Die Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts zum Klimaschutzgesetz - Ecologic Institute

Die Seite wird erstellt Leonie Metzger
 
WEITER LESEN
Die Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts zum Klimaschutzgesetz
Beschluss vom 24. März 2021 - 1 BvR 2656/18 u.a.

Policy Brief                             Dr. Ralph Bodle
10. Mai 2021                             Dr. Stephan Sina

                Kernaussagen der Entscheidung
                1   Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates
                    umfasst auch, Leben und Gesundheit aktiv vor den Gefahren des
                    Klimawandels zu schützen. Das ist kein Grundrecht zukünftiger Ge-
                    nerationen, sondern der jetzt Lebenden zu ihren Lebzeiten. Dafür hat
                    der Staat jedoch einen weiten Spielraum, den die Regelungen des
                    KSG einhalten.

                2   Die Bestimmung zum Umweltschutz in Artikel 20a GG ist zwar kein
                    einklagbares individuelles Grundrecht. Aber sie begründet eine ver-
                    fassungsrechtliche Pflicht des Staates, Klimaneutralität zu erreichen.
                    Dieses Klimaschutzgebot ist justiziabel und begrenzt politische Ent-
                    scheidungsspielräume. Es hat keinen absoluten Vorrang, rechtfertigt
                    aber Eingriffe in Grundrechte umso mehr, je weiter der Klimawandel
                    fortschreitet.

                3   Das KSG ist insoweit verfassungswidrig, als es Grundrechte der
                    jetzt Lebenden nicht ausreichend für die Zukunft schützt. Die bis
                    2030 erlaubten Emissionsmengen würden einen großen Teil des Ge-
                    samtbudgets an Emissionen verbrauchen, das Deutschland zur Ver-
                    fügung steht, um seine Klimaziele zu erreichen. Daher besteht die
                    Gefahr einschneidender Grundrechtsbeschränkungen ab 2030.
                    Diese dämmt das Klimaschutzgesetz nicht hinreichend ein.

                4   Der Gesetzgeber muss bereits heute ausreichend Vorsorge treffen,
                    die Grundrechte auch nach 2030 zu schützen. Er muss den Über-
                    gang zu Klimaneutralität so rechtzeitig einleiten, dass die Betroffe-
                    nen für die Zeit nach 2030 Planungssicherheit haben. Er muss Emis-
                    sionsminderungen ab 2031 zumindest früher als 5 Jahre im voraus,
                    transparent und wiederholt festlegen.

Ecologic Institut                                              www.ecologic.eu
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz– Policy Brief

                                                               che Unversehrtheit in Betracht. Die Ent-
Hintergrund                                                    scheidung nennt außerdem auch das
                                                               Grundrecht auf Eigentum.
Das seit Ende 2019 bestehende Bundes-
Klimaschutzgesetz (KSG) sieht erst-                            Das BVerfG lässt ausdrücklich offen, ob es
mals verbindliche Klimaschutzziele vor.                        ein „Grundrecht auf ein ökologisches Exis-
Für den Zeitraum bis 2030 legt es Minde-                       tenzminimum“ oder ein diesem ähnelndes
rungen der Treibhausgasemissionen um                           „Recht auf eine menschenwürdige Zu-
55 % im Vergleich zu 1990 sowie jährlich                       kunft“ gibt, denn der Gesetzgeber hätte
sinkende Jahresemissionsmengen für be-                         diese jedenfalls nicht verletzt. Außerdem
stimmte Sektoren fest. Abgesehen von der                       schützen bereits andere Grundrechte die
Treibhausgasneutralität bis 2050, die als                      "grundrechtswesentlichen ökologischen
Grundlage des Gesetzes bezeichnet wird,                        Mindeststandards".2
konnten sich Klimaschutzziele über 2030                        Beim Klimaschutzgesetz geht es nicht da-
hinaus im Gesetzgebungsverfahren jedoch                        rum, sich gegen den Staat zu wehren.
nicht durchsetzen. Das KSG verpflichtet le-                    Sondern es geht darum, ob der Staat eine
diglich die Bundesregierung, im Jahr 2025                      Pflicht verletzt, die betreffenden Grund-
für Zeiträume nach 2030 jährlich absin-                        rechte aktiv zu schützen.
kende Jahresemissionsmengen durch
Rechtsverordnung festzulegen.                                      Grundsätzlich besteht auch eine
                                                                   Schutzpflicht des Staates, Leben und
Eine Reihe von Personen und Umweltver-
                                                                   Gesundheit vor den Gefahren des Kli-
bände halten diese Regelungen für unzu-
                                                                   mawandels zu schützen, einschließ-
reichend, um den Klimawandel zu be-
                                                                   lich durch Anpassungsmaßnahmen.
kämpfen, und hatten Verfassungsbe-
schwerden vor dem Bundesverfassungs-                           Da Deutschland den Klimawandel nicht al-
gericht eingelegt.                                             lein, sondern nur in internationaler Einbin-
                                                               dung aufhalten kann, muss es auch auf in-
                                                               ternationaler Ebene nach einer Lösung su-
Das Wichtigste der Ent-                                        chen.3

scheidung                                                      Das ist kein Grundrecht zukünftiger Ge-
                                                               nerationen. Zwar ist der Staat allgemein
Die Entscheidung1 betrifft nur die Frage,                      verpflichtet, auch diese zu schützen. Aber
ob der Staat Grundrechte verletzt. Es geht                     das ist nicht einklagbar als Verletzung ei-
nicht darum, die deutsche Klimaschutzpoli-                     gener Grundrechte.4 Sondern es geht um
tik allgemein zu bewerten. Das BVerfG                          die Grundrechte der jetzt Lebenden zu ih-
prüft drei mögliche Gründe, aus denen das                      ren Lebzeiten.5
KSG verfassungswidrig sein könnte:                             Der Staat hat einen weiten Spielraum
                                                               dafür, wie er seine Schutzpflicht erfüllt.
                                                               Sie ist nur dann verletzt, wenn der Staat
Keine Verletzung der Schutz-
                                                               untätig bleibt oder seine Maßnahmen völlig
pflichten für die Gegenwart bis                                unzulänglich sind oder erheblich hinter
2030
Als verletztes Grundrecht kommen zu-
nächst das Recht auf Leben und körperli-

1                                                              2
    BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24.                  Rn. 113-114 der Entscheidung.
                                                               3
    März 2021, - 1 BvR 2656/18 u.a. -,                           Rn. 148-150.
                                                               4 Rn. 146.
    http://www.bverfg.de/e/rs20210324_1bvr265618
                                                               5 Rn. 108.
    .html

                                                         2
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz– Policy Brief

dem Schutzziel zurückbleiben.6 Das ist                         Unzureichender Grundrechts-
hier nicht der Fall: Das KSG verfolgt zuläs-                   schutz für die Zukunft ist ver-
sigerweise das Ziel des Pariser Klimaab-
                                                               fassungswidrig
kommens, den Klimawandel auf deutlich
unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C zu be-                     Das Klimaschutzgesetz ist dennoch teil-
grenzen.7 Es strebt die verfassungsrecht-                      weise verfassungswidrig. Zwar erfüllt der
lich erforderliche Treibhausgasneutralität                     Staat mit dem KSG seine Pflicht, die
an und legt jedenfalls bis 2030 Emissions-                     Grundrechte aktiv vor den Folgen des Kli-
mengen fest, die danach weiter sinken                          mawandels zu schützen, für die Gegen-
müssen. Außerdem ist Anpassung an den                          wart (s.o.). Das Bundesverfassungsge-
unvermeidbaren Klimawandel noch mög-                           richt geht aber einen Schritt weiter, und
lich.8                                                         darin liegt der Kern der Entscheidung:

                                                                Kern der Entscheidung: Das Klima-
Keine Verletzung der Umwelt-
                                                                schutzgesetz ist insoweit verfas-
schutzbestimmung in                                             sungswidrig, als es Grundrechte der
Art. 20a GG                                                     jetzt Lebenden nicht ausreichend für
                                                                die Zukunft schützt.
Auch aus der Art 20a GG ergibt sich keine
Grundrechtsverletzung. Die so genannte                         Der Staat muss die Gefahr eindämmen,
Staatszielbestimmung des Art 20a GG ist                        dass er Grundrechte in der Zukunft gerade
kein einklagbares individuelles Grund-                         deswegen stark einschränken muss, weil
recht.                                                         er sie in der Gegenwart noch schont. Das
Dennoch macht das BVerfG wichtige Aus-                         BVerfG nennt dies eine "eingriffsähnliche
führungen zur Bedeutung von Art 20a GG:                        Vorwirkung auf Freiheitsrechte" und "inter-
Die Regelung enthält eine verfassungs-                         temporale Freiheitssicherung".11
rechtliche Pflicht des Staates, Kli-                           Eben diese Gefahr entsteht durch die der-
maneutralität zu erreichen, weil Klima-                        zeitige Ausgestaltung des Klimaschutzge-
wandel unumkehrbar ist.9 Art. 20a GG ist                       setzes: Weil Treibhausgasemissionen
justiziabel und begrenzt politische Ent-                       weitgehend unumkehrbar zur Erderwär-
scheidungsspielräume, Maßnahmen zum                            mung beitragen, steht nur eine bestimmte
Umweltschutz zu ergreifen oder es zu las-                      Gesamtmenge an Emissionen zur Verfü-
sen. Der Staat ist zu Maßnahmen ver-                           gung, um das klimapolitisch festgelegte
pflichtet, die letztlich auch in Grundrechte                   Ziel zu erreichen, den Temperaturanstieg
eingreifen. Dieses ausdrücklich so be-                         auf deutlich unter 2 Grad und möglichst
zeichnete Klimaschutzgebot hat zwar                            auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dieses Ge-
keinen Vorrang vor anderen Verfassungs-                        samtbudget an Emissionen leitet das
rechtsgütern, sondern ist mit ihnen auszu-                     BVerfG aus naturwissenschaftlichen Er-
gleichen. Aber je stärker der Klimawan-                        kenntnissen ab, u.a. den Berichten des
del fortschreitet, umso schwerer wiegt                         Weltklimarats IPCC.
das Gewicht des Klimaschutzgebots in
dieser Abwägung.10 Das ist wichtig für                         Das zentrale Argument des Gerichts lau-
den folgenden Kern der Entscheidung.                           tet: Je mehr Emissionsbudget bis 2030

6   Rn. 152.                                                     welche Reduktionen erforderlich sind, um ein
7   Rn. 35: "Ob und auf welche Höhe die CO2-Kon-                 bestimmtes Klimaschutzziel zu erreichen."
                                                               8 Rn 154-168.
    zentration in der Erdatmosphäre und der Tem-
                                                               9 Rn. 198.
    peraturanstieg zu begrenzen sind, ist eine kli-
                                                               10 Rn. 185.
    mapolitische Frage. Sie ist nicht durch die Na-
                                                               11 Rn. 183.
    turwissenschaften zu beantworten. Deren Er-
    kenntnisse geben jedoch Anhaltspunkte dafür,

                                                         3
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz– Policy Brief

schon verbraucht ist, desto stärkere Frei-                    verbrauchen, das Deutschland bis 2050
heitseinschränkung zum Klimaschutz wer-                       zur Verfügung steht, um seine klimapoli-
den später erforderlich, um das verfas-                       tisch zulässig festgelegten Klimaziele zu
sungsrechtliche Klimaschutzgebot noch er-                     erreichen.13 Daher besteht die Gefahr ein-
füllen zu können und Klimaneutralität doch                    schneidender Grundrechtsbeschränkun-
noch zu erreichen.                                            gen ab 2030.14 Diese dämmt das Klima-
                                                              schutzgesetz nicht hinreichend ein. Das
Je mehr Emissionen also gegenwärtig
                                                              BVerfG nennt die verfassungsrechtlichen
bis 2030 zugelassen werden, desto grö-
                                                              Vorgaben, die der Gesetzgeber für eine
ßer wird die Gefahr, dass der Staat da-
                                                              ausreichende Vorsorge erfüllen muss:
nach umso schneller und stärker in
Grundrechte eingreifen muss. Dazu
wäre der Staat auch immer mehr berech-                        Was der Gesetzgeber bereits
tigt, weil das Gewicht der Grundrechte ge-                    jetzt für die Zukunft regeln
genüber dem Klimaschutz bei fortschrei-                       muss
tendem Klimawandel immer mehr ab-
nimmt.12                                                      Damit die klimaschutzbedingten Belastun-
Diese Gefährdung der zukünftigen                              gen für den Zeitraum nach 2030 grund-
Grundrechtsausübung muss der Ge-                              rechtsverträglich sein werden, muss der
setzgeber bereits heute rechtfertigen,                        Staat bereits jetzt Vorkehrungen treffen
indem er ausreichend Vorsorge trifft, dass                    und die Regelungen für die Zeit nach 2030
die Grundrechte auch später geschützt                         konkreter gestalten.15
werden.                                                       Praktisch erfordert dies, den Übergang
                                                              zur Klimaneutralität rechtzeitig einzulei-
 Es gibt ein verfassungsrechtliches                           ten.16 Dazu müssen Reduktionsmaßnah-
 Gebot nicht nur der Klimaneutralität,                        men für die Zeit nach 2030 und ausrei-
 sondern auch des rechtzeitigen Über-                         chend weit darüber hinaus rechtzeitig und
 gangs dazu.                                                  transparent festgelegt werden.17 An ihnen
                                                              müssen sich die Betroffenen orientieren
Es geht dabei nicht um Schutz vor den                         können, um Produkte und Verhaltenswei-
Folgen des Klimawandels, sondern um                           sen rechtzeitig klimaneutral umzugestalten
Freiheitsgefährdungen durch - nach Art.                       und dafür Planungssicherheit zu haben.18
20a GG gebotene - staatliche Maßnahmen
zur Bekämpfung des Klimawandels. Nach                         Zwar ist der Ansatz des KSG, sinkende
wie vor geht es um die Grundrechte der                        Jahresemissionen für die Sektoren festzu-
jetzt lebenden Beschwerdeführer, und aus-                     legen, grundsätzlich geeignet, eine solche
drücklich nicht um Grundrechte künftiger                      Orientierung zu geben. Die konkrete Art
Generationen.                                                 und Weise der Fortschreibung über 2030
                                                              hinaus reicht dazu aber nicht aus. Es
Das Klimaschutzgesetz erfüllt diese                           müsste zumindest bestimmt werden, in
Vorgaben nicht ausreichend. Zwar sind                         welchen Zeitabständen weitere Festlegun-
die bis 2030 erlaubten Emissionsmengen                        gen getroffen werden. Ein Planungshori-
zulässig. Aber sie würden einen großen                        zont von 5 Jahren, wie ihn das KSG für
Teil des Gesamtbudgets an Emissionen

12 Rn. 118-120, 185.                                            zumutbare Grundrechtsbeeinträchtigungen ver-
13 Rn 232-233. Wir gehen hier nicht auf Kritik an               bunden wären [...], lässt sich zwar nicht feststel-
  der Berechnung ein.                                           len. Das Risiko gravierender Belastungen ist je-
14 Rn. 245: "Die nach 2030 aufgrund von Art. 20a                doch hoch."
                                                              15 Rn. 244 ff.
  GG gebotene Treibhausgasminderungslast wird
                                                              16 Rn. 248.
  erheblich sein. Ob sie so einschneidend ausfällt,
                                                              17 Rn. 252-253.
  dass damit zwangsläufig aus heutiger Sicht un-
                                                              18 Rn. 254.

                                                        4
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz– Policy Brief

den Zeitraum ab 2031 vorsieht, reicht da-
für nicht aus.19 Außerdem muss der Ge-
setzgeber die Bemessung der Jahresemis-
                                                                                    IMPRESSUM
sionsmengen entweder selbst regeln oder
konkrete Kriterien für eine Festlegung
durch Rechtsverordnung vorgeben.20                                     Kontakt

                                                                       Ralph Bodle
                                                                       Senior Fellow
                                                                       E-Mail: ralph.bodle@ecologic.eu

                                                                       Stephan Sina
                                                                       Senior Fellow
                                                                       E-Mail: stephan.sina@ecologic.eu

                                                                       Ecologic Institut
                                                                       Pfalzburger Straße 43/44
                                                                       10717 Berlin

                                                                       Datum
                                                                       10.05.2021

                                                                       Vorgeschlagene Zitierweise
                                                                       Bodle, Ralph, Sina, Stephan (2021),
                                                                       Die Entscheidung des Bundesver-
                                                                       fassungsgerichts zum Klimaschutz-
                                                                       gesetz. Ecologic Institut, Berlin.

19                                                             20
     Rn. 256-258.                                                   Rn. 160, 164.

                                                         5
Sie können auch lesen