Die Folgen der COVID-19 Pandemie auf die Versorgungsforschung rücken in den Fokus des 19. DKVF
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19. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung Die Folgen der COVID-19 Pandemie auf die Versorgungsforschung rücken in den Fokus des 19. DKVF Die neuen Herausforderungen und Fragestellungen an die Versorgungsforschung durch die COVID-19 Pandemie spiegelten sich im Programm des 19. DKVF deutlich wider. Der digitale Kongress vom 30.09 - 01.10 2020 war wissenschaftlich ein großer Erfolg: 510 Abstracts, 2 Plenarsitzungen, 42 Abstract-Sessions, 50 Poster-Sessions, 4 Symposien und ca. 750 Teil- nehmende sorgten für ein umfangreiches und interessantes Programm. Das Programm des diesjährigen Deutschen 19. Deutschen Kongress für Versorgungsfor- Kongresses für Versorgungsforschung wurde schung durchzuführen. angesichts dieser neuen Herausforderungen für Gesundheitssysteme angepasst. Mit Plenar- und Vortragssitzungen zu den Auswirkungen von COVID-19 auf die Gesundheitsversorgung und die Versorgungsforschung wurde eine Plattform des Austauschs geschaffen, in der ak- tuelle Forschungsprojekte und die Anforderun- gen an die Versorgungsforschung vorgestellt und diskutiert werden konnten. Der Kongress Kongresspräsident Prof. R. Busse begrüßt alle Teil- zeigte über das Thema COVID-19 hinaus die nehmenden ganze Bandbreite der Versorgungsforschung. In den sechs digitalen Vortragsräumen gab es Der Kongresspräsident Prof. Reinhard Busse in 42 Sessions, 242 Vorträge und 251 Präsenta- führte in seinem Eingangsstatement aus, dass tionen auf der digitalen Posterplattform. das Motto des Kongresses „Zugang, Qualität und Effizienz: Gesundheitsversorgung interna- tional vergleichen und verbessern“ durch die Corona-Pandemie einen anderen Fokus be- kommen habe. Der Vergleich der Gesundheits- systeme ist in der aktuellen Krisensituation je- doch von enormer Bedeutung, um politische Entscheidungsprozesse in nationalen und in- ternationalen Kontexten zu unterstützen. In ihrem Grußwort betonte Staatssekretärin Prof. M. Klinkhammer-Schalke eröffnet den 19. Barbara König (Senatsverwaltung für Gesund- DKVF heit, Pflege und Gleichstellung), dass nicht zu- Die Plenarsitzungen wurden live aus dem in letzt wegen der COVID-19-Pandemie zentrale den Räumen der Deutschen Krebsgesellschaft Fragestellungen der Versorgungsforschung, in Berlin Charlottenburg eingerichteten Video- auch der international vergleichenden Versor- studios übertragen. Prof. Monika Klinkham- gungsforschung und Fragestellungen von Zu- mer-Schalke (Vorsitzende DNVF) eröffnete den gangsgerechtigkeit, Ressourceneffizienz und Kongress und begrüßte alle virtuell anwesen- Fähigkeiten zur Bewältigung globaler Gesund- den Kongressteilnehmer*innen herzlich. Sie heitskrisen im Fokus eines weltweiten öffentli- betonte, dass die über 500 Abstracteinreichun- chen Interesses stehen. In diesem Zusammen- gen das DNVF bewogen haben, dass große hang begrüßte sie die Entscheidung des Pro- Wagnis einzugehen, einen voll umfänglichen 1
grammkomittees, das ohnehin spannende Pro- kutierte international in drei parallelen Work- gramm kurzfristig um Fragestellungen mit Be- shops die Möglichkeiten, versorgungsnahe Da- zug auf die COVID-19-Pandemie zu erweitern. ten für das Pandemiemanagement und wis- Als aktuelle Fragestellungen der Versorgungs- sensgenerierende Versorgungsforschung zu forschung wies sie auf die Translation von Er- nutzen sowie die Frage, welche methodischen gebnissen und Optimierung öffentlicher Ge- und datenspezifischen Anforderungen an die sundheitssysteme hin - besonders hinsichtlich Nutzung versorgungsnaher Daten zu stellen Zugang, Qualität und Effizienz. sind. Die erste Plenarsitzung bildete den Rahmen für die gesamte Konferenz. In der ersten Keynote gab Dr. Azzopardi Muscat (Direktorin der Abtei- lung Gesundheitspolitik und Gesundheitssys- teme des WHO Regionalbüros für Europa) ei- nen Überblick, wie europäische Länder auf die Corona-Pandemie reagiert haben, was sie (von- einander) lernen konnten und insbesondere wie die Pandemie die Bewertung von Gesund- DKG- Symposium heitssystemen beeinflusst. In dem zweiten in- ternationalen Vortrag stellte Francesca Co- Im DKG-Symposium wurden Vielfalt der The- lombo (Leiterin der Abteilung Gesundheit der men und Methoden der Versorgungsforschung OECD) vor, wie die OECD die Mitgliedsländer in der Onkologie deutlich. Beispielsweise stell- bei der Entwicklung von Maßnahmen zur Be- ten Dr Veronika Bierbaum und Christoph wältigung der Auswirkungen der Corona-Pan- Forkert vom ZEGV Dresden erste Ergebnisse demie unterstützt hat. der „WiZen“-Studie vor, in der sie mittels Daten der AOK und der klinischen Krebsregister un- tersuchen, ob die Behandlung in einem zertifi- zierten Zentrum einen Überlebensvorteil bringt. Erste Ergebnisse für das kolorektale und das Pankreaskarzinom konnten diesen Überle- bensvorteil zeigen. Dr. Christoph Kowalski von der Krebsgesellschaft berichtete im Sinne des Kongressthemas „Gesundheitsversorgung in- ternational vergleichen und verbessern“ vom 2. Plenarsitzung Dr. N. Scholten, Prof. S. RiedelHhel- TrueNTH Global Registry, in dem patientenbe- ler, Prof. R. Busse, C. Günter, Prof. J. Schmitt richtete funktionale Outcomes (also v. a. Erek- Im Fokus der zweiten Plenarsitzung standen die tion und Kontinenz) bei der Behandlung des durch die COVID-19-Pandemie veränderten Prostatakarzinoms in 200 Versorgungseinrich- Anforderungen an die Versorgungsforschung. tungen in mittlerweile 15 Ländern miteinander Moderiert von Prof. Busse wurde mit Versor- verglichen werden. Zahlreiche deutsche Pros- gungsforscher*innen aus unterschiedlichen tatakrebszentren beteiligen sich an dieser Initi- COVID-19-assoziierten Projekten diskutiert, ative. wie sich Versorgungsforschung durch die CO- Auf dem Kongress wurden erste Studien zur VID-19-Pandemie verändert hat. Corona-Pandemie vorgestellt, Die Ergebnisse Das vom Bundesministerium für Gesundheit zeigen Licht und Schatten: Die Bereitschaft des (BMG) geförderte Satellitensymposium zum stationären Sektors, digitale Lösungen zum Da- Thema „Nutzung versorgungsnaher Daten“ dis- tenaustausch und zur Kommunikation zu ver- 2
wenden, ist deutlich gewachsen. Solche Lösun- sind und wie sehr Evidenz aus der Wissen- gen wurden auch schnell eingerichtet und ge- schaft dabei unterstützt, die richtigen Ent- nutzt. Kritisiert wurde jedoch die Versorgung scheidungen zu treffen und gleichzeitig die mit Schutzausrüstung, vor allem mit Masken. Akzeptanz für die vielfach gravierenden Auch untersuchen erste Studien, ob durch die Entscheidungen zu verbessern. Corona-Maßnahmen Unterversorgungen zu konstatieren ist. Es hat sich auch gezeigt, dass • Versorgungsforschung ist Spitzenfor- Daten schneller und unkomplizierte zur Verfü- schung, die je nach Fragestellung klinische gung standen sowie die Kooperationsbereit- Daten und Daten aus der Versorgung ver- schaft zwischen unterschiedlichen Institutio- knüpft, damit eine bessere Versorgung für nen und Sektoren des Gesundheitssystem ge- die Patient*innen ermöglicht wird. wachsen ist. • Wir brauchen dringend, ähnlich wie in der Onkologie, klare Rahmenbedingungen für In einem neuen Format „Breitenversorger“ stellten in der Versorgung aktive Kolleginnen klinische Register, damit schnell Daten in und Kollegen eigene Forschungsprojekte vor. Krisen zur Verfügung stehen. Die gleichnamige Session wurde von Dr. Ulrike • Die Corona-Pandemie hat große Schwä- Hahn (OcuNet) organisiert. Die Fachgesell- chen im System offenbart, resümiert Kon- schaften präsentierten in einer eigenen Sitzung gresspräsident Prof. Reinhard Busse. „Wir herausragende Beiträge zur Versorgungsfor- brauchen mehr Daten, um eine aktuelle schung. In beiden Formaten zeigt sich ein er- Steuerung des Pandemie- Geschehens zu hebliches Potenzial für die Versorgungsfor- ermöglichen. Das können wir von anderen schung - nicht nur wegen des großen Daten- Ländern lernen“. schatzes, sondern auch wegen der Kooperati- • Die Politik muss die Möglichkeiten der Ver- onsangebote und der Erfahrungen und Kompe- sorgungsforschung stärker nutzen, um ei- tenzen in der Versorgungsrealität. gene Entscheidungen evidenzbasiert zu Fazit treffen. Zentrale Erkenntnisse des Kongresses sind: Das DNVF hat sich der Covid-Krise gestellt und • Während der COVID-Krise hat die Versor- das Abenteuer eines vollen Kongresspro- gungsforschung ihre Bedeutung eindrucks- gramms über mehrere Tage gewagt, mit Ple- voll gezeigt. Sie hat zur Klärung wichtiger narvorträgen, parallelen Sessions, Podiumsdis- Fragestellungen beigetragen- oft unter er- kussionen, Poster Sessions - und eine digitale heblichem Zeitdruck, ohne Förderung und Mitgliederversammlung inklusive Vorstands- unter erschwerten Bedingungen. Die Neu- wahlen. Danke an die Deutsche Krebsgesell- igkeit und Unsicherheit hat Entscheidungs- schaft für die Einrichtung eines professionellen trägern in der Politik und Versorgung deut- Ton- und Fernsehstudios am Liegnitzsee – und lich vor Augen geführt, wie praxisrelevant an alle Mitarbeiter*innen, Moderator*innen, die Ergebnisse der Versorgungsforschung Vortragenden und Teilnehmenden für man- ches Mal Geduld und gute Nerven! 3
Internationale Plenarsitzung: Lehren für Gesundheitssysteme aus der COVID-19 Pandemie Ländern mit einem gut ausgebauten öffentlichen Gesundheitswesen und starken ambulan- ten Versorgungsstrukturen gelingt es besser, die Pandemie zu kontrollieren. Highlights des Kongresses waren die Eröff- kommen sind als andere. So wurden in Däne- nungsvorträge von Dr. Natasha Azzopardi mark, Finnland, Norwegen, Österreich und Muscat (WHO) und von Francesca Colombo Deutschland Patient*innen meist außerhalb (OECD). In ihrem Plenarvortrag diskutierte Dr. von Krankenhäusern getestet und ein Großteil Azzopardi Muscat wie die Pandemie Probleme ambulant versorgt. Die aus der COVID-19 Pan- in europäischen Gesundheitssystemen ver- demie gezogenen Schlussfolgerungen stellen schärfte und aufdeckte, u.a. den Mangel an Ko- eine einzigartige Gelegenheit dar, die Personal- ordination zwischen der Primärversorgung, politik im Gesundheitswesen neu auszurichten den Krankenhäusern und der Langzeitpflege, und dabei einen partizipatorischen Ansatz für mit unklaren Zuständigkeiten und mangelnder Forschung und Politikentwicklung zu verwen- Kooperation, und wie Sparmaßnahmen der den, wobei die Stimmen von Leistungserbrin- Vorjahre in vielen europäischen Ländern zu gern und Patient*innen ebenso wichtig sind größeren Ungleichheiten geführt haben, da das wie z.B. die der Epidemiologen. Zusätzlich bie- öffentliche Gesundheitswesen häufig das Ziel tet sich die Gelegenheit, die bisherigen Erfah- von Einsparungen war. So stellte sie fest, dass rungen mit digitalen Anwendungen während es in der Coronakrise Ländern mit gutem öf- der Pandemie auszuwerten (z.B. Telekonsulta- fentlichem Gesundheitswesen besser gelinge, tionen) und zu verstehen, um zu prüfen, inwie- die Pandemie zu kontrollieren. Sie machte auch weit diese sicher und effektiv waren und von deutlich, dass europäische Gesundheitssys- Patient*innen und Leistungserbringern akzep- teme, die ihren Schwerpunkt in ambulanten tiert wurden. Digitale Technologien können Versorgungsstrukturen haben, besser durch eine vielversprechende Lösung darstellen, um die erste Welle der COVID-19-Pandemie ge- die in vielen Ländern wachsende Knappheit des Gesundheitspersonals zu kompensieren. Internationale Plenarsitzung: Dr. Azzopardi Muscat und Prof. Reinhard Busse 4
Im zweiten internationalen Vortrag diskutierte nationaler wie internationaler Ebene. In der an- Francesca Colombo, wie die OECD die Entwick- schließenden Diskussion mit Prof. Reinhard lung von Maßnahmen der Mitgliedsländer un- Busse, wurde konstatiert, dass dringend dar- terstützt hat. Francesca Colombo ist derzeit über gesprochen werden muss, wie Daten der Leiterin der Abteilung Gesundheit der OECD. Versorgungsforschung in einem strukturierten Sie machte deutlich, dass über die Eindäm- Prozess zur politischen Entscheidungsfindung mung der Epidemie hinaus jedoch noch zusätz- herangezogen werden können. Dazu bräuchte liche operative, finanzielle und forschungsbe- es Ansprechpartner, die für die Versorgungs- zogene Maßnahmen erforderlich sind, um eine planung und -steuerung zuständig sind, ent- wirksame Versorgung der Patient*innen zu ge- sprechende Forschungsprogramme aufsetzt währleisten und den auf den Gesundheitssys- und finanziert – und dann dafür sorgt, dass die temen lastenden Druck zu verringern. Dies Ergebnisse systematisch in die politische Ent- setze voraus, dass Diagnostik bzw. Tests und scheidungsfindung einfließen. Das Gesund- medizinische Versorgung leicht zugänglich und heitswesen hinkt anderen Sektoren bei der erschwinglich sind und in einem sicheren Um- Entwicklung eines harmonisierten „Daten- feld angeboten werden. Neben der Frage der Governance-Konzepts“ und globaler Standards Erschwinglichkeit spielen auch Organisations- für die Terminologie und den Austausch von strukturen und Kapazitäten der Gesundheits- Gesundheitsdaten deutlich hinterher. Die Poli- systeme eine entscheidende Rolle. Schlussfol- tik muss die Möglichkeiten der Versorgungsfor- gernd stellte sie fest, dass weltweite Gesund- schung stärker nutzen, um eigene Entscheidun- heitskrisen verdeutlichen, wie wichtig die gen evidenzbasiert zu treffen, resümierte Prof. grenzüberschreitende Verfügbarkeit kohären- Busse. ter, vergleichbarer und aktueller Daten ist – auf Francesca Colombo, Dr. Azzopardi Muscat und Prof. Reinhard Busse diskutieren „leassons learnt“ 5
2. Plenarsitzung Herausforderungen der COVID-19-Pandemie für die Versorgungsforschung – die zweite Ple- narsitzung Im Fokus der zweiten Plenarsitzung standen die durch die COVID-19-Pandemie veränderten Anforderungen an die Versorgungsforschung. Es wurde mit Versorgungsforscher*innen aus unterschiedlichen COVID-19-assoziierten Projekten diskutiert, wie sich Versorgungsforschung durch die COVID–19-Pandemie verändert hat. Die Panelteilnehmenden Prof. Steffi G. Riedel- Dr. Nadine Scholten machte deutlich, dass der Heller (Universität Leipzig), Prof. Jochen Sch- Fokus der Versorgungsforschung zu Beginn der mitt (Universität Dresden), Dr. Nadine Scholten Pandemie stark auf dem stationären Sektor lag (IMVR, Universität Köln ), Susann Schmidt (Öf- und der ambulante Bereich unterbeleuchtet fentliches Gesundheitsamt München) und war. Deswegen startete Frau Scholten mit ih- Christian Günster (Wissenschaftliches Institut rem Team ein vom BMBF finanziertes For- der AOK ) diskutierten insbesondere die Rah- schungsprojekt zum Einfluss der COVID-19- menbedingungen ihrer Projekte, wie welche Krise auf den ambulanten Sektor aus Sicht der Daten beschafft wurden und wie die Kommuni- niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (COVID- kation nach außen stattfand. GAMS). Dabei werden sowohl organisationale, ökonomische und interpersonelle Herausfor- Prof. Jochen Schmitt stellte das in Sachsen ent- derungen sowie die direkten Auswirkungen auf wickelte Monitoring Tool (DISPENSE) vor. Im die Patientenversorgung aus Sicht niedergelas- Rahmen eines regionalen Pandemiemanage- sener Ärztinnen und Ärzte erforscht. ments wurden in Dresden/Ostsachsen bereits im März 2020 Netzverbünde aller regionaler Prof. Dr. Steffi G. Riedel-Heller vermutete zu Kliniken mit jeweils einer koordinierenden Beginn der Pandemie, dass insbesondere die Krankenhausleitstelle etabliert. Das Monito- psychische Gesundheit älterer Menschen im ring Tool (DISPENSE) bündelt tagesaktuell Da- erhöhten Maße negativ von Quarantäne- und ten zur Bettenauslastung von 35 ostsächsi- Isolationsmaßnahmen durch psychosoziale Be- schen Kliniken, Daten der ostsächsischen Ge- lastungen beeinflusst sei. Eine repräsentativ sundheitsämter und der Landesuntersu- durchgeführte Befragung von 1000 älteren Per- chungsanstalt Sachsen über das Infektionsge- sonen vom April 2020 zeigte jedoch, dass sich schehen. Es bietet somit sowohl eine Grund- die Ergebnisse zu Depression, Somatisierung lage für die Versorgungsplanung der Kranken- und Ängstlichkeit und Einsamkeit nicht von den häuser als auch für politische Entscheidungen Resultaten, die man für die Bevölkerungs- während der Pandemie. gruppe aus Vor-Pandemie-Zeiten kennt, unter- scheiden. Die Ergebnisse legen somit eine hohe 6
Resilienz gegenüber problematischen Leben- der Pandemie und die psychische Gesundheit sereignissen in dieser Gruppe der Älteren nahe. in Zukunft notwendig sind, um möglicherweise Prof. Riedel-Heller unterstrich, dass längs- längerfristige Effekte zu detektieren. schnittliche Untersuchungen über den Verlauf 2. Plenarsitzung: S. Schmitt, Dr. N. Scholten, Prof. S. Riedel-Heller, Prof. R. Busse, C. Günter, Prof. J. Schmitt. Susann Schmidt vom Referat für Gesundheit dass es zahlreiche Anfragen für Daten für For- und Umwelt München berichtete über die Kli- schungskooperationsprojekte gab. Auch die nikkoordination während der ersten Welle der Zusammenarbeit mit der Presse hat sich in den Pandemie in der Landeshauptstadt. Dafür ersten Monaten teilweise als schwierig gestal- wurde eine Online-Plattform für alle 39 Klini- tet, da vorläufige Ergebnisse falsch interpre- ken erstellt, die die Möglichkeit bietet, Betten- tiert und veröffentlicht wurden. Das WIdO hat kapazitäten zu erfassen, Nachrichten zu hinter- im Zuge der vielen Anfragen ihre Datenbasis lassen sowie Dokumente hochzuladen. Als wei- verändert, um auf die Anfragen zu reagieren. tere Maßnahme etablierte das kommunale Ge- Herr Günster unterstrich aber auch die Neben- sundheitsamt tägliche Telefonkonferenzen mit effekte der Pandemie auf Non-COVID For- den Pandemiebeauftragten der Kliniken sowie schungsprojekte, für die teilweise die Aktivitä- einen wöchentlichen Austausch der Kliniken ten temporär zum Erliegen gekommen sind. auf Leitungsebene. Frau Schmidt stellte heraus, dass für die Bewältigung der Corona-Pandemie Insgesamt waren sich alle TeilnehmerInnen der insbesondere in Großstädten ein koordiniertes Plenarsitzung einig, dass sich durch die Corona Vorgehen aller Akteure in der gesundheitlichen Pandemie , die Möglichkeit Real-Time-Monito- Versorgungslandschaft notwendig ist Durch ring zu praktizieren und der Verfügbarkeit von den direkten Informationsfluss zwischen Klini- Real-Time-Daten für die Evaluation und Steue- ken und Gesundheitsamt kann bei Bedarf rasch rung von Prozessen verbessert hat, was auch auf akute Ereignisse reagiert werden. die Versorgungsforschung langfristig prägen wird. Zudem haben sich neue Kooperations- Christian Günster vom WIdO, dem Wissen- möglichkeiten und Kommunikationswege auf- schaftliches Institut der AOK, stellte heraus, getan bis hin zum kontinuierlichen Austausch mit der politischen Entscheidungsebene. 7
COVID-19 Vortragssitzungen auf dem DKVF Auf dem Kongress fanden vier Vortragssitzungen zur COVID-19 Pandemie und den Auswirkun- gen auf die Versorgung und die Versorgungsforschung statt, in denen die neuesten Erkennt- nisse aus nationalen und internationalen Projekten vorgestellt wurden. Beiträge aus dem Late-Breaking Call for Abstracts zum Thema COVID-19 haben ihre Projekte in diesen vier Sit- zungen vorgestellt und diskutiert: • Versorgungssituationen in Corona-Zeiten und lessons learned • Versorgungssituationen in Corona-Zeiten: Erfahrungen von Gesundheitsprofessionellen • Corona-bezogene Digitalisierungsinstrumente • COVID-19 bezogene Versorgungsforschung Covid-19-Session auf dem 19. DKVF In der Session zu Versorgungssituationen in in den ersten Wochen der Pandemie auf die Corona-Zeiten wurden die Erfahrungen von Mitarbeiter in den Institutionen des Gesund- Gesundheitsprofessionellen vorgestellt. Dort heitswesens, der Pflege- und Gemeinschafts- wurde in mehreren Vorträgen festgestellt, dass einrichtungen eine sehr hohe Infektionslast 8
kam (bis zu 500 Fälle täglich). Darüber hinaus niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, dass wurde in mehreren Vorträgen über die gestie- 80% den ambulanten Sektor als sehr relevant gene Arbeitslast durch zusätzliche Aufgaben für die Bekämpfung der Pandemie sehen, wo- und Verantwortlichkeiten (z.B. häufiges An- bei sich fast 50% während des gesamten Ver- /Ablegen von Schutzkleidung, Aufbau digitaler laufs der Pandemie von der Politik vernachläs- Kommunikationswege) sowie den gestiegenen sigt gefühlt haben. Ein weiterer Vortrag be- Druck berichtet. Es ist deutlich zu erkennen, schäftigte sich mit der Nutzung von Schutzaus- dass die Mitarbeiter*innen des Gesundheits- rüstung durch medizinisches Personal. Zum wesens den Hauptteil dieser Lasten zu tragen Tragen von Masken wurden in den vergange- hatten, dicht gefolgt von den Mitarbeiter*in- nen Monaten immer wieder Korrekturen an Ex- nen der Pflegeeinrichtungen. Die Auswirkun- pertenempfehlungen notwendig, weil die Evi- gen der COVID-19-Pandemie auf die Berufsaus- denz für klare Aussagen fehlte und erste An- übung und das Patient*innenaufkommen war nahmen oft revidiert werden mussten. Da der ebenfalls Gegenstand einiger Vorträge. So erlit- Schutz von Beschäftigten im Gesundheitswe- ten viele Hausarztpraxen und Psychothera- sen sowie der Schutz von Patient*innen vor ei- peut*innen wirtschaftliche Verluste durch ein ner Infektion mit SARS-CoV-2 ein wichtiger Fak- geringeres Patientenaufkommen aufgrund der tor ist, um die Leistungs- und Funktionsfähig- Absage der Termine durch Patienten und Pati- keit der Gesundheitssysteme zu gewährleisten, entinnen. Ebenfalls wurde die Relevanz des wurde die Adhärenz und Indikationsgerechte ambulanten Sektors zur Bewältigung der Pan- Nutzung persönlicher Schutzausrüstung von demie deutlich. Daher beschäftigten sich viele medizinischem Personal während der COVID- vorgestellte Projekte unter anderem damit zu- 19-Pandemie überprüft. Es zeigte sich, dass ein künftig auch den ambulanten Sektor besser auf an den Wissenstand angepasstes Schulungs- Epidemien und Pandemien vorbereiten zu kön- konzept für das untersuchte Krankenhausper- nen. So wurde über die gestiegenen Zahlen te- sonal entwickelt werden sollte. Es muss hier lemedizinischer Angebote berichtet. Außer- berücksichtigt werden, dass einige Projekte dem war es das Ziel einiger Projekte mögliche noch nicht abgeschlossen sind und beispiels- Verschlechterungen der gesundheitlichen Situ- weise jetzt mit einer zweiten Befragungswelle ation der Patientinnen und Patienten aufgrund etc. starten werden. Wir bleiben daher auf wei- einer aktuell suboptimalen Versorgungsitua- tere Ergebnisse gespannt, und würden uns tion aufgrund der COVID-19 Pandemie frühzei- auch im Namen aller Zuschauer der Session tig zu erkennen und auf mögliche Probleme zu über eine finale Ergebnispräsentation im Rah- reagieren. So zeigten Ergebnisse aus Sicht von men des nächstjährigen DKVF freuen. Nachwuchssession bestimmte die Agenda. Darüber hinaus berich- teten die Teilnehmenden über Herausforde- In der Nachwuchssession zum Thema „Promo- rungen in der Online-Lehre, der Vereinbarkeit vieren im Home-Office – Konsequenzen von von Familie und Beruf sowie auftretenden Fol- COVID-19 für Doktorandinnen und Doktoran- gen für ihre Forschungsprojekte. den“ konnten sich (Nachwuchswissenschaft- ler*innen) zu ihren Erfahrungen während der Masters Corner letzten Monate unter COVID-19 austauschen. Fünf spannende Vorträge präsentierten Studie- Gesprächsthemen wie „Promovieren im Home- rende in der Session der Masters Corner. Die Office“, „Auswirkungen von COVID-19 auf das Themen deckten dabei ganz unterschiedliche Netzwerken“ sowie „Einfluss auf die Beschäfti- Bereiche der Versorgungsforschung ab, begin- gung nach Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ nend bei einem Thema aus dem Management- 9
bereich (Personalrekrutierung im Kranken- haus) bis hin zum Einsatz von GKV-Routineda- ten (Erhebung der Prävalenz chronischer Wun- den). Posterpreise Die Preise für die besten Poster, die sich insbe- Bewegungsfreude? Eine systematische Litera- sondere an den wissenschaftlichen Nachwuchs turrecherche als Impulsgeber für neue Wege in richteten, gewannen: Arim Shukri (Uniklinik der Versorgung von übergewichtigen Kindern Köln, 1.Platz) für das Poster „Die gesund- und Jugendlichen" und Laura Mause (IMVR, heitsökonomische Perspektive auf die Dialyse- Universität Köln, 3. Platz) für das Poster „Ak- versorgung in Deutschland", Constanze Greule zeptanz von Webcams für Eltern von Frühgebo- (Universität Tübingen, 2. Platz) für das Poster renen auf neonatologischen (Intensiv-) Statio- „Welche Faktoren beeinflussen die Sport- und nen - Befragung des ärztlichen und pflegeri- schen Personals vor Implementation". Verleihung der Posterpreise durch Prof. Monika Klinkhammer-Schalke Wilfried-Lorenz-Versorgungsforschung-Preis 2020 an PD Dr. Ludwig Schlemm 10
Der Wilfried-Lorenz-Versorgungsforschungspreis des Deutschen Netzwerks Versorgungs- forschung (DNVF) e.V. wurde in diesem Jahr für eine herausragende methodische Ar- beit „Bypassing the Closest Stroke Center for Thrombectomy Candidates What Additional Delay to Thrombolysis Is Acceptable?“ an PD Dr. Ludwig Schlemm (Charité Berlin) verge- ben. Die 16-köpfige Jury wählte im Gutachterverfah- Vortrag die Ergebnisse der Studie. Patient*in- ren die Arbeit, die 2020 von dem Preisträger nen mit akutem ischämischen Schlaganfall, die publiziert wurde, aufgrund des versorgungsre- einen Verschluss großer Gefäße aufweisen, levanten Themas und der angewandten ma- profitieren vom direkten Transport zu einem thematischen Modellierung aus,. Der Preis umfassenden Schlaganfallzentrum (CSC), das in wurde PD Dr. L. Schlemm am Ende der Eröff- der Lage ist, eine endovaskuläre Therapie nung des 19. DKVF von Margit Lorenz, der durchzuführen. Um Schäden für Patient*innen Witwe von Prof. Wilfried Lorenz, übergeben. ohne großes Gefäßverschluss-Reservoir durch Prof. Monika Klinkhammer-Schalke (Vorsit- verzögerten Zugang zur intravenösen Throm- zende DNVF) bedankte sich sehr bei Frau Lo- bolyse (IVT) zu vermeiden, wurde vorgeschla- renz für die Stiftung des Preisgelds in diesem gen, nur Patient*innen mit hoher Wahrschein- Jahr und Ihre große Verbundenheit mit dem lichkeit eines großen Gefäßverschlusses umzu- Netzwerk. Das Jurymitglied Prof. Max Geraedts leiten, bei denen die zusätzliche Verzögerung hob hervor, das PD Dr. Ludwig Schlemm die zur intravenösen Thrombolyse (IVT) durch den Frage nach einer optimalen Logistikstruktur für Transport zum CSC unter einem bestimmten Schlaganfallpatient*innen mit mathemati- zeitlichen Schwellenwert liegt. Welche schen Modellrechnungen überzeugend beant- Schwelle den größten klinischen Nutzen erzielt, wortet hat. Der Preisträger erläuterte in einem ist jedoch unbekannt. Vortag von Preisträger PD Dr. L. Schlemm auf dem 19. DKVF Die Gruppe um den Preisträger PD Dr. L. die Verzögerung bis zur IVT zu berechnen, die Schlemm verwendete mathematische Model- mit der größten Reduktion der behinderungs- lierungen, um zusätzliche Schwellenwerte für 11
bereinigten Lebensjahre in abstrahierten Sze- Die Ergebnisse legen nahe, dass Patient*innen narien mit 2-Takt-Zentrum und Mehrfach-Takt- mit akutem ischämischen Schlaganfall mit Ver- Zentrum verbunden sind. Die Modellparame- dacht auf Verschluss großer Gefäße in eine CSC ter wurden aus kürzlich durchgeführten Meta- umgeleitet werden sollten, wenn die zusätzli- Analysen oder großen prospektiven Kohorten- che Verzögerung der IVT weniger als 30 Minu- studien extrahiert. Die Unsicherheit wurde in ten in städtischen und weniger als 50 Minuten probabilistischen und 2-Wege-univariaten Sen- in ländlichen Gebieten beträgt. sitivitätsanalysen quantifiziert. Wilfried-Lorenz-Preisträger PD Dr. L. Schlemm mit M. Lorenz und Prof. M. Klinkhammer-Schalke Der mit 2.500 € dotierte Preis wird in Geden- Mal vergeben. Prof. Lorenz hat sich viele Jahr- ken an das DNVF-Ehrenmitglied Herrn Prof. zehnte um die Versorgungsforschung verdient Dr. Wilfried Lorenz in diesem Jahr zum fünften gemacht. Satelliten-Symposium: Nutzung versorgungsnaher Daten Gut verknüpfbare und qualitativ hochwertige versorgungsnahe Daten und insbesondere Register sind eine wichtige Ressource für die Forschung und das Pandemiemanagement. Das neue Forschungsdatenzentrum ist für das deutsche Gesundheitssystem hier ein wichti- ger Baustein. Das vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderte Satellitensymposium zum Thema „Nutzung versorgungsnaher Daten“ diskutierte international in drei parallelen Workshops die Möglichkeiten, versorgungs- nahe Daten für das Pandemiemanagement und wissensgenerierende Versorgungsfor- schung zu nutzen sowie die Frage, welche me- Prof. M. Klinkhammer-Schalke und J. Holland eröff- thodischen und datenspezifischen Anforde- nen das Satelliten-Symposium rungen an die Nutzung versorgungsnaher Da- In einer abschließenden Podiumsdiskussion ten zu stellen sind. wurden die Ergebnisse der Workshops vorge- stellt und die Möglichkeiten der Nutzung ver- sorgungsnaher Daten diskutiert. Prof. M. Klinkhammer-Schalke (Vorsitzende DNVF) und J. Holland (BMG) begrüßten alle Referent*in- nen und Teilnehmenden herzlich. Sie wiesen 12
darauf hin, dass versorgungsnahe Daten hel- schung nutzen zu können. Das DNVF hat des- fen können, einerseits das Pandemiegesche- wegen eine AD-hoc Kommission „Versor- hen besser zu managen und anderseits jedoch gungsnahe Daten“ gegründet, die zurzeit an wissenschaftliche Standards zur Nutzung ver- einem Manual für Methoden und Nutzung sorgungsnaher Daten notwendig sind, um das versorgungsnaher Daten zur Wissensgenerie- schon vorhandene Daten-Potential für die For- rung arbeitet und ein erstes Kapitel schon ver- öffentlicht hat. Workshop 1: Wie können versorgungsnahe Daten zur Unterstützung der Bewältigung von Krisen wie die COVID-19 Pandemie genutzt werden? Leitung: Prof. Dr. J. Schmitt (Vorstand DNVF, TU Dresden) Der Virologe Prof. Oliver Keppler (LMU Mün- Intensivmediziner untersuchte. Prof. Mark chen) sprach im ersten Vortrag über Geophy- Coburn hat die Beteiligung der deutschen Klini- logenie und Risikoanalyse der SARS-CoV-2 In- ken in diesem Projekt koordiniert. Als entschei- fektionen am LMU Klinikum und gab einen Ein- dend hat sich das hervorragende Netzwerk und blick in das länderübergreifende Monitoring hohe Engagement der Beteiligten erwiesen. Im zur Ausbreitung von verschiedenen Sars-Cov-2- vierten Vortrag sprach Martin Dorazol (Deputy Stämmen in Europa. Die“ Bewältigung von Pan- Head of Unit. European Reference Networks demien in den Niederlanden anhand nutzbarer and Digital Health) über die Planung und Um- Daten“ war Thema der Präsentation von Prof. setzung des EU Health Data Space, um v.a. bei Sabine Siesling (University of Twente). Holland zukünftigen Pandemien auch länderübergrei- ist Vorreiter was die Datenverknüpfung und – fend noch mehr vergleichende Daten bereit- verfügbarkeit in Krebsregistern angeht. Die Da- stellen zu können und damit die Grundlage für ten stehen mit nur sehr geringem Zeitverzug eine harmonisierte Pandemiebewältigung zu zur Verfügung und sind landesweit einheitlich legen. In der abschließenden Diskussion wur- konfiguriert. So konnte sehr zeitnah erkannt den folgende entscheidende Faktoren für ein werden, dass im Bereich der Krebsmedizin in erfolgreiches Pandemiemanagement identifi- vielen Bereichen durch den Shutdown eine Un- ziert: terversorgung kurzfristig bestand, z.B. bei der - Nationale und internationale bestehende Krebsfrüherkennung und bei der Palliativthera- Netzwerke, die schnell und unkompliziert pie. Effekte auf die Sterblichkeit sind noch nicht Projekte ins Leben rufen. sichtbar, können aber durch Dateninfrastruk- - Rasche Datenverfügbarkeit aus unter- tur in Holland sehr gut beobachtet werden. schiedlichen Quellen. Das Holländische Prof. Mark Coburn, (Uniklinik Bonn) zeigte in Krebsregister ist hier beispielhaft. seinem Vortrag, welche Voraussetzungen not- - Versorgungsmonitoring in der Breite ist im wendig sind, um in kurzer Zeit valide Daten zu- Moment in Deutschland nicht möglich. sammenzuführen. In der Intensivmedizin gab Zielstellung sollte es sein, eine vernetzte es eine sehr gut koordinierte, internationale Registerlandschaft aufzubauen, GKV-Rou- Multicenterstudie, die sehr früh das Risiko der tinedaten zeitnaher verfügbar zu machen Intubation von COVID-19 Patient*innen durch 13
und die derzeitige Datenlücke im ambulan- ten Bereich zu schließen. Prof. O. Keppler, Prof. J. Schmitt, Prof. S. Siesling, Prof. M. Coburn, M. Dorazol Workshop 2: Evidenzgenerierung mit Registern (methodische Anforderungen und Möglich- keiten) – Was ist machbar? Was brauchen wir? Leitung: Prof. Dr. Monika Klinkhammer-Schalke (Vorsitzende DNVF, Universität Regensburg) Im Vordergrund dieses Workshops stand die zenbewertungen für Arzneimittel mit versor- Bedeutung der Nutzung versorgungsnaher Da- gungsnahen Daten möglich sind. Unter Beach- ten für die Forschung, aber auch direkt für die tung der Qualität der Daten und wissenschaft- Verbesserung der Versorgung von Patient*in- lichen Methodik ist es vertretbar und wün- nen sowie welche methodischen Vorausset- schenswert, dass versorgungsnahe Daten auch zungen für die Nutzung versorgungsnaher Da- in diesem Bereich zur Evidenzgenerierung ein- ten zu berücksichtigen sind. Dr. Thomas Kaiser gesetzt werden. Dr. Thomas Kaiser verwies auf (IQWiG) zeigte in seinem Vortrag welche Nut- den bereits publizierten Rapid Report 1 , der auf der Grundlage vieler Visitationen un- terschiedlicher Datenhalter, darunter auch Re- gister erarbeitet wurde. 1 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Konzepte zur Generierung versor- gungsnaher Daten und deren Auswertung zum Zwecke der Nutzenbewertung von Arzneimitteln nach § 35a SGB V; Auftrag A19-43 (IQWiG-Berichte; Band 863; 13.05.2020). 14
Dr. T. Kaiser, Prof. M. Klinkhammer-Schalke, J. Hol- von Registern durch die Medizininformatik-Ini- land, Prof. S. Benz, S. Semler tiative. Diese Initiative ermöglicht auf breiter Basis die Zusammenführung unterschiedlicher Welche Möglichkeiten bieten Register aus kli- Datenquellen und schafft eine gute Basis für nischer Sicht? Prof. Stefan Benz (Klinikverbund Forschung mit diesen Daten auf hohem Niveau. Südwest) sieht eine große Chance in der Nut- Ebenso wie in der Onkologie wird ein Kernda- zung versorgungsnaher Daten durch die Breite tensatz für unterschiedliche Erkrankungen ent- der möglichen Fragestellungen, z.B. der Mög- wickelt, der dann die Zusammenführung unter- lichkeit Ergebnisqualität onkologischer Be- schiedlicher Datenquellen ermöglicht. Zurzeit handlung auf die durchführenden Krankenhäu- wird der Kerndatensatz für die Onkologie ent- ser herunterzubrechen und hier zu beurteilen, wickelt, der den einheitlichen Basisdatensatz § ob das Ergebnis der Behandlung etwas mit dem 65c SGB V als Grundlage hat. Vermögen, z.B. der chirurgischen Durchfüh- rung einer operativen Prozedur, zu tun hatte In der abschließenden Diskussion wurden als im Vergleich zur Nichtdurchführung dieser zentrale Erkenntnisse des Workshops festge- Maßnahme. Ebenso können anhand versor- halten: gungsnaher Daten Ergebnisse von Interven- tionseffekten dargestellt werden, die ggf. The- - Nutzung von Registerdaten ist rapien unnötig machen. Prof. Karsten Dreinhö- notwendig und sinnvoll, bedeut- fer (Vorstand DNVF, Charité, Berlin) ergänzte sam dabei ist die Nachvollziehbar- die klinische Perspektive, in dem er anhand des keit der Qualität der Daten . Endoprothesenregisters beispielhaft darlegte, - Es ist zu prüfen, ob Daten für die dass Register ein wesentlicher Bestandteil von jeweils spezifische Fragestellung Qualitätssicherung, sowohl im Bereich des ver- sinnvoll sind. wendeten Materials, als auch der chirurgischen - Vorhandene Datenressourcen bie- Durchführung sind. Das Endoprothesenregister ten schon viele Anwendungsmög- ist, so Prof. Karsten Dreinhöfer, ein Vorbild zur vollständigen Erfassung und regelmäßigen Nut- lichkeiten, gerade dann, wenn ver- zung, gerade zur Qualitätssteigerung, und dient schiedene Datenquellen verknüpft somit in hohem Masse der Sicherheit von Pati- werden können. ent*innen. Gefordert wurde von allen, dass der Datenzu- Im letzten Vortrag des Workshops referierte gang erleichtert wird und eine Datenzusam- Sebastian Semler, (TMF) zu den Möglichkeiten menführung zeitnah möglich wird, z.B. Krebs- registerdaten und Krankenkassendaten. Workshop 3: Daten für die Forschung – Rahmen, Regeln und Verknüpfungsmöglichkeiten Leitung: Prof. Wolfgang Hoffmann (stellv. Vorsitzender DNVF, Universität Greifswald) Thema von Workshop 3 war die Verbesserung stellte Möglichkeiten, Rahmen und Regeln des der Verfügbarkeit von Daten aus dem Gesund- geplanten Forschungsdatenzentrums vor. heitssystem, insbesondere der Krankenkassen, Im neuen Forschungsdatenzentrum der BfArM für die Versorgungsforschung - inklusive der soll der Datensatz der gesetzlichen Kranken- Möglichkeiten einer Verknüpfung von Sekun- kassen für die Forschung erschlossen werden – därdaten aus mehreren Quellen. Inhaltlicher der Umfang des Variablensatzes (Datenkranz) Schwerpunkt war die Strategie des Bundesmi- soll verbreitert und der Datensatz perspekti- nisteriums für Gesundheit (BMG) im Kontext visch um weitere Quellen erweitert werden. deutscher und europäischer Rahmenbedingun- Die Verfügbarkeit wird beschleunigt. Es sollen gen und Regelwerke. Dr. Alina Brandes (BMG) Daten zur Behandlung, zu Laborwerten, zu den 15
Leistungserbringern und zum Versicherten-Sta- Die Häufigkeit von Homonym- und Synonym- tus bereitgestellt werden. Das neue For- Fehlern kann naturgemäß in diesem Projekt schungsdatenzentrum wird im europäischen nicht quantifiziert werden. Gesundheitsdatenraum konzipiert. Die techni- Daten aus digitalen Gesundheitsanwendungen schen Voraussetzungen werden bis Ende 2021 – Nutzbarkeit für die Forschung? Diese Frage- geschaffen sein. Ab 2022 wird zunächst der stellung diskutierte Sven Kernebeck (Universi- Kerndatensatz zur Verfügung gestellt, ab Be- tät Witten/Herdecke) im 4. Vortrag des Work- richtsjahr 2024 dann der gesamte Datensatz. shops. Smartphone-Apps werden in naher Zu- Prüfung von Nutzungsanträgen und Datenbe- kunft digitale Biomarker zur Verfügung stellen, reitstellung sollen in forschungsfreundlicher die entweder punktuell oder kontinuierlich er- Atmosphäre, wertebasiert, transparent und hoben werden. Die Messungen können passiv kooperativ erfolgen. Bei Datenschutzverstößen oder aktiv (z.B. Tipp-Geschwindigkeit auf dem wird ein Sanktionsregime greifen, die Codes of Handy) erfolgen und sind zeitlich und örtlich Conduct entsprechen der DSGVO. entkoppelt vom Gesundheitssystem (Beispiel Im Beitrag von Prof. Falk Hoffmann zu Anforde- Accelerometer). Ein Problem sind die noch ge- rungen an Primär- und Sekundärdaten beim ringe Standardisierung und Vergleichbarkeit Datenlinkage ging es um das Verhältnis von Pri- der unterschiedlichen Geräte und Technolo- mär- und Sekundärdaten, insbesondere deren gien, die eine Objektivierung und teilweise Verknüpfung zur Validierung und um das auch eine Quantifizierung limitieren. Fraglich Thema Non-Response-Analysen. Ethische, re- ist auch, ob Sensoren am Handgelenk Rück- gulatorische und IT-Anforderungen wurden schlüsse auf das Verhalten ermöglichen. Das fundiert diskutiert. Prof. Falk Hoffmann ver- „Law of attrition“ ist für die Handy-Apps in der wies auf den nationalen Aktionsplan „Quo va- Forschung noch nicht untersucht – sehr wahr- dis Datenlinkage?“ (2018) und die Gute Praxis scheinlich wird aber auch hier einer anfänglich Datenlinkage (2019). Perspektivisch forderte hohen Nutzung eine Abnahme der Nutzungs- er, eine einheitliche ID-Nummer für alle Bürger disziplin folgen, so dass ein gewünschter End- über alle Datenquellen hinweg. Dies ist in punkt nicht immer erreicht werden kann. Was Deutschland kein einfaches Thema – deshalb noch fehlt, ist eine partizipative Entwicklung muss auch aus Sicht der Forschung hier für Ak- von Handy-App-Lösungen sowohl in der prakti- zeptanz geworben werden. schen Nutzung als auch in der Forschung. Auch die Validierung ist noch kritisch, daher ist die Kees Kleihues van Tol (Arbeitsgemeinschaft Generalisierbarkeit von mit Handy-Apps erho- Deutscher Tumorzentren) zeigte am Beispiel benen Daten nicht immer klar ist. des Projektes WIZen die Nutzung von Abrech- nungsdaten der Krankenkassen in Verbindung In der abschließenden Diskussion wurde fol- mit Registerdaten. Ziel dieses Projektes ist der gendes Fazit gezogen: Vergleich zertifizierter onkologischer Zentren - Durch die Initiative des BMG wird die mit der Regelversorgung in Bezug auf die Qua- Verfügbarkeit von Daten für die For- lität der Behandlung und patientenbezogene schung verbessert, gleichzeitig verfüg- Ergebnisse. Dazu wurden bundesweite AOK bare Datensätze erweitert und durch Daten (1,3 Millionen Versicherte) verknüpft Linkage-Möglichkeiten vergrößert. mit drei klinischen Landeskrebsregistern - Bzgl. der Datenschutzanforderungen (105.800 Tumorfälle). Untersucht wurden acht muss noch Vertrauen geschaffen wer- führende Krebs Entitäten. Im ersten Schritt den (Werte-basierte Forschungskultur). wurde gezeigt, dass das Datenlinkage auch auf - Erste versorgungsrelevante Anwendun- der Basis von pseudonymisierten Daten (Alter, gen von Datenlinkage liegen vor. Geschlecht, Postleitzahl) in für diese Analyse ausreichender Präzision durchgeführt werden. 16
- Zukünftig wird die Forschungsbasis Wir brauchen zukünftig die konsequente durch innovative Erhebungsmöglichkei- Sammlung von Daten, Qualitätssicherung, ef- ten personenbezogener Daten (Handy- fektive Antrags- und Bewilligungsverfahren, Apps, Wearables) nochmals verbessert. Vertrauenskultur in die Wissenschaft und Er- satz der Vorsichtsmaßnahmen gegen Miss- brauch durch ein klares Sanktionsregime. Prof. F. Hoffmann, Porf. W. Hoffmann, K. Kleihues van Tol, Dr. A. Brandes, S. Kernebeck Podiumsdiskussion Die abschließende Podiumsdiskussion mit Prof. sen-Daten als auch Versicherten-Daten enthal- Monika Klinkhammer-Schalke, Prof. J. Schmitt, ten soll – und mit der Versichertennummer Prof. Wolfgang Hoffmann, Dr. Alina Brandes, eine eindeutige Identifikation. Für Versor- Prof. Thomas Seufferlein (Präsident Deutsche gungsforschung ist sowohl die Bereitstellung Krebsgesellschaft), Sven Kernebeck, Jana Hol- von Sekundärdaten als auch deren Möglichkeit land, Prof. Stefan Benz moderierte Prof. Kars- zum Linkage erforderlich. ten Dreinhöfer. Es wurde herausgestellt, dass Das zukünftige Forschungsdatenzentrum bei die Standardisierung und Vergleichbarkeit, der BfArM sollte auch selbst Forschung betrei- Transparenz und klinische Bedeutung von Se- ben. Das sichert eine forschungsfreundliche kundärdaten im Gesundheitssystem verbessert Umgebung, verbessert die Einschätzung von werden muss. Krebs-Registerdaten haben hier Möglichkeiten und Grenzen und dient dadurch Vorbildfunktion, da sie bereits hoch standardi- sowohl der Qualität der eigenen Datenressour- siert sind und bundesweit in guter Qualität und cen als auch der damit betrieben Forschung. Vollständigkeit zur Verfügung stehen. Was Datenschutz muss im richtigen Verhältnis zum fehlt, ist vielfach noch die enge und strukturelle Nutzen stehen. Je höher der Nutzen, desto we- Verbindung zur onkologischen Spitzenfor- niger vollständig muss eine Anonymisierung er- schung. Die Möglichkeiten für Datenlinkage folgen. In vielen Fällen wird eine Pseudonymi- verbessern sich durch Einführung der elektro- sierung notwendig sein. Anstatt eines Krimina- nischen Fallakte (eFA), die sowohl Krankenkas- litätsvorbehalts gegen jeden Forscher ist hier 17
eine Forschungsqualitäts-, Datenschutz- und Versorgungsnahe Daten können zum Teil zu- Datensicherheitskultur anzustreben. Datensi- mindest regional darstellen, ob es eine Zeitver- cherheit betrifft zentrale Infrastrukturen, ins- zögerung bei Früherkennungsmaßnahmen, In- besondere mit zentraler Datenhaltung, zu de- zidenzen, Therapieverzögerungen durch Maß- nen notwendigerweise auch das Forschungsda- nahmen im Rahmen des Pandemiemanage- tenzentrum bei der BfArM gehören wird. Die ments gegeben hat und eine Strategie entwi- Datensicherheit ist, im Unterschied zum Daten- ckelt werden muss, wie dies in Zukunft mit wel- schutz, in Deutschland bisher noch ein unter- chen Maßnahmen zu verbessern ist. Eine Mög- schätztes Thema. lichkeit wäre es, einen Datengipfel zu organi- sieren: ein Zusammentreffen aller Datenhalter, Vorhandene Datenquellen (insbesondere Re- um gemeinsame Strategien zu entwickeln, wie gister) können schon heute zur Beantwortung zeitnah versorgungsnahe Daten zur Verfügung spezifischer Fragestellungen genutzt werden. stehen können und für ggf. Fragestellungen zu- Das Manual für Methoden und Nutzung versor- sammengeführt werden können. gungsnaher Daten zur Wissensgenerierung des DNVF wird hier Antworten geben und Empfeh- lungen entwickeln. 18
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