Die ärztlich begleitete Kontrollfahrt - Institut für Rechtsmedizin
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Universität Zürich Institut für Rechtsmedizin Direktor: Prof. Dr. med. Michael Thali Verkehrsmedizin und Forensische Psychiatrie Leiterin: Frau Dr. med. M. Haag-Dawoud Arbeit unter Leitung von Frau Dr. med. Regula Wick Die ärztlich begleitete Kontrollfahrt INAUGURAL-DISSERTATION zur Erlangung der Doktorwürde der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich vorgelegt von Carolin Dengler-Voss aus Deutschland Genehmigt auf Antrag von Prof. Dr. med. Michael Thali Zürich 2014
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis 4 Abbildungsverzeichnis / Tabellenverzeichnis 5 Zusammenfassung 6 1. Einleitung 7 2. Von den Zweifeln an der Fahreignung zur Abklärung von Ausschlussgründen 9 3. Die verkehrsmedizinische Begutachtung 11 3.1 Das Aktenstudium 12 3.2 Anamnese 12 3.2.1 Soziale Anamnese 13 3.2.2 Automobilistische Anamnese 13 3.2.3 Medizinische Anamnese 13 3.3 Klinische Untersuchung 14 3.4 Zusatzuntersuchungen 14 3.4.1 Hirnleistungs-Screening-Tests 14 3.4.2 Laboruntersuchungen/Chemisch-toxikologische Analysen 15 3.4.3 Technische Funktionsprobe 16 3.4.4 Verkehrspsychologische Untersuchung der kognitiven Fahreignung 16 3.5 Medizinische Fremdauskünfte 17 4. Die ärztlich begleitete Kontrollfahrt 18 4.1 Die Kontrollfahrt in der Literatur 18 4.2 Kantonale Unterschiede 20 4.3 Die ärztlich begleitete Kontrollfahrt am IRM-UZH 20 4.3.1 Welche Umstände führen am IRM-UZH zur Kontrollfahrt 20 4.3.2 Wichtige Schritte vor Durchführung der ärztlich begleiteten Kontrollfahrt 21 4.3.3 Ablauf der ärztlich begleiteten Kontrollfahrt 22 5. Zielsetzung der Forschungsarbeit 23 6. Datengewinnung und Datenaufbereitung 23 7. Resultate 25 7.1 Überblick über das Kollektiv 25 7.2 Fahrstunden vor der Kontrollfahrt 27 7.3 Zusammenhang zwischen Fahrstunden und Resultat der Kontrollfahrt 27 2
7.4 Verkehrsmedizinisch relevante Diagnosen respektive Zustände 27 7.4.1 Hirnleistungsschwäche 28 7.4.2 Körperliche Behinderung 28 7.4.3 Konsum verkehrsmedizinisch relevanter Medikamente 29 7.4.4 Augenerkrankungen 30 7.4.5 Psychische Erkrankungen 30 7.5 Indikation zur Kontrollfahrt 30 7.6 Zusammenhang zwischen Indikation und Resultat der Kontrollfahrt 31 7.7 Medizinische Screening-Tests 32 7.7.1 Deskriptive Analyse der einzelnen Screening-Tests 32 7.7.2 Befunde in den Screening-Tests im Vergleich zur Altersgruppe 40 7.7.3 Vergleich medizinische Screening-Tests mit Resultat der Kontrollfahrt 41 8. Diskussion 44 9. Schlussfolgerungen 49 10. Verdankungen 52 11. Literaturreferenzen 53 12. Anhang 56 13. Curriculum vitae 57 3
Abkürzungsverzeichnis ADL: Aktivitäten des täglichen Lebens FiaZ: Fahren in angetrunkenem Zustand IRM-UZH: Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich IV: Invalidenversicherung MMST: Mini Mental Status Test SUVA: Schweizerische Unfallversicherungsanstalt SGRM: Schweizerische Gesellschaft für Rechtsmedizin SVG: Strassenverkehrsgesetz TMT: Trail-Making-Test TMTA: Trail-Making-Test Teil A TMTB : Trail-Making-Test Teil B VZV: Verkehrszulassungsverordnung 4
Abbildungsverzeichnis Abb.1: Darstellung administrativer Abläufe im Kontext der ärztlich begleiteten Kontrollfahrt Abb.2: Balkendiagramm Alter der Exploranden kategorisiert nach Resultat der Kontrollfahrt Abb. 3: Verteilung erreichter Gesamtpunktzahlen im MMST Abb. 4: Verteilung erreichter Gesamtpunktzahlen im MMST nach Altersgruppen Abb. 5: Verteilung erreichter Gesamtpunktzahlen im Uhrentest Abb. 6: Verteilung erreichter Gesamtpunktzahlen im Uhrentest nach Altersgruppen Abb. 7: Verteilung beanspruchter Zeit im TMTA Abb. 8: Verteilung beanspruchter Zeit im TMTA nach Altersgruppen Abb. 9: Verteilung beanspruchter Zeit im TMTB Abb. 10: Verteilung beanspruchter Zeit im TMTB nach Altersgruppen Abb. 11: Resultat der Kontrollfahrt bei Abbruch im TMTB nach Häufigkeit Tabellenverzeichnis Tab.1: Tests zur Erfassung verkehrsrelevanter kognitiver Funktionen Tab. 2: Resultat der Kontrollfahrt nach Indikationsgruppen Tab. 3: Unterschiedsprüfung der Screening-Tests hinsichtlich der zentralen Tendenz nach Altersgruppen Tab. 4: Unterschiedsprüfung der Screening-Tests hinsichtlich der zentralen Tendenz nach Resultat der Kontrollfahrt 5
Zusammenfassung Bei einer zunehmenden Zahl verkehrsmedizinischer Fahreignungsbegutachtungen ist die Beurteilung der Fahreignung auf der Grundlage der gängigen Untersuchungsmethoden wie Anamnese, körperliche Untersuchung und Laboruntersuchungen nicht abschliessend möglich. Die ärztlich begleitete Kontrollfahrt dient bei verschiedenen Fragestellungen als wertvolle Zusatzuntersuchung, um die Auswirkungen von verkehrsmedizinisch relevanten Zuständen und die Kompensationsmechanismen der betroffenen Personen im realen Strassenverkehr abzuschätzen. Vor diesem Hintergrund und angesichts des Mangels an vergleichbaren Übersichtsarbeiten im vorliegenden Umfang erschien es sinnvoll, das grosse Kollektiv an Exploranden, die im IRM-UZH im Jahr 2011 im Kontext der Fahreignungsbegutachtung einer ärztlich begleiteten Kontrollfahrt unterzogen wurden, im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts im Sinne einer explorativen Standortbestimmung aufzuarbeiten. Von besonderem Interesse war hierbei eine genaue Betrachtung der in der Gutachterpraxis geläufigen Hirnleistungs-Screening-Tests im Hinblick auf ihre Aussagekraft bezüglich des Ausgangs einer ärztlich begleiteten Kontrollfahrt. Aufgearbeitet wurden sämtliche Fälle, die in der Abteilung Verkehrsmedizin und forensische Psychiatrie des IRM-UZH im Jahr 2011 im Rahmen einer Fahreignungsbegutachtung einer ärztlich begleiteten Kontrollfahrt unterzogen wurden. Von den insgesamt 302 Fällen wurden 295 Fälle in die statistische Erhebung eingeschlossen. 7 Fälle wurden nicht berücksichtigt, da sie in der untersuchten Zeitperiode zwei Kontrollfahrten hatten. Die überwiegende Mehrzahl der untersuchten Personen war männlich (78.3%). Das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der ärztlich begleiteten Kontrollfahrt betrug 76 Jahre. 197 Personen (66.8%) erfüllten die Anforderungen der Kontrollfahrt, davon 48 Personen knapp. Personen die jünger als 70 Jahre alt waren, hatten eine höhere Wahrscheinlichkeit, die Kontrollfahrt zu bestehen. 136 Personen (46.1%) hatten zum Zeitpunkt der Kontrollfahrt entgegen der Empfehlung des zuständigen Gutachters keine vorherige Nachschulung bei einem Fahrlehrer absolviert. Im Gesamtdurchschnitt wurden von denjenigen Personen, die sich im Vorfeld einer freiwilligen Nachschulung unterzogen hatten, 10.3 Fahrstunden absolviert. Der Besuch von Fahrstunden hatte im untersuchten Kollektiv keinen signifikanten Einfluss auf das Ergebnis der Kontrollfahrt. Es kann aufgrund der vorliegenden Untersuchungsbefunde davon ausgegangen werden, dass höhergradige verkehrsmedizinisch relevante Einschränkungen insbesondere der kognitiven Funktionen, auch durch eine intensive Nachschulung nicht mehr behoben werden können. Vom Gesamtkollektiv (N=295) wurden in 292 Fällen verkehrsmedizinisch relevante Diagnosen respektive Zustände in den Originalakten (Gesamtdokumentation des begutachtenden Arztes inklusive allfälliger angeforderter Fremdberichte) aufgeführt. Verschiedene Hauptgruppen liessen sich herausstellen: Hirnleistungsschwäche, körperliche Behinderung, Konsum verkehrsmedizinisch relevanter Medikamente, Augenerkrankungen und psychische Erkrankungen. Die überwiegende Mehrheit der Exploranden (N=234, 79.3%) hatte eine dokumentierte Hirnleistungsschwäche. Bei 90 Exploranden (30.5%) bestanden somatische Erkrankungen. Zahlenmässig untergeordnet waren Personen mit Augenerkrankungen, psychischen Erkrankungen und mit Konsum verkehrsmedizinisch relevanter Medikamente. 6
Anhand der Originalakten liessen sich zudem verschiedene Indikationen zur ärztlich begleiteten Kontrollfahrt ableiten: Hirnleistungsschwäche, körperliche Behinderung, grenzwertige Resultate in der verkehrspsychologischen Untersuchung, Vorfall im Strassenverkehr, Augenproblematik, Medikamentenkonsum und psychische Erkrankungen. Die meistgenannte Indikation war mit 265 Fällen (90.1% aller Fälle) die „Hirnleistungsschwäche“, gefolgt von den Indikationen „körperliche Behinderung“ (13.6%) sowie „Vorfall im Strassenverkehr“ (ebenfalls 13.6%). Bei der Mehrzahl Exploranden wurden im Rahmen der verkehrsmedizinischen Begutachtung Hirnleistungs-Screening-Tests durchgeführt. In 260 Fällen wurde ein MMST durchgeführt und in 259 Fällen ein Uhrentest. 272 Exploranden absolvierten einen TMTA, 261 einen TMTB. Die Altersgruppen unterschieden sich hinsichtlich der Bearbeitungszeit im TMTA und im TMTB. Die unter 70-jährigen Exploranden bearbeiten beide Tests signifikant schneller als die Gruppe der ab 70-Jährigen. In den Tests MMST und Uhrentest unterschieden sich die Befunde hinsichtlich der zentralen Tendenz zwischen den Altersgruppen jedoch nicht. Eine der Zielsetzungen dieser Arbeit war die Frage, ob die medizinischen Screeningtests eine Aussage über den Ausgang der ärztlich begleiteten Kontrollfahrt zulassen. Anhand von Unterschiedsprüfungen konnte gezeigt werden, dass sich keiner der Testwerte der hier verwandten Hirnleistungs-Screening-Tests hinsichtlich der zentralen Tendenz zwischen der Gruppe, die die Kontrollfahrt bestanden hat und der Gruppe, die die Kontrollfahrt nicht bestanden hat, signifikant unterschieden hat. Auf der Basis der vorliegenden Untersuchungsergebnisse konnte somit abgeleitet werden, dass anhand der Ergebnisse der in der Praxis geläufigen Hirnleistungs-Screening-Tests keine Rückschlüsse auf den Ausgang der ärztlich begleiteten Kontrollfahrt gezogen werden können. Für die gutachterliche Praxis hat dies zur Folge, dass Exploranden, welche die Anforderungen der kognitiven Kurztests nicht erfüllen, nicht grundsätzlich von der Durchführung einer ärztlich begleiteten Kontrollfahrt auszuschliessen sind. Dennoch scheint sich anhand des betrachteten Kollektivs abzuzeichnen, dass Personen mit einem MMST von 21 Punkten oder weniger nur ausnahmsweise einer ärztlich begleiteten Kontrollfahrt zugewiesen werden sollten. 1. Einleitung Die 83-jährige Frau M. fuhr am 30.05.2011 um ca. 18.10 Uhr mit ihrem Personenwagen auf der Bahnhofstrasse in Uster und kollidierte dort infolge ungenügenden Rechtsfahrens seitlich mit einem korrekt entgegenkommenden Fahrzeug. An beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden. Anlässlich der polizeilichen Einvernahme gab Frau M. an, den seitlichen Abstand falsch eingeschätzt zu haben. Die Kantonspolizei Zürich leitete ihren Unfall-Rapport vom 05.06.2011 an das Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich weiter. Die rechtlichen Grundlagen im Kontext der Teilnahme am motorisierten Strassenverkehr werden in der Schweiz durch das Strassenverkehrsgesetz (vgl. SVG [33] vom 19.12.1958 inkl. aktuelle Änderungen), die Verkehrszulassungsverordnung (vgl. VZV [35], vom 27.10.1976 inkl. aktuelle Änderungen) sowie durch die Verkehrsregelverordnung (vgl. VRV [34]vom 13.11.1976 inkl. aktuelle Änderungen) geregelt. „Polizei- und Strafbehörde haben die Pflicht, die für den Strassenverkehr zuständige Behörde zu benachrichtigen, wenn sie Kenntnis von Tatsachen erlangen, die zur 7
Verweigerung oder zum Entzug des Ausweises führen können, wie z.B. schwere Krankheiten oder Süchte“ (vgl. Art. 104 Abs. 1 SVG [33]; Art. 123 Abs. 3 VZV[35]). Zwischenzeitlich war beim zuständigen Strassenverkehrsamt auch eine ärztliche Drittmeldung eingegangen, dass bei Frau M. Hinweise auf kognitive Defizite bestünden, weshalb Seitens des behandelnden Hausarztes eine neutrale verkehrsmedizinische Beurteilung durch das Institut für Rechtsmedizin vorgeschlagen wurde. Gemäss Artikel 15d Abs. 1 Buchstabe e des SVG [33] können Ärzte dem zuständigen Strassenverkehrsamt jederzeit eine Meldung betreffend ihrer Zweifel an der Fahreignung einer Person machen. Aufgrund des Sachverhaltes kamen Zweifel an der Fahreignung von Frau M. auf, weshalb seitens der zuständigen Behörde mit Verfügung vom 20.07.2011 eine verkehrsmedizinische Fahreignungsbegutachtung angeordnet wurde. Zur verkehrsmedizinischen Begutachtung erschien die 83-jährige Explorandin pünktlich und gepflegt. Anamnestisch war zu erfahren, dass sie alleinstehend ist und zweimal die Woche Unterstützung durch eine ihrer beiden Töchter im Haushalt und für Einkäufe benötige. Im Alltag "hapere es" manchmal ein wenig mit dem Gedächtnis. Gesundheitlich sei nebst einer medikamentös behandelten, leichten Herzschwäche, alles soweit in Ordnung. Ihren Hausarzt suche sie regelmässig in etwa 3-monatlichen Abständen auf. Bei der körperlichen Untersuchung wurden die medizinischen Mindestanforderungen gemäss Anhang 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Strassenverkehr [29, 31 und vgl. Anhang] erfüllt. Im Gespräch waren teilweise verlangsamte Gedankengänge und Konzentrationsstörungen auffällig. Die orientierend durchgeführten Hirnleistungs-Screening-Tests waren teilweise auffällig. Die Fahreignung der Explorandin konnte auf der Grundlage der bisherigen Untersuchungsbefunde nicht abschliessend beurteilt werden. In Zusammenschau aller vorliegenden Befunde (Vorfall im Strassenverkehr, ärztliche Drittmeldung, fortgeschrittenes Alter, dokumentierte kognitive Defizite) wurde die Indikation für eine ärztlich begleitete Kontrollfahrt gestellt. Die ärztlich begleitete Kontrollfahrt dient der Beurteilung allfälliger verkehrsrelevanter Einschränkungen im realen Strassenverkehr im Sinne einer praktischen Fahrprobe in Begleitung eines speziell ausgebildeten Arztes und eines Verkehrsexperten. Kontrollfahrten sind in der Verkehrszulassungsverordnung (VZV) [35] seit dem 13. Februar 1991 geregelt. Gemäss Artikel 29 Absatz 1 VZV kann bei bestehenden Bedenken über die Eignung eines Fahrzeugführers zur Abklärung der notwendigen Massnahmen eine Kontrollfahrt angeordnet werden. Im vorliegenden Fall ordnete die zuständige Behörde nach Eingang des ärztlichen Anmeldeformulars, auf welchem Frau M. ihr schriftliches Einverständnis zur Probefahrt erteilt hatte, die ärztlich begleitete Kontrollfahrt an. Die am 17.11.2011 durchgeführte Kontrollfahrt wurde von Frau M. aufgrund wiederholter konkreter Eigen- und Fremdgefährdung klar nicht bestanden. Details über die Probefahrt wurden im ärztlichen Protokoll festgehalten und ein verkehrsmedizinisches Gutachten zuhanden der zuständigen Administrativbehörde erstellt. Da die Explorandin die Kontrollfahrt nicht bestanden hat, wurde ihr seitens 8
der zuständigen Behörde der Führerausweis entzogen (Art. 29 VZV Abs. 2 a [35]). Die Kontrollfahrt konnte sie gemäss Art. 29 VZV Abs. 3 [35] nicht wiederholen. 2. Von den Zweifeln an der Fahreignung zur Abklärung von Ausschlussgründen Von einer interdisziplinären Expertengruppe für Verkehrssicherheit wurde im Jahr 2000 für Strassenverkehrsämter und andere involvierte Behörden ein Leitfaden entworfen, welcher wichtige Kriterien für eine Fahreignungsuntersuchung herausstellt [4]. Die Strassenverkehrsämter erhalten demzufolge von verschiedenen Stellen Informationen betreffend Verdachtsgründen fehlender Fahreignung einer Person. Dies kann eine polizeiliche Drittmeldung nach einer Widerhandlung im Strassenverkehr oder eine ärztliche Drittmeldung (Artikel 15d Abs. 1 Buchstabe e des SVG [33]) sein. Im Rahmen der periodischen Überprüfung der Fahreignung, die gemäss Art. 27 VZV bei über 70-jährigen Motorfahrzeuglenkern alle 2 Jahre zu erfolgen hat [35], besteht für die untersuchenden Hausärzte zudem die Möglichkeit, beim zuständigen Strassenverkehrsamt eine Untersuchung durch eine neutrale Begutachtungsstelle wie das IRM-UZH, zu beantragen. Ferner kommt es auch vor, dass aus dem direkten Umfeld einer Person eine Meldung betreffend fraglicher Fahreignung an die Behörden gelangt. Nachfolgend sind einige von der obengenannten Expertengruppe erarbeitete Kriterien aufgeführt, welche seitens des Strassenverkehrsamtes konkreten Handlungsbedarf im Sinne der Anordnung einer verkehrsmedizinischen Abklärung der Fahreignung indizieren: • Alkoholkonsum 1: Fahren in angetrunkenem Zustand (FiaZ) mit einer Blutalkoholkonzentration von 2.5 Gewichtspromille oder mehr, wenn in den letzten 5 Jahren vor der aktuellen Trunkenheitsfahrt kein weiteres FiaZ-Ereignis begangen wurde. Beim 2. FiaZ innerhalb von 5 Jahren mit aktueller Blutalkoholkonzentration von über 1.6 Gewichtspromille respektive beim 3. FiaZ innerhalb von 10 Jahren • Psychische Krankheiten: jede Mitteilung eines Arztes oder der Polizeibehörden bezüglich einer psychischen Erkrankung bei einer Person • Bewusstseinsstörungen • Drogenkonsum/Konsum psychotrop wirksamer Medikamente: Beim alleinigen Konsum von „harten Drogen“ wie Kokain oder Heroin. Bei Fahren in fahrunfähigem Zustand auch im Kontext der Einnahme anderer Drogen (wie Amphetamine, Cannabis, LSD) und/oder psychotrop wirksamer Medikamente (Benzodiazepine, Psychopharmaka und andere) • Methadonprogramm mit weniger als 6-monatiger stabiler Substitutionsbehandlung und/oder Beikonsum andere Drogen/psychotrop wirksamer Medikamente • Leistungsmässige Defizite wie allgemeine Verlangsamung, Umständlichkeit etc. 1 Ab 01.07.2014 tritt die neue VZV in Kraft, welche unter anderem eine obligatorische Abklärung der Fahreignung bei Fahren in angetrunkenem Zustand mit 1.6 Gewichtspromille oder mehr vorsieht [36] 9
• Charakterliche Defizite, die auf Rücksichtslosigkeit schliessen lassen, Aggressivität oder schwere und konkrete Verkehrsgefährdung Anlässlich der verkehrsmedizinischen Untersuchung wird daraufhin die Fahreignung der zu begutachtenden Person geprüft. In bestimmten Fällen muss die Fahreignung allein anhand der Resultate der verkehrsmedizinischen Untersuchung verneint werden, ohne dass eine ärztlich begleitete Kontrollfahrt als weitere Abklärung veranlasst wird. In anderen Fällen kann die Fahreignung auf der Grundlage der verkehrsmedizinischen Untersuchungsbefunde auch ohne Durchführung einer ärztlich begleiteten Kontrollfahrt befürwortet werden. Nebst dieser beiden eindeutigen Negativ-, respektive Positiventscheide, gibt es jedoch nicht wenige Befundkonstellationen bei denen die Fahreignung anhand der verkehrsmedizinischen Untersuchung nicht abschliessend beurteilt werden kann. In solchen Fällen kann eine ärztlich begleitete Kontrollfahrt oder eine verkehrspsychologische Untersuchung hilfreich und sinnvoll sein, um zu einer schlüssigen Aussage betreffend der Fahreignung einer Person zu gelangen. In der nachfolgend aufgeführten Abbildung 1 sind zum besseren Verständnis die administrativen Abläufe rund um die verkehrsmedizinische Untersuchung respektive ärztlich begleitete Kontrollfahrt schematisch dargestellt. Sie auch Kapitel 4.3.1 10
Abbildung 1: Darstellung administrativer Abläufe im Kontext der ärztlich begleiteten Kontrollfahrt 3. Die verkehrsmedizinische Begutachtung Schwerpunkt der Untersuchung ist die Abklärung der Fahreignung im Kontext einer allfälligen verkehrsrelevanten Erkrankung, die gemäss Untersuchungsauftrag Anlass zur Begutachtung gibt [1]. Der eigentlichen verkehrsmedizinischen Untersuchung geht ein eingehendes Studium der vom Auftraggeber (unter anderem Strassenverkehrsämter, Administrativbehörden, SUVA, IV-Stellen etc.) zur Verfügung gestellten Akten voraus. Diese enthalten im Idealfall Angaben zu medizinischen Diagnosen und Befunden. Falls eine Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz Anlass zur verkehrsmedizinischen Begutachtung gibt, liegt in der Regel ein entsprechender polizeilicher Rapport vor. Die Exploranden werden mehrheitlich schriftlich zur verkehrsmedizinischen Untersuchung aufgeboten. Zu Beginn der Begutachtung wird der Explorand kurz über deren Sinn und Zweck aufgeklärt. Das anschliessende Anamnesegespräch dient der Erörterung möglichst aller wesentlichen 11
verkehrsmedizinisch relevanten Aspekte. Danach erfolgt die körperliche Untersuchung. Bei Bedarf werden Zusatzuntersuchungen wie Hirnleistungs-Screeningtests oder Laboruntersuchungen durchgeführt. Bei bestimmten Fragestellungen werden weitere Abklärungen wie technische Funktionsprobe oder verkehrspsychologische Untersuchung in die Wege geleitet. Nebst der Angaben des Exploranden werden im Regelfall auch Fremdauskünfte von Drittpersonen (in erster Linie behandelnde Ärzte, Psychologen und Spitäler) eingeholt und in der Gesamtbeurteilung gewürdigt. Die nachfolgenden Ausführungen basieren im Wesentlichen auf den Zusammenfassungen der Arbeitsgruppe Qualitätssicherung in der Verkehrsmedizin zur verkehrsmedizinischen Untersuchung (Die verkehrsmedizinische Untersuchung, Arbeitsgruppe Qualitätssicherung in der Verkehrsmedizin, Februar 2012 resp. Mai 2012). 3.1 Das Aktenstudium Vom Auftraggeber der verkehrsmedizinischen Untersuchung wird in der Regel ein Aktendossier zur Verfügung gestellt. Es wird empfohlen, diese Akten vor dem Gespräch mit dem Exploranden gründlich zu studieren [28]. Der Umfang der zur Verfügung stehenden Vorinformationen variiert von Fall zu Fall stark. Nebst ausführlicher Dossiers mit Polizeirapporten, chemisch-toxikologischen Untersuchungsbefunden und Arztprotokollen ist es durchaus möglich, dass nur ein Stichwort wie „kognitive Defizite“ oder „regelmässiger Alkoholüberkonsum“ als Vorinformation über die zu begutachtende Person vorhanden ist. Wichtige Fragen, die sich der Arzt je nach Umfang der verfügbaren Informationen bereits im Rahmen des Aktenstudiums vor dem Begutachtungstermin stellt, lauten: • Wurde ein Motorfahrzeuglenker im Vorfeld der Untersuchung in Folge eines Unfalls oder einer auffälligen Fahrweise durch die Polizei dem zuständigen Strassenverkehrsamt gemeldet? In diesen Fällen wird der Gutachter im Sinne der allgemeinen Verkehrssicherheit eher dazu tendieren, sich einen Eindruck von den praktischen Fahrkenntnissen des Exploranden zu machen. • Welche Zweifel hatte der betreuende Hausarzt bezüglich Fahreignung seines Patienten, die ihn dazu veranlasst haben, eine entsprechende behördliche Meldung zu machen? • Welche verkehrsmedizinisch relevanten Erkrankungen respektive Zustände sind bereits bekannt? Können diese Erkrankungen mit kognitiven Einschränkungen einhergehen? • Sind somatische Erkrankungen bekannt, bei denen mit einer Beeinträchtigung der ordnungsgemässen Fahrzeugbedienung zu rechnen ist? • Werden bestimmte Medikamente eingenommen, die sich negativ auf Fahrfähigkeit und/oder Fahreignung auswirken können? • Welche spezialärztlichen Abklärungen wurden im Vorfeld der Begutachtung bereits veranlasst? 3.2 Anamnese Die Anamnese ist das Herzstück der verkehrsmedizinischen Begutachtung. Sie dient der Erfassung des sozialen Hintergrunds der zu begutachtenden Person sowie deren automobilistischer Vorgeschichte. Von besonderem Interesse ist die möglichst vollständige Erhebung aller relevanten medizinischen Aspekte. 12
Soziale Anamnese Im Rahmen der verkehrsmedizinischen Untersuchung wird in der Regel zunächst eine soziale Anamnese erhoben. Hierbei werden einerseits Schulbildung und beruflicher Werdegang in Kürze erfasst, was u.a. für die spätere Beurteilung allfällig durchgeführter Hirnleistungs-Kurztest (vergleiche Kapitel 3.4 Zusatzuntersuchungen) von Bedeutung ist. Andererseits werden Art und Ausmass der aktuellen beruflichen Tätigkeit sowie Fragen zur Familiensituation und Freizeitgestaltung geklärt. Bei Exploranden mit einer Gesundheitsproblematik oder Senioren dient dieser Teil der Anamneseerhebung insbesondere der Erfassung allfälliger Hilfestellungen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens (kurz ADL`s, umfassen u.a. Aspekte wie Haushaltsführung, Einkaufen, Finanzen, Ankleiden, persönliche Hygiene u.a.) und erlaubt einen Eindruck über den Grad der Selbständigkeit in der Lebensführung. Automobilistische Anamnese Dieser Abschnitt der Exploration widmet sich der Frage, über welche Führerausweiskategorien die zu begutachtende Person verfügt und zu welchem Zeitpunkt diese jeweils erworben wurden. Daneben wird erfragt, ob bereits medizinische oder anderweitige Auflagen im Zusammenhang mit dem Führerausweis bestehen. Ferner wird die bisherige Fahrpraxis des Exploranden eruiert. Ein besonderes Augenmerk liegt in diesem Zusammenhang auf bisherigen Bussen und/oder Führerausweisentzügen wegen Strassenverkehrsgesetzwiderhandlungen. Wichtig ist auch die Frage nach den jeweiligen Fahrbedürfnissen (werden zum Beispiel nur noch Kurzstrecken in der Umgebung des Wohnortes gefahren oder auch noch weitere Strecken unter Benützung der Autobahn etc.) und die ungefähre jährliche Kilometerleistung. Insbesondere bei Senioren sollte zusätzlich angesprochen werden, ob möglicherweise gewisse Situationen (zum Beispiel Fahrten bei Dämmerung/Dunkelheit) freiwillig gemieden werden. Medizinische Anamnese Wie bei jeder ärztlicher Konsultation dient dieser Teil der Anamneseerhebung dem Erfassen allfälliger medizinischer Probleme. Neben der Frage nach Hausarztkonsultationen und behandelnden Spezialärzten sowie stationären Hospitalisationen und bisherigen Operationen, werden verschiedene (verkehrsmedizinisch relevante) Symptome, wie beispielsweise Bewusstseinsstörungen, Schwindel, vermehrte Tagesmüdigkeit, Verletzungsfolgen usw. erfragt. Da die Exploranden von sich aus häufig keinen umfassenden Überblick über ihre Krankengeschichte zulassen, sollten die wichtigsten Organsysteme in Kürze abgefragt werden: Fragen nach bisherigen Herz-Kreislaufproblemen, Lungenerkrankungen, Anfallsleiden, Diabetes mellitus und anderen Stoffwechselerkrankungen, neurologischen Erkrankungen, Augenerkrankungen, Behandlungen aufgrund psychischer Probleme, Leber- und Nierenerkrankungen etc., sind dabei unerlässlich. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach der Einnahme von Medikamenten von grosser Wichtigkeit. Ferner sollte anlässlich der Erhebung der medizinischen Anamnese auch das Konsumverhalten betreffend Alkohol, Nikotin und Drogen erfragt werden. Je nach Untersuchungsanlass und vorliegenden Erkrankungen, sollte die Anamnese noch weiter vertieft werden. Bei Senioren sollten beispielsweise allfällige kognitive Schwierigkeiten im Alltag (zum Beispiel zunehmende Vergesslichkeit) erfragt und geklärt werden, ob bis anhin bereits Abklärungen wegen einer Hirnleistungsschwäche stattgefunden haben. Bei Vorhandensein einer Augenproblematik dürfen gezielte Fragen, unter anderem nach dem Dämmerungssehvermögen, nach der Blendeempfindlichkeit und der Kontrastwahrnehmung, nicht vergessen werden. 13
3.3 Klinische Untersuchung Die klinische Untersuchung des Exploranden umfasst die Erhebung eines kursorischen Status unter besonderer Berücksichtigung der medizinischen Mindestanforderungen gemäss Verkehrszulassungsverordnung [vgl. Anhang]. Der Status beinhaltet die Erhebung von Grösse, Gewicht und Allgemeinzustand und dient dem Erfassen auffälliger Befunde an: Bewegungsapparat (insbes. rasche Kopfdrehung bis mind. 45° beidseits), Herz-Kreislaufsystem (Herzauskultation, Blutdruck- und Pulsmessung), Lungen, Abdomen und Haut (Alkoholstigmata). Ein wichtiger Bestandteil der körperlichen Untersuchung bei der Fahreignungsbegutachtung ist die kursorische neurologische Untersuchung (Motorik, Sensibilität, Tiefensensibilität, Koordinations- und Gleichgewichtstests wie Romberg- Stehversuch, Finger-Nase-Versuch, Strichgang, Muskeleigenreflexe) sowie die Augenuntersuchung (Fernvisus ohne und mit allfälliger Korrektur, fingerperimetrische Gesichtsfeldprüfung, Augenmotilität, Pupillenreaktion). Zusätzlich sollte bei jeder Fahreignungsbegutachtung ein kurzer Psychostatus erhoben werden. 3.4 Zusatzuntersuchungen Je nach Frage- und Problemstellung kann die Indikation für die Durchführung zusätzlicher Untersuchungen gegeben sein. 3.4.1 Hirnleistungs-Screening-Tests Bei klinischen Auffälligkeiten der Exploranden (zum Beispiel Verhaltensauffälligkeiten, ausschweifende Antworten, inadäquate Reaktionen auf Anweisungen, Zeichen der Verwahrlosung, umständliches Vorgehen beim An- und Auskleiden, allgemeine psychomotorische Verlangsamung) und häufig auch als Screening-Untersuchung bei Senioren (> 70 Jahren) sowie bei Vorhandensein bestimmter Erkrankungen (insbesondere neurologische Erkrankungen wie Status nach cerebrovaskulärem Insult, Status nach Schädel-Hirn-Trauma, Multiple Sklerose und andere), werden am IRM-UZH routinemässig Hirnleistungs- Kurztests durchgeführt. Bei Fremdsprachigkeit oder Personen mit fehlender Schulbildung sind die nachfolgend aufgeführten Tests jedoch nur sehr begrenzt durchführbar. Mini-Mental-Status-Test (MMST) Aufgrund seiner leichten Durchführbarkeit ist der MMST nach Folstein, Folstein & Folstein SE, McHugh PR [5 und vgl. Anhang] immer noch das am häufigsten verwendete testpsychologische Instrument. Dieser Test erfasst die kognitive Leistungsfähigkeit in den Bereichen „zeitliche und örtliche Orientierung (max. 10 Punkte), Merk- und Erinnerungsfähigkeit (max. 6 Punkte), Aufmerksamkeit und Flexibilität (max. 5 Punkte), Sprache (max. 3 Punkte), Anweisungen befolgen (max. 3 Punkte), Lesen, Schreiben und Nachzeichnen (je 2 Punkte)“ [9]. Es können maximal 30 Punkte erreicht werden. Der erzielte Punktwert erlaubt eine ungefähre Einschätzung des Schweregrades der vorliegenden Hirnleistungsschwäche. Für die Interpretation der Punktwerte differieren die Studienergebnisse. Allgemein deuten Punktwerte von 26 und höher auf einen normalen Zustand hin. Personen mit einer milden Alzheimer Ausprägung tendieren zu Punktewerten zwischen 20 und 24. Punktewerte zwischen 10 und 19 deuten auf eine moderate Demenz hin. Ein Punktwert von unter 10 zeigt eine sehr schwerwiegende Beeinträchtigung an [15]. 14
Uhrentest Auch der Uhrentest nach Shulman et al. [27 und vgl. Anhang] ist einfach durchführbar und daher eine weit verbreitete Screeningmethode bei Verdacht auf kognitive Defizite. Der Explorand erhält dabei ein Blatt Papier mit einem leeren Kreis darauf und erhält die Aufgabe „Zeichnen Sie eine Uhr mit allen Zahlen und Zeigern, die dazugehören!“ und „Tragen Sie die Uhrzeit (in einem leeren Feld auf dem Papier) ein, wie sie zum Beispiel auf einem Fahrplan stehen würde!“ Erfasst werden in erster Linie „das problemlösende Denken und die räumlich-zeichnerische Leistung“ [2], In der Abteilung für Verkehrsmedizin der Universität Zürich erfolgt die Beurteilung des Uhrentests in der Regel nach einem Punktevergabesystem: Für die korrekte Position der Zahl 12 werden 2 Punkte vergeben. Sind genau 12 Zahlen auf dem Ziffernblatt vorhanden, wird 1 zusätzlicher Punkt erteilt. Können 2 Zeiger differenziert werden, so werden 2 weitere Punkte vergeben. Stimmt die gezeichnete Zeit mit der abgelesenen Zeit überein, werden 2 weitere Punkte gegeben. Insgesamt können maximal 7 Punkte erreicht werden. Geläufig ist zuweilen auch die Einteilung „auffällig“ in verschiedenen Abstufungsgraden. Einheitliche Grundlagen für diese Interpretation gibt es jedoch nicht. In der Literatur finden sich verschiedene Vorschläge zur Auswertung des Uhren-Tests, eine allgemein akzeptierte Befund-Interpretation existiert hingegen bisher nicht [9]. Auch hausintern gibt es am IRM-UZH keine einheitliche Regelung für die Interpretation. Trail-Making-Test (TMT) Teil A und B Der Trail-Making-Test [vgl. Anhang] ist ein neuropsychologischer Test mit militärischem Hintergrund [17], der die Umstellfähigkeit und visuelle Aufmerksamkeit misst. Das Testprinzip besteht darin, dass der Explorand aufgefordert wird, auf dem Papier verstreute Zahlen (resp. Zahlen und Buchstaben) in aufsteigender Reihenfolge so schnell wie möglich miteinander zu verbinden [9]. Beim TMT A sind auf einem A4-Blatt die Zahlen 1 bis 25 aufgeführt, die in aufsteigender Reihenfolge miteinander verbunden werden müssen. Der Explorand sollte vor Testbeginn ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass er die Aufgabe so rasch wie möglich ausführen sollte und es nicht darauf ankommt, dass die Zahlen „optisch schön“ miteinander verbunden werden. Die benötigte Zeit in Sekunden wird anschliessend anhand einer Normtabelle [vgl. Anhang] mit den alters- und ausbildungskorrigierten Durchschnittszeiten verglichen. Beim TMT B befinden sich auf einem A4-Blatt die Zahlen 1-13 und Buchstaben von A-L, die abwechselnd in aufsteigender Reihenfolge - wiederum so rasch wie möglich - miteinander verbunden werden müssen (1-A-2-B-3-C usw.), die Normwerte sind ebenfalls alters- und ausbildungsabhängig [24]. Der TMT B stellt dabei ein Mass für die kognitive Flexibilität und die geteilte Aufmerksamkeit dar, welche verkehrsmedizinisch besondere Relevanz besitzen. Nebst der benötigten Zeitdauer gilt es auch zu berücksichtigen, ob der Test fehlerfrei oder fehlerhaft ausgeführt wurde. Es wird empfohlen, die Bearbeitung jedes Testteils nach ca. 4-5 Minuten abzubrechen, um die Exploranden nicht unnötig zu strapazieren [9]. 3.4.2 Laboruntersuchungen/ chemisch-toxikologische Analysen Bei bestimmten Fragestellungen kann die Indikation für Laboruntersuchungen und/oder chemisch- toxikologische Analysen gegeben sein. Eine Untersuchung der alkoholrelevanten Parameter im Blut (GOT, GPT, Gamma-GT, CDT, MCV) kann beispielsweise bei Hinweisen auf eine Alkoholproblematik erforderlich sein. Ferner kann anhand einer Blutuntersuchung überprüft werden, ob bestimmte Medikamente im 15
therapeutisch wirksamen Bereich liegen, was vor allem bei Antiepileptika und Psychopharmaka bedeutsam sein kann und insbesondere auch einen Rückschluss auf die Therapietreue der zu begutachtenden Person zulässt. Urinscreening-Untersuchungen werden durchgeführt, um einen Konsum psychotrop wirksamer Medikamente oder Drogen im unmittelbaren Zeitraum vor der verkehrsmedizinischen Untersuchung zu detektieren. Bedarfsweise werden bei unklaren Urinscreening- Befunden beweiskräftige Urin-Bestätigungsanalysen veranlasst. Bei speziellen Fragestellungen werden Haaranalysen zur Überprüfung der längerfristigen Konsumgewohnheiten betreffend Alkohol, Medikamenten und/oder Drogen durchgeführt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Aufklärung des Exploranden über Zweck und zu erwartenden Kosten der jeweiligen Zusatzuntersuchungen. 3.4.3 Technische Funktionsprobe Bei verschiedenen körperlichen Einschränkungen respektive Behinderungen kann allein auf der Grundlage der klinischen Untersuchung und der anamnestischen Angaben des Exploranden nicht ausreichend gut abgeschätzt werden, ob die erhobenen Befunde eine ordnungsgemässe Fahrzeugbedienung zulassen. In diesen Fällen wird die Indikation zur Durchführung einer technischen Funktionsprobe [vgl. Anhang] bei einem speziell ausgebildeten Verkehrsexperten gestellt und durch den begutachtenden Arzt beim zuständigen Strassenverkehrsamt angemeldet. Auch Hausärzte können bei Funktionseinbussen des Bewegungsapparates mit möglichen Auswirkungen auf die Fahrzeugbedienung, eine Überprüfung durch einen speziell ausgebildeten Verkehrsexperten bei der kantonalen Strassenverkehrsbehörde beantragen [37]. Anhand eines speziellen Testapparats werden dabei die Kraft in Beinen und Armen, die Beweglichkeit, die Zielsicherheit beim Betätigen der Pedalerie sowie das Reaktionsvermögen (beispielsweise beim Wechsel von Gas- auf Bremspedal) überprüft. Basierend auf den Testergebnissen werden die Möglichkeiten technischer Fahrzeuganpassungen (zum Beispiel Bremskraftverstärker, Handgas) und Kriterien der Fahrzeugwahl (zum Beispiel Auflage „nur Automaten“) festgelegt [32]. 3.4.4 Verkehrspsychologische Untersuchung der kognitiven Fahreignung Am IRM-UZH wird nach vorgängiger verkehrsmedizinischer Untersuchung bei bestimmten Fragestellungen eine verkehrspsychologische Untersuchung der Fahreignung bei einem Verkehrspsychologen veranlasst, worin entweder die kognitive und oder charakterliche Fahreignung abgeklärt wird. Voraussetzung hierfür ist die vorherige Aufklärung des Exploranden über Sinn und Zweck der Untersuchung und die damit verbundenen Zusatzkosten. In der aktuellen Arbeit ist nur die kognitive Fahreignungsbegutachtung relevant. Sinnvolle Indikationen für diese Zusatzuntersuchung sind Zustände oder Erkrankungen, die häufig mit kognitiven Einbussen einhergehen. Im Handbuch der verkehrsmedizinischen Begutachtung [8] werden in diesem Zusammenhang unter anderem psychiatrische Erkrankungen, Status nach Schädel-Hirn-Trauma und Medikation mit Psychopharmaka aufgeführt. Diese „Testbatterie“ dauert etwa 90 bis 120 Minuten und beinhaltet neben einem kurzen Gespräch bis zu 8 Untertests aus dem ART 2020 [3], welche der Erfassung verschiedener, nachfolgend aufgeführter, verkehrsrelevanter Hirnleistungen dienen (siehe Tabelle 1): 16
Test Untersuchung/Erfassung von: MAT Erfassung der logischen Denk- und Abstraktionsfähigkeit GEMAT Erfassung der Konzentrations- und Merkfähigkeit; visuell-räumliches Kurzzeitgedächtnis Q1 Erfassung der Aufmerksamkeitsleistung unter Monotonie; selektive Aufmerksamkeit und Vigilanz LL5 Erfassung der visuellen Strukturierungsfähigkeit bzw. visuellen Orientierungsfähigkeit TT15 Erfassung der Überblicksgewinnung PVT Erfassung der peripheren Wahrnehmung bei gleichzeitiger Lenkaufgabe bzw. Erfassung der geteilten Aufmerksamkeit RST3 Erfassung der reaktiven Belastbarkeit und Frustrationstoleranz bzw. der Daueraufmerksamkeit DR2 Erfassung des Entscheidungs- und Reaktionsverhaltens Tabelle 1: Tests zur Erfassung verkehrsrelevanter kognitiver Funktionen Bei grenzwertigen oder inkongruenten Resultaten, die keine eindeutige Aussage bezüglich Auswirkung der erhobenen Defizite im Strassenverkehr zulassen, wird in Einzelfällen zusätzlich eine ärztlich begleitete Kontrollfahrt veranlasst, um im realen Setting zu prüfen, ob festgestellte Defizite kompensierbar sind. Bei Senioren bieten die zur Abklärung der kognitiven Funktionen heute zur Verfügung stehenden Testverfahren nach empirischen Erkenntnissen keine objektive Beurteilungsgrundlage [21]. In erster Linie wird bemängelt, dass die oben erwähnten Tests bei Senioren zu wenig praxisrelevant sind und beispielsweise keine Aussage darüber zulassen, ob kognitive Defizite im realen Strassenverkehr allenfalls (durch die langjährige Fahrroutine) kompensiert werden können. Senioren mit zweifelhafter kognitiver Fahreignung werden daher am IRM-UZH mehrheitlich primär einer ärztlich begleiteten Kontrollfahrt zugeführt. 3.5 Medizinische Fremdauskünfte Nach Entbindung von der ärztlichen Geheimhaltepflicht [vgl. Anhang] werden bei den meisten verkehrsmedizinischen Fragestellungen schriftlich ergänzende Auskünfte [vgl. Anhang] von behandelnden Ärzten eingeholt. Diese Anfrage soll einerseits die anamnestischen Angaben des Exploranden ergänzen, andererseits auch deren Wahrheitsgehalt prüfen. Nicht selten werden beispielsweise seitens der Exploranden unvollständige oder falsche Angaben insbesondere zur Einnahme von Medikamenten oder 17
zum Konsumverhalten in Punkto Alkohol oder Drogen gemacht. Sobald die Fahreignung in Frage gestellt wird, besteht auch die Gefahr, dass die betroffene Person zur Aufrechterhaltung ihrer Fahreignung relevante medizinische Aspekte, wie zum Beispiel rezidivierende Ohnmachtsanfälle, bewusst verschweigt. Ein Fremdbericht wird in erster Linie beim betreuenden Hausarzt eingeholt, der im Idealfall über die gesamte Krankengeschichte der zu begutachtenden Person verfügt. Häufig wird eine allgemeine Anfrage betreffend Diagnosen, Therapie, Verlauf, Prognose und Labor verfasst. Je nach Sachlage wird gezielt gefragt, ob der Arzt seinen Patienten zum Beispiel schon längerfristig als psychisch stabil erachtet oder wie hoch die Blutdruckwerte bei den letzten Sprechstunden-Konsultationen waren. Auch die Frage nach der zuverlässigen Einhaltung der ärztlichen Weisungen kann bedeutsam sein. Ebenso wie auch die Frage nach bestehenden Alkoholproblemen. Bei Bedarf werden im Einverständnis mit dem Exploranden auch Spitalberichte angefordert oder ein die Therapie begleitender Psychologe um eine Stellungnahme zum bisherigen Therapieverlauf gebeten. Nicht selten werden auch telefonische Rücksprachen mit den im Behandlungskontext involvierten ärztlichen Fachpersonen geführt, wobei zu betonen ist, dass diese Art des Informationsaustauschs gewisse „Gefahren“ birgt, insbesondere wenn im Falle einer negativen Beurteilung der Fahreinung telefonische Fachgespräche zitiert werden. 4. Die ärztlich begleitete Kontrollfahrt „Die ärztlich begleitete Kontrollfahrt kommt dann zur Anwendung, wenn medizinisch begründete Eignungsmängel bestehen und die Fahreignung durch die vorangehende klinische Abklärung nicht definitiv beurteilt werden kann“ [21]. Da die ärztlich begleitete Kontrollfahrt eine vergleichsweise kurze Momentaufnahme darstellt, sollten die jeweiligen Einschränkungen im Idealfall relativ konstant vorhanden sein. 4.1 Die Kontrollfahrt in der Literatur Eine Expertengruppe hat im Auftrag des Vereins Swiss Memory Clinics praktische Empfehlungen für die Einschätzung der Fahreignung in Memory Clinics abgeleitet und in der Zeitschrift Praxis veröffentlicht [16]. Kontrollfahrten sind in diesem Artikel ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung der Fahreignung im Falle von nicht schlüssigen übrigen Untersuchungsresultaten. Ferner wurden charakteristische Indikationen für Kontrollfahrten aufgeführt. Darunter sind zum Beispiel die leichte Demenz, fehlende Schulbildung oder Fremdsprachigkeit mit resultierend schwieriger Beurteilung der kognitiven Beeinträchtigung und Multimorbidität durch das Zusammenwirken von verschiedenen leichten Erkrankungen genannt. Die Expertengruppe empfiehlt, vor einer Kontrollfahrt Fahrstunden bei einem konzessionierten Fahrlehrer zu nehmen. Seeger [23] leitet erfahrungsgestützt als Faustregel für die verkehrsmedizinischen Praxis ab, dass ältere Fahrzeuglenker mit einem MMST < 21 eine Kontrollfahrt in aller Regel nicht mehr bestehen. Bei einem Ergebnis zwischen 23 und 30 Punkten im MMST kann die Fahrprobe nach Seeger sowohl negativ wie auch positiv verlaufen. Bei einem nicht erfüllten Trail Making Test Teil-A (das heisst mit Fehlern und/oder Zeitüberschreitung) von Personen mit einer durchschnittlichen Bildung, verläuft nach Beurteilung des 18
selbigen Autors eine Kontrollfahrt in 98% der Fälle negativ. Zudem betont Seeger, dass die Fahrprobe bei Probanden, die den Trail Making Test Teil-B in der Normzeit und fehlerfrei absolvieren können, immer positiv verläuft. In einem weiteren Artikel teilt Seeger [22] die über 70-jährigen Motorfahrzeuglenker im Zusammenhang mit der periodischen Überprüfung der Fahreignung in drei Gruppen ein: gesunde Senioren im Alter zwischen 70 und 80 Jahren, gesunde Hochbetagte ab einem Alter von 80 Jahren und kranke Personen mit verkehrsmedizinisch relevanten Einschränkungen. Die wichtigste verkehrsmedizinisch relevante Krankheit ist bei Personen über 70 Jahren die beginnende Demenz [25]. Bei Vorliegen einer mittelschweren Demenz (zum Beispiel erforderliche Betreuung, unselbständige Lebensführung) ist die Fahreignung nicht gegeben. Bei leichter Demenz (z.B. soziale Aktivitäten und Körperpflege eingeschränkt) ist die Fahreignung zumindest fraglich. Zusatzuntersuchungen wie kognitive Kurztests oder ärztlich begleitete Kontrollfahrt können Klärung bringen. In einer früheren Arbeit von Seeger [20] wurden Einsatzgebiete der ärztlich begleiteten Fahrprobe abgeleitet. Als Hauptgruppen wurden definiert: beginnende Demenz-Erkrankung, neurologisch bedingte Einschränkungen, Augenprobleme und Einschränkungen des Bewegungsapparates. Bei diesen Erkrankungen nennt er eine ärztlich begleitete Fahrprobe in Zweifelsfällen als wertvolle Zusatzuntersuchung. Wächter [30] analysierte in einer Langzeituntersuchung zwischen 1995 und 2012 die ärztlich begleitete Kontrollfahrt als Beurteilungskriterium bei Fahrzeuglenkern mit einer Parkinson-Erkrankung. Etwa 25% der Exploranden bestanden die Fahrprobe nicht. Als Hauptgrund für das Nichtbestehen wurden kognitive Defizite genannt. Von denjenigen, die die Fahrprobe bestanden haben, waren mehr als 30% knapp. Wächter führt aus, dass die ärztlich begleitete Kontrollfahrt insbesondere bei grenzwertigen Befunden hinsichtlich Hirnleistungen und/oder motorischen Funktionen eine zweckmässige Ergänzung zur Untersuchung bildet. In einer internationalen Studie aus Deutschland [12] wurde die praktische Fahrprobe im mittleren und höheren Lebensalter überprüft. Limitierend bei dieser Studie war, dass es sich bei den Testpersonen um (neurologisch und psychiatrisch) gesunde Teilnehmer mit einer jährlichen Fahrleistung über 3000 km handelt. Zudem wurde die Testfahrt mit einem der Testperson fremden Fahrschulfahrzeug absolviert. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die Teilnehmer zu 95 % die Fahrprobe bestanden haben und damit auch mit einem fremden Fahrzeug auf unbekannter Strecke zurechtkommen. Die Personen, die durchgefallen waren, waren durchwegs im höheren Alter (> 68 Jahre). Haupterkenntnis aus dieser Studie war, dass praktische Fahrproben auch bei Personen im höheren Lebensalter anwendbar sind. In einem Fachartikel aus Deutschland von Schubert und Wagner [19] wurde die Beobachtung konkreten Fahrverhaltens als Ergänzung der klassischen verkehrspsychologischen Testverfahrten diskutiert. Im Unterschied zu vielen Kantonen der Schweiz ist die Fahrverhaltensbeobachtung in Deutschland Domäne der (Verkehrs-) Psychologen. In dem Beitrag wird betont, dass die Fahrverhaltensbeobachtung nur von einem erfahrenen Gutachter durchgeführt werden sollte. Als Indikation für die Durchführung einer psychologischen Fahrverhaltensbeobachtung wird ein unzureichendes Resultat in der vorgeschalteten Testdiagnostik genannt. Als wesentliche Beurteilungskriterien der Fahrverhaltensbeobachtung werden Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung/Aufmerksamkeitsleistung, risikobezogene Selbstkontrolle und Handlungszuverlässigkeit aufgeführt. 19
In einer österreichischen Studie von Kaufmann und Risser [10] mit 103 Proband/-innen wurde festgestellt, dass schlechtere verkehrspsychologische Testergebnisse (zum Beispiel im Rahmen von Reaktions- und Koordinationstests) auch zu einer schlechteren Beurteilung des praktischen Fahrverhaltens führten. Die Leistungstests zur Beurteilung von Überblicksgewinnung, Reaktionsfähigkeit, Belastbarkeit und Koordination ermöglichten gestützt durch Berechnungen mittels der binären logistischen Regression die Ableitung von Aussagen, inwieweit die fahrerischen Leistungen eines Probanden bei einer Fahrprobe eher positiv oder negativ eingeschätzt würden. Es handelte sich in dieser Studie um eine standardisierte Fahrstrecke, bei der die beiden Beobachter des Fahrverhaltens nicht über die Zuweisungsgründe zur verkehrspsychologischen Untersuchung und nicht über das Ergebnis der zuvor absolvierten Leistungstests der Probanden informiert wurden. 4.2 Kantonale Unterschiede Die Kontrollfahrt wird in der Schweiz auf Anordnung des zuständigen Strassenverkehrsamtes nach eingehender verkehrsmedizinischer Abklärung durchgeführt. Innerhalb der Schweiz ist die Kontrollfahrt keineswegs einheitlich, sondern kantonal geregelt. In einigen Kantonen (u.a. Graubünden, Luzern, Schaffhausen, Solothurn, St. Gallen, Thurgau, Zürich) hat sich die durch einen Verkehrsexperten geleitete, ärztlich begleitete Kontrollfahrt etabliert und bewährt. In der Mehrzahl der Fälle besitzt die ärztliche Fachperson eine verkehrsmedizinische Zusatzqualifikation und/oder ist Inhaber des Titels „Verkehrsmediziner SGRM“. Im Kanton Bern ist hingegen beispielsweise die durch einen Psychologen begleitete Kontrollfahrt geläufig. Informationen über die im jeweiligen Kanton gängige Beurteilungspraxis sind nicht auf allen Homepages der jeweiligen Strassenverkehrsämter in Erfahrung zu bringen. Vom Kanton St. Gallen ist das gängige Prozedere hingegen anhand eines wissenschaftlichen Vortrags an der Sommertagung der schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM) am 11. und 12.05.2012 in St. Gallen bekannt [7]. Die ärztlich begleitete Kontrollfahrt hat sich demnach im Kanton St. Gallen bei Senioren, somatischen und psychischen Erkrankungen, Medikamenten-Einfluss und Folgen von Suchtmittelproblematik als aussagekräftige und praxisnahe Zusatzuntersuchung bei der Fahreignungsbegutachtung bewährt. Die in Vorbereitung stehende Neuauflage der Verkehrszulassungsverordnung sieht eine einheitliche Regelung der ärztlich begleiteten Kontrollfahrt vor. 4.3 Die ärztlich begleitete Kontrollfahrt am IRM-UZH Am IRM-UZH stellt die ärztlich begleitete Kontrollfahrt unter bestimmten Voraussetzungen eine etablierte Zusatzuntersuchung in der Fahreignungsbegutachtung dar. Wird die Indikation für eine ärztlich begleitete Kontrollfahrt gestellt, so sind einige wichtige Aspekte zu beachten, die in erster Linie der Information und Aufklärung des Exploranden dienen. Planung und Durchführung der eigentlichen Kontrollfahrt erfolgen individuell in Anpassung an die jeweilige Fallkonstellation. 4.3.1 Welche Umstände führen zur Kontrollfahrt Als Indikationsstellung für eine Kontrollfahrt werden alle Faktoren rund um die Fahreignungsbegutachtung einer Person einbezogen. So beginnt die erste Einschätzung einer Person bereits vor der eigentlichen Untersuchung. Nicht selten fallen die zu untersuchenden Personen bereits vor der eigentlichen 20
Untersuchung durch Verhaltensauffälligkeiten auf. Dies kann eine telefonische Kontaktaufnahme mit dem Gutachter vor dem Untersuchungstermin sein, in der sich die zu begutachtende Person auffällig verbalisiert. Einigen Exploranden bereitet es ferner bereits grosse Mühe, sich für die Untersuchung zur vereinbarten Zeit am richtigen Ort einzufinden. Das Erscheinen an einem anderen Wochentag oder zu einer völlig anderen Uhrzeit kann in einigen Fällen erste Hinweise auf eine Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen geben. Nicht selten erscheinen Exploranden beispielsweise trotz ausführlicher Adressangaben und Wegbeschreibungen, die mit dem Terminaufgebot versandt werden, fälschlicherweise am Universitätsspital Zürich. Jede kleine Information, die der Explorand seinem Gutachter präsentiert, kann eine wichtige Rolle auf dem Weg zur Gesamtbeurteilung spielen, ohne dass einzelne Elemente wie zum Beispiel das verspätete Eintreffen zur Untersuchung, überbewertet werden. In der eigentlichen Begutachtung bildet der Arzt schliesslich eine Synthese aus allen zur Verfügung stehenden Informationen (Aktenstudium und eigene erhobene Untersuchungsbefunde und Feststellungen). Es soll nochmals betont werden, dass dem Gesamteindruck eine besondere Bedeutung zukommt. Nicht ein Status nach cerebrovaskulärem Insult alleine zieht beispielsweise die Konsequenz einer ärztlich begleiteten Kontrollfahrt nach sich, sondern die damit verbundenen Auffälligkeiten und Einschränkungen im Gesamtkontext. Von Bedeutung sind im Entscheidungsprozess für oder gegen die Kontrollfahrt am IRM-UZH auch die Resultate der kognitiven Kurztests. Wie im Kapitel 3.4.1 aufgeführt, wird im Allgemeinen bei Personen mit erheblicher Zeitüberschreitung im TMTA (in der Regel > 50% im Vergleich zur entsprechenden Altersnorm) respektive mit mehreren Fehlern keine Kontrollfahrt mehr empfohlen. Personen, die in der Lage sind, den TMTB fehlerfrei und in der vorgegebenen Zeit zu absolvieren, werden überwiegend ebenfalls keiner Kontrollfahrt unterzogen, da davon ausgegangen werden kann, dass diese die Anforderungen der Probefahrt bestehen (vgl. hierzu auch Kap. 4.1) 4.3.2 Wichtige Schritte vor Durchführung der ärztlich begleiteten Kontrollfahrt Kommt der Gutachter zu dem Entschluss, dass eine ärztlich begleitete Kontrollfahrt angezeigt ist, bedarf es zunächst einer Aufklärung des Exploranden über Sinn und Zweck der Kontrollfahrt und die zu erwarteten Zusatzkosten. Der Ablauf der Kontrollfahrt wird kurz erläutert, insbesondere wird auch darauf hingewiesen, dass die Exploranden mit dem eigenen PW und einer fahrberechtigten Begleitperson – dies für den Falle eines negativen Resultates der Kontrollfahrt und der damit verbundenen sofortigen „vorläufigen Abnahme des Führerausweises“ – beim zuständigen Strassenverkehrsamt erscheinen müssen. Den Exploranden wird zudem empfohlen, dass die Möglichkeit einer freiwilligen Nachschulung bei einem Fahrlehrer besteht, dies jedoch nicht verpflichtend ist. Ist der Explorand mit der Durchführung der Kontrollfahrt einverstanden, so bestätigt er dies mit seiner Unterschrift auf dem Anmeldeformular [vgl. Anhang]. Schliesslich wird noch ein Merkblatt [vgl. Anhang] mit den wichtigsten Informationen ausgehändigt. Nach erfolgtem Antrag mit obengenanntem Formular beim Strassenverkehrsamt verfügt dieses die Durchführung der ärztlich begleiteten Kontrollfahrt und teilt dem Exploranden einen Untersuchungstermin mit. Willigen Exploranden nicht in die ärztlich begleitete Kontrollfahrt ein, so werden Sie darüber informiert, dass ihre Fahreignung in diesem Fall nicht abschliessend beurteilt werden kann und ein entsprechender Abschlussbericht zuhanden des Strassenverkehrsamtes wird verfasst. Dies kann die Konsequenzen eines vorsorglichen Führerausweisentzugs durch die Administrativbehörden nach sich ziehen. 21
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