Didaktik der Physik Frühjahrstagung - Bonn 2020 - PhyDid

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Didaktik der Physik Frühjahrstagung - Bonn 2020 - PhyDid
Didaktik der Physik
                                                                        Frühjahrstagung – Bonn 2020

                             Augmented Physik AR im Physikunterricht

                  Johannes F. Lhotzky*, Frederic Schimmelpfennig+, Klaus Wendt*

*Institut für Physik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Staudingerweg 7, 55128 Mainz, +Institut für Infor-
       matik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Anselm-Franz-von-Bentzel-Weg 12, 55128 Mainz
                                           lhotzky@uni-mainz.de

       Kurzfassung
       „Augmented Reality“ (kurz AR) ermöglicht die Ergänzung einer realen Umgebung mit virtuellen
       Objekten, Einblendungen und der Einbindung von Erläuterungen. So ist eine Simulation von Expe-
       rimenten als Demonstrations- oder Schülerversuch in natürlicher Umgebung mit authentischen Re-
       präsentationen möglich, die ohne Abstraktion auf schematische Darstellungen auskommt. Die vor-
       gestellte Anwendung erfasst durch die Kamera eines mobilen Endgerätes reale Platzhalterkarten, die
       durch AR in echte Experimentiergelegenheiten umgewandelt werden. Als primäres Themengebiet
       wurde die Optik gewählt, wobei Objekte wie Laser, Spiegel, Linse oder Prisma in beliebigen Kons-
       tellationen arrangiert werden können. Die physikalischen Eigenschaften, inklusive Fehlern und In-
       terferenzeffekten, werden korrekt modelliert. Die Anwendung soll auch in andere Themengebiete
       übertragen werden. Damit werden in AR Experimente ermöglicht, die aus finanziellen, organisato-
       rischen oder sicherheitstechnischen Gründen ansonsten nicht von den Lernenden umgesetzt werden
       könnten.

1.Einführung                                               keiten mit Erweiterungen durch alle Formen digitaler
 Computer sind gut, Lehrer sind besser“ [1]. Mit Zi-       Repräsentationen. Die digitalen Medien, etwa Tab-
”                                                          lets, Smartphones oder Medienbrillen (bspw. Micro-
taten wie diesem begegnet die Medienwelt dem der-
zeitigen Diskurs um die Digitalisierung im Bildungs-       soft Hololens), blenden dazu zur Augmentation ge-
wesen. Kumulieren sollte diese leicht provokante           wählte Inhalte gezielt und wohlangepasst in die Real-
Aussage etwa in Gute Lehrer mit Erfahrungen im             welt ein.
                  ”
sinnvollen Einsatz digitaler Medien sind die Besten!“.     1.1. Überblick: AR in Lehre und Unterricht
Durch Innovationen im Bereich von Hard- und Soft-          Multimediaanwendungen auf digitalen Medien kön-
ware entstehen neue Zugänge und Möglichkeiten des          nen die Nutzerin bzw. den Nutzer über unterschiedli-
Wissenstransports, die eine kompetente Lehrkraft           che Sinneskanäle erreichen. Durch die direkte Inter-
sehr nutzbringend in das Unterrichtsgeschehen ein-         aktionsmöglichkeit mit den AR-Anwendungen wer-
bringen kann. Ebenso wie in anderen Feldern der Ge-        den deren Nutzerinnen und Nutzer dazu animiert, ak-
sellschaft suchen und finden digitale Medien und An-       tiv am Lernprozess teilzunehmen (vgl. [4], S. 405).
wendungen damit auch im Bildungsbereich durchaus           Dabei wird von echter Interaktivität gesprochen,
berechtigt und gleichermaßen zielführend ihren Platz.      wenn die Lernenden die jeweilige Anwendung nicht
Augmented Reality (AR) stellt eine vergleichsweise         nur nutzen, sondern auch individuelle Komponenten
junge Form von digitalen Medieninhalten dar und ge-        modifizieren und im Experimentierprozess dyna-
winnt aktuell aufgrund der anwachsenden Rechen-            misch anordnen können (vgl. [5]). Innerhalb der
und Grafikleistung kostengünstiger mobiler Endge-          Lehre beginnen neben den vielen bereits etablierten
räte zunehmend an Bedeutung. Unter dem Begriff AR          Apps und Lernprogrammen entsprechende AR-
wird dabei die computergestützte Erweiterung der           Anwendungen aktuell gerade erste ernstzunehmende
Realitätswahrnehmung in Echtzeit und im dreidimen-         Einsatzmöglichkeiten zu finden. In einigen Schulbü-
sionalen Raum verstanden (vgl. [2, 3]). Reale Bege-        chern werden mit entsprechender Software zweidi-
benheiten werden durch Visualisierungen, Animatio-         mensionale Darstellungen in simulierte und interak-
nen und Informationstexte mittels AR ergänzt und           tive Abbildungen umgewandelt (bspw. Klett Aug-
aufgewertet. Hierbei nutzt eine häufig gewählte Um-        mented). Mit verfügbarer kommerzieller Software ist
setzung den Ansatz, die reale Welt mittels der in den      das Erstellen eigener AR-Anwendungen bereits für
Geräten integrierten Kamerasysteme aufzuzeichnen           Lehrkräfte möglich, was aber einige Erfahrungen im
und in der AR-Anwendung durch die gewünschten In-          Umgang mit den Medien voraussetzt (vgl. bspw.
formationen und Abbildungen zu ergänzen und auf-           Aurasma, Layar, Reality Composer und Augment).
zuwerten. AR ist dabei von Virtual Reality (VR) da-        Eine typische Umsetzung stellt dabei die Einfügung
hingehend abzugrenzen, dass bei VR die reale Welt          von erläuternden Informationen und wichtigen Mess-
vollständig von einer virtuellen, simulierten Umge-        größen in reale Versuchsaufbauten dar. Dazu werden
bung ersetzt wird. Die Chancen der AR-Technik lie-         in mitunter hochkomplexe Versuchsaufbauten Ein-
gen hingegen in der direkten Verschmelzung von re-         blendungen eingespielt, die den Lernenden direkte
alen Sinneseindrücken und Interaktionsmöglich-             Anleitung und Feedback zu Durchführung und

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Auswertung des Experiments geben (vgl. [6, 7]). Bei
diesen Realisierungen sind jedoch im Allgemeinen
die Interaktionsmöglichkeiten innerhalb des Medi-
ums und damit auch die Optionen zur Variation des
Experimentiervorgangs stark auf ein explizites Ziel
sowie dessen Erreichen ausgerichtet. Bei dem hier
vorgestellten Konzept von AR.X wurde hingegen die
Ermöglichung wirklich freien Experimentierens und
Interagierens innerhalb der „(Erweiterten-)Realität“
in den Vordergrund der Entwicklung gestellt.
2.Was sind Augmented Reality Experimente?
AR.X (Augmented Reality Experiments) stellen einen
leistungsfähigen und innovativen Ansatz dar, um das     Abb.1: AR im Einsatz. Einlesen der Marker-Karten
Potential von AR in Lehre und Unterricht zu nutzen.     und direkte Übertragung in die AR.X-App
Mit AR.X wird die Möglichkeit geschaffen, eine reale    Im Gegensatz zu den meisten anderen Ansätzen der
Umgebung authentisch mit virtuellen Repräsentatio-      Nutzung von AR, welche den Fokus auf die Einblen-
nen von Experimentiergeräten zu erweitern, mit die-     dung wichtiger Zusatzinformationen an einem realen
sen Experimente durchzuführen und physikalische         und ggf. komplizierten voraufgebauten Versuchsauf-
Phänomene qualitativ wie auch quantitativ zu unter-     bau legen, sind für die Arbeit mit AR.X lediglich ein
suchen. Dazu werden sogenannte Marker-Karten            Smartphone oder Tablet sowie die auf Papier ausge-
(auch als Trigger- oder Target-Karten bezeichnet) auf   druckten Marker-Karten nötig. Diese verblüffende
einem beliebigen Untergrund platziert und durch die     Einfachheit animiert Lehrende und Lernende in glei-
Kamera eines Smartphones oder Tablets kontinuier-       chem Maße und verbindet ein hohes „Spielpotential“
lich eingelesen (s. Abb. 1). Die AR.X-App ergänzt an    im Umgang mit dem Material mit einem besonders
den Positionen der Karten virtuelle Experimentierge-    intensiven Lernprozess. Die Möglichkeit zur beliebi-
räte oder -komponenten, sodass auf dem Bildschirm       gen Kombination der genutzten Experimentiergeräte
eine Kombination der realen Umgebung mit den in         in AR.X schafft dazu einen besonderen persönlichen
diese hinein integrierten virtuellen Experimentierge-   Freiraum zum Forschen und Entdecken und bietet zu-
räten dargestellt wird. Translationen bzw. Rotationen   dem eine große Vielfalt in der möglichen Wahl und
der Karten in der realen Welt werden direkt auf die     Ausstattung der verschiedenen Experimente und Auf-
künstlich ergänzten Experimentiergeräte und deren       bauten. Einen Themenbereich, welcher mit diesem
Position und Ausrichtung im Raum übertragen. Um         Konzept besonders gut bearbeitet werden kann, stellt
weitergehende Einstellmöglichkeiten der einzelnen       die Optik dar. Als prototypische Anwendung sowie
Komponenten und Apparate zu erhalten, können            zu Test und Demonstration der Möglichkeiten wurde
diese zusätzlich individuell per Touch-Eingabe auf      die aktuelle Entwicklung von AR.X daher auf Experi-
dem digitalen Medium selektiert und dann dort jus-      mentiergeräte der geometrischen Optik und Wellen-
tiert werden. Auf diese Art und Weise können bspw.      optik beschränkt.
Lichtquellen ein- und ausgeschaltet, die Orientierung   Die Software von AR.X nutzt die zur Konstruktion
einer Spiegeloberfläche präzise justiert oder die       von Multimediaanwendungen weit verbreitete Unity-
Brechkraft einer Linse angepasst werden.                Engine [10]. Sie erlaubt eine von der Zielplattform
Um mit den ergänzten Experimentiergeräten physika-      unabhängige Entwicklung und Veröffentlichung, so-
lisch korrekt arbeiten zu können, wird die zugrunde-    dass die gesamte Palette auf aktuellen und auch zu-
liegende Physik vollständig durch die App simuliert     künftigen mobilen Endgeräten unterstützt wird. Zur
und entsprechend visualisiert (z.B. über optische       Umsetzung der AR-Features wird zudem die Pro-
Strahlengänge, spektrale Aufspaltung oder Interfe-      grammierbibliothek Vuforia augmented reality soft-
renzmuster). Von rein virtuellen Experimentieran-       ware development kit [11] genutzt.
wendungen (bspw. [8, 9]) unterscheidet sich die Ar-     2.1. Einsatzszenarien und Experimente
beit mit AR.X durch die Möglichkeit des haptischen
  Begreifens“ einer Versuchsanordnung bei gleichzei-    Beim Arbeiten mit AR.X stehen wie im klassischen
”                                                       physikalischen Unterricht das offene Laborieren und
tiger Beobachtung der Auswirkung in der Simulation.
Das Betrachten am Bildschirm des digitalen Medi-        Experimentieren mit den Geräten und Komponenten
ums eröffnet dabei den Zugang in die Welt physikali-    des Versuchsaufbaus im Zentrum. Die Anwendung
scher Phänomene und übernimmt damit für die Ler-        stellt damit einen spezifisch forschend-entwickelnden
nenden die gleiche Rolle wie bspw. der Blick durch      Lernansatz dar [12], um Lehrenden und Lernenden
eine Sicherheitsscheibe auf eine Versuchsanordnung      neue vertiefte Möglichkeiten und Methoden zur Wis-
im Chemieunterricht. Die bewusste Vermeidung            sensvermittlung bzw. zum Wissensaufbau zu bieten.
komplizierter Nutzeroberflächen lenkt die Aufmerk-      Die in der AR.X-App angebotenen Experimente zie-
samkeit auf das Wichtige – das Experiment selbst.       len konkret auf Themengebiete und Versuche ab, die
                                                        im Schulalltag aus unterschiedlichen Gründen nicht

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Augmented Physik AR im Physikunterricht

oder nur erschwert experimentell erarbeitet werden        werden (s. Abb. 2). Kontrastierend dazu können zum
können. Dies betrifft gleichermaßen das traditionelle     vollständigen Verständnis des Phänomens der Bre-
von der Lehrperson vorgeführte Demonstrationsex-          chung Experimente an einer Zerstreuungslinse durch-
periment wie auch die didaktisch als deutlich wert-       geführt werden.
voller eingestuften eigenständigen Schülerversuche
[13]. Dabei spielt neben der oftmals nicht gewährleis-
teten Verfügbarkeit der Experimentiermaterialen,
etwa aus Aufwands- oder ökonomischen Gründen,
heute besonders das Gefahrenpotential, z.B. durch die
Verwendung von Laserstrahlung, Hochspannung
oder Radioaktivität, eine zentrale Rolle. Durch AR.X
wird es den Schülerinnen und Schülern in Klassen-
stärke ermöglicht, zeitgleich und völlig gefahrlos im
„normalen“ Unterricht zu experimentieren und das
Unterrichtsgeschehen durch eigene praktische Erfah-
rungen zu „begreifen“. Die Anwendung schafft eine
sichere und flexibel einsetzbare Lernumgebung, in
der jede Schülerin und jeder Schüler entweder indivi-     Abb.2: Strahlengang in einer Sammellinse
duell oder kooperativ als Teil einer Kleingruppe ar-
beiten kann. Methodisch kann der Einsatz der AR.X         An den Standardkomponenten wie Sammel- oder
dabei gleichermaßen als Einstieg zur forschenden          Zerstreuungslinse kann am Touchdisplay des ver-
Vorbereitung einer neuen Thematik, zur gezielten          wendeten Endgeräts die Brechkraft mithilfe eines
Untersuchung eines Phänomens in der Erarbeitungs-         Schiebereglers eingestellt werden. Zusätzlich stellt
phase oder aber auch zur Verständnisvertiefung in der     die App auch eher ungewöhnliche, aber besonders
Nachbearbeitungs- und Sicherungsphase Anwendung           spannende und lehrreiche Experimentierumgebungen
finden. Dazu ist aber von unserer Seite hinzuzufügen,     zur Verfügung. Als Beispiel ist eine hohle, luftge-
dass AR.X nach Möglichkeit keine Realexperimente          füllte Sammellinse in einem Wasserbecken zu nen-
ersetzen, sondern immer nur ergänzend eingesetzt          nen, mit der interessante kognitive Konflikte zu ihrem
werden sollen, da natürlich die wichtige haptische Er-    Verhalten als Zerstreuungslinse erforscht werden
fahrung am echten Experiment in Augmented Reality         können (s. Abb. 3).
nicht in analoger Weise umgesetzt werden kann.
2.2. Vorstellung konkreter Beispiele
Prototypisch sollen nachfolgend zwei Experimen-
tierumgebungen aus dem bisher zur Verfügung ste-
henden Themenbereich der Optik vorgestellt werden.
Diese betreffen konkret jeweils ein Beispiel aus der
geometrischen Optik (Sekundarstufe I) sowie aus der
Wellenoptik (Sekundarstufe II). Allgemein ist bei
AR.X die Anzahl der zum Einsatz kommenden Mar-
ker-Karten frei wählbar und in vernünftigen Grenzen
quasi unbegrenzt. Darüber hinaus sind diese im Raum
frei positionierbar und können zu einer Vielzahl ver-
schiedener Experimentaufbauten angeordnet werden.         Abb.3: Strahlengang in einer luftgefüllten Sammel-
2.3. Brechung an Grenzflächen optischer Medien            linse im Wasserbecken
Im Optikunterricht fällt den Eigenschaften optischer      2.4. Dispersion am Prisma
Linsen eine zentrale Bedeutung zu: Ihre Untersu-
                                                          Als besonderer Bonus, der deutlich über die Möglich-
chung gilt als unverzichtbares Schlüsselexperiment.
                                                          keiten des Realexperiments hinausgeht, kann in der
Mithilfe der bei AR.X verfügbaren Laserstrahlenbox,
                                                          App AR.X die Lichtquelle Laser“ nicht nur traditio-
aus der virtuell fünf parallele Laserstrahlen emittiert                               ”
                                                          nell monochromatisches Licht emittieren, typischer-
werden, können die Bündelungseigenschaft einer
                                                          weise etwa rot oder grün (einstellbar über das User-
Sammellinse sowohl qualitativ als auch quantitativ
                                                          Interface), sondern auch in Form eines sogenannten
beobachtet sowie Linsenfehler wie die sphärische
                                                          Superkontinuums betrieben werden. Dies entspricht
Aberration untersucht werden (s. Abb. 2). Dazu wer-
                                                          einer Weißlichtstrahlungsquelle, wie sie in der Reali-
den einfach die entsprechenden Karten „Laserstrah-
                                                          tät heute über nichtlineare Prozesse z.B. in einem auf-
lenbox“ bzw. „Sammellinse“ in geeignetem Abstand
                                                          wändigen Frequenzkamm erzeugt werden kann (vgl.
und Ausrichtung auf dem Tisch platziert. Für qualita-
                                                          [14]). Mit dieser Einstellung kann das Auftreten von
tive Untersuchungen, etwa zur Brennweite, kann op-
                                                          Dispersionseffekten an einem Prisma bzw. deren Ab-
tional ein Maßstab bzw. ein zweidimensionales Gitter
                                                          wesenheit bei Transmission durch eine planparallele
ausgelegt oder der Einfachheit halber eingeblendet
                                                          Platte beobachtet werden. Qualitativ können dabei die

                                                                                                             329
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Abhängigkeit der Wellenlänge und der Lichtbre-           Die Lernenden machen realitätsnahe Experimentier-
chung untersucht und damit das Snelliussche Bre-         erfahrungen, da analog zum realen Interferenzexperi-
chungsgesetz experimentell überprüft werden. In          ment die genaue Ausrichtung und Justage der opti-
Kombination mit Linsen ergeben sich dabei span-          schen Elemente den Hauptbestandteil des Experi-
nende Experimente zur chromatischen Aberration (s.       mentierens darstellen und über Erfolg oder Misser-
Abb. 4).                                                 folg entscheiden. Die optische Dichte innerhalb eines
                                                         Teilstrahls kann dabei variiert werden, indem die
                                                         Marker-Karte Block aus Glas“ in einen Teilstrahl
                                                                          ”
                                                         eingebracht wird. Als spannende Zukunftsperspek-
                                                         tive wird aktuell eine Implementierung von Polarisa-
                                                         tionsfiltern angestrebt, um Experimente rund um die
                                                         Thematik des Quantenradierers“ durchführen zu
                                                                            ”
                                                         können (vgl. [18]).
                                                         2.6. Details zur Simulation der Optik
                                                         Zur Computersimulation bietet sich der Bereich der
                                                         Optik ganz besonders an, da sich die optischen Kom-
                                                         ponenten als Experimentiergeräte gegenseitig nicht
                                                         beeinflussen und im Allgemeinen auch nur sehr we-
                                                         nig intrinsische Parameter aufweisen – sie befinden
Abb.4: Dispersion an einem Prisma                        sich also stets am Ort der Marker-Karten und können
2.5. Interferenz                                         in der Repräsentation am Display mit wenigen einfa-
Bezugnehmend auf die Welleneigenschaften des             chen Reglern angesprochen werden. Die physikali-
Lichts bietet die in AR.X bereitgestellte Experimen-     sche Interaktion zwischen verschiedenen Apparatur-
tierumgebung die Möglichkeit, Interferenzphäno-          komponenten findet ausschließlich durch die Über-
mene zu studieren. Mit wenigen Marker-Karten kann        tragung von Lichtstrahlen statt, die die Komponenten
der Aufbau verschiedener Interferometertypen, wie        und deren Aktion nicht beeinflussen.
etwa des bekannten Michelson-Interferometers (vgl.       Für die Gewährleistung einer universellen Kombina-
[15]) oder des in der Quantenoptik weit verbreiteten     tion der bereitgestellten Experimentiermöglichkeiten
Mach-Zehnder-Interferometers (vgl. [16]) bis hin         wurde ein grundlegendes Modell für Strahlengänge
zum Sagnac-Interferometer des Laserkreisels (vgl.        erstellt und in die App implementiert, welches gleich-
[17]), erstellt werden. Durch die richtige Justage des   ermaßen die Aspekte der geometrischen Optik wie
Strahlengangs und der optischen Komponenten über         auch der Wellenoptik abbildet. Generell teilen sich
die Positionierung der Marker-Karten und ihre prä-       die Experimentiergeräte der Optik in AR.X in Licht-
zise Feinausrichtung im User-Interface ist es möglich,   quellen und in mit Licht interagierende Objekte auf.
ein authentisches Interferenzbild auf dem Schirm zu      In der technischen Umsetzung ändern mit Licht inter-
erzeugen und z.B. die Auswirkung der Variation der       agierende Objekte grundlegende physikalische Ei-
Länge eines Arms des Interferometers oder der Ein-       genschaften des Lichts bzw. dessen Strahlenganges
bringung eines Mediums auf das Interferenzbild de-       bei der lokalen Wechselwirkung. Zu den in der App
tailliert zu untersuchen (s. Abb. 5).                    verwalteten Eigenschaften einzelner Strahlengangs-
Die innovative Steuerung des Versuchs über die Re-       abschnitte zählen bspw. Richtung, Ausdehnung, Di-
präsentanten von bspw. Spiegeln oder Strahlteilern       vergenz und Wellenlänge des Strahlenbündels. Zu-
auf dem Display rückt den in der Optik entscheiden-      sätzlich werden auch komplexere Eigenschaften wie
den Aspekt der Feinjustage in den Mittelpunkt des        die Summe des optischen Weges, den das Licht im
Experimentes.                                            Strahlengang an dem jeweiligen Punkt der Geräte-In-
                                                         teraktion zurückgelegt hat, berechnet. Auf diese
                                                         Weise können neben geometrischen Effekten zu Bre-
                                                         chung auch chromatische Phänomene der Dispersion
                                                         sowie die Welleneigenschaft des Lichts mehrerer
                                                         Strahlen in Abhängigkeit von dessen Fokussierungs-
                                                         eigenschaften für die Entstehung von Interferenzer-
                                                         scheinungen in perfekter Reproduktion der zugrunde-
                                                         liegenden physikalischen Phänomene berechnet und
                                                         dargestellt werden.
                                                         Um die „Live“-Aktualisierung des Experimentierge-
                                                         schehens nahezu latenzfrei und mit einem beherrsch-
                                                         baren Rechenaufwand auf den mobilen Endgeräten,
                                                         also ohne wesentliche Verzögerung zwischen Inter-
Abb.5: Interferenz im Michelson-Interferometer           kation und Darstellung, zu ermöglichen, werden in
                                                         dem       Simulations-    und     Berechnungsprozess

330
Didaktik der Physik Frühjahrstagung - Bonn 2020 - PhyDid
Augmented Physik AR im Physikunterricht

spezifische numerische Näherungen (z.B. bei der Be-      Medien und über die Relevanz der Inhalte im Unter-
rechnung der Dispersionsgleichung) verwendet.            richt stets eine Rolle spielen sollte, liegt es nahe, dass
Hierbei wurde immer sichergestellt, dass deren Aus-      die Lernenden unerwartete Ergebnisse des Pro-
wirkungen für die quantitative Anwendung in einem        gramms in Frage stellen, detailliert reflektieren und
vernünftigen Genauigkeitsrahmen nicht signifikant        dabei physikalisch sinnvoll und tiefgehend argumen-
sind.                                                    tieren.
3.Einsatzmöglichkeiten im Unterricht                     3.2. Unterstützte Plattformen
Die Einsatzmöglichkeiten der AR.X-App im Unter-          Bei der Konzeption und Entwicklung wurde großer
richt entsprechen denjenigen realer Versuche und ge-     Wert daraufgelegt, dass die Anwendung AR.X auf der
hen über deren Möglichkeit in Hinblick auf Variati-      gesamten Palette von gängigen mobilen Endgeräten
onsvielfalt und Präzision hinaus. Analog dem Real-       mit den Betriebssystemen iOS und Android nutzbar
versuch profitieren AR.X damit von dem großen di-        ist. Aufgrund der weiten Verbreitung dieser Stores
daktischen Potential eigenständig durchgeführter         und der dadurch einfachen Verfügbarkeit wurde sich
Schülerexperimente bzw. kompetent moderierter und        auf diese Plattformen konzentriert. Eine Unterstüt-
präsentierter Demonstrationsexperimente der Lehr-        zung bisher wenig verbreiteter Medien, wie etwa Da-
kraft. Damit steht mit AR.X ein jederzeit verfügbares    tenbrillen (z.B. Hololens), wurde aufgrund der gerin-
und einfach bedienbares Unterrichtsmedium zur Wis-       gen Verfügbarkeit und hohen Anschaffungskosten
sensvermittlung zur Verfügung, das sich als Bonus,       bisher nicht vorgesehen. AR.X orientieren sich gene-
Ergänzung (und nur in gut begründeten Ausnahme-          rell daran, einer möglichst breiten Palette von Benut-
fällen als Ersatz) zum klassischen Experiment in den     zerinnen und Benutzern in Schule und Hochschule ei-
Unterricht einbinden lässt. Durch die damit möglich      nen von der Verfügbarkeit der Medien quasi uneinge-
werdende deutlich vergrößerte Flexibilität und Ver-      schränkten konkreten und problemlosen Zugang zu
fügbarkeit von Visualisierungen physikalischer In-       bieten. Darüber hinaus möchte die Anwendung die
halte erweitern AR.X das Spektrum eines forschend-       breite Masse von Schülerinnen und Schülern auch in
entwickelnd und speziell experimentell orientierten      „Bring Your Own Device“-Ansätzen über Smartpho-
physikalischen Unterrichts. Schülerinnen und Schü-       nes oder Tablets erreichen.
ler können mit den digitalen Experimenten erste Er-      3.3. Verfügbarkeit
fahrungen im Experimentieren sammeln, die frei von       Es ist geplant, die AR.X-App über die vorgenannten
Berührungsängsten, Furcht vor eigener Gefährdung         Stores für Smartphone und Tablet zur Verfügung zu
oder der möglichen Beschädigung von Experimen-           stellen. Das Installieren ist somit auch auf privaten
tiermaterialien sind. Diese positive Erfahrung dient     Endgeräten der Schülerinnen und Schüler möglich
auch als optimale Vorbereitung für das spätere Arbei-    und zulässig sowie bei anderen Apps automatisiert
ten an Realexperimenten.                                 und schnell durchführbar. Die Marker-Karten können
3.1. Über die Grenzen des Realexperiments hinaus         dann von einer Homepage heruntergeladen sowie
                                                         ausgedruckt werden und sind somit auch im Klassen-
Durch die Verwendung der erweiterten Realität bietet
                                                         satz verfügbar.
die AR.X-App besondere experimentelle Möglichkei-
ten, die weit über die Grenzen des Realexperiments       4.Fazit und Ausblick
hinausgehen. Die Nutzerinnen bzw. Nutzer sind in
                                                         Die vorgestellte AR.X-App ermöglicht eine konkrete
der Lage, Szenarien auszuprobieren, die in der Reali-
                                                         frei verfügbare sowie breit einsatzbare Anwendung
tät so nicht umsetzbar sind. Als konkretes Beispiel
                                                         für den Schulunterricht mit hohem didaktischen Po-
wurde bereits die Option der frei einstellbaren Wel-
                                                         tential, aktuell spezifiziert im Bereich der geometri-
lenlänge des Lasers bis hin zur Erzeugung von wei-
                                                         schen Optik und der Wellenoptik. Beim Einsatz im
ßem Licht genannt. Gleichermaßen sind eine Über-
                                                         Unterricht steht dabei nicht der im Eingangszitat be-
zeichnung der beobachteten optischen Phänomene,
                                                         schriebene Computer“ für die Gestaltung des Unter-
z.B. durch das Einstellen des Brechungsindex‘ auf re-                ”
                                                         richts im Mittelpunkt, das System hingegen passt sich
alitätsfern überhöhte Werte oder durch Inversion (an
                                                         an das Unterrichtskonzept der Lehrperson mit ver-
der Luftlinse im Wasserbecken), und ähnliche An-
                                                         schiedensten Einsatz- und Schwierigkeitsstufen an.
sätze gut vorstellbar und umsetzbar. In einem kreati-
                                                         Aktuell umgesetzt ist das Konzept mit vielfältigen
ven Unterrichtsgeschehen ergeben sich hierbei ganz
                                                         Experimentiermöglichkeiten im Themenbereich Op-
neue Chancen und Möglichkeiten, um entdeckendes
                                                         tik. Die AR.X-App steht dabei noch ganz am Anfang
Lernen voranzutreiben. Die Schülerinnen und Schü-
                                                         ihrer Entwicklung. Neben den aktuell vorhandenen
ler erhalten großen Freiraum, das Forschen zu erpro-
                                                         Schüler- und Demonstrationsexperimenten sind etwa
ben und dabei Selbstsicherheit und Kreativität zu ent-
                                                         die Implementierung von Hilfekarten für differen-
wickeln. Selbst der auf den ersten Blick negativ emp-
                                                         zierten Unterricht sowie die Integration eines speziel-
fundene Umstand, dass es sich in AR.X stets um eine
                                                         len Lehrer-/Präsentationsmodus“ angestrebt, in dem
Simulation der Realität und der darin sich abspielen-         ”
                                                         neben großflächiger und eindrucksvoller Darstellung
den physikalischen Prozesse handelt, besitzt anregen-
                                                         auch automatische Justagemöglichkeiten und selbst-
des Potential zur Problemorientierung. Da ja auch die
                                                         ständige Experimentabläufe z.B. als Anleitungsfilm
kritische Reflexion über die eingesetzten digitalen

                                                                                                              331
Lhotzky et al.

vorgesehen sind. Neben dem Thema Optik“ sind              [9] Homepage des Fachverband für Strahlenschutz
                                         ”                e.V. https://www.fs-ev.org/home (Stand: 4/2020).
perspektivisch auch andere Themenbereiche für die
Umsetzung mit AR.X in Vorbereitung. Hier ist die          [10] Homepage Unity Technologies. Unity3D En-
Einbindung der AR-Technologie etwa im Bereich von         gine. URL: https://unity.com/de. (Stand: 3/2020).
physikalischen Inhalten aus der Mechanik, Thermo-         [11] Homepage PTC. Vuforia Engine. URL:
dynamik, Elektrodynamik, Atom- und Teilchenphy-           https://developer.vuforia.com/.
sik bis hin zu Ingenieurswissenschaften gut vorstell-     [12] D. Höttecke, „Forschend-entdeckender Physik-
bar.                                                      unterricht“ In: Naturwissenschaften im Unterricht
                                                          Physik 119, 4 (2010).
Hinweise auf eine breite Motivation und hohe Akzep-       [13] R. Duit, M. Tesch, “On the role of the experiment
tanz von Lernenden mit der AR.X-App konnten wir in        in science teaching and learning – Visions and the re-
einer ersten rein quantitativen Evaluation in verschie-   ality of instructional practice„ In: M. Kalogiannakis,
denen Klassen umliegender Gymnasien erhalten.             D. Stavrou & P. Michaelidis (Eds.) Proceedings of
Diese wurden bisher aber weder empirisch noch sta-        the 7th International Conference on Hands-on Science
tistisch belastend ausgewertet. Abschließend möch-        2010, Rethymno-Crete, ISBN 978-989-95095-6-6, 17
ten wir daher nur einige ausgewählte Schülerantwor-       (2010).
ten aufführen. Die Lernenden einer achten Jahrgangs-      [14] F. Haake, T. Udem, Der lange Weg zur optischen
stufe eines Mainzer Gymnasiums bestätigen in die-         Uhr“, Physik in unserer Zeit 36(6), 258 (2005).
sem Zusammenhang, [dass] man so viel und so gut           [15] K.‐P. Möllmann, Michael Vollmer „Interfero-
                        ”                                 metrie auf dem Küchentisch. Wellenoptik“, Physik in
ausprobieren konnte“ und dass es dabei viele Mög-
                                          ”               unserer Zeit 39(1), 30 (2008).
lichkeiten gibt“. Die Schülerinnen und Schüler urtei-
len auch, [dass] man sich besser vorstellen kann, wie     [16] S. Leutner, R. Scholz und G. Friege. Einsatz ei-
          ”                                                                                          ”
es aussehen würde“, wenn die Möglichkeit eines Re-        nes Mach-Zehnder-Interferometers mit abge-
alexperimentes bestünde. Dabei unterstreichen sie als     schwächter Lichtquelle für einen experimentellen
Vorzug der App das [l]eichte Bedienen: [M]an lernt        Einstieg in die Quantenmechanik“. In: PhyDid B-Di-
                      ”                                   daktik      der      Physik-Beiträge     zur     DPG-
dadurch viel“. Letztlich stellen sie die Idee, weil
                                       ”                  Frühjahrstagung (2010).
man so selber etwas experimentieren kann“ als etwas
                                                          [17] S. Heusler. Ein elementarer Zugang zum Sag-
besonders Positives an der Anwendung heraus, was                             ”
                                                          nac-Effekt“. In: PhyDid    B-Didaktik der Physik-Bei-
im aktuellen Physikunterricht leider doch immer noch      träge zur DPG-Frühjahrstagung (2011).
viel zu kurz zu kommen scheint.                           [18] KIT. Das Mach-Zehnder-Interferometer als
5.Literatur                                               Analogieversuch zum Quantenradierer. 8. Apr. 2020
                                                          URL: http://psi.physik.kit.edu/52.php.
[1] M. Grohé. Computer sind gut, Lehrer sind besser.
2019. URL: www.sueddeutsche.de/kolumne/digitali-
sierung-in-der-schule-computer-sind-gut-lehrer-
sind-besser-1.3692506 (besucht am 03. 10. 2017).
[2] R. Azuma. A Survey of Augmented Reality“. In:
                ”
Presence: Teleoperators  and Virtual Environments 6,
355-385. (1997).
[3] M. Peschel u.a. Augmented Reality (AR) als
                       ”
Werkzeug im naturwissenschaftlichen Unterricht“.
In: (10. Apr. 2020). URL: http://https://www.gdcp-
ev.de/wp-content/tb2020/TB2020_940_Peschel.pdf.
[4] E. Kircher, R. Girwidz und P. Häußler. Physikdi-
daktik: Theorie und Praxis. Springer-Lehrbuch.
Springer Berlin Heidelberg, (2014).
[5] L. Issing und R. Strzebkowski. Lernen mit Mul-
                                    ”
timedia aus psychologisch-didaktischer     Sicht“. In:
DPG - Fachverband Didaktik der Physik, Didaktik
der Physik – Vorträge Physikertagung (1997).
[6] S. Kapp u. a. Augmenting Kirchhoff ’s laws: Us-
                  ”
ing augmented reality and smartglasses to enhance
conceptual electrical experiments for high school stu-
dents“. In: The Physics Teacher 57, 52 (2019).
[7] M. Strzys u. a. Physics holo. lab learning experi-
                    ”
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work to foster the concepts of heat conduction“. In:
European Journal of Physics 39.3 (2018).
[8] W. Lindlahr. Virtual-Reality-Experimente für
Interaktive Tafeln ”und Tablets“. In: Digitale Medien
im naturwissenschaftlichen Unterricht. Joachim Herz
Stiftung Verlag, (2014).

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