Brauchen wir ein Triage-Gesetz? Zur Verteilung von Überlebenschancen bei unzureichenden medizinischen Ressourcen - Hauptabteilung Analyse und ...
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Berlin, 7. April 2020 Hauptabteilung Analyse und Beratung Abteilung Demokratie, Recht und Parteien Brauchen wir ein Triage-Gesetz? Zur Verteilung von Überlebenschancen bei unzureichenden medizinischen Ressourcen Teil 1 Dr. Katja Gelinsky www.kas.de
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin 2 Informationen & Recherchen 7. April 2020 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin Wahlanalyse Mai 2018 2 2 Inhaltsverzeichnis Einleitung 3 Die aktuelle Rechtslage: keine spezifische gesetzliche Regelung 3 Vorgaben des Grundgesetzes 4 Straf- und Deliktsrecht 4 Zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung 4 Parlamentsvorbehalt und Wesentlichkeitstheorie 5 Unsicherheiten bei der verfassungsrechtlichen Bewertung 5 Fragwürdige Grundorientierung 5 Ergebnis: Verantwortung des Gesetzgebers debattieren 6 Danksagung 7 Impressum 7 Die Autorin .......................................................................................................................................................... 7
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin 3 Informationen & Recherchen 7. April 2020 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin Wahlanalyse Mai 2018 3 3 Einleitung In einem zweiten Teil sollen die Optionen des Ge- setzgebers zur rechtlichen Regelung der Triage- In der Corona-Krise haben existentielle Entschei- Problematik beleuchtet werden. Der Schwerpunkt dungsfragen bedrückende Aktualität bekommen. wird auf den Vorgaben des Grundgesetzes liegen, Wenn Krankenhäuser nicht mehr über ausrei- die die Politik zu beachten hat. Auszuloten ist un- chende Kapazitäten verfügen, um alle Notfallpati- ter anderem, inwieweit der Gesetzgeber an ethi- enten zu versorgen, muss entschieden werden, sche Leitlinien anknüpfen könnte und in welchen wem in welcher Reihenfolge geholfen wird – und Konstellationen aufgrund verfassungsrechtlicher wer möglicherweise stirbt, weil die Ressourcen Maßgaben rechtliche und ethische Wertungen nicht reichen (sogenannte Triage-Problematik). auseinanderfallen könnten. Alarmiert durch Nachrichten überlasteter Kran- Vorweggeschickt sei, dass es unter Juristen, ähn- kenhäuser in anderen europäischen Ländern ha- lich wie in anderen Disziplinen, ein breites Mei- ben am 25. März 2020 sieben medizinische Fach- nungsspektrum mit zahlreichen Schattierungen gesellschaften Empfehlungen zu „Entscheidungen zum Thema Triage gibt. Einigkeit besteht vielleicht über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- am ehesten darüber, dass das Recht an seine und Intensivmedizin im Kontext der COVID-19- Grenzen stößt, wenn Überlebenschancen und Pandemie“ veröffentlicht. Zwei Tage nach den Sterblichkeitsrisiken mangels ausreichender me- Fachgesellschaften meldete sich der Ethikrat mit dizinischer Kapazitäten zugeteilt werden müssen. einer Ad-hoc-Empfehlung „Solidarität und Verant- Was immer der Gesetzgeber mit Blick auf die ärzt- wortung in der Corona-Krise“ zu Wort, in der sich lichen Auswahlentscheidungen auch festlegen unter anderem eine Passage zur Triage findet. Auf mag, das Grundproblem – der Mangel an lebens- beide Papiere wird später ausführlich einzugehen rettenden Behandlungsmöglichkeiten – kann sein. Hier sei lediglich angemerkt, dass die Emp- dadurch nicht behoben werden. Kein noch so fehlungen keine rechtliche Bindungswirkung ha- sorgsam und klug erdachtes Auswahlkonzept ben. Wie Gerichte sie möglicherweise einordnen, kann darüber hinweghelfen, dass nicht alle Pati- bleibt abzuwarten. enten gerettet werden können. Wäre die Politik also klug beraten, eine Debatte über das heikle Müsste oder sollte also der Gesetzgeber Vorga- Thema von vornherein meiden? Wie noch darzu- ben zum Umgang mit der Triage-Problematik ma- legen sein wird, wäre das der existentiellen Trage- chen? Und wenn ja, was genau sollte die Politik weite des Problems nicht angemessen. regeln? Welche Maßstäbe und Kriterien wären für die Verteilung von Überlebenschancen und Ster- Die aktuelle Rechtslage: keine spezifi- berisiken anzulegen? Zusammenfassend gefragt: sche gesetzliche Regelung Welche Verantwortung trifft den Gesetzgeber für die rechtliche Bewältigung einer Notsituation, in Was sieht das deutsche Recht für den Fall unzu- der das Gesundheitssystem überfordert ist? Für reichender intensivmedizinischer Behandlungs- die Suche nach Antworten möchte dieser Beitrag möglichkeiten bei Epidemien oder anderen Kata- Denkanstöße geben. strophen vor? Wie also verhält sich die Rechtsord- nung, wenn Ärzte gezwungen sind, Überlebens- In einem ersten Teil soll erörtert werden, ob und chancen zuzuteilen? Angesichts der Schwere der gegebenenfalls warum es einer gesetzlichen Re- Konfliktsituation und ihrer tödlichen Folgen mag gelung für die Zuteilung medizinischer Ressour- erstaunen, dass es keine darauf zugeschnittene cen bedarf, wenn diese aufgrund einer Epidemie gesetzliche Normierung gibt. Lediglich für den oder einer anderen Katastrophe nicht für alle Spezialfall der Organtransplantation hat der Bun- Notfallpatienten reichen. Anders gefragt: Sind die desgesetzgeber Anordnungen getroffen, wie auf- bisherigen Vorgaben ausreichend oder ist der ak- grund der Ressourcenknappheit zu verfahren sei tuelle Rechtszustand möglicherweise verfas- (Art. 12 Abs. 3 Transplantationsgesetz: Die ver- sungsrechtlich defizitär? mittlungspflichtigen Organe sind von der Vermitt- lungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Er-
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin 4 Informationen & Recherchen 7. April 2020 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin Wahlanalyse Mai 2018 4 4 kenntnisse der medizinischen Wissenschaft ent- Tod zugeschnitten sind. Außerdem ist die straf- sprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und rechtliche Bewertung von Rettungskonflikten um- Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermit- stritten. Handelt ein Arzt, dem keine andere Wahl teln.) Auf den Pandemiefall oder andere Katastro- bleibt, als den Tod eines Patienten in Kauf zu neh- phenfälle ist diese Spezialregelung jedoch nicht men, um einen anderen Patienten zu retten, ge- anwendbar. rechtfertigt, also im Einklang mit der Rechtsord- nung? Oder käme, jedenfalls in bestimmten Fall- Das bedeutet allerdings nicht, dass Ärzte, die dar- konstellationen, allenfalls ein Entschuldigungs- über entscheiden müssen, welche Patienten in le- grund in Betracht? Dann bliebe der Arzt zwar bensbedrohlicher Lage anstelle anderer Patienten straffrei, sein Handeln würde aber als Verstoß ge- Beatmungsgeräte bekommen, im rechtsfreien gen die Rechtsordnung gewertet. Aufgrund dieser Raum handeln. Unsicherheiten, jedenfalls in gewissen Fallkonstel- lationen, sind strafrechtliche Risiken für Ärzte, die Vorgaben des Grundgesetzes zwischen Notfallpatienten entscheiden müssen, nicht auszuschließen. Zu beachten sind die Vorgaben des Grundgeset- zes. Für die betroffenen Patienten sind vor allem Zur Notwendigkeit einer gesetzlichen der Schutz der Menschenwürde, das Recht auf Regelung Selbstbestimmung, das Recht auf Leben und kör- perliche Unversehrtheit, der Gleichheitsgrundsatz Ob die bisherige Gesetzeslage ausreicht oder der und damit die Diskriminierungsverbote sowie das Gesetzgeber nachbessern und eine Regelung für Sozialstaatsprinzip relevant. Für das medizinische ärztliche Entscheidungen über die Zuteilung Personal sind in erster Linie die Grundrechte der knapper Behandlungskapazitäten in Krisensituati- Gewissensfreiheit und Berufsfreiheit zu nennen. onen schaffen muss, wird unterschiedlich beur- Das Grundgesetz trifft allerdings keine Aussage teilt. In der rechtspolitischen Debatte, wie sie dazu, wie Verteilungskonflikte generell und spezi- während der Arbeit an diesem Beitrag geführt ell im Fall unzureichender medizinischer Kapazitä- wurde, gab es widersprüchliche Einschätzungen. ten zu lösen sind. Im Wege einer Gesamtschau Während die einen argumentieren, der Gesetzge- von Grundrechten und Grundprinzipien wird ein ber dürfe die Notfall- und Intensivmediziner nicht sogenannter derivativer Teilhabeanspruch ange- allein lassen, mahnten andere, man möge die nommen. Das heißt Notfallpatienten steht eine Ärzte in der ohnehin äußerst schwierigen Lage medizinische Behandlung zu, wie sie Anderen in nicht auch noch mit rechtlichen Problemen belas- einer vergleichbaren Lage zuteil wird. Der An- ten. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund Bun- spruch erstreckt sich, solange insgesamt eine me- desverband sah jedenfalls im März „keinen An- dizinische Mindestversorgung gewährt ist, nur auf lass“, eine grundsätzliche Diskussion darüber zu die schon vorhandenen medizinischen Kapazitä- eröffnen, ob ein Priorisierungsgesetz notwendig ten. ist oder nicht. Straf- und Deliktsrecht Auffällig ist, dass die Frage, ob der Gesetzgeber aktiv werden sollte, jedenfalls in der Anfangs- Wenn Patienten sterben, weil Ärzte das lebensret- phase der Debatte, vor allem mit Blick auf die be- tende Beatmungsgerät einem anderen Notfallpa- troffenen Ärzte geführt wurde. Unter dem Ein- tienten zuteilen, ist das Strafrecht (sowie auch das druck erschütternder Berichte aus dem Ausland zivilrechtliche Haftungsrecht) einschlägig, konkret ist das verständlich. Zweifellos wird Ärzten Extre- sind der Straftatbestand des Totschlags und die mes zugemutet, wenn sie über die Verteilung le- strafrechtlichen Rechtsfertigungs- und Entschuldi- bensrettender Beatmungsgerate entscheiden gungsgründe zu erwähnen. Aber auch im Strafge- müssen. Aber Hauptbetroffene sind die Patien- setzbuch finden sich keine Normen, die speziell ten. Für sie geht es um Leben und Tod. auf die konfliktbelastete Tragweite knappheitsbe- dingter Vorrangentscheidungen über Leben und
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin 5 Informationen & Recherchen 7. April 2020 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin Wahlanalyse Mai 2018 5 5 Parlamentsvorbehalt und Wesentlich- schaffen, in der nicht alle Patienten intensivmedi- keitstheorie zinisch behandelt werden könnten. Verfassungs- rechtlich sei diese „legislative Enthaltsamkeit“ Der Parlamentsgesetzgeber kann nicht nach Be- nicht hinnehmbar (stellvertretend für die kriti- lieben entscheiden, ob er aktiv wird oder untätig schen Stimmen sei auf die ausführliche Argumen- bleibt. Als einzig unmittelbar gewähltes Staatsor- tation von Alexander Brech, Triage und Recht, gan muss das Parlament grundlegende Entschei- Berlin 2008, 308ff., 387f., 390f. verwiesen). Deut- dungen für das Gemeinwesen treffen. Abgeleitet lich zurückhaltender äußern sich Rechtsprofesso- wird der so genannte Vorbehalt des Gesetzes aus ren, die als Mitglieder des Deutschen Ethikrates dem Demokratieprinzip und dem rechtsstaatli- die Empfehlung des Gremiums zur Triage-Proble- chen Aspekt der Rechtssicherheit. Nach der We- matik mitgetragen haben. „Ich bin selbst, das ge- sentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts stehe ich gerne, unsicher in der verfassungsrecht- ist ein Parlamentsgesetz in grundlegenden lichen Bewertung“, sagt der Kölner Rechtsprofes- normativen Bereichen erforderlich, vor allem bei sor Wolfram Höfling. Wie schwer eine Einschät- weitreichenden Auswirkungen auf die Grund- zung fällt, wird auch in den Leitlinien des Ethikra- rechte der Bürger. tes angedeutet. Für manche Konstellationen, in denen der Bedarf an lebenserhaltenden medizini- Können im Fall einer Epidemie mangels ausrei- schen Ressourcen nicht für alle gedeckt werden chender medizinischer Kapazitäten nicht alle Not- könne, gebe es „keine rechtlich und ethisch um- fallpatienten versorgt werden, sind die Rechtsgü- fassend befriedigende Lösung“. Wie Höfling ver- ter Leben und Gesundheit, für deren Wahrung weisen auch die Rechtsprofessoren Steffen Augs- der Staat eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht berg und Reinhard Merkel, die die juristischen hat, elementar bedroht. Deshalb liegt die An- Passagen in dem Papier des Ethikrates maßgeb- nahme nahe, die Verantwortung für die Patien- lich ausgearbeitet haben, auf die Normen des tenauswahl dürfe nicht komplett an die Ärzte vor Strafgesetzbuchs und des Grundgesetzes. Die Ga- Ort delegiert werden. Grundvorgaben wären rantie der Menschenwürde, das Grundrecht auf demnach wegen der existentiellen Folgen der Leben und Gesundheit, die verfassungsrechtli- Auswahlentscheidung vom Parlamentsgesetzge- chen Diskriminierungsverbote und das strafrecht- ber zu treffen. liche Instrumentarium böten eine Grundorientie- rung für die rechtliche Bewertung der Triage- Die Wesentlichkeit der Triage-Problematik wird, Problematik. so weit ersichtlich, auch nicht in Frage gestellt. Uneinigkeit und Unsicherheit besteht aber dar- Fragwürdige Grundorientierung über, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Muss der Gesetzgeber handeln, also eine Rege- Wie fragil diese Orientierungshilfe ist, zeigt sich al- lung für die Patientenauswahl in Krisensituatio- lerdings an den kontroversen juristischen Debat- nen treffen? Oder brauchen die Parlamentarier tenbeiträgen zur Bewältigung der Dilemmata, in diese zweifellos schwierige Debatte nicht zu füh- die Ärzte geraten, wenn die medizinischen Kapazi- ren, da sich aus dem bestehenden Recht Grund- täten nicht ausreichen. Da weder das Grundge- vorgaben entnehmen lassen, die der Wesentlich- setz noch das Strafrecht Vorgaben speziell für die keitsrechtsprechung des Bundesverfassungsge- Bewältigung der Triage-Problematik machen, blei- richts genügen? ben erhebliche Unsicherheiten in Situationen, in denen es um Fragen des Überlebens geht. Die Unsicherheiten bei der verfassungs- Unwägbarkeiten werden auch nicht durch die Ge- rechtlichen Bewertung samtschau von Grundgesetz und Strafrecht besei- tigt, zumal ein zentrales strafrechtliches Element – Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wurde die Pflichtenkollision – nur gewohnheitsrechtlich schon lange vor dem Ausbruch der Corona-Epide- anerkannt, aber nicht im Strafgesetzbuch nor- mie kritisiert, der deutsche Gesetzgeber habe es miert ist. Kollidieren zwei gleichwertige Hand- bislang versäumt, eine Grundlage für das ärztli- lungspflichten, von denen nur eine auf Kosten der che Vorgehen im Fall einer Gesundheitskrise zu anderen erfüllt werden kann, so ist weitgehend
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin 6 Informationen & Recherchen 7. April 2020 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin Wahlanalyse Mai 2018 6 6 anerkannt, dass derjenige, der eine Handlungs- Ergebnis: Verantwortung des Gesetz- pflicht erfüllt, rechtmäßig handelt. Dies folgt aus gebers debattieren dem Rechtsstaatsprinzip, denn es wäre nicht rechtens, von jemandem Unmögliches zu verlan- Dass die legislatorische Enthaltsamkeit, die der gen. Der Arzt, der in eine Konfliktsituation gerät, Gesetzgeber bislang mit Blick auf die Zuteilung weil mehr Patienten intensivmedizinisch versorgt von Überlebens- und Sterberisiken übt, den An- werden müssen als Beatmungsgeräte vorhanden forderungen des Parlamentsvorbehalts und der sind, kann nach der gegenwärtigen Rechtslage Wesentlichkeitstheorie genügt, erscheint fragwür- frei entscheiden, wen er rettet. Er muss bei seiner dig. Gleichermaßen fragwürdig wäre aber auch Auswahl auch nicht die im Grundgesetz veranker- verfassungsrechtlicher Dogmatismus, der aus- ten Diskriminierungsverbote beachten. Straf- blendet, was der Gesetzgeber in „dramatischen rechtlich spielt es also keine Rolle, ob der Arzt Handlungs- und Entscheidungssituationen“ – so zum Beispiel Männer gegenüber Frauen bevor- die Formulierung des Ethikrates – zu leisten ver- zugt oder etwa nach der Hautfarbe, Herkunft o- mag. Nicht zufällig bezweifeln die Rechtsprofesso- der Religion der Patienten entscheidet, wer von ren des Ethikrats, die die bisherige Rechtslage für ihnen das einzige, noch verfügbare Beatmungsge- ausreichend halten, dass eine zusätzliche gesetzli- rät bekommt. che Untermauerung der ethischen Leitlinien zur Patientenauswahl in rechtlicher oder praktischer Dieses Ergebnis mag befremden. Die Grund- Hinsicht dienlich wäre. In einer existentiellen Aus- rechte sind schließlich auch Ausdruck einer objek- nahmesituation, wie sie im Fall unzureichender tiven Wertentscheidung. Warum also schlagen die medizinischer Ressourcen für lebensbedrohlich verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote erkrankte Patienten bestehe, so die Argumenta- nicht auf das Strafrecht durch? Grund dafür sind tion, gebe es nur begrenzte Möglichkeiten, Kon- die besonderen Anforderungen an das Be- flikte durch rechtliche Vorgaben zu lösen. stimmtheitsgebot im Strafrecht, die wiederum im Rechtsstaatsprinzip wurzeln. Das scharfe Schwert Warnungen vor gesetzgeberischer Hybris haben des Strafrechts darf der Staat nur ziehen, wenn sicherlich ihre Berechtigung, vor allem, wenn das die Gründe für die Strafbarkeit vorher gesetzlich Ergebnis in jedem Fall tragisch ist, da nicht alle Er- normiert worden sind. Es muss für die Bürgerin- krankten gerettet werden können. Aber sprechen nen und Bürger also klar erkennbar sein, welches solche Mahnungen tatsächlich gegen eine politi- Verhalten strafrechtliche Folgen hat. sche Debatte über den angemessenen rechtli- chen Rahmen für die Triage-Problematik? Der Re- Im Strafgesetzbuch ist, wie gesagt, nicht einmal gelungsfähigkeit des Gesetzgebers von vornhe- die für die Triage-Problematik zentrale Pflichten- rein zu misstrauen, wäre in der parlamentari- kollision normiert. Somit gibt es auch keine Straf- schen Demokratie ein fragwürdiges Signal. Umge- rechtsvorschrift zu diskriminierendem Verhalten kehrt sollte man Befürchtungen staatlicher Über- in einer solchen Konfliktsituation. Die Diskriminie- forderungen nicht ausblenden. Was der Gesetz- rungsverbote im Grundgesetz helfen an dieser geber leisten kann und mit Blick auf die Bedro- Stelle nicht weiter. Aus alledem folgt, dass die Ge- hungen für die Rechtsgüter Menschenwürde, Le- samtschau von grundgesetzlichen und strafrecht- ben und Gesundheit leisten muss, dieser Frage lichen Vorgaben Zweifel weckt, ob diese tatsäch- sollte sich die Politik stellen. Selbstverständlich lich eine ausreichende Grundorientierung für die wäre auch zu diskutieren, wo der Gesetzgeber Zu- rechtliche Bewertung der Triage-Problematik bie- rückhaltung üben sollte und müsste. Anregungen ten. für diese Debatte werden in einem zweiten Teil dieses Beitrags angeboten.
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin 7 Informationen & Recherchen 7. April 2020 Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Berlin Wahlanalyse Mai 2018 7 7 Danksagung Mein Dank für Gedankenaustausch, Einschätzungen, Empfehlungen und sonstige Unterstützung für diesen Beitrag gilt: Prof. Dr. Steffen Augsberg, Universität Gießen, Prof. Dr. Wolfram Höfling, Universität Köln, Prof. Dr. Ma- thias Hong, Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, Prof. Dr. Stefan Huster, Universität Bochum, Prof. (em.) Dr. Reinhard Merkel, Universität Hamburg, Prof. Dr. Stephan Rixen, Universität Bayreuth, Prof. Dr. Jochen Taupitz, Universität Mannheim, Prof. Dr. Till Zimmermann, Universität Trier. Impressum Die Autorin Katja Gelinsky ist seit 2011 Referentin für Recht und Politik der Konrad--Adenauer--Stiftung. Zuvor war sie als Journalistin mit den Schwerpunkten Staat und Recht vor allem für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ tätig. Für die FAZ berichtete sie zunächst als Redakteurin über das Bundesverfassungsgericht und die Europäischen Gerichtshöfe, bevor sie für neun Jahre von Washington D.C. aus über rechts- und gesellschaftspolitische Entwicklungen in den Vereinigten Staaten schrieb. Sie war außerdem Reden- schreiberin im Bundespräsidialamt und im Bundesministerium der Finanzen. Katja Gelinsky ist promo- vierte Juristin mit Masterabschluss des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz. Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Dr. Katja Gelinsky Referentin für Recht und Politik Hauptabteilung Analyse und Beratung Abteilung Demokratie, Recht und Parteien T +49 30 / 26 996-3760 Katja.Gelinsky@kas.de Postanschrift: Konrad-Adenauer-Stiftung, 10907 Berlin Herausgeberin: Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. 2020, Sankt Augustin/Berlin Gestaltung & Satz: yellow too Pasiek Horntrich GbR Der Text dieses Werkes ist lizenziert unter den Bedingungen von „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international”, CC BY-SA 4.0 (abrufbar unter: https://creativecommons.org/licenses/ by-sa/4.0/legalcode.de) www.kas.de
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