Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e.V - GRUR
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Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e.V. Der Generalsekretär Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e.V. Theodor-Heuss-Ring 32 Theodor-Heuss-Ring 32 50668 Köln 50668 Köln Telefon (0221) 789 59-330 Telefax (0221) 789 59-340 E-Mail office@grur.de www.grur.org 1. Februar 2021 Stellungnahme der GRUR zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts (2. Patentrechtsmo- dernisierungsgesetz - 2. PatMoG) Die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e. V. ist eine als gemeinnützig anerkannte wissenschaftliche Vereinigung sämtlicher auf dem Gebiet des ge- werblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts tätigen Mitglieder von Berufsgruppen und Organisationen; das sind insbesondere Hochschullehrer, Richter, Beamte, Rechtsanwälte, Patentanwälte sowie Vertreter von Verbänden und Unternehmen. Vorbemerkung Eine mögliche Änderung von § 81 Abs. 2 PatG ist Bestandteil des Gesetzespakets zum 2. PatModG. Die GRUR hat in ihren beiden vorangegangenen Stellungnahmen aus März 2020 zum Diskussionsentwurf und aus September 2020 zum Referentenentwurf des 2.PatModG ausdrücklich die beabsichtigte Änderung begrüßt, wonach zukünftig zumindest im Falle einer Verletzungsklage eine Nichtigkeitsklage gegen das betreffende Patent ungeachtet eines an- hängigen oder möglichen Einspruchs zulässig sein soll. Die große Mehrheit des Patentaus- schusses trägt diese Zustimmung auch weiterhin. Die GRUR hält die Ermöglichung der Nich- tigkeitsklage auch bei einem anhängigen oder möglichen Einspruch nicht nur für sinnvoll, sondern für geboten, um unerwünschten Folgen des Trennungsprinzips entgegenzuwirken, was ein Grundanliegen des 2.PatModG darstellt. Die vorgeschlagene Änderung würde ins- besondere im Zusammenwirken mit der geplanten Änderung der Regelung zum rechtlichen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG dem Nichtigkeitsverfahren ein signifikant höheres Gewicht in der Praxis geben und somit zur Herstellung einer angemessenen Balance im Trennungs- prinzip beitragen. 1 / 10 Die Zeichen GRUR und die grüne Farben sind eingetragene Marken der Vereinigung.
Mit der Zulassung der Nichtigkeitsklage auch während eines parallelen Einspruchsverfah- rens oder des Laufes der Einspruchsfrist würden zudem Einschränkungen der Verteidi- gungsmöglichkeiten des Beklagten gegen eine Verletzungsklage, die sich in Deutschland aus dem ansonsten nur in wenigen europäischen Jurisdiktionen geltenden Trennungsprinzip (so in Österreich und Ungarn) ergeben, abgemildert und eine Annäherung an die Situation in anderen für Patentstreitigkeiten bedeutenden Jurisdiktionen wie den Niederlanden, Großbri- tannien oder Frankreich erzielt. Auch wenn in diesen Ländern wegen des dort nicht gelten- den Trennungsprinzips und der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage oder –widerklage dasselbe Gericht zur selben Zeit über die Fragen der Verletzung und der Nichtigkeit entscheidet, so würde durch die vorgeschlagene Änderung zumindest der rechtliche Hinweis des technisch fachkundigen Bundespatentgerichts dem Verletzungsgericht zu der Zeit seiner Entscheidung über die Verletzungsklage und eine etwaige Aussetzung vorliegen. Wie noch auszuführen sein wird, ist liegt eine solche vorläufige Stellungnahme oder gar Entscheidung der Ein- spruchsabteilung des Europäischen Patentamtes in vielen Fällen jedenfalls im erstinstanzli- chen Verletzungsverfahren zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht vor. Ein überwiegender Teil der Patentverletzungsklagen vor deutschen Gerichten wird aus deut- schen Teilen Europäischer Patente erhoben. Die GRUR verspricht sich daher von der paral- lelen Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage zu einem möglichen Europäischen Einspruchsverfah- ren eine erhöhte wechselseitige Beeinflussung und Annäherung der Rechtsprechung des Europäischen Patentamtes und des Bundespatentgerichts. Ungeachtet der Tatsache, dass im deutschen Nichtigkeitsverfahren auch andere Nichtigkeitsgründe vorgebracht werden können als Einspruchsgründe im Einspruchsverfahren (beispielsweise lässt sich eine ältere, aber unveröffentlichte nationale deutsche Patentanmeldung nur im Nichtigkeitsverfahren geltend machen, nicht jedoch im EP-Einspruchsverfahren), lässt sich bei dem derzeit immer nachgeschalteten Nichtigkeitsverfahren gelegentlich feststellen, dass dieselben Entgegen- haltungen vom Bundespatentgericht ganz anders gewürdigt werden als vom EPA. Dies führt zu größerer Rechtsunsicherheit. Es gibt daher vielfältige Erwägungen, die für eine Strei- chung des § 81 Abs. 2 PatG sprechen. Zum Fragenkatalog im Einzelnen: 2 / 10
A. Praktisches Bedürfnis für eine Modifizierung des § 81 Abs. 2 S. 1 PatG Frage 1.a) Die Annahme im Einleitungssatz, dass sich Verletzungsklagen häufig gegen (sehr) alte Pa- tente richten, so dass § 81 Absatz 2 Satz 1 PatG der Erhebung einer Nichtigkeitsklage nur selten, entgegenstehen dürfte, wird in dieser Allgemeinheit von der GRUR nicht geteilt. Zu- nächst ist darauf hinzuweisen, dass für die praktische Relevanz der derzeitigen Regelung des § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG nicht das Alter des Patentes in dem Sinne maßgeblich ist, wie- viel Zeit vom Anmeldetag bis zur Geltendmachung im Verletzungsverfahren verstrichen ist, sondern vielmehr die Frage, ob Patente unmittelbar nach ihrer Erteilung, d.h. noch während des Laufes der Einspruchsfrist, in Verletzungsverfahren geltend gemacht werden. Auch wenn den Mitgliedern des Patentausschusses hierzu keine Statistiken vorliegen, so wurde doch einhellig die Erfahrung berichtet, dass zunehmend Patente unmittelbar nach ihrer Ertei- lung im Verletzungsverfahren geltend gemacht werden. Dies gilt insbesondere für europäi- sche Patente in den Bereichen Life Sciences und Kommunikationstechnologie, wobei es sich oft um Patente handelt, die aus Teilanmeldungen hervorgegangen sind. Es wurden Schät- zungen zwischen 20 und 40% aller Verletzungsfälle genannt, in denen die Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist. Eine solche unverzügliche Geltendmachung noch vor Ablauf der Einspruchsfrist mag bei deutschen Patenten insbesondere im Bereich der Mechanik nicht im gleichen Maße anzutreffen sein; auch mag ein mittelständisches Unternehmen zumindest traditionell ein Patent nicht unverzüglich nach seiner Erteilung geltend machen. Dies ändert aber nichts an der Beobachtung, dass bei vielen insbesondere europäischen Patenten es einen wesentlichen Teil der Strategie der Patentinhaber darstellt, das Patent gerade in Deutschland unmittelbar nach seiner Erteilung geltend zu machen, weil hier nach der gelten- den Regelung anders als in anderen wesentlichen Jurisdiktionen keine Nichtigkeitsklage während der Einspruchsfrist und des Einspruchsverfahrens droht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch bei frühzeitiger Einlegung eines Einspruchs unmit- telbar nach Veröffentlichung der Patenterteilung das Einspruchsverfahren vom EPA während der 9 Monate dauernden Einspruchsfrist nicht vorangetrieben wird. Dies ist ein Zeitraum, in dem deutsche Verletzungsgerichte wie beispielsweise die Landgerichte in Mannheim und München regelmäßig bereits einen Termin zur mündlichen Verhandlung über die Verlet- zungsklage anberaumen. Ein Beschleunigungsantrag beim EPA im Hinblick auf ein anhängiges Verletzungsverfahren wird zwar nach der Beobachtung mancher Mitglieder des Patentausschusses noch immer nicht so häufig gestellt, wie dies möglich wäre. Er führt zwar zu einer Beschleunigung des Einspruchsverfahrens, so dass zwischen dem Ablauf der Einspruchsfrist und der Ein- 3 / 10
spruchsverhandlung ca 12 Monate vergehen, mit einer Ladung und einem qualifizierten Hin- weis ca 7 bis 8 Monate nach Ablauf der Einspruchsfrist (Dieser Zeitraum ist derzeit allerdings wegen der COVID 19-Pandemie nicht mehr einzuhalten). Auch dies führt aber zu einem Zeit- raum von 21 Monaten seit Patenterteilung bis zur Einspruchsverhandlung bzw. 16 bis 17 Monaten nach Patenterteilung bis zum vorläufigen Hinweis, also einer Zeitspanne, die be- deutend länger ist als ein erstinstanzliches Verletzungsverfahren. Noch problematischer ist der Zeitlauf des Beschwerdeverfahrens angesichts des erheblichen Rückstaus bei den Technischen Beschwerdekammern des EPA. Dort ist eine Beschleuni- gung oft in der Praxis nicht zu erreichen. Wird der Fall gar von der Technischen Beschwer- dekammer an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, bleibt die Nichtigkeitsklage oft für die gesamte Laufzeit eines Verletzungsverfahrens ausgeschlossen. Aus allen angeführten Gründen erscheint der GRUR der Ausschluss der Nichtigkeitsklage für die Zeit des Laufes der Einspruchsfrist oder eines Einspruchsverfahrens in hohem Maße praxisrelevant. Diese Problematik besteht insbesondere bei europäischen Patenten. Bei deutschen Patenten mag diese Problematk weniger ausgeprägt sein. Dort gelangt der Ein- sprechende mit der Beschwerde gegen Entscheidungen des DPMA bereits zum Bundespa- tentgericht. Für Verletzungsverfahren in Bereichen wie Life Science und Kommunikations- technologie ist dies jedoch nur von geringer praktischer Relevanz, da Verletzungsverfahren in diesen Bereichen fast ausschließlich auf europäische Patente gestützt werden. Fragen 1.b) und 1.c) Über die oben angeführten allgemeinen Beobachtungen hinaus kann die GRUR keine kon- kreten Zahlenwerte für den angefragten Betrachtungszeitraum beisteuern. Frage 2.a) Die Mitglieder des Patentausschusses können in der Praxis keinen Unterschied dahinge- hend erkennen, dass ein Verletzungsgericht einen rechtlichen oder vorläufigen Hinweis an- ders bewertet, je nachdem, ob er vom Bundespatentgericht oder von einer Einspruchsabtei- lung verfasst wurde. Die Verletzungsgerichte bewerten solche Hinweise in gleicher Weise danach, wie überzeugend die Hinweise in der Sache sind. Dabei ist eine Entwicklung zu be- obachten, dass die Verletzungsgerichte in gesteigertem Maße den Hinweisen folgen und ihre Prüfung darauf konzentrieren, ob diese erkennbar unzutreffend sind. Positiv wirkt sich in die- sem Zusammenhang aus, dass sowohl die Ladungshinweise der EPA-Einspruchsabteilung 4 / 10
als auch die gerichtlichen Hinweise des BPatG jedenfalls im Allgemeinen an Aussagekraft gewonnen haben. Frage 2.b) Gemäß Art. 105 Abs. 1 EPÜ (entsprechend § 5 Abs. 2 PatG) kann jeder Dritte nach Ablauf der Einspruchsfrist dem Einspruchsverfahren beitreten, wenn er nachweist, dass gegen ihn Klage wegen Verletzung des Patents erhoben worden ist. Wenn ein Beklagter im Patentver- letzungsverfahren sich mit der Situation konfrontiert sieht, wegen eines anhängigen Ein- spruchsverfahrens keine Nichtigkeitsklage erheben zu können, wird er in der weitaus über- wiegenden Zahl der Fälle diese Möglichkeit des Beitritts wählen müssen, um seine Interes- sen hinreichend zu wahren. Anderenfalls hat er keine Möglichkeit, selbst Argumente gegen die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents vorzubringen oder auf das Einspruchsverfahren Einfluss zu nehmen. Der Beitretende muss aber das Einspruchsverfahren in dem Verfah- rensstand annehmen, in dem es sich befindet und hat deshalb nicht dieselben Möglichkeiten wie bei einer von ihm erhobenen Nichtigkeitsklage. Im Einspruchsverfahren ist es auch nicht ungewöhnlich, dass die einzelnen Einsprechenden die Erfolgsaussichten einzelner Ein- spruchsgründe und die Relevanz einzelner Entgegenhaltungen unterschiedlich bewerten, was zur Widersprüchlichkeit der Argumente und damit zu einer geringeren Aussicht führen kann, mit dem Einspruch den Widerruf des Patentes zu erreichen. Besonders misslich ist die Lage eines Verletzungsbeklagten, wenn er einem laufenden Ein- spruchsbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt beitreten muss. Denn dort erlangt er lediglich die Stellung eines sonstigen Verfahrensbeteiligten i.S.d. Art. 107 Satz 2 EPÜ, was zur Folge hat, dass nach einer etwaigen Rücknahme der Beschwerde oder der Beschwerden seine Verfahrensbeteiligung endet (Entscheidung G 3/04, LS) und er darauf verwiesen ist, die Scherben seines Angriffs neu zu kitten und in eine dann zu erhebende Nichtigkeitsklage einzubringen. Der beitretende Verletzungsbeklagte muss zudem das Ver- bot der Reformatio in Peius zugunsten des Patentinhabers gegen sich gelten lassen. Wird somit ein Einspruchsverfahren von einer Beschwerdekammer in die erste Instanz zurück- verwiesen (in der Praxis geschieht dies häufig zur Anpassung lediglich der Beschreibung an geänderte Patentansprüche) und tritt ein Verletzungsbeklagter in diesem Stadium bei, wirkt die Rechtskraft der zuvor getroffenen Beschwerdekammerentscheidung auch gegenüber ihm, ein Angriff auf die in der Beschwerdekammerentscheidung aufrechterhaltenen Pa- tentansprüche ist ihm verwehrt. Steht dem Verletzungsbeklagten als Stand der Technik ein nationales älteres Recht zur Verfügung, kann er dies im laufenden Europäischen Ein- spruchsverfahren nicht geltend machen und muss bis zum Abschluss dieses Verfahrens warten, um sodann Nichtigkeitsklage zu erheben. 5 / 10
Kann der Verletzungsbeklagte eine eigene Nichtigkeitsklage erheben, so bestimmt er unab- hängig von anderen Parteien die Nichtigkeitsangriffe gegen das Patent. Zu Widersprüchen in der Argumentation kann es allenfalls bei der Verbindung und gleichzeitiger Verhandlung pa- ralleler Nichtigkeitsklagen kommen, was eine besondere nicht häufig anzutreffende Fallge- staltung darstellt. Grundsätzlich hat der Verletzungsbeklagte daher nach der Erfahrung der Mitglieder im Pa- tentausschuss eine ungünstigere Position als im Nichtigkeitsverfahren. Frage 2.c) Wie oben erläutert, dürfte der unmittelbare Zugang des Verletzungsbeklagten zur Nichtig- keitsklage, insbesondere im Zusammenwirken mit der geplanten Frist für den rechtlichen Hinweis von 6 Monaten nach Eingang der Nichtigkeitsklage, bei Verletzungsklagen aus ei- nem europäischen Patent unmittelbar nach deren Erteilung dem Verletzungsbeklagten über- haupt die Möglichkeit eröffnen, dass eine vorläufige Beurteilung des Rechtsbestandes des Patentes zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über die Verletzungsklage vorliegt. Dies wäre eine wesentliche Veränderung gegenüber dem jetzigen Verfahrensstand bei einer beträchtlichen Anzahl von Verletzungsklagen. Zudem würde eine Parallelität von Einspruchsverfahren und Nichtigkeitsverfahren für eine größere Rechtssicherheit hinsichtlich des Rechtsbestandes der Patente führen. Ein nachge- schaltetes Nichtigkeitsverfahren, das nach einem Einspruchsverfahren zu einer anderen Be- wertung des Rechtsbestandes des Patentes gelangt, nützt weder dem Patentinhaber, der möglicherweise aus einem Verletzungsurteil bereits vollstreckt hat, noch gar dem Verlet- zungsbeklagten, wenn durch die Vollstreckung des Verletzungsurteiles irreparable Schäden entstanden sind. Regelmäßig werden Verletzungsbeklagte die Nichtigkeitsklage nachge- schaltet auch gar nicht mehr erheben können, weil sie aufgrund wirtschaftlicher Zwänge vor- her den Rechtsstreit durch Vergleich beilegen müssen. Auch Dritte erlangen bei einer Paral- lelität des Einspruchs- und des Nichtigkeitsverfahrens größere Rechtssicherheit. Ein weiterer wesentlicher Aspekt, der für das Nichtigkeitsverfahren im Unterschied zum Ein- spruchsverfahren spricht, ist zum einen die Erweiterung der Nichtigkeitsgründe gegenüber den Einspruchsgründen und zum anderen die Möglichkeit der Einführung nationaler nach- veröffentlichter Patentanmeldungen bei der Neuheitsprüfung. Dies ist über Art. 139 Abs. 2 EPÜ im Nichtigkeitsverfahren möglich. Auch insoweit besteht mithin ein Bedürfnis, die Nich- 6 / 10
tigkeitsklage schon während des laufenden Einspruchsverfahrens zu erheben. Dies ist bis- lang ausgeschlossen (vgl. BGH GRUR 2011, 848 – Mautberechnung). B. Mögliche rechtliche Ausgestaltung einer Modifizierung des § 81 Absatz 2 Satz 1 PatG Frage 1. Die GRUR empfiehlt aus den genannten Gründen eine vollständige Streichung des § 81 Ab- satz 2 PatG, alternativ eine Änderung des § 81 Absatz 2 Satz 1 PatG dahingehend, die Nich- tigkeitsklage jedenfalls für einen definierten Personenkreis auch während des Laufes der Einspruchsfrist oder einem laufenden Einspruchsverfahren zuzulassen. Frage 1.a) Eine Mehrheit des Patentausschusses befürwortet eine vollständige Streichung des § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG ohne die vorgeschlagene Einschränkung, dass eine Nichtigkeitsklage nur für eine Partei zulässig sein soll, die wegen Verletzung eines Patents in Anspruch genom- men wird. Für eine vollständige Streichung sprechen zum einen die Probleme und die Rechtsunsicherheit, die mit einer Abgrenzung der Fälle verbunden sind, in denen eine Nich- tigkeitsklage zulässig sein soll (hierzu unter 1 a)). Zum anderen liegt es nicht nur im Interes- se des Verletzungsbeklagten, sondern auch im öffentlichen Interesse, dass ein nicht rechts- beständiges Patent für nichtig erklärt wird. Dass über eine solche Frage das Bundespatent- gericht erst nachrangig nach Abschluss eines Einspruchsverfahrens insbesondere beim EPA entscheiden können soll, trägt diesem Interesse nur unzureichend Rechnung. Nach Ansicht der GRUR ist es unwahrscheinlich, dass eine Parallelität von Nichtigkeitsklage und Einspruchsverfahren dazu führt, dass in einem beträchtlichen Umfang Nichtigkeitsklagen von Parteien erhoben werden, die hieran kein berechtigtes Interesse haben. Hiergegen spricht bereits der nicht unerhebliche Kostenaufwand, der mit solchen Nichtigkeitsverfahren verbunden ist. Gerade dann, wenn ein Dritter kein unmittelbares Interesse an der Nichtiger- klärung eines Patentes hat, ist es zudem unwahrscheinlich, dass er ein solches aufwändiges Nichtigkeitsverfahren parallel zu einem von anderen betriebenen Einspruchsverfahren durch- führt. Schließlich spricht vieles auch dafür, dass derjenige, der ein Produkt vertreiben oder ein Ver- fahren nutzen will, das möglicherweise ein Patent verletzt, nicht nur im Einspruchsverfahren, sondern auch mit einer Nichtigkeitsklage die Vernichtung dieses Patentes betreiben kann, ohne zuvor die möglicherweise patentverletzenden Handlungen aufzunehmen und sich da- mit erheblichen Haftungsrisiken auszusetzen. In manchen Jurisdiktionen wie in Großbritan- 7 / 10
nien wird in diesem Zusammenhang sogar eine Verpflichtung „to clear the way“ angenom- men, die allerdings aus gutem Grund nicht der deutschen Rechtsprechung entspricht. Dies ändert aber nichts daran, dass die Verletzungsgerichte regelmäßig darauf hinweisen, dass der Verletzungsbeklagte möglichst frühzeitig den Rechtsbestand des Patentes angreifen sollte. Die GRUR würde jedoch auch einer eingeschränkten Eröffnung der Zulässigkeit der Nichtig- keitsklage parallel zum Einspruchsverfahren oder dem Lauf der Einspruchsfrist unter Be- rücksichtigung der untenstehenden Erwägungen zustimmen. Gegen die vorgeschlagene Formulierung bestehen allerdings mehrere Bedenken. (i) Die Beschränkung der Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage auf eine Partei, die wegen Ver- letzung eines Patents in Anspruch genommen wird, ist zu eng und trägt dem Erfordernis nur unzureichend Rechnung, dass oft eine andere Partei als der Verletzungsbeklagte aus be- rechtigten Gründen als Nichtigkeitsklägerausgewählt wird. Dies gilt zunächst innerhalb einer Unternehmensgruppe, wenn der Verletzungsbeklagte ein Unternehmen darstellt, dem, wenn es eine Nichtigkeitsklage erhebt, aufgrund seines Sitzes der Einwand der Prozesskostensi- cherheit gemäß § 110 ZPO entgegengehalten werden könnte. Ein solcher Zwischenstreit, der nicht nur Unternehmen mit Sitz in den USA, sondern nach derzeitiger Lage nach dem Brexit auch z.B. Unternehmen mit Sitz in Großbritannien betreffen könnte, kann sehr zeitrau- bend sein und damit das Ziel, möglichst bald einen gerichtlichen Hinweis des Bundespatent- gerichts zu erhalten, zunichtemachen. Mindestens ebenso praxisrelevant sind die Fallgestal- tungen, bei denen ein Zulieferer des Verletzungsbeklagten derjenige ist, der ein besonders starkes Interesse an einer Nichtigerklärung des Patentes hat, und zwar unabhängig davon, ob er prozessual Streitgenosse des Verletzungsbeklagten ist oder nicht. (ii) Auch die Beschränkung darauf, dass eine Partei wegen Verletzung eines Patentes in An- spruch genommen wird, ist zu eng. Zunächst bleibt unklar, wann eine solche Inanspruch- nahme anzunehmen ist. Muss hierfür bereits eine Abmahnung vorliegen oder genügt eine Berechtigungsanfrage oder ein Besichtigungsverfahren? Auch gibt es Fallgestaltungen, in denen nicht die Verletzung des Patentes den Gegenstand des Streites darstellt, sondern die Benutzung eines Patentes zu anderen Folgen führt wie beispielsweise einer Lizenzzah- lungspflicht. Auch in diesen Fällen besteht ein berechtigtes Interesse an der Klärung des Rechtsbestandes eines Patentes. Die vorgeschlagene Formulierung enthält weitere Ungenauigkeiten. So könnte der unbe- stimmte Artikel „eines“ Patents dahingehend missverstanden werden, dass nicht zwingend 8 / 10
das durch die Nichtigkeitsklage angegriffene Patent gemeint sei. Auch die Verwendung der Gegenwartsform „in Anspruch genommen wird“ kann zu Unsicherheiten darüber führen, ob die Nichtigkeitsklage dadurch unzulässig werden kann, dass eine zuvor ausgesprochene Abmahnung fallen gelassen wird. Dies würde erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge ha- ben. In der Praxis dürfte ein berechtigtes Interesse an einer Nichtigkeitsklage auch dann zu beja- hen sein, wenn der Nichtigkeitskläger zuvor nur im Ausland, aber noch nicht in Deutschland wegen Verletzung des Patents in Anspruch genommen wurde. Die GRUR hat erhebliche Zweifel, dass alle diese Fallkonstellationen durch einen abschlie- ßenden Katalog erfasst werden könnten, der zudem zukünftig auftretende Fallkonstellatio- nen, die dieselbe Wertung rechtfertigen, nicht erfassen könnte. Die GRUR schlägt stattdessen vor, dass- sollte eine Beschränkung der Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage vorgesehen werden- diese am berechtigten Interesse des Nichtigkeitsklä- gers anknüpft. Das berechtigte Interesse ist dem Nichtigkeitsverfahren nicht fremd, so bei- spielsweise für eine Nichtigkeitsklage nach Ablauf des Patentes. Auch bei einer negativen Feststellungsklage ist es zu prüfen. Um eine zu enge subjektive Einschränkung zu vermei- den, sollte nicht auf den Verletzungsbeklagten oder die Partei, die wegen Verletzung des Patents in Anspruch genommen wird, abgestellt werden, sondern auf das berechtigte Inte- resse des Nichtigkeitsklägers. Frage 1.b) Die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen, insbesondere bei europäischen Paten- ten, besteht schon heute. Eine solche Fallgestaltung kann etwa dann eintreten, wenn im eu- ropäischen Einspruchsverfahren und im nationalen Beschränkungsverfahren (§ 64 PatG) unterschiedliche Anspruchssätze vom Patentinhaber geltend gemacht oder das Patent vom EPA in anderer Weise beschränkt wird als in dem nationalen Beschränkungsverfahren. Die Rechtsprechung hat dafür bislang auch ohne gesetzliche Regelung eine pragmatische Lö- sung gefunden. Als geschützt verbleibt nur dasjenige, was zugleich nach beiden Entschei- dungen noch unter Schutz steht (vgl. BGH GRUR 2001, 730 –Trigonellin). Diese Lösung führt zu angemessenen Ergebnissen. Sie belässt einerseits dem Patentinha- ber die größtmögliche Freiheit im Hinblick auf die Gestaltung der Patentansprüche. Anderer- seits wird auch tatsächlich nur noch ein Schutz dafür gewährt, was nach dem übereinstim- menden Teil der Entscheidungen als angemessen festgestellt wird. 9 / 10
Diese Regelung lässt sich auch auf die hier zur Diskussion stehende Fallgestaltung ohne Weiteres übertragen. Eine besondere gesetzliche Regelung erscheint dafür nicht notwendig. Frage 2. Eine Aussetzung des Nichtigkeitsverfahrens durch das Bundespatentgericht mit Blick auf ein anhängiges Einspruchsverfahren würde der Zielsetzung der geplanten Änderung des § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG widersprechen und muss deshalb vermieden werden. Die GRUR hat auch Bedenken dagegen, eine Aussetzung nur bis zu dem Zeitpunkt auszuschließen, bis der rechtliche Hinweis nach § 83 Absatz 1 PatG ergangen ist. Auch nach diesem Hinweis soll das Nichtigkeitsverfahren vom Bundespatentgericht zügig fortgesetzt werden. Wird das Ver- letzungsverfahren aufgrund eines solchen rechtlichen Hinweises ausgesetzt, so darf diese Aussetzung des Verletzungsverfahrens nicht durch eine parallele Aussetzung des Nichtig- keitsverfahrens verlängert werden. Fraglich ist in diesem Zusammenhang schon die Vorgreiflichkeit des Einspruchsverfahrens im Sinne von § 148 ZPO. Im Hinblick auf die Parallelität von Nichtigkeitsverfahren und Be- schränkungsverfahren wird regelmäßig die Vorgreiflichkeit des Beschränkungsverfahrens verneint (vgl. statt vieler Schulte/Voit, Patentgesetz, 10. Auflage 2017; § 81 PatG Rn. 163). Ähnlich mag dies auch für Einspruchsverfahren zu beurteilen sein. Denn das Bundespatent- gericht kann im Nichtigkeitsverfahren ohne Weiteres ein Patent beschränken oder vernich- ten, selbst wenn das Patent im Einspruchsverfahren aufrechterhalten wurde. Gleiches gilt für den umgekehrten Fall, in dem das Patent im Einspruchsverfahren vollständig widerrufen wird. Dann dürfte eine Erledigung der Hauptsache im Nichtigkeitsverfahren eintreten. Ob ausdrückliche Hinweise in der Gesetzesbegründung, dass ein paralleles Einspruchsver- fahren keinen Grund für eine Aussetzung darstellt, genügen, um in der Praxis solche Aus- setzungsentscheidungen zu verhindern, oder es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedarf, muss der Beurteilung des Gesetzgebers überlassen werden. Dr. Gert Würtenberger Dipl.-Ing. Stephan Freischem Präsident Generalsekretär 10 / 10
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