EG-Rechtssetzungskompetenzen im Erbrecht

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EuR – Heft 3 – 2007   291

                      EG-Rechtssetzungskompetenzen im Erbrecht

                                     Von Cordula Stumpf, Halle∗

I.    Die Ausgangslage: Erbrechtsintegration durch zwischenstaatliches
      Vertragsrecht

Das Erbrecht gehört zu den Rechtsgebieten, die bisher noch nicht gemeinschafts-
rechtlich integriert sind. Es folgt daher materiell-rechtlich den Vorschriften je-
weils des Mitgliedstaates, dessen kollisionsrechtliche Vorschriften eine entspre-
chende Anknüpfung vorsehen. Das deutsche Recht knüpft etwa gemäß Art. 25
EGBGB für die Rechtsnachfolge von Todes wegen an die Staatsangehörigkeit des
Erblassers im Zeitpunkt seines Todes an, für die Formgültigkeit letztwilliger Ver-
fügungen gelten die erweiterten Regeln des Art. 26 EGBGB. Auch Griechenland,
Italien, die Niederlande, Polen, die Nachfolgerepubliken des ehemaligen Jugos-
lawien, Portugal, Spanien, Schweden, die Slowakei und die Tschechische Repu-
blik und Ungarn gehen von der Staatsangehörigkeit des Erblassers aus. An den
(unterschiedlich definierten) Wohnsitz knüpfen dagegen an z. B. Frankreich,
Finnland, Dänemark und England, an den gewöhnlichen Aufenthalt (fakultativ)
etwa Italien und die Niederlande.1 Auch diese grundsätzliche Anknüpfung wird
jedoch vielfach durchbrochen.2 Dabei ist das deutsche internationale Erbrecht
bestrebt, die erbrechtlichen Verhältnisse nach dem Tod des Erblassers einheitlich
zu regeln. Es geht deshalb bei der Bestimmung des Erbstatuts vom Grundsatz der
Nachlasseinheit aus. Dagegen gilt der Grundsatz der Nachlassspaltung z. B. in
England, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Bulgarien und Rumänien. Hier wird in
der Regel zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterschieden;
Grundstücke vererben sich regelmäßig nach der lex rei sitae, Fahrnis nach dem
Wohnsitz oder der Staatsangehörigkeit des Erblassers. Eine eingeschränkte Nach-
laßspaltung findet sich in Österreich, außerdem auch in der Türkei. Ein noch we-
sentlich bunteres Bild ergibt sich beim Rechtsvergleich der materiellen Erbrechte
in Europa hinsichtlich gesetzlicher Erbfolge ebenso wie bezüglich letztwilliger
Verfügungen.

∗
     Prof. Dr. Cordula Stumpf ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Deutsches und
     Internationales Steuer- und Wirtschaftsrecht, Europarecht an der Universität Halle.
1    Auch für den gewöhnlichen Aufenthalt gibt es unterschiedliche Konzepte. Ein wesentlicher Unterschied
     zwischen dem Wohnsitz und dem gewöhnlichen Aufenthalt wird gewöhnlich darin gesehen, dass für die Be-
     gründung eines Wohnsitzes ein rechtsgeschäftlicher Wille gefordert wird, auf Dauer im Domizilstaat zu le-
     ben, während für den gewöhnlichen Aufenthalt auf eine faktische Sesshaftigkeit im Aufenthaltsstaat abgestellt
     wird.
2    So im deutschen IPR etwa durch die Regeln über die Rück- und Weiterverweisung gemäß Art. 4 Abs. 1
     EGBGB. Auch Art. 3 Abs. 3 EGBGB verdrängt das Heimatrecht des Erblassers, sofern sich Nachlassgegen-
     stände nicht in dem Staat befinden, dessen Recht anzuwenden ist, und die nach dem Recht des Belegenheits-
     staates besonderen Vorschriften unterliegen; s. im einzelnen Lange/Kuchinke, Lehrbuch des Erbrechts, Lehr-
     buch des Erbrechts, § 3 II 2 b, m. w. Nachw.
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Integrationsbedarf entsteht hier wie in anderen Gebieten des Privatrechts erst mit
der Zunahme grenzüberschreitender Sachverhalte. Die Ausgangslage zeigt für
diese Fälle bisher lediglich eine rudimentäre traditionelle Integration durch völ-
kerrechtliche Verträge, in unterschiedlicher Dichte. Zu nennen sind hier einerseits
zahlreiche bilaterale Abkommen der Mitgliedstaaten mit verschiedenen anderen
Mitgliedstaaten und Drittstaaten, andererseits multilaterale Verträge mit sehr
unterschiedlichem Mitgliederbestand. Anzuführen sind hier namentlich das Haa-
ger Abkommen über die internationale Nachlassverwaltung von 1973,3 das Haa-
ger Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwen-
dende Recht von 1961,4 das Haager Übereinkommen über das auf Trusts anzu-
wendende Recht und über ihre Anerkennung von 1985,5 das Haager Erbrechts-
übereinkommen von 1989,6 das Basler Übereinkommen über ein System zur Re-
gistrierung von Testamenten von 19727 und das Washingtoner Abkommen über
ein Einheitsrecht der Form eines Internationalen Testaments von 1973.8
Alles in allem zeigen die einschlägigen völkerrechtlichen Abkommen ein punktu-
elles Herangehen an einzelne Probleme, die ihrerseits oft nur ausschnittsweise
gelöst werden. Der Versuch einer umfassenden Regelung im Haager Erbrechts-
übereinkommen ist mit letztlich nur einem einzigen Mitgliedstaat gescheitert. Der
Mitgliederbestand der Abkommen im übrigen variiert beträchtlich; er ist oft nicht
auf die EU und auch nicht auf Europa begrenzt.9

II. Die Bedürfnisse der Erbrechtspraxis

Solange ein Erbrechtsfall keine grenzüberschreitenden Bezüge aufweist, besteht
hier kein Problem; die vertraute eigene Rechtsordnung und Rechtskultur, die

3   Es ist unter den europäischen Staaten in kraft in Tschechien, der Slowakei und Portugal; unterzeichnet, aber
    nicht ratifiziert haben weiterhin Italien, Luxemburg, die Niederlande und Großbritannien, außerdem die Tür-
    kei.
4   Dieses Abkommen ist weltweit von zahlreichen Staaten ratifiziert worden. Im Kreis der EU-Mitgliedstaaten
    gilt es in Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Dänemark, Griechen-
    land, Finnland, Schweden, Spanien, Irland, dem Vereinigten Königreich, Estland, Slowenien und Polen. Au-
    ßerhalb der EU ist es in Europa ratifiziert worden von der Schweiz, Norwegen, Bosnien und Herzegowina,
    Kroatien, Mazedonien, Serbien und Montenegro, auch der Türkei.
5   Es ist in der EU in Kraft in Italien, Luxemburg, Malta, den Niederlanden und Großbritannien und unterzeich-
    net, aber nicht ratifiziert von Zypern und Frankreich. Außerdem ist es in Europa in Kraft in Liechtenstein und
    San Marino. Die Schweiz bereitet gerade den Beitritt vor.
6   Es ist weltweit bisher nur von Argentinien, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz unterzeichnet und
    lediglich von den Niederlanden ratifiziert worden.
7   In der EU ist das Abkommen in Kraft in Belgien, Estland, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Niederlanden,
    Portugal, Spanien und Zypern. Unterzeichnet, aber nicht ratifiziert wurde es von Dänemark, Großbritannien
    und Deutschland. Außerhalb der EU ist das Übereinkommen nur noch in der Türkei in Kraft.
8   Unter den EU-Mitgliedstaaten ist dieses Abkommen in Kraft in Belgien, Zypern, Italien, Frankreich, Portugal
    und Slowenien. Unterzeichnet, aber bisher nicht ratifiziert wurde es von den Nachfolgestaaten der Tschecho-
    slowakei und Großbritannien. Europäische Länder außerhalb der EU, die das Abkommen in Kraft gesetzt ha-
    ben, sind Bosnien-Herzegowina und Serbien und Montenegro; unterzeichnet, aber bisher nicht ratifiziert ha-
    ben in Europa außerhalb der EU der Heilige Stuhl und Russland.
9   Vgl. dazu genauer Stumpf, Das Erbrecht als Objekt differenzierter Integrationsschritte, in: Schmidt-Kessel/
    Baldus/Jung/Najork/Schumacher (Hrsg.): Differenzierte Integration im Gemeinschaftsprivatrecht, 2007 (im
    Druck).
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mehrheitlich mit den Wertungen und Überzeugungen der Betroffenen überein-
stimmt, führt zu verlässlichen Lösungen. Erst mit fortschreitender Mobilität der
Erblasser und Internationalität ihrer Nachlässe und des Erbenkreises kann diese
Rechtszersplitterung aus der Sicht der Betroffenen als unbefriedigend empfunden
werden. Dies gilt zunächst nicht nur innereuropäisch, sondern weltweit. Ein glo-
bal geltendes Erbrecht ist gegenüber nur regional wirkendem Gemeinschaftsrecht
jedoch in nächster Zeit nicht realistisch erwartbar; auch streben Drittstaatsangehö-
rige zahlenmäßig relevanter Gruppen (wie z. B. türkische Staatsangehörige oder
Thailänderinnen) in der Regel zügig den Erwerb der deutschen Staatsangehörig-
keit an, so daß die Rechtsverschiedenheit meist nur temporär und bis zum Erbfall
oft überwunden ist, während EU-Ausländer auch ohne deutsche Staatsangehörig-
keit von der gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeit profitieren und deshalb die
Rechtsverschiedenheit oft über Jahrzehnte beibehalten wird, bis sie zum Erbfall
virulent wird.
In der Praxis geht es aus deutscher Sicht gegenwärtig im wesentlichen um drei
typische Fallgruppen grenzüberschreitender Erbfälle:
– Im ersten Fall ist der Nachlaß gegenständlich über verschiedene Mitgliedstaa-
   ten verteilt. Das führt zur Verkomplizierung des anzuwendenden Rechts, wenn
   die Belegenheitsstaaten z. B. hinsichtlich der Immobilien an die Belegenheit
   anknüpfen, im übrigen aber das Personalstatut des Erblassers maßgeblich ist.
   Da die materiellen Erbrechte zum Teil erheblich voneinander abweichen, kön-
   nen diese Rechtsunterschiede zu Überraschungen führen. Eine Zuwendung ei-
   ner in Frankreich gelegenen Immobilie durch einen deutschen Erblasser an sei-
   ne deutsche Ehefrau durch ein deutsches gemeinschaftliches Testament oder
   einen Erbvertrag vor einem deutschen Notar ist nach dem für die Immobilie
   maßgeblichen französischen Recht ein unzulässiges Geschäft über den Nachlaß
   einer noch lebenden Person, so dass die deutschen Kinder sich kraft ihres fran-
   zösischen Noterbrechts in den französischen Grundbesitz einklagen können,
   wenn nicht entsprechende Vorkehrungen getroffen werden; ein einfacher deut-
   scher Pflichtteilsverzicht würde hierfür nicht genügen, da auf die französische
   réserve nicht verzichtet werden kann.
– Im zweiten Fall wünschen in intakter Ehe lebende Ehegatten unterschiedlichen
   Erbstatuts,10 die deshalb oft unterschiedlicher gesetzlicher Erbfolge und unter-
   schiedlichem Pflichtteilsrecht unterliegen, eine einheitliche Erbfolgelösung;
   auch familienrechtliche Vorfragen, insbesondere der Güterstand spielen hier
   eine Rolle.
– Im dritten typischen Fall wohnt der Erblasser in einem anderem Mitgliedstaat
   als dem seiner Staatsangehörigkeit. Das kann bei entsprechenden Kollisions-
   rechten hinkende Rechtsverhältnisse zur Folge haben, die konfliktträchtig sind

10 Das kann bei gemeinsamem Wohnsitz vor allem geschehen aufgrund unterschiedlicher Staatsangehörigkeit,
   sofern beide Heimatstaaten an die Staatsangehörigkeit anknüpfen; vgl. dazu Mansel in: Jayme (Hrsg.), Kultu-
   relle Identität, 2003, S. 124.
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   und von sich zurückgesetzt fühlenden Familienmitgliedern zu destruktiven
   Strategien genutzt werden können. Hier ist eine einheitliche Anknüpfung wün-
   schenswert. Außerdem erfordert im Wohnsitzstaat, vor allem wenn es sich wie
   bei Deutschland eher um einen Aufnahme- als einen Entsendestaat europäi-
   scher Migration handelt, der seinerseits an die Staatsangehörigkeit anknüpft,
   eine zielgenaue Abwicklung nicht nur Detailkenntnis der Rechte der Her-
   kunftsstaaten, sondern auch mitunter umständlicher Verwaltungskontakt zu
   Behörden des Herkunftsstaats; es entstehen also Beratungs- und Verfahrens-
   kosten.

III. Neuere Entwicklungen

Bei diesem Befund liegt es nahe, weitergehende Erbrechtsintegration im Gemein-
schaftsrecht zu suchen. Auch der politische Wille, einen gemeinschaftsweiten
Erbrechtsraum zu schaffen, ist derzeit vorhanden. Im Wiener Aktionsplan von
199811 wurde erstmals eine EU-Regelung zum Erbrecht unter den prioritären
Vorhaben genannt. Das Maßnahmenprogramm von Rat und Kommission Ende
200012 und das Haager Programm des Europäischen Rates vom November 200413
griffen dieses Erbrechtsprojekt auf. Entsprechend dem Aktionsplan des Rates für
Justiz und Inneres vom Juni 200514 hat die Kommission15 schon am 1.3.2005 ein
Grünbuch zum Erb- und Testamentsrecht vorgelegt.16 In einem öffentlichen Kon-
sultationsverfahren konnten Stellungnahmen bis zum 30.9.2005 abgegeben wer-
den.17 Nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom
26.10.200518 hat das Europäische Parlament auf der Grundlage des nach dem
Berichterstatter benannten Gargani-Berichts vom 16.10.2006 in seiner Plenarsit-
zung vom 16.11.200619 die Kommission aufgefordert, einen Vorschlag für einen
entsprechenden Rechtsakt vorzulegen.

IV. Primärrechtlicher Rahmen

Entsprechend dem gemeinschaftsrechtlichen Prinzip der begrenzten Einzeler-
mächtigung bedarf ein Rechtsakt der EG einer primärrechtlichen Kompetenz-
grundlage. Das aktuelle Vorhaben soll auf Art. 65 lit. b EG gestützt werden, wo-

11 ABl. C 19 vom 23.1.1999, S. 1.
12 ABl. C 12 vom 15.1.2001, S. 1.
13 Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat von Brüssel, 4./5. November 2004; Haager Pro-
   gramm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, ABl. C 53 vom 3.5.2005
   S. 1; dazu Wagner, IPrax 2005, S. 66.
14 KOM (2005) 184.
15 Nach vorbereitenden Studien, unter anderem des Deutschen Notarinstituts, Zusammenfassung von Dörner/
   Hertel/Lagarde/Riering in IPrax 2005, S. 1.
16 SEK(2005)270, KOM/2005/00065endg. Vgl. dazu Stumpf, EuZW 2006, S. 587.
17 Pressemitteilung der Kommission vom 23.2.2005, IP/05/208.
18 ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 1.
19 Vgl. Pressemiteilung vom 15. 11. 2006.
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bei allgemeine Einigkeit darüber besteht, dass diese Norm nicht zur Angleichung
der materiellen Erbrechte der Mitgliedstaaten ermächtigt. Man begrenzt demge-
mäß die derzeitigen Reformvorhaben auf das Erbkollisions- und Erbverfahrens-
recht. Die Tauglichkeit des Art. 65 EG, eine Gemeinschaftszuständigkeit im Erb-
kollisions- und Erbverfahrensrecht zu eröffnen, wird bisher jedoch noch wenig
ergründet. Auf der Grundlage des Verfassungsvertrages, der die Regelungen zum
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts neu fassen und Art. 65 EG vom
Binnenmarktziel entkoppeln möchte, wäre diese Norm in der Tat im Hinblick auf
das genannte Vorhaben recht unproblematisch; auch die Kommission hat bei der
Vorbereitung des Grünbuchs – entsprechend der damaligen Erwartung des baldi-
gen Inkrafttretens – wohl schon die Regeln des Verfassungsvertrages als primär-
rechtliche Grundlage vorausgesetzt. Nach den negativen Referenden in Frank-
reich und den Niederlanden und der anschließenden „Denkpause“ im Ratifizie-
rungsprozeß ist der Verfassungsvertrag aber bisher nicht in Kraft. Wieweit die
Initiative der deutschen Ratspräsidentschaft, mithilfe eines neuen Zeitplans das
Projekt der Vertragsreform doch noch zu einem Erfolg zu führen, wirklich zu
einer Änderung des Art. 65 EG führen wird, ist derzeit schon allein wegen des
langfristigen Zeithorizonts noch nicht absehbar. Es ist daher vom Ist-Zustand des
Gemeinschaftsverfassungsrechts anhand der derzeitigen Fassung von EG und EU
auszugehen. Hier ist die Kompetenzlage aktuell deutlich komplexer.

1.    Die Bereichsausnahme nach Art. 295 EG

Das Erbrecht ist elementarer Bestandteil der Eigentumsordnung eines Staates.
Erst durch das Erbrecht wird das Eigentum mehr als ein lebenslänglicher Nieß-
brauch.20 Art. 14 des deutschen Grundgesetzes schützt deshalb das Erbrecht mit
dem Eigentum in derselben Grundrechtsnorm. Umgekehrt hat der Kommunismus
stets das Erbrecht als Garanten des Privateigentums bekämpft.21 Nun lässt nach
Art. 295 der EG-Vertrag die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitglied-
staaten unberührt. Somit würde prima facie auch eine europäische Erbrechtsin-
tegration jeden Umfangs und Differenzierungsgrades schon im Ausgangspunkt
problematisch, wenn der Eigentumsbegriff des Art. 295 EG auch das Erbrecht
umfassen würde. Die Frage ist bisher noch nicht entschieden.22

20 So das klassische Bild von Theodor Kipp, z. B. in Enneccerus/Kipp, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, § 1 I.
21 Einzelheiten z. B. bei Lange/Kuchinke (Fn. 2), § 1 I 3.
22 Zum Begriff der Eigentumsordnung im Sinne von Art. 295 EG vgl. Burghardt, Die Eigentumsordnungen in
   den Mitgliedstaaten und der EWG-Vertrag, 1969; Everling, Eigentumsordnung und Wirtschaftsordnung in der
   Europäischen Gemeinschaft, in: FS Raiser, 1974, S. 379; Riegel, Das Eigentum im europäischen Recht, 1974;
   Riegel, Die Einwirkung des europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Eigentumsordnung der Mitgliedstaa-
   ten, RIW 1979, S. 744.
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a)    Das Erbrecht als Teil der Eigentumsordnung im Sinne des Art. 295 EG

Art. 295 EG gehört zu den Vorschriften, die schon seit den Römischen Verträgen
Bestandteil des Primärrechts sind. Ursprünglich sollte die Norm der Tatsache
Rechnung tragen, dass in manchen Mitgliedstaaten der Gründungszeit die Wirt-
schaft weitgehend privatisiert, in anderen dagegen durch eine hohe Staatsquote
gekennzeichnet war. An diesen Strukturunterschieden sollte der Vertrag nicht
rütteln. Der Gerichtshof hat allerdings – gemäß Wortlaut und systematischer Stel-
lung der Norm – den Anwendungsbereich von Art. 295 EG von Anfang an nicht
auf diese eine tatsächliche Situation beschränkt, wohl in der Erkenntnis, dass die
Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten in jedem Kontext einen elementaren
Bereich mitgliedstaatlicher ökonomischer Eigenständigkeit maßgeblich beein-
flusst und deshalb von Seiten der Gemeinschaft mit Vorsicht anzugehen ist – eine
Erkenntnis, die gerade durch das negative Verfassungsreferendum in Frankreich,
dessen Gründe wohl vor allem in ökonomischen Überfremdungsängsten der fran-
zösischen Bevölkerung zu suchen sind, aufs Plakativste bestätigt wurde.
Man versteht den Begriff der Eigentumsordnung demgemäß weit. Er umfasst
nach gesichertem Verständnis alle Rechtsvorschriften, die nach öffentlichem oder
privatem Recht Befugnisse zur Einwirkung auf Eigentumsrechte regeln.23 Dazu
kann auch das Erbrecht gerechnet werden, das nach privatem Recht insbesondere
die Befugnisse des Erblassers zur Regelung seines Eigentums nach seinem Tod
normiert. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Eigentumsbegriff des
Art. 295 weit auszulegen und umfasst etwa auch gewerbliche Schutzrechte.24 Die
Rechtsprechung hat darüber hinaus der Vorschrift einen grundrechtsähnlichen
Charakter25 insoweit gegeben, als alle wesentlichen Elemente der nationalen Ei-
gentumsordnung unberührt bleiben sollen,26 das Eigentumsrecht also nicht in
seinem Wesensgehalt angetastet werden soll.27 Dem liegt eben die Einsicht
zugrunde, dass die Eigenart einer mitgliedstaatlichen Eigentumsordnung nicht
allein durch den Privatisierungsgrad, sondern durch zahlreiche Faktoren geprägt
wird, die erst in ihrer Gesamtheit den Charakter der jeweiligen Eigentumsordnung
prägen. Wenn der Vertrag diese mitgliedstaatlichen Eigentumsordnungen respek-
tiert, muss der Schutz des Art. 295 EG, der diesen Respekt normiert, folglich alle
wesensprägenden Elemente der mitgliedstaatlichen Eigentumsordnungen umfas-
sen. Dieser teleologische Aspekt spricht dafür, auch das Erbrecht als Teil der
mitgliedstaatlichen Eigentumsordnung im Sinne von Art. 295 EG zu begreifen.

23 Schlussantrag des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer, EuGH, Rs. C-367/98 (Kommission/Portugal), Slg.
   2002, I-4731; EuGH, Rs. C-503/99 (Kommission/Belgien), Slg. 2002, I-4809.
24 EuGH, Rs. C-10/89, Slg. 1990 I-3711 (HagGF), Rn. 12.
25 So Booß, in: Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, 3. Aufl. 2003, Art. 295, Rn. 2.
26 Schlussantrag des Generalanwalts Roemer, EuGH, Rs. 24/67 (Parke, Davis & Co.), Slg. 1967, 85, 120.
27 EuGH, Rs. C-491/01 (BAT), Urt. v. 10. 12. 2002.
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b)    Das Erbrecht und die Grundsatzbestimmungen des Vertrages im System des
      Art. 295 EG

Andererseits hat der Gerichtshof die Immaterialgüterrechte in Anbetracht ihrer
wirtschaftlichen Bedeutung trotz ihrer Regelung in nationalen Schutzvorschriften
am Grundsatz des freien Warenverkehrs gemessen,28 weil Art. 295 EG die in den
Mitgliedstaaten bestehenden Eigentumsordnungen nicht den Grundsatzbestim-
mungen des Vertrages entziehen kann.29 Zu diesen Grundsatzbestimmungen sind
bisher jedenfalls alle Grundfreiheiten30 und das Wettbewerbsrecht31 gezählt wor-
den. Diese Einschränkung ist – letztlich aus Gründen des effet utile – notwendig,
um die Freiheitsgewährleistungen des Vertrages nicht auf weiter Strecke ins Lee-
re laufen zu lassen; zu nahe liegend wäre sonst die Gefahr mitgliedstaatlicher
Abschottung in dem gesamten weiten Bereich, der mit dem Begriff der Eigen-
tumsordnung umfasst ist.
Überträgt man diese Rechtsprechung auf das Erbrecht, das in seiner wirtschaftli-
chen Bedeutung dem gewerblichen Rechtsschutz sicher nicht nachsteht, so ist
gemäß Art. 295 EG der Schutz des Erbrechts in seinem Kernbereich, wie er in
den jeweiligen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gewährleistet ist, von der
Gemeinschaftsrechtsordnung zu respektieren. Erbrechtliche Vorschriften der
Mitgliedstaaten müssen jedoch ihrerseits das gemeinschaftliche Integrationsrecht
beachten. Gemeinschaftsrechtsakte dürften demnach unter Art. 295 EG zwar auch
das Erbrecht ausgestalten, sofern eine primärrechtliche Ermächtigung dazu bereit-
steht;32 sie müssen jedoch grundlegende Prinzipien mitgliedstaatlicher Erbrechte
unangetastet lassen.33 Auch nach Art. 295 EG dürfen die erbrechtlichen Vor-
schriften der Mitgliedstaaten im Gegenzug den innergemeinschaftlichen Perso-
nen-, Waren- und Kapitalverkehr nicht diskriminieren oder beschränken.

28 EuGH, Rs. C-30/90 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg. 1992, I-829, Rn. 18; anders SA Cosmas, Rs.
   C-309/96 (Annibaldi), Slg. 1997, I-7493, Rn. 21.
29 In diesem Sinne auch EuGH, Rs. C-302/97 (Konle), Slg. 1999, I-3099; Rs. C-367/98 (Kommission/Portugal),
   Slg. 2002, I-4731; Rs. C-503/99 (Kommission/Belgien), Slg. 2002, I-4809; EuG, Rs. T-228 und 233/99
   (WestLB), Urt. v. 6. 3. 2003.
30 EuGH, Rs. 182/83 (Fearon/Irish Land Commission), Slg. 1984, 3677 (zur Niederlassungsfreiheit); Rs. C-302/
   97 (Konle), Slg. 1999, I-3099; Rs. C-367/98 (Kommission/Portugal), Slg. 2002, I-4731; Rs. C-503/99 (Kom-
   mission/Belgien), Slg. 2002, I-4809 (zur Kapitalverkehrsfreiheit).
31 EuGH, Rs. 56/64 (Consten und Grundig), Slg. 1966, 322, 394; EuG, Rs. T-228 und 233/99 (WestLB), Urt. v.
   6.3.2003.
32 S. dazu sogleich genauer.
33 Hier stellt sich natürlich die letztlich vieles entscheidende Abgrenzungsfrage. Fasst man den Kernbereich eng
   und begrenzt ihn auf wenige Prinzipien wie die Erbfolge an Private, die Testierfreiheit oder eine erbrechtliche
   Mindestsicherung der Angehörigen, die letztlich alle mitgliedstaatlichen Erbrechte prägen, so verbleibt ein
   weiter Gestaltungsspielraum für das Gemeinschaftsrecht. Rechnet man demgegenüber auch Prinzipien wie die
   treuhänderische Abwicklung des Nachlasses nach britischem Recht, die strikte erbvertragliche Bindungswir-
   kung des deutschen Rechts oder die verzichtsresistente materielle Erbenstellung der Pflichtteilsberechtigten
   nach französischem Recht zum mitgliedstaatlichen Vorbehaltsbereich, werden gemeinschaftsrechtliche Ge-
   staltungsmöglichkeiten entsprechend eingeengt.
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aa) Warenverkehrsfreiheit

Waren sind allerdings schon begrifflich nicht dasselbe sind wie Güter, die nicht
gehandelt, sondern vererbt werden. Schon aus dem Titel I des Dritten Teils ist
abzuleiten, dass die Art. 28 bis 31 EG nur in Bezug auf Waren gelten. Waren sind
grundsätzlich körperliche Gegenstände, die über eine Grenze verbracht werden
und Gegenstand von Handelsgeschäften sein können.34 Das Erbrecht regelt jedoch
nicht den Handel mit Nachlassgegenständen (der durchaus denkbar ist, dann aber
nicht mehr das Erbrecht betrifft), sondern ihre Eigenschaft als solche und ihren
Übergang vom Erblasser auf den Rechtsnachfolger, der gerade nicht im Wege des
Güteraustausches geschieht. Auch erbvertragliche Regelungen, in denen etwa
eine Erbeinsetzung im Gegenzug zu einer lebzeitigen Unterhalts- und Pflegever-
pflichtung vereinbart wird, stellen kein Handelsgeschäft in diesem Sinne dar.
Abgesehen davon, dass eine strikte erbvertragliche Bindungswirkung vor allem
das deutsche Recht kennt, fehlt es für die Rechtsnachfolge von Todes wegen, die
gesetzlich oder gewillkürt ohnehin in der einen oder anderen Weise zwangsläufig
erfolgt, an der für Warenumsatzgeschäfte typischen vollen Gestaltungsfreiheit;
die Privatautonomie des Erblassers erstreckt sich nicht auf das Ob des Eigen-
tumsübergangs im Todesfall, sondern nur auf die Person des Empfängers (auch
das nur in den Grenzen des Pflichtteilsrechts oder vergleichbarer Bestimmungen
zur Sicherung der Angehörigen) und einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der
Modalitäten (z. B. der Quote, der Anordnung von Vermächtnissen, einer Vor- und
Nacherbschaft, der Testamentsvollstreckung, u. a. m.). Außerdem dienen Han-
delsgeschäfte wirtschaftlicher Gewinnerzielung, während Verfügungen von To-
des wegen eine völlig andere Zweckrichtung verfolgen, in der Regel die Versor-
gung der Hinterbliebenen, die Sicherung des Familienfriedens durch gerechte
Aufteilung des Vermögens oder den Erhalt des Nachlasses als funktionsfähige
Vermögenseinheit (wenn er etwa im wesentlichen aus einem Unternehmen oder
dem Familienwohnhaus besteht), bei Zuwendungen an Wohltätigkeitsorganisati-
onen auch karitative oder gesellschaftspolitische Anliegen sowie die Mehrung
eigenen Mäzenatenruhmes. Bleibt man am Wortlaut des Art. 28 EG, so müssten
erbrechtliche Vorschriften weiterhin als mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen
oder Maßnahmen gleicher Wirkung vorstellbar sein. Erbrechtsnormen kontingen-
tieren nicht unmittelbar und enthalten auch keine Verbringungsverbote, sondern
regeln auch in grenzüberschreitenden Fällen die allenfalls vorgelagerte Frage der
personalen Zuordnung. Das gilt insbesondere auch für Maßnahmen der gerichtli-
chen Nachlasssicherung nach § 1960 BGB oder im Rahmen von Nachlassverwal-
tung und Nachlassinsolvenz gemäß § 1975 ff. BGB. Auch die Testamentsvoll-
streckung dient lediglich der Ausführung der letztwilligen Verfügungen des Erb-
lassers, vgl. § 2203 BGB, so dass damit möglicherweise verbundene Güterzuord-
nungen (einschließlich ihrer Zurückhaltung im jeweiligen Mitgliedstaat) nicht auf

34 Vgl. z. B. Lux, in: Lenz/Borchardt (Fn. 25), Art. 28, Rn. 23.
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mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften, sondern auf der privatautonomen Gestal-
tungsfreiheit des Erblassers beruhen. Erbrechtsnormen sind aus demselben Grund
auch keine Maßnahmen gleicher Wirkung.35 Für mitgliedstaatliche Normen, die
den Rechtsübergang von Todes wegen regeln, ist daher der Tatbestand des Art. 28
EG grundsätzlich nicht eröffnet.

bb) Personenfreizügigkeit, Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

Auch die Personenfreizügigkeit wird durch das Erbrecht eigentlich nicht tangiert.
Vertragssystematisch gliedert sich die Freizügigkeit der Personen in verschiedene
Grundfreiheiten, nämlich die Arbeitnehmerfreizügigkeit der Art. 39 ff. EG, an die
im Erbrecht ohnehin nicht zu denken ist, sowie die Dienstleistungs- und Nieder-
lassungsfreiheit der Selbständigen, geregelt in Art. 49 ff. und Art. 43 ff. EG.
An die Niederlassungsfreiheit könnte man denken in Fällen, in denen Unterneh-
men zum Nachlaß gehören.36 Allerdings regelt das Erbrecht auch in solchen Fäl-
len eigentlich nicht die Niederlassung selbst, also die Aufnahme und Ausübung
selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unter-
nehmen, insbesondere von Gesellschaften (vgl. die Legaldefinition in Art. 43
Abs. 2 EG), sondern nur die davon zu unterscheidende Vorfrage der persönlichen
Zuordnung des Vermögensgegenstandes „Unternehmen“. Die eigentliche wirt-
schaftliche Erwerbstätigkeit wird vom Erbrecht nicht geregelt. Das gilt auch für
Nachlasspflegschaft, Testamentsvollstreckung oder Nachlassverwaltung.37 Mit
der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit
will der Vertrag die humanen Produktionsfaktoren mobilisieren, um damit den
Markt gemeinschaftsweit zu liberalisieren. Um Produktionsfaktoren in einem
Markt geht es jedoch im Erbrecht nicht.
Die Personenfreizügigkeit wird daher (nicht nur im gedanklichen Zusammenhang
des Art. 295 EG als vor allem im Hinblick auf Art. 65 EG38) zunehmend auch in
einem weiteren, von den Grundfreiheiten gelösten Sinn verstanden. Da durch
Erbrechtsunterschiede aber eigentlich weder der Erblasser noch die Erben unmit-
telbar am Reisen gehindert werden, wäre im Bezug auf erbrechtlich relevante
Normen auch in diesem Fall hier schon ein gewisser Begründungsaufwand erfor-
derlich – die Kommission argumentiert etwa dergestalt, dass ein integrierter Erb-
rechtsraum wenigstens die Folgen der Personenmobilität rechtlich bewältigen

35 Lediglich hilfsweise bliebe auch im Fall der Bejahung entsprechend der Keck-Rechtsprechung im Einzelfall
   zu prüfen, ob die fragliche erbrechtliche Vorschrift den Nachlassgegenstand selbst oder nicht lediglich Moda-
   litäten des Transfers betrifft. Nur im ersten Fall wäre weiter die Rechtfertigung anhand zwingender Erforder-
   nisse des Gemeinwohls (vgl. EuGH, Rs. C-483/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2002, I-4781; Rs. C-463/00
   (Kommission/Spanien), Urt. v. 13.5.2003) und der Verhältnismäßigkeit (so für Art. 295 EG auch Booß, in:
   Lenz/Borchardt (Fn. 25), Art. 295, Rn. 3) zu prüfen.
36 Auf freien Personenverkehr und Niederlassungsfreiheit rekurriert (im Rahmen des Art. 65 EG) Remien,
   CMLR 2001, S. 53, 74.
37 S. o.
38 S. dazu u. genauer.
300   EuR – Heft 3 – 2007                                  Stumpf, EG-Rechtssetzungskompetenzen im Erbrecht

hilft.39 Der freie Personenverkehr ist jedoch wie die (anderen) Grundfreiheiten
immer im gedanklichen Zusammenhang des Binnenmarktbegriffs aus Art. 14 EG
zu sehen; mit dem Marktbegriff im eigentlichen Sinn hat ein derart weites Ver-
ständnis der Personenverkehrsfreiheit nicht mehr viel zu tun.40

cc) Kapitalverkehrsfreiheit

Auch an die Kapitalverkehrsfreiheit ließe sich denken. Der Kapitalverkehr wird
im Schrifttum definiert als einseitige Werteübertragung in Form von Sachkapital
(Immobilien, Unternehmensbeteilungen) oder in Form von Geldkapital (Wertpa-
piere, mittel- und langfristige Kredite) aus einem Mitgliedstaat in einen anderen,
die regelmäßig zugleich eine Vermögensanlage darstellt.41 Eine solche einseitige
Werteübertragung könnte auch der Vermögensübergang von Todes wegen dar-
stellen. Er geschieht jedoch nicht als Wertanlage, sondern unter den davon völlig
verschiedenen Zwecken der Versorgung der Angehörigen, des Erhalts des Famili-
enfriedens, des Erhalts des Nachlasses als funktionsfähiger Vermögenseinheit,
oder zur Verfolgung karitativer oder sonst wohltätiger Zwecke.42
Diese Unterscheidung stimmt auch mit der Teleologie des Art. 56 EG überein.
Der Vertrag gewährleistet die Freizügigkeit des Kapitals als Produktionsfaktor,
der Ertrag abwirft, sei es als Zins, als Gewinn oder Dividende.43 Eine solche Ge-
winnerzielung hat der Erblasser aber bei der Vermögensübertragung von Todes
wegen nicht im Sinn, schon allein deshalb, weil der Vermögensübergang erst mit
dem Erbfall, also nach seinem Tod, wirksam wird; bei der gesetzlichen Erbfolge
fehlt es überdies am rechtsgeschäftlichen Transfer. Lediglich bei der erbvertragli-
chen Zuwendung von Todes wegen gegen Verpflichtung des Vertragspartners zu
Leistungen wie Unterhalt oder Pflege könnten diese Leistungen wirtschaftlich als
„Vorschusszinsen“ des Nachlassvermögens angesehen werden. Bislang wird
jedoch bei der Bestimmung der Kapitalverkehrsfreiheit wie auch der anderen
Grundfreiheiten im Gemeinschaftsrecht wie grundsätzlich allgemein im Recht44
keine wirtschaftliche, sondern eine rechtliche Betrachtungsweise zugrunde gelegt.
Alles in allem sind somit die Grundfreiheiten des EG nach derzeitigem Verständ-
nis aus strukturellen Gründen auf spezifisch erbrechtliche (einschließlich der
kollisons- und verfahrensrechtlichen)Vorschriften der Mitgliedstaaten nicht an-
wendbar. Hier liegt auch der Grund für die rechtstatsächliche Beobachtung, dass

39 Vgl. etwa Präambel zum Grünbuch Erb- und Testamentsrecht, 2005.
40 Ebenso Rauscher, in: Mansel, Pfeiffer, Kohler, Kronke, Hausmann (Hrsg.), Festschrift für Erik Jayme, 2004,
   Bd. 1, S. 719, 721, 723; Kreuzer, in: Müller-Graff (Hrsg.), Gemeinsames Privatrecht in der Europäischen
   Gemeinschaft, 2. Aufl. 1999, S. 457, 497. Auch Müller-Graff/Kainer DRiZ 2000, 350 betonen für Art. 65 EG
   die grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit grenzüberschreitender Transaktionen zur Intensivierung binnen-
   marktweiten Wettbewerbs.
41 Weber, in: Lenz/Borchardt (Fn. 25), Vor Art. 56, Rn. 8.
42 S. o.
43 Vgl. Weber, in: Lenz/Borchardt (Fn. 25), Art. 56, Rn. 5.
44 Eine Ausnahme bildet das insoweit besonders gelagerte Steuerrecht.
Stumpf, EG-Rechtssetzungskompetenzen im Erbrecht                                   EuR – Heft 3 – 2007   301

erbrechtliche Fallkonstellationen in der ansonsten inzwischen doch sehr reichhal-
tigen und vielfältigen Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten bisher nicht vor-
kommen.45

dd) Wettbewerbsregeln

In gleicher Weise gibt es beim Eigentumsübergang von Todes wegen, ob nun
nach gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge, keine Wettbewerbssituation, so dass
nach gegenwärtiger Rechtslage auch die Wettbewerbsvorschriften in Erbrechts-
fällen nicht zum Zuge kommen. Der Erblasser, die Erben oder Vermächtnisneh-
mer sowie die Nachlassgläubiger sind in dieser Eigenschaft keine an einem Markt
tätigen Unternehmer. Die Anwendung der Art. 81 ff. EG auf den Vermögens-
übergang von Todes wegen scheidet daher ebenfalls aus.
Konflikte des Erbrechts mit Grundfreiheiten und Wettbewerbsrecht kommen
somit deshalb nicht vor, weil das Erbrecht nicht den Gütertransfer am Markt be-
trifft. Das bedeutet umgekehrt, dass die „Wesensgehaltsgarantie“ aus Art. 295 EG
sich für das Erbrecht entsprechend verstärkt. Konflikte des mitgliedstaatlichen
Erbrechts mit gemeinschaftlichen Integrationsrecht sind daher allenfalls vorstell-
bar, wenn dieses – über die bisherige Rechtsprechung zu Art. 295 EG hinausge-
hend – auch marktfernes Gemeinschaftsintegrationsrecht erfassen würde, das
dann allerdings genauso zu bewerten wäre. Für diese Annahme könnten gute
Gründe sprechen. In diesem Fall würde auch für erbrechtliche Vorschriften der
Mitgliedstaaten gelten, dass diese auch im Hinblick auf Art. 295 EG hiervon nur
im Rahmen der dortigen Schranken, also zwingender Gemeinwohlgründe und des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, abweichen dürfen.

2.    Die Frage der Rechtssetzungskompetenz

Die Grundfreiheiten haben eine integrative Potenz, die zwar prinzipiell im gesam-
ten EU-Territorium greift, jedoch im Erbrecht bisher nicht wirksam geworden ist,
was auch kein Zufall ist.46 Weitere Erbrechtsintegration würde derzeit demgegen-
über die Setzung einschlägigen Sekundärrechts erfordern. Hierfür bedarf es einer
Rechtsgrundlage im Vertrag. Grund ist das gemeinschaftsrechtliche Prinzip der
Einzelermächtigung, in ständiger Rechtsprechung befestigt47 und inzwischen in
Art. 5 Abs. 1 EG und Art. 5 EU ausdrücklich normiert. Es ist doppelt zu begrün-
den: Zum einen sind die Gemeinschaften ebenso wie die EU bei aller Staatsnähe

45 Der Einfluß der Grundfreiheiten auf das IPR, sofern es marktmäßige Transaktionen des Privatrechts, also vor
   allem das Kaufrecht flankiert, ist dagegen inzwischen bekannt, vgl. z. B. Roth, RabelsZ 1991, S. 623; Base-
   dow, RabelsZ 1995, S. 1.
46 S. o.
47 Vgl. nur beispielsweise EuGH, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 (Simmenthal); EuGH, Rs. 26/8, Slg. 1978, 1771:
   Verträge als “Grundlage, Rahmen und Grenze” der Rechtssetzungsgewalt der EG; EuGH, Rs. C-155/91, Slg.
   1993 I-939, u. a. m.
302   EuR – Heft 3 – 2007                                    Stumpf, EG-Rechtssetzungskompetenzen im Erbrecht

in vielerlei Hinsicht im ganzen bisher keine souveränen Staaten mit extern unbe-
grenzter Rechtssetzungsgewalt, sondern leiten bis auf weiteres ihre Existenz aus
dem fortdauernden Integrationswillen ihrer Mitgliedstaaten ab, der gemäß den in
den Verträgen getroffenen Entscheidungen die EG-Rechtssetzungsbefugnisse
begründet und begrenzt.48 Diese realen rechtlichen, wirtschaftlichen und politi-
schen Wirkungsbedingungen der Gemeinschaften wie der Union bis in die Ge-
genwart können nicht ignoriert werden. An der Ausgestaltung ihres Erbrechtssys-
tems können die Mitgliedstaaten durchaus auch unter Souveränitätsgesichtspunk-
ten interessiert sein, nicht zuletzt im Hinblick auf die Erbschaftssteuer. – Zum
zweiten wird unter Rechtsstaatsgesichtspunkten als innere Rechtfertigung ge-
meinschaftlicher Rechtssetzung ihre rechtliche Bindung an eine primärrechtliche
Befugnisnorm umso wichtiger, je mehr Gemeinschaftsrecht unmittelbar oder
mittelbar die privatautonome Gestaltungsfreiheit der Unionsbürger tangiert.49 Da
die Gemeinschaften – heute mehr denn je – auch auf die Akzeptanz ihrer Bürger
angewiesen sind, kann auch dieser Zusammenhang auf Dauer nicht straflos ver-
nachlässigt werden. Die kürzliche, trotz dort eindeutiger Primärrechtslage sehr
intensiv geführte Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie, in der es – wie zur
Zeit im Erbrecht – ebenfalls „nur“ um Kollisionsrechtsangleichung ging, sollte
derzeit maßgebliche Sensibilitätsgrenzen deutlich genug markieren. Eine tragfä-
hige und solide primärrechtliche Kompetenzgrundlage ist deshalb unabdingbar.
Für die Erbrechtsintegration (unter Einschluß von zugehörigem IPR und Verfah-
ren) lassen sich eine Reihe verschiedener Ermächtigungsnormen prüfen:

a)    Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 EG

Das Grünbuch der Kommission zum Erb- und Testamentsrecht stützt seine Initia-
tive auf Art. 61 i.V.m. Art. 65 EG. Diese Vorschriften50 räumen der Gemeinschaft
eine konkurrierende Rechtssetzungskompetenz im internationalen Privat-51 und
Verfahrensrecht ein,52 nicht dagegen im materiellen Zivilrecht,53 also auch nicht
im materiellen Erbrecht,54 und zwar bislang nicht nur teilweise nicht, sondern gar
nicht.55 Für Rechtsakte im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht stehen ihr

48   So sehr klar etwa Oppermann, Europarecht, 3. Aufl. 2005, S. 157.
49   Vgl. dazu ausführlich Stumpf, Aufgabe und Befugnis, 1999, insb. S. 201 ff.
50   Grundlegender Überblick bei Hilf/Pache, NJW 1998, S. 705.
51   Vgl. dazu etwa Basedow, EuZW 1997, S. 609; von Hoffmann, in: von Hoffmann (Hrsg.), European Private
     International Law, 1998, S. 19.
52   Grundlegend dazu z. B. Pfeiffer, in: Müller-Graff, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts,
     2005, S. 75. Streitig ist, ob sich die Kompetenz auf das Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander be-
     schränkt oder sich auch auf deren Verhältnis zu Drittstaaten erstreckt. Für letzteres spricht die Überlegung,
     dass sonst divergierende Internationale Privat- und Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten mittelbar die Bin-
     nenmarktverwirklichung wieder beeinträchtigen könnten; vgl. z. B. Eidenmüller, IPrax 2001, S. 2 f.
53   Ebenso Müller-Graff/Kainer, DRiZ 2000, S. 350.
54   Ebenso Rauscher, in: Mansel, Pfeiffer, Kohler, Kronke, Hausmann (Hrsg.), Festschrift für Erik Jayme, 2004,
     Bd. 1, S. 719, 723.
55   So nachdrücklich die Stellungnahme des deutschen Bundesrats zum Grünbuch Erb- und Testamentsrecht der
     Kommission von 2005, BR-Ds. 174/05 v. 23.9.2005.
Stumpf, EG-Rechtssetzungskompetenzen im Erbrecht                                    EuR – Heft 3 – 2007   303

nach dem Verfahren des Art. 67 EG alle Handlungsformen des Art. 249 EG zur
Verfügung.56 Durch Beachtung der Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 5 Abs. 3 EG
läßt sich sicherstellen, dass Maßnahmen der Gemeinschaft nicht über das zur
Zielerreichung erforderliche Maß hinausgehen.57
In integrationsterritorialer Hinsicht handelt es sich zwar dem Grundsatz nach um
gemeinschaftsweit geltendes Recht, doch sind hier die anlässlich des Amsterda-
mer Vertrages gemachten stay out/opt in- Sonderregelungen für Großbritannien
und Irland und der stay out-Vorbehalt von Dänemark gemäß den Protokollen zu
Art. 69 EG zu beachten.58
In neuerer Zeit umstritten sind weniger die Rechtsfolgen als vielmehr die tat-
bestandlichen Voraussetzungen: Hier lässt sich eine zunehmende Tendenz zur
Aufweichung der vertraglichen Kriterien erkennen. Hintergrund ist das politische
Bestreben, den Binnenmarkt zu einem umfassenden Raum der Freiheit, der Si-
cherheit und des Rechts weiterzuentwickeln. Eine solide rechtliche Basis hierzu
hätte der Verfassungsvertrag bilden sollen, der den Tatbestand in entscheidender
Weise für das Privatrecht auch in seinen marktfernen Bereichen des Familien-
und Erbrechts öffnen sollte, bisher jedoch eben nicht in Kraft gesetzt ist. Man
versucht daher, auf der strengeren Grundlage des geltenden Vertragsrechts im
Auslegungswege zum selben Ergebnis zu kommen. Es geht hier zum einen um
den Bezug zum freien Personenverkehr, zum anderen um den Binnenmarktbezug.

aa) Insbesondere: Der Bezug zum freien Personenverkehr

Zum einen ist auf der Tatbestandsseite angesichts der sprachlich eindeutigen
Überschrift von Titel IV des EG ein Bezug zum freien Personenverkehr erforder-
lich.59 Manche halten die Stellung eher für eine Verlegenheitslösung als für eine
systembedachte Entscheidung.60 Andererseits spricht auch nach den allgemeinen
Auslegungsgrundsätzen die Entstehungsgeschichte und Teleologie des ganzen
Abschnitts eher dafür, den Personenverkehrsbezug nicht ohne Not zu vernachläs-
sigen.61 Der (schrittweise) Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und
des Rechts, mit dem Blick vor allem auf Migrationsprobleme und ihre Bewälti-
gung, war im Laufe der Regierungskonferenz zum Schwerpunkt avanciert, mit
größter Bedeutung für das Selbstverständnis der Union als einer auf Personen
zugeschnittenen Einheit mit territorial definiertem Zuständigkeitsbereich.62 Teil-

56 Insb. ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 65 lit. b („Förderung der Vereinbarkeit“) nicht, dass Verordnun-
   gen ausgeschlossen wären; sie fördern vielmehr gerade besonders intensiv.
57 Auf das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der Erbrechtsangleichung gemäß Art. 5 Abs. 3 EG im Rahmen
   von Art. 61 und 65 EG hat bereits Basedow hingewiesen, vgl. AcP 2000, S. 445, 476.
58 Vgl. dazu etwa Hailbronner/Thiery, EuR 1998, S. 583, 597 ff.
59 Ebenso ausdrücklich Schmahl, in: Von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Vertrag über die Europäische Union
   und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl. 2003, Art. 65, Rn. 4.
60 Vgl. Eidenmüller, IPrax 2001, S. 2, 3.
61 Vgl. Sonnenberger, RIW 1999, S. 1; Kohler, Revue critique de droit international privé 1999, S. 1.
62 Röben, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Vor Art. 61 EG, Rn. 1.
304   EuR – Heft 3 – 2007                                 Stumpf, EG-Rechtssetzungskompetenzen im Erbrecht

weise wird deshalb vorgeschlagen, den Begriff des freien Personenverkehrs zu
akzeptieren, jedoch hier in einem weiten Sinn zu verstehen.63 Dagegen spricht
jedoch, dass es sich hierbei um einen der wohletablierten zentralen Rechtsbegriffe
des Gemeinschaftsrechts handelt; es müsste daher schon sehr deutliche Anzeichen
geben, wenn dieser Begriff an einer einzigen Stelle des Vertrages ausnahmsweise
eine andere Bedeutung haben sollte; solche Anzeichen sind aus dem Vertrag nicht
ersichtlich. Man muss daher der Tatsache ins Auge sehen, dass ein Bezug zum
grenzüberschreitenden Personenverkehr bei vielen Fragen des internationalen
Privatrechts tatsächlich fehlt.64

bb) Der Binnenmarktbezug

Auch muss nach dem Vertragswortlaut der Erlass einer Maßnahme für das rei-
bungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sein.65
Das Kriterium der Binnenmarkterforderlichkeit erklärt sich aus der Entstehungs-
geschichte der Norm.66 Es gab in der Regierungskonferenz zwar eine starke Ten-
denz zur Überführung der gesamten in Art. K.1 Nr. 6 EU als Angelegenheiten der
3. Säule verankerten justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen in den neuen
Titel IV EG, jedoch konnten nicht alle Mitgliedstaaten von dem Binnenmarktbe-
zug aller dieser Materien überzeugt werden.67 Auch das Kriterium der Binnen-
markt-Erforderlichkeit in Art. 65 EG muss also ernst genommen werden.
Um dennoch zu einer möglichst umfassenden Gemeinschaftskompetenz zu gelan-
gen, plädiert die Denkschrift der Bundesregierung zum Vertrag von Amsterdam
vom 2.10.199768 für ein weites Verständnis des Binnenmarktbezugs69 und postu-
liert hinsichtlich nicht ausdrücklich genannter Segmente des Zivil- und Zivilpro-
zessrechts einen weiten Einschätzungsspielraum des Gemeinschaftsgesetzgebers.
Man argumentiert (zu Recht), die Vergemeinschaftung der Kompetenzen könne
nicht den Sinn haben, die Tätigkeiten der EG einzuschränken. Das ist im
Erbrecht, das bisher keine Tätigkeiten der EG kennt, aber nicht der Fall. Außer-
dem wird als Grund angegeben, ein weites Kompetenzverständnis des Art. 65 EG
sei notwendig, denn ein Ausweichen auf die intergouvernementale Zusammenar-

63 Z. B. Remien, CMLR 2001, S. 45, 74.
64 Vgl. Schmahl, in: Von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur
   Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl. 2003, Art. 65, Rn. 4.
65 So etwa auch Basedow, AcP 2000, S. 445, 476; Müller-Graff/Kainer, DRiZ 2000, S. 350, unter zutreffendem
   Hinweis auf den vertragssystematischen Zusammenhang mit den Grundfreiheiten; Kainer, in: Bodnar,
   Kowalski, Raible, Schorkopf (Hrsg.), The Emerging Constitutional Law of the European Union – German and
   Polish Perspectives, 2003, S. 469, 486.
66 Vgl. Meyring, EuR 1999, S. 309.
67 Thun-Hohenstein, Der Vertrag von Amsterdam, 1997, S. 37; Röben, in: Grabitz/Hilf (Fn. 62), Art. 65 EG,
   Rn. 2.
68 BT-Ds. 13/9339, 152.
69 Im Anschluß daran ebenso z. B. Basedow, CMLR 2000, S. 687; Röben in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der
   EU, 2005, Art. 65 EG, Rn. 2; Kreuzer/Wagner, in: Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, Eu-
   ropäisches Internationales Privatrecht, Rn. 18; Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 6. Aufl. 2005,
   S. 317.
Stumpf, EG-Rechtssetzungskompetenzen im Erbrecht                                   EuR – Heft 3 – 2007   305

beit der 3. Säule komme nicht mehr in Betracht, nachdem Titel VI EU keine ein-
schlägige Rechtsgrundlage mehr enthalte. Hier wird allerdings Art. 293 EG über-
sehen70 (wenn man denn überhaupt eine vollständige Gemeinschaftskompetenz
erreichen will; denn der neue Titel IV begründet keine umfassende oder aus-
schließliche Gemeinschaftskompetenz auf seinem Gebiet; die neuen Kompetenz-
vorschriften sind ebenso wie die Art. K, Art. K.1 EU a.F. zwar detailliert, aber
erfassen die Sachbereiche letztlich enumerativ, d. h. lückenhaft).71
Diese Gesichtspunkte sprechen somit im Ergebnis dafür, es doch eher bei dem
auch sonst im Vertrag üblichen Begriff der Binnenmarkterforderlichkeit zu belas-
sen. Dieses Vorgehen fördert eine konsistente Anwendung des Gemeinschafts-
rechts und damit auch seine Praktikabilität. Folgerichtig wird entsprechend der
Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 95 EG auch für Art. 65 EG gefordert,
dass die Maßnahmen sich nicht nur entfernt oder mittelbar auf den Binnenmarkt
auswirken und sich auf Funktionsstörungen beziehen müssen, die als spürbar
anzusehen sind.72 Die Zulässigkeit von Maßnahmen, „soweit sie für das reibungs-
lose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind“, begegnet in variierter
Form an mehreren Stellen des Vertrages, etwa in Art. 3 Abs. 1 lit. c, Art. 4
Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 93, Art. 95, Art. 114 und Art. 163 Abs. 2 EG. Mit
dieser Formel wird die Zulässigkeit der jeweiligen Maßnahmen an den Binnen-
marktbegriff des Art. 14 Abs. 2 EG rückgebunden. Es handelt sich hier um einen
Rechtsbegriff, der insbesondere für einige Kompetenznormen des Vertrages von
Bedeutung ist.73 Er umfasst schon dem Vertragswortlaut nach als zentrales Anlie-
gen die Verwirklichung der Grundfreiheiten,74 flankierend auch die Gewährleis-
tung eines unverfälschten Wettbewerbs,75 da wie immer im Vertrag die Wettbe-
werbsregeln den Zweck haben, eine Umgehung der Grundfreiheiten durch private
Binnengrenzen zu verhindern. Ob darüber hinaus auch außerökonomische Ziele
zu berücksichtigen sind, ist umstritten; es kann sich aber jedenfalls nur um solche
„gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages“ handeln. In diesen kommt das
Erbrecht bisher nicht vor. Die Grundfreiheiten und das Wettbewerbsrecht sind
aber, wenn man sie im bisher üblichen Sinn interpretiert und nicht insbesondere
der Personenverkehrsfreiheit ein neues, erweitertes Konzept unterlegt, durch das
Erbrecht nicht berührt.76

70 S. dazu u. genauer.
71 Röben in: Grabitz/Hilf (Hrsg.) (Fn. 62), Vor Art. 61 EG, Rn. 3.
72 Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 6. Aufl. 2005, S. 317.
73 Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 14 EG, Rn. 3.
74 Hatje, in: Schwarze (Fn. 73), Art. 14 EG, Rn. 8.
75 EuGH, Rs. C-300/89 (Kommission/Rat), Slg. 1991 I-2867; Grabitz, in: FS Steindorff, S. 1240 ff.; Hatje, in:
   Schwarze (Fn. 73), Art. 14 EG, Rn. 10; a. A. Everling, in: FS Steindorff, S. 1170 ff.
76 S. im einzelnen o.
306   EuR – Heft 3 – 2007                                     Stumpf, EG-Rechtssetzungskompetenzen im Erbrecht

Letztendlich geht es hier darum, ob durch Erweiterung des Binnenmarktbegriffs77
ein Paradigmenwechsel vom Binnenmarktziel zum Ziel des Raums der Freiheit,
der Sicherheit und des Rechts im Auslegungswege bewerkstelligt werden kann,78
nachdem rechtspositiv dieser Wechsel mangels Inkrafttretens des Verfassungsver-
trages bisher nicht glückt. Die Erbrechtsintegration könnte so (zumindest be-
schränkt auf IPR und Verfahren) dennoch – ungehindert durch die Ratifizierungs-
probleme des Verfassungsvertrages – voranschreiten, die dortige „Denkpause“
wäre auch in einem dynamischeren erbrechtsintegrativen Kontext verschmerzbar.
Juristisch ist dieser Weg aber dennoch problematisch,79 solange Art. 61 und
Art. 65 ausdrücklich beides nebeneinander voraussetzen80 und auch sonst im Ver-
trag, insbesondere im Katalog des Art. 3 EG,81 der Raum der Freiheit, der Sicher-
heit und des Rechts noch nicht ohne weiteres an die Stelle des Binnenmarkts ge-
treten ist.82 Auch in Art. 2 EU bleibt der Raum der Freiheit, der Sicherheit und
des Rechts an die Gewährleistung des freien Personenverkehrs gebunden.83 Man
mag gerade im europäischen Kontext eine postpositivistische Systemöffnung
konstatieren oder befürworten;84 sie birgt aber auch Gefahren. Der Integrations-
wille, von dem die genannten Bemühungen getragen werden, könnte im größeren
Zusammenhang das Gegenteil des Erwünschten erreichen, wenn durch zu große

77 Grundlegend hierzu Müller-Graff, Binnenmarktziel und Rechtsordnung, 1989; ders., EuR 1989, S. 107, 122;
   in neuerer Zeit ders. z. B. in: Müller-Graff, Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2005, S. 11,
   13: „Dieser Festlegung zugrunde liegt die bekannte wirtschaftstheoretische Lehre des komparativen Kosten-
   vorteils, die, trotz aller theoretischer Verfeinerungen, den Freiverkehr von Produktionsfaktoren und Produkten
   in einem definierten Gebiet als Voraussetzung für die Erzielung der gesamtwirtschaftlich besten Ergebnisse
   ansieht. Rechtsnormativ schlüssige Konsequenz ist demgemäß die Schaffung von Bestimmungen, die einen
   derartigen Freiverkehr gewährleisten…“.
78 Vgl. zusammenfassend zum Europäischen Justizraum z. B. Tarko, ÖJZ 1999, S. 401; insb. die justizielle
   Zusammenarbeit in Zivilsachen begreifend als Ausfluß der Funktionserfordernisse der Marktintegration Mül-
   ler-Graff in Müller-Graff (Hrsg.), Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, 2005, S. 11, 18; zum
   Paradigmenwechsel Heß, NJW 2000, S. 23.
79 Starke Kritik etwa bei Schack, ZEuP 1999, S. 805; vgl. auch Beaumont, ICLQ 1999, 223. Ähnlich kritisch zur
   familienrechtlichen Zuständigkeit zum Erlaß der Brüssel II-VO Müller-Graff/Kainer, DRiZ 2000, S. 350, 353
   („Kompetenzgrundlage nicht unproblematisch“, da der in Art. 65 EG erforderliche funktionale Bezug zum
   Binnenmarktziel „nicht ohne einen gewissen Begründungsaufwand hergestellt werden kann“. Die Argumenta-
   tion der Kommission „substantiiert nicht schon automatisch den in Art. 65 EG vorgesehenen Beitrag für das
   reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts, der nicht durch politrhetorisch allgemeine, aber inhaltlich un-
   klare Analogiefloskeln wie „der freie Verkehr der Entscheidungen in Zivilsachen“ erhärtet werden kann…“).
80 So nachdrücklich auch Müller-Graff/Kainer, Jb.d.Europ. Int 1999/2000, S. 123, 124.
81 Nach Widmann, in: Schwarze (Fn. 73), Art. 65 EG, Rn. 9, unter Rückgriff auf Kohler, Revue critique de droit
   international privé 1999, S. 1, 15, wird der Umfang der Gemeinschaftszuständigkeiten nach Art. 65 begrenzt
   auf die Reichweite der Gemeinschaftspolitiken mit Bezug auf den freien Personenverkehr; die justizielle Zu-
   sammenarbeit in Zivilsachen erfährt dadurch eine erhebliche Einschränkung. Insb. kann man demnach nicht
   unterstellen, dass jede Norm des IPR schon als solche einen Bezug zum grenzüberschreitenden Personenver-
   kehr aufweist. Auch Müller-Graff, in: Mansel, Pfeiffer, Kohler, Kronke, Hausmann (Hrsg.), Festschrift für
   Erik Jayme, 2004, Bd. 1, S. 1323, 1325 argumentiert de lege lata für eine Rückbindung des Raums der Frei-
   heit, der Sicherheit und des Rechts an den Binnenmarktbegriff in Anbetracht der Ziele der Artt. 2 und 3 EG.
82 Die – auch in anderen Zusammenhängen – mit Art. 65 verbundenen rechtlichen Probleme drängen ohnehin zu
   einer baldigen Vertragsänderung, vgl. z. B. Widmann, in: Schwarze (Fn. 73), Art. 65 EG, Rn. 5, m. w.
   Nachw., auch wenn nicht zu verkennen ist, dass Vertragsänderungen mit wachsender Mitgliederzahl im der-
   zeitigen Verfassungsmodus immer schwieriger werden. In der nächsten Änderungsrunde sollte jedenfalls bei
   der Revision des Art. 65 EG auch das erbrechtlich relevante IPR und Verfahrensrecht mitbedacht werden.
83 Vgl. zur Struktur des Art. 2 EU genauer Stumpf, in: Schwarze (Fn. 73), Art. 2 EU, Rn. 10, 13.
84 Vgl. dazu etwa grundlegend Basedow, AcP 2000, S. 445, 458.
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