Der "Tabak-Indianer" als transnationaler Werbeträger
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Zeitschrift für Weltgeschichte — Interdisziplinäre Perspektiven pen Jahrgang 21 - Heft 02 - Herbst 2020, Peter Lang, Berlin, S. 315–331 Frank Usbeck Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger Einleitung Im Sommer 1936 präsentierte sich Berlin den internationalen Besuchern der Olympischen Spiele als die Hauptstadt des wiedererstarkten und florierenden Deutschen Reichs. Die NS-Führung inszenierte pompöse Propagandaaktionen, die diesen Status demonstrieren sollten. Gleichzeitig ergingen Anweisungen an die Medien, Land und Regime als weltoffen, modern und friedliebend zu prä- sentieren und damit von der politischen Repression, der Rassenverfolgung und der Aufrüstung durch die Nationalsozialisten abzulenken.1 Für Wirtschaft und Handel im Reich war dieses weltweit beachtete Großereignis eine hervorragende Gelegenheit, ihre Produkte zur Schau zu stellen. So richtete das in der Textil- und Tabakindustrie verankerte Herrnhuter Unternehmen Abraham Dürninger & Co. sein Berliner Geschäft für den Anlass neu ein. Eine Attraktion dieser Schaudekoration war die hölzerne Skulptur eines „Indianers“ mit integriertem mechanischem Feuerzeug für Zigarren. Mit dieser Skulptur stellt sich der deut- sche Tabakfabrikant Dürninger in die internationale Tradition exotisierender Bilder im Kolonialwarenhandel. Der vorliegende Aufsatz nimmt diese Plastik als Ausgangspunkt, um die inter- nationale Verbreitung exotisierender Bilder in der Tabakwerbung zu diskutieren. Er wird insbesondere die Zusammenhänge zwischen Werbestrategien, der zu dieser Zeit auf einem Höhepunkt stehenden deutschen Indianerbegeisterung und deren Ausprägungen in der Populärkultur untersuchen. Dabei werden wirt- schaftliche und kulturelle Globalisierungsprozesse beispielhaft an traditionellen Indianerdarstellungen wie den sogenannten „Cigar Store Indians“ beleuchtet. Dürningers Berliner Skulptur bildet dabei ein Amalgam aus weltweit verbreiteten Vorstellungen über kolonisierte Ethnien, einer sich globalisierenden Wirtschaft mit global wirksamen Kommerzialisierungs- und Werbestrategien, und regio- nalen Traditionen in Kulturpraxen und (Kunst-)Handwerk. 1 Frank Eckhardt: Olympia im Zeichen der Propaganda. Wie das NS-Regime 1936 die ersten Medienspiele inszenierte, in: Sönke Neitzel, Bernd Heidenreich (Hg.): Medien im Nationalsozialismus, Paderborn 2010, S. 232-252. © 2020 Frank Usbeck - http://doi.org/10.3726/ZWG0220205 - Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 Internationalen Lizenz Weitere Informationen: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
316 | Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger ZWG-02-2020 Der Aufsatz wird zunächst die deutsche Indianerbegeisterung kontextualisie- ren, um vor diesem Hintergrund die internationale Wirksamkeit exotisierender Bilder in der Tabakwerbung des frühen 20. Jahrhunderts zu beleuchten. Dabei wird auch die Strategie der Tabakfirmen näher betrachtet, durch Begleitprodukte wie Zigarettensammelbildalben von zeitgenössischen kulturellen Interessen und Modeerscheinungen zu profitieren. Dies wird mit einer Betrachtung der seit 2004 in Brandenburg ansässigen indigenen Tabakfirma Grand River Enterprises (GRE) kontrastiert. Deren Werbestrategien greifen traditionelle westliche Stereotype und Kulturpraxen auf und setzen sie spielerisch ein. Im Sinne postkolonialer Perspektiven konstruiert diese indigene Werbung einen Gegenentwurf zur Ste- reotypisierung und Ausbeutung der eigenen Gruppe, indem sie solche Stereotype spielerisch vermarktet und so die populäre Kommodifizierung ihrer Ethnizität zum Vertrieb der eigenen Produkte wie auch ihrer ethnischen ‚Marke‘ ausnutzt. Indianerbegeisterung in Deutschland Nachrichten und bildliche Darstellungen indigener Gruppen der Amerikas kursierten im deutschsprachigen Raum schon seit dem Zeitalter der kolonialen Expansion, da sich hier ein Zentrum des frühen Buchdrucks befand und die Berichte und Literatur der Kolonialmächte hier übersetzt und weiter verbreitet wurden.2 Im späten 18. Jahrhundert entwickelte sich jedoch eine besondere Faszination für und Vorstellung über „Indianer“, die in Kunst und Literatur, wie auch diversen kulturellen Praktiken Widerhall fanden. Dies ist in erster Linie auf die hiesigen soziokulturellen Verhältnisse zurückzuführen. Die deutsche Indianerbegeisterung speiste sich aus in Europa verbreiteten Ideen der Aufklä- rung, nach denen Vertreter ‚primitiver‘ Kulturen näher am imaginierten idealen Urzustand der Menschheit verblieben und damit den zerstörerischen Auswir- kungen der Zivilisation noch nicht ausgesetzt seien.3 Die emotional-nostalgische Betrachtung der Natur während der Romantik trug weiterhin dazu bei, indigene Menschen als ‚Naturkinder‘ zu idealisieren, deren Verschwinden im Zuge von Industrialisierung und Urbanisierung vorbestimmt schien. Dieser Exotismus und Primitivismus entwickelte zunehmend eine spezifisch 2 Alfred Vagts: The Germans and the Red Man, in: American German Review 24, 1957, S. 13-17; Lothar Dräger: Der Leipziger Traum vom Indianer, in: Claus Deimel, Sebastian Lenz, Bernd Streck (Hg.): Auf der Suche nach Vielfalt. Ethnographie und Geographie in Leipzig, Leipzig 2009, S. 449-472, hier S. 450. 3 Karl-Heinz Kohl: Entzauberter Blick. Das Bild vom Guten Wilden und die Erfahrung der Zivilisation, Berlin 1981, S. 29, 40.
ZWG-02-2020 Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger | 317 deutsche Perspektive. Wie H. Glenn Penny ausführt, wuchs die Indianerbe- geisterung „direkt aus dem deutschen Polyzentrismus, aus Vorstellungen von Stammestum, aus einem Hang zum Widerstand, einem Verlangen nach Freiheit, und der melancholischen Idee eines gemeinsamen Schicksals“.4 In einem Drei- ecksverhältnis aus Idealisierungen, historischen Vergleichen und Rollenvorbil- dern zwischen antiken germanischen Stämmen, indigenen Amerikanern und modernen Deutschen diente letzteren die Vorstellung von „Indianern“, um eine nationale Identität und damit verbundene inhärente Charaktereigenschaften zu konstruieren. Der „Indianer“ wurde zu einem extrem flexiblen und formbaren Symbol für Ideen wie Gemeinschaft, Widerstand, Freiheit und Naturverbun- denheit. Er war somit als Referenzrahmen akzeptabel für heterogene soziale Schichten wie auch für verschiedene politische Bewegungen und Regime der modernen deutschen Geschichte.5 Die Indianerbegeisterung in Deutschland wurde gegen Ende des 19. Jahr- hunderts zur Massenbewegung und drückte sich in vielfältigen Formen zeit- genössischer Populärkultur aus: Völkerschauen und Wildwest-Shows zogen in Deutschland zwischen den 1880er und den 1930er Jahren hunderttausende Zuschauer an. Karl May nutzte moderne Medienformate wie Fortsetzungsro- mane in Zeitungen, und wurde mit seinen Fantasien über den Wilden Westen (und den Orient) zum meistgelesenen deutschen Schriftsteller. Das Indianerspiel gehörte zum festen Bestandteil der Kindheit vieler Deutscher, und Erwach- sene gründeten Hobbyklubs, von denen viele auch heute noch aktiv sind.6 4 H. Glenn Penny: Kindred by Choice. Germans and American Indians Since 1800, Chapel Hill 2013, S. xi. Deutsche Übersetzungen englischer Originalzitate in diesem Beitrag von Frank Usbeck. 5 Penny: Kindred wie Anm. 4), S. xii; Frank Usbeck: Fellow Tribesmen. The Image of Native Americans, National Identity, and Nazi Ideology in Germany, New York 2015, S. 55-122. 6 Julia Simone Stetler: Buffalo Bill’s Wild West in Germany. A Transnational History, Ph.D. Diss., Las Vegas, University of Nevada 2012; Rudolf Conrad: Mutual Fascina- tion. Indians in Dresden and Leipzig, in: Christian F. Feest (Hg.): Indians and Europe. An Interdisciplinary Collection of Essays, Lincoln 1999, S. 455-473; Karl Markus Kreis: Indians Playing, Indians Praying. Native Americans in Wild West Shows and Catholic Missions, in: Colin G. Calloway, Gerd Gemünden, Susanne Zantop (Hg.): Germans and Indians. Fantasies, Encounters, Projections, Lincoln 2002, S. 195-212; Eric Ames: Seeing the Imaginary. On the Popular Reception of Wild West Shows in Germany, 1885-1910, in: Pamela Kort, Max Hollein (Hg.): I Like America. Fictions of the Wild West, New York 2006, S. 212-229.
318 | Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger ZWG-02-2020 Völkerkundemuseen verzeichneten mit Nordamerika-Ausstellungen enorme Besucherzahlen. Sie distanzierten sich von der Wildwestromantik der Literatur und strebten danach, ‚die wahre Geschichte über die Indianer‘ zu erzählen.7 Es ist unter diesen Umständen also nicht verwunderlich, dass Indianermotive auch in der Werbung Einzug hielten, weil man damit breite Bevölkerungs- schichten erreichen konnte. So wirbt z.B. die Firma Emil Seelig 1938 für ihren „kandierten Kornkaffee“ mit dem Bild dreier vom Indianerspiel heimkehrender durstiger Kinder, die eine findige Mutter versorgen muss.8 Dies setzt sich bis in die Gegenwart fort, etwa bei der Fernsehwerbung für Kytta Schmerzsalbe („Ein Indianer kennt keinen Schmerz“), Audi Quattro (Inuit-Großvater und Enkel beim ‚Spurenlesen‘), oder im Fall der unten beschriebenen Werbung für „Mo- hawk“-Tabak der Firma Grand River Enterprises.9 Bei der historischen Werbung mit Indianermotiven fielen Werbestrategien aus dem angelsächsischen Raum, die seit den frühesten Tagen der Vermarktung von Tabak in Europa „Indianer“ dargestellt hatten, auf fruchtbaren Boden. Indianermotive in der Tabakwerbung Indigene Personen erscheinen bereits in den frühesten bildlichen Darstellungen des 17. Jahrhunderts auf Werbematerial britischer Tabakhändler und -fabri- kanten.10 Sie traten hier vornehmlich als die Ursprungsgesellschaft auf, die den Tabak kultiviert hatte. Dabei wurden deutliche Dichotomien zwischen Natur und Zivilisation konstruiert: „Indianer“ waren diejenigen, die Europa mit Tabak bekannt gemacht hatten, das heißt, indigene Personen wurden mit der Pflanze, und daher mit der Natur der ‚Neuen Welt‘ assoziiert. Tabak wird in diesem Zusammenhang häufig als „Geschenk des Roten Mannes“ an die Welt der Genießer bezeichnet.11 Weiße Personen repräsentierten demnach auf diesen Werbebildern die Zivilisation, das heißt, diejenigen, die den Tabak konsumierten 7 Penny: Kindred (wie Anm. 4), S. 11 f. 8 Nix Wie Ran, Werbeanzeige, in: Leipziger Neueste Nachrichten, 29. Mai 1938, S. 47. 9 Kytta-Salbe Werbung, 2011, https://www.youtube.com/watch?v=O5-Of9Fmt0E (Stand 23.07.2019); Audi Quattro Werbung, 1997, https://www.youtube.com/watch?v= 2sdSUNhoLRE (Stand 23.07.2019). 10 Catherine Molineux: Pleasures of the Smoke. ‚Black Virginians‘ in Georgian London’s Tobacco Shops, in: The William and Mary Quarterly 64 (2), 2007, S. 327-376, hier S. 335, 339; Dolores Mitchell: The Commodified African American in Nineteenth- Century Tobacco Art, in: Sander L. Gilman, Xun Zhou (Hg.): Smoke, A Global History of Smoking, London 2004, S. 286-293, hier S. 289.
ZWG-02-2020 Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger | 319 und vom Reichtum der Kolonien profitierten. Alsbald wurde der Kanon erweitert um Afrikaner, die den Tabak auf Plantagen anbauten (deren Versklavung man jedoch nicht explizit thematisierte). Die frühe Tabakwerbung präsentiert daher oft hybride afrikanisch-indigene Figuren mit dunkler Haut und Schmuck aus Federn oder Tabakblättern. Nacktheit und derart aus Naturalien gefertigte leichte Kleidung heben umso deutlicher die Verschmelzung von ‚primitiver‘ Kultur mit der Natur hervor, und kontrastieren sie mit den eigenen Vorstellungen über die Zivilisiertheit der Europäer und ihre Rolle in der Welt.12 Solche Verweise auf das exotische Produkt und seine Produzenten erscheinen im 17. Jahrhundert auf Werbeblättern, auf sogenannten „trade cards“, aber auch auf der Heraldik britischer Handelshäuser.13 Die frühen Dichotomien von primitiv und zivili- siert, von Natur und Kultur, mit denen Europäer ihr Verhältnis zum indigenen Amerika definierten, bildeten also auch die Basis für kulturelle Repräsentationen von Ethnizität in der US-Werbung des 19. Jahrhunderts. In der US-Tabakwerbung treten allerdings auch Unterschiede in den Darstellungen von Afrikanern und indigenen Personen auf: Letztere finden sich auf US-Zigarrenkisten des 19. Jahrhunderts häufig als Figur des oder der edlen, freien und nomadischen Wilden, während Afroamerikaner zunehmend als groteske, unterwürfige und komisch überzeichnete Figuren dargestellt werden, was deren angeblich inhärenten Mangel an Intelligenz und ihre vorbestimmte Rolle als Bedienstete betonen sollte.14 Besonders im späten 19. Jahrhundert be- dient die Figur des edlen Wilden in ihrer Exotik eine Mischung aus Sehnsucht und dem Drang nach einer Art historischem ‚Sicherheitsabstand‘: Man assoziiert „Indianer“ mit Natürlichkeit, sie gelten als ‚authentisch‘. Gleichzeitig stehen sie für die Vergangenheit – es war vermeintlich ihr unaufhaltsames Schicksal, der zivi- lisierten, modernen Welt weichen zu müssen. Bereits in den 1820er Jahren reprä- sentierten literarische Figuren wie der „Letzte Mohikaner“ diese Idee. Spätestens ab 1890, als die Siedlungsgrenze als geschlossen galt, weil nun der gesamte Konti- nent erobert und ‚zivilisiert‘ war, intensivierte sich die Verklärung in Literatur und Kunst, die die Grenze erst zum „Wilden Westen“ machte. Dabei wurde die Rolle weißer Amerikaner auf eine Art beschrieben, die über Jahrzehnte das Selbstbild 11 Brian D. Behnken, Gregory D. Smithers: Racism in American Popular Media: From Aunt Jemima to the Frito Bandito, Santa Barbara u.a. 2015, S. 36. 12 Molineux: Pleasures (wie Anm. 10), S. 347; Mitchell: Commodified (wie Anm. 10), S. 289. 13 Molineux: Pleasures (wie Anm. 10), S. 344. 14 Mitchell: Commodified (wie Anm. 10), S. 289 f.
320 | Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger ZWG-02-2020 und die Vorstellungen über den amerikanischen Nationalcharakter prägte. Unter primitiven Bedingungen haben demnach Euroamerikaner mit harter Arbeit, Erfindergeist und individualistischer Abenteuerlust der Natur (und damit auch den „Indianern“) das Land abgerungen. Die zyklische Wiederholung dieser Entwicklung vom Vordringen einzelner Pfadfinder über Farmen und kleine Siedlungen hin zu modernen Städten auf dem Weg nach Westen habe dabei den amerikanischen Charakter geformt und frisch gehalten, wie es Historiker Frederick Jackson Turner in seiner wegweisenden „Frontier-These“ darlegt.15 Diese Verklärung der eigenen Kolonialgeschichte führte um 1900 allerdings bereits zu paradoxen Selbstzweifeln, die sich auch in der Tabakwerbung nieder- schlagen. Wenn die Frontier geschlossen war und es kein neues Land mehr zu erobern und zu besiedeln gab, konnte sich dann der Charakter der Amerikaner noch selbst erhalten und kontinuierlich verjüngen? Führende Persönlichkei- ten wie Präsident Theodore Roosevelt fürchteten, dass nun eine Phase der „Verweichlichung“ und imperialen Dekadenz anbrechen könne.16 In dieser Zeit entstehen viele Nationalparks, um die ‚wilde‘ Schönheit des Landes zu erhalten; gleichzeitig aber bildet sich ein nostalgischer Blick auf die ‚guten alten Zeiten‘ heraus. Dabei repräsentieren „Indianer“ die Vergangenheit des ungezähmten Landes, sie erinnern die weißen Amerikaner aber auch an deren ‚heroische‘ Eroberer-Tradition, ohne dass dabei konkret auf die Auswirkungen dieser Er- oberung (z.B. Kriege, Massaker, Vertreibung, Zwangsassimilation der indigenen Bevölkerung) eingegangen wird. Im Zeitalter der Industrialisierung und Technisierung wird dem modernen Menschen also mittels der Figur des edlen Wilden versprochen, durch Konsum des Tabakprodukts sein Bedürfnis nach Authentizität, Natürlichkeit und einer verklärten Vergangenheit zu befriedigen. Gleichzeitig vermittelt der Bezug zur Vergangenheit das Gefühl der Sicherheit, denn Vergangenheit schafft Distanz — interethnische Konflikte an der amerikanischen Siedlungsgrenze haben keine direkte Relevanz mehr für die Raucher, man kann sich nostalgisch nach der Schönheit des unberührten Landes und den Abenteuern der Vergangenheit sehnen, ohne das moderne Leben aufgeben und die historischen Hintergründe der aktuellen Lebenssituation hinterfragen zu müssen.17 15 Frederick Jackson Turner: Frontier and Section, Englewood Cliffs 1961, S. 38 f. 16 Matthew Frye Jacobson: Barbarian Virtues. The United States Encounters Foreign Peoples at Home and Abroad, 1876-1917, New York 2000, S. 3. 17 Rosemary J. Coombe: Embodied Trademarks. Mimesis and Alterity on American Com- mercial Frontiers, in: Cultural Anthropology 11 (2), 1996, S. 202-224, hier S. 204 f.
ZWG-02-2020 Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger | 321 In diesem Kontext ist die Popularität sogenannter „Cigar Store Indians“ zu verstehen, die sich im 19. Jahrhundert von den USA aus im angelsächsischen Raum ausbreiteten. Aus Holz geschnitzte, lebensgroße Skulpturen neben der Eingangstür waren ein fester Bestandteil der Werbung von Tabakgeschäften. Die rotbraune Farbe des Holzes verfestigte Vorstellungen über die Hautfarbe indigener Personen. Männliche Figuren, meist mit der „wallenden“ Federhaube der Plains-Kulturen18 ausgestattet, strahlten Würde und Ernst aus und trugen so zur Verbreitung des stereotypen Bildes vom stoischen Indianer bei, der sein Schicksal kommen sieht und dabei ‚Haltung bewahrt‘. Zum Teil trugen die männlichen „Tabakindianer“ auch Waffen (z.B. Speere) und untermalten so die kriegerische Vergangenheit des Westens, wie auch die Eroberungsleistung der Kolonialmacht.19 Das Gegenstück zu diesen Statuen waren Poster und Trade Cards mit Abbil- dungen lächelnder barbusiger indigener Frauen, die männliche Konsumenten mit ihrer Exotik und Nacktheit locken sollten, dabei aber auch den Eindruck von natürlicher Jungfräulichkeit vermittelten und so den vorherrschenden Moralvorstellungen zu entsprechen suchten.20 Mit diesen die industrielle Mas- sengesellschaft saturierenden Bildern, so einige Kulturhistoriker, transferierten Amerikaner die weltweit populäre Exotik des Orientalismus in die heimatliche Umgebung und Vergangenheit und hielten so nicht nur das Schicksal der indi- genen Amerikaner, sondern auch den als überaus fremd empfundenen ‚Orient‘ auf Abstand.21 Die Gleichsetzung indigener Amerikaner mit Vorstellungen von Natur, Natürlichkeit, und Historizität intensivierte sich mit der systematischen Ent- wicklung von Marketing und Marktforschung seit dem späten 19. Jahrhun- dert, was auch die Rolle indigener Darstellungen in der Tabakwerbung weiter erhöhte. Der Wiedererkennungswert eines Produkts sollte über Popularität und Distinktion erreicht werden. Dafür hielten Handbücher für Marketing in 18 Bei der sogenannten „wallenden“ Haube weisen die Federn von der Stirn und den Schläfen nach hinten, oft ist am Hinterkopf noch eine Federschleppe angebracht, die über den Rücken hinabhängt. Vgl. Markus Lindner: Die Aneignung der Plainsfeder- haube als Provokation, in: Hans Peter Hahn, Friedemann Neumann (Hg): Dinge als Herausforderung. Umgangsweisen und Umwertungen von Objekten, Bielefeld 2018, S. 217-242, hier S. 226. 19 Behnken: Racism (wie Anm. 11), S. 37. 20 Ebd. 21 Ebd., S. 38.
322 | Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger ZWG-02-2020 den USA Produzenten an, ihre Waren über exotische Alleinstellungsmerkmale wie Fremdwörter, Wörter aus alten Sprachen, sowie Begriffen und Bildern aus empirisch nicht erfahrbaren, aber dennoch bekannten Lebenswelten (z.B. historische Bezüge oder Fantasiewelten) zu bewerben.22 Auch hier boten sich wieder historische indigene Charaktere oder generisch-stereotype „Indianer“ als Referenzpunkte an. Handbücher wiesen explizit darauf hin, dass Betrachter bild- licher Darstellungen unwillkürlich „Indianer“ mit „Zigarre“ assoziieren würden.23 Nicht zuletzt erlaubte die romantische Verklärung des „Wilden Westens“, die westlichen Regionen der USA als „Ort“, als „Geschichte“, wie auch als „Stil“ wahrzunehmen und zu verkaufen.24 Die Prärien, Wüsten und Gebirge des amerikanischen Westens werden in Populärkultur und Werbung bis heute als Sehnsuchtsorte präsentiert. Mit ihnen lassen sich Geschichten erzählen über Entdeckung, Abenteuer und Flucht aus dem Alltag. Daher assoziiert man mit dem Westen – und seinen historischen Bewohnern, d.h. „Indianern“ wie auch „Cowboys“ – Ideen wie Freiheit, Widerstand, Selbstbewusstsein und Eigenver- antwortung. Mit dem Westen lassen sich sowohl Reisen in die Region als auch Geländewagen verkaufen. Darüber hinaus bewirbt das Bild des Westens aber auch Produkte, die mit der Region nichts zu tun haben, die die Konsumenten aber mit eben diesen Ideen assoziieren sollen, z.B. Tabak, Alkohol, Motorräder, Kosmetik oder Kleidung.25 Unter diesen Umständen und vor dem Hintergrund der zunehmenden In- ternationalisierung und Verflechtung der Märkte im frühen 20. Jahrhundert ist es nicht verwunderlich, dass Vermarktungsstrategien, Marktforschung und typische Werbebilder aus den USA, den englischsprachigen Ländern, aber auch Zentraleuropa sich gegenseitig beeinflussten. Gerade die Assoziation von Tabak mit den populären Vorstellungen von „Indianern“ wurde in Deutschland wegen der hier zur Massenbewegung ausgeweiteten Indianerbegeisterung zur wirksamen Werbestrategie, und so fanden auch ursprünglich US-amerikanische Werbemittel wie „Cigar Store Indians“ ihren Einzug in deutsche Tabakgeschäfte. Dies fügte sich nahtlos in die in deutschen Staaten seit dem 19. Jahrhundert populären Orient-bezogenen Werbestrategien ein. Hierbei verwoben sich lokale 22 Coombe: Trademarks (wie Anm. 17), S. 211. 23 Ebd. 24 Elliot West: Selling the Myth. Western Images in Advertising, in: Montana. The Ma- gazine of Western History 46 (2), 1996, S. 36-49. 25 Ebd. S. 45-47.
ZWG-02-2020 Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger | 323 Wirtschaftsfaktoren (z.B. der Zuzug von Tabakarbeitern und -experten aus dem Osmanischen Südosteuropa nach Sachsen ab 1883)26 mit der Exotik des Orien- talismus, die bereits seit Jahrhunderten die bildende Kunst und Architektur in Europa beeinflusst hatte. So trugen in Deutschland bis zum Beginn der nationa- listischen Welle in Kultur und Medien kurz vor dem Ersten Weltkrieg nur etwa ein Drittel aller Tabakprodukte deutsche Markennamen, und man verwies wie in den englischsprachigen Ländern bevorzugt auf fremd und daher anziehend wirkende Länder, Kulturen, und Sprachen.27 Auch in Deutschland zeigten Wer- bebilder und Produktverpackungen exotische Tiere, Pflanzen und Architektur (z.B. Kamele, Palmen, Moscheen). In Darstellungen von Markt- und Kaffee- hausszenen bedienten wie in der englischsprachigen Werbung farbige Personen weiße Konsumenten. „Das Motiv des ‚servilen Subalternen‘“, kommentiert Swen Steinberg am Beispiel des „Tabak-Mohr“ und des „Sarotti-Mohr“, entwickelte sich „zu einer regelrechten Werbeikone“.28 In Phasen wechselnder Beliebtheit wurden Abbildungen von Personen kolonisierter Ethnien aus Afrika und Asien austauschbar mit Bildern von „Indianern“. Diese Exotisierungen in der Produktwerbung wurden zudem seit den 1920er Jahren durch die Einführung von Sammelbildern und Sammelbildalben beflügelt. Als Beilage von Zigarettenpackungen lösten die Bilder eine regelrechte „Sammel- wut“ aus.29 Neben Themen wie Kunst, Geografie und Sport spielten die im Ersten Weltkrieg verlorenen Kolonien, historische Ereignisse (Kriege, Entdeckungsreisen des Kolonialzeitalters) sowie die Völkerschauen und Wildwest-Shows eine große Rolle, wie der Beitrag von Felicity Jensz zu diesem Themenheft zeigt (vgl. Abb 1).30 Auch wenn die dargestellten Szenen auf den Sammelbildern nichts mit dem Konsum von Tabak zu tun haben, verdeutlichen Auflagenzahlen und Verbreitung der Sammelbilder, wie prominent exotisierende Darstellungen fremder Kulturen und Interaktionen weißer Akteure mit Vertretern kolonisierter Ethnien in der 26 Swen Steinberg: Mohammed aus Sachsen. Die Vermarktung von ‚orientalischer Fremd- heit‘, Regionalität, Nationalismus und Ideologie in der Dresdner Zigarettenindustrie (1860-1960), in: Frank Jacob, Gerrit Dworok (Hg.): Tabak und Gesellschaft. Vom braunen Gold zum sozialen Stigma, Baden-Baden, 2015, S. 183-212, hier S. 190. 27 Ebd., S. 195-97. 28 Ebd., S. 201. 29 Hiram Kümper: Bevor Panini kam. Zigarettensammelbilder und das kollektive Bild- gedächtnis des 20. Jahrhunderts, in: Jacob, Tabak (wie Anm. 26), S. 347-374, hier S. 350 f. 30 Walter Krickeberg (Hg.): Die Völkerschau in Bildern, Sammelalbum, Dresden 1932.
324 | Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger ZWG-02-2020 Tabakwerbung waren. Exotismus, gleich ob in Gestalt von Orientalismus oder der Indianerbegeisterung, förderte die Kundenbindung. In diesem heterogenen Kontext von kulturellen Praktiken und Werbestrategien erscheint die Gestaltung von Dürningers Schaugeschäft in Berlin 1936 als eine Maßnahme, die aufgrund des hohen nationalen und globalen Wiedererkennungswerts einer Assoziation von Tabak mit „Indianern“ viel Erfolg versprach. Abb. 1: Zigarettensammelalbum „Die Völkerschau in Bildern“ (1932) und Werbeaufsteller für „Mohawk“ Tabak der Firma Grand River Enterprises (Foto: Johanna Funke) Der ‚Tabakindianer‘, den das Unternehmen Dürninger 1936 herstellen ließ, entspricht in Teilen dem gängigen Klischee und folgt darin seinen Vorbildern aus Läden in den USA. Er ist eine von zwei ähnlich gestalteten Skulpturen. Beide wurden nach Entwürfen des Südtiroler Bildhauers Cirillo dell’Antonio in Warmbrunn im schlesischen Riesengebirge (Uzdrowisko Cieplice, Ortsteil von Jelenia Gora) hergestellt. Dell’Antonio war seit 1922 Direktor der dortigen Holzschnitzschule.31 Interessanterweise wurde der „Indianer“ in zeitgenössischen Unternehmensunterlagen und in Erinnerungen der Mitarbeiter manchmal auch als „Irokese“ bezeichnet, während die andere Figur wechselnd als „Brasilianer“ 31 Archiv der Evangelischen Brüderunität Herrnhut, ADC 100, Jahresbericht 1936, S. 6.
ZWG-02-2020 Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger | 325 und als „Samoaner“ erwähnt wird.32 Dies zeigt bereits den nivellierenden Ein- fluss exotischer Werbebilder auf die Vorstellungen über fremde Kulturen. Die Geschichte dieser Skulpturen – besonders des „Indianers“ – zeigt aber auch eindringlich die Verflechtung globaler Marketingstrategien und globalen Handels mit international verbreiteten Kulturpraxen und kulturellen Ideen wie der Indi- anerbegeisterung, bis hin zu lokalen und regionalen Kunsthandwerkstraditionen wie der Holzschnitzkunst im sächsisch-schlesischen Raum. Abb. 2: „Tabakindianer“-Skulptur der Firma Abraham Dürninger & Co GmbH, 1936 (Foto: Johanna Funke) 32 Persönliches Gespräch mit Albrecht Kittler, Geschäftsführer der Abraham Dürninger & Co., Herrnhut, 23.03.2018.
326 | Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger ZWG-02-2020 Die Skulptur des „Indianers“ stellt einen auf einem Bein knienden Mann dar (Abb. 2). Er ruht auf einem Sockel und ist mit diesem 76 cm hoch. Im Sockel befindet sich ein Mechanismus zum Abschneiden einer Zigarrenspitze. Der Mann hält Betrachtern ein Rohr entgegen, auf dessen Ende ein becherförmiges Gefäß sitzt. Aus diesem schlägt bei Betätigung einer am Sockel befestigten Kurbel eine Flamme zum Anzünden von Zigarren. Dieses dem Betrachter entgegen gehalte- ne Gerät erinnert in der Form stark an die nordamerikanische „Friedenspfeife“ (Kalumet), mit langem Rohr und im rechten Winkel dazu stehenden Pfeifenkopf, obwohl der zylindrische Kopf bei klassischen Kalumets einen wesentlich klei- neren Durchmesser hat. Die Gesichtszüge des Mannes sind von einer schmalen Adlernase, hohen und hervortretenden Wangenknochen, sowie einem kantigen Kinn geprägt. Auf dem Kopf sitzt die wallende Kriegshaube aus Adlerfedern, die unter den Kulturen der Great Plains üblich war; am Körper trägt der Mann einen lose hängenden Umhang. Mit diesen körperlichen Merkmalen, der Federhaube und der Friedenspfeife, die sich jeweils in bestimmten regionalen indigenen Kulturen herausgebildet haben, aber inzwischen gemeinsam mit Tipi und Totempfahl stellvertretend für alles „Indianische“ stehen, bedient die Skulptur automatisch essentialistische Vorstellungen, wie ein „Indianer“ auszusehen hat.33 Dies wird noch durch die rotbraune Farbe des Holzes unterstützt. Mit all diesen Gestaltungselementen setzt die Skulptur also die amerikanische Tradition des stereotypen Tabakindianers fort. Allerdings scheint die Skulptur insgesamt aus der traditionellen Rolle der ame- rikanischen Tabakindianer auszubrechen. Zum einen ist sie keine lebensgroße Figur. Auch steht der Mann nicht wie üblich aufrecht, sondern kniet auf einem Bein. Dies ist vermutlich auf die praktische Funktion des Anzündemechanismus zurückzuführen: Die Figuren sollten im Geschäft, nicht davor neben der Tür, stehen. Damit Kunden sich zur Bedienung der Kurbel nicht umständlich bücken mussten, konnten die Figuren nur in erhöhter Position, etwa auf der Ladentheke oder einer Schaufensterbank, platziert werden. Die Körperhaltung mag als servil interpretiert werden, und in der Tat sind Afroamerikaner ja mit Kniefall und Verbeugung in der Tabakwerbung immer wieder als unterwürfig und liebediene- risch dargestellt worden. Die hier beschriebene Figur strahlt allerdings die für die populäre Darstellung indigener Menschen typische Würde aus. Es ist jedoch nicht der übliche ‚stoische Indianer‘, der die Betrachter voll traurigen Ernstes anblickt, und hier liegt ein wesentlicher Unterschied zum amerikanischen „Cigar Store 33 Z.B. der Verbreitung der Federhaube, siehe Lindner: Aneignung (wie Anm. 18).
ZWG-02-2020 Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger | 327 Indian“: Der Mann verzieht die Mundwinkel zu einem Lächeln. Dies ist nicht das überzogene Grinsen, mit dem Afroamerikaner als intellektuell minderwertig dargestellt wurden. Das Gesicht scheint vielmehr eine leise Ironie auszudrücken, als mache sich die Figur über die weißen Geschäftskunden, aber auch selbstreflexiv über ihre eigene Rolle lustig. In dieser auffällig anderen, fast offensiven Darstellung des „Indianers“ durch den Bildhauer scheint auch eine unterschwellige Kritik der US-Indianerpolitik impliziert zu sein, diente doch die Indianerbegeisterung im deutschsprachigen Raum immer auch als Ventil für antiamerikanische Ressenti- ments (mit denen man die eigene Verantwortung als Kolonialmacht in Afrika und Ozeanien geflissentlich ignorierte).34 Dass der Figur des Tabakindianers ein Sinn für Humor oder möglicherweise gar für intellektuell erhabene Ironie zugestan- den und damit zu Interpretationen über die ethnischen Beziehungen zwischen indigenen Amerikanern und Euroamerikanern bzw. Europäern angeregt wird, bricht mit der traditionellen Darstellung von „Indianern“ in der angelsächsischen Tabakwerbung. Jedenfalls erlangt die Figur durch ihr feinsinniges Lächeln eine Individualität und Handlungsfähigkeit, welche direkt auf die Betrachter einwirken. Indem der „Indianer“ derart vom Objekt zum Subjekt zu werden scheint, da er quasi auf die Betrachter ‚zurückschaut‘, nimmt die Figur postkoloniale Strategi- en der Selbstermächtigung vorweg, mit denen seit den 1970er Jahren indigene Aktivisten und Wissenschaftler auf vielfältige Weise die Darstellung ‚subalterner‘ Ethnien zu revolutionieren suchen.35 Dies wird in den folgenden Betrachtungen zum indigenen Tabakunternehmen Grand River Enterprises noch deutlicher. „The Indian Sells Back“: Selbstermächtigung in indigener Tabakwer- bung in Deutschland Die Firma Grand River Enterprises wurde 1992 von sieben Vertretern der Mohawk, einer Abteilung der Konföderation der Six Nations, im Deutschen auch als Irokesenliga bekannt, gegründet. Das Unternehmen expandierte 2004 nach Deutschland und produziert und vertreibt seitdem Zigaretten aus der eigenen Fabrik in Brandenburg.36 In der Selbstdarstellung auf der Webseite des 34 Usbeck: Fellow Tribesmen (wie Anm. 5), S. 154-161. 35 Gerade in Bezug auf Gayatri Chakravorty Spivaks Werk sind in den letzten Jahren zahl- reiche Studien entstanden, die untersuchen, auf welche Weise das ethnische „Subalterne“ zurückschaut, -schreibt, oder -spricht. Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, Wien 2008. 36 Grand River Enterprises (Deutschland), Homepage, http://www.mohawkgre.net/ (Stand 26.6.2019).
328 | Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger ZWG-02-2020 Unternehmens, wie auch auf den zahlreichen Merchandise-Artikeln stellt GRE den indigenen Kontext der Eigner in den Vordergrund und bedient damit offen- sichtlich die deutsche Indianerbegeisterung. Dies wird bereits in der Erläuterung der Standortwahl deutlich, denn „Indianisches Tabak-Know-How“ werde hier „gepaart mit modernsten Produktionsmethoden – Made in Germany“.37 Ähnlich explizit operiert die Kontaktseite, wenn sie Besucher*Innen auffordert: „Geben Sie uns ein Rauchzeichen!“38 Die Werbung für die hauseigene Marke „Mohawk“ setzt diesen Bezug zur Indianerbegeisterung fort. Merchandiseartikel spielen offensiv mit dem Klischee. Auch hier entsteht wieder der Eindruck, die Produzenten benutzten solche stereotypen Vorstellungen und Bilder, um einerseits das Produkt durch Wiedererkennung zu popularisieren, sich aber andererseits sowohl über diese Fremddarstellungen der Europäer, wie auch über sich selbst lustig zu machen. Dies fällt bei Merchandiseartikeln wie etwa einem Aschenbecher in Form eines Tipis auf. Die Six Nations haben nicht Tipis, sondern Langhäuser aus Holz als Behausung genutzt. Zudem wäre den Bewohnern von Tipis auf den Plains nicht eingefallen, ihr Tipi mit Asche (d.h. Abfall) zu assoziieren. Da aber wegen der Stereotype aus Westernfilmen und -romanen viele nicht-indigene Personen weltweit glauben, dass „Indianer“ in Tipis gelebt haben, bietet sich das Tipi als kurioses Symbol für Indigenität an.39 Der Wiedererkennungswert des Symbols steigert den Wert des an sich profanen Merchandiseartikels. Ein weiteres spielerisches Element ist ein Aufsteller für Ladentheken aus Karton. Darauf ist der Eigner des Unternehmens, Kenneth Hill, in vermeint- lich traditioneller „indianischer“ Tracht abgebildet (siehe Abb. 1). Er trägt eine Federhaube, Halsschmuck aus Röhrenknochen, eine Bärenkrallenkette, ein hirschledernes Hemd mit Fransen und hält einen Fächer aus Adlerfedern in der Hand. Diese Accessoires bilden ein Sammelsurium von Symbolen des 37 Grand River Enterprises (Deutschland), Unternehmensgeschichte, https://www. mohawkgre.net/unternehmen/ (Stand 26.06.2019). 38 Grand River Enterprises (Deutschland), Kontaktformular, https://www.mohawkgre. net/kontakt/ (Stand 26.06.2019). 39 Grand River Enterprises (Deutschland), Produktangebote, https://www.mohawkgre. net/service/ (Stand 26.06.2019). Das Tipi wurde vor 2018 aus dem Merchandise- Sortiment genommen, wie ein Vertreter der Marketingabteilung dem Autor telefonisch bestätigte. Allerdings wurde bei dem Gespräch der Grund für die Entscheidung nicht deutlich. Auf der Webseite ist das Tipi aber nach wie vor noch zu sehen.
ZWG-02-2020 Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger | 329 stereotypen, generischen „Indianers“. Die Federhaube entspricht zwar der traditionellen Kriegsmütze der Six Nations und nicht der vielfach imitierten Adlerfederhaube der Plains. Jedoch sind die anderen Elemente ethnographisch nicht unbedingt mit den Six Nations in Verbindung zu bringen. Hill macht also ganz eindeutig vom Indianerstereotyp Gebrauch, um sein Produkt und seine ethnische Gruppe, die Mohawk, welche Namensgeber für die hier angebotene Zigarettenmarke sind, zu bewerben. Diese Aneignung und Zurschaustellung stereotyper Bilder, um den Erwar- tungen des europäischen bzw. euroamerikanischen Gegenübers zu entsprechen, sind allerdings für indigene Amerikaner schon seit Jahrhunderten gängige Praxis. Indigene Gruppen passten schon früh Kleidung, Kunsthandwerk und andere kulturelle Attribute gezielt an europäische Vorstellungen an, etwa wenn es um den Verkauf von Souvenirs an durchreisende Touristen, Händler und Sammler ging, oder um auf Wildwest-Shows als ‚authentische Indianer‘ wahrgenommen zu werden.40 So trug der erbliche Häuptling der Six Nations Deskaheh (Levi General, 1873-1925) unter anderem auch die Federhaube der Plains, als er 1923 beim Völkerbund in Genf im Kampf um die internationale Anerkennung der Six Nations als souveräne Nationen vorsprach, um gegenüber europäischen Diplomaten seine Herkunft und kulturelle Identität zu verdeutlichen.41 Fremd- bestimmte Darstellungen indigener Kultur dienten indigenen Personen immer wieder als Inspiration für eigene kulturelle Praktiken, aber auch als strategisch eingesetztes Mittel in der Auseinandersetzung mit dem kolonialen Gegenüber.42 Der Aufsteller mit dem Foto des Firmeneigners greift also spielerisch die stereotype Darstellung indigener Personen auf und wandelt sie durch den Ein- satz populärer Bilder und Symbole in einen Akt bewusster Selbstdarstellung um. Die Wahl von Kleidung und Accessoires für das Foto zeigt das Bedürfnis nach ethnographischer Distinktion (z.B. die kulturtypische Kriegsmütze). Sie repräsentiert darüber hinaus sowohl die Bereitschaft, die generische Darstel- lung eines typischen ‚Indianers‘ für Ethno-Marketing in einem dem Thema 40 Ruth B. Phillips: Trading Identities. The Souvenir in Native North American Art from the Northeast, 1700-1900, Hongkong 1998. 41 Indigenous peoples’ centre for documentation, research and information: Historical process at the United Nations, 1923-2021, https://www.docip.org/en/ oral-history-and-memory/historical-process/ (Stand 26.06.2019). 42 Lothar Dräger: Indianerspiel. Auch Indianer spielen Indianer, Wyk auf Föhr 2006.
330 | Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger ZWG-02-2020 aufgeschlossenen Markt einzusetzen, wie auch die bewusste Anwendung des Stereotyps als ironische, antikoloniale Geste.43 Seit dem späten 20. Jahrhundert gehen ethnische Minderheiten in den USA gegen Fremddarstellungen ihrer Gruppe in Handelsmarken und Firmenmaskott- chen vor, weil deren Außenperspektive auf das Selbst häufig als herabwürdigend empfunden wird.44 Allein die klischeehafte Darstellung indigener Gruppen, obwohl kontrovers diskutiert (z.B. Sportmarken wie die Washington Redskins),45 hält sich nach wie vor hartnäckig. Wie die Anthropologin Rosemary Coombe betont, scheint betroffenen Gruppen oft keine Alternative zu bleiben, als sich diese stereotypen Fremddarstellungen anzueignen und zum eigenen Nutzen einzusetzen.46 Diesem Credo scheint der Aufsteller von GRE zu folgen – ähnlich wie Dürningers Skulptur des „Tabakindianers“ bedient er gängige Stereotype, bricht diese aber durch subtilen Humor wieder auf. So scheint Kenneth Hill im Aufstellerfoto ein freundliches, für Werbebilder übliches Lächeln zu präsentieren. Wenn man aber den Aufsteller im Kontext der anderen Merchandiseartikel des Unternehmens (etwa dem Tipi-Aschenbecher) betrachtet, so drängt sich der Eindruck auf, dass Hill mit diesem Lächeln und dem wie beim Aschenbecher überzogenen Spiel mit generischen Attributen von ‚authentischer Indigenität‘ augenzwinkernd die deutsche Indianerbegeisterung persifliert.47 Damit scheint er auch die eigene Marketingkampagne ironisch zu kommentieren. Hier macht sich das subalterne Subjekt die Fremddarstellung und Ausgrenzung der eigenen 43 Zum kulturell-ökonomischen Kontext von Ethno-Marketing vgl. Marie-Christine Pauwels: Marketers as Innovators. How Ethnic Marketing Revisits Ethnicity, in: Re- vue LISA/LISA e-Journal. Littératures, Histoire des idées, images, sociétés du monde Anglophone – Literature, History of Ideas, Images and Societies of the English-Speaking World IV (1), 2006, S. 234-254; John L. Comaroff, Jean Comaroff: Ethnicity, Inc., Chicago 2009. 44 Als Beispiele wären hier u.a. die Aunt-Jemima Sammelfiguren (Afroamerikaner_Innen) oder das Lebensmittelmaskottchen Frito Bandito (Latinas) zu nennen. Behnken: Racism (wie Anm. 11). 45 C. Richard King: Redskins. Insult and Brand, Lincoln 2016. Nach jahrzehntelangen Protesten hat das Team den Namen 2020 abgelegt. 46 Coombe: Trademarks (wie Anm. 17), S. 217. 47 Auf ähnliche Weise agiert im Film „Harold of Orange“ ein „Cigar Store Indian“ als überzeichneter stereotyper Trickster-Charakter, der nichtsahnenden Weißen vermeint- liche ‚alte indianische Weisheiten‘ verkauft vgl. Gerald Vizenor, Buffy Sainte-Marie: Harold of Orange: A Screenplay, in: Studies in American Indian Literatures 5 (3), 1993, S. 53-88, hier S. 69 f.
ZWG-02-2020 Frank Usbeck: Der „Tabak-Indianer“ als transnationaler Werbeträger | 331 Gruppe zu eigen, um damit die eigene Identität selbstbestimmt zu repräsentieren und für die Durchsetzung eigener ökonomischer Interessen zu aktivieren. Zusammenfassung Werbemittel der Tabakindustrie, wie Dürningers Tabakindianer-Skulptur oder der Aufsteller von Grand River Enterprises, stehen in einer jahrhundertelangen Tradition der bildlichen Darstellung indigener Personen. Diese Darstellungen reflektieren zum Teil bis heute aus dem Kolonialismus entstandene Dichotomien zwischen fremd und selbst, primitiv und zivilisiert, sowie Natur und Kultur. An den hier diskutierten Beispielen zeigt sich, dass solche Vorstellungen des ‚An- deren‘ über nationale Grenzen hinweg in Europa und Nordamerika verbreitet waren und jeweilige nationale und regionale kulturelle Praktiken wechselseitig beeinflusst haben. Dies wirkte sich entsprechend auch auf Wirtschaftspraktiken und Vermarktungsstrategien nationaler und global agierender Unternehmen, wie etwa Tabakhändler und -produzenten aus. Das Beispiel der verschiedenen historischen ‚Tabakindianer‘ zeigt zudem, dass solche globalen Prozesse regionale Phänomene und Praktiken reflektiert und auf- gegriffen haben – zum einen fand die angelsächsische Tradition der „Cigar Store Indians“ aufgrund der hiesigen Indianerbegeisterung in Dürningers Skulptur Eingang und verband sich mit der lokalen sächsisch-schlesischen Tradition der Holzschnitzkunst. Zum anderen haben die in Nordamerika seit Mitte des 20. Jahrhunderts in Erscheinung getretenen sozialen Bewegungen immer wieder fremdbestimmte Darstellungen der eigenen Gruppe an- und aufgegriffen, um ihre kulturelle Identität und Souveränität zu stärken. Dies schlug sich auch in den Marketingstrategien indigener Unternehmen nieder. Wenn, wie im Fall von Grand River Enterprises, solche Firmen in internationale Märkte expandieren, wenden sie auch dort folgerichtig diese kulturpolitisch-ökonomischen Strategien an. Wenn sie dabei lokale Traditionen wie die deutsche Indianerbegeisterung aufgreifen können, lassen sich mittels Wiedererkennungswert ihre Produkte, wie auch ihre ethnische ‚Marke‘ umso besser platzieren und bewerben.
Sie können auch lesen