DIE PHILOSOPHIN DES URPRALLS - MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT

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DIE PHILOSOPHIN DES URPRALLS - MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT
Die Philosophin
     des Urpralls
     Die mythische Vorstellung von einem zyklischen                                  kosmologisches Modell, dem Anna Ijjas am
     All, das im Weltenbrand endet und wiederersteht,                                Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
                                                                                     (Albert-Einstein-Institut) in Hannover neues
     fasziniert Menschen seit jeher. Die moderne
                                                                                     Leben einhaucht.
     Urknalltheorie mit einem ewig expandierenden
     Universum schließt diese Möglichkeit aus. Doch                          Man muss schon gut zu Fuß sein, wenn man der
     ist hier das letzte Wort bereits gesprochen?                              quirligen Forscherin durch die Gänge des Insti-
     Am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in                          tuts bis zu ihrem Büro folgen will. Das ist noch
                                                                               karg eingerichtet, ein Laptop auf dem Tisch, viel
     Hannover geht Anna Ijjas dieser fundamentalen                             mehr nicht. Der Hausmeister schaut zwischen-
48   Frage nach.                                                               durch vorbei, um etwas zu kontrollieren. Anna
                                                                               Ijjas ist erst seit Anfang September 2019 in Han-
                                                                               nover. Sie gehört zu den ersten neun Leiterinnen
     Text: Thom as Bührke                                                      einer Lise-Meitner-Exzellenzgruppe, welche die
                                                                               Max-Planck-Gesellschaft ins Leben gerufen hat.
                                                                               Gegen fast 300 Kandidatinnen aus 42 Ländern
                                                                               hat sie sich durchgesetzt.

              Der Kirchenlehrer Augustinus fragte sich schon vor             Mit dem Lise-Meitner-Programm will die Max-
                mehr als 1600 Jahren, was Gott vor der Erschaf-                Planck-Gesellschaft nicht nur die Frauen-
                fung der Welt getan haben mag. Seine Antwort                   quote steigern, sondern ganz gezielt zukünftige
                war so einfach wie überraschend: „Bevor Gott                   Max-Planck-Direktorinnen suchen. Spätestens
                Himmel und Erde schuf, tat er nichts.“ Das passt               nach fünf Jahren wird ihnen die Teilnahme an
                gar nicht einmal so schlecht zur Urknalltheorie,               einem sogenannten Tenure-Track-Verfahren
                mit der Kosmologen den Beginn des Universums                   für eine W2-Professur garantiert, bei positiver
                beschreiben. Vor dem Big Bang gab es nichts,                   Evaluation erhalten sie die W2-Position sowie die
                weder Raum noch Zeit. Mit den heutigen physi-                  Leitung der Forschungsgruppe unbefristet. Das
                kalischen Kenntnissen lassen sich sämtliche Vor-               Auswahlverfahren war hart, und die letztend­
                gänge in dem heißen Feuerball beschreiben, die                 liche Entscheidung für Anna Ijjas offenbart auch
                sich ab etwa einer milliardstel Sekunde nach dem               Einblicke in die heutige Situation der Grund­
                Urknall ereignet haben. Doch was davor geschah,                lagenforschung. Die Wissenschaftlerin war zuvor
                das entzieht sich unserer Kenntnis. Und der Ur-                mehrere Jahre an der Universität von Princeton.
                knall selbst? Eine „Singularität“, in der die bei-            „In den USA ist Forschung sehr konservativ“, er-
                den Säulen der modernen Physik – Relativitäts-                 zählt sie. Junge Nachwuchswissenschaftler fol-
                theorie und Quantentheorie – versagen.                         gen dort oftmals den ausgetretenen Pfaden. Ijjas
                                                                               rechnet es dem Auswahlkomitee des Lise-Meit-
              Was aber, wenn es gar keinen Urknall gab? Könnte                 ner-Exzellenzprogramms hoch an, dass es mit
                unser Universum nicht aus einem Vorläu-                        ihr bewusst eine Kandidatin ausgewählt hat, die
                fer hervorgegangen sein? Das ist ein altes                     eher unkonventionell daherkommt.

                                                   Max Planck Forschung · 1 | 2020
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                                                                                  bei

                                                                                                          anna
                                                                                                           ijjas

                                                                                                                   49
F o t o: F rank V inken

                          Unkonventionell: Mit einem eher außergewöhnlichen Ansatz erforscht Anna Ijjas
                             am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik die Anfänge des Universums.

                                          Max Planck Forschung · 1 | 2020
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     Dabei schien doch auf dem Gebiet der Kosmologie                    Der Weg zu dieser Einsicht war lang und verlief für
      – also der Wissenschaft von der Entstehung und                      die Forscherin keineswegs geradlinig. In ihren
       Entwicklung des Weltalls – bereits vieles geklärt.                 Wünschen war sie aber immer zielstrebig. Anna
      „In den 1970er- bis 1990er-Jahren haben die                         Ijjas kam 1985 in einem kleinen Dorf in Ungarn
       Theoretiker sehr große Fortschritte gemacht“,                      zur Welt. Ihr Vater war Arzt und kannte einen
       erzählt Anna Ijjas. Mit der Stringtheorie schien                   Deutschen, der Privatunterricht gab. So begann
       man eine umfassende Beschreibung sämtlicher                        Anna schon mit fünf Jahren die deutsche Sprache
       Naturkräfte gefunden zu haben. Und die Hypo-                       zu lernen. Während ihrer Schulzeit in Budapest
       these des inflationären Universums versprach                       ging sie im Rahmen eines Schüleraustauschs für
       alle Probleme, welche die damalige Urknallthe-                     zwei Monate nach Bayern. Nach dem Abitur war
       orie noch in sich barg, zu lösen.                                  ihr klar, dass sie nicht in Ungarn studieren wollte.
                                                                          Dem Wunsch der Eltern nach einem Jura-
     Die Inflation (von inflatio für Aufblähen) ist heute                 studium mochte sie auch nicht folgen. Statt-
       fester Bestandteil der Kosmologie. Sie beschreibt                  dessen schrieb sie sich in München an der Ludwig-
       eine extrem schnelle Expansion des Alls unmit-                     Maximilians-Universität für Mathematik und
       telbar nach dessen Geburt. Nach dieser Phase                       Religion mit dem Ziel Lehramt ein. Später kam
       setzte sich die weitere Ausdehnung etwa mit der                    auch Physik dazu.

                           „Es wäre Größenwahn zu behaupten,
                                  wir wüssten schon fast alles.
                                  Im Gegenteil – wir brauchen
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                                              einen Umbruch.“

        noch heute herrschenden Geschwindigkeit fort.                   Nach dem Staatsexamen wandte Ijjas sich intensi-
       „Nicht wenige Theoretiker sind mittlerweile da-                    ver den Naturwissenschaften zu und promo-
        von überzeugt, dass wir den großen Antworten                      vierte in Philosophie mit einer Arbeit, deren Ti-
        schon sehr nahe sind und nur noch ein paar De-                    tel an ein Bonmot Einsteins angelehnt ist: „Der
        tails klären müssen“, sagt Ijjas. Sie selbst sieht das            Alte mit dem Würfel: Metaphysik in der Quan-
        ganz anders! Zum einen wissen wir über 95 Pro-                    tenmechanik“. Ein interdisziplinärer Dialog zwi-
        zent des Universums so gut wie nichts: Dunkle                     schen Naturwissenschaften und Theologie sei
        Materie und Dunkle Energie sind große Ge-                         möglich und sinnvoll, schreibt sie in ihrer Arbeit.
        heimnisse. Die Stringtheorie vermag immer                         Anfangs hatte sie versucht, beide Bereiche zu-
        noch keine konkreten Vorhersagen zu treffen, die                  sammenzubringen, vor allem in Gesprächen mit
        sich durch astronomische Beobachtungen oder                       Freunden. Heute sieht sie darin zwei Sichtwei-
        physikalische Experimente prüfen lassen. Und                      sen, die wenig miteinander zu tun haben: „Na-
        die Theorie der Inflation hat so viele dehnbare                   turwissenschaften und Glauben schließen sich
        Parameter, dass man sie an fast alle Beobachtun-                  nicht aus“, sagt sie. „Ich habe aber keinen naiven
        gen anpassen kann. „Andrei Linde, einer ihrer                     Glauben.“
        Begründer, pflegt zu sagen, es werde nie ein Be-
        obachtungsergebnis geben, mit dem sich die Infla-               Zu dieser Zeit wusste sie nicht, ob sie gut genug für
        tionstheorie wider­legen lasse“, sagt Ijjas. „Es                  die physikalische Forschung war. Doch dann er-
        wäre Größenwahn zu behaupten, wir wüssten                         mutigte sie ihr Mentor Harald Lesch. Mit ei-
        schon fast alles. Im Gegenteil – wir brauchen                     nem Stipendium versehen, ging sie in die USA
        einen Umbruch.“                                                   und suchte sich dort gezielt zwei Wissenschaft-

                                             Max Planck Forschung · 1 | 2020
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                                                                Blick zum Himmel:
                                                                In der chilenischen
                                                                Atacamawüste entsteht
                                                                das Simons-Observa-
                                                                torium, an dem Anna
                                                                Ijjas beteiligt ist. Die
                                                                Teleskope könnten die
                                                                Frage klären, ob wir in
                                                                einem zyklischen Weltall
                                                                leben oder nicht.

                                                                                           51
F o t o s: Debra K ellner / Simons Observat ory

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        ler als Mentoren aus, die für ihre kreativen Ideen                   mittlerweile 40 Jahre andauernden Unterfangens
        bekannt sind. Einer von ihnen, Paul Steinhardt,                      sind bisher fehlgeschlagen – inklusive String-
        hatte maßgeblich zur Entwicklung der Inflati-                        theorie. Daher probieren die Forscher heute un-
        onstheorie beigetragen. Im Jahr 2002 überraschte                     terschiedliche Modelle aus. „Eine Quantengravi-
        Steinhardt seine Kollegen mit einer Alternative,                     tation ist zwar für einige Probleme der Physik un-
        die ein zyklisches Universum annimmt. Dieses                         erlässlich“, sagt Anna Ijjas, „aber unser Ansatz des
        ekpyrotische Universum vermeidet einen Urknall                       zyklischen Universums benötigt sie nicht.“
        aus dem Nichts ohne Raum und Zeit. Mit dem Be-
        griff „Ekpyrosis“, zu Deutsch etwa „Weltenbrand“,                In allen zyklischen Modellen ging unsere Welt aus
        erinnerte Steinhardt an alte Mythen vom Ende der                    einem Übergangsstadium hervor: Ein vorheriges
        Welt in einem feurigen Untergang und dem neuer-                     Universum hatte sich langsam zusammengezogen
        lichen Erstehen aus der Asche.                                      und wieder ausgedehnt. Der Urknall war dann ein
                                                                            Urprall oder, wie die Kosmologen auf Englisch sa-
                                                                            gen: Big Bounce anstelle von Big Bang. „In die-
                        Die Inflationstheorie                               sem Moment waren Raum und Zeit in einem Zu-
                                                                            stand, der sich mit den uns bekannten Gesetzen
                       benötigt sehr spezielle                              noch erfassen lässt“, sagt Ijjas. „Um den Urprall
                       Anfangsbedingungen                                   zu beschreiben, brauchen wir nur die Einfüh-
                                                                            rung einer neuartigen Wechselwirkung zwischen
                                                                            Materie und Raumzeit.“
     Seitdem haben sich bei Anna Ijjas die Zweifel an der
        Inflationstheorie verstärkt. Die hat ihrer Meinung               In den vergangenen drei Jahren konnte die Kosmolo-
        nach zwei entscheidende Schwächen: Zum einen                        gin neue, wichtige Ergebnisse vorweisen. In einer
        benötigt sie sehr spezielle Anfangsbedingungen;                     ihrer Berechnungen zog sich das Vorgängeruniver-
        zum anderen führt die Theorie zu der Behauptung,                    sum im Urprall bis auf 10 -25 Zentimeter zusammen.
52      dass unendlich viele Universen mit je unterschied-                  Das ist nur ein Billionstel des Protonendurchmes-
        lichen Eigenschaften entstehen. In einem davon                      sers – und lässt sich dennoch mit der heutigen Phy-
        leben wir.                                                          sik beschreiben. Dieses Modell erklärt auch alle
                                                                            Probleme der ursprünglichen Urknalltheorie, für
     „Was mich daran stört, ist, dass wir dann nicht erklä-                 deren Lösung die Inflation eingeführt wurde. Das
        ren können, woher die Eigenschaften kommen“,                        Urprallszenario von Anna Ijjas und ihren Kollegen
        sagt die Max-Planck-Forscherin. Alles ist möglich,                  kommt ganz ohne diese Hypothese aus. Gleichzei-
        und die Physik kann nicht einmal vorhersagen,                       tig bezieht es die Dunkle Energie mit ein, womit
       was wahrscheinlich ist. Diese Beliebigkeit mag Ij-                   speziell Stringtheoretiker große Probleme haben.
        jas nicht akzeptieren. Ihr Anspruch an die Physik                   So gesehen, hat das zyklische Universum viele
        ist ein anderer: „Ich will wissen, warum die Welt                   Vorteile. Aber: Beschreibt es die Realität? Und wie
        so ist, wie sie ist.“ Damit folgt sie Albert Einsteins              können wir das feststellen?
        hintergründiger Frage: Hatte Gott eine Wahl, als
        er die Welt erschuf?                                             Im Rahmen ihrer ersten Doktorarbeit war Ijjas zu der
                                                                           Erkenntnis gekommen, dass viele Physiker mehr
     Mit Problemen der Inflationstheorie hat sich Ijjas in                 ihren persönlichen Präferenzen und ihrer Weltan-
       ihrer zweiten Dissertation beschäftigt und darin                    schauung folgen, als sie sich selbst eingestehen
       am Schluss eine neue Klasse zyklischer Modelle                      würden. Die schon von Einstein beschworene Intui-
       untersucht. „Diese benötigen weniger Feinab-                        tion spielt eine große Rolle. „Das trifft auch auf
       stimmung“, resümiert sie in ihrer Arbeit. Und sie                   mich zu“, gesteht sie. „Dennoch müssen wir am
       umgeht noch ein anderes ungelöstes Problem der                      Ende empirisch eine Entscheidung treffen können,
       Urknalltheorie. Die Entstehung des Alls aus einer                   ob eine Theorie falsch oder richtig ist.“ Hier hält es
       Quantenfluktuation lässt sich mit den der Wissen-                   die Wissenschaftlerin mit Karl Popper. Nach des-
       schaft heute bekannten Gesetzen der Physik nicht                    sen Erkenntnisphilosophie lassen sich Theorien
       beschreiben. Denn sowohl die Relativitätstheo-                      streng genommen experimentell gar nicht bewei-
       rie als auch die Quantentheorie versagen bei die-                   sen, sondern nur widerlegen. In einem Selektions-
       sem Zustand. Um diesem Dilemma zu entgehen,                         prozess setzen sich diejenigen Theorien durch, die
       suchen die meisten Theoretiker aus diesem Grund                     sich nicht widerlegen lassen. „Die Unzufrieden-
       nach einer Vereinigung der beiden Theorien: einer                   heit mit der Inflationstheorie in dieser Hinsicht hat
       Quantengravitation. Doch alle Versuche dieses                       mich auf die Alternative gebracht“, sagt Anna Ijjas.

                                                Max Planck Forschung · 1 | 2020
DIE PHILOSOPHIN DES URPRALLS - MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT
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                                                                                                                         I llustration: M ikkel J uul J ensen / S cience Pho t o L ibrary
                          Ende und Anfang:
    Nach dem Urprallmodell ging das heutige
     Universum aus einem Vorgänger hervor.
          Der zog sich am Schluss bis auf ein
              winziges Volumen zusammen,
        aus dem in einem Umschwung unser
                           Kosmos entstand.

                                                                                                                                                                                            53

          Sie braucht eine Strategie,                            aber keine Zeit mehr dafür. Einen Fernseher
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                  um auf Tagungen                                häufig zu Hause weiter – am zyklischen Univer-
         wahrgenommen zu werden                                  sum. Und dieses Modell bietet tatsächlich nach
                                                                 Popper’scher Forderung die Möglichkeit der Fal-
                                                                 sifizierung. Die Inflation war energetisch so heftig,
Auf Tagungen hat sie es mit dieser „abseitigen“ Kos-             dass in dieser Phase Gravitationswellen entstanden
  mologie nicht immer leicht – erst recht nicht als              sein müssen. Der Umschwung im zyklischen Uni-
  Frau, die zudem auch noch jünger aussieht, als sie             versum verlief dagegen eher sanft, ohne schwere
  ist. Viele nahmen sie oft nicht ernst. „Sie dachten,           Erschütterungen der Raumzeit. In der kosmischen
  ich sei eine kleine Studentin, die ihnen nichts zu             Hintergrundstrahlung müssten sich Spuren dieser
  sagen habe“, erinnert sie sich. Sie hat keine Prob-            Anfangsphase noch nachweisen lassen.
  leme mit sachlicher Kritik, musste aber eine Stra-
  tegie entwickeln, um überhaupt wahrgenommen                Diese überall am Himmel beobachtbare Hinter-
  zu werden. „Ich will nicht den anderen das Gefühl            grundstrahlung gilt als älteste Kunde im Uni-
  vermitteln, dass sie mit ihrer Forschung falschlie-          versum. Sie entstand etwa 380 000 Jahre nach der
  gen, sondern ich will lediglich meinen Standpunkt            Geburt des Alls und weist dezente Schwankungen
  darlegen, ohne einen alleinigen Anspruch auf die             auf, die als Keimzellen für die weitere Entwick-
  Wahrheit zu erheben.“                                        lung zu Galaxien und Galaxienhaufen gelten. Die
                                                               von der Inflation ausgelösten Gravitationswellen
Anna Ijjas schätzt eine sachliche Diskussion und               müssten eine Polarisation – eine teilweise Aus-
  respektiert andere Meinungen. Sie lebt für die               richtung der Wellen in der Hintergrundstrah-
  Wissenschaft, für Hobbys bleibt kaum Zeit. Täg-              lung – verursacht haben. Im Frühjahr 2014
  liches Joggen, ab und zu der Besuch einer Oper               ging eine Meldung um die Welt, wonach For-
  oder eine Bergwanderung, das war’s im Wesent-                scher mit einem Teleskop namens B      ­ICEP 2
  lichen. Violine spielen hat sie gelernt, findet jetzt        genau diese Polarisation nachgewiesen haben woll-

                                                  Max Planck Forschung · 1 | 2020
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                              Reger Austausch:
                                  Anna Ijjas im
                             Gespräch mit dem
                              Kosmologen Paul
                             Steinhardt (Mitte)
                             von der Princeton
                                University und
                             Roman Kolevatov,
                                       der dort
                                 Doktorand ist.
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       ten. Der Beweis für das inflationäre Universum                     Universums widerlegt würde? „Nach Popper wäre
       schien erbracht. Doch genauere Analysen unter                      es der ideale Fall, denn dann wissen wir zumin-
       Einbeziehung von Daten des europäischen Welt-                      dest, wie das Universum nicht beschaffen ist, und
       raumteleskops Planck widerlegten das Ergebnis:                     hätten auch viel gelernt“, sagt Ijjas. Sie müsste sich
       Staub in der Milchstraße hatte die Polarisation der                dann neuen Ideen zuwenden – damit hätte sie je-
       Hintergrundstrahlung verursacht. Seitdem hat                       doch keine Probleme.
       die Suche nach diesem Heiligen Gral der Kosmo-
       logie Fahrt aufgenommen.                                      Zu der schwierigen Frage nach Gottes Tun vor Er-
                                                                       schaffung der Welt zitiert der Kirchenlehrer
     Mit einem der neuen Teleskope, dem Simons-Obser-                  Augustinus übrigens noch einen Kollegen, der da-
       vatorium in der chilenischen Atacamawüste, wird                 rauf spöttisch geantwortet hatte: „Höllen berei-
       Anna Ijjas arbeiten. Finanziert wird das Projekt                tete er für die, die so hohe Geheimnisse ergründen
       von dem amerikanischen Milliardär Jim Simons,                   wollen.“ Bleibt für Anna Ijjas zu hoffen, dass sich
       den Ijjas mit ihren jüngsten Ergebnissen zur Be-                der anonyme Philosoph geirrt hat ...
       rechnung des Urpralls unlängst davon überzeugen
       konnte, ihre Forschung auch nach dem Wechsel an
       das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
       weiter zu unterstützen – eine einmalige Ausnahme,
       da die Simons-Stiftung sich eigentlich auf die För-
       derung von Projekten in den USA beschränkt.
      „Jim ist aus philosophischen Gründen ein Anhän-
       ger des zyklischen Universums“, sagt Ijjas.

     Das Simons-Observatorium könnte die Frage nach
       der Polarisation innerhalb der kommenden fünf
       bis zehn Jahre lösen. Was, wenn sie tatsächlich ge-
       funden und damit die Vorhersage des zyklischen

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