Der Sprung über den Rubikon - Zum Phänomen heroischer Präfigurationen am Beispiel zweier Stationen der Caesar-Rezeption
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DOI 10.6094/helden.heroes.heros./2021/01/01 Martin Beichle 5 Der Sprung über den Rubikon Zum Phänomen heroischer Präfigurationen am Beispiel zweier Stationen der Caesar-Rezeption I dern stets auch von einem agonal strukturierten Narrativ der Überbietung durchzogen wird (vgl. ebd.).3 Ergänzend sei angeführt, dass das Po- Hans Blumenbergs Begriff der Präfigurati- tenzial zur Reaktualisierung der Ausgangsfigur on basiert im Wesentlichen auf intentionalen immer schon in Form einer latenten Diskursfor- Selbstzuschreibungen individueller Akteure, die mation angelegt sein muss, die man ‚Präfigura- sich mit vorgebildeten Figuren in eine aemula- tiv‘ nennen könnte (Striet/Dober) und die einen tive Beziehung setzen, bis hin zur „wahnhaften glaubhaften Rückbezug deshalb ermöglicht, weil Überproduktion von Bedeutsamkeit“ im Falle sie einerseits konkrete und prägnante Anknüp- Hitlers (Nicholls/Heidenreich 144). Vor diesem fungspunkte in Form eines Akteurs, einer Situa- Hintergrund wird augenfällig, wie viele Heroisie- tion oder einer Handlung suggeriert, zweitens rungen auf solchen temporalen Rückbezügen aber vage genug ist, um konstruktive Freiheiten und figuralen Reinszenierungen basieren und zu lassen. In diesem Zusammenhang fällt auf, so das Paradigma eines autonomen Helden un- dass Präfigurationsbezüge selten eindimensio- terlaufen, dessen Taten prinzipiell unwiederhol- nal sind, weil ihre strukturbildende Wirkung die bar sind und der andere Helden höchstens als Nachfolger zugleich ermächtigt und einengt. temporäre Mitstreiter neben oder als kontrastive Daher müssen sich die Präfigurate zumindest in Antagonisten gegen sich duldet.1 einem gewissen Maße der prädeterminierenden Die neuere Heldenforschung hat daher immer Kraft des Vorbilds entziehen, soll ihre heroische wieder gezeigt, dass Heroisierungsprozesse in Autarkie gewahrt bleiben. Der Umstand, dass der Regel kollektive, historisch-diskursiv situier- dieser Zwang zur Anverwandlung und Abgren- te und medial codierte Prozesse der Fremdzu- zung stets (graduell unterschiedlich ausgeprägt) schreibung sind (vgl. etwa Asch u.a., von den zu bestehen scheint, lenkt den Blick auch auf die Hoff u.a.). In diesem Sinne hat der Sonderfor- medialen Verfahren der Bedeutungsproduktion, schungsbereich 948 kürzlich einen Vorschlag die eigene Dynamiken entfalten können. gemacht, wie das Blumenbergsche Konzept zu Vor diesem Hintergrund möchte ich das modifizieren sei, um es für künftige kulturwis- typologische Potential der wohl berühmtesten senschaftliche Heroisierungsforschung frucht- Flussüberquerung, Julius Caesars Überschrei- bar zu machen (vgl. SFB 948, „Präfiguration“).2 tung des Rubikon, an zwei Stationen der Ich möchte diese Anregungen aufnehmen und Rezeptionsgeschichte exemplarisch erhellen: So einerseits das heuristische Potenzial des Be- fungiert der Transgressor Caesar (II) als ebenso griffs für eine empirische Fallstudie profilieren, prägnanter wie polarisierender Präfigurant der andererseits aber auf die vielfältigen Wechsel- nicht minder kontrovers beurteilten Gestalten wirkungen hinweisen, die Präfigurationsbehaup- Cesare Borgia (III) und Benito Mussolini (IV). tungen erzeugen und die dazu beitragen können, die Funktion des Heroischen im kulturellen Feld präziser zu verorten. Dabei gehe ich von den An- II nahmen aus, dass Präfigurationen erstens eine kontingenzmindernde Funktion zukommt, indem sie in Situationen der Ambiguität durch ihr Vorbild Julius Caesars Rubikon-Übergang in der Nacht eine Entscheidungserleichterung bieten, dass vom 10. auf den 11. Januar 49 v. Chr. gilt als his- die Vorbildfigur zweitens erst im interessegelei- torischer Wendepunkt, als prägnanter Moment, teten Rückbezug teleologisch konstruiert wird in dem sich der Gang der Geschichte sinnfällig und dass drittens die Beziehung zwischen Präfi- zu verdichten scheint: die Entscheidung eines gurant und Präfigurat nicht rein affirmativ ist, son- exzeptionellen Einzelnen, eine räumliche, vor al- helden. heroes. héros.
Martin Beichle 6 lem aber sozionormative Grenze zu überschrei- synonyme „Zeichen“ (segno, V. 32) Agens des ten und die Erschütterung einer Ordnung in Kauf Satzes ist oder Caesar. Der vom „Willen Romas“ zu nehmen, deren Folgen sich weit über seine gesteuerte, final motivierte Julier erscheint je- Lebenszeit hinaus auswirken. Die Rubikon- denfalls nach erfüllter Mission als ein Glied einer Episode eignet sich daher für teleologische Nar- heilsgeschichtlich-imperialen Genealogie und rative, die eine historische Bedeutsamkeit ihres somit aufgehoben. Dieses Spannungsverhältnis Gegenstands qua Retrospektive schon voraus- zwischen Vorläufern und Nachfolgern – die Dy- setzen. So erhebt Dante Caesar im sechsten namik des Überbietungsdrucks bei gleichzeitiger Gesang des Paradiso nachträglich zum Ge- Gefahr der Depotenzierung – ist charakteristisch schäftsführer des Weltgeists, indem er ihn den für präfigurative Reihenbildungen, wie die folgen- Adler, das göttliche Feldzeichen römisch-impe- den Beispiele zeigen werden. In diesem Licht er- rialer und christlich-eschatologischer Sendung, scheint die abschließende, auf den Schluss des ergreifen lässt und ihn damit zum ausführen- Paradiso vorausweisende Unsagbarkeitsformel den Arm des Heilsplans macht. Eine providen- paradigmatisch: erhöht sie Caesars heroische ziell vorgezeichnete Bahn führt über eine Reihe Taten aus konsequenzialistischer Perspektive von Heroen und Herrschern in römischer Tra- ins Transzendente, verurteilt sie damit zugleich dition wie Aeneas, Justinian (den Sprecher der jede erfolgreiche Nachahmung zum Scheitern, Passage), Konstantin und Karl den Großen in wenn ihre Folgen schon ohne Nachfolger die die Gegenwart der Handlung. Im Zuge dieser Reichweite menschlicher Ausdruckskraft und translatio imperii inszeniert Dante Caesar als kultureller Gedächtnisproduktion übersteigen. transgressiven Helden, indem er sechs galli- Betrachtet man die Überlieferungslage, drängt sche Flüsse als Zeugen seiner Eroberungstaten sich allerdings ein umgekehrter Eindruck auf: da anführt, die freilich vor allem als Vorstufen der keine zeitgenössischen Zeugnisse der Rubikon- Rubikon-Überquerung dienen und somit auf die Passage erhalten sind (auch in Caesars eigenen Überschreitung der Epochenschwelle hin pers- Schriften kommt die Überquerung nicht vor), pektiviert sind: sind unsere Vorstellungen schon von Beginn an vom „Aspekt des historisch-archäologischen Zu- Caesar ergriff ihn nach dem Willen Romas. schauers“ (Blumenberg, Präfiguration 11) präfor- Was er getan vom Var bis hin zum Rheine, miert. Das gilt bereits für die antike Historiogra- Das sahn Isère, Aire sowie Seine Und jedes Tal, von dem der Rhodan phie, aus der nur ein selten beachteter Aspekt anschwillt. hervorgehoben sei: Sowohl Plutarch als auch Was von Ravenna dann den Rubicon Sueton, die beiden wichtigsten Quellen, lassen Er überspringend tat, ist solchen Fluges, Caesar am Ufer des Rubikon zögern und insze- Daß Zung’ und Feder nimmer folgen kann. nieren die Entschlussfindung als einen internen (Ü: Witte 306, MB)4 Konflikt, besonders der differenziertere Plutarch, bei dem sich Caesar mehrfach umentscheidet Für die Frage nach Caesars heroischer Agency (vgl. Aurnhammer/Beichle). Die heroisierende ist das Motiv des Sprungs von entscheidender Rezeption hat dieses dubitative Moment in der Bedeutung. Einerseits rezipiert Dante mit der Regel getilgt. Es liegt nahe, dass Caesar erst hyperbolischen Metapher eine Eigenschaft, die dann als Präfigurant kontingenzmindernde Kraft schon ein Topos der antiken Caesar-Heroisie- entfalten kann, wenn seine Figur selbst von Kon- rung war: die zielgerichtete Geschwindigkeit tingenz befreit ist.6 seines Handelns, die auf herausragende Wil- lenskraft, Entschlossenheit und Energie ver- weist.5 Mit der qualitativen Steigerung des currus III zum saltus überbietet Dante jedoch seine Vorläufer und fasst zugleich den Übergang der Zeitalter in ein prägnantes Bild, das die Verbindlich ist das Vorbild Caesars am Ru- Dynamik des Wechsels in den energetischen bikon deshalb vor allem als das eines immer Impetus des historischen Akteurs überführt. schon entschlossenen Entscheiders, der an ei- Indem er diesen figuralen Aspekt aber noch im nem Wendepunkt steht und bereit ist, alles zu gleichen Vers in einer weiteren Steigerung mit riskieren. Das erzeugt freilich eine signifikante der Symbolik des teleologisch aufgeladenen Ad- Fallhöhe für seine Nachfolger, die es ihm darin lerfluges (volo) überblendet und so das Handeln gleichtun müssen. Es gibt wohl wenige bessere Caesars mit der Heilsgeschichte synchronisiert, Beispiele für diesen Erfüllungsdruck als Cesare relativiert Dante dessen individuelle Exzeptio- Borgia, der schon für seine sittlichen Transgres- nalität sogleich wieder. Zudem lässt das Prono- sionen berüchtigt war, bevor er vom jugendlichen men che offen, ob besagter Adler respektive das Kardinal zum Fürsten und Generalkapitän des helden. heroes. héros.
Der Sprung über den Rubikon 7 päpstlichen Heers wurde. Vor allem durch eine den kann (vgl. Blumenberg, Präfiguration 14), simplifizierende Machiavelli-Rezeption und sen- können multiple Semantiken miteinander in sationalistische Geschichtsschreibung ist er der Konkurrenz um die Deutungshoheit treten. So Nachwelt zum Prototyp eines amoralischen An- wendet Jacopo Sannazaro in zwei kaustischen tihelden geraten. Als Sohn Papst Alexanders VI. Epigrammen das Motto Cesares gegen seinen war er schon qua Taufe zur imitatio Caesaris Urheber und verweist damit auf den Abstand zum prädestiniert, indem die Namensgebung das in Präfiguranten, hinter dem Borgia zurückbleibe.11 der Antike vorgegebene Typologiemuster kon- Wenn aber eine misslungene Erfüllung als kurrierender Sukzession zwischen Alexander deheroisierende Munition in Stellung gebracht und Caesar reaktualisierte.7 Auch das ihm zuge- werden kann, unterstreicht sie nur die Funktio- schriebene Motto aut Caesar aut nihil („entwe- nalität dieses Konzepts in Heroisierungskon- der Caesar oder nichts“) steht in der Tradition texten, denn das typologische Paradigma wird eines bei Plutarch und Sueton an kanonischen durch die polemische Negation des Präfigurats Stellen überlieferten cäsarischen Fatalismus ge- nicht aufgehoben. paart mit einer an Hybris mindestens grenzen- Die meisten Präfigurationsprozesse schei- der Ambition.8 nen sich in ähnlicher Weise unabhängig von der Bedeutsamer hinsichtlich der Präfiguration psychischen Disposition der heroisierten oder ist jedoch, dass schon seine Zeitgenossen ihn sich selbst heroisierenden Akteure zu ereignen. seit ca. 1500, dem Beginn seiner Militärkampa- Nur selten lassen sich individuelle Motivationen gnen, als alter Caesar heroisierten – „sobald“ rekonstruieren, wie es Blumenberg unternimmt. also, mit Blumenberg gesprochen, „das Erfül- Vielmehr ermöglicht diese Leerstelle oft erst lende das Erfüllte erkennen läßt“ (Blumenberg, den Übergang von historischer Person zur he- Präfiguration 11).9 So betrauert der humanis- roischen Figur; es bietet sich daher an, bei der tische Dichter Ercole Strozzi den Tod Cesares Untersuchung solcher Beziehungen auch da- 1507 in einer Trostschrift für dessen Schwester, rauf zu achten, welche Funktion der produktiven die für die Beschreibung seiner Heldentaten ins Imagination zukommt. Auch hierfür seien zwei epische Register wechselt. Dort spielt er auch Beispiele aus der Rezeption Cesare Borgias ge- auf eine Überschreitung des Rubikon an, aller- nannt. Borgia besaß ein Zeremonialschwert, auf dings in entgegengesetzter Richtung Caesars: dem unter anderem ein Triumphzug Caesars und „Er besiegte rasch das küstennahe Rimini und die Überschreitung des Rubikon eingraviert sind. überquerte den Strom, der das Reich der Ita- Darunter befinden sich die Schriftzüge Cum nu- ler von den Galliern trennt“ (Strozzi 32 [V. 58- mine Caesaris Omen und Jacta est Alea.12 Die 59]).10 In der gerafften Darstellung sowie der Datierung der Gravuren ist umstritten, sodass velozitären Lexik bewegt sich Strozzi ganz im nicht zweifelsfrei entschieden werden kann, Rahmen der bei Lucan und Dante überlieferten ob Borgia seinen Übertritt von der geistlichen Topoi der Caesar-Heroisierung. So wird ersicht- in die militärisch-heroische Sphäre symbolisch lich, dass sich analog zur typisierenden Figura- mit Caesars Rubikon-Überschreitung synchro- tion des Präfiguranten im Lauf der Rezeptions- nisieren wollte oder die Verzierungen bereits zu geschichte auch medial bedingte Konventionen seiner Kardinalszeit auf seine weltlichen Ambi- herausbilden können, die ein gewisses Maß an tionen vorausweisen sollten.13 Die Vorstellung, bindender Kraft haben. Weshalb Strozzi den dass er in Caesars Transgression seine eigenen Fluss nicht beim Namen nennt, sondern seine Entscheidungen präfiguriert gesehen habe, ist Lage nur anachronistisch in Bezug auf die längst allerdings trotz der unklaren Quellenlage für die obsoleten antiken Provinzialgrenzen paraphra- Historiographen suggestiv gewesen: so will etwa siert, muss Spekulation bleiben. Naheliegend Gregorovius den Verzierungen ablesen, „wovon ist, dass eine allzu explizite Bezugnahme die der Cardinal träumte“ (Gregorovius 369). Akzeptanz verringert hätte. Dass er aber trotz Auf der Grundlage einer solchen Projektion der bemühten Analogie das symbolische Po- verfasste der englische Bibliothekar Richard tential der militärisch bedeutungslosen Episode Garnett (1835–1906) ein bislang unbeachtetes nicht ungenutzt lassen kann, verdeutlicht, dass Sonett, „The Sword of Cæsar Borgia“, das die Präfigurationsbezüge nicht nur in individuellen Problematik präfigurativer Bezüge für die Selbst- Entscheidungssituationen eine Verbindlich- konstitution des Nachfolgers imaginativ aus- keit zur fraglosen Wiederholung entfalten (vgl. schreibt. Als das Gedicht 1895 in der einfluss- Blumenberg, Präfiguration 11), sondern auch reichen Vierteljahresschrift The Yellow Book dann, wenn sich die Möglichkeit bietet, sie auf erschien, konnte Garnett bereits auf eine seit dem Wege der Darstellung zu erzeugen. Mehr mehr als zwanzig Jahren europaweit intensivier- noch: da die Bezugsfigur, wie Blumenberg er- te Borgia-Rezeption zurückblicken, deren neuere kennt, stets auch von anderen gebraucht wer- Erzeugnisse er kannte und zu der er in Form helden. heroes. héros.
Martin Beichle 8 kleinerer Schriften selbst beitrug.14 In dieser Zeit der retardierende Spondeus am Versschluss waren die verdammenden Urteile der voraus- den Rubikon zu einem tatsächlichen Hindernis gehenden Geschichtsschreibung abgemildert anschwellen lässt. Das hart an den Folgevers worden, sodass auch von Cesare gerade wegen gefügte verbum cogitandi zieht dort eine rhyth- seines Amoralismus gepaart mit unbestreitbarer mische Zäsur ein, die eindrücklich den Fluss historischer ‚Größe‘ eine Faszination auszuge- als äußerliche Grenzlinie abbildet. Mit dieser hen begann, der auf literarischem Terrain bereits Gewichtsverlagerung hebelt Garnett das Equi- der populäre Byronic Hero den Weg gebahnt librium des Quartetts zugunsten einer span- hatte. Vor diesem Hintergrund bildet Garnett sei- nungsvollen Asymmetrie aus und evoziert so die nen Borgia in einem Augenblick intensiver inne- Unruhe des am Ufer verharrenden, auch proso- rer Spannung ab, der sich, vor seiner Transgres- disch zwischen Stasis und Dynamik isolierten sion zaudernd, zur Selbstvergewisserung das Transgressors. Die Teleologie erscheint so tem- Schwert und das in ihm nachgezeichnete Vorbild porär suspendiert: Garnetts grübelnder Caesar vor Augen führt. Adressat der Verse ist daher kann sich nicht mehr fraglos auf eine entlasten- nicht nur das Schwert und der durch sein Trä- de Providenz berufen. An dieser Stelle konver- germedium vergegenwärtigte Caesar, sondern gieren Präfigurant und Präfigurat also nicht etwa vor allem Borgia selbst. Mit der apostrophischen in zielgerichteter Aktivität, sondern in kontempla- Sprechsituation knüpft Garnett an das seinerzeit tiver Skepsis vor dem Sprung. Durch diese Ver- beliebte Genre des Dinggedichts und dessen to- zögerung und den Kontrast der anaphorischen pische Thematik der Subjektkonstitution anhand Lokaldeiktika tritt die erlösende Transgression eines materiellen Objekts an. Zugleich geht er umso heroischer hervor, als Wagnis, sich einer aber über die Konventionen des Genres hinaus, offenen Zukunft zu stellen. Mit der Beschreibung verbindet er sie doch mit der antiken Technik dieser Lösung weicht Garnetts Borgia freilich der prospektiven Ekphrasis, deren Elemente von der gravierten Vorlage ab und lässt Caesar auf Zukünftiges vorausweisen (vgl. Graf) – der das statische Medium transgredieren, indem er Schild des Aeneas findet gewissermaßen sein ihn aus dem Bild springen lässt. Die Rezipien- offensives Pendant im Schwert Borgias. Wäh- ten hingegen können die heroische Tat nurmehr rend ersterer aber für seinen Träger undeutbar anhand der glänzenden Wellen betrachten, die bleibt, unternimmt Garnetts Borgia den Versuch, sie schlägt. Mit den partizipial verstetigten smit- die Zeichen zu lesen, um sich Namen und Erbe ten waters (V. 4) sind diese Wirkungen jedoch Julius Caesars anzueignen. So liest sich be- bereits in die Vergangenheit gerückt, der Glanz sonders die Oktave – das erste Quartett ist auf Caesars in die Geschichte eingegangen. Gar- die Rubikon-Überquerung auf der Vorderseite nett operiert hier zudem mit der produktiven bezogen, das zweite auf den Triumphzug der lexikalischen Ambivalenz des Partizipialattributs, Rückseite – als Versuch, auf dem Wege der das gemeinsam mit der Glanztopik auch auf das intellektuellen Anschauung das heroische Po- Material des betrachteten Schwerts verweist. tential des Präfiguranten zu erfassen. Schon zu Der auf der Rückseite abgebildete Triumph- Beginn wird dieser durch den einleitenden Ver- zug schreibt in diesem Sinne die Verheißung des weis auf die Gravurtechnik als Produkt kulturel- Ruhms aus, der mit dem Wenden des Schwerts ler Gedächtnisarbeit kenntlich. von Julius Caesar auf Cesare Borgia übergeht (vgl. V. 5-8). Im Sextett erweist sich jedoch, dass Well hath the graver traced thee, sword diese translatio den Bereich des Möglichen nicht of mine! verlässt. Im Gegenteil versucht Garnetts Bor- Here Cæsar by the Rubicon’s slow deeps gia in den antithetisch angelegten Terzetten der Ponders; here resolute to empire leaps, prädeterminierenden Kraft des Vorbilds auszu- And far and near the smitten waters shine. weichen und seine individuelle Autarkie zu be- wahren. Vom vergegenwärtigenden Indikativ der Die retrospektive Vereinnahmung zeigt sich, als Ekphrasis wechselt der Text in den visionären Borgia ihm sogleich eine finale Motivation ein- Potentialis und entfaltet zunächst eine Macht- schreibt, die in Form einer Sprungmetapher in phantasie, in der Borgia sich als siegreicher Er- die Tat umgesetzt wird (vgl. V. 3). Überraschen- oberer in der Nachfolge Caesars imaginiert: derweise tilgt Garnett im Gegensatz zu Dante jedoch das vorgängige Nachdenken Caesars And did I bare thee to the sun, my blade, am Ufer nicht, bremst gar den Fluss des Ver- Fired at the flash all Italy should thrill, ses durch zwei Tonbeugungen. Die spondeisch And many a city quake and province bow. nachvollzogene Lokaldeixis des Versanfangs führt dabei die Perspektive der Leser sugges- Vom hohen Grad der Anschaulichkeit dieses tiv mit dem Blick Borgias zusammen, während Wunschbilds affiziert, nimmt es sich für Borgia helden. heroes. héros.
Der Sprung über den Rubikon 9 als geradezu geringfügige Leistung aus, das gewinnt das apodiktische Motto, das Garnett Mögliche ins Wirkliche zu überführen, bedarf es als Zentralachse des Gedichts zitiert (Cæsar or doch nur des Schwertziehens, damit sich Italien nothing! saith Duke Valentine, V. 8, Kursivierung qua gebündeltem Glanz entzündet. Im letzten im Original) und mit dem er auch den Titel latei- Terzett jedoch nimmt das Gedicht die hinausge- nisch subskribiert hat, eine neue Bedeutung: statt zögerte Volte und negiert diese Option, indem am Präfiguranten zu scheitern und ‚nichts‘ zu es der überkommenen Militärheroik ein Konkur- sein, ist das Produkt des Präfigurationsprozesses renzmodell entgegensetzt: eine Synthese, ein Caesar sui generis: der titel- gebende „Caesar Borgia“. Mit seinem Sonett füllt Yet is a drop within this vial stayed Garnett somit nicht nur die motivationspsycholo- That should the might of marching armies gische Leerstelle in der Überlieferung, sondern still, And stainless sheathe ten thousand such macht jene Ambivalenzen fruchtbar, die von präfi- as thou. gurativen Bezügen nicht nur suspendiert, sondern auch spannungsvoll erzeugt werden können. Bewegte sich Strozzis Borgia noch auf der Spur Caesars in die entgegengesetzte Richtung, wen- det er sich bei Garnett in einer erneuten Deixis IV zur Seite und hin zur Giftphiole, mit der er seine Ziele kampflos erreichen kann. In dieser Absage an den auf dem Schlachtfeld unüberbietbaren Das Spannungsfeld von Selbst- und Fremd- Präfiguranten wird deutlich, dass die agonale Si- zuschreibung ist auch bei der Inszenierung tuation das Präfigurat geradezu zwingen kann, Benito Mussolinis zum Caesar-Präfigurat von sich eine alternative Heroisierungsmöglichkeit entscheidender Bedeutung. Der memorialpoli- zu verschaffen, soll es nicht vom Vorbild verdeckt tische Antikediskurs im faschistschen Italien werden. Um den Preis der Moralität gewinnt Bor- war durchaus heterogen. Zwar war man einer- gia dabei eine Agency, die der Caesars in nichts seits bestrebt, über das Konzept der Roma- nachsteht, sondern sie sogar übertrifft, da er die nità eine vermeintlich römische Identität zu metaphorisch implizierte ziellose Zerstörung des reaktualisieren, andererseits grenzte man sich Krieges vermeidet: auch wenn es sich um eine jedoch durch die Proklamation eines „Dritten durch machiavellistische Perfidie erwirkte politi- Rom“ dezidiert von der Herrschaft der Päpste sche Macht handelt, kann Borgia sich dennoch und der „Cäsaren“ ab und präsentierte die Vi- als Condottiero imaginieren, dessen potentia sion einer genuin neuen und radikal zukunft- mittelbar zehntausend Schwerter befehligt. We- gerichteten sozialen Ordnung. Für ihre Legi- nig Konstruktionsaufwand bedurfte es, den Re- timation suchte man die Antike eklektisch zipienten dieses Konkurrenzmodell plausibel fruchtbar zu machen.16 Am wichtigsten für die zu machen, gehörte der Einsatz des berüchtig- Caesar-Rezeption ist der Marcia su Roma ten Gifts Cantarella doch schon in der Renais- genannte Aufmarsch der Faschisten vom 27. sance zum Inventar der Borgia-Stereotypie. bis 31. Oktober 1922, der zur Machtübernahme Cesares (Anti-)Heldenstatus erhält als ein ge- Mussolinis und zum Beginn der sogenannten Era nuin ‚borgieskes‘ Heldentum eine eigene Präg- Fascista führte. Auch wenn der „Marsch auf nanz.15 Obgleich die selbstermächtigende Ab- Rom“ weniger eine militärisch als symbolisch grenzungsgeste somit durch kanonisches Wis- bedeutsame Aktion darstellte und Mussolini be- sen grundiert ist, darf jedoch nicht übersehen kanntlich erst, als seine Ernennung beschlosse- werden, dass diese Abwendung stets im Poten- ne Sache war, via Schlafwagen von Mailand nach tialis verbleibt (vgl. V. 13): ob Cesares Machen- Rom fuhr, prägte sich die augenfällig inszenierte schaften aufgehen und er dem Erfüllungsdruck imitatio Caesaris den Zeitgenossen ein und fand durch eine konkurrierende Heroik entgehen große Resonanz in adulatorischen Texten jegli- kann, bleibt offen. Damit erfährt das Sonett zum chen Genres. Nicht selten kam es dabei zu einer Schluss eine dialektisch-performative Wende in- Reihenbildung, indem etwa eine Linie von Cae- sofern, als Cesare Borgia, geleitet vom Vorbild, sar über Napoleon zu Mussolini gezogen wurde, eben jene Progression von Kontemplation zum der seine Vorläufer dann als emulo-superatore Entschluss nachvollzieht, die der ins Schwert noch übertreffen sollte.17 Mussolini selbst war gravierte Caesar vorgeprägt hat, und wie dieser zwar darauf bedacht, sich nicht eigenhändig die stellt er sich am Schluss einer unsicheren Zu- Rolle des Caesar-Präfigurats zuzuschreiben, kunft. Dieser nahezu kierkegaardianische inner- lud aber durch seine Kulturpolitik andere Akteu- liche leap of faith ist denn auch die eigentliche re dazu ein. So legte er die realgeographische heroische Leistung. In gleicher Weise, wie sich Lage des Rubikon, die bis heute umstritten ist, so der vermeintlich idiosynkratische Titel erklärt, 1933 per Dekret fest und stiftete der Stadt Rimini helden. heroes. héros.
Martin Beichle 10 eine Caesar-Statue, um an den antiken „Marsch erobert“ (Bargellini/Della Torre 83), und an ein- auf Rom“ zu erinnern (vgl. Susmel/Susmel, schlägiger nationalpädagogischer Publizistik für Opera Omnia di Benito Mussolini 25 287).18 Im Erwachsene herrschte kein Mangel.19 Diese um- Gegensatz zu Napoleon hatte Mussolini keinen fangreiche Konstruktionsarbeit sei abschließend Goethe als Widerpart, der ihm ein Caesar-Drama an einem bildkünstlerischen Beispiel verdeutlicht. verweigerte (vgl. Blumenberg, Mythos 528-529): Noch 1942 wurden in der Casa del Mutilato in 1939 ließ er den bekannten Theaterdichter Gio- Ravenna zwei komplementäre Mosaike ausge- vacchino Forzano ein Caesar-Drama verfassen, stellt: Das linke (Abb. 1) zeigt Julius Caesar, auf das den typologischen Bezug betont, die Betei- einem weißen Pferd die Szene dominierend, sei- ligung des Duce an der Konzeption war ein of- nen Legionären, die weiße Fahnen schwenken, fenes Geheimnis (vgl. Griffiths 159-176, Dunnett mit ausgestrecktem Arm den Weg über den Fluss 257-260). In anderen Caesar-Dramen vermerk- weisend. Repräsentiert ist also der Moment des ten Zeitgenossen, dass die parataktische Diktion Aufbruchs von Ravenna aus, und die Geste Cae- des Caesar auf der Bühne der charakteristischen sars weist auf die künftige Eroberung hin. Das Sprechweise Mussolinis glich, und auch die Per- Gegenstück des Mosaiks (Abb. 2) stellt den fa- formanz dürfte zur Analogiestiftung beigetragen schistischen „Marsch auf Rom“ dar. Das Original haben (vgl. Dunnett 256). Lohnenswert scheint ist zwar nicht erhalten, aber als Kartonvorlage an dieser Stelle die Frage nach den medialen überliefert: Die fahnenschwenkenden Schwarz- Bedingungen der Präfiguration, wie sich also hemden überragt analog zum antiken Vorbild etwa ein solcher Fall, in dem das Präfigurat recht der Duce auf weißem Pferd, die Hände fest am transparent durch die Maske des Präfiguranten Zügel, in entgegengesetzter Marschrichtung und spricht, heuristisch genauer fassen lässt. Auch kurz vor den Mauern Roms. Indem die Mosaike diese Allegorisierung des Präfigurationsprozes- Caesar am von Dante vermerkten Ausgangs- ses selbst ist bei Blumenberg schon angelegt, der punkt, Mussolini hingegen schon fast am Ziel zei- schließlich auf dem „Umweg“ über Napoleon eine gen, übertrifft dieser sein Vorbild damit in dessen Möglichkeit findet, über Hitler zu sprechen (vgl. ureigenster heroischer Disziplin, der Geschwin- Blumenberg, Präfiguration 53-58). digkeit. Die beiden Mosaike sind trotz dieser Kon- Gleichwohl wies Mussolini in einem weitver- trasteffekte insofern konzeptionell verschränkt, breiteten Interview mit Emil Ludwig zur Zeit des als die Gesichtszüge Caesars unverkennbar der Decennale, des zehnjährigen Jubiläums des Physiognomie Mussolinis nachgebildet sind – so „Marsch auf Rom“, ostentativ die Vermutung zu- wirft das Präfigurat ganz wortwörtlich sein Abbild rück, er eifere gezielt Caesar nach (vgl. Ludwig auf den Präfiguranten zurück. 198-199). Aber auch ohne seinen direkten Einfluss Nicht unerwähnt bleiben kann, dass eine der- wurde die Rubikon-Episode retrospektiv teleolo- art ostentative Präfigurationsbehauptung auch gisch aufgeladen und in einem politischen Heils- satirisch-polemische Gegenreaktionen provo- narrativ funktionalisiert. So heißt es etwa in einer ziert hat. Mit gnadenlosem Spott überzog etwa Rede des Dramatikers Federico Valerio Ratti: der amerikanische Journalist George Seldes in seiner Mussolini-Biographie Sawdust Caesar Gott wollte es, Duce Italiens, dass du gebo- (1935) den Duce und das faschistische Regime. ren werdest in der Romagna, dreißig Kilo- Am Schluss des Buchs führt er jedoch mit wi- meter vom Rubikon Caesars entfernt, und derständigem Pathos anhand einer Reihe von er wollte, dass du ihn in der gleichen Wei- zweifelhaften Caesar-Präfiguraten vor, dass die se überschrittest, ohne einen Tropfen Blut konstruierten Kontinuitäten keinen Bestand ha- zu vergießen, und nach Rom kämest auf ben müssen, sobald die Helden andere werden: die gleiche Weise, gewappnet wie er mit dem Willen, der Barmherzigkeit und dem History and monuments will recall Benito Schicksal. (Ratti 35) Mussolini as a Caesar – not a Julius but perhaps a Caesar Borgia or perhaps a Kai- Indem er neben der insistierenden Parallelisie- ser Wilhelm. […] Everywhere new statues rung auch das ausbleibende Blutvergießen als appear of Benito Mussolini today and more subtile Überbietung Caesars inszeniert, verfolgt will be erected in his lifetime. The statues of Ratti eine ähnliche Ausweichstrategie wie Gar- Julius Caesar will probably remain forever netts Borgia. Freilich blieb auch die martialische in Eternal Rome – but the day will surely Dimension caesarischer Heroik nicht ungenutzt: come when in all the noble cities of Italy „auch er“, heißt es in einem Grundschullesebuch, there will arise the statue of Giacomo Matte- sei „auf Rom marschiert, nicht, um es zu plündern otti. A free people will then decide if there oder zu bestrafen, sondern um es von unfähi- will be room also for those of our Sawdust gen Führern zu befreien“, auch er habe „die Welt Caesar. (Seldes 382) helden. heroes. héros.
Der Sprung über den Rubikon 11 Abb. 1: Carlo Signorini, Ines Morigi und Antonio Rocchi. Giulio Cesare varca il Rubicone, 1940-1942 (Mosaik nach einem Kartonentwurf von Antonio Giuseppe Santagata). Abb. 2: Antonio Santagata, Antonio Giuseppe. Il Duce marcia su Roma, 1940-1942 (Kartonentwurf zum verlorenen Mosaik). helden. heroes. héros.
Martin Beichle 12 Eine Generation später nimmt Federico Fellini 3 Ich verwende im Anschluss an den Vorschlag des SFB auf diesen Diskurs Bezug, wenn er zu Beginn 948 im Compendium heroicum („Präfiguration“) die Bezeich- nung „Präfigurant“ für die Ausgangs-, „Präfigurat“ für die seines Films Roma (1972) eine Schulklasse Zielfigur. unter der Führung eines autoritären, das Er- 4 Cesare per voler di Roma il tolle ziehungsregime des Ducismo repräsentieren- E quel che fé da Varo infino a Reno, den Lehrers die Flussüberquerung nachahmen Isara vide ed Era e vide Senna lässt: Caesars berühmte Worte auf den Lippen, e ogne valle onde Rodano è pieno. durchschreitet er mit den schwarz gekleideten Quel che fé poi ch’elli uscì di Ravenna Schülern den seichten Fluss. Indem die Film- e saltò Rubicon, fu di tal volo, sequenz die Diskrepanz des heroischen Pathos che nol seguiteria lingua né penna. mit der unheroischen Realität der Flussüberque- Text nach Dante 408 (Paradiso 6, V. 57-63). Ich habe die rung inszeniert und so einen komischen Kon- Wittesche Übersetzung des saltò („überschreitend“) durch flikt erzeugt, wird die Präfigurationsbehauptung das präzisere „überspringend“ ersetzt. Alle weiteren Über- setzungen von Vf., so nicht anders angegeben. zugleich inszeniert wie unterminiert (vgl. Roma 00:03:45-00:04:39). Sofern hier die Kontingenz 5 So steigert der neronische Dichter Lucan in einer be- rühmten Passage seines Bellum Civile diesen Aspekt ins des Nachahmungsakts hervortritt, erfüllt sich Kosmische, indem er Caesar mit einem zerstörerischen zumindest in diesem Fall, was Blumenberg für Blitz vergleicht, der Erschütterer der sozialen Ordnung wird die Bindekraft der Präfiguration in der Moderne bei ihm zur Naturgewalt (vgl. BC 1, 143-158). diagnostiziert: 6 In diesem Sinne urteilt auch Joseph Vogl in seiner Stu- die Über das Zaudern, die sich mit der (produktiven) Manife- Es fällt uns so schwer, die nachbildende station von Kontingenzen solcher Liminalzustände befasst, in denen teleologische Narrative zweifelhaft werden: „Die Beziehung zu verstehen, die wir Präfigu- Athleten des Zauderns sind […] Helden mit gebrochener ration nennen, weil wir Nachbildung für Beteiligung und somit keine Helden“ (Vogl 133). etwas der nachgebildeten Sache ganz 7 Vgl. die Episoden, in denen Caesar am Vergleich seiner und gar Zufälliges halten, nur mit Lächeln Leistungen mit denen Alexanders verzweifelt (Suet. Div. Iul. hinzunehmen bereit sind, es müsse an 7, Plut. Caes. 32), sowie die von Plutarch in seinen Paral- lelbiographien kanonisierte Gegenüberstellung Alexander – [ihr] eine vorbildhafte Qualität gefunden Caesar. werden können, die das nachbildende 8 Am wirkmächtigsten in Suetons Iacta alea est (Div. Iul. Handeln motiviert. (Blumenberg, Präfigu- 32); Plutarch überliefert den in einem Alpendorf getätigten, ration 12) kaum weniger berühmten Spruch, Caesar wolle „lieber hier der Erste sein als der Zweite in Rom“ (Παρὰ τούτοις εἶναι Ob aber in ‚postheroischen‘ Zeiten tatsächlich μᾶλλον πρῶτος ἢ παρὰ Ῥωμαίοις δεύτερος, Plut. Caes. 11). nur ein ironischer Reflex und das Rauschen 9 So berichtet etwa Gregorovius von einem Gedicht des des Flusses bleiben oder aber andere Formen Stadtkanzlers von Fano, das Borgia mit dem historischen Caesar überblendet (vgl. Gregorovius, Geschichte der Stadt präfigurativer Bezugsarbeiten auftreten, wird zu Rom im Mittelalter 7, 470). zeigen sein. 10 Zum Epicedium und seinem Kontext vgl. Charlet-Mes- dijan/Voisin, bes. 259-269. Eine lapidare Paraphrase liefert Martin Beichle studiert Europäische Literaturen bereits Gregorovius, Lucrezia Borgia 330-331. und Kulturen (M.A.) an der Albert-Ludwigs-Uni- 11 Aut nihil, aut Caesar vult dici Borgia: quid ni? | Cum si- versität Freiburg und ist dort wissenschaftliche mul et Caesar possit, et esse nihil.; Omnia vincebas: spe- Hilfskraft am Lehrstuhl für Neuere Deutsche rabas omnia, Caesar. | Omnia deficiunt: incipis esse nihil (Sannazaro 215). und Vergleichende Literaturwissenschaft von Prof. Dr. Werner Frick, und von Prof. Dr. Achim 12 Das Motto Aut Caesar aut nihil ist (entgegen der Dar- stellung bei Herrmann-Röttgen 181) nicht auf dem Schwert Aurnhammer im Projekt S4 „Ästhetiken der Affi- zu finden. zierung“ des SFB 948 „Helden - Heroisierungen 13 Ebenso Yriarte, Bradford 115-116, auch Sabatini, - Heroismen“. der die Caesar-Anspielungen aber nicht auf die Intention Borgias zurückführt. Er spekuliert auf “the conceit of the 1 Den Anstoß zu den folgenden Überlegungen gab die sword-maker as a rather obvious play upon Cesare’s name” Beschäftigung mit heroischen Flussüberquerungen (vgl. (222). Für eine spätere Datierung der Gravuren auf ca. 1500 Aurnhammer/Beichle), bei der Achim Aurnhammer und mir plädiert Bemis. die Bedeutsamkeit von Präfigurationsbeziehungen immer 14 Neben den Schriften Gregorovius’ und einer quellen- wieder bewusst geworden ist. Aus dieser Arbeit erwuchs ein gesättigten Biographie von Edoardo Alvisi (Cesare Borgia Impulsvortrag, den ich am 14.12.2020 im Plenum des SFB duca di Romagna: Notizie e documenti. Imola: Ignazio Ga- 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ halten durfte. leati e figlio, 1878) in den Siebzigerjahren waren vor allem Ich danke den Teilnehmer*innen des Plenums für ihre zahl- die Werke Charles Yriartes bedeutsam, der eine zweibän- reichen konstruktiven Anregungen, die erheblich zur Ausar- dige Biographie (César Borgia: Sa vie, sa captivité, sa mort, beitung der hier vorliegenden modifizierten und erweiterten d’après de nouveaux documents des dépôts des Roma- Manuskriptfassung beigetragen haben. gnes, de Simancas et des Navarres. 2 Bde. Paris: J. Roth- 2 Georg Feitscher hat mir schon vor Veröffentlichung einen schild, 1889) verfasste und eine aufwändig illustrierte Quel- Blick das Manuskript gewährt, wofür ich ihm herzlich danke. lensammlung (Autour la Borgia. Paris: J. Rothschild, 1891) helden. heroes. héros.
Der Sprung über den Rubikon 13 herausgab, deren dritter Teil (115-140) dem Schwert gewid- Dante Alighieri. Comedia. Hg. Federico Sanguineti. Florenz: met war und eine detailgenaue Illustration der Gravuren Edizioni del Galluzzo, 2001. enthielt (152). Yriarte publizierte ihn wenige Monate nach Dante Alighieri. Die Göttliche Komödie. Übers. Karl Witte. Erscheinen von Garnetts Gedicht separat erneut in der Re- Berlin: Askanischer Verlag, 1916. vue de Deux Mondes. Auf diesen Nachdruck bezieht sich Garnett in einer Miszelle (Garnett: Contemporary Poems Dunnett, Jane. „The Rhetoric of Romanità: Representations on Caesar Borgia, 141). Ein weiterer Beitrag belegt seine of Caesar in Fascist Theatre.“ Julius Caesar in Western Kenntnis von Gregorovius und Alsivi (Garnett: A Laureate Culture. Hg. Maria Wyke. Malden: Blackwell, 2006: 244- of Caesar Borgia). 265. 15 Vgl. Brambach, 267-268. – Auch die Lexik des Sonetts, Garnett, Richard. „A Laureate of Caesar Borgia.“ The English die mit Vokabeln wie empire und train zweifellos zeitgenös- Historical Review 17.65 (1902): 15-19. sische Resonanzen erzeugte, eröffnet freilich eine dritte Garnett, Richard. „Contemporary Poems on Caesar Borgia.“ Zeitebene, sodass Garnett den Konstruktionscharakter der The English Historical Review 1.1 (1886): 138-141. Sprechsituation transparent macht. Garnett, Richard. „The Sword of Caesar Borgia.“ The Yellow 16 So etwa Mussolini in einer Rede 1934: „Dopo la Roma Book 5 (1895): 258. dei Cesari, dopo quella dei Papi, c’è oggi una Roma, quella fascista, la quale con la simultaneità dell’antico del moder- Gentile, Emilio. Fascismo di pietra. Rom: Gius. Laterza & Fi- no, si impone all’ammirazione del mondo.” („Nach dem Rom gli, 2007. der Cäsaren, nach dem der Päpste, gibt es heute ein Rom, Graf, Fritz. „Ekphrasis. Die Entstehung der Gattung in der An- das faschistische Rom, das sich mit der Gleichzeitigkeit tike.“ Beschreibungskunst – Kunstbeschreibung. Ekphrasis des Antiken und des Modernen die Bewunderung der Welt von der Antike bis zur Gegenwart. Hg. Gottfried Boehm und erzwingt.“) (Susmel/Susmel [Hg.]: Opera Omnia di Benito Helmut Pfotenhauer. München: Fink, 1995: 143-155. Mussolini 26, 187). – Zur faschistischen Antikenrezeption vgl. etwa Visser, Gentile, Nelis, Arthurs. Gregorovius, Ferdinand. Geschichte der Stadt Rom im Mit- telalter. Vom V. bis zum XVI. Jahrhundert. Bd. 7. Stuttgart: 17 So der Titel einer besonders engagierten Monographie J. G. Cotta, 1870. (Tempera). Gregorovius, Ferdinand. Lucrezia Borgia. Nach Urkunden 18 Vgl. Telegramm vom 15. April 1933 (Al podestà di Rimi- und Correspondenzen ihrer eigenen Zeit. Bd. 1. Stuttgart: ni). In: Susmel/Susmel (Hg.): Opera Omnia di Benito Mus- J. G. Cotta, 31875. solini 25, 287. Griffiths, Clive Edward John. The Theatrical Works of 19 Für eine Beispielsammlung vgl. etwa Dunnett 247-252. Giovaccino Forzano. Drama for Mussolini’s Italy. Lewiston: The Edwin Mellen Press, 2000. Herrmann-Röttgen, Marion. Die Familie Borgia. Geschichte einer Legende. Stuttgart: J. B. Metzler, 1992. Literatur Ludwig, Emil. Mussolinis Gespräche mit Emil Ludwig. Berlin: Paul Zsolnay, 1932. Arthurs, Joshua. Excavating Modernity. The Roman Past in Nelis, Jan. „Constructing Fascist Identity: Benito Mussolini Fascist Italy. Ithaca: Cornell UP, 2012. and the Myth of Romanità“. Classical World 100.4 (2007): Asch, Ronald G. u.a. (Hg.). Bewunderer, Verehrer, Zuschau- 391-415. er. Die Helden und ihr Publikum. Würzburg: Ergon, 2016. Nicholls, Angus und Felix Heidenreich. „Nachwort der He- Aurnhammer, Achim und Martin Beichle. „Flussüberque- rausgeber.“ In: Hans Blumenberg. Präfiguration. Arbeit am rung.“ Compendium heroicum. 2021. DOI: 10.6094/heroi- politischen Mythos. Hg. 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