DIE LAST DER ARMUT LINDERN - Der Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen unter Obama - Rosa Luxemburg Stiftung
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DIE LAST DER ARMUT LINDERN Der Kampf für die Gleichberechtigung der ROSA Schwarzen unter Obama LUXEMBURG STIFTUNG NEW YORK OFFICE Von James Jennings
Inhaltsverzeichnis Der Mythos vom post-rassistischen Amerika. Von den Herausgebern....................................1 Die Last der Armut lindern Der Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen unter Obama...............................2 Von James Jennings Obamas „post-rassistische Politik“..........................................................................................3 Das neoliberale Kontinuum.......................................................................................4 Anhaltende rassistische Diskriminierung...............................................................................6 Klasse, Armut und Arbeitslosigkeit............................................................................6 Das Strafrechtssystem................................................................................................9 Politischer Widerstand gegen die Gleichberechtigung von Afroamerikanern..................10 Bürgerrechte......................................................................................................11 Die Angriffe auf die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung...................12 Das Fortbestehen rassistischer Einstellungen......................................................13 Räume des Widerstandes........................................................................................................14 Die Schwarze Kirche...................................................................................................14 Afroamerikanische Intellektuelle.............................................................................15 Schwarze Künstler......................................................................................................16 Afroamerikaner und Repräsentationspolitik..........................................................16 Schwarze Arbeiterinnen und Arbeiter.....................................................................18 Fazit.............................................................................................................................................19 Veröffentlicht vom New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung, mit Mitteln des AA, Nov. 2013. Herausgeber: Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg Adresse: 275 Madison Avenue, Suite 2114, New York, NY 10016 E-Mail: info@rosalux-nyc.org; Telefon: +1 (917) 409-1040 Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine international tätige, progressive Non-Profit-Organisation für politische Bildung. In Zusammenarbeit mit vielen Organisationen rund um den Globus arbeitet sie für demokratische und soziale Partizipation, die Ermächtigung von benachteiligten Gruppen, Alternativen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und für friedliche Konfliktlösungen. Das New Yorker Büro erfüllt zwei Hauptaufgaben: sich mit Themen der Vereinten Nationen zu befas- sen und mit nordamerikanischen Linken in Hochschulen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der Politik zusammenzuarbeiten. w w w. ros alu x- nyc .or g
Der Mythos vom post-rassistischen Amerika Im Sommer 2013 hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten den Voting Rights Act von 1965, der das Wahlrecht von Minderheiten schützt, für teilweise ungültig erklärt. Der Mann, der Trayvon Martin erschoss, ist von einer Jury in Florida freigesprochen worden. Und Detroit hat kürz- lich als erste Großstadt in der US-Geschichte Konkurs angemeldet. Während die Wahl und Wieder- wahl des ersten schwarzen US-Präsidenten eine positive Veränderung in der amerikanischen Gesell- schaft signalisieren, bedeuten sie jedoch nicht das Ende rassistischer Diskriminierung. Im Gegenteil zeigen sozialen Indikatoren wie Arbeitslosigkeit, Haushaltsvermögen und die Rassentrennung in den Schulen, dass die Vereinigten Staaten rassistisch gespalten sind wie eh und je. Jedes dieser Ereignisse steht für einen grundlegenden Trend. So signalisiert die knappe Entschei- dung des Supreme Court, die wesentliche Funktion des Voting Rights Acts aufzuheben, eine Zu- spitzung der bisherigen Bemühungen auf bundesstaatlicher Ebene, Afroamerikaner, Einwanderer, Arbeitslose, Arbeiter und junge Menschen von den Wahlurnen fernzuhalten. Ohne den Schutz des Voting Rights Act ist zu erwarten, dass die Konservativen ihre Strategie fortsetzen, diese eher links wählenden Bevölkerungsgruppen ihres Stimmrechts zu berauben. Der tragische Tod von Trayvon Martin veranschaulicht, dass rassistisch motivierte Angriffe keines- falls der Vergangenheit angehören. Doch darüber hinaus demonstriert dieser Fall auch den mora- lischen Bankrott der US-Strafjustiz und deren Versagen, den Mörder zur Verantwortung zu ziehen. Rassistische Vorurteile durchdringen jede Schicht dieses Systems. Angehörige von Minderheiten, insbesondere schwarze Männer, werden weit überproportional von der Polizei angehalten, straf- rechtlich verfolgt und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Das Ergebnis ist ein beispielloses System der Masseninhaftierung. Doch auch ohne Haftstrafe führt eine Verurteilung oder Vorstrafe oft zu per- manenter Stigmatisierung, erschwert die Arbeitssuche und den Zugang zu Bildung, Sozialwohnun- gen und anderen staatlichen Sozialleistungen. Der Bankrott Detroits markiert die Aufhebung der Demokratie in einer mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Stadt. Er setzt einen Endpunkt in einem Prozess der Preisgabe und Gentrifizierung, der amerikanische Städte über mehrere Jahrzehnte umgeformt hat. Der Rückgang des verarbeitenden Gewerbes in den USA und der sogenannte white flight, der Wegzug der weißen Bevölkerung, treffen Detroit besonders hart. Detroit mag ein Extremfall sein, doch die allgemeine Wirtschaftsentwick- lung sieht wenig besser aus. Die Große Rezession ist für schwarze Gemeinden in Amerika eine De- pression, und eine Erholung hat noch nicht begonnen. In diesem Bericht untersucht James Jennings, Professor für Stadtplanung und -politik an der Tufts University, den Kampf für Gleichberechtigung in den USA. Trotz überwältigender Unterstützung durch afroamerikanische Wähler und andere people of color ist Präsident Obama mit Blick auf die Gleichstellung der Minderheiten auf enttäuschende Weise untätig geblieben. Auch darüber hinaus bleiben zahlreiche Hindernisse bei der Bekämpfung der anhaltenden Ungleichheit bestehen. Doch es gibt auch Räume, in denen sich hoffnungsvolle neue Allianzen formieren, die bei einer Verbindung der Rassen- und Klassendimension von Ungleichheit ansetzen. Fest steht: Der Kampf um Gerechtig- keit für rassistisch Diskriminierte geht weiter. Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg Leiter des Büros New York, November 2013 1
Die Last der Armut lindern Der Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen unter Obama Von James Jennings Nach der Wahl und Wiederwahl des ersten den die Geschichte der weltweiten Kämpfe schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staa- gegen Ungleichheit und ihre Erfolge schlicht ten behaupten viele Kommentatoren, dass das übergangen. Land in eine post-rassistische Phase überge- gangen sei. Gemeint ist damit, dass die Haut- Während sowohl liberale als auch konservati- farbe der Menschen und die Tatsache, dass ve Politiker beteuern, dass die Hautfarbe heu- Millionen US-Amerikaner schwarz sind, an te keine Rolle mehr spiele, zeugt es von einer Bedeutung verloren hätten. Barack Obamas besonderen Ironie, dass in manchen Kreisen Wahlsiege gelten als Beweis für das Ende des selbst der Ruf nach Gleichberechtigung von Rassismus, obschon rassistische Feindseligkei- Schwarzen und Weißen als spaltend betrachtet ten bisweilen fortbestünden. Vereinzelte ras- wird. Zahlreiche Sozialwissenschaftler fordern sistisch motivierte Gewalttaten oder die wei- sogar, „die spaltende Idealvorstellung der rassi- terhin bestehenden rassistischen Einstellun- schen Gleichheit“ aus dem öffentlichen Diskurs gen, die landesweite Umfragen belegen, seien zu verbannen, um die Unterstützung progres- nichts weiter als marginale Abweichungen von siver Ziele durch Weiße nicht zu gefährden.1 der vorherrschenden Aussöhnung zwischen Konservative Kommentatoren und auch einige Menschen unterschiedlicher Hautfarbe. Liberale reagieren regelrecht verägert, wenn Rassismus in den USA als anhaltendes Prob- Dieser Diskurs einer post-rassistischen Ge- lem erwähnt wird. Sie gehen sogar noch einen sellschaft hat beunruhigende Auswirkungen Schritt weiter und beschuldigen diejenigen, die auf den anhaltenden Kampf für die Gleichbe- Rassismus thematisieren, als unverantwortlich rechtigung von Afroamerikanern. Zudem ver- und selbstgerecht, da sie unnötige Zwietracht nachlässigt er die Frage der Akkumulation und sähten. Konservative Radio- und Fernsehmo- Verteilung des Reichtums sowie dessen wach- deratoren wie Rush Limbaugh, Sean Hannity, sender Konzentration in den Händen der Su- Bill O’Reilly und Ann Coulter, die regelmäßig im perreichen und kommt damit den Interessen Fernsehsender Fox News erscheinen, wieder- der mächtigen Konzernen entgegen. Die in der holen dieses Mantra. Unter dem Deckmantel amerikanischen Gesellschaft tief verwurzelte einer post-rassistischen Gesellschaft attackie- rassistische Hierarchie wird verschleiert und ren unterdessen rechte Politiker das Wahl- die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich recht liberaler oder progressiver Wählerinnen ignoriert. Die Privilegien, die mit einer als „nor- und Wähler. Sie machen die Registrierung für mal“ verstandenen weißen Hautfarbe einher- 1 Für das Beispiel der Liberalen vgl. P. M. Sniderman und gehen, werden ausgeblendet. Zugleich bleibt E. G. Carmines: Reaching beyond race, Harvard Uni- unklar, warum „Weißsein“ für weiße Arbeiter versity Press 1997. Für die Konservativen vgl. S. Thern- strom und A. Thernstrom: America in Black and White: und arme Weiße in den USA keine materielle One Nation, Indivisible, Simon & Schuster: New York Sicherheit gewährleistet. Darüber hinaus wer- 1997. 2
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN Wahlen und den Urnengang selbst äußerst für Schwarze, zu untergraben. William Boone kompliziert und mühsam, um möglichst viele von der Clark Atlanta University, der sich für Menschen aus den unteren sozialen Schichten gerechte Wohnverhältnisse in Atlanta/Georgia von den Wahlen auszuschließen.2 einsetzt, erklärt, dass Obamas Wahlsiege Während der letzten beiden Präsidentschafts- zwar eine radikal positive Veränderung auf dem wahlen gelang es den Konservativen – wiede- Weg zur Gleichberechtigung der Afroamerikaner rum mit dem stillschweigenden Einverständ- in den Vereinigten Staaten signalisieren, diese Auffassung jedoch zugleich etablierte Paradigmen nis der Demokraten –, alle Forderungen nach aufrechterhält, die festlegen, wie der Kampf für Gleichberechtigung von Schwarzen bereits die Gleichheit von Weißen und Schwarzen disku- im Keim zu ersticken. Dies hat rechte Kräfte tiert wird […]. Sein Wahlsieg erschwert es, die Pro- in ihrem Vorhaben bestärkt, demokratische bleme der schwarzen Bevölkerung anzusprechen Prinzipien und soziale Gerechtigkeit, vor allem oder ihnen entgegenzutreten.3 Obamas „post-rassistische“ Politik Präsident Obama genießt nach wie vor brei- amerikaner in den Bereichen Armut, Wohnen, te Unterstützung unter Afroamerikanerinnen Gesundheit und Arbeit äußere er sich nicht. und Afroamerikanern. Trotzdem ist Cornel Dies sei auch bei der Antrittsrede zu seiner West keineswegs der Einzige, der daran Anstoß zweiten Amtszeit vom 20. Januar 2013 der Fall nimmt, dass Obama sich den beschriebenen gewesen. Ironischerweise resultierte der Wahl- „post-rassistischen“ Diskurs zu eigen macht, sieg des Präsidenten aus der erstaunlich brei- und der Obama fehlende Führungsstärke bei ten Unterstützung durch die schwarze Wähler- der Bekämpfung der Ungleichheit vorwirft. schaft – hinsichtlich des Stimmenanteils sowie Etliche schwarze Intellektuelle und Aktivisten deren hoher Wahlbeteiligung. 4 lasten dem Präsidenten an, die Vermeidung des Themas Rassismus stillschweigend akzep- Ebenso markierte die Präsidentschaftswahl tiert zu haben. Peniel Joseph, Historiker und 2008 den Höhepunkt eines Trends in der Po- Autor mehrerer Bücher zur Black-Power-Bewe- litik von Schwarzen, der „Black politics“, der gung, kritisiert die bevorzugte Herangehens- Ende der 1980er Jahre seinen Anfang genom- weise des Präsidenten mit Blick auf das Thema men hatte. Die alte Garde der schwarzen Po- Rassismus, die dem Prinzip folgt: „Einfach nicht litiker aus der Bürgerrechtsgeneration kam darüber reden.“ Trotz der überwältigenden aus Bezirken, in denen mehrheitlich Schwarze Unterstützung durch afroamerikanische Wäh- lebten. Dementsprechend war ihr Selbstver- lerinnen und Wähler, zeichnet sich Obama, so ständnis als Vertreter und Stimme der schwar- Joseph, heute vor allem dadurch aus, dass er zen Gemeinschaft maßgeblich für ihre Politik. die Bedeutung von rassistischen Zuschreibun- Doch ab Ende der 1980er Jahre verzichtete gen und Klassenunterschieden totschweigt, eine jüngere Generation afroamerikanischer Zu möglichen Strategien gegen die anhaltend Politiker, die in mehrheitlich weißen Bezirken schlechteren Lebensbedingungen der Afro- 3 E-Mail-Korrespondenz mit William Boone, 8.4.2013. 2 Für einen Überblick vgl. James P. Hare: Steal the Vote: 4 Peniel Joseph: President Barack Obama re-elected, Ba- Voter Suppression in the Twenty-first Century, www. sic Black, Boston: WGBH, www.wgbh.org/basicblack/ rosalux-nyc.org, Oktober 2012. index.cfm, 2012. 3
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN und Städten kandidierten, darauf, ihre Haut- Wähler erlauben kann, auf drängende Fragen farbe und ihre Zugehörigkeit zu afroameri- der schwarzen Bevölkerung Stillschweigen zu kanischen Organisationen zu betonen. Diese bewahren – aus dem schlichten Grund, weil er Politiker bevorzugten eine „rassisch neutrale“ selbst schwarz ist. Provozierend fragt Jackson, Politik und weigerten sich, als Sprecher der warum es angesichts der katastrophal hohen schwarzen Gemeinschaft aufzutreten – eine Arbeitslosigkeit und der Gewalt in schwarzen Veränderung, die als „post-Black politics“ und Gemeinden später als „post-racial politics“ bezeichnet wur- de.5 Diese neuen schwarzen Politiker sahen einen anderen Maßstab für einen schwarzen als sich „genauso häufig als Boschafter, die sich für einen weißen Präsidenten gibt? Sollten wir nicht unabhängig von der Hautfarbe [des Präsi- an die schwarze Gemeinschaft richten, wie als denten] vor dem Weißen Haus protestieren, wenn deren Stimme nach außen.“6 Barack Obama ist die Arbeitslosenrate der schwarzen Bevölkerung zwar das bekannteste Beispiel eines „post-ras- zweistellig ist? Sollten wir nicht vor dem Weißen sischen Politikers“, doch gehören dieser neuen Haus protestieren, wenn über 500 Schwarze in Generation auch Cory Booker, der Senator aus Chicago ermordet werden (darunter viele Kinder) und der amtierende Präsident kaum ein Wort dar- New Jersey, Michael Nutter, der Bürgermeister über in der Öffentlichkeit verliert?8 von Philadelphia, und andere Politiker an. Obamas Wiederwahl im Jahr 2012 lässt sich Das neoliberale Kontinuum zum Teil auf die rassistischen Kampagnen und die rassistische Rhetorik der Republikanischen Obama hat der Benachteiligung der Schwarzen Partei und ihres radikalen Flügels der Tea Party bisher nahezu keine Beachtung geschenkt. Er zurückführen. Die Tea Party schüchterte selbst hat eine eindeutig neoliberale Umgangsweise moderate Republikaner ein und veranlasste sie mit Rassismus.9 Der Präsident setzt auf weitere dazu, die afroamerikanische Wählerschaft zu unternehmensfreundliche internationale Han- ignorieren. Die Schwarzen in den USA vergol- delsabkommen, eine ungebremste Mobilität ten diesen Rassismus mit einer ungewöhnlich des Kapitals, Sozialabbau, die Vorherrschaft hohen Wahlbeteiligung, die zum ersten Mal in der Wall-Street-Konzerne und den Abbau der der US-amerikanischen Geschichte jene der Staatsverschuldung anstelle von Investitionen Weißen übertraf (66 Prozent vs. 64,1 Prozent).7 in Programme, die mehr und bessere Arbeits- Es bleibt jedoch die berechtigte Frage, was die- plätze für Niedriglöhner schaffen würden. Die- se – für Obamas Wahlsiege entscheidende – se Prioritätensetzung rechtfertigt Obama mit Bevölkerungsgruppe für ihre Unterstützung der Behauptung, dass seine Politik allen, auch zurückbekommen hat. Schwarzen, zugutekäme. Gus Newport, Frie- densaktivist und ehemaliger Bürgermeister Der konservative afroamerikanische Radiomo- von Berkeley/Kalifornien, meint, Obama setze derator Raynard Jackson verweist darauf, dass in vielerlei Hinsicht die „Politik der Mitte“ von Obama es sich trotz der überwältigenden Un- Präsident Bill Clinton fort, insbesondere hin- terstützung durch schwarze Wählerinnen und sichtlich wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen für die schwarze Bevölkerung.10 5 Manning Marable: Beyond Black and White: Transfor- ming African-American Politics, Verso: London und New York 1995, S. 205 ff. 8 Raynard Jackson: Holding President Obama Accoun- 6 Matt Bai: Is Obama the End of Black Politics? In: „New table, „BlackPressUSA“, www.blackpressusa.com, York Times Magazine“, 6.8.2008. 21.1.2013. 7 Vgl. U.S. Census Bureau: The Diversifying Electora- 9 Vgl. James Jennings: Three Visions for the Future: The te – Voting Rates by Race and Hispanic Origin in 2012 Real Election is for America’s Soul, www.rosalux-nyc. (and Other Recent Elections), in: Population Characte- org, Oktober 2012. ristics, Current Population Survey, 5/2013. 10 Vlg. Interview mit Eugene „Gus“ Newport, 16.4.2013. 4
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN Ihr bisher bestenfalls halbherziges Engage- diesen Konzernen gearbeitet haben, sei diese ment für soziale Gerechtigkeit versucht die Haltung zu erwarten. Obama präsentiere sich Regierung Obama damit zu entschuldigen, zwar, so Fletcher, als Vermittler zwischen der dass die Republikaner die Mehrheit im Reprä- Macht der Konzerne auf der einen Seite und sentantenhaus innehaben und die Handlungs- der Mittelklasse und den Mittellosen auf der möglichkeiten der demokratischen Regierung anderen Seite. Tatsächlich jedoch deckten sich somit einschränkten. Zwar fordert Obama seine Positionen mit denen der Wall-Street-Un- selbst die Kürzung von Sozialleistungen und ternehmen und deren Glorifizierung des hat einen Haushalt vorgelegt, der die Mittel für freien Marktes und des unternehmerischen regionale und kommunale Initiativen reduzie- Profits.12 ren würde, die Gesundheitsdienstleistungen, Wohnraum und Arbeit für benachteiligte Be- Es erstaunt wenig, dass sich die Befürworter völkerungsgruppen bereitstellen. Doch mach- der Macht und des Profits der Konzerne da- ten er und seine Regierung allein die Repub- gegen sträuben, sich mit der fortbestehenden likaner dafür verantwortlich, dass der Kampf Ungleichheit zwischen Weißen, Schwarzen gegen Rassismus, für Beschäftigung und an- und anderen People of Color auseinanderzu- dere grundlegende Bedürfnisse von Millionen setzen. Schließlich könnten die Forderungen US-Amerikanern keine Priorität besitzen. Fest nach Gleichberechtigung dazu führen, dass die steht: Die Republikaner tragen nicht die Al- Rolle der Regierung bei der Konzentration des leinschuld. Präsident Obama verfolgt selbst Reichtums verstärkt hinterfragt wird. Sie könn- eine eindeutig neoliberale Politik, während er ten die Formierung progressiver Bündnisse sich gleichzeitig einer Rhetorik der sozialen begünstigen, die sich gegen die militaristische Gerechtigkeit bedient. Der Wirtschaftswissen- Außenpolitik und den daraus resultierenden schaftler und Nobelpreisträger Joseph Stig- Machtzugewinn der Großkonzerne zur Wehr litz beschreibt diese Widersprüchlichkeit am setzen. Eine derartige Entwicklung wäre durch- Beispiel der Antrittsrede des Präsidenten zu aus nichts Neues. Bündnisse innerhalb der seiner zweiten Amtszeit, die eine „glühende Arbeiterklasse, die gegen Benachteiligung auf- Verfechtung des amerikanischen Bekenntnis- grund von Hautfarbe und Klassenzugehörig- ses zum Traum der Chancengleichheit“ dar- keit kämpften, entstanden schon früher und stelle, obwohl in Wirklichkeit „der Abstand zwi- forderten die Mächtigen und Wohlhabenden schen Wunsch und Realität kaum größer sein heraus. W.E.B. Du Bois’ klassisches Werk „Black könnte.“11 Reconstruction“ (1935) enthält eine detaillierte Beschreibung eines solchen Bündnisses zwi- Bill Fletcher, den ehemaligen Vorsitzenden schen ehemaligen Sklaven und armen Weißen des TransAfrica Forum und Autor mehrerer zur Zeit der Reconstruction, der Ära zahlreicher Bücher zum Thema, überrascht diese Diskre- progressiver Reformen, die nach dem Ende panz nicht. Er hat sich intensiv mit Obamas des amerikanischen Bürgerkrieg und der Ab- Begünstigung der Wall-Street-Konzerne aus- schaffung der Sklaverei einsetzte. In den Süd- einandergesetzt und meint, dass selbst die For- staaten sahen sich die ehemaligen Sklavenhal- derung des Präsidenten nach einer höheren ter und Plantagenbesitzer von dieser erstar- Besteuerung von Unternehmen zu deren Sicht kenden Allianz zutiefst bedroht. Sie gingen mit auf die derzeitigen wirtschaftlichen Probleme Gewalt gegen diese vor und versuchten, durch und die erforderlichen Lösungen passe. Ange- sichts der Tatsache, dass viele der ranghohen 12 Vgl. Bill Fletcher, Jr., What Happened? Obama, Demo- Wirtschaftsberater des Präsidenten früher in bilization, and the Challenge of the 2012 Elections, in: „Souls: A Critical Journal of Black Politics, Culture, and 11 „New York Times“, 16.2.2013. Society,“ 14 Jg., Nr. 1-2/2012, S. 4-9. 5
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN Einschüchterung einen Keil zwischen Schwarze Schwarzen und Weißen aus der Unterschicht, und Weiße zu treiben. Jahrzehnte später ver- als dessen Höhepunkt King bereits einen hinderte der Mord an Martin Luther King die großen Marsch der Armen auf Washington im Mobilisierung eines ähnlichen Bündnisses aus Jahr 1968 vorgesehen hatte. Anhaltende rassistische Diskriminierung Der Glaube, wir hätten den Rassismus hin- Armut ist für viele US-Amerikaner eine tief- ter uns gelassen, scheitert regelmäßig an der greifende Erfahrung. Im Jahr 2011 lebten of- Realität der weiterhin bestehenden – und fiziellen Berechnungen zufolge 13,1 Prozent wachsenden – Ungleichheit zwischen Wei- aller amerikanischen Familien in Armut. In ßen und People of Color in den USA. Zwei Tat- der Hälfte der 3500 Landkreise sind zwischen sachen verdeutlichen, wie kurzsichtig es ist, 16 und 33 Prozent der Menschen arm. Für Obamas Wahl und Wiederwahl als Manifes- Schwarze und Latinos ist Armut jedoch ein tierung einer post-rassistischen Gesellschaft viel wahrscheinlicheres Schicksal als für an- zu feiern. Zum einen besteht weiterhin eine dere Bevölkerungsgruppen. Von ihnen waren enormes Wohlstandsgefälle zwischen Weißen 2011 27,6 bzw. 25,3 Prozent arm, wohingegen und Nicht-Weißen, und zum anderen gibt es lediglich 9,8 Prozent der Weißen von Armut politischen Widerstand gegen die Beseitigung betroffen waren. Schwarze sind insofern etwa dieser Ungleichheit, selbst vonseiten vieler drei Mal so oft von Armut betroffen wie Weiße. verarmter und der Arbeiterschaft angehöriger Diese Zahlen haben sich bei den Erhebungen Weißer, die ebenfalls von sozio-ökonomischer in den Jahren 1959, 1979, 1999 und zuletzt 2011 Ungleichheit betroffen sind. kaum verändert; seit Jahrzehnten ist ungefähr ein Drittel aller schwarzer Familien arm. Klasse, Armut und Arbeitslosigkeit Die rassistische Diskriminierung von Schwar- zen kennzeichnet auch andere Lebensberei- Das Überdauern rassistischer Diskriminierung che. Seit Jahrzehnten ist ihre Arbeitslosenquo- und die wachsende Kluft zwischen Arm und te doppelt so hoch wie die der Weißen – ein Um- Reich sind gut dokumentiert. Der jährliche Be- stand, der sich auch unter Obama nicht geän- richt „State of the Dream“, den die Organisation dert hat. Selbst wenn Faktoren wie Geschlecht, United for a Fair Economy (Gemeinsam für eine Bildung und Alter berücksichtigt werden, ist faire Wirtschaft) veröffentlicht, zeigt, wie sehr die Arbeitslosenquote der Afroamerikaner Schwarze und Latinos in Bezug auf Arbeitslo- weitaus höher als die der weißen US-Amerika- sigkeit, Bildung, Gesundheit, Wohnen, Inhaftie- ner. Während der jüngsten Wirtschaftkrise, der rungsraten und rassistische Diskriminierung Great Recession, stieg die Arbeitslosenquote durch die Polizei benachteiligt sind. Der jüngs- der Schwarzen etwa doppelt so schnell wie die te Bericht betont, dass diese Benachteiligung der Weißen. Als die Wirtschaft sich wieder er- zunimmt, was auch von zahlreichen anderen holte, sank die Arbeitslosenquote der Weißen, Berichten und Studien bestätigt wird.13 während die der Schwarzen weiter anstieg.14 13 Vgl. United for a Fair Economy: State of the Dream 14 Vgl. Christian E. Weller und Jaryn Fields: The Black and 2013: A Long Way from Home, www.faireconomy.org. White Labor Gap in America, Center for American Pro- 6
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN Die Statistiken für Unterbeschäftigung weisen gehört das Wasser?“ Und er antwortete selbst: ein ähnliches Gefälle auf. Anhand einer Un- „den Kapitalisten“. Er riet daher, dass „die Be- tersuchung des Federal Bureau of Labor Statis- wegung den kompletten Umbau der ameri- tics zeigt Reginald Clark einen signifikanten kanischen Gesellschaft angehen muss.“16 Ein Rückgang der Unterbeschäftigungsquote für paar Monate später argumentierte er: Latinos (von 15 auf 12 Prozent), Weiße (von 10 auf 8 Prozent) und asiatische Amerikaner (von Die Enterbten der Nation, die Armen, ob weiß oder 8 auf 6 Prozent). Nur unter Afroamerikanern schwarz, leben in einer grausam ungerechten Ge- sellschaft. Sie müssen eine Revolution gegen die hat die Unterbeschäftigung von 16 auf 20 Pro- Ungerechtigkeit organisieren. Nicht gegen Men- zent zugenommen. Clark schlussfolgert, dass schen, die ihre Mitbürger sind, aber gegen die Struk- Schwarze auch unter der Regierung Obama turen, durch die die Gesellschaft die Maßnahmen von Verbesserungen der Lebensbedingungen, blockiert, die erforderlich sind, um die Last der wenn überhaupt, immer zuletzt profitieren.15 Armut zu beheben. Es gibt in diesem Land Millio- nen Arme, die fast nichts oder gar nichts zu ver- lieren haben. Hilft man ihnen dabei, kollektiv zu Martin Luther King betrachtete die Armut handeln, so werden sie mit Freiheit und Macht zu als eine der großen Herausforderungen im einer neuen und aufrührerischen Kraft in unserer Kampf der Afroamerikaner für ihre Freiheit selbstgefälligen Gesellschaft aufsteigen.17 und Gleichberechtigung. „Die Last der Armen lindern“, war sein Credo. Für King war Armut King verortet die Armut hier im Kontext einer jedoch kein Ergebnis individuellen Fehlverhal- historischen Benachteiligung aufgrund von tens: Menschen seien nicht arm, weil sie nicht Klassenzugehörigkeit und Hautfarbe sowie arbeiten wollten oder weil Sozialleistungen sie des Systems, das diese Benachteiligung auf- zu träge oder unfähig gemacht hätten, um ihre rechterhält. Als Maßnahme gegen die Armut wirtschaftlichen Lage zu verbessern. Er hätte sieht er den gewaltfreien politischen Kampf mit Sicherheit auch Obama widersprochen, gegen ebendiese, auf „Rasse“ und Klasse ba- der bei seinen Reden vor schwarzem Publikum sierenden, Hierarchien. nahelegt, Armut rühre daher, dass schwarze Männer einfach keine Verantwortung für ihre Mit seiner Analyse von Armut steht King im Familien übernehmen wollten. Gegensatz zu denjenigen, die Benachteiligung für ein pathologisches Problem halten – heute Obama hat diese Ansicht wiederholt geäu- wie in den 1960er Jahren. Unter den neolibera- ßert und durch seinen Fokus auf die Eigenver- len Regierungen von Clinton, Bush und Obama antwortung der Schwarzen anstelle von deren trugen Arme und sozial Schwache selbst die struktureller Benachteiligung und rassistischer Schuld an ihrer Misere. Diesem Standpunkt Diskriminierung bekräftigt. Dies ist die gleiche zufolge sind soziale und ökonomische Proble- Ansicht, die schon Booker T. Washington vor me wie Armut, Arbeitslosigkeit und Krankheit einem Jahrhundert vertreten hatte, und steht von Afroamerikanern, und zu einem geringe- in direktem Widerspruch zu Kings Verständnis ren Grad auch von anderen People of Color, in von Armut und deren Ursachen. Er stellte die unserer angeblich post-rassistischen Ära eher Verteilung des Wohlstandes und der Ressour- dem Fehlverhalten dieser Gruppen geschul- cen in den Vordergrund und fragte: „Wem ge- det als ihrer rassistischen Benachteiligung. Es hört das Öl? Wem gehört das Eisenerz? Wem scheint, als betrachten die Republikaner und gress, www.americanprogress.org, 25.7.2011. 16 Martin Luther King: Where Do we go from here? Rede 15 Reginald Clark: The Expansion of Black American Mi- bei der Southern Christian Leadership Conference, At- sery under Barack Obama’s Watch, in: „Black Agenda lanta/Georgia, 16.8.1967. Report: News, commentary & analysis from the black 17 Martin Luther King: The Trumpet of Consciousness, left“, 19.2.2013. Beacon Press: Boston, 1968. 7
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN Demokraten die vermeintlich mangelnde Ei- pathologisierender Bilder schwarzer Frauen, genverantwortung als das primäre Problem die ebendiese Politik rechtfertigt. Sie schreibt, der Schwarzen in den USA. dass weit verbreitete „negative Darstellungen schwarzer Frauen es politischen Entschei- Rhonda Williams, die Direktorin des Social Jus- dungsträgern ermögliche, die Armut schwar- tice Institute an der Case Western University, zer Gemeinden mit dem ‚unsittlichen’ und kritisiert, dass Präsident Obama „insbeson- ‚unmoralischen‘ Verhalten schwarzer Frauen dere in seinen Reden vor Schwarzen an der zu begründen.“ Tatsächlich war die Pathologi- Vorstellung [festhält], dass Eigenverantwor- sierung afroamerikanischer Frauen die ideolo- tung zur Erklärung großer sozialer Missstände gische Grundlage für die tiefgreifende Reform dient.“18 Die afroamerikanische Sozialwissen- der Sozialleistungen (Personal Responsibility schaftlerin Tiffany Willoughby aus Oakland/Ka- and Work Reconciliation Act), die von Bill Clinton lifornien erachtet die Pathologisierung schwar- im August 1996 unterzeichnet wurde. Dieses zer Familien, die mit dem Einverständnis des Gesetz entzog der Arbeiterschaft zahlreiche ersten schwarzen Präsidenten stattfindet, als Sozialleistungen und setzte eine strikte, nied- katastrophal – vor allem da sie eine progres- rig entlohnte Arbeitsverpflichtung insbeson- sive Bildungspolitik an öffentlichen Schulen dere für arme Frauen und ihre Familien durch. verhindere. Solange von der Existenz quasi pa- Andere Untersuchungen zeigen, wie sehr die thologischer Verhaltensweisen ausgegeganen Pathologisierung schwarzer Frauen mit der ho- werde anstatt strukturelle Benachteiligungen hen Anzahl der schwarzen Gefängnisinsassen und Rassismus in den Blick zu nehmen, wer- im Zusammenhang steht.21 den Schulreformen zwangsläufig auf das Prin- zip des freien Marktes setzen. Dies werde auch Indem sie den von Armut und Ungleichheit Be- zum Bau weiterer Gefängnisse für Tausende troffenen die Schuld für ihre Lage zuwiesen, junger Menschen führen, denen diese Schu- gelang es den Republikanern, die Diskussion len nicht gerecht werden.19 So weit ist die Un- über diese Themen während der letzten Prä- gleichheit unter Obamas Regierung tatsächlich sidentschaftswahl zu dominieren. Republikani- fortgeschritten: Viele junge Schwarze und La- sche Kandidaten verwiesen auf die angeblich tinos haben nur die Wahl zwischen schlechten asozialen Verhaltensweisen und problemati- öffentlichen Schulen und dem Gefängnis. schen Einstellungen schwarzer Menschen als Ursache für deren desolate Lebensumstände Die negativen Bilder, die mit schwarzen Frauen und stempelten sie auf diese Weise als Wei- assoziiert werden, dienen der politischen und ßen gegenüber unterlegen ab. Obama und die ideologischen Rechtfertigung einer Politik, die Demokraten haben sich den Republikanern auf Bestrafung setzt und rassistische und öko- in dieser Hinsicht angepasst und machen den nomische Benachteiligungen fortführt. Diesen angeblich mangelnden Willen zu harter Arbeit Zusammenhang beschreibt Julia S. Jordan-Za- und die Abhängigkeit von staatlicher Freigie- chery, Direktorin des Black Studies Program am bigkeit ebenfalls zum Ausgangspunkt jeder Providence College in ihrem Aufsatz „Black Diskussion über Armut und die soziale Benach- Womanhood and Social Welfare Policy: The In- teiligung von Afroamerikanern. fluence of Her Image“.20 Jordan-Zachery zeigt die direkte Verbindung zwischen einer gegen 21 Vgl. Part II: Women, Violence, and Incarceration, in: die Armen und die Arbeiterschaft gerichteten M. Marable, K. Middlemass und I. Steinberg (Hg.): Di- strafenden Sozialpolitik und der Verwendung senfranchising Lives: The Racism, Criminal Justice, and Law Reader, Palgrave MacMillan: Hampshire, 2007. Vgl. 18 E-Mail von Rhonda Williams, 13.4.2013. auch The Rebecca Project for Human Rights: Mother’s 19 Vgl. Interview mit Tiffany Willoughby, 29.3.2013. Behind Bars, National Women’s Law Center, Washing- 20 In: „Sage Race Relations Abstracts“, 26. Jg., Nr. 3/2001. ton DC, 2010. 8
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN In Obamas Reden vor schwarzem Publikum ternational Centre for Prison Studies der Univer- spiegelt sich diese Dynamik wie bereits er- sität Essex in England berichtete 2011, dass die wähnt in seinen andauernden Ermahnungen Inhaftierungsrate (gemessen an der Zahl der wider, Schwarze müssten sich am eigenen Häftlinge je 100 000 Einwohnern) in den USA Schopf aus dem Sumpf ziehen und sich ihrer mit 743 weltweit am höchsten ist.22 Ruanda Eigenverantwortung bewusst werden. Diese steht mit 595 an zweiter Stelle, und in Deutsch- Aufforderung richtete Obama bei seiner Rede land liegt die Inhaftierungsrate bei 85.23 Laut im Mai 2013 auch an die schwarzen Absolven- Derrick Z. Jackson, einem Kolumnisten des ten des Morehouse College in Atlanta/Georgia. „Boston Globe“, führt auch die Liberalisierung Vor weißem Publikum verzichtete Obama bis- der Drogengesetze nur dazu, „dass ein privi- her auf derartige Ermahnungen – so auch bei legierter Teil der Amerikaner den Drogenge- seiner Rede über das Problem hoher Studien- brauch verharmlosen und hinter ihren Hecken kredite, die er nur wenige Wochen später vor und Gartenzäunen verbergen kann, während vorwiegend weißen Studierenden im Weißen man einen anderen Teil der Bevölkerung von Haus hielt. Weder die Demokratische Partei den Straßenecken aufsammelt, ihnen die Fin- noch Obamas treue Unterstützer, zu denen gerabdrücke abnimmt, einen Eintrag in ihr auch viele schwarze Politiker und prominente polizeiliches Führungszeugnis vornimmt und Geistliche zählen, haben das überwältigende so ihre Chancen auf Arbeit und Bildung erheb- Armutsproblem unter Schwarzen im Beson- lich verringert oder gar völlig zunichte macht.“ deren und in den USA ganz allgemein bisher Obwohl die Rate der weißen und schwarzen thematisiert. Marihuana-Konsumenten gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil nahezu identisch ist, wird der Gebrauch in beiden Gruppen, Jackson zu- Das Strafrechtssystem folge, äußerst unterschiedlich behandelt. „Da- bei spielt es keine Rolle, ob ein Bundesstaat Der Rassismus in den USA zeigt sich auch am einen konservativen oder einen liberalen Ruf überproportionalen Anteil der Schwarzen und hat.“24 Latinos, die im Gefängnis inhaftiert sind oder waren bzw. während ihrer Bewährungszeit un- Das Strafrechtssystem in den USA basiert auf ter die Aufsicht der Justiz gestellt werden. Zu den Grausamkeit. Die Gefängnisse sind zu Orten Gefangenen zählen zunehmend auch Frauen. geworden, an denen ganze Gruppen von Men- Der jahrzehntelange Krieg gegen Drogen, der schen – darunter viele mit Gesundheitsproble- von republikanischen wie demokratischen Re- men oder psychischen Leiden – weggesperrt gierungen befürwortet und fortgeführt wurde, werden. Die Gefängnisse verfügen nur über hat tausende Menschen zur Verbüßung langer äußerst begrenzte Ressourcen, um Drogen- Strafen hinter Gittern verdammt. Während im abhängigen und anderen psychisch kranken Jahr 1970 noch 5600 Frauen im Gefängnis saßen, Menschen zu helfen. Angesichts der sehr ho- vervielfachte sich ihre Zahl bis 2002 auf 167 000, hen Rückfallquoten befinden sich viele Betrof- wobei zwei Drittel dieser Frauen Schwarze oder fene in einem ununterbrochenen Kreislauf aus Latinas waren. Obwohl 2007 nur etwa 14 Pro- zent der regelmäßigen Drogenkonsumenten 22 Vgl. M. Mauer und R.S. King: A 25-Year Quagmire: The War on Drugs and Its Impact on American Society, U.S. Schwarze waren (was in etwa ihrem Anteil an Sentencing Project, 2007. der Gesamtbevölkerung entspricht), stellten 23 Vgl. Roy Walmsley: World Prison Population List (9. sie mit 37 bzw. 56 Prozent den Großteil derje- Ausgabe), International Centre for Prison Studies, www.prisonstudies.org, 2011. nigen, die für Drogenvergehen verhaftet bzw. 24 US is a segregated joint on marijuana, „The Boston zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Das In- Globe“, 29.6.2013. 9
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN Haft und temporärer Entlassung. Aufgrund der jugendliche Schwarze und Latinos zu überwa- Überfüllung wurde bereits eine Vielzahl von chen und zu kontrollieren. New Yorks berüch- staatlichen Gefängnissen wegen Grausamkeit tigte verdachtsunabhängige Personenkontrol- und Menschenrechtsverletzungen angeklagt. len (stop-and-frisk policy) richten sich beispiels- Nicht einmal Schwangere und Kinder sind vor weise gezielt gegen Nicht-Weiße. Die New Yor- der Grausamkeit des Strafrechtssystems ge- ker Polizeibehörde berichtete, dass 2013 über schützt. In einigen Fällen wurden schwangere eine halbe Million solcher Kontrollen in der schwarze Frauen bei der Entbindung im Ge- Stadt mit gut acht Millionen Einwohnern vor- fängnis gefesselt. Viele, vor allem schwarze, genommen wurden. Fast 90 Prozent der von Kinder sitzen nicht selten jahrelang für Verbre- der Polizei Befragten waren unschuldig und chen ein, die sie im Alter von 12 bis 14 Jahren 87 Prozent von ihnen Schwarze und Latinos.26 begangen haben. Joe Sullivan, ein schwarzer Dem schwarzen Umweltaktivisten aus dem Junge, der als Dreizehnjähriger in Florida we- Stadtteil Brooklyn Ajamu Brown zufolge, ist gen eines Kapitalverbrechens angeklagt und es kein Wunder, wenn junge schwarze Männer für schuldig befunden worden war, saß bei- wie er sich an Orten wie New York und ganz all- spielsweise zwanzig Jahre lang im Gefängnis gemein in der US-amerikanischen Gesellschaft ein.25 Erst 2012 erklärte der Oberste Gerichts- als persona non grata fühlen.27 hof der USA, dass es verfassungswidrig sei, Kinder und Jugendliche im Gefängnis wie Er- Die Regierung Obama ist in Bezug auf den Ras- wachsene zu behandeln. sismus im Strafrechtssystem nicht nur tatenlos geblieben, sondern hat sogar die staatlichen Auch wenn die Forderungen in jüngster Zeit Gelder für Hilfsmaßnahmen für straffällige immer lauter werden, Gesetze und Praktiken Jugendliche gekürzt und gleichzeitig die Aus- abzuschaffen, die im Rahmen des rassistischen gaben für Polizei und Gefängnisse angehoben. Kriegs gegen Drogen implementiert wurden, Die fortbestehende rassistische Ungleichheit besteht die Kriminalisierung von Schwarzen betrifft die meisten, wenn nicht gar alle Le- und anderen People of Color ungemindert fort. bensbereiche der Schwarzen im Amerika der Die Polizei ist eines der primären Instrumente, Gegenwart. Politischer Widerstand gegen die Gleichberechtigung von Afro- amerikanern Der politische Widerstand, der sich gegen alle den vergangenen Jahrzehnten offenkundig ein Bemühungen wendet, eine Gleichberechtigung Beweis dafür, dass das Ziel einer post-rassis- von Weißen und People of Color zu erreichen, tischen Gesellschaft bereits erreicht worden stützt sich im Wesentlichen auf zwei Argumen- sei. Hierbei werden die Bürgerrechtsgesetze in te, die sowohl von Unternehmen als auch von einen zu engen historischen Kontext gestellt, vielen Akademikern vertreten werden. Erstens da die Überwindung rassistischer Ungleich- sei die Umsetzung der Bürgerrechtsgesetze in 26 Vgl. New York City Civil Liberties Union: NYPD to Lodge 25 Vgl. Graham vs. Florida, 2010. Vgl. auch die Internetsei- 5 Millionth Street Stop Under Mayor Bloomberg Today, te der Equal Justice Initiative: Children in Adult Prisons, www.nyclu.org/news, 14.3.2013 . www.eji.org. 27 Vgl. E-Mail-Interview mit Ajamu Brown, 5.5.2013. 10
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN heit auf die symbolträchtige Aufhebung der gen. Der Civil Rights Act von 1964 wurde bei- Rassentrennung in Restaurants und Kinos re- spielsweise 1972 durch das Verbot von Diskri- duziert wird. Diese Perpektive legt nahe, dass minierung aufgrund des Geschlechts in allen allein die Existenz der Bürgerrechtsgesetze staatlich finanzierten Bildungseinrichtungen beweise, dass es keinen Rassismus mehr gebe ergänzt. Gerichtsurteile verstärkten die Wir- und die Regierung mit Unterstützung der Be- kung der Bürgerrechtsesetze noch weiter: Um völkerung mittlerweile auf jegliche Bedrohung Sprachbarrieren zu beseitigen, wurde es 1974 dieses post-rassistischen Ideals umgehend re- zur Pflicht, Vorkehrungen in Schulen zu treffen, agiere. Das zweite Argument lautet, dass gera- die den Bedürfnissen von Schülern gerecht de weil diese Gesetze die gewünschte Wirkung werden, die kein oder kaum Englisch spre- erzielt hätten, sie mittlerweile überflüssig sei- chen. Wiederum ein Jahr später wurde vorge- en und rückgängig gemacht werden sollten. schrieben, dass für Wählerinnen und Wähler Dieser unlogische Zirkelschluss ist bei öffentli- mit nicht ausreichenden Englischkenntnissen chen Debatten und in einigen politischen Krei- fremdsprachige Wahlunterlagen bereitgestellt sen weit verbreitet. werden müssen. Im Jahr 1977 wurden die für Frauen diskriminierenden Bestimmungen über die Mindestgröße für die Aufnahme in Der historische Fortschritt der Bür- den Polizeidienst abgeschafft. Im Jahr darauf gerrechte wurde die Diskriminierung Schwangerer bei Einstellungen unterbunden und 1986 sexuel- Eine Betrachtung der Bewegung gegen die le Belästigung verboten. Abschnitt VI des Civil Rassentrennung, die von ihrem historischen Rights Act von 1964 war zudem eine wichtige Kontext losgelöst ist, übersieht, dass mit ihnen rechtliche Grundlage für das international sowohl auf nationaler als auch auf internatio- bekannt gewordene Gerichtsurteil Bean v. naler Ebene eine Kampfansage an Großkon- Southwestern Waste Management, Inc. von 1979, zerne und deren Vermögen einherging. Die das Unternehmen deren bis dato weit verbrei- Aufhebung der Rassentrennung in Restau- tete Praxis untersagte, Giftmüll in armen und rants, die durch schwarze Studenten und ihre nicht-weißen Wohnvierteln zu lagern oder zu Mitstreiter an Orten wie Greensboro/North entsorgen. Im Jahr 1988 konnte auf Basis der Carolina durchgesetzt wurde, war nur ein – Bürgerrechtsgesetze die Diskriminierung bei wenngleich bedeutender und symbolträch- der Wohnungssuche von Menschen mit Behin- tiger – Aspekt einer sehr viel umfassenderen derung und von Familien mit Kindern gesetz- sozialen Bewegung zur Stärkung der Demo- lich verboten werden. kratie in den USA, die auch in vielen anderen Ländern weltweit ähnliche Kämpfe entfachte. Diese Erfolgsgeschichte verdeutlicht, dass die Die Gesetze und die Gerichtsurteile, die aus Bürgerrechtsbewegung nicht darauf reduziert der Bürgerrechtsbewegung resultierten, ha- werden kann, dass sie die Aufhebung der Ras- ben die Lebensqualität und ökonomische Ge- sentrennung erzielte. Vielmehr war ihr Bestre- rechtigkeit in den USA deutlich verbessert. Auf ben, den US-amerikanischen Wohlfahrtsstaat der Grundlage der Bürgerrechtsgesetze von auszubauen und auf diese Weise eine sozial 1957 und 1960, des Civil Rights Act von 1964 und ökonomisch gerechtere Gesellschaft zu und des Voting Rights Act von 1965 wurden die schaffen. Wie Historiker und andere Zeitzeu- sozialen und wirtschaftlichen Rechte nicht nur gen (Eric Foner, Herbert Aptheker, Grace Lee, der Afroamerikaner, sondern aller US-Ameri- James Boggs, Henry Hampton u.a.) betont kaner erheblich ausgeweitet – auch wenn viele haben, waren die Erfolge im Kampf für die von ihnen sich dessen nicht bewusst sein mö- Bürgerrechte von Schwarzen auf diese Wei- 11
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN se zugleich Erfolge für die Bürgerrechte aller sentliche Bestandteile des Voting Rights Act US-Amerikaner. von 1965 aufzuheben. Mit einem Mehrheits- beschluss von fünf zu vier erklärte das Gericht im Fall Shelby County v. Holder Paragraph 4 für Die Angriffe auf die Errungenschaften nicht verfassungsgemäß. In diesem Paragra- der Bürgerrechtsbewegung phen wurden diejenigen Bundesstaaten aufge- listet, in denen rassistische Diskriminierung ge- Konservative Ideologen und Politiker in den genüber Wählerinnen und Wählern besonders USA haben versucht, die Bürgerrechtsgesetze weit verbreitet war. Bevor die Bundesstaaten abzuschwächen oder rückgängig zu machen, auf dieser Liste eine Änderung des Wahlrechts gerade weil sie der Konzentration von Reich- vornehmen konnten, mussten sie entspre- tum in den Händen einiger weniger eine wirk- chend Paragraph 5 zunächst die Genehmigung same Grenze setzen, indem sie die sozio-öko- des Justizministeriums oder eines Bundesge- nomischen Rechte aller Menschen garantieren. richts in Washington DC einholen. Für andere, Letztendlich hinterfragen diese Gesetze, wie weniger vorbelastete Bundesstaaten genüg- der gesamtgesellschaftliche Reichtum verwal- te die Zustimmung eines bundesstaatlichen tet und verteilt werden soll. Zentrale Aspekte oder lokalen Gerichts. In ihrem Urteil erklärten der Bürgerrechtsgesetze sind immer wieder die Richter zwar nur Paragraph 4 für ungültig, vor Gericht angegriffen worden; zuletzt sogar doch ohne die Auflistung der genehmigungs- vor dem Obersten Gerichtshofs der Vereinig- pflichtigen Bundesstaaten ist Paragraph 5 de ten Staaten. Seit 2011 haben Gesetzgeber in 41 facto nicht mehr anwendbar. Bundesstaaten mindestens 180 Gesetzesvor- lagen zur Beschränkung des Wahlrechts einge- Das jüngste Gerichtsurteil des Obersten Ge- bracht. Diese Bemühungen sind an Orten mit richtshofs ist der bisherige Höhepunkt kontinu- einem hohen Bevölkerungsanteil an People of ierlicher Bemühungen, den Kontrollmechanis- Color besonders ausgeprägt und stützen sich mus des Voting Rights Act zu schwächen. South auf den Diskurs der post-rassistischen Gesell- Carolina reichte 1966 als erster Bundesstaat schaft. eine Verfassungsklage gegen das Gesetz mit dem Argument ein, dass es die Rechte der Bun- Der Oberste Gerichtshof der USA war und ist desstaaten zu Unrecht einschränke. Die Klagen aktiv darum bemüht, die Wirkung der Bürger- von Mississippi und Virginia folgten zwei Jahre rechtsbewegung zu untergraben. Beispiels- später. Mit dem Segen und der Unterstützung weise wurden Programme zur rassischen Inte- Präsident Ronald Reagans versuchte William gration der öffentlichen Schulen 2007 mit dem Bradford Reynolds, der damalige Staatsanwalt Gerichtsurteil Parents Involved in Community im Justizministerium, Anfang der 1980er Jahre Schools v. Seattle School District No. 1 erheblich die Erneuerung des Voting Rights Act und des geschwächt, in dem der Oberste Gerichtshof Paragraphen 5 zu verhindern. Interessanter- deren Anrecht auf staatliche Förderung be- weise war Richter John Roberts, der gegenwär- schnitt. Diese Entscheidung könnte leicht zu tige Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs, einer neuerlichen Verbreitung der Rassentren- einer der Juristen im Team von Staatsanwalt nung an öffentlichen Schulen überall in den Reynolds. Er war maßgeblich an den Angriffen Vereinigten Staaten führen. gegen die Bürgerrechtsgesetze beteiligt. Ein weiteres Beispiel für die Zurückdrängung Im Fall Shelby County v. Holder bezog sich John der Bürgerrechtsgesetze war die Entscheidung Roberts auf den zehnten Zusatzartikel zur des Obersten Gerichtshofs im Juni 2013, we- Verfassung, der die Machtbefugnisse und Zu- 12
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN ständigkeitsbereiche der Bundesregierung vielen weißen US-Amerikanern rassistische gegenüber den Bundesstaaten regelt, um Pa- Einstellungen fort. Thomas B. Edsall betrachtet ragraph 4 des Voting Rights Act für nicht ver- die beständigen oder gar zunehmenden Res- fassungsgemäß zu erklären. Wie die Juristin sentiments gegenüber Schwarzen als eine der Tanya Hernandez erklärt, offenbarte Roberts Ursachen für den Rechtsruck der Republikani- damit seine „verwässerte Vorstellung von schen Partei.29 Rassistische Vorurteile und Ein- Gleichheit“. Den Mehrheitsbeschluss wertet stellungen sind jedoch nicht nur unter Republi- sie als Ausdruck einer „beschränkten, der Jim- kanern, sondern in der gesamten Gesellschaft Crow-Ära [der gesetzlichen Rassentrennung – ein Problem und haben seit der Wahl Obamas d. Red.] entstammenden Definition von Dis- 2008 nicht abgenommen. Eine Umfrage von kriminierung, die ausschließlich die rechtlich Associated Press kam 2012 zu dem Ergebnis, verankerte Rassentrennung in Betracht zieht“, dass der Anteil der Amerikaner, die negative wobei es sich um eine „außerordentlich be- Einstellungen gegenüber Schwarzen aufwei- grenzte Sicht auf Diskriminierung“ handele.28 sen, innerhalb von vier Jahren von 48 auf 51 Prozent angestiegen ist.30 Wie bereits erwähnt, wird häufig das Argument der post-rassistischen Gesellschaft herangezo- Das Fortbestehen rassistischer Einstellungen gen, wenn Gesetze und Richtlinien angegriffen zeigte sich nach Obamas Wahlsieg auch da- werden, die der fortbestehenden rassistischen ran, dass in den Südstaaten zum ersten Mal Diskriminierung etwas entgegensetzen sol- seit Jahrzehnten wieder Rufe nach einer Ab- len. Paradoxerweise berufen sowohl liberale spaltung vom Rest des Landes laut wurden. Demokraten als auch konservative Republika- Zuletzt war diese Forderung in den 1940er ner sich in der Debatte um Rassismus immer Jahren von den Dixiecrats vorgebracht worden, wieder auf die Ikone Martin Luther King und einer Gruppe, die sich von der Demokratischen stellen sich als seine politischen Erben dar. Die Partei abgespalten hatte. Die Dixiecrats waren Konservativen scheuen nicht einmal davor zu- lautstarke Verfechter der Rassentrennung. Sie rück, unter Bezugnahme auf King die Existenz behaupteten, die Bundesregierung und libe- rassistischer Ungleichheit oder die Notwendig- rale Politiker unterdrückten die Rechte wei- keit, etwas dagegen zu unternehmen, in Frage ßer US-Amerikaner in den Südstaaten, da zu stellen. Tatsächlich würde King zweifellos die Rassentrennung Bestandteil ihrer Kul- auch heute noch mit friedlichen Mitteln gegen tur und Lebensart sei. Noch zwei Jahrzehnte rassistische Diskriminierung kämpfen und für später stütze sich der Präsidentschaftskan- soziale Gerechtigkeit eintreten. Wäre King noch didat der American Independent Party, George am Leben, würden er und seine Politik bei ge- Wallace, in seinem Wahlkampf auf diese Be- nau den Konservativen auf erbitterten Wider- hauptungen. stand treffen, die gegenwärtig seinen Namen und sein politisches Vermächtnis für ihre völlig In der jüngsten Vergangenheit waren Verlaut- konträren Ziele schamlos vereinnahmen. barungen, die denen der Dixiecrats ähneln, beispielsweise von Peter Morrison, dem repu- blikanischen Schatzmeister von Hardin County Das Fortbestehen rassistischer Ein- im Bundesstaat Texas, zu hören, der liberale stellungen US-Amerikaner als „Maden“ bezeichnete.31 Ungeachtet der nahezu universellen Wert- 29 Vgl. Thomas B. Edsall: The Persistence of Racial Re- schätzung Martin Luther Kings bestehen unter sentment, „The New York Times“, 13.2.2013. 30 Vgl. „USA Today“, 27.10.2012. 28 „New York Times“, 26.6.2013. 31 „Huffington Post“, 9.11.2012. 13
JAMES JENNINGS DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN Allen West, ein Vertreter der Tea-Party-Bewe- ner ansonsten post-rassistischen Gesellschaft gung innerhalb der Republikanischen Partei stehen. Vom FBI veröffentlichte Statistiken aus und zufälligerweise Afroamerikaner, forderte dem Jahr 2009 zeigen, dass die Anzahl rassis- die Liberalen auf, „sich aus den USA zu verpis- tisch motivierter Straftaten kurz vor und kurz sen“.32 Hierbei handelt es sich nicht bloß um nach der Wahl Obamas 2008 einen Höchst- isolierte Bemerkungen, die im Gegensatz zu ei- stand erreichte.33 Räume des Widerstands Der Kampf gegen die Diskriminierung von (BRC), wiesen kürzlich darauf hin, dass es eine Schwarzen ging in der Vergangenheit in ers- der Lektionen aus der Erfahrung des BRC sei, ter Linie von der afroamerikanischen Kirche dass der Kampf für Gleichberechtigung ge- und schwarzen Intellektuellen, Künstlern und meinsam mit den Glaubensgemeinden geführt gewerkschaftlich organisierten Arbeitern aus. werden müsse. Der BRC hatte zeitweise tau- Auch heute haben diese Gruppen und Institu- sende Mitglieder, überlebte allerdings nur we- tionen das Potenzial, die politische Mobilisie- nige Jahre. „Eine der größten Schwächen des rung gegen eine ganze Reihe von Missständen BRC war seine Unfähigkeit, Bündnisse mit den anzuführen, von denen vor allem Schwarze Glaubensgemeinschaften einzugehen“, schrei- betroffen sind. Zu den Problemen zählen Ar- ben Fletcher und Rogers. „Viele säkulare Linke mut, Arbeitslosigkeit und niedrigere Löhne, ein schenken den Linken in den Glaubensgemein- mangelnder Zugang zu guter Bildung, Gesund- schaften keinerlei Beachtung.“34 heitsversorgung und Wohnraum, Umweltpro- bleme sowie die Kriminalisierung und die so- Die Fortschrittlichkeit der schwarzen Kirchen zio-ökonomische Ungleichheit von Schwarzen. und Glaubensorganisationen in den USA lässt sich an ihrer langjährigen Beteiligung an der Antikriegsbewegung ablesen. Vincent Harding, Die Schwarze Kirche ein Vertrauter Martin Luther Kings und Vete- ran dieser Bewegung, schrieb jüngst einen of- Die afroamerikanische Kirche ist seit jeher fenen Brief an Präsident Obama, in dem er so- ein zentraler Ort politischen Widerstands. wohl dessen Befürwortung von Gewalt auf der Im Kampf um Bürger- und Menschenrechte internationalen Ebene kritisiert, als auch den spielte sie in vielen Teilen des Landes eine we- Jubel über die gezielten Tötungen, die unter sentliche Rolle. Gleichzeitig ernteten schwarze Obamas Regie ausgeführt werden. 35 In dieser Geistliche Kritik dafür, dass sie sich im Gegen- pazifistischen Tradition steht auch die Natio- zug für den Zugang zu Macht und Ressourcen nal Black Church Initiative, eine Koalition aus den Interessen der wohlhabenden Klasse an- passten. Dennoch ist die schwarze Kirche ein 33 Vgl. Federal Bureau of Investigation: Criminal Justice Information Services Division: Hate Crimes Statistics entscheidender Ort der Mobilisierung für pro- 2009, www2.fbi.gov. gressive politische Ziele. 34 Bill Fletcher und Jamala Rogers: Creating a Viable Black Left: Sixteen Lessons Learned in Creating the Black Ra- dical Congress, „The Black Commentator“, www.black- Bill Fletcher und Jamala Rogers, zwei Grün- commentator, 4.4.2013. dungsmitglieder des Black Radical Congress 35 Vgl. Vincent Harding: An Open Letter to President Obama, „YES! Magazine“, www.yesmagazine.org, 32 „Huffington Post“, 28.1.2012. 2.6.2011. 14
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