DIE MÖWE Komödie von Anton Tschechow - Theater Münster
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THEATER MÜNSTER, 2020 / 21 DIE MÖWE Julian Karl Kluge � ab Freitag, 21. Mai 2021, Großes Haus DIE MÖWE Komödie von Anton Tschechow Deutsch von Thomas Brasch Inszenierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Behnke Bühne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Zeger Kostüme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Luisa Wandschneider Video. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sven Stratmann Dramaturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia von Schwerin Irina Nikolajewna Arkadina, verheiratete Treplew, Schauspielerin . . . . . Birte Leest Konstantin Gawrilowitsch Treplew, genannt Kostja, ihr Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . Julian Karl Kluge Pjotr Nikolajewitsch Sorin, ihr Bruder . . . . Christoph Rinke Nina Michailowna Saretschnaja, Tochter eines Gutsbesitzers . . . . . . . . . . . . . Marlene Goksch Ilja Afanassjewitsch Schamrajew, Sorins Gutsverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ilja Harjes Polina Andrejewna, seine Frau . . . . . . . . . . . Regine Andratschke Mascha, seine Tochter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rose Lohmann Boris Alexejewitsch Trigorin, Schriftsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Foerster Jewgeni Sergejewitsch Dorn, Arzt . . . . . . . Christian Bo Salle Semjon Semjonowitsch Medwedenko, Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Maximilian Schulze Inszenierung »Der Weltgeist« . . . . . . . . . . . . Julian Karl Kluge
DIE MÖWE Ilja Harjes, Birte Leest Regieassistenz & Abendspielleitung . . . . . . . . . . . . . . . Tobias Dömer Ausstattungsassistenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jakob Baumgartner Dramaturgieassistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabrina Toyen Inspizienz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tomasz Zwozniak Soufflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinrich Maas Technische Gesamtleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Renate Terstiege Bühneneinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas den Ouden Beleuchtungseinrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tom Halbig Maske . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Wegmann, Enrico Meiritz Kostümwerkstatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Almut Blanke Requisite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rolf Timpert Ton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eugen Hauzel Werkstattleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Petermann Malsaal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sarah Befeld, Michaela Moog Schreinerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berthold Schräder Schlosserei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Sendes Dekoration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martina Schlüter Theaterplastik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cordula Göbel Dekoration und Kostüme wurden in den Werkstätten des Theaters Münster angefertigt. Aufführungsdauer: 1 Stunde, 45 Minuten Aufführungsrechte: Suhrkamp Verlag Berlin Das Aufzeichnen der Aufführung auf Bild- und Tonträger sowie das Fotografieren während der Vorstellung sind aus rechtlichen Gründen nicht gestattet. 4
DIE MÖWE DIE MÖWE VON DER KUNST DES AUFBEGEHRENS UND SCHEITERNS sie ihre Ehe, ihr Kind oder die Versetzung ihres Mannes bezeichnet) das alte Ärgernis ihrer unerwiderten Liebe zu Konstantin zu ersetzen. Und Nina hält auch dann noch an ihrem Traum einer Karriere als erfolgreiche DIE MÖWE von Anton Tschechow ist ein Stück über Familienkonflikte, über und umworbene Schauspielerin fest, als sie nach einer gescheiterten die Suche nach neuen Formen in der Kunst und natürlich über die Liebe. Affäre alles Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten verloren hat. Lediglich Der Lehrer Medwedenko liebt Mascha. Mascha liebt Konstantin, Konstantin Konstantin entzieht sich schließlich auf drastischste Weise dieser Wie- liebt Nina, Nina verliebt sich in Trigorin – und scheitert an dieser Liebe. derholung aus »aufraffen und scheitern«, »aufraffen und scheitern«, … Überhaupt ist das Scheitern vielleicht sogar das zentralste Thema in diesem 1896 uraufgeführten Theaterstück des damals schon berühmten Autors. Komödie, Tragödie oder Zwischenfal? Denn trotz seines Erfolgs als Prosadichter war Tschechow das Scheitern Bei Tschechow liegt die Komödie in den Details. Auch DIE MÖWE ist in der Kunst nicht fremd. Bei Presse und Publikum fiel eines seiner ersten geprägt von einem subtilen, tragisch-komischen Humor, der aus den Theaterstücke, DER WALDSCHRAT, durch und auch nach der Uraufführung liebevoll beobachteten Eigenheiten der Figuren entsteht: Konstantins von DIE MÖWE in St. Petersburg waren die Kritiken harsch: Als »primitiv, Mutter, die Schauspielerin Arkadina bspw. ist eine eitle, geizige Person, hässlich und unsinnig« wurde Tschechows Drama böse verrissen. die nur Desinteresse und sogar Verachtung für die schriftstellerischen Versuche ihres Sohnes aufbringen kann; aber sie ist auch verletzlich und Woher diese Ablehnung? sensibel und bereut ihre Beleidigungen gegenüber Konstantin in der Regel Sicher hing sie zum Teil mit der Erwartungshaltung des Publikums zu- sobald sie sie ausgesprochen hat. Da es jedoch nie zu einer wirklichen sammen, dem eine »Komödie« angekündigt worden war. Doch mit der Aussprache zwischen Mutter und Sohn kommt, verfliegt die Reue und der klassischen Komödientradition brach Tschechow in seinen Stücken radi- Streit beginnt von Neuem. Zwischen anderen Figuren brechen Konflikte kal: Keine lustigen Verwechslungen, keine Aufhebung der Standesunter- erst gar nicht in Streit aus, weil sie einander nicht zuhören oder ihre Ge- schiede zwischen Herr- und Dienerschaft, keine pointierten Wortgefechte sprächspartner abblitzen lassen und einfach das Thema wechseln. Häufig oder Intrigen um die Handlung voranzutreiben. Auch mit der üblichen liegt die Komik im Stück auch darin, dass Momente höchster Anspannung Form des Fünfakters, in welchem sich die Handlung bis zum retardie- unterbrochen werden von scheinbar nebensächlichen, banalen Gesprä- renden Moment steigert um dann doch glücklich aufgelöst zu werden, chen und Bemerkungen. Somit lässt Tschechow seine Figuren nicht nur bricht Tschechow. Und selbst das Bild des lustigen Reigens, in welchem (tragisch) an ihren Lebensträumen scheitern, sondern auch (komisch) an eine Figur in eine andere verliebt ist, die wiederum eine dritte Figur liebt, den einfachsten Konversationen. Und wie bereits einer der berühmtesten nutzt Tschechow nur als Schwungrad um Konflikte in Gang zu setzen, die Humorist Deutschlands, Vicco von Bülow, gesagt haben soll: »Alles, was sich doch nicht auflösen. Medwedenko heiratet Mascha obwohl er weiß, scheitert, ist komisch«. dass sie ihn nicht liebt. Mascha hofft darauf, mit »neuem Ärger« (wie Cornelia von Schwerin 6 7
DIE MÖWE Birte Leest, Julian Karl Kluge NOTIZ ZUM STÜCK VON REGISSEUR FRANK BEHNKE Zwei Paare stehen in diesem Stück, das auch ein Gesellschaftspanorama abbildet, im Fokus: Arkadina und Trigorin sowie Nina und Konstantin. Sie sind wie zwei Aggregatzustände des Lebens: Das erfolgreiche und etablierte Künstlerpaar, Schauspielerin und Autor und die beiden aufstre- benden Jungen, die von einer neuen Kunst träumen und für das Theater brennen – oder schlicht zwei Generationen. Mutter-Sohn-Konflikt Arkadina, Konstantins Mutter, ist dabei das »Zentralgestirn« dieser Sommergesellschaft, zugleich Anziehungspunkt und Reibungsfläche, egomanisches Monster und für die Zeit bewundernswert moderne Frau. Ihr Name spricht Bände, sie lebt in ihrem eigenen Arkadien. (Schau- platz glückseligen, idyllischen Landlebens.) Der Konflikt mit ihrem Sohn Konstantin ist vorprogrammiert. Konstantin will sie aus diesem Reich vertreiben. Sein Stück im Stück, sein Traumtheater, das im ersten Akt auf einer provisorischen Bühne im Park aufgeführt wird und in dem Nina die einzige Rolle spielt, ist ein Frontalangriff auf seine Mutter. Es soll eine radikale Abrechnung mit einer Künstlergeneration und einer Gesellschaft sein, die sich mit dem Leben als einem Provisorium abge- funden hat. In seinem Aufbegehren wird Konstantin zur revolutionären Figur. Ein junger russischer Hamlet, der anklagt und entlarvt, was im »Staate Arkadien« faul ist. Nimmt man sein Theaterstück ernst, was nicht ganz leicht ist, dann zeichnet er darin das dystopische Zerrbild der Welt, wie er sie wahrnimmt. Er entwirft die apokalyptische Kulisse von einer seelenlosen Welt, einer Zombiegesellschaft ohne Zukunft. Darin 8
DIE MÖWE DIE MÖWE steckt aber auch eine ebenso große Hybris, die vielleicht nötig ist, um Revolutionär. Nina und Konstantin ergänzen dieses Arsenal von Figuren. seine Mutter und ein für ihn altmodisches und überkommenes Theater in Sie waren so faszinierend durch ihr Suche nach etwas Neuem, durch Frage zu stellen. Selbst Shakespeare und Julius Caesar werden ihm da zur ihr Aufbegehren, ihre Kraft, ihre Radikalität, ihre Not aus der sie die Referenz und Julian Kluge, der Darsteller des Konstantin und in unserem bestehenden Ordnungen in Frage gestellt und aus den Angeln gehoben Fall auch der tatsächliche Regisseur des Stückes im Stück, verweist dazu haben. Kunst braucht immer wieder diese Radikalität, braucht die Kraft noch auf Joseph Beuys und sein legendäres Kaninchen. Das Stück geht im aufzubegehren ebenso wie den Mut zum Scheitern. Gelächter der Gesellschaft unter und Konstantins Kränkung beherrscht den ganzen weiteren Verlauf der Handlung. Die Möwe – Titel und Symbol Das »Megazeichen« und Symbol für Tschechows Stück ist die titelgeben- de Möwe. Ein Symbol der Freiheit oder anders gesagt, ein Zeichen für die Sehnsucht des Menschen nach Freiheit. Das Moskauer Künstlertheater, dort wo dieses Stück zwei Jahre nach seiner Uraufführung einen ersten »Es gibt offensichtlich Leute, großen Erfolg feierte, trägt die Möwe noch heute als Erkennungszeichen. Nina bezeichnet sich als Möwe, die es immer wieder an den See zieht, die verlässt das Glück nie.« wo das Gut steht, auf dem Konstantin lebt. Konstantin schießt die Möwe und legt sie Nina zu Füßen. Trigorin notiert sich diese Geschichte für eine Irina in DIE MÖWE spätere Erzählung. Am Ende steht diese Möwe ausgestopft in Konstantins Zimmer. Die ausgestopfte Möwe ist das Bild für eine Gesellschaft, die äußerlich noch lebensecht wirkt, aber innerlich tot ist. Das ist das innere Schreckensbild von Konstantin. Sein Tod ist die Flucht vor diesem stillen Sterben mitten im Leben. Ich kann mir kein anderes Stück vorstellen, das besser auch für mich persönlich als Regisseur meine Arbeit als Schauspieldirektor hier in Münster abschließt. Es waren extrem viele junge Held*innen, die ich – angefangen bei Schillers RÄUBERN – immer wieder beleuchtet habe. »Hamlet«, »Fiesco«, Horváths »Karoline«, die jungen Liebenden bei Tennessee Williams und nicht zuletzt »Platonow«, ein früh gealterter 10 11
Joachim Foerster, Marlene Goksch
DIE MÖWE Rose Lohmann, Christoph Rinke PETER BROOK ÜBER TSCHECHOW Er hat oft gesagt, seine Stücke seien Komödien. Der dramatische Ton, die vom Regisseur auferlegte Langsamkeit waren ihm zuwider. Tschechow ist ein genauer Beobachter der »Comédie humaine«. Er ist Arzt, kennt die Bedeutung der Verhaltensweisen und weiß das Wesentliche darin zu erkennen, er legt die diagnostischen Elemente dar. Er zeigt Zärtlich- keit, aufmerksames Mitfühlen, doch keinerlei Sentimentalität. Kann man sich einen Arzt vorstellen, der ob der Leiden seiner Patienten in Tränen ausbricht? Das wäre eher ungeschickt. Andererseits kann man sich aber vorstellen, dass er, selbst als Liebender, besser als andere die Schwächen, die Zeichen des Unwohlseins der geliebten Person erkennt, dass er nicht erschrickt, nicht unwillig wird, darüber zu lächeln. Es gibt bei Tschechow eine ständige Präsenz des Todes – er kennt dessen Verlauf [angesichts seiner tödlichen Erkrankung an Tuberkulose, Anm. d. Red.] allzu gut –, aber ohne etwas Negatives oder Ungesundes, wie man es bei den grotesken Karnevalen gewisser flämischer Meister feststellt. Dieses Bewusstsein findet sein Gegengewicht im Wunsch zu leben. Seine Figuren haben den Sinn für den Augenblick, das Bedürfnis, ihn voll auszukosten. Wie in den großen Dramen findet man bei ihm ein perfektes Gleichgewicht zwischen Tod und Leben. Er ist jung gestorben, nachdem er viel gereist ist, viel geschrieben, geliebt hat, nachdem er an Plänen zur Verbesserung der Gesellschaft mitgewirkt hat. Er ist ge- storben, kurz nachdem er Champagner verlangt hat, und sein Sarg ist in einem Eisenbahnwagon mit der Aufschrift »Frische Austern« trans- portiert worden. […] Dieses Bewusstsein des Todes und der kostbaren Augenblicke des Lebens verleihen ihm den Sinn für das Relative, das heißt eine Distanz, die ausreicht, um die komische Seite der Dramen nie aus den Augen zu verlieren. 14
DIE MÖWE Textnachweise Der Texte von Frank Behnke und Cornelia von Schwerin sind Originalbeitrage für dieses Programmheft. · Peter Brook in: Peter Urban (Hrsg.): Über Čechov. Diogenes Verlag, Zürich 1988. IMPRESSUM Programmheft DIE MÖWE THEATER MÜNSTER, SPIELZEIT 2020/21 Generalintendant: Dr. Ulrich Peters Verwaltungsdirektorin: Rita Feldmann Redaktion & Layout: Cornelia von Schwerin Fotos 2. Hauptprobe: Oliver Berg Druck: Druckhaus Tecklenborg, Steinfurt Titel: Marlene Goksch
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