DIE BEKÄMPFUNG DES MENSCHENHANDELS IN DER EUROPÄISCHEN UNION
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
DIE BEKÄMPFUNG DES Eingereicht von Lisa Brandstetter MENSCHENHANDELS Angefertigt am Institut für Europarecht IN DER Beurteiler / Beurteilerin Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler EUROPÄISCHEN Februar 2023 UNION Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at DVR 0093696
GENDERGERECHTE SPRACHE Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Diplomarbeit die Sprachform des generischen Maskulinums angewendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig zu verstehen ist. 06. Februar 2023 II
Inhaltsverzeichnis I. EINLEITUNG .................................................................................................................................... 1 II. MENSCHENHANDEL ....................................................................................................................... 2 A. DEFINITION ...................................................................................................................................... 2 B. FORMEN DES MENSCHENHANDELS ........................................................................................................ 3 1. AUSBEUTUNG DER BETTELEI ......................................................................................................................... 3 2. AUSBEUTUNG DER ARBEITSKRAFT ................................................................................................................. 4 3. AUSBEUTUNG DURCH BEGEHUNG MIT STRAFE BEDROHTER HANDLUNGEN ........................................................... 4 4. ORGANENTNAHME ..................................................................................................................................... 5 5. SEXUELLE AUSBEUTUNG UND ZWANGSPROSTITUTION ...................................................................................... 5 6. AUSBEUTUNG DURCH EHEVERMITTLUNG ........................................................................................................ 6 C. SITUATION IN EUROPA ........................................................................................................................ 7 1. AUSWIRKUNGEN DER CORONA PANDEMIE AUF DEN MENSCHENHANDEL ............................................................. 7 2. URSACHEN FÜR DEN MENSCHENHANDEL ........................................................................................................ 9 D. BLICK AUßERHALB EUROPAS, AUF DIE UMSTRITTENE WELTMEISTERSCHAFT 2022 IN KATAR..............................11 III. DER RECHTLICHE RAHMEN IN DER EUROPÄISCHEN UNION ..........................................................12 A. DURCH DEN EUROPARAT ....................................................................................................................12 1. EUROPÄISCHE MENSCHENRECHTSKONVENTION (EMRK) ................................................................................ 12 2. ÜBEREINKOMMEN DES EUROPARATS ZUR BEKÄMPFUNG DES MENSCHENHANDELS .............................................. 14 B. DURCH DIE EUROPÄISCHE UNION .........................................................................................................16 1. CHARTA DER GRUNDRECHTE DER EUROPÄISCHEN UNION ................................................................................ 16 2. RAHMENBESCHLUSS ZUR BEKÄMPFUNG DES MENSCHENHANDELS .................................................................... 17 3. DIE RICHTLINIE IM EU-RECHT..................................................................................................................... 18 4. EU-RICHTLINIE 2004/81/EG .................................................................................................................... 18 5. EU-RICHTLINIE 2004/80/EG .................................................................................................................... 19 6. EU-RICHTLINIE 2011/36/EU .................................................................................................................... 19 7. EU-RICHTLINIE 2012/29/EU .................................................................................................................... 22 8. EU-RICHTLINIE 2013/32/EU .................................................................................................................... 24 9. EU-RICHTLINIE 2013/33/EU .................................................................................................................... 24 10. STRATEGIE ZUR BEKÄMPFUNG DES MENSCHENHANDELS IN DER EU 2021-2025 .............................................. 25 IV. HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN .....................................................................................................27 A. ORGANISATION FÜR SICHERHEIT UND ZUSAMMENARBEIT IN EUROPA (OSZE) ...............................................27 1. OSZE-AKTIONSPLAN ZUR BEKÄMPFUNG DES MENSCHENHANDELS ................................................................... 27 2. GENDERSENSIBLER ANSATZ ZUR BEKÄMPFUNG DES MENSCHENHANDELS ........................................................... 28 B. DAS STOCKHOLM-PROGRAMM ............................................................................................................29 C. EUROPEAN MULTIDISCIPLINARY PLATFORM AGAINST CRIMINAL THREATS (EMPACT) ....................................30 06. Februar 2023 III
V. CONCLUSIO ..................................................................................................................................30 VI. ANHANG .....................................................................................................................................32 A. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS .................................................................................................................32 B. LITERATURVERZEICHNIS ......................................................................................................................34 1. LITERATUR .............................................................................................................................................. 34 2. MATERIALIEN .......................................................................................................................................... 36 3. RECHTSVORSCHRIFTEN .............................................................................................................................. 39 06. Februar 2023 IV
I. Einleitung Robert Sylvester Kelly (R. Kelly), Andrew Tate und Allison Mack sind bekannte Persönlichkeiten, die mit der modernen Form der Sklaverei, Menschenhandel, in Verbindung gebracht werden. Wie zahlreiche Medienberichte, Serien und Filme zeigen, ist diese Thematik aktueller denn je. Trotz moderner Gesellschaft, einer stetigen Weiterentwicklung von Rechtssystemen und wachsender Bedeutung von Menschenrechten bleibt das Phänomen des Menschenhandels bestehen und entwickelt sich weiter. In den europäischen Staaten steigt die Zahl der Menschen, die Opfer von Arbeitsausbeutung werden an.1 Die Europäische Kommission reagiert auf die wachsenden Zahlen der Opfer von Menschenhandel. Dazu wurde am 27. September 2022, vom Ministerkomitee eine Empfehlung für die Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels zum Zweck der Arbeitsausbeutung ausgesprochen.2 Diese Arbeit soll einen Überblick über die Thematik Menschenhandel schaffen. Im ersten Teil beschäftigt sich die Arbeit mit der Definition und den unterschiedlichen Ausprägungsformen. Weiters zeigt sie die Situation in Europa mit Augenmerken auf die Corona-Pandemie und den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Da die Weltmeisterschaft 2022 in Katar von Vorwürfen wegen Menschenhandels überschattet war, gibt die Arbeit auch in dieses Thema einen kleinen Einblick. Der Hauptbereich der Arbeit liegt im rechtlichen Rahmen innerhalb Europas. Dabei werden vom Europarat und der Europäischen Union Rechtsakte und Strategien vorgestellt. Diese werden näher betrachtet, um zu zeigen, welche Rechte sich aus den verschiedenen Instrumenten ergeben. Neben dem rechtlichen Rahmen werden auch Handlungsmöglichkeiten vorgestellt, die der Bekämpfung des Menschenhandels dienen sollen. 1 Vgl Europarat, Europäischer Tag gegen Menschenhandel: Staaten müssen dringend Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft bekämpfen (2022), https://www.coe.int/de/web/portal/-/european-anti-trafficking-day- states-must-urgently-tackle-human-trafficking-for-labour-exploitation, abgerufen am 24.01.2023. 2 Vgl ua Council of Europe, New Committee of Ministers recommendation on preventing and combating trafficking in human beings for the purpose of labour exploitation (2022), https://www.coe.int/en/web/anti-human-trafficking#, abgerufen am 24.01.2023. 1
II. Menschenhandel A. Definition Die Legaldefinition des Begriffs Menschenhandel ist in Art 3 lit a-c des Zusatzprotokolls zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, zu finden. Diese Definition wird international anerkannt. Im Sinne dieses Protokolls a) bezeichnet der Ausdruck „Menschenhandel“ die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen; b) ist die Einwilligung eines Opfers des Menschenhandels in die unter Buchstabe a genannte beabsichtigte Ausbeutung unerheblich, wenn eines der unter Buchstabe a genannten Mittel angewendet wurde; c) gilt die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme eines Kindes zum Zweck der Ausbeutung auch dann als Menschenhandel, wenn dabei keines der unter Buchstabe a genannten Mittel angewendet wurde (…)3 Bei Kindern liegt gem Art 3 lit c Menschenhandel bereits vor, wenn keines der in lit a genannten strafbaren Mittel angewandt wird. Ein Einverständnis des Kindes selbst, oder einer mit der Obhut betrauten Person ist unerheblich. ISd lit d werden Personen unter 18 Jahren als Kinder gesehen.4 Ein Handel iS einer Übergabe oder Übernahme einer Person gegen eine Leistung ist keine Voraussetzung für den Begriff Menschenhandel. Das übergeordnete Merkmal der Begriffsbestimmung liegt in der Art der „Anwerbung“ der Person. Diese muss durch Androhung oder Anwendung von Gewalt, Nötigung, Betrug, Täuschung, […], erfolgen, um eine Person auszubeuten.5 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kam 2010 zum Entschluss, dass Menschenhandel in den Schutzbereich des Art 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention 3 Art 3 Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität BGBI III 220/2005. 4 Vgl ua Task Force Menschenhandel (Hrsg), Prävention von Kinderhandel und Schutz der Opfer von Kinderhandel (2018-2020) 2. 5 Vgl ua Kartusch, Menschenhandel - Eine menschenrechtliche Herausforderung für die OSZE, in IFSH (Hrsg), OSZE-Jahrbuch (2002), 289 ff (290 f). 06. Februar 2023 2
(EMRK)6 fällt, obwohl eine ausdrückliche Erwähnung diesbezüglich fehlt. Seine Auslegung erfolgt „im Lichte der heutigen Verhältnisse“.7 Eine Gleichsetzung von Menschenhandel und Schlepperei ist nicht möglich. Der Vorsatz bei Menschenhandel liegt in der Ausbeutung der Person im Zielland. Der Tatbestand der Schlepperei ist im Unterschied dazu bereits mit der Ankunft des Opfers am Bestimmungsort erfüllt.8 B. Formen des Menschenhandels Die Legaldefinition des Art 3 lit a-c des Zusatzprotokolls zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels (Palermo Protokoll), wurde erst im Jahr 2000 eingeführt. Im Tatbestand werden bereits Erscheinungsformen des Menschenhandels festgesetzt.9 Im Folgenden sollen die Ausprägungsformen kurz dargestellt werden. Um die Begrifflichkeiten ansichtiger zu gestalten, wurden va Definitionen und Gesetzesinterpretationen aus Deutschland und Österreich angewendet. 1. Ausbeutung der Bettelei Betteln um wohltätige Gaben oder Almosen ist als Grundrecht in Art 10 Europäische Menschenrechtskonvention, der Meinungsäußerungsfreiheit verankert.10 Der Schutzbereich des Art 10 EMRK umfasst die Meinungsbildungsfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit, die Informationsfreiheit und die Medienfreiheit.11 Eine Ausbeutung dieser Tätigkeit liegt vor, sobald eine Person, die sich in einer Zwangslage befindet, dazu gedrängt wird, andere Personen um Geld zu bitten. Dadurch wird ihre Handlungsfähigkeit insoweit eingeschränkt, dass sie selbst nicht frei darüber entscheiden, ob sie diese Leistung ausführen wollen. Die daraus erzielten Einnahmen sind in den meisten Fällen vollständig abzugeben. Diese Ausprägungsform findet im Gegensatz zu anderen Formen des Menschenhandels in der Öffentlichkeit statt. Die Opfer sind darauf angewiesen sich an Außenstehende zu wenden, um Profit zu erzielen. Als Erscheinungsformen des Bettelns kommen ua das direkte Bitten um Geld, der Verkauf von kleineren Gegenständen oder das Anbieten von diversen Dienstleistungen, wie Schuhe- oder Autofensterputzen, vor. Die Unterscheidung, ob eine Person zum Betteln gezwungen und ausgebeutet wird, oder die Bettelei freiwillig erfolgt, stellt sich als schwierig dar. Indikatoren für die Ausbeutung der Bettelei könnten laut KOK gegen Menschenhandel sein: • wenn die Betroffenen unter Beobachtung stehen • die Bettelei bei jedem Wetter erfolgt und mehrere Stunden beansprucht 6 Dazu Kapitel III A 1. 7 Vgl Vereinte Nationen und Konvention zur Unterbringung des Menschenhandels (Hrsg), Menschenhandel: Straftatbestand, https://dfpedia.com/de/Menschenhandel, abgerufen am 27.09.2022. 8 Vgl ua Ware Mensch, Ware Mensch Plattform zur Bekämpfung von Menschenhandel, https://www.ware- mensch.at/news/fallgeschichten/, abgerufen am 01.10.2022. 9 Vgl ua Kartusch, Menschenhandel - Eine menschenrechtliche Herausforderung für die OSZE, in IFSH (Hrsg), OSZE-Jahrbuch (2002) 289 ff (290). 10 Vgl Bundesministerium für Inneres (Hrsg), Lagebericht Schlepperei und Menschenhandel 2020 (2021), 24. 11 Vgl Binder/Trauner, Lehrbuch Öffentliches Recht Grundlagen4 (2016), Rz 554 ff. 06. Februar 2023 3
• ein Transport der Opfer zum jeweiligen Ort und wieder zurück stattfindet • sie besondere Bedürfnisse haben, beispielsweise wurde ihnen ein Bein amputiert, welches sie zur Schau stellen • die Betroffenen minderjährig sind Diese Punkte sind kein Beweis für eine Ausbeutung, sondern stellen lediglich ein Indiz dar.12 2. Ausbeutung der Arbeitskraft In Art 31 der Charta der Grundrechte der europäischen Union findet sich das Grundrecht auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen von EU-Bürgern und Drittstaatsangehörigen. Als schwere Arbeitsausbeutung sind jene Formen zu verstehen, die nach den Normen des jeweiligen EU-Mitgliedstaates, in dem die Ausbeutung stattfindet, strafbar sind.13 Arbeitsausbeutung beinhaltet die unzureichende Entlohnung der Arbeit oder Dienstleistung, aber auch unzumutbare Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten zählen zu dieser Form.14 Betroffene der Ausbeutung der Arbeitskraft werden in ihrer Handlungsfreiheit insoweit eingeschränkt, dass eine freie Bestimmung über ihre Arbeitskraft nicht möglich ist. Zwangsarbeit und Ausbeutung kommen vor allem in Bereichen der Land- und Forstwirtschaft, am Bau, in der Pflege, bei privaten Hausangestellten, bei Personalleasingunternehmen oder in der Gastronomie vor.15 3. Ausbeutung durch Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen Drogenverkäufe, Taschendiebstähle, Kreditkartenbetrug, Einbruch, Trickbetrug, oder Überfälle auf Personen bei der Geldabhebung sind Straftaten zu denen Opfer der genannten Ausbeutungsform häufig genötigt werden.16 Täter werben ihre Opfer durch Versprechungen von Arbeitsplätzen im Zielland an. Dadurch entstehen hohe Reise-, Visa-, oder andere Kosten. Um diese Kosten zu decken, werden sie gezwungen, strafbare Handlungen zu begehen, deren Erlöse der Täter erhält.17 Folge dieses Konstruktes ist der finanzielle Gewinn des Täters durch eine Straftat, ohne diese selbst begangen zu haben. Die Straftaten dienen zudem als Druckmittel, um die Opfer dazu zu bringen, weitere Tathandlungen zu begehen, sowie zu verhindern, dass sie Hilfe in Anspruch nehmen. Bei dieser Ausprägungsform des Menschenhandels sind die Betroffenen besonders schutzlos, da sie von staatlichen Behörden vorrangig als Straftäter wahrgenommen werden und dabei ihre Ausbeutung übersehen wird. Außerdem wird der Kontakt zu Strafverfolgungsbehörden gemieden.18 12 Vgl ua KOK-Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. (Hrsg), Menschenhandel Ausbeutung von Betteltätigkeit und strafbaren Handlungen (2017), 5 f. 13 Vgl ua FRA-Agentur der europäischen Union für Grundrechte (Hrsg), Schwere Arbeitsausbeutung: Arbeitskräfte aus der EU oder Drittstaaten (2015), 2. 14 Vgl Bundesministerium für Inneres (Hrsg), Lagebericht Schlepperei und Menschenhandel 2020 (2021), 24. 15 Vgl KOK-Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.(Hrsg), Menschenhandel Arbeitsausbeutung (2017), 7; vgl auch Bundesministerium für Inneres (Hrsg), Lagebericht Schlepperei und Menschenhandel 2020 (2021), 24. 16 Vgl Bundesministerium für Inneres (Hrsg), Lagebericht Schlepperei und Menschenhandel 2020 (2021), 24; vgl auch KOK-Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. (Hrsg), Menschenhandel Ausbeutung von Betteltätigkeit und strafbaren Handlungen (2017), 6; vgl Vereinte Nationen und Konvention zur Unterbringung des Menschenhandels (Hrsg), Menschenhandel: Straftatbestand, https://dfpedia.com/de/Menschenhandel, abgerufen am 27.09.2022. 17 Vgl Bundesministerium für Inneres (Hrsg), Lagebericht Schlepperei und Menschenhandel 2020 (2021), 24. 18 Vgl KOK-Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. (Hrsg), Menschenhandel Ausbeutung von Betteltätigkeit und strafbaren Handlungen (2017), 6 f. 06. Februar 2023 4
4. Organentnahme Organhandel liegt vor, wenn einer lebenden Person gegen ihren Willen oder unter Ausnutzung einer Zwangslage ein Organ entnommen wird.19 Drei Varianten dieser Ausprägungsform treten überwiegend auf. Zunächst gibt es Fälle bei denen freiwillig der Organentnahme zugestimmt wird, der Betroffene die vereinbarte Gegenleistung jedoch nicht erhält. Auch gewaltvolle Organentnahmen unter Zwang und ohne Zustimmung der Opfer sind bekannt. Weiters gibt es Fälle der Organentnahme, in denen diese ohne das Wissen der Betroffenen vorgenommen werden. Dabei werden sie wegen eines nicht vorhandenen Leides oder einer nicht vorhandenen Krankheit behandelt, während der Behandlung wird ihnen ein Organ entnommen.20 Organhandel ist ein globales Problem, welches stetig wächst. Die Ursache dafür liegt in der wachsenden Nachfrage von Organen weltweit. Die Abweichung zwischen den zur Verfügung stehenden Organen und den benötigten Organen führt dazu, dass Patienten versuchen, ein Organ illegal zu erwerben. Die Betroffenen von Organentnahmen kommen großteiles aus ärmeren Bevölkerungsschichten. Sie werden häufig durch Vermittler unterstützt, die die illegale Transplantation organisieren. Nach dem UNODC’s 2020 Global Report on TIP liege der größte Anteil von Organhandel in Nordafrika und dem mittleren Osten, darunter Syrien, Iran, Saudi Arabien, Irak, […].21 5. Sexuelle Ausbeutung und Zwangsprostitution Als häufigste Form des Menschenhandels gilt der Handel von Personen zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und Zwangsprostitution.22 Sexuelle Ausbeutung und Ausbeutung von Prostitution darf nicht mit Prostitution generell verwechselt werden.23 Unter Prostitution wird die gewerbsmäßige Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen am eigenen Körper verstanden.24 Die Thematik der Prostitution wird in den EU-Ländern national unterschiedlich geregelt. Die EU gibt dafür zwei Möglichkeiten vor, welche sich wiederum in kleinere Untergruppen gliedern lassen. 21 Mitgliedstaaten, das entspricht 77,8%, sehen Prostitution unter dem Modell 1 als legitim an. Darunter erfolgt eine Unterteilung in das Modell 1a; Regulierung von Prostitution, welches in 22,2% der Mitgliedstaaten, ua in Österreich, Deutschland, Griechenland, […] angewendet wird. Bei Modell 1b ist Prostitution legal, aber unreguliert oder nicht vollkommen reguliert. Dieses Modell wird in 55,6% der Mitgliedstaaten angewendet, dazu gehören ua Belgien, Italien, Malta, […]. Sechs Mitgliedstaaten, damit 22,2%, folgen dem Modell 2, bei welchem Prostitution verboten ist. Modell 2 kann wiederum unterteilt werden in Modell 2a, welches besagt, dass Prostituierte bestraft werden. Das ist in 7,4% der Mitgliedstaaten der Fall, darunter Kroatien und Rumänien. 19 Vgl Bundesministerium für Inneres (Hrsg), Lagebericht Schlepperei und Menschenhandel 2020 (2021), 24; vgl auch KOK- Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel, https://www.kok-gegen- menschenhandel.de/menschenhandel/was-ist-menschenhandel/formen-der-ausbeutung/weitere-formen, abgerufen am 27.09.2022. 20 Vgl Vereinte Nationen und Konvention zur Unterbringung des Menschenhandels (Hrsg), Menschenhandel: Straftatbestand, https://dfpedia.com/de/Menschenhandel, abgerufen am 27.09.2022. 21 Vgl United Nations, UNODOC develops toolkit on the investigation and prosection of trafficking in persons for organ removal, https://www.unodc.org/unodc/en/human-trafficking/glo-act2/Countries/unodc-develops-toolkit-on-the- investigation-and-prosecution-of-trafficking-in-persons-for-organ-removal.html, abgerufen am 27.09.2022. 22 Vgl UNODC (Hrsg), Global Report on Trafficking in Persons (2020), 11. 23 Vgl KOK-Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. (Hrsg), Menschenhandel Sexuelle Ausbeutung (2017), 5. 24 Vgl Bundesministerium für Inneres (Hrsg), Lagebericht Schlepperei und Menschenhandel 2020 (2021), 24. 06. Februar 2023 5
In 11,1% der Mitgliedstaaten werden die Kunden bestraft, so beispielsweise in Frankreich, Irland und Schweden 3,7% der Mitgliedstaaten bestrafen Prostituierte und Kunden gleichermaßen. Diese Regelung ist in Litauen anzuwenden.25 Je nach Mitgliedstaat lässt sich sagen, dass Prostitution, unter Einhaltung der dortigen Rechtsvorschriften, legal sein kann. Erhält die Person für sexuelle Dienste kein Entgelt oder wird der größere Teil des Entgelts versagt, handelt es sich um sexuelle Ausbeutung. Unter sexuellen Diensten sind Handlungen mit einer anderen Person oder an sich selbst zu verstehen. Auch die Mitwirkung an pornographischen Videos, Bildern oder Spielen fällt darunter. Wobei bei pornographischen Videos, Bildern oder Spielen auch eine Arbeitsausbeutung vorliegen kann.26 Opfer der sexuellen Ausbeutung sind überwiegend Frauen und Mädchen. Die Anwerbung erfolgt über Zeitungsinserate, Social Media oder Modelagenturen, wo die Betroffenen über die Höhe der Entlohnung und die Arbeitsleistung getäuscht werden. Auch die Loverboy-Methode ist eine gängige Vorgangsweise; dabei wird vom Täter eine Beziehung vorgetäuscht. Durch die entstandene emotionale Abhängigkeit kann das Opfer daraufhin in die Prostitution gedrängt werden.27 Bei den Tätern handelt es sich weitgehend um Personen männlichen Geschlechts und kriminelle Vereinigungen, die mit sexuellen Diensten handeln. Sie stammen vorwiegend aus EU-Ländern. Kriminelle Vereinigungen sind sehr mobil und können jederzeit den Mitgliedstaat wechseln. Außerdem greifen sie oft auf digitale Informations- und Kommunikationstechniken zurück, um ihren Methoden leichter nachgehen zu können. Opfer sind vorwiegend Frauen aus den östlichen EU-Staaten. Frauen aus Nicht-EU-Staaten, die Opfer dieser Ausprägungsform werden, stammen häufig aus Nigeria, China und Albanien. Die Betroffenen handeln aufgrund von Geschäftsvereinbarungen mit den Tätern, welche sie scheinbar freiwillig eingegangen sind.28 6. Ausbeutung durch Ehevermittlung Handel in die Ehe betrifft vor allem Migrantinnen; sie werden durch Heiratsagenturen oder durch ihre zukünftigen Ehemänner mit einem Touristenvisum oder einem Visum für die Eheschließung in das Zielland gebracht, um diese dort zu vollziehen, oder um Männer kennen zu lernen. Agenturen werben mit der sogenannten „vorehelichen Erprobungsphase“. Dadurch erhärtet sich die frauenverachtende Einstellung und die Möglichkeit Ehefrauen auf Zeit zu testen wird geschaffen. Ist der Mann mit dem Verhalten der Frau nicht einverstanden, so kann er das der Agentur weiterleiten. Von dieser erhält er dann eine andere Frau zum Test. Eine Gefahr für den Mann, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, besteht aufgrund des diskreten Vorgehens nicht. 25 Vgl IPOL-Fachabteilung Bürgerrechte und konstitutionelle Angelegenheiten (Hrsg), Die unterschiedlichen Regelungen der Prostitution in den EU-Mitgliedstaaten und ihre grenzüberschreitende Auswirkung auf Frauenrechte (2021), 2. 26 Vgl Schwaighofer in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 104a (Stand 01.06.2016, rdb.at). 27 Vgl Vereinte Nationen und Konvention zur Unterbringung des Menschenhandels (Hrsg), Menschenhandel : Straftatbestand, https://dfpedia.com/de/Menschenhandel, abgerufen am 27.09.2022. 28 Vgl IPOL-Fachabteilung Bürgerrechte und konstitutionelle Angelegenheiten (Hrsg), Die unterschiedlichen Regelungen der Prostitution in den EU-Mitgliedstaaten und ihre grenzüberschreitende Auswirkung auf Frauenrechte (2021). 06. Februar 2023 6
Durch die kurze Zeit der erlaubten Einreise stehen betroffenen Frauen unter hohen Druck, die Eheschließung rasch zu vollziehen. Deshalb fühlen sie sich in vielen Fällen dazu gedrängt, die Vorstellungen der Männer zu erfüllen, um eine mit der Ehe einhergehende finanziell sichere Zukunft zu erreichen.29 C. Situation in Europa EUROSTAT veröffentlichte 2015 einen Bericht über Menschenhandel in Europa, welcher sich auf drei Jahre (2010, 2011 und 2012) bezieht. Die erhobenen Daten stammen von den damaligen 28 Mitgliedstaaten (Großbritanniens Ausstieg war 2020). In den drei besagten Jahren wurden 30.146 Menschen Opfer des Menschenhandels in der EU. Davon waren 80% weiblichen Geschlechts. Die Mehrheit der Betroffenen wurde sexuell ausgebeutet (69%), wovon wiederum 85% Frauen betroffen waren. Gefolgt von Arbeitsausbeutung, welche 19% ausmachte, wovon 64% männlichen Geschlechts waren. Die Opfer stammten va aus Rumänien, Bulgarien, den Niederlanden, Ungarn und Polen. 70% der Täter waren männlich und 69% stammten aus EU-Mitgliedstaaten. Bulgarien, Rumänien, Belgien, Deutschland und Spanien zählten zu den fünf Staaten, aus denen die Täter am häufigsten stammten.30 Von 2013 bis 2014 wurden 15.846 Opfer in der Europäischen Union registriert. 71% davon waren Frauen und Mädchen.31 Zwischen 2017 und 2018 meldeten die EU-Mitgliedstaaten 14.145 Opfer, wovon wiederum 72% der Betroffenen Frauen und Mädchen waren. Bei 60% handelte es sich um sexuelle Ausbeutung, bei 15% um Arbeitsausbeutung. Die restlichen 15% wurden Opfer von anderen Formen der Ausbeutung, wie Zwangsbettelei oder Organentnahme. 22% der Betroffenen waren Kinder.32 Monitoring-Berichte von E teilten 2022 mit, dass Arbeitsausbeutung in den europäischen Mitgliedstaaten kontinuierlich wachse und diese Form der Ausbeutung nun als wichtigste gelte.33 1. Auswirkungen der Corona Pandemie auf den Menschenhandel Das Coronavirus wurde im Dezember 2019 entdeckt. Im Jänner 2020 wurde es von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als gesundheitliche Notfallsituation eingestuft. Zur weltweiten Pandemie wurde COVID-19 im März 2020 erklärt.34 29 Vgl KOK-Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V., Situation vor der Ehe, https://www.kok- gegen-menschenhandel.de/menschenhandel/was-ist-menschenhandel/in-die-ehe/lebenssituation/situation-vor-der- ehe, abgerufen am 28.09.2022. 30 Vgl Europstat (Hrsg), Trafficking in human beings (2015) 10 ff. 31 Vgl Europäisches Parlament, Menschenhandel in Europa: Fakten und Gegenmaßnamen der EU (2018), https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20180208STO97411/menschenhandel-in-europa-fakten- und-gegenmassnahmen-der-eu, abgerufen am 29.09.2022. 32 Vgl Europäisches Parlament, Stopp dem Menschenhandel: EU-Abgeordnete fordern mehr Maßnahmen (2021), https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20210204STO97130/stopp-dem-menschenhandel-eu- abgeordnete-fordern-mehr-massnahmen, abgerufen am 29.09.2022. 33 Vgl Europarat, Europäischer Tag gegen Menschenhandel: Staaten müssen dringend Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft bekämpfen (2022), https://www.coe.int/de/web/portal/-/european-anti-trafficking-day- states-must-urgently-tackle-human-trafficking-for-labour-exploitation, abgerufen am 24.01.2023. 34 Vgl UNODC (Hrsg), The effects of the COVID-19 pandemic on trafficking in persons and responses to the challenges, a global study of emerging evidence (2021), 18. 06. Februar 2023 7
Zunächst stieg die Arbeitslosigkeit während Corona in vielen Ländern rapide an. Mehr und mehr Menschen verloren ihre Existenzgrundlage. Laut dem Bericht von UNODC treffe Migranten und Menschen ohne Arbeit eine größere Gefahr, Opfer von Menschenhandel zu werden.35 Die Mikroökonomie verweist im Zusammenhang von Menschenhandel und COVID-19 auf wirtschaftliche Faktoren. Armut, Arbeitslosigkeit und ein niedriges Einkommen verstärken das Risiko, Opfer von Menschenhandel zu werden. Im Lichte der Makroökonomie führt ein niedriges Bruttoinlandsprodukt und hohe Arbeitslosigkeit, aufgrund von Corona nicht nur dazu, dass mehr Menschen wirtschaftliche Probleme haben, sondern auch zu höheren Abwanderungen von Migranten und somit einem Mangel an Arbeitskräften. Durch die Corona Pandemie ist die Dunkelziffer der Betroffenen von Menschenhandel in jeder Ausprägungsform gestiegen. Das ist darauf zurückzuführen, dass während der Hochphasen der Pandemie die Behörden vor allem mit der Bekämpfung des Virus beschäftigt waren und Spezialeinheiten dafür eingesetzt wurden. Die Meldungen von Menschenhandel sind in manchen Ländern aufgrund der Grenzschließungen zurückgegangen. Vor allem in der Zeit, in der die Mobilität eingeschränkt wurde. Andere Länder berichteten wiederum von einem erhöhten Aufkommen, durch neue Routen oder Transportmethoden. Täter griffen während der Pandemie überwiegend auf lokale Opfer zurück und rekrutierten diese zur Arbeitsausbeutung in Fabriken, am Bau oder für sexuelle Ausbeutung in privaten Appartements. Frauen, Kinder und Migranten sind jene Gruppen, die auch durch die Pandemie Hauptbetroffene des Menschenhandels wurden. Mädchen und Frauen wurden primär Opfer von sexueller Ausbeutung. Durch die Digitalisierung konzentriert sich der Menschenhandel bereits seit 2019 auf den Onlinemarkt. COVID-19 verstärkte diesen Onlinehandel. Aufgrund der Schließung von Schulen wurden Kinder leichtere Opfer. Schließlich verbrachten sie viele Stunden online, um zu lernen und sich auf Social Media Plattformen mit ihren Freunden auszutauschen. Täter nutzten diese sozialen Plattformen, um mit ihren Opfern in Kontakt zu treten. Auch Frauen erhielten über Social Media diverse Jobangebote, welche sie aufgrund ihrer unsicheren wirtschaftlichen Situation nicht ablehnen konnten. Häusliche Gewalt und Gender-Diskriminierung sind Ursachen dafür, dass Frauen erhöht gefährdet waren. Auch Arbeitslosigkeit, mangelnde Bildung oder Stigmatisierung spielten eine Rolle. Die Sex-Industrie war im Fokus von Corona, da das Risiko der Verbreitung des Virus in diesem Bereich erhöht aufkam. Dadurch wurden Frauen in diesem Gewerbe stigmatisiert, ihnen wurde vorgeworfen, dass sie COVID-19 verbreiten würden. Italien berichtete, dass Betroffene von ihren Tätern sich selbst überlassen wurden und dadurch verstärkt Risiken wie Armut, Krankheit, bis hin zum Verhungern, ausgesetzt waren. Erstanlaufstellen und Gerichte waren ebenfalls von Corona betroffen. Die Erstanlaufstellen hatten finanzielle Einbußen, da ihnen Förderungen gestrichen wurden, wodurch sie Betroffene 35 Vgl ua Follmar-Otto, Ein Menschenrechtsansatz gegen Menschenhandel-Internationale Verpflichtungen und Stand der Umsetzung in Deutschland (2009), 23. 06. Februar 2023 8
nicht ausreichend unterstützen konnten. Ein Personalmangel aufgrund von Erkrankungen war eine weitere Folge der Pandemie, dadurch konnten Opfer keine ausreichende Unterstützung erhalten. In manchen Ländern kam es zu einem zeitweiligen Stillstand der Justiz. Das führte zu unbestimmten Wartezeiten, um Gerichtstermine wahrnehmen zu können. Die Betroffenen befanden sich dabei häufig in Notunterkünften, in denen die Versorgung immer knapper wurde und auch die Sicherheitsmaßnahmen von COVID-19 nicht immer eingehalten werden konnten. Dadurch vergrößerte sich das Risiko an dem Virus zu erkranken, was wiederum zu einem erneuten Aufschub des Gerichtstermins führen konnte. In vielen Länder konnte schlussendlich die Judikatur anhand von Video-Verhandlungen wieder aufgenommen werden.36 2. Ursachen für den Menschenhandel Eine Hauptursache für Menschenhandel gibt es nicht, im Gegenteil, es gibt eine Vielzahl an Ursachen. Als eine der größten Ursachen gilt das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Ländern, aus denen die meisten Opfer stammen, und jenen, in die sie gebracht werden. Aber auch die Nachfrage, ein geringes Risiko der Strafverfolgung und hohe Gewinne der Täter spielen eine große Rolle.37 Zusätzlich ist auch der Dualismus in den Herkunftsländern erwähnenswert. In diesen Ländern sind Frauen oft durch die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse intensiver betroffen. Eine höhere Arbeitslosigkeit der Frau, gefolgt von unsicheren Arbeitsplätzen und schlechter Bezahlung, ergänzen diesen Faktor. Mit der Perspektive der Armut im eigenen Land ist der einzige Ausweg die Auswanderung in einen liquiden Staat, um die Versorgung der notwendigen Bedürfnisse zu sichern.38 Die wachsende Feminisierung der Armut in den Herkunftsländern, führt zur wachsenden Feminisierung der Migrationsbewegung. Daraus lässt sich eine Verknüpfung von Menschenhandel und Migration erkennen. Es sind trotzdem nicht alle Betroffenen von Menschenhandel Migranten. Als Grund für Migration kann die Verletzung von Menschenrechten genannt werden. Vor allem Frauen sind vielfach von Diskriminierung betroffen, sei es der mangelnde Zugang zur Bildung in manchen Ländern, oder die Gefahr von Gewalt und Übergriffen im Naheverhältnis, im Privatbereich oder bei der Arbeit. Auch klassische Geschlechterrollen, kulturelle Ansichten, Konflikte unter Einsatz von Waffen, sowie die unsichere Zeit nach einem Konflikt gelten als Ursachen für den Menschenhandel. Eine eingeschränkte Einwanderungspolitik und Korruption können den Handel mit Menschen ebenso fördern.39 Aber auch Männer sind von Menschenhandel betroffen. Faktoren wie die wirtschaftliche Unsicherheit, das Patriarchat und das Rollenbild der sogenannten toxischen Männlichkeit wirken 36 Vgl UNODC (Hrsg), The effects of the COVID-19 pandemic on trafficking in persons and responses to the challenges, a global study of emerging evidence (2021), 24 ff. 37 Vgl Follmar-Otto, Ein Menschenrechtsansatz gegen Menschenhandel-Internationale Verpflichtungen und Stand der Umsetzung in Deutschland (2009), 23. 38 Vgl Kartusch, Menschenhandel-Eine menschenrechtliche Herausforderung für die OSZE, in IFSH (Hrsg), OSZE- Jahrbuch (2002), 289 ff (291). 39 Vgl Follmar-Otto, Ein Menschenrechtsansatz gegen Menschenhandel-Internationale Verpflichtungen und Stand der Umsetzung in Deutschland (2009), 23. 06. Februar 2023 9
sich auf Männer und Jungen negativ aus. Durch die traditionelle Vorstellung, sie seien der Ernährer des Hauses, werden sie unter Druck gesetzt. Für männliche Personen besteht dadurch eine erhöhte Gefahr, Opfer der Ausbeutung in Form von Zwangsarbeit, Zwang zur Begehung von Straftaten und Organentnahme zu werden.40 Da sexuelle Gewalt primär mit Frauen und Mädchen in Verbindung gebracht wird, wird diese Form der Gewalt gegen Männer oder Jungen nicht als genderspezifische Gewalt angesehen. Für Personen, die als Mann geboren wurden, sich jedoch nicht mit den von der Gesellschaft, als traditionell vermittelten männlichen Aussehen oder Verhaltensweisen identifizieren, ist das problematisch. Auch sie werden häufig Opfer von sexueller Ausbeutung. Grund dafür sind die oftmalige Ausgrenzung durch die Familie, Diskriminierung im Arbeitsbereich und Verfolgung, diese Gründe machen Personen der LGBTQIA+41 Bewegung vulnerabler.42 a) Blick auf die Ukrainekrise Der Krieg in der Ukraine begann am 24.02.2022 durch die Invasion der russischen Truppen und dauert weiterhin an.43 Seit Beginn der Krise bis Anfang Mai 2022 wurden 5,4 Millionen Menschen aus der Ukraine in der EU eingetragen. Der Großteil der Fliehenden waren Frauen und Kinder. Bis 06. Mai 2022 wurden mehr als 13.000 unbegleitete, von ihren Familien getrennte Kinder registriert. Aufgrund der höheren Gefahr für Frauen und Kinder in derartigen Konfliktsituationen Opfer von Menschenhändlern zu werden, engagieren sich die europäischen und internationalen Partner der Solidaritätsplattform für die Ukraine, den Handel mit Menschen zu bekämpfen. Ziel ist es, mögliche Opfer, die aus der Ukraine flohen zu schützen. Die Basis dafür gibt der Plan zur Bekämpfung des Menschenhandels mit Unterstützung der EU- Agentur und der Mitgliedstaaten. Durch den Plan sollen die Identifikation und Unterstützung der Opfer überarbeitet werden, die Strafverfolgung modifiziert und das Bewusstsein für Menschenhandel geschärft werden. Es wird auch eine Zusammenarbeit auf globaler Ebene mit Nicht-EU-Ländern verfolgt, darunter befinden sich vor allem die Ukraine und Moldawien. Dafür wird die EU-Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels44 angewandt. Die Solidaritätsplattform gilt als wichtigster EU-Koordinierungs- und Einsatzmechanismus, welcher kurz nach Beginn des Krieges gegründet wurde. Vertreter der EU-Länder, des Schengen-Raumes, der EU-Agentur, der ukrainischen Behörden und Partner der Internationalen Organisation für Migration (IOM) werden mit der Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) durch die Solidaritätsplattform verbunden.45 40 Vgl ua OSZE/Büro des Sonderbeauftragten und Koordinators für die Bekämpfung des Menschenhandels, Anwendung gendersensibler Ansätze bei der Bekämpfung von Menschenhandel (2021), 7. 41 Abkürzung für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle/Transgender-, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen. 42 Vgl OSZE/Büro des Sonderbeauftragten und Koordinators für die Bekämpfung des Menschenhandels, Anwendung gendersensibler Ansätze bei der Bekämpfung von Menschenhandel (2021), 7. 43 Vgl Bundeszentrale für politische Bildung, Krieg in der Ukraine, https://www.bpb.de/themen/europa/krieg-in-der- ukraine/, abgerufen am 03.10.2022. 44 Siehe Kapitel III B 10. 45 Vgl ua Vertretung in Deutschland Europäische Kommission Kommission, Krieg in der Ukraine: EU und internationale Partner gehen gemeinsam gegen Menschenhandel vor (2022), https://germany.representation.ec.europa.eu/news/krieg-der-ukraine-eu-und-internationale-partner-gehen- gemeinsam-gegen-menschenhandel-vor-2022-05-11_de, abgerufen am 03.10.2022. 06. Februar 2023 10
D. Blick außerhalb Europas, auf die umstrittene Weltmeisterschaft 2022 in Katar Die Fédération Internationale de Football Association (FIFA) wurde 1904 in Paris gegründet. Durch beinahe sieben Millionen Mitglieder aus 211 nationalen Verbänden zählt die FIFA zu den größten Organisationen im Sportbereich. Als wichtige Organe der FIFA sind der Rat und der Kongress zu nennen. Der FIFA-Rat besteht aus 37 Mitgliedern und gilt als wichtigstes Entscheidungsgremium. Die 211 Verbände der FIFA werden in sechs Konföderationen kontinental gegliedert. Aus dieser Gliederung ergeben sich die Asian Football Confederation (AFC), die Confédération Africaine de Football (CAF), die Confederation of North, Central America and Caribbean Association Football (CONCAF), die Confederacao Sul-Americana de Futebol (CONMEBOL), die Oceania Football Conferderation (OFC) und die Union of European Football Associations (UEFA).46 Zu den Zielen der FIFA gehören ua die Unterstützung der medizinischen Versorgung und Bildung von Kindern und Jugendlichen durch Football for Schools, globale Fußballförderung und Globalisierung der Fußballwettbewerbe.47 Die FIFA organisiert ua die Fußball-Weltmeisterschaft, welche alle vier Jahre an einem anderen Austragungsort stattfindet. Die Weltmeisterschaft zählt zu den internationalen Großsportveranstaltungen.48 Die Gründung der Qatar Football Association (QFA) erfolgte 1960. Seit den 1970er Jahren ist Katar Mitglied der FIFA und gehört der Asian Football Confederation (AFC) an. Die aus 22 Mitgliedern bestehende Arabische Liga wurde 1945 gegründet. Nach dem Pakt der Liga der Arabischen Staaten49 dient sie zur Förderung von politischen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Verbindungen untereinander.50 Am 15. September 1994 wurde vom Rat der Arabischen Liga als Beschlussorgan die Arabische Charta der Menschenrechte verabschiedet. Diese trat nicht unmittelbar in Kraft, da eine Ratifikation an keiner Stelle stattfand. 2004 wurde die Charta mit Hilfe vom UN- Hochkommissariat für Menschenrechte (UNHCHR) überarbeitet und konnte 2008 in Kraft treten. Sie beinhaltet klassische Schutzrechte wie das Recht auf Leben, Verfahrensrechte, zivile und politische Rechte und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die Charta wurde bis dato von zwölf Mitgliedstaaten ratifiziert, darunter Katar.51 Die Golfstaaten, Bahrain, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabische Emirate zeichnet eine hohe Zahl von immigrierten Arbeitern aus. Die UAE und Katar gehören zu den Ländern, aus denen die höchsten Zahlen diesbezüglich stammen. Migranten kommen überwiegend aus Indien, den Philippinen, Nepal, Bangladesch und Pakistan. 46 Vgl Schäfer, FIFA: Geschichte, Struktur und Turniere des Fußball-Weltverbands (2022) https://www.fr.de/sport/fussball/fifa-fussball-weltverband-geschichte-struktur-praesident-wettbewerbe-wm-skandale- info-91471899.html, abgerufen am 17.12.2022. vgl auch FIFA, https://www.fifa.com/de/about-fifa abgerufen am 17.12.2022. 47 Vgl FIFA, https://publications.fifa.com/de/vision-report-2021/ abgerufen am 18.12.2022. 48 Vgl Neumann, Die Fußball-WM in Katar als Reiseziel-Eine Herausforderung für CSR in der Tourismuswirtschaft (2020) 32. 49 Satzung der Arabischen Liga 50 Vgl Fürtig, Arabische Liga, https://www.staatslexikon-Eionline.de/Lexikon/Arabische_Liga, abgerufen am 18.12.2022. 51 Vgl ua Humanrights.Ch, Arabische Charta der Menschenrechte (2020), https://www.humanrights.ch/de/ipf/grundlagen/rechtsquellen-instrumente/regionale/arabische-liga/arabische-charta/, abgerufen am 18.12.2022. 06. Februar 2023 11
Der Aufenthalt und die Beschäftigung der Gastarbeiter werden durch ein spezielles Sponsorensystem, das so genannte Kafala-System, geregelt.52 Im Kafala-System überträgt der Staat die Verantwortung über den Gastarbeiter auf eine private Person oder ein Unternehmen. Um als Arbeiter nach Katar zu gelangen, wird demnach ein Sponsor benötigt, welcher als Arbeitgeber dient und die rechtliche und finanzielle Verantwortung des Migranten trägt. Für den Zeitraum des Aufenthalts des Gastarbeiters bestimmt somit der Arbeitgeber über den Aufenthalt, die Beschäftigung und Ausreise. Eine freie Entscheidung über den Wechsel des Arbeitsplatzes steht dem Arbeitnehmer in diesem System nicht zu. Schlechte Arbeitsbedingungen, über 60 Stunden Arbeit pro Woche im Baugewerbe und die schlechte Wasserversorgung trotz brennender Hitze führten zwischen 2010 und 2013 zu mehr als 1200 toten Gastarbeitern in Katar.53 Von 2,3 Millionen Gastarbeitern arbeiteten etwa 20.000 am Bau der WM-Stadien in Katar. Nach einem Bericht von Amnesty International würden Gehälter nicht ausbezahlt und Arbeiter genötigt werden, trotz Kraftlosigkeit ihre Arbeit fortzuführen. Ende 2015 wurde das Kafala-System in Katar zwar verboten, eine Kontrolle der Gastarbeiter durch ihre Sponsoren bleibt jedoch bestehen.54 III. Der rechtliche Rahmen in der Europäischen Union A. Durch den Europarat Der Europarat ist eine, im Jahr 1949 gegründete internationale Organisation mit Sitz in Straßburg. Er dient der Förderung der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit innerhalb Europas. Ihm gehören zurzeit 46 Mitgliedstaaten an, darunter alle 27 Staaten der Europäischen Union. Russland war bis März 2022 Mitglied. Die Organisation des Europarats gilt als Hüterin der Menschenrechte.55 1. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)56 Die EMRK wurde 1950 vom Europarat in Rom geschaffen und ist seit 1953 in Kraft.57 Die Europäische Menschenrechtskonvention gilt als Mutter des Grundrechtsschutzes in Europa. Sie verleiht sowohl juristischen als auch natürlichen Personen ein subjektives Recht und ist somit „das wichtigste Menschenrechtsübereinkommen in Europa.“58 52 Vgl Damir-Geilsdorf, Contract Labour and Debt Bondage in the Arab Gulf States. Policies and Practices within the Kafala System (2016). 53 Vgl Neumann, Die Fußball-WM in Katar als Reiseziel-Eine Herausforderung für CSR in der Tourismuswirtschaft (2020) 31 f. 54 Vgl Amnesty International, Ausbeutung und Todesfälle: Wie Arbeitsmigrant:innen für die FIFA-WM in Katar leiden, https://www.amnesty.at/themen/wm-in-katar-2022/ausbeutung-und-todesfaelle-wie-arbeitsmigrant-innen-fuer-die-fifa- wm-in-katar-leiden/#kafala-system, abgerufen am 19.12.2022. 55 Vgl Binder/Trauner, Lehrbuch Öffentliches Recht Grundlagen4, 285; vgl auch Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten, Der Europarat, https://www.bmeia.gv.at/themen/aussenpolitik/europa/europarat/, abgerufen am 19.12.2022. 56 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten BGBI III 68/2021. 57 Vgl Praetor Verlagsgesellschaft mbH (Hrsg), Entstehung und Entwicklung der Europäischen Menschenrechtskonvention, https://www.menschenrechtskonvention.eu/entstehung-und-entwicklung-der- europaeischen-menschenrechtskonvention-9440/, abgerufen am 20.12.2022. 58 Vgl Europäische Menschenrechtskonvention, https://www.menschenrechtskonvention.eu, abgerufen am 20.12.2022. 06. Februar 2023 12
Als verbindlich anerkannt im Sinne des Völkerrechts gilt die Konvention in Englischer und Französischer Sprache, die deutsche Übersetzung für Österreich, Deutschland, Schweiz und Liechtenstein stellt eine inoffizielle Fassung dar. Da das Abkommen vom Europarat erarbeitet wurde, kann die EMRK nur von dessen Mitgliedstaaten unterschrieben werden. Mit Ausnahme von Weißrussland und dem Vatikanstaat ist die EMRK in allen europäischen Staaten ratifiziert.59 Durch die stetige gesellschaftliche Entwicklung wurde die EMRK über die Jahre mittels 16 Zusatzprotokollen erweitert.60 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte versteht die EMRK als „living institution“, er passt die Rechte der Konvention an die aktuellen äußeren Bedingungen an.61 Zur Prüfung über die Anerkennung der Menschenrechte der EMRK wurde 1959 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg eingerichtet.62 Die Vertragsstaaten des Europarats, etablierten ihn, als ständigen Gerichtshof, welcher gem Art 19 EMRK die Einhaltung der Verpflichtungen, der Konvention überwacht.63 Das Protokoll stellt klar, dass sich eine private Person dann direkt mittels Beschwerde, an den EGMR wenden kann, wenn sie in einem Recht der EMRK verletzt zu sein behauptet und gem Art 35 EMRK der innerstaatliche Instanzenzug ausgeschöpft wurde. Zusätzlich muss eine Frist von vier Monaten, ab endgültiger Entscheidung des letztinstanzlichen innerstaatlichen Gerichts, eingehalten werden. Eine Beschwerde kann sich nur gegen den Staat oder gegen mehrere Staaten richten, in denen die EMRK ratifiziert wurde. Gegen eine Privatperson oder einen Drittstaat ist die Beschwerde nicht möglich.64 Als rechtliche Grundlage des Menschenhandels gilt in der Europäischen Menschenrechtskonvention Art 4 – Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit, welcher besagt: (1) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden. (2) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. (3) Als „Zwangs- oder Pflichtarbeit“ im Sinne dieses Artikels gilt nicht: a) jede Arbeit, die normalerweise von einer Person verlangt wird, die unter den von Artikel 5 der vorliegenden Konvention vorgesehenen Bedingungen in Haft gehalten oder bedingt freigelassen worden ist; b) jede Dienstleistung militärischen Charakters, oder im Falle der Verweigerung aus Gewissensgründen in Ländern, wo diese als berechtigt 59 Vgl Praetor Verlagsgesellschaft mbH (Hrsg), Entstehung und Entwicklung der Europäischen Menschenrechtskonvention, https://www.menschenrechtskonvention.eu/entstehung-und-entwicklung-der- europaeischen-menschenrechtskonvention-9440/, abgerufen am 20.12.2022. 60 Vgl Praetor Verlagsgesellschaft mbH (Hrsg), Die Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle, https://www.menschenrechtskonvention.eu/die-menschenrechtskonvention-und-ihre-zusatzprotokolle-9444/, abgerufen am 20.12.2022. 61 Vgl Praetor Verlagsgesellschaft mbH (Hrsg), Entstehung und Entwicklung der Europäischen Menschenrechtskonvention, https://www.menschenrechtskonvention.eu/entstehung-und-entwicklung-der- europaeischen-menschenrechtskonvention-9440/, abgerufen am 20.12.2022. 62 Vgl Councile of Europe (Hrsg), Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, https://www.coe.int/en/web/portal/gerichtshof-fur-menschenrechte, abgerufen am 21.12.2022. 63 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten BGBI III 68/2021. 64 Vgl Councile of Europe (Hrsg), Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, https://www.coe.int/en/web/portal/gerichtshof-fur-menschenrechte, abgerufen am 21.12.2022. 06. Februar 2023 13
anerkannt ist, eine sonstige an Stelle der militärischen Dienstpflicht tretende Dienstleistung; c) jede Dienstleistung im Falle von Notständen und Katastrophen, die das Leben oder das Wohl der Gemeinschaft bedrohen; d) jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürgerpflichten gehört.65 Eine ausdrückliche Nennung des Verbots von Menschenhandel ist in Art 4 ERMK nicht zu finden. Die „present-day conditions“66 Auslegung des EGMR stellt klar, dass Menschenhandel mit einer demokratischen Gesellschaft und mit der Überzeugung der EMRK im Widerspruch steht.67 Unter Bezugnahme auf Art 3 lit a des Palermo-Protokolls und Art 4 lit a des Übereinkommens des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels68 sieht es der EGMR im Urteil Rantsev gegen Zypern und Russland als angemessen, dass Menschenhandel per se in den Anwendungsbereich des Art 4 EMRK fällt. 69 In dieser Entscheidung wird vom EGMR eine Schutzpflicht für Staaten festgelegt. Zusätzlich zur Schaffung von Straftatbeständen, sollen einschränkende Regelungen für Geschäftszweige, die Menschenhandel betreiben, erarbeitet werden. Der Staat kann nur dann zu einer konkreten Handlung verpflichtet werden, wenn die Behörden von konkreten Umständen gewusst haben, oder wissen hätten müssen. Beim Bestehen eines Verdachts, dass eine Person Opfer von Menschenhandel ist, oder der Gefahr Opfer zu werden, liegt das vor. Art 4 EMRK ist verletzt, wenn die Behörden von einer derartigen Situation Kenntnis haben, die betroffene Person jedoch nicht unterstützen.70 Auch in einer jüngeren Rspr des EGMR, Rechtssache Chowdury und andere gegen Griechenland, bekräftigte der Gerichtshof abermals die Anwendung des Art 4 ERMK in Bezug auf Menschenhandel.71 Die Mitgliedsstaaten werden durch Art 4 EMRK verpflichtet, neben der Setzung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Menschenhandel auch einen Rahmen zum Opferschutz zu gestalten und umzusetzen.72 2. Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels73 Das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels wurde 2005 vom „Committee on Action against Trafficking in Human Beings“ (CATHTEH)74 etabliert. Trotz bereits mehrfacher Regelungen seitens des Europarats selbst, der EU oder UNO sah der Europarat die Notwendigkeit von weiteren Maßnahmen, um gegen den Menschenhandel vorgehen zu können. Die wachsende Zunahme des Handels mit Menschen stellte dafür einen Grund dar. 65 Art 4 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten BGBI III 68/2021. 66 Der EGMR stellt auf aktuelle Probleme und Werte der Gesellschaft ab. 67 Vgl va Grabenwarter/Frank, B-VG Art 4 EMRK (Stand 20.06.2020, rdb.at). 68 Dazu Kapitel III 2. 69 EGMR 07.01.2010, 25965/04, Rantsev/Zypern und Russland. 70 Vgl EGMR 07.01.2010, 25965/04, Rantsev/Zypern und Russland. 71 EGMR 30.03.2017, 21884/15, Chowdury ua/Griechenland. 72 Vgl ua Sramek (Hrsg), Chowdury ua/Griechenland NLMR 2/2017-EGMR. 73 Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels BGBI III 92/2021. 74 Komitee für Maßnahmen gegen Menschenhandel. 06. Februar 2023 14
Sie können auch lesen