DIE LAST DER ARMUT LINDERN - Der Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen unter Obama - Rosa Luxemburg Stiftung

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DIE LAST DER ARMUT LINDERN - Der Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen unter Obama - Rosa Luxemburg Stiftung
DIE LAST DER ARMUT LINDERN
                  Der Kampf für die Gleichberechtigung der
ROSA              Schwarzen unter Obama
LUXEMBURG
STIFTUNG
NEW YORK OFFICE   Von James Jennings
Inhaltsverzeichnis

    Der Mythos vom post-rassistischen Amerika. Von den Herausgebern....................................1

    Die Last der Armut lindern
    Der Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen unter Obama...............................2
    Von James Jennings

        Obamas „post-rassistische Politik“..........................................................................................3
                      Das neoliberale Kontinuum.......................................................................................4
        Anhaltende rassistische Diskriminierung...............................................................................6
                      Klasse, Armut und Arbeitslosigkeit............................................................................6
                      Das Strafrechtssystem................................................................................................9
        Politischer Widerstand gegen die Gleichberechtigung von Afroamerikanern..................10
                      Bürgerrechte......................................................................................................11
                      Die Angriffe auf die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung...................12
                      Das Fortbestehen rassistischer Einstellungen......................................................13
        Räume des Widerstandes........................................................................................................14
                      Die Schwarze Kirche...................................................................................................14
                      Afroamerikanische Intellektuelle.............................................................................15
                      Schwarze Künstler......................................................................................................16
                      Afroamerikaner und Repräsentationspolitik..........................................................16
                      Schwarze Arbeiterinnen und Arbeiter.....................................................................18
        Fazit.............................................................................................................................................19

Veröffentlicht vom New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung, mit Mitteln des AA, Nov. 2013.

Herausgeber: Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg
Adresse: 275 Madison Avenue, Suite 2114, New York, NY 10016
E-Mail: info@rosalux-nyc.org; Telefon: +1 (917) 409-1040

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine international tätige, progressive Non-Profit-Organisation für
politische Bildung. In Zusammenarbeit mit vielen Organisationen rund um den Globus arbeitet
sie für demokratische und soziale Partizipation, die Ermächtigung von benachteiligten Gruppen,
Alternativen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und für friedliche Konfliktlösungen.

Das New Yorker Büro erfüllt zwei Hauptaufgaben: sich mit Themen der Vereinten Nationen zu befas-
sen und mit nordamerikanischen Linken in Hochschulen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen
und der Politik zusammenzuarbeiten.

                                            w w w. ros alu x- nyc .or g
Der Mythos vom post-rassistischen Amerika

Im Sommer 2013 hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten den Voting Rights Act von
1965, der das Wahlrecht von Minderheiten schützt, für teilweise ungültig erklärt. Der Mann, der
Trayvon Martin erschoss, ist von einer Jury in Florida freigesprochen worden. Und Detroit hat kürz-
lich als erste Großstadt in der US-Geschichte Konkurs angemeldet. Während die Wahl und Wieder-
wahl des ersten schwarzen US-Präsidenten eine positive Veränderung in der amerikanischen Gesell-
schaft signalisieren, bedeuten sie jedoch nicht das Ende rassistischer Diskriminierung. Im Gegenteil
zeigen sozialen Indikatoren wie Arbeitslosigkeit, Haushaltsvermögen und die Rassentrennung in den
Schulen, dass die Vereinigten Staaten rassistisch gespalten sind wie eh und je.

Jedes dieser Ereignisse steht für einen grundlegenden Trend. So signalisiert die knappe Entschei-
dung des Supreme Court, die wesentliche Funktion des Voting Rights Acts aufzuheben, eine Zu-
spitzung der bisherigen Bemühungen auf bundesstaatlicher Ebene, Afroamerikaner, Einwanderer,
Arbeitslose, Arbeiter und junge Menschen von den Wahlurnen fernzuhalten. Ohne den Schutz des
Voting Rights Act ist zu erwarten, dass die Konservativen ihre Strategie fortsetzen, diese eher links
wählenden Bevölkerungsgruppen ihres Stimmrechts zu berauben.

Der tragische Tod von Trayvon Martin veranschaulicht, dass rassistisch motivierte Angriffe keines-
falls der Vergangenheit angehören. Doch darüber hinaus demonstriert dieser Fall auch den mora-
lischen Bankrott der US-Strafjustiz und deren Versagen, den Mörder zur Verantwortung zu ziehen.
Rassistische Vorurteile durchdringen jede Schicht dieses Systems. Angehörige von Minderheiten,
insbesondere schwarze Männer, werden weit überproportional von der Polizei angehalten, straf-
rechtlich verfolgt und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Das Ergebnis ist ein beispielloses System der
Masseninhaftierung. Doch auch ohne Haftstrafe führt eine Verurteilung oder Vorstrafe oft zu per-
manenter Stigmatisierung, erschwert die Arbeitssuche und den Zugang zu Bildung, Sozialwohnun-
gen und anderen staatlichen Sozialleistungen.

Der Bankrott Detroits markiert die Aufhebung der Demokratie in einer mehrheitlich von Schwarzen
bewohnten Stadt. Er setzt einen Endpunkt in einem Prozess der Preisgabe und Gentrifizierung, der
amerikanische Städte über mehrere Jahrzehnte umgeformt hat. Der Rückgang des verarbeitenden
Gewerbes in den USA und der sogenannte white flight, der Wegzug der weißen Bevölkerung, treffen
Detroit besonders hart. Detroit mag ein Extremfall sein, doch die allgemeine Wirtschaftsentwick-
lung sieht wenig besser aus. Die Große Rezession ist für schwarze Gemeinden in Amerika eine De-
pression, und eine Erholung hat noch nicht begonnen.

In diesem Bericht untersucht James Jennings, Professor für Stadtplanung und -politik an der Tufts
University, den Kampf für Gleichberechtigung in den USA. Trotz überwältigender Unterstützung
durch afroamerikanische Wähler und andere people of color ist Präsident Obama mit Blick auf die
Gleichstellung der Minderheiten auf enttäuschende Weise untätig geblieben. Auch darüber hinaus
bleiben zahlreiche Hindernisse bei der Bekämpfung der anhaltenden Ungleichheit bestehen. Doch
es gibt auch Räume, in denen sich hoffnungsvolle neue Allianzen formieren, die bei einer Verbindung
der Rassen- und Klassendimension von Ungleichheit ansetzen. Fest steht: Der Kampf um Gerechtig-
keit für rassistisch Diskriminierte geht weiter.

                                                              Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg
                                                            Leiter des Büros New York, November 2013

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Die Last der Armut lindern
Der Kampf für die Gleichberechtigung der Schwarzen unter Obama

Von James Jennings

Nach der Wahl und Wiederwahl des ersten                   den die Geschichte der weltweiten Kämpfe
schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staa-               gegen Ungleichheit und ihre Erfolge schlicht
ten behaupten viele Kommentatoren, dass das               übergangen.
Land in eine post-rassistische Phase überge-
gangen sei. Gemeint ist damit, dass die Haut-             Während sowohl liberale als auch konservati-
farbe der Menschen und die Tatsache, dass                 ve Politiker beteuern, dass die Hautfarbe heu-
Millionen US-Amerikaner schwarz sind, an                  te keine Rolle mehr spiele, zeugt es von einer
Bedeutung verloren hätten. Barack Obamas                  besonderen Ironie, dass in manchen Kreisen
Wahlsiege gelten als Beweis für das Ende des              selbst der Ruf nach Gleichberechtigung von
Rassismus, obschon rassistische Feindseligkei-            Schwarzen und Weißen als spaltend betrachtet
ten bisweilen fortbestünden. Vereinzelte ras-             wird. Zahlreiche Sozialwissenschaftler fordern
sistisch motivierte Gewalttaten oder die wei-             sogar, „die spaltende Idealvorstellung der rassi-
terhin bestehenden rassistischen Einstellun-              schen Gleichheit“ aus dem öffentlichen Diskurs
gen, die landesweite Umfragen belegen, seien              zu verbannen, um die Unterstützung progres-
nichts weiter als marginale Abweichungen von              siver Ziele durch Weiße nicht zu gefährden.1
der vorherrschenden Aussöhnung zwischen                   Konservative Kommentatoren und auch einige
Menschen unterschiedlicher Hautfarbe.                     Liberale reagieren regelrecht verägert, wenn
                                                          Rassismus in den USA als anhaltendes Prob-
Dieser Diskurs einer post-rassistischen Ge-               lem erwähnt wird. Sie gehen sogar noch einen
sellschaft hat beunruhigende Auswirkungen                 Schritt weiter und beschuldigen diejenigen, die
auf den anhaltenden Kampf für die Gleichbe-               Rassismus thematisieren, als unverantwortlich
rechtigung von Afroamerikanern. Zudem ver-                und selbstgerecht, da sie unnötige Zwietracht
nachlässigt er die Frage der Akkumulation und             sähten. Konservative Radio- und Fernsehmo-
Verteilung des Reichtums sowie dessen wach-               deratoren wie Rush Limbaugh, Sean Hannity,
sender Konzentration in den Händen der Su-                Bill O’Reilly und Ann Coulter, die regelmäßig im
perreichen und kommt damit den Interessen                 Fernsehsender Fox News erscheinen, wieder-
der mächtigen Konzernen entgegen. Die in der              holen dieses Mantra. Unter dem Deckmantel
amerikanischen Gesellschaft tief verwurzelte              einer post-rassistischen Gesellschaft attackie-
rassistische Hierarchie wird verschleiert und             ren unterdessen rechte Politiker das Wahl-
die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich                recht liberaler oder progressiver Wählerinnen
ignoriert. Die Privilegien, die mit einer als „nor-       und Wähler. Sie machen die Registrierung für
mal“ verstandenen weißen Hautfarbe einher-
                                                          1   Für das Beispiel der Liberalen vgl. P. M. Sniderman und
gehen, werden ausgeblendet. Zugleich bleibt                   E. G. Carmines: Reaching beyond race, Harvard Uni-
unklar, warum „Weißsein“ für weiße Arbeiter                   versity Press 1997. Für die Konservativen vgl. S. Thern-
                                                              strom und A. Thernstrom: America in Black and White:
und arme Weiße in den USA keine materielle                    One Nation, Indivisible, Simon & Schuster: New York
Sicherheit gewährleistet. Darüber hinaus wer-                 1997.

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JAMES JENNINGS
                                                DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

Wahlen und den Urnengang selbst äußerst                           für Schwarze, zu untergraben. William Boone
kompliziert und mühsam, um möglichst viele                        von der Clark Atlanta University, der sich für
Menschen aus den unteren sozialen Schichten                       gerechte Wohnverhältnisse in Atlanta/Georgia
von den Wahlen auszuschließen.2                                   einsetzt, erklärt, dass Obamas Wahlsiege

Während der letzten beiden Präsidentschafts-                          zwar eine radikal positive Veränderung auf dem
wahlen gelang es den Konservativen – wiede-                           Weg zur Gleichberechtigung der Afroamerikaner
rum mit dem stillschweigenden Einverständ-                            in den Vereinigten Staaten signalisieren, diese
                                                                      Auffassung jedoch zugleich etablierte Paradigmen
nis der Demokraten –, alle Forderungen nach
                                                                      aufrechterhält, die festlegen, wie der Kampf für
Gleichberechtigung von Schwarzen bereits                              die Gleichheit von Weißen und Schwarzen disku-
im Keim zu ersticken. Dies hat rechte Kräfte                          tiert wird […]. Sein Wahlsieg erschwert es, die Pro-
in ihrem Vorhaben bestärkt, demokratische                             bleme der schwarzen Bevölkerung anzusprechen
Prinzipien und soziale Gerechtigkeit, vor allem                       oder ihnen entgegenzutreten.3

Obamas „post-rassistische“ Politik

Präsident Obama genießt nach wie vor brei-                        amerikaner in den Bereichen Armut, Wohnen,
te Unterstützung unter Afroamerikanerinnen                        Gesundheit und Arbeit äußere er sich nicht.
und Afroamerikanern. Trotzdem ist Cornel                          Dies sei auch bei der Antrittsrede zu seiner
West keineswegs der Einzige, der daran Anstoß                     zweiten Amtszeit vom 20. Januar 2013 der Fall
nimmt, dass Obama sich den beschriebenen                          gewesen. Ironischerweise resultierte der Wahl-
„post-rassistischen“ Diskurs zu eigen macht,                      sieg des Präsidenten aus der erstaunlich brei-
und der Obama fehlende Führungsstärke bei                         ten Unterstützung durch die schwarze Wähler-
der Bekämpfung der Ungleichheit vorwirft.                         schaft – hinsichtlich des Stimmenanteils sowie
Etliche schwarze Intellektuelle und Aktivisten                    deren hoher Wahlbeteiligung. 4
lasten dem Präsidenten an, die Vermeidung
des Themas Rassismus stillschweigend akzep-                       Ebenso markierte die Präsidentschaftswahl
tiert zu haben. Peniel Joseph, Historiker und                     2008 den Höhepunkt eines Trends in der Po-
Autor mehrerer Bücher zur Black-Power-Bewe-                       litik von Schwarzen, der „Black politics“, der
gung, kritisiert die bevorzugte Herangehens-                      Ende der 1980er Jahre seinen Anfang genom-
weise des Präsidenten mit Blick auf das Thema                     men hatte. Die alte Garde der schwarzen Po-
Rassismus, die dem Prinzip folgt: „Einfach nicht                  litiker aus der Bürgerrechtsgeneration kam
darüber reden.“ Trotz der überwältigenden                         aus Bezirken, in denen mehrheitlich Schwarze
Unterstützung durch afroamerikanische Wäh-                        lebten. Dementsprechend war ihr Selbstver-
lerinnen und Wähler, zeichnet sich Obama, so                      ständnis als Vertreter und Stimme der schwar-
Joseph, heute vor allem dadurch aus, dass er                      zen Gemeinschaft maßgeblich für ihre Politik.
die Bedeutung von rassistischen Zuschreibun-                      Doch ab Ende der 1980er Jahre verzichtete
gen und Klassenunterschieden totschweigt,                         eine jüngere Generation afroamerikanischer
Zu möglichen Strategien gegen die anhaltend                       Politiker, die in mehrheitlich weißen Bezirken
schlechteren Lebensbedingungen der Afro-
                                                                  3    E-Mail-Korrespondenz mit William Boone, 8.4.2013.
2   Für einen Überblick vgl. James P. Hare: Steal the Vote:       4    Peniel Joseph: President Barack Obama re-elected, Ba-
    Voter Suppression in the Twenty-first Century, www.                sic Black, Boston: WGBH, www.wgbh.org/basicblack/
    rosalux-nyc.org, Oktober 2012.                                     index.cfm, 2012.

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JAMES JENNINGS
                                               DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

und Städten kandidierten, darauf, ihre Haut-                     Wähler erlauben kann, auf drängende Fragen
farbe und ihre Zugehörigkeit zu afroameri-                       der schwarzen Bevölkerung Stillschweigen zu
kanischen Organisationen zu betonen. Diese                       bewahren – aus dem schlichten Grund, weil er
Politiker bevorzugten eine „rassisch neutrale“                   selbst schwarz ist. Provozierend fragt Jackson,
Politik und weigerten sich, als Sprecher der                     warum es angesichts der katastrophal hohen
schwarzen Gemeinschaft aufzutreten – eine                        Arbeitslosigkeit und der Gewalt in schwarzen
Veränderung, die als „post-Black politics“ und                   Gemeinden
später als „post-racial politics“ bezeichnet wur-
de.5 Diese neuen schwarzen Politiker sahen                           einen anderen Maßstab für einen schwarzen als
sich „genauso häufig als Boschafter, die sich                        für einen weißen Präsidenten gibt? Sollten wir
                                                                     nicht unabhängig von der Hautfarbe [des Präsi-
an die schwarze Gemeinschaft richten, wie als
                                                                     denten] vor dem Weißen Haus protestieren, wenn
deren Stimme nach außen.“6 Barack Obama ist                          die Arbeitslosenrate der schwarzen Bevölkerung
zwar das bekannteste Beispiel eines „post-ras-                       zweistellig ist? Sollten wir nicht vor dem Weißen
sischen Politikers“, doch gehören dieser neuen                       Haus protestieren, wenn über 500 Schwarze in
Generation auch Cory Booker, der Senator aus                         Chicago ermordet werden (darunter viele Kinder)
                                                                     und der amtierende Präsident kaum ein Wort dar-
New Jersey, Michael Nutter, der Bürgermeister
                                                                     über in der Öffentlichkeit verliert?8
von Philadelphia, und andere Politiker an.

Obamas Wiederwahl im Jahr 2012 lässt sich
                                                                 Das neoliberale Kontinuum
zum Teil auf die rassistischen Kampagnen und
die rassistische Rhetorik der Republikanischen
                                                                 Obama hat der Benachteiligung der Schwarzen
Partei und ihres radikalen Flügels der Tea Party
                                                                 bisher nahezu keine Beachtung geschenkt. Er
zurückführen. Die Tea Party schüchterte selbst
                                                                 hat eine eindeutig neoliberale Umgangsweise
moderate Republikaner ein und veranlasste sie
                                                                 mit Rassismus.9 Der Präsident setzt auf weitere
dazu, die afroamerikanische Wählerschaft zu
                                                                 unternehmensfreundliche internationale Han-
ignorieren. Die Schwarzen in den USA vergol-
                                                                 delsabkommen, eine ungebremste Mobilität
ten diesen Rassismus mit einer ungewöhnlich
                                                                 des Kapitals, Sozialabbau, die Vorherrschaft
hohen Wahlbeteiligung, die zum ersten Mal in
                                                                 der Wall-Street-Konzerne und den Abbau der
der US-amerikanischen Geschichte jene der
                                                                 Staatsverschuldung anstelle von Investitionen
Weißen übertraf (66 Prozent vs. 64,1 Prozent).7
                                                                 in Programme, die mehr und bessere Arbeits-
Es bleibt jedoch die berechtigte Frage, was die-
                                                                 plätze für Niedriglöhner schaffen würden. Die-
se – für Obamas Wahlsiege entscheidende –
                                                                 se Prioritätensetzung rechtfertigt Obama mit
Bevölkerungsgruppe für ihre Unterstützung
                                                                 der Behauptung, dass seine Politik allen, auch
zurückbekommen hat.
                                                                 Schwarzen, zugutekäme. Gus Newport, Frie-
                                                                 densaktivist und ehemaliger Bürgermeister
Der konservative afroamerikanische Radiomo-
                                                                 von Berkeley/Kalifornien, meint, Obama setze
derator Raynard Jackson verweist darauf, dass
                                                                 in vielerlei Hinsicht die „Politik der Mitte“ von
Obama es sich trotz der überwältigenden Un-
                                                                 Präsident Bill Clinton fort, insbesondere hin-
terstützung durch schwarze Wählerinnen und
                                                                 sichtlich wohlfahrtsstaatlicher Maßnahmen
                                                                 für die schwarze Bevölkerung.10
5   Manning Marable: Beyond Black and White: Transfor-
    ming African-American Politics, Verso: London und
    New York 1995, S. 205 ff.                                    8  Raynard Jackson: Holding President Obama Accoun-
6   Matt Bai: Is Obama the End of Black Politics? In: „New          table, „BlackPressUSA“, www.blackpressusa.com,
    York Times Magazine“, 6.8.2008.                                 21.1.2013.
7   Vgl.   U.S. Census Bureau: The Diversifying Electora-        9 Vgl. James Jennings: Three Visions for the Future: The
    te – Voting Rates by Race and Hispanic Origin in 2012           Real Election is for America’s Soul, www.rosalux-nyc.
    (and Other Recent Elections), in: Population Characte-          org, Oktober 2012.
    ristics, Current Population Survey, 5/2013.                  10 Vlg. Interview mit Eugene „Gus“ Newport, 16.4.2013.

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JAMES JENNINGS
                                       DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

Ihr bisher bestenfalls halbherziges Engage-            diesen Konzernen gearbeitet haben, sei diese
ment für soziale Gerechtigkeit versucht die            Haltung zu erwarten. Obama präsentiere sich
Regierung Obama damit zu entschuldigen,                zwar, so Fletcher, als Vermittler zwischen der
dass die Republikaner die Mehrheit im Reprä-           Macht der Konzerne auf der einen Seite und
sentantenhaus innehaben und die Handlungs-             der Mittelklasse und den Mittellosen auf der
möglichkeiten der demokratischen Regierung             anderen Seite. Tatsächlich jedoch deckten sich
somit einschränkten. Zwar fordert Obama                seine Positionen mit denen der Wall-Street-Un-
selbst die Kürzung von Sozialleistungen und            ternehmen und deren Glorifizierung des
hat einen Haushalt vorgelegt, der die Mittel für       freien Marktes und des unternehmerischen
regionale und kommunale Initiativen reduzie-           Profits.12
ren würde, die Gesundheitsdienstleistungen,
Wohnraum und Arbeit für benachteiligte Be-             Es erstaunt wenig, dass sich die Befürworter
völkerungsgruppen bereitstellen. Doch mach-            der Macht und des Profits der Konzerne da-
ten er und seine Regierung allein die Repub-           gegen sträuben, sich mit der fortbestehenden
likaner dafür verantwortlich, dass der Kampf           Ungleichheit zwischen Weißen, Schwarzen
gegen Rassismus, für Beschäftigung und an-             und anderen People of Color auseinanderzu-
dere grundlegende Bedürfnisse von Millionen            setzen. Schließlich könnten die Forderungen
US-Amerikanern keine Priorität besitzen. Fest          nach Gleichberechtigung dazu führen, dass die
steht: Die Republikaner tragen nicht die Al-           Rolle der Regierung bei der Konzentration des
leinschuld. Präsident Obama verfolgt selbst            Reichtums verstärkt hinterfragt wird. Sie könn-
eine eindeutig neoliberale Politik, während er         ten die Formierung progressiver Bündnisse
sich gleichzeitig einer Rhetorik der sozialen          begünstigen, die sich gegen die militaristische
Gerechtigkeit bedient. Der Wirtschaftswissen-          Außenpolitik und den daraus resultierenden
schaftler und Nobelpreisträger Joseph Stig-            Machtzugewinn der Großkonzerne zur Wehr
litz beschreibt diese Widersprüchlichkeit am           setzen. Eine derartige Entwicklung wäre durch-
Beispiel der Antrittsrede des Präsidenten zu           aus nichts Neues. Bündnisse innerhalb der
seiner zweiten Amtszeit, die eine „glühende            Arbeiterklasse, die gegen Benachteiligung auf-
Verfechtung des amerikanischen Bekenntnis-             grund von Hautfarbe und Klassenzugehörig-
ses zum Traum der Chancengleichheit“ dar-              keit kämpften, entstanden schon früher und
stelle, obwohl in Wirklichkeit „der Abstand zwi-       forderten die Mächtigen und Wohlhabenden
schen Wunsch und Realität kaum größer sein             heraus. W.E.B. Du Bois’ klassisches Werk „Black
könnte.“11                                             Reconstruction“ (1935) enthält eine detaillierte
                                                       Beschreibung eines solchen Bündnisses zwi-
Bill Fletcher, den ehemaligen Vorsitzenden             schen ehemaligen Sklaven und armen Weißen
des TransAfrica Forum und Autor mehrerer               zur Zeit der Reconstruction, der Ära zahlreicher
Bücher zum Thema, überrascht diese Diskre-             progressiver Reformen, die nach dem Ende
panz nicht. Er hat sich intensiv mit Obamas            des amerikanischen Bürgerkrieg und der Ab-
Begünstigung der Wall-Street-Konzerne aus-             schaffung der Sklaverei einsetzte.  In den Süd-
einandergesetzt und meint, dass selbst die For-        staaten sahen sich die ehemaligen Sklavenhal-
derung des Präsidenten nach einer höheren              ter und Plantagenbesitzer von dieser erstar-
Besteuerung von Unternehmen zu deren Sicht             kenden Allianz zutiefst bedroht. Sie gingen mit
auf die derzeitigen wirtschaftlichen Probleme          Gewalt gegen diese vor und versuchten, durch
und die erforderlichen Lösungen passe. Ange-
sichts der Tatsache, dass viele der ranghohen
                                                       12 Vgl. Bill Fletcher, Jr., What Happened? Obama, Demo-
Wirtschaftsberater des Präsidenten früher in              bilization, and the Challenge of the 2012 Elections, in:
                                                          „Souls: A Critical Journal of Black Politics, Culture, and
11 „New York Times“, 16.2.2013.                           Society,“ 14 Jg., Nr. 1-2/2012, S. 4-9.

                                                   5
JAMES JENNINGS
                                           DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

Einschüchterung einen Keil zwischen Schwarze                Schwarzen und Weißen aus der Unterschicht,
und Weiße zu treiben. Jahrzehnte später ver-                als dessen Höhepunkt King bereits einen
hinderte der Mord an Martin Luther King die                 großen Marsch der Armen auf Washington im
Mobilisierung eines ähnlichen Bündnisses aus                Jahr 1968 vorgesehen hatte.

Anhaltende rassistische Diskriminierung

Der Glaube, wir hätten den Rassismus hin-                   Armut ist für viele US-Amerikaner eine tief-
ter uns gelassen, scheitert regelmäßig an der               greifende Erfahrung. Im Jahr 2011 lebten of-
Realität der weiterhin bestehenden – und                    fiziellen Berechnungen zufolge 13,1 Prozent
wachsenden – Ungleichheit zwischen Wei-                     aller amerikanischen Familien in Armut. In
ßen und People of Color in den USA. Zwei Tat-               der Hälfte der 3500 Landkreise sind zwischen
sachen verdeutlichen, wie kurzsichtig es ist,               16 und 33 Prozent der Menschen arm. Für
Obamas Wahl und Wiederwahl als Manifes-                     Schwarze und Latinos ist Armut jedoch ein
tierung einer post-rassistischen Gesellschaft               viel wahrscheinlicheres Schicksal als für an-
zu feiern. Zum einen besteht weiterhin eine                 dere Bevölkerungsgruppen. Von ihnen waren
enormes Wohlstandsgefälle zwischen Weißen                   2011 27,6 bzw. 25,3 Prozent arm, wohingegen
und Nicht-Weißen, und zum anderen gibt es                   lediglich 9,8 Prozent der Weißen von Armut
politischen Widerstand gegen die Beseitigung                betroffen waren. Schwarze sind insofern etwa
dieser Ungleichheit, selbst vonseiten vieler                drei Mal so oft von Armut betroffen wie Weiße.
verarmter und der Arbeiterschaft angehöriger                Diese Zahlen haben sich bei den Erhebungen
Weißer, die ebenfalls von sozio-ökonomischer                in den Jahren 1959, 1979, 1999 und zuletzt 2011
Ungleichheit betroffen sind.                                kaum verändert; seit Jahrzehnten ist ungefähr
                                                            ein Drittel aller schwarzer Familien arm.

Klasse, Armut und Arbeitslosigkeit                          Die rassistische Diskriminierung von Schwar-
                                                            zen kennzeichnet auch andere Lebensberei-
Das Überdauern rassistischer Diskriminierung                che. Seit Jahrzehnten ist ihre Arbeitslosenquo-
und die wachsende Kluft zwischen Arm und                    te doppelt so hoch wie die der Weißen – ein Um-
Reich sind gut dokumentiert. Der jährliche Be-              stand, der sich auch unter Obama nicht geän-
richt „State of the Dream“, den die Organisation            dert hat. Selbst wenn Faktoren wie Geschlecht,
United for a Fair Economy (Gemeinsam für eine               Bildung und Alter berücksichtigt werden, ist
faire Wirtschaft) veröffentlicht, zeigt, wie sehr           die Arbeitslosenquote der Afroamerikaner
Schwarze und Latinos in Bezug auf Arbeitslo-                weitaus höher als die der weißen US-Amerika-
sigkeit, Bildung, Gesundheit, Wohnen, Inhaftie-             ner. Während der jüngsten Wirtschaftkrise, der
rungsraten und rassistische Diskriminierung                 Great Recession, stieg die Arbeitslosenquote
durch die Polizei benachteiligt sind. Der jüngs-            der Schwarzen etwa doppelt so schnell wie die
te Bericht betont, dass diese Benachteiligung               der Weißen. Als die Wirtschaft sich wieder er-
zunimmt, was auch von zahlreichen anderen                   holte, sank die Arbeitslosenquote der Weißen,
Berichten und Studien bestätigt wird.13                     während die der Schwarzen weiter anstieg.14

13 Vgl. United for a Fair Economy: State of the Dream       14 Vgl. Christian E. Weller und Jaryn Fields: The Black and
   2013: A Long Way from Home, www.faireconomy.org.            White Labor Gap in America, Center for American Pro-

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JAMES JENNINGS
                                            DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

Die Statistiken für Unterbeschäftigung weisen                gehört das Wasser?“ Und er antwortete selbst:
ein ähnliches Gefälle auf. Anhand einer Un-                  „den Kapitalisten“. Er riet daher, dass „die Be-
tersuchung des Federal Bureau of Labor Statis-               wegung den kompletten Umbau der ameri-
tics zeigt Reginald Clark einen signifikanten                kanischen Gesellschaft angehen muss.“16 Ein
Rückgang der Unterbeschäftigungsquote für                    paar Monate später argumentierte er:
Latinos (von 15 auf 12 Prozent), Weiße (von 10
auf 8 Prozent) und asiatische Amerikaner (von                  Die Enterbten der Nation, die Armen, ob weiß oder
8 auf 6 Prozent). Nur unter Afroamerikanern                    schwarz, leben in einer grausam ungerechten Ge-
                                                               sellschaft. Sie müssen eine Revolution gegen die
hat die Unterbeschäftigung von 16 auf 20 Pro-
                                                               Ungerechtigkeit organisieren. Nicht gegen Men-
zent zugenommen. Clark schlussfolgert, dass                    schen, die ihre Mitbürger sind, aber gegen die Struk-
Schwarze auch unter der Regierung Obama                        turen, durch die die Gesellschaft die Maßnahmen
von Verbesserungen der Lebensbedingungen,                      blockiert, die erforderlich sind, um die Last der
wenn überhaupt, immer zuletzt profitieren.15                   Armut zu beheben. Es gibt in diesem Land Millio-
                                                               nen Arme, die fast nichts oder gar nichts zu ver-
                                                               lieren haben. Hilft man ihnen dabei, kollektiv zu
Martin Luther King betrachtete die Armut                       handeln, so werden sie mit Freiheit und Macht zu
als eine der großen Herausforderungen im                       einer neuen und aufrührerischen Kraft in unserer
Kampf der Afroamerikaner für ihre Freiheit                     selbstgefälligen Gesellschaft aufsteigen.17
und Gleichberechtigung. „Die Last der Armen
lindern“, war sein Credo. Für King war Armut                 King verortet die Armut hier im Kontext einer
jedoch kein Ergebnis individuellen Fehlverhal-               historischen Benachteiligung aufgrund von
tens: Menschen seien nicht arm, weil sie nicht               Klassenzugehörigkeit und   Hautfarbe sowie
arbeiten wollten oder weil Sozialleistungen sie              des Systems, das diese Benachteiligung auf-
zu träge oder unfähig gemacht hätten, um ihre                rechterhält. Als Maßnahme gegen die Armut
wirtschaftlichen Lage zu verbessern. Er hätte                sieht er den gewaltfreien politischen Kampf
mit Sicherheit auch Obama widersprochen,                     gegen ebendiese, auf „Rasse“ und Klasse ba-
der bei seinen Reden vor schwarzem Publikum                  sierenden, Hierarchien.
nahelegt, Armut rühre daher, dass schwarze
Männer einfach keine Verantwortung für ihre                  Mit seiner Analyse von Armut steht King im
Familien übernehmen wollten.                                 Gegensatz zu denjenigen, die Benachteiligung
                                                             für ein pathologisches Problem halten – heute
Obama hat diese Ansicht wiederholt geäu-                     wie in den 1960er Jahren. Unter den neolibera-
ßert und durch seinen Fokus auf die Eigenver-                len Regierungen von Clinton, Bush und Obama
antwortung der Schwarzen anstelle von deren                  trugen Arme und sozial Schwache selbst die
struktureller Benachteiligung und rassistischer              Schuld an ihrer Misere. Diesem Standpunkt
Diskriminierung bekräftigt. Dies ist die gleiche             zufolge sind soziale und ökonomische Proble-
Ansicht, die schon Booker T. Washington vor                  me wie Armut, Arbeitslosigkeit und Krankheit
einem Jahrhundert vertreten hatte, und steht                 von Afroamerikanern, und zu einem geringe-
in direktem Widerspruch zu Kings Verständnis                 ren Grad auch von anderen People of Color, in
von Armut und deren Ursachen. Er stellte die                 unserer angeblich post-rassistischen Ära eher
Verteilung des Wohlstandes und der Ressour-                  dem Fehlverhalten dieser Gruppen geschul-
cen in den Vordergrund und fragte: „Wem ge-                  det als ihrer rassistischen Benachteiligung. Es
hört das Öl? Wem gehört das Eisenerz? Wem                    scheint, als betrachten die Republikaner und

   gress, www.americanprogress.org, 25.7.2011.               16 Martin Luther King: Where Do we go from here? Rede
15 Reginald Clark: The Expansion of Black American Mi-          bei der Southern Christian Leadership Conference, At-
   sery under Barack Obama’s Watch, in: „Black Agenda           lanta/Georgia, 16.8.1967.
   Report: News, commentary & analysis from the black        17 Martin Luther King: The Trumpet of Consciousness,
   left“, 19.2.2013.                                            Beacon Press: Boston, 1968.

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JAMES JENNINGS
                                                 DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

Demokraten die vermeintlich mangelnde Ei-                          pathologisierender Bilder schwarzer Frauen,
genverantwortung als das primäre Problem                           die ebendiese Politik rechtfertigt. Sie schreibt,
der Schwarzen in den USA.                                          dass weit verbreitete „negative Darstellungen
                                                                   schwarzer Frauen es politischen Entschei-
Rhonda Williams, die Direktorin des Social Jus-                    dungsträgern ermögliche, die Armut schwar-
tice Institute an der Case Western University,                     zer Gemeinden mit dem ‚unsittlichen’ und
kritisiert, dass Präsident Obama „insbeson-                        ‚unmoralischen‘ Verhalten schwarzer Frauen
dere in seinen Reden vor Schwarzen an der                          zu begründen.“ Tatsächlich war die Pathologi-
Vorstellung [festhält], dass Eigenverantwor-                       sierung afroamerikanischer Frauen die ideolo-
tung zur Erklärung großer sozialer Missstände                      gische Grundlage für die tiefgreifende Reform
dient.“18 Die afroamerikanische Sozialwissen-                      der Sozialleistungen (Personal Responsibility
schaftlerin Tiffany Willoughby aus Oakland/Ka-                     and Work Reconciliation Act), die von Bill Clinton
lifornien erachtet die Pathologisierung schwar-                    im August 1996 unterzeichnet wurde. Dieses
zer Familien, die mit dem Einverständnis des                       Gesetz entzog der Arbeiterschaft zahlreiche
ersten schwarzen Präsidenten stattfindet, als                      Sozialleistungen und setzte eine strikte, nied-
katastrophal – vor allem da sie eine progres-                      rig entlohnte Arbeitsverpflichtung insbeson-
sive Bildungspolitik an öffentlichen Schulen                       dere für arme Frauen und ihre Familien durch.
verhindere. Solange von der Existenz quasi pa-                     Andere Untersuchungen zeigen, wie sehr die
thologischer Verhaltensweisen ausgegeganen                         Pathologisierung schwarzer Frauen mit der ho-
werde anstatt strukturelle Benachteiligungen                       hen Anzahl der schwarzen Gefängnisinsassen
und Rassismus in den Blick zu nehmen, wer-                         im Zusammenhang steht.21
den Schulreformen zwangsläufig auf das Prin-
zip des freien Marktes setzen. Dies werde auch                     Indem sie den von Armut und Ungleichheit Be-
zum Bau weiterer Gefängnisse für Tausende                          troffenen die Schuld für ihre Lage zuwiesen,
junger Menschen führen, denen diese Schu-                          gelang es den Republikanern, die Diskussion
len nicht gerecht werden.19 So weit ist die Un-                    über diese Themen während der letzten Prä-
gleichheit unter Obamas Regierung tatsächlich                      sidentschaftswahl zu dominieren. Republikani-
fortgeschritten: Viele junge Schwarze und La-                      sche Kandidaten verwiesen auf die angeblich
tinos haben nur die Wahl zwischen schlechten                       asozialen Verhaltensweisen und problemati-
öffentlichen Schulen und dem Gefängnis.                            schen Einstellungen schwarzer Menschen als
                                                                   Ursache für deren desolate Lebensumstände
Die negativen Bilder, die mit schwarzen Frauen                     und stempelten sie auf diese Weise als Wei-
assoziiert werden, dienen der politischen und                      ßen gegenüber unterlegen ab. Obama und die
ideologischen Rechtfertigung einer Politik, die                    Demokraten haben sich den Republikanern
auf Bestrafung setzt und rassistische und öko-                     in dieser Hinsicht angepasst und machen den
nomische Benachteiligungen fortführt. Diesen                       angeblich mangelnden Willen zu harter Arbeit
Zusammenhang beschreibt Julia S. Jordan-Za-                        und die Abhängigkeit von staatlicher Freigie-
chery, Direktorin des Black Studies Program am                     bigkeit ebenfalls zum Ausgangspunkt jeder
Providence College in ihrem Aufsatz „Black                         Diskussion über Armut und die soziale Benach-
Womanhood and Social Welfare Policy: The In-                       teiligung von Afroamerikanern.
fluence of Her Image“.20 Jordan-Zachery zeigt
die direkte Verbindung zwischen einer gegen
                                                                   21 Vgl. Part II: Women, Violence, and Incarceration, in:
die Armen und die Arbeiterschaft gerichteten                          M. Marable, K. Middlemass und I. Steinberg (Hg.): Di-
strafenden Sozialpolitik und der Verwendung                           senfranchising Lives: The Racism, Criminal Justice, and
                                                                      Law Reader, Palgrave MacMillan: Hampshire, 2007. Vgl.
18 E-Mail von Rhonda Williams, 13.4.2013.                             auch The Rebecca Project for Human Rights: Mother’s
19 Vgl. Interview mit Tiffany Willoughby, 29.3.2013.                  Behind Bars, National Women’s Law Center, Washing-
20 In: „Sage Race Relations Abstracts“, 26. Jg., Nr. 3/2001.          ton DC, 2010.

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                                         DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

In Obamas Reden vor schwarzem Publikum                    ternational Centre for Prison Studies der Univer-
spiegelt sich diese Dynamik wie bereits er-               sität Essex in England berichtete 2011, dass die
wähnt in seinen andauernden Ermahnungen                   Inhaftierungsrate (gemessen an der Zahl der
wider, Schwarze müssten sich am eigenen                   Häftlinge je 100 000 Einwohnern) in den USA
Schopf aus dem Sumpf ziehen und sich ihrer                mit 743 weltweit am höchsten ist.22 Ruanda
Eigenverantwortung bewusst werden. Diese                  steht mit 595 an zweiter Stelle, und in Deutsch-
Aufforderung richtete Obama bei seiner Rede               land liegt die Inhaftierungsrate bei 85.23 Laut
im Mai 2013 auch an die schwarzen Absolven-               Derrick Z. Jackson, einem Kolumnisten des
ten des Morehouse College in Atlanta/Georgia.             „Boston Globe“, führt auch die Liberalisierung
Vor weißem Publikum verzichtete Obama bis-                der Drogengesetze nur dazu, „dass ein privi-
her auf derartige Ermahnungen – so auch bei               legierter Teil der Amerikaner den Drogenge-
seiner Rede über das Problem hoher Studien-               brauch verharmlosen und hinter ihren Hecken
kredite, die er nur wenige Wochen später vor              und Gartenzäunen verbergen kann, während
vorwiegend weißen Studierenden im Weißen                  man einen anderen Teil der Bevölkerung von
Haus hielt. Weder die Demokratische Partei                den Straßenecken aufsammelt, ihnen die Fin-
noch Obamas treue Unterstützer, zu denen                  gerabdrücke abnimmt, einen Eintrag in ihr
auch viele schwarze Politiker und prominente              polizeiliches Führungszeugnis vornimmt und
Geistliche zählen, haben das überwältigende               so ihre Chancen auf Arbeit und Bildung erheb-
Armutsproblem unter Schwarzen im Beson-                   lich verringert oder gar völlig zunichte macht.“
deren und in den USA ganz allgemein bisher                Obwohl die Rate der weißen und schwarzen
thematisiert.                                             Marihuana-Konsumenten gemessen an ihrem
                                                          Bevölkerungsanteil nahezu identisch ist, wird
                                                          der Gebrauch in beiden Gruppen, Jackson zu-
Das Strafrechtssystem                                     folge, äußerst unterschiedlich behandelt. „Da-
                                                          bei spielt es keine Rolle, ob ein Bundesstaat
Der Rassismus in den USA zeigt sich auch am               einen konservativen oder einen liberalen Ruf
überproportionalen Anteil der Schwarzen und               hat.“24
Latinos, die im Gefängnis inhaftiert sind oder
waren bzw. während ihrer Bewährungszeit un-               Das Strafrechtssystem in den USA basiert auf
ter die Aufsicht der Justiz gestellt werden. Zu den       Grausamkeit. Die Gefängnisse sind zu Orten
Gefangenen zählen zunehmend auch Frauen.                  geworden, an denen ganze Gruppen von Men-
Der jahrzehntelange Krieg gegen Drogen, der               schen – darunter viele mit Gesundheitsproble-
von republikanischen wie demokratischen Re-               men oder psychischen Leiden – weggesperrt
gierungen befürwortet und fortgeführt wurde,              werden. Die Gefängnisse verfügen nur über
hat tausende Menschen zur Verbüßung langer                äußerst begrenzte Ressourcen, um Drogen-
Strafen hinter Gittern verdammt. Während im               abhängigen und anderen psychisch kranken
Jahr 1970 noch 5600 Frauen im Gefängnis saßen,            Menschen zu helfen. Angesichts der sehr ho-
vervielfachte sich ihre Zahl bis 2002 auf 167 000,        hen Rückfallquoten befinden sich viele Betrof-
wobei zwei Drittel dieser Frauen Schwarze oder            fene in einem ununterbrochenen Kreislauf aus
Latinas waren. Obwohl 2007 nur etwa 14 Pro-
zent der regelmäßigen Drogenkonsumenten                   22 Vgl. M. Mauer und R.S. King: A 25-Year Quagmire: The
                                                             War on Drugs and Its Impact on American Society, U.S.
Schwarze waren (was in etwa ihrem Anteil an
                                                             Sentencing Project, 2007.
der Gesamtbevölkerung entspricht), stellten               23 Vgl. Roy Walmsley: World Prison Population List (9.
sie mit 37 bzw. 56 Prozent den Großteil derje-               Ausgabe), International Centre for Prison Studies,
                                                             www.prisonstudies.org, 2011.
nigen, die für Drogenvergehen verhaftet bzw.              24 US is a segregated joint on marijuana, „The Boston
zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Das In-               Globe“, 29.6.2013.

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                                                  DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

Haft und temporärer Entlassung. Aufgrund der                           jugendliche Schwarze und Latinos zu überwa-
Überfüllung wurde bereits eine Vielzahl von                           chen und zu kontrollieren. New Yorks berüch-
staatlichen Gefängnissen wegen Grausamkeit                            tigte verdachtsunabhängige Personenkontrol-
und Menschenrechtsverletzungen angeklagt.                             len (stop-and-frisk policy) richten sich beispiels-
Nicht einmal Schwangere und Kinder sind vor                           weise gezielt gegen Nicht-Weiße. Die New Yor-
der Grausamkeit des Strafrechtssystems ge-                            ker Polizeibehörde berichtete, dass 2013 über
schützt. In einigen Fällen wurden schwangere                          eine halbe Million solcher Kontrollen in der
schwarze Frauen bei der Entbindung im Ge-                             Stadt mit gut acht Millionen Einwohnern vor-
fängnis gefesselt. Viele, vor allem schwarze,                         genommen wurden. Fast 90 Prozent der von
Kinder sitzen nicht selten jahrelang für Verbre-                      der Polizei Befragten waren unschuldig und
chen ein, die sie im Alter von 12 bis 14 Jahren                       87 Prozent von ihnen Schwarze und Latinos.26
begangen haben. Joe Sullivan, ein schwarzer                           Dem schwarzen Umweltaktivisten aus dem
Junge, der als Dreizehnjähriger in Florida we-                        Stadtteil Brooklyn Ajamu Brown zufolge, ist
gen eines Kapitalverbrechens angeklagt und                            es kein Wunder, wenn junge schwarze Männer
für schuldig befunden worden war, saß bei-                            wie er sich an Orten wie New York und ganz all-
spielsweise zwanzig Jahre lang im Gefängnis                           gemein in der US-amerikanischen Gesellschaft
ein.25 Erst 2012 erklärte der Oberste Gerichts-                       als persona non grata fühlen.27
hof der USA, dass es verfassungswidrig sei,
Kinder und Jugendliche im Gefängnis wie Er-                           Die Regierung Obama ist in Bezug auf den Ras-
wachsene zu behandeln.                                                sismus im Strafrechtssystem nicht nur tatenlos
                                                                      geblieben, sondern hat sogar die staatlichen
Auch wenn die Forderungen in jüngster Zeit                            Gelder für Hilfsmaßnahmen für straffällige
immer lauter werden, Gesetze und Praktiken                            Jugendliche gekürzt und gleichzeitig die Aus-
abzuschaffen, die im Rahmen des rassistischen                         gaben für Polizei und Gefängnisse angehoben.
Kriegs gegen Drogen implementiert wurden,                             Die fortbestehende rassistische Ungleichheit
besteht die Kriminalisierung von Schwarzen                            betrifft die meisten, wenn nicht gar alle Le-
und anderen People of Color ungemindert fort.                         bensbereiche der Schwarzen im Amerika der
Die Polizei ist eines der primären Instrumente,                       Gegenwart.

Politischer Widerstand gegen die Gleichberechtigung von Afro-
amerikanern

Der politische Widerstand, der sich gegen alle                        den vergangenen Jahrzehnten offenkundig ein
Bemühungen wendet, eine Gleichberechtigung                            Beweis dafür, dass das Ziel einer post-rassis-
von Weißen und People of Color zu erreichen,                          tischen Gesellschaft bereits erreicht worden
stützt sich im Wesentlichen auf zwei Argumen-                         sei. Hierbei werden die Bürgerrechtsgesetze in
te, die sowohl von Unternehmen als auch von                           einen zu engen historischen Kontext gestellt,
vielen Akademikern vertreten werden. Erstens                          da die Überwindung rassistischer Ungleich-
sei die Umsetzung der Bürgerrechtsgesetze in
                                                                      26 Vgl. New York City Civil Liberties Union: NYPD to Lodge
25 Vgl. Graham vs. Florida, 2010. Vgl. auch die Internetsei-             5 Millionth Street Stop Under Mayor Bloomberg Today,
   te der Equal Justice Initiative: Children in Adult Prisons,           www.nyclu.org/news, 14.3.2013 .
   www.eji.org.                                                       27 Vgl. E-Mail-Interview mit Ajamu Brown, 5.5.2013.

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                                       DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

heit auf die symbolträchtige Aufhebung der               gen. Der Civil Rights Act von 1964 wurde bei-
Rassentrennung in Restaurants und Kinos re-              spielsweise 1972 durch das Verbot von Diskri-
duziert wird. Diese Perpektive legt nahe, dass           minierung aufgrund des Geschlechts in allen
allein die Existenz der Bürgerrechtsgesetze              staatlich finanzierten Bildungseinrichtungen
beweise, dass es keinen Rassismus mehr gebe              ergänzt. Gerichtsurteile verstärkten die Wir-
und die Regierung mit Unterstützung der Be-              kung der Bürgerrechtsesetze noch weiter: Um
völkerung mittlerweile auf jegliche Bedrohung            Sprachbarrieren zu beseitigen, wurde es 1974
dieses post-rassistischen Ideals umgehend re-            zur Pflicht, Vorkehrungen in Schulen zu treffen,
agiere. Das zweite Argument lautet, dass gera-           die den Bedürfnissen von Schülern gerecht
de weil diese Gesetze die gewünschte Wirkung             werden, die kein oder kaum Englisch spre-
erzielt hätten, sie mittlerweile überflüssig sei-        chen. Wiederum ein Jahr später wurde vorge-
en und rückgängig gemacht werden sollten.                schrieben, dass für Wählerinnen und Wähler
Dieser unlogische Zirkelschluss ist bei öffentli-        mit nicht ausreichenden Englischkenntnissen
chen Debatten und in einigen politischen Krei-           fremdsprachige Wahlunterlagen bereitgestellt
sen weit verbreitet.                                     werden müssen. Im Jahr 1977 wurden die für
                                                         Frauen diskriminierenden Bestimmungen
                                                         über die Mindestgröße für die Aufnahme in
Der historische Fortschritt der Bür-                     den Polizeidienst abgeschafft. Im Jahr darauf
gerrechte                                                wurde die Diskriminierung Schwangerer bei
                                                         Einstellungen unterbunden und 1986 sexuel-
Eine Betrachtung der Bewegung gegen die                  le Belästigung verboten. Abschnitt VI des Civil
Rassentrennung, die von ihrem historischen               Rights Act von 1964 war zudem eine wichtige
Kontext losgelöst ist, übersieht, dass mit ihnen         rechtliche Grundlage für das international
sowohl auf nationaler als auch auf internatio-           bekannt gewordene Gerichtsurteil Bean v.
naler Ebene eine Kampfansage an Großkon-                 Southwestern Waste Management, Inc. von 1979,
zerne und deren Vermögen einherging. Die                 das Unternehmen deren bis dato weit verbrei-
Aufhebung der Rassentrennung in Restau-                  tete Praxis untersagte, Giftmüll in armen und
rants, die durch schwarze Studenten und ihre             nicht-weißen Wohnvierteln zu lagern oder zu
Mitstreiter an Orten wie Greensboro/North                entsorgen. Im Jahr 1988 konnte auf Basis der
Carolina durchgesetzt wurde, war nur ein –               Bürgerrechtsgesetze die Diskriminierung bei
wenngleich bedeutender und symbolträch-                  der Wohnungssuche von Menschen mit Behin-
tiger – Aspekt einer sehr viel umfassenderen             derung und von Familien mit Kindern gesetz-
sozialen Bewegung zur Stärkung der Demo-                 lich verboten werden.
kratie in den USA, die auch in vielen anderen
Ländern weltweit ähnliche Kämpfe entfachte.              Diese Erfolgsgeschichte verdeutlicht, dass die
Die Gesetze und die Gerichtsurteile, die aus             Bürgerrechtsbewegung nicht darauf reduziert
der Bürgerrechtsbewegung resultierten, ha-               werden kann, dass sie die Aufhebung der Ras-
ben die Lebensqualität und ökonomische Ge-               sentrennung erzielte. Vielmehr war ihr Bestre-
rechtigkeit in den USA deutlich verbessert. Auf          ben, den US-amerikanischen Wohlfahrtsstaat
der Grundlage der Bürgerrechtsgesetze von                auszubauen und auf diese Weise eine sozial
1957 und 1960, des Civil Rights Act von 1964             und ökonomisch gerechtere Gesellschaft zu
und des Voting Rights Act von 1965 wurden die            schaffen. Wie Historiker und andere Zeitzeu-
sozialen und wirtschaftlichen Rechte nicht nur           gen (Eric Foner, Herbert Aptheker, Grace Lee,
der Afroamerikaner, sondern aller US-Ameri-              James Boggs, Henry Hampton u.a.) betont
kaner erheblich ausgeweitet – auch wenn viele            haben, waren die Erfolge im Kampf für die
von ihnen sich dessen nicht bewusst sein mö-             Bürgerrechte von Schwarzen auf diese Wei-

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                                        DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

se zugleich Erfolge für die Bürgerrechte aller            sentliche Bestandteile des Voting Rights Act
US-Amerikaner.                                            von 1965 aufzuheben. Mit einem Mehrheits-
                                                          beschluss von fünf zu vier erklärte das Gericht
                                                          im Fall Shelby County v. Holder Paragraph 4 für
Die Angriffe auf die Errungenschaften                     nicht verfassungsgemäß. In diesem Paragra-
der Bürgerrechtsbewegung                                  phen wurden diejenigen Bundesstaaten aufge-
                                                          listet, in denen rassistische Diskriminierung ge-
Konservative Ideologen und Politiker in den               genüber Wählerinnen und Wählern besonders
USA haben versucht, die Bürgerrechtsgesetze               weit verbreitet war. Bevor die Bundesstaaten
abzuschwächen oder rückgängig zu machen,                  auf dieser Liste eine Änderung des Wahlrechts
gerade weil sie der Konzentration von Reich-              vornehmen konnten, mussten sie entspre-
tum in den Händen einiger weniger eine wirk-              chend Paragraph 5 zunächst die Genehmigung
same Grenze setzen, indem sie die sozio-öko-              des Justizministeriums oder eines Bundesge-
nomischen Rechte aller Menschen garantieren.              richts in Washington DC einholen. Für andere,
Letztendlich hinterfragen diese Gesetze, wie              weniger vorbelastete Bundesstaaten genüg-
der gesamtgesellschaftliche Reichtum verwal-              te die Zustimmung eines bundesstaatlichen
tet und verteilt werden soll. Zentrale Aspekte            oder lokalen Gerichts. In ihrem Urteil erklärten
der Bürgerrechtsgesetze sind immer wieder                 die Richter zwar nur Paragraph 4 für ungültig,
vor Gericht angegriffen worden; zuletzt sogar             doch ohne die Auflistung der genehmigungs-
vor dem Obersten Gerichtshofs der Vereinig-               pflichtigen Bundesstaaten ist Paragraph 5 de
ten Staaten. Seit 2011 haben Gesetzgeber in 41            facto nicht mehr anwendbar.
Bundesstaaten mindestens 180 Gesetzesvor-
lagen zur Beschränkung des Wahlrechts einge-              Das jüngste Gerichtsurteil des Obersten Ge-
bracht. Diese Bemühungen sind an Orten mit                richtshofs ist der bisherige Höhepunkt kontinu-
einem hohen Bevölkerungsanteil an People of               ierlicher Bemühungen, den Kontrollmechanis-
Color besonders ausgeprägt und stützen sich               mus des Voting Rights Act zu schwächen. South
auf den Diskurs der post-rassistischen Gesell-            Carolina reichte 1966 als erster Bundesstaat
schaft.                                                   eine Verfassungsklage gegen das Gesetz mit
                                                          dem Argument ein, dass es die Rechte der Bun-
Der Oberste Gerichtshof der USA war und ist               desstaaten zu Unrecht einschränke. Die Klagen
aktiv darum bemüht, die Wirkung der Bürger-               von Mississippi und Virginia folgten zwei Jahre
rechtsbewegung zu untergraben. Beispiels-                 später. Mit dem Segen und der Unterstützung
weise wurden Programme zur rassischen Inte-               Präsident Ronald Reagans versuchte William
gration der öffentlichen Schulen 2007 mit dem             Bradford Reynolds, der damalige Staatsanwalt
Gerichtsurteil Parents Involved in Community              im Justizministerium, Anfang der 1980er Jahre
Schools v. Seattle School District No. 1 erheblich        die Erneuerung des Voting Rights Act und des
geschwächt, in dem der Oberste Gerichtshof                Paragraphen 5 zu verhindern. Interessanter-
deren Anrecht auf staatliche Förderung be-                weise war Richter John Roberts, der gegenwär-
schnitt. Diese Entscheidung könnte leicht zu              tige Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs,
einer neuerlichen Verbreitung der Rassentren-             einer der Juristen im Team von Staatsanwalt
nung an öffentlichen Schulen überall in den               Reynolds. Er war maßgeblich an den Angriffen
Vereinigten Staaten führen.                               gegen die Bürgerrechtsgesetze beteiligt.

Ein weiteres Beispiel für die Zurückdrängung              Im Fall Shelby County v. Holder bezog sich John
der Bürgerrechtsgesetze war die Entscheidung              Roberts auf den zehnten Zusatzartikel zur
des Obersten Gerichtshofs im Juni 2013, we-               Verfassung, der die Machtbefugnisse und Zu-

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                                       DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

ständigkeitsbereiche der Bundesregierung                 vielen weißen US-Amerikanern rassistische
gegenüber den Bundesstaaten regelt, um Pa-               Einstellungen fort. Thomas B. Edsall betrachtet
ragraph 4 des Voting Rights Act für nicht ver-           die beständigen oder gar zunehmenden Res-
fassungsgemäß zu erklären. Wie die Juristin              sentiments gegenüber Schwarzen als eine der
Tanya Hernandez erklärt, offenbarte Roberts              Ursachen für den Rechtsruck der Republikani-
damit seine „verwässerte Vorstellung von                 schen Partei.29 Rassistische Vorurteile und Ein-
Gleichheit“. Den Mehrheitsbeschluss wertet               stellungen sind jedoch nicht nur unter Republi-
sie als Ausdruck einer „beschränkten, der Jim-           kanern, sondern in der gesamten Gesellschaft
Crow-Ära [der gesetzlichen Rassentrennung –              ein Problem und haben seit der Wahl Obamas
d. Red.] entstammenden Definition von Dis-               2008 nicht abgenommen. Eine Umfrage von
kriminierung, die ausschließlich die rechtlich           Associated Press kam 2012 zu dem Ergebnis,
verankerte Rassentrennung in Betracht zieht“,            dass der Anteil der Amerikaner, die negative
wobei es sich um eine „außerordentlich be-               Einstellungen gegenüber Schwarzen aufwei-
grenzte Sicht auf Diskriminierung“ handele.28            sen, innerhalb von vier Jahren von 48 auf 51
                                                         Prozent angestiegen ist.30
Wie bereits erwähnt, wird häufig das Argument
der post-rassistischen Gesellschaft herangezo-           Das Fortbestehen rassistischer Einstellungen
gen, wenn Gesetze und Richtlinien angegriffen            zeigte sich nach Obamas Wahlsieg auch da-
werden, die der fortbestehenden rassistischen            ran, dass in den Südstaaten zum ersten Mal
Diskriminierung etwas entgegensetzen sol-                seit Jahrzehnten wieder Rufe nach einer Ab-
len. Paradoxerweise berufen sowohl liberale              spaltung vom Rest des Landes laut wurden.
Demokraten als auch konservative Republika-              Zuletzt war diese Forderung in den 1940er
ner sich in der Debatte um Rassismus immer               Jahren von den Dixiecrats vorgebracht worden,
wieder auf die Ikone Martin Luther King und              einer Gruppe, die sich von der Demokratischen
stellen sich als seine politischen Erben dar. Die        Partei abgespalten hatte. Die Dixiecrats waren
Konservativen scheuen nicht einmal davor zu-             lautstarke Verfechter der Rassentrennung. Sie
rück, unter Bezugnahme auf King die Existenz             behaupteten, die Bundesregierung und libe-
rassistischer Ungleichheit oder die Notwendig-           rale Politiker unterdrückten die Rechte wei-
keit, etwas dagegen zu unternehmen, in Frage             ßer US-Amerikaner in den Südstaaten, da
zu stellen. Tatsächlich würde King zweifellos            die Rassentrennung Bestandteil ihrer Kul-
auch heute noch mit friedlichen Mitteln gegen            tur und Lebensart sei. Noch zwei Jahrzehnte
rassistische Diskriminierung kämpfen und für             später stütze sich der Präsidentschaftskan-
soziale Gerechtigkeit eintreten. Wäre King noch          didat der American Independent Party, George
am Leben, würden er und seine Politik bei ge-            Wallace, in seinem Wahlkampf auf diese Be-
nau den Konservativen auf erbitterten Wider-             hauptungen.
stand treffen, die gegenwärtig seinen Namen
und sein politisches Vermächtnis für ihre völlig         In der jüngsten Vergangenheit waren Verlaut-
konträren Ziele schamlos vereinnahmen.                   barungen, die denen der Dixiecrats ähneln,
                                                         beispielsweise von Peter Morrison, dem repu-
                                                         blikanischen Schatzmeister von Hardin County
Das Fortbestehen rassistischer Ein-                      im Bundesstaat Texas, zu hören, der liberale
stellungen                                               US-Amerikaner als „Maden“ bezeichnete.31

Ungeachtet der nahezu universellen Wert-
                                                         29 Vgl. Thomas B. Edsall: The Persistence of Racial Re-
schätzung Martin Luther Kings bestehen unter                sentment, „The New York Times“, 13.2.2013.
                                                         30 Vgl. „USA Today“, 27.10.2012.
28 „New York Times“, 26.6.2013.                          31 „Huffington Post“, 9.11.2012.

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                                       DER KAMPF FÜR DIE GLEICHBERECHTIGUNG DER SCHWARZEN

Allen West, ein Vertreter der Tea-Party-Bewe-           ner ansonsten post-rassistischen Gesellschaft
gung innerhalb der Republikanischen Partei              stehen. Vom FBI veröffentlichte Statistiken aus
und zufälligerweise Afroamerikaner, forderte            dem Jahr 2009 zeigen, dass die Anzahl rassis-
die Liberalen auf, „sich aus den USA zu verpis-         tisch motivierter Straftaten kurz vor und kurz
sen“.32 Hierbei handelt es sich nicht bloß um           nach der Wahl Obamas 2008 einen Höchst-
isolierte Bemerkungen, die im Gegensatz zu ei-          stand erreichte.33

Räume des Widerstands

Der Kampf gegen die Diskriminierung von                 (BRC), wiesen kürzlich darauf hin, dass es eine
Schwarzen ging in der Vergangenheit in ers-             der Lektionen aus der Erfahrung des BRC sei,
ter Linie von der afroamerikanischen Kirche             dass der Kampf für Gleichberechtigung ge-
und schwarzen Intellektuellen, Künstlern und            meinsam mit den Glaubensgemeinden geführt
gewerkschaftlich organisierten Arbeitern aus.           werden müsse. Der BRC hatte zeitweise tau-
Auch heute haben diese Gruppen und Institu-             sende Mitglieder, überlebte allerdings nur we-
tionen das Potenzial, die politische Mobilisie-         nige Jahre. „Eine der größten Schwächen des
rung gegen eine ganze Reihe von Missständen             BRC war seine Unfähigkeit, Bündnisse mit den
anzuführen, von denen vor allem Schwarze                Glaubensgemeinschaften einzugehen“, schrei-
betroffen sind. Zu den Problemen zählen Ar-             ben Fletcher und Rogers. „Viele säkulare Linke
mut, Arbeitslosigkeit und niedrigere Löhne, ein         schenken den Linken in den Glaubensgemein-
mangelnder Zugang zu guter Bildung, Gesund-             schaften keinerlei Beachtung.“34
heitsversorgung und Wohnraum, Umweltpro-
bleme sowie die Kriminalisierung und die so-            Die Fortschrittlichkeit der schwarzen Kirchen
zio-ökonomische Ungleichheit von Schwarzen.             und Glaubensorganisationen in den USA lässt
                                                        sich an ihrer langjährigen Beteiligung an der
                                                        Antikriegsbewegung ablesen. Vincent Harding,
Die Schwarze Kirche                                     ein Vertrauter Martin Luther Kings und Vete-
                                                        ran dieser Bewegung, schrieb jüngst einen of-
Die afroamerikanische Kirche ist seit jeher             fenen Brief an Präsident Obama, in dem er so-
ein zentraler Ort politischen Widerstands.              wohl dessen Befürwortung von Gewalt auf der
Im Kampf um Bürger- und Menschenrechte                  internationalen Ebene kritisiert, als auch den
spielte sie in vielen Teilen des Landes eine we-        Jubel über die gezielten Tötungen, die unter
sentliche Rolle. Gleichzeitig ernteten schwarze         Obamas Regie ausgeführt werden. 35 In dieser
Geistliche Kritik dafür, dass sie sich im Gegen-        pazifistischen Tradition steht auch die Natio-
zug für den Zugang zu Macht und Ressourcen              nal Black Church Initiative, eine Koalition aus
den Interessen der wohlhabenden Klasse an-
passten. Dennoch ist die schwarze Kirche ein            33 Vgl. Federal Bureau of Investigation: Criminal Justice
                                                           Information Services Division: Hate Crimes Statistics
entscheidender Ort der Mobilisierung für pro-              2009, www2.fbi.gov.
gressive politische Ziele.                              34 Bill Fletcher und Jamala Rogers: Creating a Viable Black
                                                           Left: Sixteen Lessons Learned in Creating the Black Ra-
                                                           dical Congress, „The Black Commentator“, www.black-
Bill Fletcher und Jamala Rogers, zwei Grün-                commentator, 4.4.2013.
dungsmitglieder des Black Radical Congress              35 Vgl. Vincent   Harding: An Open Letter to President
                                                           Obama,   „YES! Magazine“, www.yesmagazine.org,
32 „Huffington Post“, 28.1.2012.                           2.6.2011.

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