FINANZIERUNG DER GESUNDHEITSSYSTEME - Der Weg zu universeller Absicherung - Der Weltgesundheitsbericht

 
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FINANZIERUNG DER GESUNDHEITSSYSTEME - Der Weg zu universeller Absicherung - Der Weltgesundheitsbericht
KURZFASSUNG
                Der Weltgesundheitsbericht

FINANZIERUNG DER GESUNDHEITSSYSTEME
              Der Weg zu universeller Absicherung
FINANZIERUNG DER GESUNDHEITSSYSTEME - Der Weg zu universeller Absicherung - Der Weltgesundheitsbericht
KURZFASSUNG
                Der Weltgesundheitsbericht

FINANZIERUNG DER GESUNDHEITSSYSTEME
              Der Weg zu universeller Absicherung
© Weltgesundheitsorganisation 2010
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Dieser Weltgesundheitsbericht wurde unter der Gesamtleitung von Carissa Etienne, Assistenzgeneraldirektorin, Gesundheitssysteme und -dienst-
leistungen, sowie Anarfi Asamoa-Baah, stellvertretender Generaldirektor, erstellt. Die Hauptverfasser des Berichts waren David B. Evans, Riku
Elovainio und Gary Humphreys; mit Unterstützung von Daniel Chisholm, Joseph Kutzin, Sarah Russell, Priyanka Saksena und Ke Xu.

Beiträge in Form von Kastentexten oder Analysen von: Ole Doetinchem, Adelio Fernandes Antunes, Justine Hsu, Chandika K Indikadahena, Jeremy
Lauer, Nathalie van de Maele, Belgacem Sabri, Hossein Salehi, Xenia Scheil-Adlung (IAO) und Karin Stenberg.

Anregungen und Kommentare kamen von Regionaldirektoren, Assistenzgeneraldirektoren und deren Mitarbeitern.

Analysen, Daten und Bewertungen der Gliederung, unterschiedlicher Entwürfe oder einzelner Abschnitte wurden (neben den oben genannten)
von folgenden Personen beigetragen: Dele Abegunde, Michael Adelhardt, Hector Arreola, Guitelle Baghdadi-Sabeti, Dina Balabanova, Dorjsuren
Bayarsaikhan, Peter Berman, Melanie Bertram, Michael Borowitz, Reinhard Busse, Alexandra Cameron, Guy Carrin, Andrew Cassels, Eleonora
Cavagnero, John Connell, David de Ferranti, Don de Savigny, Varatharajan Durairaj, Tamás Evetovits, Josep Figueras, Emma Fitzpatrick, Julio
Frenk, Daniela Fuhr, Ramiro Guerrero, Patricia Hernandez Pena, Hans V Hogerzeil, Kathleen Holloway, Melitta Jakab, Elke Jakubowski, Christopher
James, Mira Johri, Matthew Jowett, Joses Kirigia, Felicia Knaul, Richard Laing, Nora Markova, Awad Mataria, Inke Mathauer, Don Matheson,
Anne Mills, Eduardo Missoni, Laurent Musango, Helena Nygren-Krug, Ariel Pablos-Mendez, Anne-Marie Perucic, Claudia Pescetto, Jean Perrot,
Alexander Preker, Magdalena Rathe, Dag Rekve, Ritu Sadana, Rocio Saenz, Thomas Shakespeare, Ian Smith, Peter C. Smith, Alaka Singh, Ruben
Suarez Berenguela, Tessa Tan-Torres Edejer, Richard Scheffler, Viroj Tangcharoensathien, Fabrizio Tediosi, Sarah Thomson, Ewout van Ginneken,
Cornelis van Mosseveld und Julia Watson.

Die Erstellung dieses Berichts wurde durch Informationen vieler Einzelpersonen aus unterschiedlichen Institutionen unterstützt, die Hinter-
grunddokumente bereitgestellt haben; diese Hintergrunddokumente sind abrufbar unter http://www.who.int/healthsystems/topics/financing/
healthreport/whr_background/en

Redaktion des Berichts durch Michael Reid, Zahlen von Gaël Kernen, Evelyn Omubuki leistete wertvolle Sekretariats- und Verwaltungsunter-
stützung. Design und Layout von Sophie Guetaneh Aguettant und Cristina Ortiz. Illustration von Edel Tripp (http://edeltripp.daportfolio.com).

Wir danken für die finanzielle Unterstützung der Rockefeller-Stiftung, der US-amerikanischen internationalen Entwicklungsagentur (USAID) und
des Bundesministeriums für Gesundheit, Deutschland.

            Gedruckt in Deutschland
            auf FSC-zertifiziertem
            100 % Recyclingpapier
Inhalt
  4 Aufruf der Generaldirektorin

  7 Kurzfassung
   7 Wozu universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall?
   8 Standortbestimmung
   9 Was ist zu tun?
  11 Beschaffung ausreichender Ressourcen für Gesundheit
  13 Beseitigung von finanziellen Risiken und Zugangsbarrieren
  17 Förderung der Effizienz und Abbau der Verschwendung
  19 Ungleichheiten in der Absicherung
  20 Ein Aktionsplan
  20 Wandel ermöglichen und unterstützen
  21 Praktische Schritte für externe Partner
  23 Eine Botschaft der Hoffnung

                                                                 3
Aufruf der Generaldirektorin
             Ich habe diesen Weltgesundheitsbericht als Antwort auf den von reichen und armen Ländern
       gleichermaßen geäußerten Bedarf an einem praktischen Leitfaden zur Gesundheitsfinanzierung
       in Auftrag gegeben. Ziel war es dabei, die Erkenntnisse aus Studien unter ganz unterschiedlichen
       Gegebenheiten in eine Reihe von Optionen umzusetzen, wie sich ausreichende Mittel aufbrin-
       gen und finanzielle Zugangsbarrieren insbesondere für die Armen beseitigen lassen. Wie der
       Untertitel erkennen lässt, liegt die Betonung klar auf dem Aufbau universeller Absicherung,
       einem Ziel, das derzeit im Mittelpunkt der Diskussionen über Gesundheitsversorgung steht.
             Der Beratungsbedarf auf diesem Gebiet wird umso
       größer in einer Zeit wirtschaft lichen Abschwungs bei
       gleichzeitig steigenden Gesundheitskosten, denn die
       Bevölkerungen werden immer älter, chronische Krank-
       heiten nehmen zu und neue und teurere Behandlungen
       stehen zur Verfügung. Wie in diesem Bericht zu Recht
       ausgeführt, verstärkt die wachsende öffentliche Nach-
       frage nach hochwertiger bezahlbarer Versorgung den
       politischen Druck, umsichtige strategische Entschei-
       dungen zu treffen.
             In einer Zeit, in der Geld knapp ist, lautet mein
       Rat an die Länder: Bevor Sie Möglichkeiten zur Kür-
       zung der Gesundheitsausgaben erwägen, suchen Sie
       zunächst nach Ansätzen zur Verbesserung der Effi-
       zienz. Alle Gesundheitssysteme überall in der Welt
       könnten ihre Ressourcen besser einsetzen, sei es durch
       bessere Beschaff ungsverfahren, stärkeren Einsatz von
       Generika, bessere Anreize für Leistungserbringer oder
       effizientere Finanzierungs- und Verwaltungsmethoden.
             Dieser Bericht kommt zu der Einschätzung, dass
       gegenwärtig 20 – 40 % aller Gesundheitsausgaben durch
       Ineffizienz verloren gehen, und zeigt 10 spezifische Bereiche auf, in denen bessere Methoden
       und Praktiken die Wirkung der Ausgaben teilweise dramatisch steigern könnten. Eine klügere
       Verwendung dieser Ressourcen kann Ländern helfen, universeller Absicherung ohne Mehraus-
       gaben näher zu kommen.
             Auf dem Weg zu universeller Absicherung im Krankheitsfall macht der Bericht die anhal-
       tende Abhängigkeit von Direktzahlungen einschließlich Zuzahlungen als bei weitem größtes
       Hindernis aus. Es ist vielfach belegt, dass die Mittelaufbringung durch verpflichtende Vor-
       auszahlungen die effizienteste und sozial gerechteste Grundlage für die Ausweitung der
       Bevölkerungsabsicherung ist. Faktisch bedeuten solche Mechanismen, dass die Reichen die

4
Armen und die Gesunden die Kranken finanziell unterstützen. Die Erfahrung zeigt, dass dieser
Ansatz am besten funktioniert, wenn eine große Personenzahl an der Vorauszahlung beteiligt
ist und anschließend die Bündelung dieser Mittel zur Deckung der Gesundheitskosten aller
erfolgt.
     Niemand, der medizinische Behandlung oder Gesundheitsvorsorge braucht, sollte dadurch
finanziellem Ruin ausgesetzt sein.
     Es ist belegt, dass Länder stabile und hinreichende Gesundheitsressourcen brauchen, natio-
naler Wohlstand ist jedoch keine Vorbedingung einer Annäherung an universelle Absicherung.
Länder mit vergleichbaren Gesundheitsausgaben erzielen mit ihren Aufwendungen erstaunlich
unterschiedliche gesundheitliche Ergebnisse. Diese Unterschiede lassen sich zu einem großen
Teil mit politischen Entscheidungen erklären.
     Gleichzeitig gibt es keine bestimmte Mischung an politischen Optionen, die unter allen
Umständen funktioniert. Der Bericht gibt zu bedenken, dass jede wirksame Gesundheitsfinan-
zierungsstrategie im jeweiligen Land entwickelt sein muss. Gesundheitssysteme sind komplexe,
sich anpassende Systeme, und ihre unterschiedlichen Komponenten können unerwartete
Wechselwirkungen hervorrufen. Durch die Beleuchtung von Fehlern und Rückschlägen wie
von Erfolgen hilft der Bericht Ländern, unerwünschte Überraschungen vorherzusehen und zu
vermeiden. Zielkonflikte sind unvermeidlich, und Entscheidungen müssen das richtige Gleich-
gewicht zwischen dem abgesicherten Bevölkerungsanteil, dem Umfang an eingeschlossenen
Leistungen und den anfallenden Kosten wahren.
     Ungeachtet dieser und weiterer Warnungen ist die allumfassende Botschaft jedoch optimis-
tisch. Alle Länder in allen Entwicklungsstadien können direkte Schritte in Richtung universeller
Absicherung und Beibehaltung von Errungenschaften unternehmen. Unabhängig vom Umfang
der Ausgaben können Länder, die die richtigen politischen Maßnahmen ergreifen, einen deut-
lich besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung und bessere Absicherung gegen finanzielle
Risiken erreichen. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass die praktischen Erfahrungen und Rat-
schläge in diesem Bericht politischen Entscheidungsträgern den richtigen Weg weisen werden.
Das Streben nach universeller Absicherung ist ein bewundernswertes und zudem ein erreich-
bares Ziel – überall.

                                                                Dr. Margaret Chan
                                                                Generaldirektorin
                                                                Weltgesundheitsorganisation

                                                                                                   5
Kurzfassung
    Wozu universelle soziale Absicherung
    im Krankheitsfall*?
    Gesundheitsförderung und -sicherung sind wesentliche Voraussetzungen für
    menschliche Wohlfahrt und nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung.
    Dies konstatierten bereits vor mehr als 30 Jahren die Unterzeichnerstaaten der
    Erklärung von Alma-Ata mit ihrer Feststellung, Gesundheit für Alle wäre sowohl
    ein Beitrag zu besserer Lebensqualität als auch zu weltweitem Frieden und globaler
    Sicherheit.
         Es überrascht nicht, dass Gesundheit auch bei den meisten Menschen eine der
    höchsten Prioritäten genießt, die in den meisten Ländern gleich nach wirtschaftlichen
    Belangen wie Arbeitslosigkeit, geringen Löhne und hohen Lebenshaltungskosten
    rangiert (1, 2). Daher wird Gesundheit häufig zu einem Anliegen der Politik, denn
    die Regierungen sind bestrebt, die Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen.
         Es gibt vielfältige Möglichkeiten, die Gesundheit zu fördern und zu erhalten.
    Diese liegen zum Teil außerhalb des Gesundheitssektors. Die „Umstände, unter
    denen Menschen aufwachsen, leben, arbeiten und älter werden“ haben großen
    Einfluss darauf, wie sie leben und sterben (3). Bildung, Wohnverhältnisse, Ernähr-
    ung und Berufstätigkeit haben allesamt Einfluss auf die Gesundheit. Beseitigt man
    bestehende Ungleichheiten in diesen Bereichen, verringern sich auch die gesundheit-
    lichen Ungleichheiten.
         Ebenso entscheidend ist aber auch der rechtzeitige Zugang zu Gesundheits-
    leistungen**, d.h. zu Gesundheitsförderung, Prävention, Therapie und Rehabilitation.
    Außer für eine kleine Minderheit der Bevölkerung ist dies nicht zu erreichen, solange

    *      In der internationalen Diskussion spricht man üblicherweise von universal coverage. Das
    bedeutet, „jeder hat Zugang zu angemessener und erschwinglicher Gesundheitsversorgung“ (vgl.
    WHO-Resolution zu „Universeller Absicherung und Sozialer Krankenversicherung“ von 2005). Uni-
    versal coverage impliziert somit die soziale Absicherung gegen finanzielle Risiken, den chancen-
    gleichen Zugang zu qualitativ angemessenen Gesundheitsleistungen und die gerechte Verteilung
    der Finanzierungslast, d.h. die Beiträge richten sich nach der Zahlungsfähigkeit und nicht nach dem
    Versorgungsbedarf.
    **     Der im vorliegenden Bericht verwendeten Begriff ”Gesundheitsleistungen” umfasst Gesund-
    heitsförderung, Prävention, Behandlung und Rehabilitation. Er beinhaltet individuelle (z.B. Kinder-
    schutzimpfungen oder Tuberkulosebehandlungen) ebenso wie bevölkerungsbezogene Leistungen
    (z.B. Nichtraucherkampagnen in den Massenmedien).

                                                                                                          7
Der Weltgesundheitsbericht
    Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

                                      kein gut funktionierendes Gesundheitsfinanzierungssystem besteht. Ein
                                      solches System entscheidet darüber, ob es sich die Menschen leisten kön-
                                      nen, im Bedarfsfall Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen. Und es
                                      entscheidet darüber, ob solche Leistungen überhaupt zur Verfügung stehen.
                                           Dies würdigten die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation
                                      (WHO), als sie sich 2005 verpflichteten, ihre Gesundheitsfinanzierungssys-
                                      teme so auszubauen, dass alle Menschen Zugang zu Gesundheitsleistungen
                                      haben und nicht durch dafür anfallende Kosten in finanzielle Not geraten
                                      (4). Dieses Ziel definierte man als universelle soziale Absicherung, manch-
                                      mal auch bezeichnet als universelle Absicherung gegen Gesundheitsrisiken.
                                           Auf dem Weg zu diesem Ziel stehen Regierungen vor drei grund-
                                      legenden Fragen:

                                      1.   Wie lässt sich ein solches Gesundheitssystem finanzieren?
                                      2.   Wie kann man die Menschen vor den finanziellen Folgen von Krankheit
                                           und den Kosten der Gesundheitsversorgung schützen?
                                      3.   Wie lässt sich ein optimaler Einsatz verfügbarer Ressourcen fördern?

                                           Außerdem müssen sie dafür sorgen, dass die soziale Absicherung
                                      gerecht ist, und verlässliche Maßnahmen ergreifen, um Fortschritte zu mes-
                                      sen und zu evaluieren.
                                           Im vorliegenden Bericht skizziert die WHO, wie Länder ihre Finan-
                                      zierungssysteme so umgestalten können, dass sie schneller auf dem Weg
                                      zu universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall vorankommen und
                                      die entsprechenden Erfolge aufrechterhalten können. Der Bericht verknüpft
                                      neue Forschungsergebnisse und Erfahrungswissen zu einem Bündel mög-
                                      licher Maßnahmen, die Länder in ihrem jeweiligen Entwicklungsstand
                                      prüfen und ihren eigenen Bedürfnissen anpassen können. Er zeigt Wege
                                      auf, wie die internationale Gemeinschaft die Bemühungen um universelle
                                      soziale Absicherung im Krankheitsfall in Ländern mit niedrigem Einkom-
                                      men unterstützen kann.
                                           Nie war der Bedarf an universeller sozialer Absicherung im Krank-
                                      heitsfall und einer Strategie zu ihrer Finanzierung größer als jetzt, wo die
                                      Welt mit einer Abschwächung der Konjunktur, der Globalisierung von
                                      Krankheiten wie der Volkswirtschaften und einem teilweise auf alternde
                                      Gesellschaften zurückzuführenden, steigenden Bedarf an Pflegeleistungen
                                      zu kämpfen hat.

                                      Standortbestimmung
                                      Der Resolution 58.33 der Weltgesundheitsversammlung 2005 zufolge soll
                                      jeder Mensch Zugang zu Gesundheitsleistungen haben und dabei keiner fi-
                                      nanziellen Härte ausgesetzt sein. In beiden Punkten ist die Welt noch weit
                                      von universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall entfernt.
                                           Hinsichtlich dem Zugang zu Gesundheitsleistungen kann beispielsweise
                                      der Anteil der von Fachpersonal begleiteten Geburten in einigen Ländern bei
                                      lediglich 10 % liegen, während er in Ländern mit der geringsten Müttersterb-
                                      lichkeit nahe bei 100 % ist. Auch innerhalb der Länder kann es ein ähnliches

8
Kurzfassung

Gefälle geben. Egal wo sie leben, genießen reiche Frauen im Allgemeinen
gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen, aber arme Frauen kommen zu
kurz. Bei Frauen aus dem einkommensreichsten Fünftel der Bevölkerung ist
die Wahrscheinlichkeit einer professionell begleiteten Geburt bis zu 20 Mal
größer als bei armen Frauen. Würde man diese Kluft zwischen arm und
reich in 49 armen Entwicklungsländern schließen, ließe sich bis 2015 das
Leben von mehr als 700.000 Frauen retten (5). Gleichermaßen leben reiche
Kinder länger als arme; und die Überwindung des Gefälles beim Zugang zu
einer Reihe von Leistungen für Kinder unter fünf Jahren, insbesondere zu
den üblichen Schutzimpfungen, würde mehr als 16 Millionen Leben retten.
     Aber das Einkommen ist nicht der einzige Faktor, der über den Zugang
zu Gesundheitsleistungen entscheidet. Vielerorts nehmen Migranten,
ethnische Minderheiten und indigene Gruppen trotz vermutlich höherem
Bedarfs weniger Leistungen in Anspruch als andere Bevölkerungsgruppen.
     Andersherum sind die Menschen oftmals hohen und manchmal
ruinierenden Kosten ausgesetzt, wenn sie Gesundheitsleistungen in
Anspruch nehmen. In einigen Ländern geraten jedes Jahr bis zu 11 % der
Bevölkerung krankheitsbedingt in finanzielle Not, und bis zu 5 % fallen
dadurch in Armut. Weltweit sind Jahr für Jahr rund 150 Millionen Men-
schen ruinierenden Gesundheitsausgaben ausgesetzt und 100 Millionen
fallen aus diesem Grund unter die Armutsgrenze.
     Ein weiterer finanzieller Nachteil, der Kranke (und oft auch ihre Betreu-
er) belastet, ist der Einkommensausfall. Wenn auch in geringem Umfang,
sind Angehörige in den meisten Ländern in der Lage, ihre Familienmit-
glieder während einer Erkrankung finanziell zu unterstützen. Weniger
verbreitet sind formalere finanzielle Transferleistungen zum Schutz von
Personen, die krankheitsbedingt nicht arbeiten können. Nach Angaben der
Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verfügt weltweit nur einer von
fünf Menschen über eine umfangreiche soziale Absicherung, die auch Lohn-
ausgleichsleistungen im Krankheitsfall umfasst, und mehr als die Hälfte der
Weltbevölkerung hat überhaupt keine formale soziale Absicherung. In afri-
kanischen Ländern südlich der Sahara sowie im südlichen Asien verfügen
nur 5 bis 10 % der Bevölkerung über eine soziale Sicherung, während dieser
Anteil in Ländern mit mittlerem Einkommen zwischen 20 und 60 % liegt.
     Gesundheitsfinanzierung ist ein wichtiger Bestandteil umfassende-
rer Bemühungen um soziale Absicherung im Krankheitsfall. Daher ist
die WHO gemeinsam mit der ILO die federführende Behörde im Rah-
men der UN-Initiative zur Unterstützung der Länder bei der Entwicklung
umfassender Mindeststandards an sozialer Absicherung, die auch den im
vorliegenden Bericht erörterten Schutz vor finanziellen Risiken sowie wei-
tergehende Aspekte der Lohnersatzleistungen und sozialen Unterstützung
im Krankheitsfall umfasst (6).

                                                                                               9
Der Weltgesundheitsbericht
     Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

                                       Was ist zu tun?
                                       Drei grundlegende, eng miteinander verbundene Probleme hindern die Län-
                                       der daran, einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall näher
                                       zu kommen. Das erste ist die Verfügbarkeit von Ressourcen. Kein Land,
                                       wie wohlhabend es auch sein mag, vermag jedem Bürger unmittelbaren Zu-
                                       gang zu sämtlichen gesundheitsverbessernden bzw. lebensverlängernden
                                       Technologien und Maßnahmen zu gewährleisten. Am anderen Ende des
                                       Spektrums stehen in den ärmsten Ländern nur wenige Leistungen für alle
                                       zur Verfügung.
                                            Das zweite Hindernis auf dem Weg zu universeller sozialer Absiche-
                                       rung im Krankheitsfall ist die große Abhängigkeit von Direktzahlung
                                       im Moment der Inanspruchnahme. Hierzu gehören Barzahlungen für
                                       Medikamente und Nutzergebühren für Arztbesuche und medizinische
                                       Maßnahmen. Selbst wer irgendeine Art von Krankenversicherung hat, muss
                                       häufig absolute oder anteilige Zuzahlungen oder jährliche Eigenbeteilig-
                                       ungen aufbringen.
                                            Die Verpflichtung, Leistungen direkt zum Zeitpunkt der Inanspruch-
                                       nahme zu bezahlen – egal ob diese Zahlung formalisiert ist oder informell
                                       (bzw. inoffiziell) erfolgt – hält Millionen Menschen davon ab, Gesundheits-
                                       leistungen dann in Anspruch zu nehmen, wenn sie sie benötigen. Wer sich
                                       trotzdem behandeln lässt, kann schweren finanziellen Härten bis zur Ver-
                                       armung ausgesetzt sein.
                                            Die dritte Hürde auf dem Weg zu universeller sozialer Absicherung
                                       im Krankheitsfall ist der ineffiziente und ungerechte Mitteleinsatz. Vor-
                                       sichtigen Schätzungen zufolge gehen 20 – 40 % der Gesundheitsressourcen
                                       durch Vergeudung verloren. Weniger Verschwendung würde ganz erheb-
                                       lich die Kapazität der Gesundheitssysteme erhöhen, qualitativ hochwertige
                                       Leistungen zur Verfügung zu stellen und die Gesundheit der Bevölkerung
                                       zu verbessern. Erhöhte Effizienz macht es einem Gesundheitsministerium
                                       oft leichter, dem Finanzministerium Argumente für zusätzliche Mittel-
                                       zuweisungen zu liefern.
                                            Der Weg zu universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall ist
                                       eigentlich relativ einfach – zumindest auf dem Papier. Die Länder müssen
                                       ausreichende Mittel aufbringen, die Abhängigkeit von Direktzahlungen bei
                                       der Finanzierung von Gesundheitsleistung verringern und die Effizienz und
                                       Verteilungsgerechtigkeit verbessern. Diese Aspekte kommen in den nächs-
                                       ten Abschnitten zur Sprache.
                                            Viele Länder geringen und mittleren Einkommens haben im Laufe
                                       des letzten Jahrzehnts gezeigt, dass die Annäherung an universelle sozi-
                                       ale Absicherung im Krankheitsfall nicht alleiniges Vorrecht von Ländern
                                       mit hohem Einkommen ist. So haben z.B. Brasilien, Chile, China, Mexiko,
                                       Ruanda und Thailand in jüngster Zeit große Fortschritte bei der Lösung
                                       aller drei oben dargestellten Probleme gemacht. Gabun hat innovative
                                       Wege eingeführt, Mittel für die Gesundheitsversorgung aufzubringen,
                                       einschließlich einer Abgabe für Handynutzer; in Kambodscha hat man
                                       einen Gesundheitsgerechtigkeitsfonds geschaffen, um daraus die Gesund-
                                       heitsversorgung der armen Bevölkerung zu finanzieren, und der Libanon
                                       hat die Leistungsfähigkeit und Qualität der Primärversorgung verbessert.

10
Kurzfassung

     Mittlerweile ist klar, dass jedes Land zumindest in einem der drei
Schlüsselbereiche mehr leisten kann. Selbst in Ländern mit hohem Ein-
kommen hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass man die
weitere Entwicklung angesichts steigender Kosten und Erwartungen stän-
dig neu bewerten muss. So hat man z.B. in Deutschland erkannt, dass auf
Grund der alternden Bevölkerung der Anteil der Erwerbsbevölkerung an
der Gesamtbevölkerung abnimmt, was die Finanzierung des gesetzlichen
Krankenversicherungssystems aus den herkömmlichen Quellen einkom-
mensabhängiger Versicherungsbeiträge erschwert. Aus diesem Grunde hat
die Regierung zusätzliche Steuermittel für das Gesundheitswesen zur Ver-
fügung gestellt.

Beschaffung ausreichender Ressourcen
für Gesundheit
Auch wenn die finanzielle Stützung universeller sozialer Absicherung
im Krankheitsfall mit inländischen Ressourcen entscheidend für die
Nachhaltigkeit ist, wäre es unrealistisch, von den meisten armen Ent-
wicklungsländer zu erwarten, ohne Unterstützung von außen kurzfristig
soziale Sicherungssysteme für alle Bürger aufbauen zu können. Die in-
ternationale Gemeinschaft wird die eigenen Anstrengungen der ärmsten
Länder finanziell unterstützen müssen, um eine rasche Ausweitung des
Zugangs zu Gesundheitsleistungen zu erreichen. Dabei ist es wichtig, die
zu erwartenden Kosten zu kennen. Nach neueren Schätzungen des Be-
trags, der zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele (MDG)
und zur Gewährleistung des Zugangs zu lebenswichtigen medizinischen
Maßnahmen einschließlich der Aufwendungen für nicht-übertragbare
Krankheiten in 49 Niedrigeinkommensländern nötig ist, müssten diese
Länder im (ungewichteten) Durchschnitt bis 2015 pro Kopf etwas mehr als
60 US $ ausgeben, also beträchtlich mehr als die derzeitigen 32 US $. Diese
Zahl umfasst auch die Kosten für den Ausbau der Gesundheitssysteme,
um die genannte Bandbreite medizinischer Maßnahmen zur Verfügung
zu stellen.
      Der erste Schritt zu universeller sozialer Absicherung im Krankheits-
fall besteht somit darin sicherzustellen, dass die ärmsten Länder über die
erforderlichen Mittel verfügen und die Finanzierung stetig über die nächs-
ten Jahre hinweg ansteigt, um den erforderlichen Ausbau zu ermöglichen.
      Doch selbst Länder, die derzeit mehr als das geschätzte Minimum
ausgeben, dürfen nicht in ihren Bemühungen nachlassen. Das Erreichen
der MDG im Bereich Gesundheit und die Sicherstellung des Zugangs
zu den hier genannten Kostenschätzungen enthaltenen lebenswichtigen
medizinischen Maßnahmen mit Schwerpunkt auf nicht-übertragbaren
Krankheiten ist nämlich nur der Anfang. Auf die zunehmende Verbes-
serung der Gesundheitssysteme wird unweigerlich die Nachfrage nach
Leistungen, besserer Qualität und/oder umfassenderer finanzieller Risi-
koabsicherung folgen. Die reichen Länder sind ständig auf der Suche nach
Mitteln, um die wachsende Nachfrage und Erwartungen der Bevölkerung

                                                                                            11
Der Weltgesundheitsbericht
     Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

                                       zu befriedigen und rasch expandierende Technologien und Möglichkeiten
                                       zur Verbesserung der Gesundheit zu finanzieren.
                                            Sofern sich Regierung und Bevölkerung dafür einsetzen, verfügen alle
                                       Länder über Spielraum, um selber mehr Geld für Gesundheit aufzubrin-
                                       gen. Dafür gibt es drei grundsätzliche Methoden sowie einen vierten Ansatz
                                       zur Erhöhung und zum besseren Einsatz der Entwicklungshilfe für gesund-
                                       heitliche Ziele.

                                       1.   Größere Effizienz bei der Ressourcenmobilisierung. Selbst in einigen
                                            reichen Ländern mit hohem Einkommen können Steuervermeidung
                                            und eine ineffiziente Einziehung von Steuern und Versicherungsbeiträ-
                                            gen schwerwiegende Probleme darstellen. Die praktischen Schwierig-
                                            keiten bei der Erhebung von Steuern und Krankenversicherungsbeiträ-
                                            gen in Ländern mit großem informellem Sektor sind gut belegt. Eine
                                            Effizienzsteigerung bei der Erhebung öffentlicher Abgaben würde die
                                            Mittel für die Erbringung oder den Einkauf von Leistungen für die Be-
                                            völkerung erhöhen. So hat Indonesien sein Steuerwesen vollkommen
                                            neu geordnet, was den gesamten Regierungs- und insbesondere den Ge-
                                            sundheitsausgaben sehr zu gute kommt.
                                       2.   Verlagerung der Schwerpunkte im Staatshaushalt. Bei der Budget-
                                            vergabe gestehen Regierungen dem Gesundheitsbereich bisweilen nur
                                            geringe Priorität zu. So erreichen beispielsweise nur wenige afrikanische
                                            Länder die von ihren Staatsoberhäuptern in der Erklärung von Abuja im
                                            Jahr 2001 vereinbarte Vorgabe, 15 % des Staatshaushaltes für Gesundheit
                                            aufzuwenden; 19 Länder der Region, die diese Erklärung unterzeichnet
                                            haben, stellen heute sogar weniger Gelder bereit als 2001. Die Verei-
                                            nigte Republik Tansania hingegen teilt dem Gesundheitssektor 18,4 %
                                            und Liberia 16,6 % zu (darin enthalten sind Zuwendungen ausländi-
                                            scher Partner, die über die Regierung laufen und schwer herauszurech-
                                            nen sind). Gemeinsam könnten die 49 einkommensschwachen Länder
                                            zusätzlich 15 Milliarden US $ für die Gesundheit aus einheimischen
                                            Quellen aufbringen, indem sie den Anteil des Gesundheitsbudgets an
                                            den gesamten Staatsausgaben auf 15 % erhöhen.
                                       3.   Innovative Finanzierung. Bislang lag das Augenmerk hauptsächlich
                                            darauf, reiche Länder bei der Beschaffung von mehr Geld für Gesund-
                                            heit in armen Gegenden zu unterstützen. Die hochrangige Arbeits-
                                            gruppe für Innovative Internationale Finanzierungsmechanismen im
                                            Gesundheitswesen erwähnt in ihrer Liste der Maßnahmen, mit denen
                                            sich jährlich zusätzlich 10 Milliarden US $ für die globale Gesundheit
                                            einnehmen ließen, u.a. eine Erhöhung der Steuern auf Flugtickets, Devi-
                                            sentransaktionen und Tabak. Länder mit hohem, mittlerem und niedri-
                                            gem Einkommen sollten gleichermaßen einige dieser Mechanismen für
                                            die Beschaffung von Finanzen im eigenen Land prüfen. Eine Abgabe
                                            auf Devisentransaktionen könnte in einigen Ländern beträchtliche
                                            Summen einbringen. Indien beispielsweise verfügt über einen bedeu-
                                            tenden Devisenmarkt mit einem Tagesumsatz von 34 Milliarden US $.
                                            Eine Währungstransaktionsabgabe von 0,005 % könnte bei diesem Han-
                                            delsvolumen jährlich rund 370 Millionen US$ einbringen, sofern Indien
                                            diesen Weg für gangbar hielte. Andere Optionen sind z.B. Diaspora-

12
Kurzfassung

     Anleihen, die von Staatsangehörigen im Ausland erworben werden
     können, sowie Solidaritätszuschläge auf eine Reihe von Produkten und
     Dienstleistungen wie Mobilfunkanrufe. Jede Steuer hat ein Verzerrungs-
     potenzial für die Volkswirtschaft und die Besitzstandswahrer gegen sich.
     Regierungen müssen solche Steuern einführen, die sich am besten für
     ihre Volkswirtschaften eignen und mit politischer Unterstützung rech-
     nen können. Darüber hinaus haben Steuern auf gesundheitsschädliche
     Produkte den doppelten Nutzen, durch Senkung des Verbrauchs die
     Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und gleichzeitig für höhere
     Einnahmen zu sorgen. Eine 50-prozentige Erhöhung der Tabaksteuer
     würde in 22 Ländern mit geringem Einkommen, für die Daten vor-
     liegen, zusätzliche Mittel von 1,42 Milliarden US $ einbringen. Flösse
     die gesamte Summe in das Gesundheitswesen, würde dies in eini-
     gen Ländern eine Erhöhung der staatlichen Gesundheitsausgaben um
     mehr als 25 und im Extremfall um 50 % ermöglichen. Eine Anhebung
     der Alkoholsteuer auf 40 % des Einzelhandelspreises würde noch stär-
     ker zu Buche schlagen. Nach Schätzungen für 12 Länder mit geringem
     Einkommen, für die Daten vorliegen, ginge der Verbrauch um mehr
     als 10 % zurück, während sich die Steuereinnahmen verdreifachen und
     auf 38 % der gesamten Gesundheitsausgaben dieser Länder belaufen.
     Die Möglichkeit zur Erhöhung von Tabak- und Alkoholsteuern ist in
     vielen Ländern gegeben. Selbst wenn nur ein Teil des Erlöses in das
     Gesundheitswesen ginge, ließe sich damit der Zugang zu Gesundheits-
     leistungen erheblich verbessern. Einige Länder erwägen auch Steuern
     auf andere gesundheitsschädliche Produkte wie zuckerhaltige Getränke
     und Lebensmittel mit einem hohen Gehalt an Salz oder Transfettsäuren
     (7, 8).
4.   Entwicklungshilfe im Gesundheitsbereich. Zwar könnten alle Länder,
     ob reich oder arm, mehr für die Erhöhung der Gesundheitsfinan-
     zierung oder eine Diversifizierung ihrer Finanzquellen tun, aber nur
     acht der oben genannten 49 Länder mit geringem Einkommen haben
     die Chance, die für die Erreichung der MDG bis 2015 erforderlichen
     Mittel allein aus einheimischen Quellen aufzubringen. Hier ist weltweite
     Solidarität gefordert. Die Finanzierungslücke in diesen Ländern unter-
     streicht die Notwendigkeit, dass Länder mit hohem Einkommen ihren
     Verpflichtungen zu öffentlicher Entwicklungshilfe (ODA) nachkommen
     und größere Anstrengungen unternehmen, die Effektivität der Hilfe-
     leistungen zu verbessern. Innovative Finanzierungsformen können
     zwar die traditionelle ODA ergänzen, kämen aber die Länder ihren
     laufenden internationalen Zusagen unverzüglich nach, würden sich
     allein dadurch die ausländischen Mittel für den Gesundheitsbereich in
     Ländern mit niedrigem Einkommen über Nacht mehr als verdoppeln
     und die geschätzte Finanzierungslücke für die Erreichung der MDG
     wäre praktisch behoben.

                                                                                              13
Der Weltgesundheitsbericht
     Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

                                       Beseitigung von finanziellen Risiken
                                       und Zugangsbarrieren
                                       Über ausreichende Mittel zu verfügen ist zwar wichtig, aber die Annähe-
                                       rung an universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall bleibt solange
                                       unerreichbar, wie Menschen finanziellen Härten ausgesetzt sind oder vor
                                       der Inanspruchnahme von Leistungen zurückschrecken, weil sie diese un-
                                       mittelbar vor Ort bezahlen müssen. In diesem Fall tragen die Kranken das
                                       ganze finanzielle Risiko, das mit kostenpflichtiger Versorgung verbunden
                                       ist. Sie stehen vor der Entscheidung, ob sie sich eine Behandlung leisten kön-
                                       nen; oft bedeutet das, sich zwischen Ausgaben für Gesundheit und andere
                                       Grundbedürfnisse wie Lebensmittel oder die Bildung ihrer Kinder entschei-
                                       den zu müssen.
                                             Fallen Behandlungsgebühren an, zahlen alle unabhängig von ihrer
                                       wirtschaftlichen Lage denselben Betrag. In diesem Fall gibt es keine etab-
                                       lierte Solidarität zwischen Gesunden und Kranken oder zwischen arm und
                                       reich. Solche Systeme machen es unmöglich, die Kosten über die Lebens-
                                       zeit zu verteilen: Beitragszahlung im jungen Alter und gesunden Zustand
                                       und Inanspruchnahme im Krankheitsfall zu einem späteren Zeitpunkt im
                                       Leben. Damit besteht ein großes Risiko von Zahlungsunfähigkeit und Ver-
                                       armung, und die universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall bleibt
                                       unerreicht.
                                             Fast alle Länder erheben irgendeine Form von Direktzahlung, manch-
                                       mal als Selbstbeteiligung bezeichnet, wobei der Anteil der aus eigener
                                       Tasche finanzierten Gesamtausgaben umso höher ist, je ärmer ein Land ist.
                                       Die extremsten Beispiele finden sich in 33 Ländern mit meistenteils gerin-
                                       gem Einkommen, wo die Direktzahlungen der Patienten 2007 mehr als 50 %
                                       der gesamten Gesundheitsausgaben ausmachten.
                                             Die einzige Möglichkeit, die Abhängigkeit von Direktzahlungen zu
                                       reduzieren, besteht für Regierungen in der Förderung des Risikoteilungs-
                                       und Vorauszahlungsansatzes, also dem Weg, den die meisten Länder
                                       beschritten haben, die universeller sozialer Absicherung gegen Gesund-
                                       heitsrisiken am nächsten gekommen sind. Hat eine Bevölkerung Zugang zu
                                       Risiko streuender kollektiver Vorauszahlung, wird das Ziel einer universel-
                                       len sozialen Absicherung im Krankheitsfall realistischer. Diese Strukturen
                                       beruhen auf Zahlungen vor dem Eintritt von Krankheiten, ihrer irgendwie
                                       gestalteten Zusammenführung und ihrer Verwendung für die Bezah-
                                       lung von Gesundheitsleistungen aller abgesicherten Personen, sprich für
                                       Behandlung und Rehabilitation Kranker und Behinderter sowie Vorsorge
                                       und Gesundheitsförderung für alle.
                                             Erst wenn die Direktzahlungen auf 15 – 20 % der gesamten Gesund-
                                       heitsausgaben gesunken sind, geht die Häufigkeit von finanzieller
                                       Über forderung und Verarmung auf ein vernachlässigbares Maß zurück.
                                       Das ist ein hochgestecktes Ziel, das reichere Länder anstreben können;
                                       andere Länder möchten sich vielleicht bescheidenere und kurzfristige
                                       Ziele setzen. So haben sich z.B. die Länder in den WHO-Regionen Süd-
                                       ostasien und Westpazifik kürzlich auf Zielwerte zwischen 30 und 40 %
                                       verständigt.

14
Kurzfassung

      Die Ressourcen können aus verschiedenen Quellen stammen – Ein-
kommens- und Lohnsteuer, breiter angelegte Mehrwertsteuern oder
Verbrauchssteuern auf Tabak und Alkohol, und/oder Versicherungsbeiträge.
Die Finanzierungsquelle ist nicht so entscheidend wie die Politikinstru-
mente zur Verwaltung von Vorauszahlungssystemen. Soll Beitragspflicht
bestehen? Wer soll wann wie viel zahlen? Was soll mit den Menschen
geschehen, die keine Beitragszahlungen aufbringen können? Auch die Frage
der Zusammenführung der Mittel verlangt nach Entscheidungen. Sollen die
Gelder Teil der konsolidierten Staatseinnahmen sein oder über eine oder
mehrere Krankenkassen laufen, seien es soziale, private, gemeinschaftliche
oder Kleinstversicherungen?
      Ländererfahrungen legen drei grundlegende Lehren für die Entwick-
lung entsprechender Strategien nahe.
      Erstens ist in jedem Land ein Teil der Bevölkerung zu arm, um Bei-
träge in Form von Einkommenssteuern oder Versicherungsbeiträgen zu
leisten. Diese Menschen brauchen Unterstützung aus gemeinschaftlich
aufgebrachten Mitteln, im Allgemeinen aus Steuereinnahmen. Eine solche
Unterstützung kann in Form direkten Zugangs zu staatlich finanzierten
Leistungen oder durch Bezuschussung von Versicherungsbeiträgen erfolgen.
Länder, in denen die gesamte Bevölkerung Zugang zu einem bestimmten
Leistungspaket hat, verfügen üblicherweise in einem relativ hohen Maße
über gemeinschaftlich aufgebrachte Mittel in einer Größenordnung von
5 – 6 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
      Zweitens muss Beitragspflicht bestehen, denn sonst machen die Rei-
chen und die Gesunden nicht mit und es fehlt an Finanzmitteln, um den
Bedarf der Armen und Kranken
abzusichern. Freiwillige Versiche-
rungssysteme können zwar auch            Abb. 1. Drei Dimensionen, die auf dem Weg zu universeller Absicherung
ohne breit angelegte Vorauszah-                   im Krankheitsfall zu berücksichtigen sind
lungen und gemeinschaftliche
Finanzierung gewisse Geldmittel
aufbringen und außerdem dazu bei-
tragen, Menschen mit den Vorzügen
einer Versicherung vertraut zu
machen; sie sind jedoch nur begrenzt
                                                                                                             Direct costs:
in der Lage, ein erforderliches Paket                                             Reduce                     proportion
                                                                                  cost sharing   Include
von Leistungen für jene zu finanzie-                                                             other       of the costs
                                                                                  and fees                   covered
ren, die zu arm sind, selber Beiträge                                                            services
aufzubringen. Wichtig sind daher
längerfristige Pläne für die Auswei-
tung der Vorauszahlung und die            Extend to                 Current pooled funds
Einbettung von gemeindebasierten          non-covered
und Kleinst versicherungen in brei-
tere Absicherungsstrukturen.                                                                   Services:
                                                                                               which services
      Drittens sind Pools, die den                    Population: who is covered?              are covered?
gesundheitlichen Bedarf einer klei-
nen Zahl von Personen absichern,
langfristig nicht überlebensfähig.
Schon wenige Fälle kostspieliger Quelle: Auf der Grundlage von (9, 10).

                                                                                                                             15
Der Weltgesundheitsbericht
     Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

                                       Erkrankungen treiben sie in den Ruin. Multiple Risikopools, die alle ihre
                                       eigenen Verwaltungs- und Informationssysteme unterhalten, sind zudem
                                       ineffizient und erschweren die Umsetzung von Fairness. Üblicherweise
                                       bieten einzelne Versicherungsfonds ein großes Leistungsspektrum für
                                       relativ wohlhabende Menschen, die möglicherweise die Kosten ärmerer,
                                       weniger gesunder Menschen nicht mittragen wollen.
                                             Quersubventionierung ist möglich, wenn es mehrere Kassen gibt, aber
                                       sie erfordert politischen Willen und fachliche wie verwaltungstechnische
                                       Kapazitäten. In den Niederlanden und der Schweiz überweisen beispiels-
                                       weise Versicherungen mit Mitgliedern mit geringem Behandlungsbedarf
                                       (was niedrigere Kosten bedeutet) Geld an Versicherungen mit Personen
                                       höheren Risikos, die mehr Leistungen in Anspruch nehmen.
                                             Auch wenn die Finanzierung weitgehend auf Vorauszahlung und kol-
                                       lektiv aufgebrachten Mitteln beruht, besteht die Notwendigkeit fort, den
                                       abzusichernden Bevölkerungsanteil, das bereit zu stellende Leistungspaket
                                       und den Anteil der Kostenübernahme an den Gesamtkosten gegeneinander
                                       auszutarieren (Abb. 1). Der Würfel mit dem Titel “derzeitige Gemein-
                                       schaftsmittel” veranschaulicht die Situation in einem fiktiven Land, in dem
                                       rund die Hälfte der Bevölkerung eine Absicherung für etwa die Hälfte der
                                       möglichen Leistungen besitzt, von deren Kosten die gemeinschaftlich auf-
                                       gebrachten Mittel aber weniger als die Hälfte übernehmen. Um universeller
                                       sozialer Absicherung im Krankheitsfall näher zu kommen, müsste das Land
                                       die Deckungsbreite auf mehr Menschen ausweiten, mehr Leistungen bieten
                                       und/oder für einen größeren Anteil der Kosten aufommen.
                                             In Ländern mit lange bestehender sozialer Absicherung im Krankheits-
                                       fall wie in Europa oder Japan füllt der Würfel der zurzeit zusammengelegten
                                       Mittel den größten Teil des Raumes aus. Allerdings sichert keines der rei-
                                       chen Länder, die gemeinhin als Beispiele für universelle soziale Absicherung
                                       im Krankheitsfall gelten, 100 % der Bevölkerung mit 100 % der verfügbaren
                                       Leistungen und 100-prozentiger Kostenübernahme – und ohne Wartelis-
                                       ten – sozial ab. Jedes Land füllt den Würfel auf seine eigene Weise und tariert
                                       dabei die gemeinschaftlich finanzierten Leistungs- und Kostenanteile aus.
                                             Nichtsdestoweniger hat die gesamte Bevölkerung in diesen Ländern
                                       Anspruch auf ein definiertes Paket von Leistungen (Prävention, Gesund-
                                       heitsförderung, Therapie und Rehabilitation). Praktisch jeder ist dank der
                                       auf Vorauszahlung und kollektive Mittelaufbringung beruhenden Finan-
                                       zierungsmechanismen vor großen finanziellen Risiken geschützt. Die
                                       Grundzüge sind dieselben, auch wenn die Besonderheiten voneinander
                                       abweichen, die von dem Zusammenspiel der Erwartungen von Bevölkerung
                                       und Leistungserbringern, der politischen Landschaft und den verfügbaren
                                       Ressourcen geprägt sind.
                                             Die einzelnen Länder werden unterschiedliche Wege zu universeller
                                       sozialer Absicherung im Krankheitsfall einschlagen und je nach Ausgangs-
                                       lage und -bedingungen bei der Entwicklung entlang den drei in Abb. 1
                                       dargestellten Achsen unterschiedliche Entscheidungen treffen. Hat bei-
                                       spielsweise niemand außer der Elite Zugang zu Gesundheitsleistungen,
                                       kann die Priorität darauf liegen, rasch auf dem Weg zu einem System voran
                                       zu kommen, das alle Bürger absichert, egal ob arm oder reich, selbst wenn
                                       dann Leistungsumfang und Kostenübernahme vergleichsweise gering

16
Kurzfassung

sind. In einem breit angelegten System mit nur wenigen Versorgungslü-
cken kann das betreffende Land unterdessen mit dem gezielten Ansatz
beginnen, alle derzeit Ausgeschlossenen zu erfassen und Schritte zu ihrer
Absicherung einzuleiten. In derartigen Fällen kann man ein umfangreiche-
res Leistungspaket für die Armen absichern und/oder einen höheren Anteil
der Kosten übernehmen.
     Letztlich erfordert universelle soziale Absicherung im Krankheitsfall
die Verpflichtung, 100 % der Bevölkerung einzuschließen, und man braucht
von Anfang an Pläne mit dieser Zielsetzung, auch wenn das Ziel nicht gleich
erreichbar ist.

Sonstige Hindernisse beim Zugang zur
Gesundheitsversorgung
Die Beseitigung der impliziten finanziellen Hürden von Direktzahlungs-
systemen fördert zwar den Zugang ärmerer Menschen zur Versorgung,
garantiert ihn aber nicht. Neuere Untersuchungen zu den Ursachen un-
vollständiger Behandlungen chronischer Erkrankungen zeigen, dass
Transportkosten und Verdienstausfall eine höhere finanzielle Hürde dar-
stellen können als die anfallenden Nutzergebühren. Außerdem kann man
selbst dann keine Leistungen in Anspruch nehmen, wenn sie kostenlos sind,
solange Versorgungseinrichtungen gar nicht oder nicht wohnortnah ver-
fügbar sind.
     Viele Länder suchen nach Möglichkeiten, diese Hindernisse zu über-
winden. Konditionierte Transferleistungen, bei denen Menschen Bargeld
erhalten, wenn sie bestimmte Dinge zur (meist präventionsbezogenen)
Verbesserung ihrer Gesundheit tun, haben in einigen Fällen die Inanspruch-
nahme von Gesundheitsversorgungsleistungen ansteigen lassen. Andere
Optionen sind Gutscheine und die Erstattung von Transportkosten sowie
Mikrokreditsysteme, die Mitgliedern armer Haushalte (oft den Frauen) die
Möglichkeit geben, Geld zu verdienen, das sie unterschiedlich verwenden
können, u.a. für die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen.

Förderung der Effizienz und Abbau
der Verschwendung
Die Einziehung ausreichender Mittel für Gesundheit ist zwingend
erforderlich, aber Geld allein garantiert noch keine universelle soziale Ab-
sicherung im Krankheitsfall. Ebenso wenig wie die Beseitigung finanzieller
Zugangshindernisse durch Vorauszahlungs- und kollektive Finanzierungs-
mechanismen. Letztlich ist es unerlässlich, den effizienten Einsatz der Mittel
sicherzustellen.
     In allen Ländern bestehen Möglichkeiten, mit gleichen Ressour-
cen mehr zu bewirken. Oft kommen anstelle verfügbarer günstigerer und
ebenso wirksamer Optionen kostspielige Medikamente zum Einsatz. In vie-
len Bereichen ist eine Überversorgung mit Antibiotika und Injektionen zu

                                                                                               17
Der Weltgesundheitsbericht
     Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

                                       beobachten, man findet schlechte Lagerhaltung und Verschwendung sowie
                                       große Unterschiede bei den Preisen, die Beschaffungsstellen mit Anbietern
                                       aushandeln. Mit dem Abbau unnötiger Ausgaben für Arzneimittel und
                                       ihrem sinnvolleren Einsatz sowie besserer Qualitätskontrolle könnten die
                                       Länder bis zu 5 % ihrer Gesundheitsausgaben einsparen.
                                           Arzneimittel stellen drei der häufigsten im vorliegenden Bericht auf-
                                       geführten Ursachen für Ineffizienz dar. Lösungen für die anderen sechs
                                       Ursachen lassen sich unter folgenden Überschriften zusammenfassen:

                                         ■ Bemühung um maximale Ausschöpfung von Technologien
                                           und Gesundheitseinrichtungen
                                         ■ Motivierung des Gesundheitspersonals
                                         ■ Verbesserung der Effizienz von Krankenhäusern
                                         ■ Richtige Behandlung von Anfang an durch Reduzierung
                                           von Behandlungsfehlern
                                         ■ Ausmerzen von Verschwendung und Korruption
                                         ■ Kritische Bewertung des tatsächlich benötigten Leistungsumfangs

                                            Bei zurückhaltender Schätzung sind etwa 20-40 % der im Gesund-
                                       heitsbereich ausgegebenen Ressourcen überflüssig, die allesamt bei der
                                       Einführung universeller sozialer Absicherung im Krankheitsfall zum Ein-
                                       satz kommen könnten.
                                            Unabhängig von ihrem Einkommensstand können alle Länder etwas
                                       unternehmen, um die Ineffizienz zu verringern. Das erfordert zunächst eine
                                       auf der Analyse des vorliegenden Berichts beruhende Einschätzung von
                                       Charakter und Ursachen landestypischer Ineffizienzen. Ineffizienz geht bis-
                                       weilen eher auf ungenügende als auf zu hohe Gesundheitsausgaben zurück.
                                       So führen beispielsweise niedrige Löhne dazu, dass Gesundheitsfachkräfte
                                       ihr Einkommen durch einen parallel laufenden Zweitjob aufbessern, was
                                       ihre Leistungen bei der Haupttätigkeit schmälert. In diesen Fällen ist es
                                       erforderlich, die Kosten und wahrscheinlichen Auswirkungen möglicher
                                       Lösungen abzuschätzen.
                                            Anreize zur Effizienzsteigerung lassen sich in die Methoden der Hono-
                                       rierung von Leistungserbringern einbauen. Einzelleistungsvergütung
                                       fördert die Überversorgung der Patienten, die es sich leisten können oder
                                       deren Kosten aus Gemeinschaftsmitteln (z.B. Steuern und Versicherung)
                                       gedeckt sind, und eine Unterversorgung derjenigen, die nicht zahlungs-
                                       fähig sind.
                                            Viele Alternativen sind bereits erprobt, und alle haben Vor- und
                                       Nachteile. Wo Einzelleistungsvergütung die Norm ist, mussten Staat und
                                       Versicherungen Kontrollmechanismen einführen, um der Überversorgung
                                       zu begegnen. Die Einführung dieser Kontrollen kann kostspielig sein, denn
                                       sie erfordert zusätzliches Personal und Infrastruktur, um die Nutzung (und
                                       eventuelle Übernutzung) von Leistungen zu messen und zu überwachen.
                                            Andernorts haben in der Grundversorgung (d.h. Prävention und
                                       allgemeinärztliche Versorgung) Kopfpauschalen oder im Krankenhaus-
                                       bereich fallbezogene Vergütungsformen wie Diagnostic-Related Groups
                                       (DRG) die Einzelleistungsvergütung abgelöst. Kopfpauschalenhonorierung
                                       bedeutet die Zahlung eines festen Betrags für jeden bei einem Leistungs-

18
Kurzfassung

erbringer in einem bestimmten Zeitraum eingeschriebenen Bürger und ist
völlig unabhängig von den erbrachten Leistungen. Fallpauschalen sehen pro
Behandlungsfall die Zahlung eines festgelegten Betrags vor, der ebenfalls
von Aufwand oder Dauer der Krankenhausbehandlung unabhängig ist.
     Beide verringern den Anreiz zur Überversorgung. Allerdings war
der Einwand zu hören, Fallpauschalen (d.h. Zahlung eines einheitlichen,
von der Dauer des Krankenhausaufenthalts unabhängigen Satzes für eine
medizinische Maßnahme) könnten die Krankenhäuser zur vorzeitigen Ent-
lassung der Patienten ermutigen, um sie kurz darauf wieder aufzunehmen
und so zwei anstatt nur ein Mal abzurechnen.
     Die Honorierung von Leistungserbringern ist ein komplexer, in ständi-
gem Wandel begriffener Prozess, und einige Länder haben ein gemischtes
Vergütungssystem entwickelt, und zwar unter der Annahme, es sei effizien-
ter als ein einziger Vergütungsmodus.
     Es ist möglich, effizientere Ansätze für Beschaffung und Einkauf von
Leistungen zu finden, was man oft als strategischen Einkauf bezeichnet.
Das traditionelle System, bei dem die Leistungserbringer ihre Leistungen
erstattet bekommen (und Zentralregierungen den verschiedenen Ver-
waltungsebenen weitgehend auf Vorjahresbudgets beruhende Haushalte
zuweisen) bezeichnet man auch als passive Beschaffung. Ein aktiverer
Einkauf kann Qualität und Effizienz verbessern, indem man den gesund-
heitlichen Versorgungsbedarf der Bevölkerung explizit erfragt: Welche
Interventionen und Leistungen werden unter Berücksichtigung vorhande-
ner Ressourcen dem Bedarf bzw. den Erwartungen am ehesten gerecht? Wie
sieht die geeignete Mischung aus Gesundheitsförderung, Prävention, The-
rapie und Rehabilitation aus? Wer soll wie diese Interventionen einkaufen
bzw. erbringen?
     Strategischer Einkauf bedeutet mehr als die bloße Entscheidung zwi-
schen passivem und aktivem Einkauf. Auf Grundlage ihrer Fähigkeit, die
erforderlichen Informationen zu erstellen, zu überwachen und zu interpretie-
ren sowie Qualitäts- und Effizienzstandards zu fördern und durchzusetzen,
werden die Länder ihren Handlungsspielraum abstecken. Passiver Einkauf
schafft Ineffizienz. Je mehr sich ein Land aktiven Einkaufsstrategien annä-
hert, desto effizienter dürfte sein System sein.

Ungleichheiten in der Absicherung
Regierungen sind in der Verantwortung sicherzustellen, dass alle staatlichen
wie privaten Leistungserbringer angemessen und zweckmäßig handeln
und die Patienten kosteneffektiv und effizient betreuen. Sie müssen auch
ein Paket von bevölkerungsbezogenen Leistungen mit Schwerpunkt auf
Prävention und Gesundheitsförderung zur Verfügung stellen, so wie groß
angelegte Werbekampagnen zur Verringerung des Tabakkonsums oder die
Empfehlung an Mütter, ihre Kinder impfen zu lassen.
     Regierungen sind auch dafür verantwortlich sicherzustellen, dass jeder
die Leistungen in Anspruch nehmen kann, die er oder sie benötigt, und
dass alle gegen die damit verbundenen finanziellen Risiken abgesichert sind.
Dies kann mit dem Streben nach Effizienz in Konflikt geraten, denn der

                                                                                             19
Der Weltgesundheitsbericht
     Finanzierung einer universellen sozialen Absicherung im Krankheitsfall

                                       effizienteste Weg des Ressourceneinsatzes ist nicht immer der gerechteste.
                                       So ist es z.B. üblicherweise effizienter, Versorgungseinrichtungen in bevöl-
                                       kerungsreichen Gebieten anzusiedeln; will man aber die arme Bevölkerung
                                       auf dem Land erreichen, muss man die Leistungserbringer näher an sie her-
                                       anbringen.
                                             Die Regierungen müssen sich auch bewusst sein, dass Bessergestellte
                                       kostenlose öffentliche Leistungen nutzen könnten, die sie trotz vermutlich
                                       geringeren Bedarfs üblicherweise stärker in Anspruch nehmen als Arme.
                                       In einigen Ländern haben nur die Reichsten Zugang zu einem angemesse-
                                       nen Leistungspaket, während anderswo bloß die Ärmsten ausgeschlossen
                                       sind. Einige Personengruppen fallen in den meisten Systemen durch die
                                       Maschen, und die Muster der Ausgrenzung von Gesundheitsleistungen sind
                                       unterschiedlich. Besonderes Augenmerk muss den Zugangsproblemen von
                                       Frauen, ethnischen und Migrantengruppen sowie den besonderen Proble-
                                       men indigener Bevölkerungen gelten.

                                       Ein Aktionsplan
                                       Kein Land fängt bei der Gesundheitsfinanzierung bei Null an, denn alle
                                       Länder verfügen über irgendein System und müssen dies gemäß ihren Wert-
                                       vorstellungen, Zwängen und Möglichkeiten weiterentwickeln. In diesen
                                       Prozess sollten nationale wie internationale Erfahrungen einfließen.
                                            Alle Länder können mehr tun, um Mittel für die Gesundheitsver-
                                       sorgung aufzubringen oder ihre Finanzierungsquellen zu diversifizieren,
                                       um durch die Förderung von Vorauszahlungen und kollektive Finanzierung
                                       die Abhängigkeit von direkten Zahlungen zu verringern und um vorhan-
                                       dene Ressourcen effizienter und gerechter einzusetzen. Voraussetzung dafür
                                       ist der politische Wille.
                                            Der Gesundheitsbereich kann eine Vorreiterrolle bei der Steigerung von
                                       Effizienz und Gerechtigkeit einnehmen. Entscheidungsträger im Gesund-
                                       heitssektor können beispielsweise viel dazu beitragen, Lecks insbesondere
                                       im Beschaffungswesen abzudichten. Unter Einschluss von Regulierung und
                                       Gesetzgebung können sie auch Schritte einleiten, die Leistungserbringung
                                       und Effizienz des Systems insgesamt zu verbessern. Das sind allesamt
                                       Schritte, bei denen ihnen andere Sektoren folgen könnten.
                                            Einfach aus einer Liste von Möglichkeiten auszuwählen oder zu
                                       importieren, was andernorts funktioniert hat, wird nicht ausreichen.
                                       Gesundheitsfinanzierungsstrategien müssen von innen wachsen und aus-
                                       gehend von den Bedingungen im eigenen Land die universelle soziale
                                       Absicherung im Krankheitsfall vorwärts bringen. Es ist daher unerlässlich,
                                       dass die Länder ihre Fähigkeiten zur Analyse und zum Verständnis der
                                       Stärken und Schwächen des vorhandenen Systems weiter entwickeln, damit
                                       sie ihre Gesundheitsfinanzierungsstrategien dementsprechend anpassen,
                                       umsetzen, kontrollieren und im Laufe der Zeit verändern können.

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