 V. Persönliche Schlussbetrachtung ...................................8
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB III Literaturverzeichnis Zitierweise: Die nachfolgend aufgeführten Publikationen werden, wenn nichts anderes angege- ben ist, mit Nachnamen des Autors sowie mit Seitenzahl oder Randnote zitiert. Lehrbücher, Kommentare, Monografien, Aufsätze, Sammelbände Bergmann Matthias Einzelakts- oder Gesamtbetrachtung beim Rücktritt vom Versuch?, in: ZStW 100/1998 DONATSCH ANDREAS/TAG Strafrecht 1, Verbrechenslehre, 8. Aufl., Zürich 2006 BRIGITTE GROPP W ALTER Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., Berlin 2005 HEINTSCHEL-HEINEGG Versuch und Rücktritt, in: ZStW 109/1997 BERND JESCHECK HANS-HEINRICH Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., Ber- lin 1996 (zit. JESCHECK, Strafrecht, S. … zu § …) JESCHECK HANS- Die Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch Ge- HEINRICH/KIELWEIN fährdungs- und Unternehmensdelikte, (…), in: ZStW GERHARD (Hrsg.) 99/1987 (zit. JESCHECK, Tatbeteiligung, S. …) KRAUSS DETLEF Der strafbefreiende Rücktritt vom Versuch, in: JuS 12/1981 NIGGLI MARCEL Basler Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht, ALEXANDER/W IPRÄCHTIGER Band 1, Art. 1 - 110 StGB, 2. Aufl., Basel 2007 (zit. HANS (Hrsg.) BEARBEITER, BaKomm, N … zu Art. …StGB) RIKLIN FRANZ Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Verbre- chenslehre, 3. Aufl., Zürich 2007
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB IV SEELMANN KURT Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., Basel 2007 STRATENWERTH GÜNTER Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, die Straf- tat, 3. Aufl., Bern 2005 (zit. STRATENWERTH, Strafrecht, N … zu § …) STRATENWERTH Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Die Straftat, 5. Aufl., Köln GÜNTER/KUHLEN LOTHAR 2004 (zit. STRATENWERTH/KUHLEN, N … zu § …) STRATENWERTH Schweizerisches Strafgesetzbuch, Handkommentar, GÜNTER/W OHLERS Bern 2007 (zit. STRATENWERTH/W OHLERS, N … zu Art. 23 WOFGANG StGB) TRECHSEL STEFAN/NOLL Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Allge- PETER meine Voraussetzungen der Strafbarkeit, 6. Aufl., Zürich 2004 TRIFFTERER OTTO Österreichisches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Wien TIPOLD ALEXANDER Rücktritt und Reue, Rücktritt vom Versuch und verwand- te Bestimmungen, Wien 2002 (zit. TIPOLD, Rücktritt und Reue, Abs. … zu Kap. …) Einschlägige Bundesgerichtsurteile BGE 83 IV 1 ff. deutsch BGE 108 IV 104 ff. deutsch BGE 112 IV 66 ff. französisch BGE 118 IV 366 ff. deutsch BGE 124 IV 97 ff. deutsch BGE 126 IV 53 ff. deutsch BGE 131 IV 100 ff. deutsch
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB V Abkürzungsverzeichnis a.a.O. am angeführten Ort Abs. Absatz a.F. alte Fassung BaKomm Basler Kommentar BGE Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bun- desgerichts (Lausanne) bzw. beziehungsweise d.h. das heisst ders. derselbe dies. dieselbe/dieselben d.R. deutsche(s) Recht DStGB Deutsches Strafgesetzbuch 15. Mai 1871 E. Erwägung etc. et cetera f. und folgende/folgender (Seite, Randnummer etc.) ff. und folgende (Seiten, Randnummern etc.) h.M. herrschender Meinung i.d.R. in der Regel i.K. in Kraft Kap. Kapitel m.E. meines Erachtens N Note, Randnote ö.R. österreichische(s) Recht ÖStGB Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Österreichisches Strafgesetzbuch) Pra. Die Praxis (Basel) S. Seite(n) sog. so genannt(e) StGB Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (SR 311.0)
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB VI vgl. vergleiche z.B. zum Beispiel Ziff. Ziffer zit. zitiert als ZStW Zeitschrift der gesamten Strafrechtswissenschaft (Berlin) z.V. zur Verfügung
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB 1 I. Einleitung Rücktritt vom Versuch umschreibt die Privilegierung, die dem Täter zugute kommen soll, wenn er freiwillig die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende führt oder zum Nichteintre- ten des Erfolgs beiträgt.1 Entsprechend der Unterscheidung im Schweizerischen Strafrecht von „unvollendetem“ und „vollendetem“ Versuch – wie es ebenso im Deut- schen (Art. 24 Abs. 1 DStGB) und im Österreichischen Recht (Art. 16 ÖStGB) ge- macht wird2 - wurde vor der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches auch der „Rücktritt“ (désistement / desistenza / free and voluntary desistance) und die „tätige Reue“ (repentir actif / pentimento attivo / active repentance) separat gere- gelt (Art. 21, 22 a.F.). Im neuen Recht werden diese Regelungen zusammengefasst (Art. 23 StGB) und nunmehr das Begriffspaar, wenn auch nicht explizit im Gesetz erwähnt, „beendeter“ und „unbeendeter“ Versuch verwendet. Darüber hinaus werden im Art. 23 StGB weitere Fragen behandelt. So der Rücktritt bei der Beteiligung meh- rerer (Abs. 2) oder der wirkungslose Rücktritt (Abs. 3, 4).3 Trotz dieser Modifikationen und der Regelung verschiedener Fragen in einer Rechtsnorm, ist die korrekte Inter- pretation und Abgrenzung der Teilgehalte wichtig, zumal die Rechtsfolgen und die Anforderungen an den Rücktritt / die tätige Reue je nach Situation differieren können. Was beinhaltet der Rücktritt vom Versuch nach Art. 23 StGB konkret und wieso wird er im Gesetz speziell geregelt? Welches sind die grundlegenden Unterschiede zwi- schen dem Rücktritt und der tätigen Reue beim Alleintäter und bei einem Tatbeteilig- ten und wie werden sie in den jeweiligen Fällen voneinander abgegrenzt? Diese Fragen werde ich in der vorliegenden Arbeit behandeln. Insbesondere wird in einem ersten Teil (Ziffer II) der Rücktritt vom Versuch bei der Alleintäterschaft erörtert und anhand der Lehre und der bundesrichterlichen Rechtssprechung die wichtigsten Unterschiede zwischen dem Rücktritt und der tätigen Reue aufgezeigt (Art. 23 Abs. 1 StGB). Daran anschliessend werde ich die Unterschiede der beiden Rücktrittsformen bei der Tatbeteiligung und die Besonderheiten des wirkungslosen Rücktritts aufzei- gen (Ziffer III und IV, Art. 23 Abs. 2 – 4 StGB), um in der Folge mit einer persönlichen Schlussbetrachtung zu schliessen (Ziffer V). 1 JENNY, BaKomm, N 1 zu Art. 23 Abs. 1, 2 StGB. 2 JESCHECK, Tatbeteiligung, S. 112 f.; KRAUS, S. 884; Kritisch auseinandergesetzt mit dieser im Gesetz nicht aufgeführten Begriffsterminologie HEINTSCHEL-HEINEGG, S. 33 ff. 3 STRATENWERTH/W OHLERS, N 1 zu Art. 23 StGB.
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB 2 II. Der Rücktritt vom Versuch Hat ein Täter bereits strafrechtlich relevante Tatbestände verwirklicht, kann er durch die Aufgabe deliktischer Absichten oder „unrechtneutralisierende Massnahmen“ im Regelfall nicht von der Strafe befreit, jedoch bei der Strafzumessung von solchem Handeln profitieren.4 Anders beim Versuch, der bei freiwilligem Rücktritt zu einer fa- kultativen Strafmilderung oder Strafaufhebung führt.5 Das Rücktrittsprivileg greift nur dort, wo ein Delikt das Stadium des Versuchs nicht überschritten hat, der Erfolg also nicht eingetreten und dies als Verdienst des Täters angesehen werden kann.6 An- derseits findet der Rücktritt nur dann praktische Bedeutung, wo das Versuchsstadium erreicht bzw. über die im Allgemeinen straflose Vorbereitung hinausgeht.7 1. Gründe der Privilegierung Obschon der Versuch grundsätzlich Strafbar ist,8 sprechen verschiedene Gründe dafür, dass der Rücktritt eines Versuches privilegiert werden und einen fakultativen (Art. 23 Abs. 1 StGB) und persönlichen Strafaufhebungs- oder Strafminderungsgrund darstellen soll.9 Die verschiedenen Theorien zur Ratio des Rücktrittsprivileges kön- nen grob wie folgt umschrieben werden: Einmal soll dem Täter, gestützt auf kriminal- politische Gesichtspunkte („kriminalpolitische Theorie“), eine „goldene Brücke“ zurück in die Legalität gewährt werden.10 An die zweite - in der Doktrin favorisierte - Theorie, an die so genannte „Eindruckstheorie“ (auch Verdienstlichkeits- oder Strafzwecktheo- rie), wird das Fehlen der Strafbedürftigkeit geknüpft.11 Schliesslich wird die „Prämien- theorie“ erwähnt, welche den Gesinnungswandel des Täters goutieren will.12 Keines dieser Argumente kann als unrichtig taxiert werden, weshalb von der Ermächtigung 4 BGE 122 IV 360 (364): Bei der Strafzumessung stellt sich die Frage des Versuches, wie sie es ge- gebenenfalls bei der Tatbestandsmässigkeit tut, nicht mehr; STRATENWERTH, Strafrecht, N 52 zu § 12; STRATENWERTH/KUHLEN, N 67 zu § 11; dazu auch JENNY, BaKomm, N 2 zu Art. 23 StGB; JESCHECK, Tatbeteiligung, S. 114; RIKLIN, N 42 zu § 17 5 SEELMANN, S. 125; anders im d.R.: vgl. Art. 24 DStGB; JESCHECK, Strafrecht, S. 538. 6 STRATENWERTH, Strafrecht N 54 zu 12, STRATENWERTH/W OHLERS, N 2 zu Art. 23. 7 Zur grundsätzlich straflosen Vorbereitungshandlung: STRATENWERTH, Strafrecht, N 4 zu § 12; Zur Abgrenzung der Vorbereitungshandlung zum Versuch: TRECHSEL/NOLL, S. 175; BGE 131 IV 100 (102 ff.); vgl. für das ö.R.: TIPOLD, Rücktritt und Reue, Abs. B zu Kap. II). 8 Art. 22 StGB; RIKLIN, N 32 f. zu § 17; ders. zu den Besonderheiten beim Versuch eines qualifizierten Delikts, N 36 zu § 17 oder BGE 124 IV 97 ff. sowie BGE 190 IV 190 ff. und BGE 126 IV 53 ff. 9 RIKLIN, N 41 zu § 17; SEELMANN, S. 125; STRATENWERT, Strafrecht, N 53 zu § 12. 10 JENNY, BaKomm, N 1 zu Art. 23 StGB; JESCHECK, Strafrecht, S. 558 zu § 51; SEELMANN, S. 125; TRECHSEL/NOLL, S. 186; TRIFFTER, N 49 zu § 16. 11 JENNY, BaKomm, N 1 zu Art. 23 StGB; vgl. für das d.R.: STRATENWERTH/KUHLEN, N 69 zu § 11. 12 STRATENWERTH, Strafrecht, N 53 zu 12; kritisch dazu SEELMANN, S. 125.
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB 3 zum Straferlass bzw. zur Strafmilderung flexibel Gebrauch gemacht werden kann/soll.13 2. Unbeendeter und beendeter Versuch Nachdem wir gesehen haben, wann das Rücktrittsprivileg greifen kann (Versuchs- stadium) und wieso dieses Institut bedeutsam ist, soll im Folgenden aufgezeigt wer- den unter welchen Bedingungen es Anwendung finden kann. Dies hängt davon ab, wie nahe der Versuch der Vollendung bereits gekommen ist.14 Hat der Täter nach seiner Vorstellung nicht alle erfolgsrelevanten Bedingungen geschaffen (unbeendeter Versuch), genügt es wenn er die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende führt bzw. vom deliktischen Weiterhandeln Abstand nimmt.15 Diese Regelung soll selbst dann gelten, wenn er nach seiner Vorstellung den Erfolg durch verschiedene Mittel oder mehrere Einzelakte noch zu erzielen vermocht hätte. Hier wird auf den „Rücktrittshorizont“ des Täters abgestellt; darauf, ob er annimmt, er könne die Tatverwirklichung mit den z.V. stehenden Mittel doch noch erreichen.16 Beim beendeten Versuch glaubt der Täter alles zur Tatverwirklichung Notwendige getan zu haben.17 Er muss, will er den Erfolg verhindern, aktiv ins Geschehen eingreifen. Mit der Aufgabe korrespondiert somit der unbeendete, mit (aktiver) Erfolgsverhinderung der beendete Versuch.18 Ausge- schlossen sind Rücktritt und tätige Reue jedoch immer dann, wenn der Täter an- nimmt, das Delikt mit den z.V. stehenden Mitteln nicht mehr erreichen zu können.19 3. Der Rücktritt vom unbeendeten Versuch Der Rücktritt vom unbeendeten Versuch verlangt, dass der Täter die strafbare Tätig- keit nicht zu Ende führt, diese „aus eigenem Antrieb“ aufgibt.20 Daran werden in sub- jektiver Hinsicht zwei Voraussetzungen geknüpft: Freiwilligkeit und Verzicht auf wei- tere Ausführungen.21 13 JENNY, BaKomm, a.a.O.; STRATENWERTH, Strafrecht a.a.O.; TRECHSEL/NOLL, S. 186. 14 JENNY, BaKomm, N 3 zu Art. 23 StGB; STRATENWERTH/W OHLERS, N 2 zu Art. 23. 15 Statt vieler TRECHSEL/NOLL, S.180; vgl. für das d.R.: JESCHECK, Strafrecht, S. 540. 16 Wenn z.B. der Täter nach misslungenem Tötungsakt mittels Axt, zur Waffe greifen oder nach ein- maliger Schussabgabe dies ohne Weiters wiederholen könnte; STRATENWERTH, Strafrecht, N 57 zu § 12; vgl. dazu das d.R.: W OPP, N 59 ff. zu § 9; ausführlich dazu auch BERGMANN, S. 329 ff. 17 SEELMANN, S. 126; STRATENWERTH/W OHLERS, a.a.O. 18 GROPP, N 51 zu § 9, Zur Abgrenzung von Vorbereitungshandlung und Versuch: JESCHECK, Tatbetei- ligung, S. 115 ff.; Zur Abgrenzung unbeendeter/beendeter Versuch: HEINTSCHEL-HEINEGG, S. 50 ff. 19 „fehlgeschlagenes Delikt“ („délit manqué“, „reato mancato“); JENNY, BaKomm, N 6 zu Art. 23 StGB 20 Art. 23 Abs. 1 StGB; DONATSCH/TAG, S. 139; STRATENWERTH, Strafrecht, N 59 zu § 12. 21 DONATSCH/TAG, S. 139.
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB 4 3.1. Freiwilligkeit Auf freiem Willen beruht ein Rücktritt, wenn er „aus eigenem Antrieb“ passiert, der Täter nicht zum Ziel kommen will, obschon er dies könnte.22 Dabei spielt die sittliche Qualität der Motive zunächst keine Rolle; auch Furcht vor Strafe kann genügen23. Anderseits scheint klar, dass von „aus eigenem Antrieb“ nicht gesprochen werden kann, wenn der Täter vor sich tatsächliche oder vermeintliche Hindernisse sieht, die er als (praktisch) unüberwindbar einstuft.24 Schwierig wird es allerdings dann, wenn der Täter die Hürden nicht als unüberwindbar hält, diese den Rücktritt nicht erzwin- gen, sondern die Zielerreichung (aus Tätersicht) lediglich in Frage stellen.25 Diesfalls ist der Rücktritt unfreiwillig, wenn der Täter aufgrund seines Kosten-Nutzen-Kalküls - gemessen an den aus der Tat resultierenden Vorteilen - von der Tat zurückscheut, ihm der Rücktritt nicht als Verdienstlichkeit zuzurechnen ist.26 3.2. Verzicht auf weitere Ausführung Die Freiwilligkeit bezieht sich auf den Verzicht des Täters, „die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende“ zu führen, wobei dieser endgültig sein muss, eine andere, selbststän- dige Straftat indes nicht erfasst.27 Mit ihm wird regelmässig der Erfolg verhindert, wo- durch die Privilegierung mitbegründet wird. Jedoch ist nicht zwingend, dass das Aus- bleiben des Erfolges stets dem Täter angerechnet werden muss: Rücktritt vom un- taugl. Versuch ist möglich, sofern der Täter die Untauglichkeit nicht erkannt hat.28 4. Tätige Reue Tätige Reue liegt vor, wenn der Täter beim vollendeten Versuch vorsätzlich dazu bei- trägt die „Vollendung der Tat zu verhindern“ (Art. 23 Abs. 1 StGB), wobei nicht nach der optimalen Rettungsleistung verlangt wird und es genügt, dass für das Ausbleiben des Erfolges eine mitursächliche Kausalkette in Gang gebracht wird.29 22 BGE 83 IV 1 (1); DONATSCH/TAG, S. 140 zu § 12; TRECHSEL/NOLL, S. 186. 23 BGE 83 IV 1 (2); BGE 118 IV 370; STRATENWERTH, Strafrecht, N 61 zu § 12; TRECHSEL/NOLL, S. 187; Bei der Beurteilung, ob von einer Bestrafung abzusehen ist, kann indes der sittliche Wert be- deutungsvoll sein: kritisch dazu STRATENWERTH, a.a.O. 24 BGE 108 IV 104; JENNY, BaKomm, N 11 zu Art. 23 StGB; STRATENWERTH, Strafrecht, N 62 zu § 12. 25 Wenn z.B. bei einem Banküberfall der Alarm die Tatverwirklichung erschwert; DONATSCH/TAG, S. 140; JENNY; BaKomm, N 12 zu Art. 23 StGB, STRATENWERTH, Strafrecht, N 63 zu § 12. 26 JENNY, BaKomm, N 12 zu Art. 23 StGB; STRATENWERTH, Strafrecht, N 63 zu § 12. 27 JENNY, BaKomm, N 7 zu Art; STRATENWERTH, Strafrecht, a.a.O. 28 Obwohl sich Art. 23 Abs. 3 StGB formal auf den Rücktritt eines Tatbeteiligten bezieht, findet er für den Alleintäter dieselbe praktische Bedeutung; STRATENWERTH, Strafrecht, N 65 zu § 12. 29 RIKLIN, 40 zu § 17; SEELMANN, S. 127; vgl. deutsches Recht: STRATENWERTH/KUHLEN, N 90 zu § 11.
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB 5 4.1. Freiwilligkeit Obschon die Marginale von „Reue“ spricht sind an das Handeln „aus eigenem An- trieb“ die gleichen Bedingungen geknüpft, wie beim unbeendeten Versuch. Ein be- stimmter sittlich hoch stehender Beweggrund wird nicht verlangt.30 4.2. Abwendung des Erfolges Beim beendeten Versuch genügt es nicht durch blosses Nichtweiterhandeln tätige Reue zu üben. Es braucht i.d.R. geeignete Gegenmassnahmen des Täters, um die Erfolgsverwirklichung abwenden zu können. Indem er entweder aktiv eingreift und den Erfolg selbst verhindert, oder aber zum Nichteintreten des Erfolges „beiträgt“.31 Der Erfolg muss grundsätzlich tatsächlich durch den Täter abgewendet werden. Ge- lingt dies nicht, bleibt dieser uneingeschränkt strafbar32 Dies ist naturgemäss beim untauglichen und objektiv fehlgeschlagenen Versuch, wie auch bei - der Täterinter- vention zuvorkommenden - rettender Eingriffe Dritter gegeben. Da es aber nicht auf die objektive Sachlage, als vielmehr auf das Vorstellungsbild des Täters ankommt, kann er sich hier - solange er die Untauglichkeit / den Fehlschlag nicht erkannt hat - um den Nichteintritt des Erfolgs bemühen.33 Hingegen ist tätige Reue nur bei Er- folgsdelikten, nicht aber bei Tätigkeitsdelikten34 möglich, da letztere mit der Handlung das Delikt vollenden bzw. das Stadium des Versuchs überschritten wird (S. 2 Kap. II). 5. Rechtsfolgen Der Ermessensspielraum bei der Festlegung des Strafmasses macht eine Unter- scheidung der verschiedenen Formen des Rücktritts hinfällig.35 Der scheinbar gerin- gere Strafbarkeitscharakter des unbeendeten Versuchs wird durch die grösseren An- strengungen bei der tätigen Reue, wie sie durch den Täter geleistet werden, kom- pensiert. Massgebend ist hier vielmehr die ethische Qualität des Rücktrittsmotivs.36 Wie mehrfach erwähnt, handelt es sich beim Rücktritt (bzw. tätigen Reue) um einen 30 BGE 83 IV 1 (2); JENNY, BaKomm, N 16 zu Art. 23 StGB; STRATENWERTH, Strafrecht, N 67 zu § 12. 31 TRECHSEL/NOLL, S. 189 ff. zu § 30; STRATENWERTH, Strafrecht, N 68 zu § 12; 32 Selbst dann, wenn er durch die vermeintlich erfolgsabwendende Handlung diesen ebengleich ver- wirklicht; siehe dazu STRATENWERTH, Strafrecht, N 68 zu § 30 33 BGE 112 IV 66 ff. (67 f.), E 2 (übersetzt in: Pra 76/1987, Nr. 75, S. 279 f.); JENNY, BaKomm, N 15 zu Art. 23 StGB; SEELMANN, S. 127. 34 Obschon auch hier der beendete Versuch vorliegen kann, allerdings nur in Form der Untauglichkeit. 35 STRATENWERTH, Strafrecht, N 71 zu § 12; kritisch dazu JENNY, BaKomm, N 17 zu Art. 23 StGB. 36 siehe statt vieler nur STRATENWERTH, Strafrecht, a.a.O.
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB 6 fakultativen und persönlichen Strafaufhebungs- (Art. 48a StGB) oder Strafminde- rungsgrund (Art. 23 Abs. 1,3 StGB). Für eine Strafaufhebung bedarf es beachtens- werter Beweggründe.37 Sind mehrere an einer Tat beteiligt, findet das Rücktrittsprivi- leg nur auf denjenigen Anwendung, der die Voraussetzungen erfüllt, es sei denn durch den Rücktritt (bzw. die tätige Reue) eines Beteiligten wird die Vollendung der Tat als Ganzes verhindert.38 Weiter erstreckt sich die Ermächtigung zur Strafmilde- rung immer nur auf den Versuch, nicht auf (in ihm enthaltene) vollendete Delikte.39 III. Rücktritt bei der Tatbeteiligung Für Tatbeteiligung und Teilnahme gelten zunächst bezüglich des Versuchs die glei- chen Regeln, wie für die Alleintäterschaft. Dennoch gilt es hier, gestützt auf die ab- weichende Ausgangslage, zusätzliche Überlegungen anzustellen (Art. 23 Abs. 2-4 StGB). Einmal bei der Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch - auf welche hier nur soweit eingegangen wird, wie sie für das Verständnis der Unterschiede beim Rücktritt nötig sind - und zum anderen beim Rücktritt (bzw. tätigen Reue) selbst.40 1. Tragweite Die Anforderungen, die an den Rücktritt eines von mehreren Beteiligten (d.h. Mittä- ters, mittelbaren Täters, Anstifters, Gehilfen) gestellt werden (Abs. 2), sind weiterfüh- render Natur als beim Alleintäter.41 Auch hier gilt die Freiwilligkeit („aus eigenem An- trieb“) als persönliche Leistung, die nur demjenigen zugute kommt, der sie vollbracht hat, es sei denn, durch den Wegfall des Tatbeitrags entfiele die gesamte Straftat.42 2. des mittelbaren Täters Die Rücktrittsregel erlangt hier nur praktische Bedeutung, wenn die Tat das Stadium des (beendeten) Versuchs erreicht hat - der Tatmittler also bereits eine Handlung vorgenommen hat – und die Vollendung nur durch aktives Eingreifen (tätige Reue) verhindert werden kann.43 37 Jenny, BaKomm, a.a.O. 38 JENNY, BaKomm, N 19 zu Art. 23 StGB. 39 JENNY, BaKomm, N 18 zu Art. 23 StGB; vgl. STRATENWERTH, Strafrecht, N 72 zu § 12. 40 JENNY, BaKomm, N 20 zu Art. 23 StGB; vgl. für das d.R.: KRAUS, S. 888 f. 41 RIKLIN, 43 zu § 17; STRATENWERTH/W OHLERS, N 5 zu Art. 23. 42 TRECHSEL/NOLL, S. 226; vgl. für das deutsche Recht: Kraus, S. 888. 43 JENNY, BaKomm, N 21 f. zu Art. 23 StGB; STRATENWERTH/W OHLERS N 6 zu Art. 23., vgl. TRECHSEL/NOLL, S. 227.
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB 7 3. des Mittäters Abweichend vom im Gesetz gebrauchten Wortlaut (Abs. 2), sollte es nach h.M. für den Rücktritt genügen, wenn der Mittäter seinen für die Verwirklich der ganzen Tat unentbehrlichen Tatbeitrag aufgibt.44 Auch wird vom Mittäter im Vergleich mit dem Alleintäter mehr verlangt, wenn das Delikt unabhängig von seinem Tatbeitrag began- nen wird, nämlich, dass er sich darum bemüht (Abs. 4), das Delikt zu vereiteln und es nicht genügt, „lediglich“ seinen Tatbeitrag rückgängig zu machen.45 4. des Teilnehmers Zu unterscheiden ist die „Teilnahme am Versuch“ und die „Versuchte Teilnahme“, wobei bei der „Versuchten Teilnahme“ das Stadium des Versuchs der Haupttat durch Rücktritt (bzw. tätige Reue) nicht erreicht wird und deshalb straflos bleibt.46 Bei der „Teilnahme am Versuch“ muss der Teilnehmer, um privilegiert werden zu können, indes stets aktiv eingreifen. Es stellen sich hier dieselben Probleme bezüglich des Gesetzeswortlauts wie bei der Mittäterschaft - allerdings in verstärkter Form.47 IV. Wirkungsloser Rücktritt Es kommen zwei - teilweise bereits angeschnittene - Fälle von Rücktritt/tätiger Reue in Frage, welche den wirkungslosen Rücktritt (bzw. tätige Reue) beschreiben. Einmal der in Art. 23 Abs. 3 StGB genannte Fall, dass Rücktrittsbemühungen honoriert wer- den sollen, die den Erfolg nur deshalb nicht verhindert haben, weil andere Gründe zu dessen Ausbleiben geführt haben. Und zum anderen der auf die Beteiligung mehre- rer Täter oder Teilnehmer zugeschnittene Art. 23 Abs. 4 StGB, welcher die Privilegie- rung vorsieht, wenn trotz ernsthafter Bemühung zur Verhinderung der Tat durch ei- nen Beteiligten, diese unabhängig von dessen Tatbeitrag begannen wird.48 44 Sachlich ebenso BGE 118 IV 370; JENNY, BaKomm, N 25 zu Art. 23 StGB. 45 Praktisch ist dies jedoch bedeutungslos, da zur Begründung der Mittäterschaft die Beteiligung er- folgsrelevant sein muss. Mit dem Wegfall ist diesfalls in dubio pro reo deshalb auch der Nichteintritt des Erfolgs anzunehmen. JENNY, BaKomm, N 25 zu Art. 23 StGB, STRATENWERTH/W OHLERS, a.a.O. 46 JENNY, BaKomm, N 28 zu Art. 23 StGB; TRECHSEL/NOLL, S. 226 f. 47 JENNY, BaKomm, N 29 zu Art. 23 StGB. 48 BGE 112 IV 66 ff. (67 f.), E 2 (übersetzt in: Pra 76/1987, Nr. 75, S. 279 f.); RIKLIN, N 44 - 46 zu § 17; STRATENWERTH/W OHLERS, N 9 f. zu Art. 23 StGB.
Die Abgrenzung des Rücktritts von der tätigen Reue nach Art. 23 StGB 8 V. Persönliche Schlussbetrachtung Mit der eingangs erwähnten Zusammenfassung der vormals separat behandelten Regelungen zum „Rücktritt“ und zur „tätigen Reue“, in nunmehr eine Gesetzesnorm (Art. 23 StGB), hat sich prinzipiell nichts an der Voraussetzung der Privilegierung und bezüglich der Abgrenzung zwischen Rücktritt und tätiger Reue geändert.49 Der heuti- ge Gesetzestext unterscheidet zwar nicht mehr explizit zwischen „unvollendetem“ und „vollendetem" Versuch, verbindet mit diesem Unterscheidungskriterium aber nach wie vor bestimmte Rechtsfolgen.50 Weder durch die Zusammenfassung, noch durch neu im Gesetz geregelte Fragen, die bislang der Praxis und Doktrin überlassen wurden, wie den Rücktritt bei der Tatbeteiligung (Abs. 2), oder Fälle, in denen der Rücktritt als solcher wirkungslos bleibt, vermochten alle Fragen restlos geklärt wer- den. Zwei Punkte, die mir beim Abfassen der Arbeit besonders aufgefallen sind, möchte ich abschliessend nochmals - mit einer persönlichen Beurteilung versehen - erwähnen. Die Klärung der ihnen zugrunde liegenden Fragen wird uns wohl künftig noch manche Diskussion ermöglichen: Einmal teile ich die Meinung einiger renommierter Strafrechtler, dass die gesetz- liche Formulierung insofern wenig glücklich gewählt ist, als sie bei der Tatbeteili- gung von „aus eigenem Antrieb“ (Abs. 2) und „bemüht“ (Abs. 4) spricht, obschon es für die Privilegierung genügen müsste, wenn der Täter/Teilnehmer einen Tat- beitrag zu leisten unterlässt, welcher die Verwirkung der Tat als ganzes verhin- dert. Dieser unbefriedigte Zustand zeigt sich besonders stark bei der Teilnahme. Der Wortlaut des Gesetzes wird hier wohl nicht das letzte Wort sein können.51 Der zweite m.E. klärungsbedürftige Punkt ist jener des grossen Ermessenspiel- raums, der dem Gericht bei der Strafzumessung eingeräumt wird und der da- durch mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot (Art. 1) vorherrschende Zielkonflikt.52 Ich bestätige mit meiner Unterschrift, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne Mithilfe Dritter verfasst und alle in der Arbeit verwendete Quellen angegeben habe. Ich nehme zur Kenntnis, dass bei Plagiaten auf „fail“ erkannt werden kann. Ort: ................................................... Datum: .................................................. Unterschrift: .................................................. 49 STRATENWERTH, Strafrecht, N 54 zu § 12; STRATENWERTH/W OHLERS, N 1 zu Art. 23 StGB. 50 DONATSCH/TAG, S. 135. 51 JENNY, BaKomm, N 29 zu Art. 23 StGB oder auch STRATENWERTH, Strafrecht, N 74 zu § 13. 52 JENNY, BaKomm, N 17 zu Art. 23 StGB.
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