RASSENDISKRIMINIERUNG I.S.V. ART. 261BIS STGB - EINE ÜBERSICHT
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MARCEL ALEXANDER NIGGLI / GERHARD FIOLKA RASSENDISKRIMINIERUNG i.S.v. ART. 261BIS StGB – EINE ÜBERSICHT Lit: Bundesamt für Justiz, Das strafrechtliche Verbot der Rassendiskriminierung gemäss Ar- tikel 261bis StGB und Artikel 171c MStG, Arbeitspapier des BJ für das Hearing betreffend die Rassismusstrafnorm, Bern 2007; (zit. BJ, Arbeitspapier); F. CHAIX / B. BERTOSSA, La repres- sion de la discrimination raciale: Lois d‘exceptions? Semaine Judiciare 2002, II, 177-206 (zit. CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II); A. DONATSCH / W. WOHLERS, Strafrecht IV, Delikte gegen die Allgemeinheit, 3. Aufl., Zürich 2004 (zit. Donatsch/Wohlers, IV); EJPD, Bericht und Vorent- wurf über die Ergänzung des Schweizerischen Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes betreffend Rassistische Symbole, Bern 2009 (zit. EJPD, Rassistische Symbole); G. FIOLKA, Kommentar vor Art. 258, in: M. A. Niggli/H. Wiprächtiger (Hrsg.), Strafrecht II, Kommen- tar, 2. Aufl., Basel u.a. 2007 (zit. FIOLKA, StGB); G. FIOLKA/ M. A. NIGGLI, Das Private und das Politische, AJP 2001, 539-547 (zit. NIGGLI/FIOLKA, AJP 2001); G. FIOLKA, Die Grenzen des Privaten, Tangram 18, 10/2006, 56-59 (zit. Fiolka, Tangram); GESELLSCHAFT MINDERHEITEN IN DER SCHWEIZ / STIFTUNG GEGEN RASSISMUS UND ANTISEMITISMUS (Hrsg.), Rassendiskrimi- nierung, Gerichtspraxis zu Art. 261bis StGB: Analysen, Gutachten und Dokumentation der Gerichtspraxis 1995-1998, Zürich 1999 (zit. GERICHTSPRAXIS); A. GUYAZ, L’incrimination de la discrimination raciale, Bern 1996 (zit. GUYAZ, discrimination); F. HÄNNI, Die schweizerische Anti-Rassismus-Strafnorm und die Massenmedien, Diss. BE 1996, Bern u.a. 1997 (zit. HÄNNI, Anti-Rassismus-Strafnorm); K.-L. KUNZ, Neuer Straftatbestand gegen Rassendiskriminie- rung - Bemerkungen zur bundesrätlichen Botschaft, ZStrR 1992, 154-169 (zit. KUNZ, ZStrR 1992); K.-L. KUNZ, Zur Unschärfe und zum Rechtsgut der Strafnorm gegen Rassendiskrimi- nierung, ZStrR 1998, 223-233 (zit. KUNZ, ZStrR 1998); P. MÜLLER, Die neue Strafbestimmung gegen Rassendiskriminierung - Zensur im Namen der Menschenwürde?, ZBJV 1994, 241-259 (zit. MÜLLER, ZBJV 1994); P. MÜLLER, Abstinenz und Engagement des Strafrechts im Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit, AJP 1996, 659-667 (zit. MÜLLER, AJP 1996); M. A. NIGGLI, Ras- sendiskriminierung, Ein Komentar zu Art. 261bis StGB und Art. 171c MStG, 2. Aufl., Zürich 2007 (zit. NIGGLI, Rassendiskriminierung); M. A. NIGGLI, Zur Unschärfe des Strafrechts, sei- ner Funktion und der Bedeutung von Rechtsgütern, ZStrR 1999, 84-105 (zit. NIGGLI, ZStrR 1999); M. A. NIGGLI/C. METTLER/D. SCHLEIMINGER, Zur Rechtsstellung des Geschädigten im Strafverfahren wegen Rassendiskriminierung, AJP 1998, 1057-1075 (zit. NIG- GLI/METTLER/SCHLEIMINGER, AJP 1998); F. RIKLIN, Die neue Strafbestimmung der Rassen- diskriminierung, Medialex 1995, 36-45 (zit. RIKLIN, Medialex 1995); F. RIKLIN, UWG- und Mediendelikte, in: M. A. Niggli / Ph. Weissenberger (Hrsg.), Handbücher für die Anwalts- praxis, Bd. VIII, Strafverteidigung, Basel u.a. 2002 (zit. RIKLIN, UWG- und Mediendelikte); R. ROM, Die Behandlung der Rassendiskriminierung im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zü- rich 1995 (zit. ROM, Rassendiskriminierung); D. SCHLEIMINGER Kommentar zu Art. 261bis, in: M. A. Niggli/H. Wiprächtiger (Hrsg.), Strafrecht II, Kommentar, Basel u.a. 2007 (zit. SCHLEI- MINGER, StGB). STRAUSS, Das Verbot der Rassendiskriminierung in Völkerrecht, internationa- len Übereinkommen und schweizerischer Rechtsordnung, Diss. Basel 1991 (zit. STRAUSS, Verbot); D. SCHLEIMINGER / CH. METTLER, Die Strafbarkeit der Medienverantwortlichen im Falle von Rassendiskriminierung. Art. 27, Art. 261bis Abs. 4 StGB, Bemerkungen zu BGE 125 IV 206, AJP 2000, 1039-1041 (zit. SCHLEIMINGER/METTLER, AJP 2000); G. STRATEN- WERTH/FELIX BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II: Straftaten gegen Ge- meininteressen, 6. Aufl., Bern 2008 (zit. STRATENWERTH/BOMMER, BT/2); S. TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Zürich 2008(zit. TRECHSEL, PK); H. VEST, Zur Leugnung des Völkermordes an den Armeniern 1915, Eine politisch noch immer und strafrechtlich wieder aktuelle Kontroverse, AJP 2000, 66-72 (zit. VEST, AJP 2000). H. VEST, Kommentar zu Art. 261bis StGB in: Hans Vest/ Martin Schubarth (Hrsg.), Delikte gegen
den öffentlichen Frieden (Art. 258- 263 StGB), Bern, 2007 (zit. VEST, 261bis StGB); S. WEHREN- BERG, Kommentar zu Art. 264, in: M. A. Niggli/H. Wiprächtiger (Hrsg.), Strafrecht, Kom- mentar, 2. Aufl., Basel u.a. 2007 (zit. WEHRENBERG, StGB); F. ZELLER, Kommentar zu Art. 28 StGB, in: M. A. Niggli/H. Wiprächtiger (Hrsg.), Strafrecht I, Kommentar, 2. Aufl., Basel u.a. 2007 (zit. ZELLER, StGB). I. Rechtsgut Das von Art. 261bis StGB geschützte Rechtsgut ist die Menschenwürde. 1 Der öffent- liche Friede wird akzessorisch durch Art. 261bis StGB geschützt, worin sich Art. 261bis StGB allerdings nicht von anderen Strafbestimmungen unterscheidet. 2 Zentraler Ge- danke der Menschenwürde ist, dass dem Menschen als „Träger“ der Menschenwür- de grundsätzlich ein Wert an sich zukommt, unabhängig von irgendwelchen instru- mentellen, ökonomischen oder anderen Zielsetzungen. Jeder Mensch als unabhängi- ges Subjekt ist gleichwertig und gleichberechtigt in Bezug auf andere Menschen – zumindest im Wesenskern. 3 Seit 1. Januar 2000 ist der Anspruch auf Achtung der Menschenwürde als Grundrecht in Art. 7 BV explizit verankert. 4 Demgegenüber kann der öffentliche Friede durch Rassendiskriminierung gestört werden, muss es aber nicht. Im Extremfall kann der öffentliche Friede sogar dadurch gestärkt werden, dass Rassendiskriminierungsverbote systematisch missachtet wer- den. Ein Abstellen auf den öffentlichen Frieden als Schutzobjekt von Art. 261bis StGB wäre auch nicht mit dem internationalen Abkommen vom 21. Dezember 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, 5 das Art. 261bis StGB zugrunde liegt, zu vereinbaren, da dieses Abkommen ausdrücklich auf die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung aller Menschen abzielt, wogegen die Möglichkeit einseitiger Friedensbegründung und –stabilisierung durch Unterdrückung in krassem Gegen- satz steht. Weder Art. 261bis StGB noch die RDK statuieren indes einen umfassenden Schutz ge- gen die Ungleichbehandlung von Ausländern. Die RDK verbietet insbesondere nicht, dass Ausländer aus bestimmten Herkunftsstaaten aufgrund völkerrechtlicher Ver- träge in den Genuss von Einreise- und Aufenthaltserleichterungen kommen. 6 Es ver- stösst somit auch nicht gegen die RDK, in Bezug auf die Zulassung zum Anwaltsbe- 1 BGE 123 IV 202, 206 E. 3a; 124 IV 121, 125 f. E. 2c; 126 IV 20, 24 E. 1c; 128 I 218 E. 1.4; 133 IV 308 E. 8.2; ausführlich NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 286 ff.; gl.M. NIGGLI, ZStrR 1999; GUYAZ, disc- rimination, 241; DONATSCH/WOHLERS, IV, 209; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 7; a.M. KUNZ, ZStrR 1998; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 22 verwerfen sowohl die Menschenwürde als auch den öffentlichen Frieden als Rechtsgüter von Art. 261bis; anderes soll hinsichtlich dem Leug- nen von Völkermord gelten: BGE 129 IV 95; die Lehre ist diesbezüglich strittig. 2 Vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 7; FIOLKA, StGB, vor Art. 258 N 2. 3 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 376 ff., N 186 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 9. 4 Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101). 5 RDK, SR 0.104. 6 BGE 123 II 472, 479 f.
ruf zwischen Ausländern mit Niederlassungsbewilligungen und Ausländern mit Aufenthaltsbewilligungen zu unterscheiden. 7 II. Verhältnis zur Meinungsäusserungsfreiheit Prima vista kann Art. 261bis StGB in Gegensatz zur Meinungsäusserungsfreiheit ste- hen, die in Art. 16 Abs. 2 BV und in Art. 10 Abs. 1 EMRK 8 niedergelegt ist. Nach Art. 10 Abs. 2 EMRK darf die Meinungsäusserungsfreiheit Schranken unterworfen wer- den, die zum Erhalt einer demokratischen Gesellschaftsordnung erforderlich sind. Das Bundesgericht hat sich dahingehend geäussert, dass es nicht ersichtlich sei, dass Art. 261bis StGB nicht verfassungskonform ausgelegt werden könne. 9 Für diese Aus- legung ergibt sich aus der Menschenwürde als Schutzobjekt von Art. 261bis StGB fol- gendes: Da die Menschenwürde die Grundlage des Schutzes aller Grundrechte bil- det, kommt ein Grundrechtskonflikt dort nicht in Betracht, wo für eine die Men- schenwürde beeinträchtigende Äusserung grundrechtlicher Schutz in Anspruch ge- nommen werden soll. Wer anderen Grundrechte abspricht, kann sich dafür nicht auf den Schutz durch eben diese Grundrechte berufen. 10 Ein tatsächlicher Grundrechts- konflikt besteht allerdings, wenn rassistische Äusserungen i.S. eines Berichts wieder- gegeben werden. 11 Tabelle 1: Der Deliktsaufbau von Art. 261bis StGB Ab- Tatmodalität Absätze Handlungstyp Adressat satz 1 öffentliche Aufruf zu Hass oder Aufrufen /Aufreizen zu Öffentlichkeit Handlung Diskriminierung Diskriminierung 2 öffentliche Verbreitung von Verbreitung von ideolo- Öffentlichkeit Handlung Ideologien gischen Grundlagen, die Diskriminierung /Gewalt fördern 3 öffentliche Organisation etc. von Organisation Zumindest indi- Handlung Propaganda /Teilnahme von Aktio- rekt Öffentlich- nen i.S.v. Abs. 1 oder 2 keit 4-1 öffentliche Herabset- Diskriminierung/ Her- (lebende) Per- Handlung zung/Diskriminieru absetzung son/Gruppe 7 BGE 123 I 19, 23 f. 8 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, abgeschlossen am 4. No- vember 1950 (SR 0.101). 9 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 18. März 2002, 6S.614/2001, E. 2 c/bb. 10 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 843 ff., 852; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 26; der gleiche Grundgedanke findet sich auch in Art. 17 EMRK. 11 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 883 ff.; SCHLEIMINGER, Art. 261bis N 27 f.
ng in Menschenwür- de verletzender Form 4-2 öffentliche Leugnen von Völ- Diskriminierung/ Her- (verstorbene) Handlung kermord Verbrechen absetzung Person/Gruppe gegen die Mensch- lichkeit 5 öffentliche Verweigern einer Diskriminierung/ Her- (lebende) Per- Handlung Leistung, die für die absetzung son/Gruppe Allgemeinheit be- stimmt ist III. Schutzobjekt A. Gruppe Art. 261bis StGB schützt rassische, ethnische und religiöse Gruppen (abschliessende Aufzählung). Eine Gruppe bilden i.d.R.: Einzelpersonen, die ein bestimmtes Merkmal (Physiognomie, Werthaltung, Glau- ben, Geschichte) aufweisen, müssen sich als Gruppe empfinden und dementspre- chend ein gewisses minimales Zusammengehörigkeitsgefühl aufweisen (Innen- sicht der Gruppe; Selbstwahrnehmung). 12 Personen, die das Merkmal aufweisen, müssen darüber hinaus mehrheitlich von jenen, die das Merkmal nicht aufweisen, als zusammengehörig und als Gruppe empfunden und behandelt werden, und nicht als zufällige Mehrzahl einzelner Personen, die dasselbe Merkmal aufweisen (Aussensicht der Gruppe; Fremd- wahrnehmung). 13 Das Bundesgericht geht in BGE 123 IV 202, 206 f. davon aus, dass sich eine nähere Definition rassischer oder ethnischer Gruppen erübrige und weist darauf hin, dass es nicht darauf ankomme, ob die Gruppe die spezifizierenden Eigenschaften tatsächlich aufweise oder ob sie ihr fälschlicherweise zugeschrieben würden. 14 Dabei bleibt je- doch zu beachten, dass nur Zuschreibungen erfasst sein können, die eine rassische, ethnische oder religiöse Gruppe umreissen und dass sich die Zuschreibungen auf ei- ne Gruppenbildung i.S. der angeführten Kriterien beziehen müssen. Im Ergebnis muss also auch die Zuschreibung unterstellen, dass die Gruppenangehörigen sich als 12 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 581; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 12. 13 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 582; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 12. 14 Vgl. auch STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 28.
Gruppe wahrnehmen. Unmassgeblich ist jedenfalls, ob qua Gruppenzugehörigkeit angegriffene Einzelpersonen tatsächlich der Gruppe angehören. 15 B. Rasse Eine biologische Unterscheidung menschlicher Rassen (etwa anhand genetischer Merkmale) ist nicht möglich. 16 Im sozialwissenschaftlichen Sinne sind Rassen dem- nach das, was sich als Rasse empfindet und auch von anderen als Rasse empfunden wird. 17 Demnach sind Rassen Gruppen von Menschen, die aufgrund physischer Merkmale (z.B. Hautfarbe, Kopfform etc.) gebildet werden, welche (fälschlicherwei- se) der Biologie zugeschrieben werden, wobei auch die Vorstellungen der Rassen- ideologie eine Rolle spielen. 18 Rassische Gruppen sind demnach z.B. Asiaten, Schwarze, Semiten, Weisse. 19 Keine ras- sischen Gruppen sind Frauen, Männer, Behinderte, Diabetiker, Blonde, Südländer. 20 C. Ethnie Ethnische Gruppen unterscheiden sich durch eine gemeinsame Geschichte und ein gemeinsames System von Einstellungen und Verhaltensnormen (Tradition, Brauch- tum, Sitte, Sprache etc.). Diese Merkmale führen jedoch nur dann zur Begründung einer Ethnie, wenn sie sowohl von der Gruppe selbst als auch von Aussenstehenden zur Abgrenzung der Gruppe verwendet werden. 21 Ethnien sind etwa: Appenzeller, Norddeutsche, Tamilen, Sizilianer, Kosovo-Alba- ner. 22 Keine Ethnien sind Europäer, Drittwelt-Bewohner, Nord- bzw. Südamerikaner, Punks, Skinheads. 23 15 BGE 123 IV 202, 207; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 12; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 28. 16 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 622 ff., 629 ff. 17 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 634. 18 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 642; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 13; STRATEN- WERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 25. 19 Vgl. BGE 124 IV 121, 124. 20 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 651. 21 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 667 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 14; CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 182; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 26. 22 BGE 131 IV 23, Niggli, Rassendiskriminierung, N 672 ff.; ähnlich DONATSCH/WOHLERS, IV, 210; RIKLIN, Medialex 1995, 38; TRECHSEL, PK, Art. 261bis N 12; skeptisch zur Volksgruppe bzw. kanto- nalen Ethnie KUNZ, ZStrR 1992, 160; ablehnend ROM, Rassendiskriminierung, 112 f. 23 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 678.
D. Religion Der Schutz religiöser Gruppen durch Art. 261bis StGB geht über das von der RDK ge- forderte Schutzniveau hinaus. Nicht die religiöse Weltanschauung eines Einzelnen ist geschützt, sondern die einer Gruppe, wobei die Anzahl der Mitglieder nicht pri- mär ausschlaggebend ist. Es geht vielmehr darum, dass sich die Gruppe selbst als „Gruppe“ im definierten Sinne wahrnimmt bzw. von aussen als solche wahrgenom- men wird. 24 Neben den traditionellen Religionen schützt Art. 261bis StGB auch solche religiösen Gruppen, deren Mitglieder nur eine Minderheit ausmachen. 25 Geschützt ist auch der Atheismus. In der Lehre finden sich teilweise Bestrebungen, sog. „de- struktive Kulte“ von den Religionen zu unterscheiden. Für eine solche Grenzziehung stehen verschiedene Kriterien zur Verfügung, die den Religionsbegriff in verschie- dene Richtungen abgrenzen. Gegenüber subkulturellen Erscheinungen zeichnen sich Religionen durch eine relative Unveränderlichkeit des Glaubensbekenntnisses aus: Sie sind keinen starken Fluktuationen unterworfen. 26 Religionen gelten ferner als nicht primär ökonomisch orientiert, was etwa zum Ausschluss von Organisationen wie Scientology führen kann. 27 Schliesslich kann man – ausgehend von einem frei- heitlichen Religionsbegriff – das Vorliegen einer Religion dann verneinen, wenn die Organisation auf ihre Mitglieder Zwang ausübt. 28 Die Grenzziehung anhand solcher Kriterien erweist sich jedoch nicht nur als schwierig, sondern sieht sich auch dem Vorwurf ausgesetzt, intolerant zu sein und so dem Geiste der RDK (die allerdings den Bereich der Religionen nicht beschlägt) zuwiderzulaufen. 29 Es kommt nicht darauf an, ob eine Gruppe explizit als Gruppe verunglimpft wird, oder ob Verhaltensweisen angegriffen werden, die schwergewichtig, aber nicht aus- schliesslich der betreffenden Gruppe zugeschrieben werden. 30 E. Nicht geschützte Gruppen 1. Nation und Nationalität Eine Diskriminierung, die sich ausschliesslich auf die nationale Zugehörigkeit stützt und damit einen gemeinsamen politischen Willen anspricht, wird weder von Art. 24 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 699. 25 CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 182 f. 26 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 700. 27 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 715; dazu eingehend SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 18. 28 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 717 ff. 29 So SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 17. 30 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 26. September 2000, 6S.367/1998, E. 5 a: Auch gegen die Menschenwürde verstossende Herabsetzungen des Schächtens, das nicht nur von Juden, sondern auch von Moslems praktiziert wird, verstossen gegen Art. 261bis Abs. 4 1. Halbsatz StGB; vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 19.
261bis StGB noch von der RDK erfasst. 31 In der Praxis lässt sich ein Fall von einer Dis- kriminierung ausschliesslich aufgrund der nationalen Zugehörigkeit kaum finden. Vielfach ist mit scheinbar nationalen Diskriminierungen jedoch eine Ethnie gemeint (so richtet sich eine Aussagen über „Türken“ auf die türkischen und kurdischen Eth- nien). 32 2. Ausländer und Asylsuchende Bei dem Begriff „Ausländer“ handelt es sich um eine rechtliche Kategorie, die dem Schutz von Art. 261bis StGB grundsätzlich nicht untersteht. „Ausländer“ ist ein Sam- melbegriff, der für alle Personen mit anderer Staatsbürgerschaft als der schweizeri- schen gilt. 33 Auch der Begriff „Asylsuchende“ bezeichnet grundsätzlich eine rechtliche Kategorie, die durch Art. 261bis StGB nicht direkt erfasst wird. 34 Wenn jedoch die Bezeichnung „Asylsuchende/Asylanten” als Synonym für eine oder mehrere geschützte Gruppen verwendet wird, ist Art. 261bis StGB entsprechend anwendbar. 35 Ein Verhalten wird nicht dadurch straflos, dass es sich gegen mehrere Ethnien bzw. Rassen gleichzeitig wendet und die einzelnen Gruppen nicht gesondert aufzählt. „Eine kollektive Schmähung aller Andersrassigen, z.B. der Nichteuropäer (in Italien die estra- communitari), der Ausländer oder der Asylanten schlechthin“ genügt grundsätzlich für die Erfüllung des Tatbestandes. 36 IV. Öffentlichkeit Nur die öffentliche Handlung wird von Art. 261bis erfasst. Bis zur Einführung dieser Strafnorm war nach h.L. und Rechtsprechung gänzlich unstrittig, dass als öffentlich nicht nur gilt, was direkt von jedermann wahrgenommen werden kann, sondern auch alles, was an einen grösseren, durch persönliche Beziehungen nicht zusam- menhängenden Kreis von Personen gerichtet ist, d.h. wenn die Äusserung oder Handlung von einem zufällig anwesenden oder hinzutretenden Dritten wahrge- nommen werden konnte. 37 Irrelevant war dabei, ob die Handlung tatsächlich von einer grösseren Anzahl von Menschen bemerkt wurde oder nur von einer einzigen 31 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 725; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 15. 32 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 729; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 15; DO- NATSCH/WOHLERS, IV, 210. 33 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 733; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 16. 34 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 735. 35 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 736; RIKLIN, Medialex 1995, 39; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 16; vgl. EKR-Urteil 2000-49. 36 TRECHSEL, PK, Art. 261bis N 11; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 16. 37 BGE 111 IV 151, 154 E. 2; 123 IV 202, 208 E. 3d; NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 953; MÜLLER, ZBJV 1994, 253; ROM, Rassendiskriminierung, 119; STRAUSS, Verbot, 232; CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 196.
Person. Ausschlaggebend war die Wahrnehmbarkeit und das Kriterium der Kon- trolle über den Wirkungskreis. 38 Das Bundesgericht hatte diese Praxis zwischenzeit- lich im Hinblick auf Art. 261bis modifiziert und versucht, - ohne Festlegung eines konkreten Grenzwertes - einen zahlenmässigen Begriff der Öffentlichkeit zu konsti- tuieren. 39 Später hat das Bundesgericht allerdings wiederum das Rufen rassistischer Bezeichnungen auf der Strasse in einem Einfamilienhausquartier bei schönem Wetter als öffentlich betrachtet, da die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Drittpersonen bestanden habe. 40 Festzuhalten bleibt, dass sich die Öffentlichkeit einer Äusserung oder einer Handlung nur in Abgrenzung vom privaten Handeln ergibt: Öffentlich sind demnach alle Äusserungen, die nicht privat getätigt werden. Dies ist der Fall, wenn die fraglichen Äusserungen „im Familien- und Freundeskreis oder sonst in ei- nem durch persönliche Beziehungen oder besonderes geprägten Umfeld erfolgen“. 41 Es kommt mithin massgeblich darauf an, ob zwischen dem Äusserer und den Adres- saten ein Vertrauensverhältnis besteht. 42 Diesen Standpunkt vertritt nun auch das Bundesgericht, 43 womit es seine Definition von Öffentlichkeit über die Quantität aufgegeben hat. Eine verunglimpfende Bemerkung gilt als öffentlich und damit strafbar, wenn sie nicht in engem privaten Rahmen erfolgt ist. 44 Das bedeutet etwa, dass Stammtischgespräche dann privat sind, wenn die Beteiligten durch persönliche Vertrauensbeziehungen verbunden sind, nicht jedoch, wenn ihnen nicht näher be- kannte Personen dazu treten oder aufgrund der Lautstärke des Gesprächs eine Kenntnisnahme durch Unbeteiligte zu befürchten ist. 45 38 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 966; MÜLLER, ZBJV 1994, 253; ROM, Rassendiskriminierung, 121; eingehend FIOLKA, StGB, vor Art. 258 N 14 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 21 ff. 39 BGE 126 IV 176, wonach das Versenden revisionistischer Bücher an sieben dem Absendern nicht nahe bekannte Personen nicht öffentlich sei sowie BGE 126 IV 230, wonach ein Buchhändler, der ein Buch in seinem Laden nicht ausstellt, sondern es bloss an Lager hält und auf Anfrage jedem, der es wünscht, herausgibt, nicht öffentlich handelt; zur Kritik eingehend: FIOLKA/NIGGLI, AJP 2001, 539 ff.; ebenfalls kritisch CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 197 f. 40 Bundesgericht, Kassationshof, 30.05.2002, 6S.635/2001, veröffentlicht in Medialex 2002, 158 ff., mit Anmerkungen von G. FIOLKA. 41 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N. 968 ff. 42 FIOLKA/NIGGLI, AJP 2001, 593 ff.; FIOLKA, StGB, vor Art. 258 N 13 ff.; CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 195 ff. 43 BGE 130 IV 111; 133 IV 308, E. 8.3. 44 NIGGLI, Rassendiskriminierung, S. 1009 (Anhang); vgl. BGE 130 IV 111: Öffentlichkeit bejaht im Falle von Äusserungen an einem Vortrag, der im Rahmen einer geschlossenen Veranstaltung in einer Waldhütte gehalten wurde, an der 40 bis 50 geladene Skinheads teilnahmen, die verschie- denen Gruppierungen angehörten. 45 vgl. FIOLKA, Tangram, 58.
V. Objektive Tatbestände A. Abs. 1: Aufrufen zu Hass oder Diskriminierung Eine Diskriminierung besteht, wenn der Gleichheitsgrundsatz dadurch verletzt wird, dass eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund an den Kriterien der Rasse, Ethnie oder Religion anknüpft, und dies mit dem Willen erfolgt oder die Wir- kung hat, dass die Betroffenen die ihnen zustehenden Menschenrechte nicht ausüben können oder in dieser Ausübung beschränkt oder behindert werden. Der Täter be- streitet, verneint oder behindert den gleichmässigen Zugang aller zu den Menschen- rechten. 46 Ein typisches Beispiel für das Aufrufen zu Diskriminierung ist etwa der Aufruf, ge- wisse Waren, Dienstleistungen, Geschäfte zu boykottieren. Weitere Beispiele: Aufruf, die Angehörigen einer bestimmten Gruppe auszuweisen, sie nicht zu bedienen, ih- nen keine Arbeit zu geben, keine Wohnungen zu vermieten oder mit ihnen nicht ge- sellschaftlich zu verkehren. 47 Der Begriff Hass soll das feindselige Klima und die feindliche Grundstimmung, die die eigentliche Quelle von Gewalttätigkeiten darstellen, zum Ausdruck bringen. Irre- levant ist es dabei, ob die Feindseligkeit in die Tat umgesetzt wird. 48 Aufrufen bzw. Aufreizen bezeichnet die nachhaltige und eindringliche Einfluss- nahme auf Menschen mit dem Ziel oder dem Ergebnis, eine feindselige Haltung – sei diese nun auf geistiger oder gefühlsmässiger Ebene begründet – gegenüber einer be- stimmten Person oder Personengruppe aufgrund ihrer rassischen, ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit zu vermitteln oder ein entsprechend feindseliges Klima für die Betroffenen zu schaffen oder zu verstärken. Massgebend ist, dass der Eindruck vermittelt werden soll oder entsteht, die betroffenen Personen oder Gruppen seien weniger Wert als andere Personen oder Gruppen, so dass ihnen nicht die gleichen Grundrechte wie anderen zukommen. 49 Die Aufforderung muss geeignet sein, die Adressaten zu beeinflussen und eine gewisse Eindringlichkeit und Ernsthaftigkeit aufweisen. 50 Es muss sich jedoch nicht um eine explizite Aufforderung handeln, da die oben beschriebenen Effekte bei hetzerischen Aussagen unabhängig davon eintre- ten, ob sie mit spezifischen Handlungsanweisungen verknüpft werden. 51 So schloss 46 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1033 m.w.N.; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 32. 47 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1034 ff. m.w.N.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 34. 48 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1054 ff. 49 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1069; BGE 124 IV 121, 124. 50 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1068; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 32; vgl. bereits BGE 97 IV 104, 105. 51 BGE 123 IV 202, 207; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 33; SCHLEIMINGER, Art. 261bis N 31.
sich das Bundesgericht der Auffassung einer Vorinstanz an, dass die Bezeichnung des Davidssterns als „Gesslerhut unserer Zeit“ Art. 261bis Abs. 1 StGB verletze. 52 Unbedeutend ist in welcher Art und Weise der Aufruf erfolgt. Dies kann mittels Wort, Schrift, Bildern, Gesten, pantomimischen Darstellungen, usw. geschehen. 53 B. Abs. 2: Verbreitung von Ideologien Unter „Verbreiten“ i.S.v. Art. 261bis Abs. 2 StGB ist jede Handlung oder Äusserung zu verstehen, die sich an ein in der Zahl bestimmtes oder unbestimmtes Publikum richtet und die Tathandlung darauf ausgerichtet ist, den Empfängern einen bestimm- ten Inhalt, einen Sachverhalt oder eine Wertung zur Kenntnis zu bringen und damit wenigstens implizit dafür zu werben. 54 Gleichgültig sind Art und Weise der Über- bringung und – Öffentlichkeit vorbehalten - die Grösse des Adressatenkreises. 55 Aus- serdem kommt es nicht darauf an, ob das angesprochene Publikum die Handlungen oder Äusserungen wahrgenommen hat. 56 Die Verbreitung muss vom blossen Bekenntnis (z.B. Tragen einer Armbinde mit Hakenkreuz) 57 unterschieden werden. 58 Der Hitlergruss ist nur dann ein „Verbrei- ten“, wenn der Gegrüsste diese Ideologie nicht teilt. 59 Praktische Probleme wirft die Verwendung rassistischer Symbole auf: Nach Abs. 2 ist sie nur strafbar, wenn sie öffentlich erfolgt und einen werbenden Charakter hat, was schwer nachzuweisen ist. 60 Eine entsprechende Revision ist indessen verworfen worden. 61 Aus diesem Grunde hatte der Bundesrat angeregt durch eine Motion der Rechts- kommission des Nationalrats 62 die Schaffung eines neuen Art. 261ter StGB vorge- schlagen. wonach mit Busse bestraft worden wäre, „wer rassistische Symbole, ins- 52 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 18. März 2002, 6S.614/2001, E. 4. 53 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1071. 54 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1120. 55 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1122 ; vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 36. 56 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1123. 57 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1194. 58 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1112. 59 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1196; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 37; vgl. EKR-Urteil 2007-67. 60 EJPD, Rassistische Symbole, 10 f. 61 Vgl. dazu hinten Ziff.IX, S. 22. 62 Motion 04.3224 vom 29. April 2004 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats betreffend Verwendung von Symbolen, welche extremistische, zu Gewalt und Rassendiskriminierung auf- rufende Bewegungen verherrlichen, als Straftatbestand.
besondere Symbole des Nationalsozialismus oder Abwandlungen davon, wie Fah- nen, Abzeichen, Embleme, Parolen oder Grussformen, oder Gegenstände, die solche Symbole oder Abwandlungen davon darstellen oder enthalten, wie Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen oder Abbildungen öffentlich verwendet oder verbreitet oder wer derartige Gegenstände zur öffentlichen Verwendung herstellt, lagert, ein-, durch-, oder ausführt. Die Gegenstände wären eingezogen worden. Ausgenommen wäre die Verwendung von Symbolen zu schutzwürdigen kulturellen oder wissen- schaftlichen Zwecken gewesen. 63 In der Vernehmlassung wurden jedoch Zweifel daran geäussert, ob Strafrecht überhaupt ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung des Rassismus sei, ob in der Sache überhaupt Handlungsbedarf bestehe und ob die vor- geschlagene Norm dem Bestimmtheitsgebot entspreche. Ausserdem wurde auf das Risiko praktischer Anwendungsschwierigkeiten hingewiesen. Der Bundesrat schloss sich all diesen Bedenken an und wandte sich gegen den vorgeschlagenen Art. 261ter StGB. 64 Ideologien sind (wertneutral gesprochen) Gedankengebäude, die auf bestimmten, nicht weiter begründbaren Grundannahmen basieren, wobei die Kontingenz dieser Grundannahmen regelmässig nicht transparent gemacht wird. Der (oftmals ver- schleierten) Wahl dieser Grundannahmen liegen soziale Interessen und Zielsetzun- gen zugrunde. 65 Der Begriff „Ideologie“ ist jedoch im Kontext von Art. 261bis StGB nicht derart wertneutral zu verstehen, sondern enthält (gemäss der Tradition der Ideologiekritik) ein Unwert-Urteil, das darauf Bezug nimmt, dass die betroffenen Ideen und Werte behaupten oder zumindest implizit vorgeben, dass sie wahr und allgemein gültig seien, obwohl sie tatsächlich blosser Ausdruck eines egoistischen Gewinnstrebens, eines spezifischen Vorurteils oder eines Dogmas, das Allgemeingül- tigkeit für sich beansprucht, sind. 66 Gemeint sind nur jene Ideologien, die nicht nur die Minderwertigkeit einer spezifischen Gruppe geltend machen, sondern auch dar- aus ableiten, dass der betroffenen Gruppe ein beschränkter Zugang zu oder An- spruch auf grundlegende Menschenrechte zustehe. 67 Als Ideologie i.S.v. Art. 261bis Abs. 2 StGB hat das Bundesgericht etwa die Verschwörungstheorie qualifiziert, wo- nach die „Zionisten“ durch die von ihnen in die Welt gesetzte Holocaust-Lüge für manches Unheil in der Welt verantwortlich seien. 68 Auf „Herabsetzung“ i.S.v. Art. 261bis Abs. 2 StGB gerichtet ist eine Ideologie dann, wenn sie die Aussage enthält, dass eine Person oder eine Gruppe von Personen ge- genüber anderen Gruppen minderwertig sei. 69 Durch diese Behauptung wird der 63 EJPD, Rassistische Symbole, 22. 64 Bericht des Bundesrates zur Abschreibung der Motion 04.3224 der RK-N vom 29. April 2004 vom 30. Juni 2010, BBl 2010 4851, 4857 ff. 65 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1125 f. 66 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1129. 67 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1129; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 38. 68 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 22. März 2000, 6S.719/1999, E. 3 d. 69 SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 39.
Kern der Persönlichkeit der Betroffenen verletzt, weil man ihre Qualität als Men- schen überhaupt verneint oder zumindest in Abrede stellt, und ihnen – ausdrücklich oder stillschweigend – die Position als gleichwertige, zu respektierende und zu ach- tende Subjekte und Mitglieder der menschlichen Gesellschaft abgesprochen wird. 70 Auf Verleumdung gerichtet sind herabsetzende Ideologien dann, wenn die Vertreter der Ideologien wissen, dass die herabsetzende Ideologie nicht den Tatsachen ent- spricht. 71 Stets herabsetzend oder verleumdend sind nationalsozialistische, faschisti- sche oder faschistoide Ideologien (Vorrang der weissen Rasse gegenüber anderen Rassen, Minderwertigkeit der übrigen Gruppen). 72 Der Erwähnung „systematischer“ Herabsetzung kann nur dann ein strafkonturie- render Sinngehalt beigemessen werden, wenn das Mass an geforderter Systematik über das hinaus geht, was bereits der Begriff der Ideologie in sich birgt. 73 Auf syste- matische Herabsetzung und Verleumdung sind nur Ideologien gerichtet, die ein ganzes Gedankengebäude darstellen, d.h. durch einen strukturierten Zusammen- hang definiert sind. 74 Im Ergebnis muss die Herabsetzung ein Essentiale eines Ge- dankengefüges sein, das nicht offen deklarierte und nicht weiter begründbare Wer- tungen enthält. In dieses Gedankengefüge muss die Herabsetzung durch Begrün- dungs-, Legitimations- oder Kausalbeziehungen eingebunden sein muss. C. Abs. 3: Propagandaaktionen „Mit dem gleichen Ziel“ umschreibt diejenigen Propagandaaktionen, auf die die Tathandlungen des Art. 261bis Abs. 3 StGB überhaupt Bezug nehmen können. Propa- gandaaktionen also, die zum Ziel haben, zu Hass oder Diskriminierung aufzusta- cheln bzw. aufzurufen oder Ideologien zu verbreiten, die auf die systematische Her- absetzung oder Verleumdung gerichtet sind. 75 Gemäss BGE 68 IV 147 f. kann Propaganda objektiv „in beliebigen, wahrnehmbaren Handlungen liegen, z. B. im Halten von Vorträgen, Ausleihen oder Verteilen von Schriften, Ausstellen von Bildern, Tragen von Abzeichen“, auch in blossen Gebärden. Subjektiv fordert der Entscheid, dass über das Bewusstsein hinaus, dass die Hand- lung von anderen wahrgenommen wird, auch die Absicht besteht, dass auf das Pub- 70 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1148 ff. 71 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1166; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 39; Urteil des Bundes- gerichts, Kassationshof, 22. März 2000, 6S.719/1999. 72 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1141. 73 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1181 f. 74 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1181 f.; ROM, Rassendiskriminierung, 126; TRECHSEL, PK, Art. 261bis N 20 und 24; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 38), d.h. keine einzelnen Ideen - diese erfül- len ev. Abs. 4 (a.M. STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 34; STRAUSS, Verbot, 230 f.; DO- NATSCH/WOHLERS, IV, 215 wonach bereits die Verbreitung eines einzelnen Dogma - z.B. der Überlegenheit der weissen Rasse - den Tatbestand von Art. 261bis Abs. 2 erfüllt. 75 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1218; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 42; a.M. GUYAZ, disc- rimination, 275 ff.
likum im Sinne des Werbens für die propagierten Gedanken und Werte eingewirkt wird, so dass dieses für die Sache gewonnen oder in seinen Überzeugungen bestärkt wird. 76 Die von Art. 261bis Abs. 3 StGB erfassten Tathandlungen stellen verselbständigte Teilnahmeformen dar. 77 Dies hat zur Konsequenz, dass auch die versuchte Gehil- fenschaft i.S.v. Art. 25 i.V.m. Art. 261bis Abs. 3 strafbar ist. 78 Die Tathandlungen von Art. 261bis Abs. 3 StGB erheben zudem auch Vorbereitungshandlungen zu eigenstän- digen Delikten. 79 Das Organisieren erfasst die Organisation, also Vorbereitungs- und Hilfshandlun- gen der Propaganda. Die Verben „fördern“ und „teilnehmen“ sollen alle denkbaren Formen der Teilnahme, inklusive der Finanzierung, erfassen, sofern sie nur die Durchführung der Propagandaaktion erleichtern. Beispiele sind die Tätigkeit von Verlegern, Händlern, Verkäufern, das Verteilen von Flugblättern, Spenden von Geld, Druck von Publikationen, Bereitstellung von Örtlichkeiten etc. 80 Im Unterschied zu allen anderen Tatbeständen von Art. 261bis StGB, die durchwegs einen direkten Bezug zur Öffentlichkeit bzw. eine öffentlich vorgenommene Hand- lung zur Voraussetzung haben, ist dies bei den von Art. 261bis Abs. 3 StGB erfassten Tathandlungen anscheinend nicht der Fall. Bei den Tathandlungen im Sinne von Art. 261bis Abs. 3 StGB handelt es sich um Hilfshandlungen zu einem Delikt nach Art. 261bis Abs. 1 oder 2 StGB. Solange die Propaganda, zu der Hilfe geleistet wird, auf die Öffentlichkeit gerichtet ist, kommt es auf die Öffentlichkeit der einzelnen Hilfshand- lungen nicht an. 81 Datenträger rassendiskriminierenden Inhalts können nach Massgabe von Art. 69 StGB eingezogen werden, und zwar auch dann, wenn sie nicht Anlass zur Verurtei- lung einer bestimmten Person gegeben haben, weil die Verbreiter unbekannt sind oder in der Schweiz nicht verurteilt werden konnten. 82 76 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1223; vgl. BGE 69 IV 12, 20 ff.; BGE IV 30, 31 ff. 77 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1231; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 41; GUYAZ, discrimi- nation, 279; MÜLLER, ZBJV 1994, 255; DONATSCH/WOHLERS, IV, 215 f.; ROM, Rassendiskriminie- rung, 132; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 35; CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 189 f. 78 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1732; GUYAZ, discrimination, 279; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 41; CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 189 f. 79 CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 187 f. 80 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1232 ff. 81 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1244 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 41. 82 BGE 124 IV 121, 125 f.
D. Abs. 4 – 1. Hälfte: Herabsetzen/Diskriminieren Es spielt keine Rolle, ob die Herabsetzung oder Diskriminierung, mündlich, schrift- lich mittels Worten, Bildern oder Gesten geäussert wurde. Tätlichkeiten werden gesondert erwähnt, weil sonst ein Wertungswiderspruch ent- stünde. Eine i.S.v. Art. 261bis Abs. 4 StGB relevante Gebärde würde als Vergehen mit einer Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis bedroht, dieselbe Herabsetzung oder Diskriminierung ausgedrückt durch eine Tätlichkeit, wäre als Übertretung nur auf Antrag mit Busse zu bestrafen. 83 Wird eine Verletzung von Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil mit einer Tätlichkeit verbunden, so kann dem Opfer Opferstellung i.S.v. Art. 1 Abs. 1 OHG und Art. 116 StPO zukommen, trifft dies nicht zu, so kommt eine Op- ferstellung nur bei besonders schweren Fällen in Betracht. 84 Auch eine Körperverlet- zung im öffentlichen Raum kann den Tatbestand erfüllen, wenn sie als rassendiskri- minierender Akt erkennbar ist. 85 Der Passus „oder in anderer Weise“ soll die Aufzählung möglicher Begehungswei- sen ergänzen. 86 In der Literatur wird z.T. davon ausgegangen, dass die Erwähnung der Menschen- würde in Abs. 4 ausdrücken soll, dass nur besonders schwerwiegende Fälle erfasst sein sollen. 87 Da Art. 261bis StGB insgesamt die Menschenwürde schützt, ist dem Pas- sus jedoch keine strafbegrenzende Funktion zu entnehmen. 88 Die Qualität als Mensch wird jemandem auch dann abgesprochen, wenn sich die Be- hauptung seiner Minderwertigkeit oder das Absprechen gleicher Rechte nur auf ei- nen bestimmten Bereich bezieht, da die Menschenwürde nicht nur an der Bezeich- nung „Mensch“ haftet, sondern die fundamentale Gleichberechtigung in allen Berei- chen umschliesst. 89 Regelmässig unter Abs. 4 fallen Aussagen, worin den Angehöri- gen einer bestimmten Gruppe das Lebensrecht abgesprochen wird („Die Angehöri- gen der Gruppe X. sollten getötet werden / hätten getötet werden sollen“). Wird die Minderwertigkeit einer Person oder Gruppe behauptet, muss die Äusserung eine qualifizierte Bekundung der Minderwertigkeit enthalten. Dies ist etwa gegeben, 83 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1256 ff. 84 BGE 128 I 218. 85 Vgl. BGE 133 IV 308, E. 8.8, im konkreten Fall wurde dies aufgrund sehr hoher Anforderungen an die Erkennbarkeit des diskriminierenden Hintergrundes von Gewalttaten für einen unbefange- nen Dritten verneint. 86 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1265. 87 KUNZ, ZStrR 1992, 163; RIKLIN, Medialex 1995, 41; MÜLLER, ZBJV 1994, 257. 88 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1270 f.; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 38 f.; im Er- gebnis auch BGE 126 IV 28; ebenso EKR-Urteil 2003-10. 89 Die Kritik von STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 38 rennt insofern wohl offene Türen ein.
wenn eine Gruppe uneingeschränkt abgelehnt wird (z.B. „Jugos? Nein danke!!!“). 90 Die Zuschreibung einzelner Verhaltensweisen und Eigenschaften oder die Kritik ein- zelner Bräuche und Verhaltensnormen verletzt i.d.R. die Menschenwürde nicht, es sei denn, sie impliziere eine Minderberechtigung bzw. die umfassende Minderwer- tigkeit einer Gruppe. 91 Als qualifizierte Minderwertigkeitsbekundungen werden auch Aussagen behandelt, die durch die nationalsozialistische Ideologie geprägte Clichés enthalten (z.B. jüdische Geldgier). In der Praxis uneinheitlich beurteilt wird die Behauptung, dass die Angehörigen einer bestimmten Gruppe besonders krimi- nell seien. Soweit einer solchen Aussage zu entnehmen ist, dass diese Personen nicht das gleiche Anrecht auf persönliche Freiheit hätten wie andere Menschen, wird die Menschenwürde angegriffen. 92 In der Praxis werden auch rassistische Beschimpfun- gen (X-Schwein; Scheiss-X.) als Verletzungen der Menschenwürde angesehen. 93 Ein weiterer Fall von Abs. 4 ist die öffentliche Ankündigung, diskriminierend zu han- deln (z.B. Inserat für eine Leistung mit dem Zusatz „Keine X.“ bzw. „Y. uner- wünscht“; vgl. dazu unten Abs. 5). Das Bundesgericht hat eine Aussage, wonach die Juden, welche Tiere schächten, nicht besser seien, als ihre früheren Nazi-Henker als gegen die Menschenwürde verstossende Herabsetzung bewertet. 94 Eine herabset- zende Äusserung wurde auch im EKR-Urteil 2000-27 angenommen, als drei asiatisch aussehende Jugendliche an dem Angeschuldigten und seinem Zwillingsbruder vor- bei gehen wollten und diese Urwaldschreie ausstiessen und die Jugendlichen als „Fidschis” betitelten. 95 E. Abs. 4 – 2. Hälfte: Leugnen von Völkermord Hauptanwendungsfall ist die „Auschwitzlüge“. Als „Völkermord“ gelten internati- onal die in Art. II der Internationalen Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermordes bzw. Art. 4 Ziff. 2 des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs aufgezählten Handlungen, na- mentlich das Töten, das Zufügen von schweren körperlichen und geistigen Schädi- gungen, das vorsätzliche Unterwerfen von Gruppen unter Lebensbedingungen, die auf deren gänzliche oder teilweise Vernichtung ausgerichtet sind, die unfreiwillige Geburtenkontrolle und das Verschleppen von Kindern einer Gruppe in eine ande- re. 96 90 GERICHTSPRAXIS, 195. 91 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1279 und 946; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 52; ebenso RIKLIN, Medialex 1995, 41; vgl. VEST, Art. 261bis StGB, N 77. 92 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1289; die Praxis ist zurückhaltend, vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 53; BGE 131 IV 23. 93 vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 54 f. 94 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 26. September 2000, 6S.367/1998, E. 4 a. 95 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1284 für weitere Beispiele. 96 Vgl. Art. 264 Abs. 1 StGB für die nationale Definition; NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1354 ff.; WEHRENBERG, StGB, Art. 264 N 15 ff.; CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 183.
„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sind laut Art. 7 Abs. 1 des Römer Statuts vorsätzliche Tötung, Ausrottung, Versklavung, Folter, usw.), sofern sie im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes (egal, ob international oder intern) begangen wurden, d.h. während oder unmittelbar vor einem solchen Konflikt. 97 In Betracht kommen nur Tatsachen, die unzweifelhaft gelten, wenn sie also, etwa aufgrund einer Vielzahl glaubwürdiger Berichte, als allgemein bekannt und erwiesen gelten. Im Strafprozess soll jedoch über die Wahrheit gerade nicht Beweis geführt werden. 98 Dies stellt den Richter gerade bei neueren oder unbekannteren Genoziden vor Probleme. 99 Leugnen meint das Bestreiten, dass das Ereignis stattgefunden habe. Bestritten wird die Wirklichkeit und Wahrheit des Ereignisses. Zwar ist die Regelung von Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 2 StGB primär auf die Auschwitzlüge und die Verbrechen der Natio- nalsozialisten gerichtet, ist aber dem Wortlaut nach nicht darauf beschränkt und folglich auf sämtliche betreffenden Ereignisse anwendbar (Tatsächlicher Aspekt). 100 Ein Leugnen kann auch dann gegeben sein, wenn das Ereignis als unbewiesen prä- sentiert wird, etwa mit der Formel der „behaupteten Massenvernichtung“. 101 Auch die Bezeichnung des Holocaust als „Glaube“, „Mythos“, „Sage“ oder „gesetzlich ge- schützte Staatsreligion“ stellt ein Leugnen dar, da dadurch die Massenvernichtung der Juden in Zweifel gezogen wird. 102 Das Leugnen muss nicht wider besseres Wis- sen erfolgen: Bereits Eventualvorsatz bezüglich der Unrichtigkeit der Aussage ge- nügt. 103 „Gröblich verharmlosen“ meint: Völkermord oder Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit werden zwar nicht geleugnet, d.h. ihre Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit wird nicht bestritten. Es wird aber behauptet, dass das Leid der Betroffenen (der an- gerichtete Schaden, der bewirkte Nachteil oder die zugefügten Schädigungen) we- sentlich geringer gewesen seien, als allgemein angenommen (Zwischenstufe: Tat- sächlicher und moralisch-ethischer Aspekt). 104 Als gröbliche Verharmlosung erachte- te das Bundesgericht etwa die Aussage, wonach Elie Wiesel „der im angeblich aus- schliesslich zur Vernichtung der Juden dienenden KL Auschwitz überlebte (!), bis es 97 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1367 f. 98 Vgl. BGE 121 IV 76, 85; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 60; NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1486. 99 Vgl. CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 184 f. 100 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1456; vgl. BGE 127 IV 203 ff. 101 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 3. März 2000, 6P.132/1999, E. 9 d. 102 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 18. März 2002, 6S.614/2001, E. 3b/cc; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 61. 103 Bundesgericht, Kassationshof, 22. März 2000, 6S.719/1999, E. 2 e. 104 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1465 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 62.
von den Russen befreit wurde“ seither „markerschütternde Holocaust-Geschichten“ erzähle, 105 nicht jedoch den Ausdruck „Holocaust-Hysterie“ an sich. 106 Mit dem Begriff „zu rechtfertigen suchen“ werden keine Fakten bestritten und es wird hinsichtlich der begangenen Verbrechen auch deren quantitative Seite nicht in Abrede gestellt oder bezweifelt. Vielmehr wird das begangene Unrecht legitimiert, die begangene Gewalt akzeptiert oder zumindest als Möglichkeit nicht verworfen (Moralisch-ethischer Aspekt). 107 Rechtfertigungsversuche können auch darin beste- hen, dass den Opfern eine Mitschuld unterstellt wird oder alles z.B. als notwendige kriegsbedingte Folgeerscheinung dargestellt wird. Keinen Rechtfertigungsversuch stellt hingegen das Setzen von Links zu Nazi-Seiten und die Einrichtung eines Gäs- tebuches für Nazi-Sympathisanten dar, 108 es dürfte sich aber um ein Verbreiten einer Ideologie i.S.v. Art. 261bis Abs. 2 StGB handeln. 109 Der Passus „aus einem dieser Gründe“ bezieht sich auf das Handlungsmotiv von Abs. 4 Hälfte 1 „wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion“. 110 Auch bei dieser Tatbestandsvariante von Art. 261bis Abs. 4 StGB kann es nicht darauf ankommen, ob die Äusserung direkt an Angehörige der betroffenen Gruppe gerich- tet wird. 111 Für die Interpretation der Äusserungen stellt das Bundesgericht auf das Verständnis eines Durchschnittslesers ab. 112 Dabei ist auch der Gesamtzusammen- hang der Äusserungen zu berücksichtigen. Wer an der Verbreitung einer Schrift teilnimmt, die einen Völkermord leugnet, macht sich nach Art. 261bis strafbar, auch wenn es zu keinem Verkauf kommt. 113 F. Abs. 5: Leistungsverweigerung Leistung i.S.v. Art. 261bis Abs. 5 StGB erfasst sämtliche Waren- oder Dienstleistungs- angebote an die Öffentlichkeit, inklusive der Vermittlung solcher Leistungen. In Fra- ge kommen Sach- oder Dienstleistungen, z.B. im Gastgewerbe: Restaurants, Hotels, Bars etc.; im Freizeit- und Unterhaltungssektor: Kinos, Diskotheken, Schwimmbäder 105 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 3. März 2000, 6P.132/1999, E. 10 f. 106 Für weitere Beispiele vgl. den Sachverhalt des Urteils des Bundesgerichts, Kassationshof, 22. März 2000, 6S.719/1999 und EKR-Urteil 2007-73. 107 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1473 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 63. 108 EKR-Urteil 2001-32. 109 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N. 1477. 110 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1689 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 65; STRATEN- WERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 39. 111 BGE 126 IV 20, 25. 112 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 18. März 2002, 6S.614/2001, E. 3 b/cc; vgl. auch SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 10. 113 BGE 127 IV 203, 206 f.: Publikation eines Inserates, in dem die Schrift angeboten wird.
etc.; im Transportwesen: Zug- und Busfahrten; im Bereich des öffentlichen Waren- oder Dienstleistungsangebotes: Warenhäuser, Banken, etc.; im Bildungssektor: Schu- len, Bibliotheken, Ausstellungen etc. 114 Problematische Grenzfälle sind demgegenüber Arbeits- und Wohnungsmietverträge. In der Lehre wurden Kriterien zur Definition einer für die Allgemeinheit bestimmten Leistung entwickelt. Eine für die Allgemeinheit bestimmte Leistung wäre demnach tendenziell auf ein relativ kurzlebiges Vertragsverhältnis gegründet, da es bei Leis- tungen, die auf eine längere Dauer der Vertragsbeziehung angelegt wären, auf die Persönlichkeit des Vertragspartners ankomme. 115 Ein weiteres Kriterium wäre die Anonymität der Kundschaft bzw. die Standardisierung der Leistung. 116 GUYAZ schliesslich schlägt das Kriterium des Angebots an eine Personenmehrzahl bzw. das Angebot einer Vielzahl von Leistungen vor. 117 Diese Kriterien erweisen sich jedoch als unpraktikabel. 118 Ein grundsätzlicher Aus- schluss von Wohnungsmiet- und Arbeitsverträgen aus dem Schutzbereich von Art. 261bis Abs. 5 StGB ist mit der RDK nicht zu vereinbaren. 119 Demnach ist Art. 261bis Abs. 5 StGB so zu verstehen, dass rassendiskriminierende Leistungsverweigerung grundsätzlich nicht strafbar ist, ausser wenn sie im Hinblick auf eine Leistung erfolgt, die für die Allgemeinheit bestimmt ist. Als eine solche Leis- tung ist grundsätzlich jede Leistung zu verstehen, die nicht ausschliesslich und er- kennbar für eine spezifische Person oder Gruppe bestimmt ist. 120 Das hat aber wie- derum zur Folge, dass das öffentliche Angebot mit beschränktem Bestimmungskreis (z.B. ein Inserat, in dem „Keine X.“ oder „Y. unerwünscht“ steht), nicht unter Art 261bis Abs. 5 StGB fällt, 121 sondern allenfalls unter Art. 261bis Abs. 4 StGB. Für die Strafbarkeit der Begrenzung des Bestimmungskreises eines Angebotes nach Art. 261bis Abs. 4 StGB (!) ist zwischen positiven und negativen Diskriminierungen zu unterscheiden: Negative Diskriminierungen („Keine X.“) dürften durchwegs unter Art. 261bis Abs. 4 StGB fallen, da auf diese Weise die entsprechende Gruppe als der 114 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1524 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 68; MÜLLER, ZBJV 1994, 257. 115 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1557 ff.; ROM, Rassendiskriminierung, 142 f.; MÜLLER, AJP 1996, 666; TRECHSEL, PK, Art. 261bis N 41. 116 GUYAZ, discrimination, 290 f.; MÜLLER, AJP 1996, 666; ROM, Rassendiskriminierung, 142 f.; TRECH- SEL, PK, Art. 261bis N 41. 117 GUYAZ, discrimination, 291 f. 118 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1123; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 71 f.; kritisch STRA- TENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 41; VEST, Art. 261bis StGB, N 110. 119 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1541, 1600; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 71 f. 120 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1609. 121 STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 41.
angebotenen Leistung unwürdig deklariert werden. 122 Positive Diskriminierungen (z.B. „Frauenparkplatz“) sind demgegenüber grundsätzlich zulässig. 123 Sie können jedoch unzulässig sein, wenn sie ausschliesslich eine negative Diskriminierung pa- raphrasieren, also z.B. durch die Nennung einer bestimmten „Rasse“ andere „Ras- sen“ ausschliessen. 124 Das Verb Verweigern wird definiert als Verweigerung der Leistung zu den Bedin- gungen, wie sie allen anderen gewährt werden. 125 Als Verweigerung kommt nebst der expliziten Verweigerung auch der Ausschluss durch das Vorenthalten von In- formationen, durch bewusste Fehlinformation in Betracht oder durch eine Leistung, die zu einem höheren Preis oder anderen Konditionen erbracht wird als sonst üb- lich. 126 Leistungsverweigerung i.S.v. Art. 261bis Abs. 5 StGB verlangt nicht - im Gegensatz zu den anderen Tatbeständen der Norm, dass die Tathandlung öffentlich vorgenommen wird, wenn nur das Leistungsangebot an die Öffentlichkeit gerichtet war. 127 VI. Subjektiver Tatbestand Sämtliche Tatvarianten können nur vorsätzlich erfüllt werden, d.h. mit Wissen um die objektiven Tatbestandselemente und mit dem Willen, sie auch zu erfüllen, wobei Eventualvorsatz genügt (d.h. das billigende Inkaufnehmen der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes). Einzig bei Abs. 4 zweite Hälfte (Leugnen des Völkermor- des) verlangt das Gesetz, dass dies “aus einem dieser Gründe“ erfolgt, was zu Aus- legungsschwierigkeiten führt, weil der Passus als überflüssig erscheint. 128 VII. Art. 261bis StGB als Mediendelikt? A. Zu Art. 28 StGB In Art. 28 StGB sind Sonderregelungen für Mediendelikte enthalten, die der Tatsache Rechnung tragen sollen, dass an einer Publikation durch die Medien regelmässig ei- ne Vielzahl von Personen beteiligt ist, deren Beteiligung an der Publikation von In- halten im Einzelfall schwierig nachzuweisen ist. 129 Art. 28 StGB eine Kaskadenhaf- 122 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1615; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 72; VEST, Art. 261bis StGB, N 116. 123 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1618 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 72. 124 „Nur für Weisse“; NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1621 ff.; 1615 f.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 72. 125 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1650; VEST; Art. 261bis StGB, N 114. 126 SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 73. 127 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1658; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 74. 128 Vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 65; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 39 m.N. 129 Vgl. RIKLIN, UWG- und Mediendelikte, N 9.76.
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