Die Wahlbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit familiärer Migrationsgeschichte. Möglichkeiten und Grenzen der Förderung
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Die Wahlbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit familiärer Migrationsgeschichte. Möglichkeiten und Grenzen der Förderung Expertise im Rahmen des Projekts „Wissenschaftstransfer zur Unterstützung der Wahlbeteiligung Deutscher mit türkischer Einwanderungsgeschichte“ Achim Goerres Sabrina J. Mayer Jonas Elis Essen, September 2022 Gefördert durch: 1
Inhaltsverzeichnis Vorwort....................................................................................................................................................... 4 Executive Summary.................................................................................................................................... 5 Warum das Thema Wahlbeteiligung von Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte wichtig ist......................................................................................................... 6 Warum es Nicht-Wähler*innen gibt und warum Menschen mit Einwanderungsgeschichte häufiger Nicht-Wähler*innen sind............................................................................................................... 7 Möglichkeiten und Grenzen für die Erhöhung der Wahlbeteiligung bei Menschen mit Migrationsgeschichte......................................................................................................................... 11 Potenziale für zukünftige Forschung ........................................................................................................ 16 Literaturverzeichnis.................................................................................................................................. 19 Autor*innen.............................................................................................................................................. 23 2 Die Wahlbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit familiärer Migrationsgeschichte Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung 3
Vorwort Die Landeszentrale wird die Empfehlungen diskutie- Executive Summary Jungwähler*innen und kürzlich eingebürgerte, ältere ren und in ihr Aufgabenspektrum für das Jahr 2023 Wähler*innen) mit gezielten Strategien zur Wahl aufnehmen. zu motivieren, um die Herausbildung von Wahl-Ge- Demokratie lebt vom politischen Bewusstsein und Die Bundestagswahl 2021 brachte einen neuen wohnheiten zu fördern. Da die Mobilisierungsanreize politischen Handeln aller Bürgerinnen und Bürger. Da- Die Expertise ist Teil des Projekts „Wissenschafts- Rekordwert: 13 Prozent der Wahlberechtigten waren im Elternhaus bei Personen mit Migrationsgeschich- bei ist die politische Partizipation ein fundamentaler transfer zur Unterstützung der Wahlbeteiligung von Eingewanderte mit deutscher Staatsangehörigkeit te in der Tendenz geringer sind als bei Personen Bestandteil demokratischer Prozesse und dient der Bürgerinnen und Bürgern mit türkischer Einwan- und ihre Kinder; 2017 waren es noch 10 Prozent ohne, hat die Politische Bildung in den weiterführen- Legitimation politischer Herrschaft. Bürgerinnen und derungsgeschichte und zur Sensibilisierung von gewesen. Ungeachtet der starken Wachstumsraten den Schulen die wichtige Funktion, diesen Ungleich- Bürger, die am politischen System aktiv mitwirken Parteien, Mandatsträger*innen und Kandidat*innen liegt bei dieser Gruppe die Wahlbeteiligung erheblich heiten bestmöglich zu begegnen. und es mitgestalten, kontrollieren und beeinflussen bei der politischen Kommunikation in Nordrhein- niedriger als bei der Mehrheitsbevölkerung. Dieser Entscheidungsprozesse und stärken ihre Akzeptanz. Westfalen“, welches von uns gefördert wird. Ziel Unterschied ist problematisch, da er die demokrati- Ansatzpunkte für weitere Maßnahmen und For- 13 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland sind des Projektes ist es, Erkenntnisse zur stärkeren sche Repräsentation der Interessen dieser geringer schungsarbeiten bestehen im systematischen eingebürgerte Menschen aus Einwandererfamilien. Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern aus beteiligten Gruppe erschwert und ihre gefühlte politi- Ausloten der Potentiale der persönlichen Ansprache Für diese Bürgerinnen und Bürger gilt zusätzlich, Einwandererfamilien zusammenzutragen und der sche Zugehörigkeit gefährden kann. über mehrsprachige Kontaktmaterialen, der Verein- dass ihre politische Beteiligung einhergeht mit einer Landesregierung sowie den politischen Akteuren fachung der Briefwahl, die seltener von Menschen hohen Identifikation mit Deutschland und mit unserer zur Verfügung zu stellen. Das Projekt widmet sich Die Gründe, warum sich Menschen mit Migra- mit Migrationsgeschichte in Anspruch genommen Demokratie. Ihre Beteiligung bedeutet auch, dass sie ganz konkret der großen Gruppe der türkeistäm- tionsgeschichte seltener an Wahlen beteiligen, wird, sowie der Nutzung von Layoutmöglichkeiten sich als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger migen Eingewanderten in Nordrhein-Westfalen. Es sind vielfältig und können sowohl im Bereich der zur Unterscheidung der Wahlunterlagen von anderen und damit als Teil dieses Landes fühlen. ist geprägt von der Erkenntnis, dass die Teilnahme fehlenden Ressourcen, in fehlendem Wissen und Behördenunterlagen und der besseren Registrierung. an Wahlen nicht zuletzt von den Angeboten und in fehlenden politischen Bindungen als auch in der Erfreulich ist, dass laut Gutachten des Sachverstän- der Kommunikation der deutschen Parteien, den fehlenden Mobilisierung verortet werden. Ihre he- digenrats deutscher Stiftungen für Migration und Mandatsträgern und Kandidaten abhängt. terogenen Lebensrealitäten, die teilweise seltener Integration aus dem Jahr 2020 Einwanderinnen und von Parteien angesprochen werden, verstärken die Einwanderer insbesondere der zweiten Generation in Von nun an soll der Transfer der vorliegenden Beteiligungsdifferenz zusätzlich. wachsendem Maße in Politik und Gesellschaft aktiv Forschungsbefunde an politische Akteure in Nord- und sichtbar sind. Im Verhältnis zur Gesamtbevöl- rhein-Westfalen erfolgen, um diese Akteure für die In der politischen Diskussion gibt es viele unter- kerung bringen sie sich jedoch in geringerem Maße Bedarfe der Zielgruppe zu sensibilisieren und Mög- schiedliche Ideen, wie man diese Gruppe erreichen politisch und bürgerschaftlich ein. Laut Auffassung lichkeiten der Ansprache auf Basis der Forschungs- und in höherem Maß in den politischen Prozess des Sachverständigenrats ist eine Mobilisierung ergebnisse gemeinsam zu erörtern. einbinden kann. Die wenigsten dieser Vorschläge ba- dieser Menschen jedoch grundsätzlich möglich. sieren jedoch auf systematischen Untersuchungen, Ich freue mich auf die Ergebnisse des laufenden da die Datenlage vielfach schlecht ist. Zudem sind Auftrag politischer Bildung ist es, allen Menschen Projektes und wünsche den Projektbeteiligten er- manche Einflussfaktoren nur schwer änderbar, wie den Zugang zum politischen System zu ermög- kenntnisreiche Diskussionen. beispielsweise das Ausmaß der formalen Bildung lichen und damit ihre politische Einflussnahme zu oder die Höhe der Einbürgerungsquoten. In unserer stärken. Mit dem ersten Demokratiebericht zur Lage Expertise zeigen wir die Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildung in Nordrhein-Westfalen aus dem von oft diskutierten Ideen auf, identifizieren weitere Jahre 2021 liegen der Landesregierung umfassende Potenziale für zukünftige Forschungsarbeiten und Informationen zur politischen und demokratischen weisen auf Möglichkeiten hin, bereits jetzt pragmati- Lebenswelt der nordrhein-westfälischen Bevölkerung sche Maßnahmen zu ergreifen. vor. Fundierte Erkenntnisse zur Wahlbeteiligung von Eingebürgerten liefert nunmehr die vorliegende Ex- Bestimmte Faktoren, deren Wirksamkeit in der öf- pertise aus dem Institut für Politikwissenschaft der fentlichen Diskussion immer als gegeben angenom- Universität Duisburg-Essen. Sie beinhaltet konkrete men wird, haben keinen nachweisbaren Einfluss: So Ansatzpunkte zur Verbesserung politischer Teilhabe erhöhen Kandidat*innen für die zu wählenden Parla- von Menschen aus Einwandererfamilien und zur mente aus den gleichen Herkunftsgruppen nicht die konkreten Steigerung ihrer Wahlbeteiligung. Gefor- Wahlbeteiligung. Auch der direkte Einfluss von nicht- dert werden u.a. eine gezielte Strategie zur Wahl- parteipolitischen Organisationen, wie religiöse oder motivation wie z.B. die Erstellung von Materialien in Sportvereine, in denen relativ viele Eingewanderte unterschiedlichen Sprachen und Projekte zur Heraus- Dr. Guido Hitze und ihre direkten Nachkommen organisiert sind, ist bildung von Wahl-Gewohnheiten bei Erstwählerinnen Leiter der Landeszentrale für politische Bildung für die Wahlbeteiligung nur von nachrangiger Bedeu- und Erstwählern. Nordrhein-Westfalen tung. Sinnvoller ist es, Erstwähler*innen (gleichsam 4 Die Wahlbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit familiärer Migrationsgeschichte Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung 5
Warum das Thema Wahlbe- menhalt vor allem in Krisensituationen gefährden Warum es Nicht-Wähler* mit steigendem Lebensalter zunehmen (Goerres (Gallego 2010; Schäfer et al. 2016). 2007). Zusätzlich sind auch die sogenannten „Civic teiligung von Menschen mit innen gibt und warum Skills“ wichtig, kommunikative und organisatori- familiärer Einwanderungs- Erkennbar ist dieser Unterschied in Wahlbeteili- Menschen mit Einwande- sche Fähigkeiten, die durch die aktive Teilnahme gungsquoten nicht nur bei Bundestagswahlen. in staatlichen (z.B. in der Schule als Klassenspre- geschichte wichtig ist1 Er zeigte sich für Türkeistämmige und Russland- rungsgeschichte häufiger cher*in) oder anderen Organisationen (z.B. im deutsche zuletzt auch bei der Landtagswahl 2017 Nicht-Wähler*innen sind Arbeitskontext als Teil des Betriebsrats) erworben In westeuropäischen Demokratien, so auch in in NRW. Während bisher bestehende Muster von werden (Brady et al. 1995). Das politische Wissen Deutschland, haben mehr und mehr Bürger*innen Parteipräferenzen in diesen Gruppen abnehmen, ist diesen Ressourcen etwas nachgelagert und einen familiären Migrationshintergrund, das heißt haben Beteiligungslücken von etwa 15 bis 20 Pro- Für eine Analyse der Gründe, warum besonders Per- dient als Mediator zwischen Ressourcen, insbeson- sie sind selbst eingewandert oder sind Nachkom- zentpunkten über Zeit und Generationen hinweg sonen mit Migrationsgeschichte seltener zur Wahl dere formaler Bildung, und Wahlbeteiligung (Burden men von Eingewanderten. Bei der letzten Bundes- Bestand (Wüst 2004; Mayer et al. 2021). gehen, und der Stellschrauben, diesen Umstand in 2009): Mit steigendem Lebensalter, Einkommen tagswahl waren dabei in Deutschland sowohl die absehbarer Zukunft zu verbessern, ist es notwen- und Bildung, aber auch zunehmenden „Civic Skills“, Zahl als auch der Anteil dieser Personen an der Als Erstes geben wir einen Überblick über die all- dig, grundsätzliche theoretische Zusammenhänge sinken daher die Informationskosten und es steigen Gesamtgruppe der Wahlberechtigten so hoch wie gemeinen Befunde zur Wahlbeteiligung und über der Wahlteilnahme zu verstehen. Das Thema indivi- das politische Wissen und somit die Partizipations- noch nie. Eingewanderte und ihre Kinder machten spezifische Erklärungen, die die höhere Wahr- duelle Wahlbeteiligung ist unmfänglich erforscht: In wahrscheinlichkeit (Verba et al. 1995). In der Immi- bei der Wahl 2021 mit 7,9 Millionen etwa 13 Prozent scheinlichkeit der Nicht-Wahl unter Bürger*innen einer Überblicksstudie identifizieren Smets und van grant German Election Study II (IMGES II) von 2021 aller Wahlberechtigten aus (Statistisches Bundes- mit Migrationsgeschichte in den Fokus nehmen. Ham (2013) mehr als 170 verschiedene erklärende konnten wir beobachten, dass politisches Wissen amt, Destatis 01.10.2021). Obwohl der Anteil und Danach beschreiben wir gesicherte Befunde für Variablen in den Top-Veröffentlichungen der Jahre bei Menschen ohne Migrationshintergrund im damit die Bedeutung der Gruppe stetig steigt, zeigt Faktoren, die politische Akteure gezielt nutzen 2000-2010. Für einen besseren Überblick ist es da- Schnitt vor und nach der Wahl stärker ausgeprägt sich in fast allen Ländern eine immigrant participa- können, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen so- her notwendig, die möglichen Erklärungsfaktoren in war als in anderen Herkunftsgruppen (Goerres et tion gap, d.h. die Wahlbeteiligung in dieser Gruppe wie Faktoren, die häufig als wirksam angesehen einem größeren theoretischen Rahmen zu verorten. al. 2022). Ebenso stieg es aber unter allen Gruppen liegt – zum Teil deutlich – niedriger als bei der werden, aber keine wissenschaftliche Fundierung Dafür greifen wir auf die Arbeiten von Brady et al. im Zeitverlauf ähnlich stark an.3 Studien aus den Mehrheitsbevölkerung. haben. Wir schließen mit weiteren Ansatzpunkten, (1995) zurück, die die bisherigen Ansätze, warum USA konnten zeigen, dass die Ressourcenausstat- zu denen wir aufgrund unserer Expertise erwarten sich Bürger*innen nicht politisch beteiligen, im Ci- tung die politische Involvierung von Eingewander- würden, dass noch weiteres Erhöhungspotenzial vic Voluntarism Model in einer dreigeteilten Klassi- ten positiv beeinflusst (DeSipio 1996; Leighley und Ein neuer Höchststand: 13 Prozent der Wahl- vorhanden ist, für die aber noch keine gesicherten fikation verorten: Bürger*innen beteiligen sich nicht Nagler 1992; Verba et al. 1995; Verba und Nie 1972). berechtigten bei der Bundestagswahl 2021 Forschungserkenntnisse vorliegen. „because they can‘t; because they don‘t want to; or Auch in europäischen Demokratien konnte die waren Eingewanderte oder ihre direkten Nach- because nobody asked.”2 Bedeutung der Ressourcenausstattung für die Be- kommen. teiligung auf verschiedenen Ebenen nachgewiesen Der erste Strang bezieht sich dabei auf das Res- werden (Blohm und Diehl 2001; Bevelander 2015; Trotz starker Wachstumsraten liegt bei dieser sourcenmodell, das eine Erweiterung des sozio- Wüst 2004; Heath et al. 2013). Gruppe die Wahlbeteiligung niedriger als bei der ökonomischen Modells darstellt (Verba und Nie Mehrheitsbevölkerung. 1972). Es besagt, dass die individuelle Ausstattung Neben den Ressourcen, die für alle Bürger*innen mit partizipationsrelevanten Ressourcen über relevant sind, finden wir weitere Ressourcen, die die grundlegende Fähigkeit der Bürger*innen zur für Eingewanderte und ihre Nachkommen spezi- Solch eine Beteiligungslücke zwischen Wähler*innen politischen Teilhabe entscheidet (Schlozman et al. fisch sind. In der Vergangenheit wurden vor allem mit und ohne Migrationshintergrund ist bedenklich, 1994). Diese Ressourcen steigern das politische die Kenntnisse in der Sprache des Aufnahmelands da diese ungleiche Beteiligung sich auf Dauer selbst Interesse und Wissen eines Individuums und er- und die Länge des Aufenthalts berücksichtigt. Mit verstärken kann: Eine geringere Wahlbeteiligung von höhen so die Partizipationsbereitschaft. Zentrale steigenden Sprachkenntnissen steigt die politische Menschen mit Migrationshintergrund kann dazu Faktoren sind hierbei das Einkommen und der Bil- Partizipationsbereitschaft, da Sprachkenntnisse führen, dass Regierungen und Gesetzgeber weni- dungsstand, da sie die verfügbare Zeit wie auch die wichtig sind, um Informationen über das politische ger Anreizen ausgesetzt sind, die Anliegen dieser kognitive Kapazität für eine mögliche Beteiligung System und seine Akteure finden und verstehen zu Menschen zu berücksichtigen. Die unzureichende positiv beeinflussen (Brady et al. 1995). Auch das können. 2017 hatten etwa 1,5 Prozent der wahlbe- Repräsentanz über Wahlen kann die Legitimität der Lebensalter hängt positiv mit der politischen Par- rechtigten türkeistämmigen Deutschen und etwa Ergebnisse demokratischer Verfahren beeinflussen tizipation zusammen, da angenommen wird, dass 4 Prozent der Russlanddeutschen nach Interview- und könnte auf Dauer den gesellschaftlichen Zusam- politisch relevante Fähigkeiten und Wissensstände ereinschätzung schlechte deutsche Sprachkennt- 1 Wir danken Dirk Halm und Josra Riecke für Feedback zu früheren Versionen. Prof. Dr. Dennis Spies von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf war unser Mitstreiter in der Erarbeitung vieler der hier berichteten Forschungsergebnisse. Er verstarb am 19. Juni 2021 im Alter von 40 Jahren; 2 Diese Dreiteilung ist vor allem analytisch, da einige Faktoren, wie beispielsweise die Gewerkschaftsmitgliedschaft, sowohl dem Ressourcen- als ihm gilt unser tiefster Dank. Für diese Expertise brachten wichtige Befunde die Immigrant German Election Study I (2017-20) zur Bundestagswahl auch dem Mobilisierungsmodell zugerechnet werden können; siehe auch Smets und van Ham (2013). 2017 in ganz Deutschland für Türkeistämmige und Russlanddeutsche und die Immigrant German Election Study II (2021-24) für den Bundestags- 3 So wurde beispielsweise nach der Parteizugehörigkeit von Politiker*innen (Alice Weidel, Dietmar Bartsch, Christian Lindner) gefragt sowie nach wahlkampf in Duisburg unter Türkeistämmigen, Russlanddeutschen, Deutschen mit einem anderen Migrationshintergrund und Deutschen ohne dem Wahlmodus des/der Bundeskanzler*in. Migrationshintergrund (für eine grundsätzliche Beschreibung der Studien siehe Goerres et al. 2018; Goerres et al. 2022). 6 Die Wahlbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit familiärer Migrationsgeschichte Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung 7
nisse. Auch im Vereinigten Königreich und den USA führen kann, dass Bürger*innen auch dann wählen schaft haben, ihre begrenzte Zeit und Ressourcen Das mobilisierende Potential von ethnischen lässt sich ein positiver Zusammenhang zwischen gehen, wenn die Kosten den Nutzen übersteigen, für die politische Partizipation einzusetzen. Andere Organisationen wird zusätzlich häufig zur Analyse besseren Sprachkenntnissen und politischer weil sie es für eine Bürgerpflicht halten, regelmäßig Studien zeigen jedoch, dass Diskriminierung die der politischen Partizipation von Immigrant*innen Partizipation bei Eingewanderten nachweisen (Cho an Wahlen teilzunehmen (Blais und Achen 2018). politische Partizipation fördern kann, indem sie betrachtet (z. B. Jacobs und Tillie 2004). Untersu- 1999; Heath et al. 2013). Darüber hinaus trägt die Das Wahlpflichtgefühl hängt wiederum positiv mit Gefühle der gemeinsamen Identität, eines gemein- chungen zum Einfluss ethnischer Netzwerke aus Länge des Aufenthalts im Aufnahmeland genau der formalen Bildung zusammen und wird durch samen Schicksals (linked fate) hervorruft oder ver- verschiedenen Ländern zeigen uneinheitliche Er- wie Alter und Bildung als wichtige Ressource zur eine regelmäßige Teilnahme an Wahlen verstärkt stärkt, was wiederum Personen mobilisiert, sich für gebnisse (Berger et al. 2004; Vermeulen und Berger politischen Partizipation bei. Analog zum Zusam- (Johann et al. 2020). Zuletzt fallen unter die psy- diese Gruppe politisch einzusetzen (Sanchez 2006; 2008). Es scheint, als ob vor allem Bridging Capital, menhang mit dem Lebensalter wird auch bei der chologischen Gründe politische Einstellungen und Stokes 2003; Verba et al. 1978). Unsere eigenen also die Mitgliedschaft in Organisationen mit Mit- Länge des Aufenthalts im Aufnahmeland ange- Überzeugungen (z.B. Campbell et al. 1960): Wenn Untersuchungen geben jedoch Anhaltspunkte für gliedern der Mehrheitsbevölkerung, einen positiven nommen, dass mit steigender Aufenthaltsdauer Bürger*innen das Gefühl haben, dass sie in der einen geringen Einfluss dieses Erklärungsfaktors Einfluss auf die Partizipation hat, da es Netzwerke das politisch relevante Wissen zunimmt (Just und Lage sind, das politische System zu verstehen und (Mayer et al. 2021), da der Einfluss der Diskriminie- von Eingewanderten mit Netzwerken der Mehr- Anderson 2013; Heath et al. 2013; Leal et al. 2008; dieses auf ihre Bedürfnisse eingeht (interne und rung im Wesentlichen über andere Variablen, wie heitsbevölkerung verbindet und daher neue Res- Shaw et al. 2000). externe politische Wirksamkeit) oder eine Partei beispielsweise die Zufriedenheit mit dem politi- sourcen für Personen mit Migrationsgeschichte haben, der sie nahestehen und die sie unterstüt- schen System und das Empfinden der eigenen poli- bereitstellt. Mitgliedschaften in ethnischen Netz- Neben den Ressourcen gibt es weitere Erklärungs- zen (Parteibindung), dann werden sie sich eher an tischen Einflussmöglichkeit, wirkt und somit keinen werken ohne Beteiligung der Mehrheitsgesellschaft faktoren. Ein zweiter Strang von Erklärungen um- Wahlen beteiligen (Bolzendahl und Coffé 2010). eigenständigen unmittelbaren Effekt hat. (Bonding Capital) wirken sich hingegen negativ auf fasst psychologische Gründe, warum sich Bür- Bisherige Studien zum Einfluss von politischen die Partizipation aus (Berger et al. 2004; Diehl und ger*innen nicht beteiligen wollen. Hierunter können Einstellungen und Überzeugungen bei Personen Schlussendlich gibt es noch einen dritten Strang Blohm 2001). Unsere eigenen Ergebnisse zeigen, zum einen Kosten-Nutzen-Abwägungen verortet mit Migrationshintergrund zeigen, dass beispiels- an Erklärungen, die sich auf die Idee „keiner hat dass der Einfluss von Organisationsmitgliedschaf- werden, denen zufolge Bürger*innen nicht an Wah- weise das Gefühl der politischen Wirksamkeit, das gefragt“ beziehen. Das sogenannte Mobilisierungs- ten, egal welcher Art, für die Wahlbeteiligung ver- len teilnehmen, weil aus rationalen Überlegungen Wahlpflichtgefühl und die Bindungen an Parteien modell (Rosenstone und Hansen 1993) besagt, nachlässigbar ist (Mayer et al. 2021). die Kosten des Wahlvorganges für sie den Nutzen geringer ausgeprägt sind als bei der Mehrheits- dass vor allem politische Gespräche mit Partner*in- Zum Schluss gibt es einen starken Effekt der geo- übersteigen. Möglich ist beispielsweise, dass die bevölkerung (Blohm und Diehl 2001; Sanders et al. nen, Freund*innen, Bekannten und Kolleg*innen graphischen Wohnortverteilung bei Bürger*innen Kosten (sowohl finanzieller als auch immaterieller 2014; Wüst 2004). Diese Unterschiede können in oder die direkte Ansprache im Wahlkampf mobili- mit Migrationsgeschichte. Sie wohnen häufiger in Art wie beispielsweise die eingesetzte Zeit) über- unseren eigenen Untersuchungen dann teilweise sierende Wirkung entfalten: Das gilt unter anderem, Stadtteilen mit hohen Anteilen an Ausländer*in- mäßig hoch wahrgenommen werden: An mögli- die unterschiedlichen Wahlbeteiligungsraten erklä- je enger und persönlicher die Bindung zum Gegen- nen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Dadurch chen Kosten fallen beispielsweise wahlspezifische ren (Spies et al. 2020). über ist (Stoker und Jennings 1995). Dabei haben sinkt grundsätzlich bei den Wahlberechtigten die Kosten (z.B. eine Registrierung vor der Wahl oder das Vorhandensein eine*r festen Partner*in oder Wahlbeteiligung (Förster 2018). Da hier generell Beantragung von Briefwahlunterlagen), Informati- Auch für diesen Strang an Erklärungen gibt es auch eine hohe Frequenz an politischen Gesprä- weniger Menschen zur Wahl gehen können und ons- und Entscheidungskosten (z.B. das Sammeln neben Faktoren, die für alle Bürger*innen relevant chen mit Freund*innen einen positiven Einfluss auf der Wahlvorgang eine geringere kollektive Bedeu- von Informationen und deren Verarbeitung) sowie sind, weitere Faktoren, die vor allem für Menschen die Wahlteilnahme, da man über den Austausch mit tung vor Ort hat, entwickeln sich in solchen Lagen die Kosten des Wahlakts selbst an (man muss die mit Migrationsgeschichte von Bedeutung sind. diesen Kontakten fortlaufend daran erinnert wird, schwächere sogenannte situative Wahlnormen, Briefwahlunterlagen ausfüllen und abgeben oder Einer der wichtigsten ist die subjektiv wahrgenom- dass eine Wahl stattfindet, durch den Austausch d.h. lokal akzeptierte Verhaltensvorschriften, dass persönlich ins Wahllokal gehen). mene Diskriminierung im Aufnahmeland. Unter das politische Wissen steigt und man durch die man wählen gehen sollte (Goerres 2010). Ähnliche Diskriminierung verstehen wir eine Unterscheidung Aktivierung sozialer Normen zur eigenständigen Effekte finden sich bei allen Bürger*innen, die in Die Wahrnehmung dieser Kosten kann sich nach auf Basis von Urteilen oder Handlungen zum Vor- Teilnahme motiviert wird (Gerber und Rogers 2009). Gebieten mit höherer sozialer Deprivation leben, die der erstmaligen Wahlbeteiligung und anschließend oder häufiger zum Nachteil einer Person oder von Die Teilnahme an religiösen Zusammenkünften mit einer geringeren lokalen Wahlbeteiligung ein- mit der Zeit ändern und die Beteiligung an Wahl- Gruppen, die auf Eigenschaften wie Geschlecht, ist vor allem ein Indikator für die mobilisierende hergeht (Schäfer 2012). prozessen wird geübt. Die Teilnahme an einer Wahl Sexualität, Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Be- Wirkung von organisierter Religion. Je öfter man hat eine Voraussagekraft darüber, ob Menschen hinderung zurückgeführt wird (Blank et al. 2004). teilnimmt, desto häufiger ist man mobilisierenden Weiterhin gibt es die Vermutung, die bisher für sich an folgenden Wahlen beteiligen (Gerber et Allerdings sind hier die bisherigen Ergebnisse be- Botschaften im Gottesdienst und bei anderen Deutschland nur wenig bestätigt ist, dass politische al. 2003; Dinas 2012) und diese Beteiligung durch züglich möglicher Effekte auf die Wahlbeteiligung Veranstaltungen ausgesetzt und desto häufiger Parteien und Kandidat*innen in manchen Gebieten Habituation zu einer Gewohnheit werden lassen, widersprüchlich. Hinsichtlich der Konsequenzen beteiligt man sich an Wahlen (Solt 2008; Claassen mehr Wahlkampf machen, um ihre Wähler*innen zu die mit sinkenden Kosten einhergeht. Der Nutzen von Diskriminierung weisen manche Studien nach, und Povtak 2010). Bei Bürger*innen mit Migrations- mobilisieren (Roßteutscher und Schäfer 2016). Eine aus der Wahlbeteiligung ist die Abwägung, ob sich dass Diskriminierung bei Eingewanderten und Min- hintergrund wurde für das Vereinigte Königreich solche asymmetrische Mobilisierung könnte vor für die Bürger*innen mit einem Regierungswechsel derheiten zu geringerem Vertrauen in andere Perso- gezeigt, dass die Teilnahme an religiösen Zusam- allem für Bürger*innen mit Migrationshintergrund etwas zum Positiven ändert, also ob beispielsweise nen und in politische Institutionen führt (Brehm und menkünften einen positiven Zusammenhang mit nachteilig sein, wenn sie in geringerem Maße in mehr finanzielle Zahlungen zu erwarten sind oder Rahn 1997; Simon et al. 2013). Diese Ergebnisse der Wahlteilnahme aufweist (z.B. Bevelander 2015). mobilisierten Stadtteilen leben und deswegen weni- andere Präferenzen erfüllt werden. Zudem fällt stützen die These, dass Diskriminierung dazu führt, Ähnliches gilt auch für das Vorhandensein einer ger von Parteien angesprochen werden. Zumindest noch das Wahlpflichtgefühl ins Gewicht, das dazu dass Bürger*innen wenig Interesse und Bereit- Partnerschaft (Gonzélez-Ferrer 2011). die Duisburger IMGES II um die Bundestagswahl 8 Die Wahlbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit familiärer Migrationsgeschichte Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung 9
2021 zeigt aber das Gegenteil: Wahlberechtigte mit Möglichkeiten und Gren- kämen weitere 2.500 Wahlstimmen dazu. Unter be- Migrationshintergrund gaben 2021 in Duisburg stimmten Gruppen wie Erstwähler*innen mit Migra- häufiger an, von Parteien an Wahlkampfständen, zen für die Erhöhung der tionsgeschichte sind noch etwas höhere Effekte zu bei Wahlkampfveranstaltungen oder bei Haus- Wahlbeteiligung bei Men- erwarten. Dabei gilt eine häufige Regelmäßigkeit der türbesuchen angesprochen worden zu sein als Forschung zu Wahlbeteiligung: Je näher die Wahlbe- Wahlberechtigte ohne Migrationshintergrund. schen mit Migrationsge- teiligung an 100 Prozent ist, desto geringer sind die Während lediglich 3 Prozent der Menschen ohne schichte zu erwartenden Effekte, weil 100 Prozent nun einmal Migrationshintergrund überhaupt kontaktiert wur- die Grenze der Möglichkeiten ist. Bei einer knappen den, sind es bei den Türkeistämmigen 10 Prozent. Wahl könnte eine entsprechende Menge von Wahl- Vor dem Hintergrund der Wahlkampfaktivitäten der Bisherige Studien zeigen, dass sich die Erklärungs- stimmen einen Unterschied machen, beispielsweise Bundestagsparteien, welche auf Grundlage von muster für die Wahlbeteiligung zwischen Wäh- bei den Erststimmen. Dennoch halten wir das kon- Medienberichten und Social Media-Inhalten gemes- ler*innen mit und ohne Migrationsgeschichte kaum sequentialistische Argument, mehr Wahlbeteiligung sen wurden, scheint dies durchaus plausibel. Einige unterscheiden (Spies et al. 2020). Grundsätzlich verändere unter Umständen das Wahlergebnis, für Wahlkampagnen, insbesondere der SPD und der sind alle Maßnahmen, die zu einer Erhöhung der nicht besonders stark. Immerhin müssten alle diese Linken, waren stärker auf den Duisburger Norden Wahlbeteiligung führen, auch für Bürger*innen mit zusätzlichen Wahlstimmen auch einen ähnlichen fixiert, in dem viele Türkeistämmige leben. Darüber Migrationsgeschichte sinnvoll. Einige Erklärungs- Wahlinhalt haben, um konzentriert wirken zu können. hinaus gab es Kleinparteien wie beispielsweise das faktoren, wie beispielsweise die formale Bildung, Team Todenhöfer, die verstärkt in der türkeistämmi- sind kurzfristig jedoch kaum zu ändern und werden Wie könnte man nun einen solchen Zuwachs der gen Bevölkerung um Stimmen warben. In Duisburg hier daher nicht weiter verfolgt. Wahlbeteiligung erzielen? Wir diskutieren nun einige wirkte 2021 die asymmetrische Mobilisierung eher Faktoren, die im öffentlichen Diskurs immer wieder zugunsten der Wahlbeteiligung von Wähler*innen Es gibt einige Faktoren, deren Adressierung gera- herangezogen werden, aber sehr unterschiedlich mit Migrationsgeschichte. de bei Bürger*innen mit Migrationsgeschichte in einer empirischen Überprüfung standhalten. Deutschland unseres Erachtens gut geeignet wären, zumindest kurzfristige Erfolge zu generieren. Tabelle 1: Übersicht über Mobilisierungsstrategien Grundsätzlich sind alle Maßnahmen, die zu Null-Faktoren, für deren Wirken es keine Evidenz zur Erhöhung der Wahlbeteiligung gibt einer Erhöhung der Wahlbeteiligung führen, auch für Bürger*innen mit Migrationsge- Kandidat*innen mit dem gleichen Migrationshintergrund schichte sinnvoll. Positiv-Faktoren Zur Erhöhung der absoluten Zahl von Wähler*innen: Dabei liegen realistische Maximalziele bei der Wahlrecht für nicht-deutsche Ausländer*innen Mobilisierung durch kurzfristige Einflussfaktoren, die politische Akteure bedienen können, bei etwa 3 Zur Erhöhung der absoluten Zahl von Wähler*innen: Unterstützung zur Erlangung der deutschen bis 4 Prozentpunkten Zugewinn - das ist der höchste Staatsangehörigkeit Wert, den wir in einer experimentellen Studie mit Unterstützung der Erstwähler*innen einem starken kausalen Design für Bürger*innen mit Migrationsgeschichte in einem vergleichbaren Wahl- Politische Bildung als Ersatz für häusliche Mobilisierung system gefunden haben (siehe Bergh et al. 2020). Mobilisierung durch Organisationen, die keine Realistisch wäre es denkbar, die Wahlbeteiligung Parteien sind unter Bürger*innen mit Migrationsgeschichte, bei- spielweise durch eine lokale Intervention, im Schnitt Noch zu untersuchende Faktoren um 3 bis 4 Prozentpunkte zu erhöhen. Angewendet auf die Stadt Duisburg hätte dies bei der Bundes- Ansprache von Wähler*innen über ihren Migrationshintergrund unter Einsatz weiterer Sprachen und symbolischer Instrumente tagswahl 2021 wie folgt ausgesehen: Nach unseren Schätzungen haben von den 63.000 Wahlberechtig- Mehr und andere Informationen zur Beantragung und Ausfüllung der Briefwahlunterlagen ten mit Migrationsgeschichte etwa 67 Prozent bei der Bundestagswahl gewählt (Goerres et al. 2022). Bessere Optik der Wahlanschreiben und Infobriefe Das entspricht 42.200 Wahlstimmen. Bei einer Er- Unterstützung zur korrekten Registrierung beim höhung um weitere 4 Prozentpunkte auf 71 Prozent Einwohnermeldeamt und in den Wahlverzeichnissen 10 Die Wahlbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit familiärer Migrationsgeschichte Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung 11
Ein Nulleffekt: Kandidat*innen mit demselben genommen (dtj-online 2021). Auch das deutsche jenseits der Faktoren, die zuvor dazu führen, dass Zur Erhöhung der Wahlbeteiligung ist es sehr wichtig, Migrationshintergrund Wahlsystem (proportionales Wahlsystem) könnte jemand die Staatsbürgerschaft erlangt (Hainmuel- aus Erstwähler*innen habituelle Wähler*innen zu Wir beginnen mit einem Faktor, von dem wir auf- diese Heuristik weniger sinnvoll werden lassen als ler et al. 2015). machen. Dabei sind die ersten Wahlerfahrungen be- grund empirischer Forschung keine Evidenz haben, das relative Mehrheitswahlrecht im Vereinigten sonders wichtig, um Wähler*innen auf den habituellen dass er die Wahlbeteiligung direkt beeinflusst (dem Königreich und den Vereinigten Staaten. Denn im Zum anderen wäre auch eine Ausweitung des Wahlpfad zu bringen. Wer früh zur Wahl geht, wird dies aber häufig zugeschrieben wird). Aus einigen letzteren sind Personen grundsätzlich wichtiger Wahlrechts auf nicht-deutsche Staatsbürger*in- dies in der Regel in höherem Maße immer wieder tun. Studien aus dem Vereinigten Königreich und den als Parteien. nen denkbar, ähnlich wie wir es bereits bei Kom- Um Erstwähler*innen zielgerichtet anzusprechen, be- Vereinigten Staaten gibt es Befunde, die zeigen: munalwahlen und Europaparlamentswahlen für steht die Möglichkeit, sie direkt zu erinnern. Bergh et Wenn jemand mit demselben Migrationshinter- Was sehr wahrscheinlich, aber empirisch nur schwer Ausländer*innen aus der Europäischen Union al. (2020) zeigen für norwegische Kommunalwahlen, grund in einem Wahlkreis kandidiert, erhöht das nachzuweisen ist, ist ein positiver Effekt von mehr kennen. Einzelne Kantone der Schweiz haben seit dass relativ einfache Erinnerungsbriefe der Gemeinde die Wahlbeteiligung unter Wähler*innen mit dem- Kandidat*innen mit Migrationsgeschichte und mehr Anfang der 2000er Jahre ein Ausländerwahlrecht für Wähler*innen mit Migrationshintergrund mobi- selben Hintergrund und ihre Wahrscheinlichkeit, für gewählten Mitgliedern der Parlamente mit Migra- auf kommunaler Ebene für Mitbürger*innen, die lisierende Effekte haben. Diese Effekte sind unter diese Person zu stimmen. Für Deutschland lassen tionsgeschichte auf die politische Systemunterstüt- schon lange vor Ort leben. Dabei ist davon auszu- Erstwähler*innen besonders groß; der geschätzte sich die Ergebnisse nicht replizieren. In unseren zung unter Wähler*innen mit Migrationsgeschichte gehen, dass durch ein plötzliches Einführen der Effekt betrug hier eine Steigerung der Wahlbeteiligung eigenen Analysen zur Bundestagswahl 2017 haben (etwas viel Allgemeineres als die Wahlbeteiligung). Wahlberechtigung erst einmal die relative Wahlbe- von 5,8 Prozentpunkten. Eine ähnliche Studie mit wir einmal für Türkeistämmige und einmal für Menschen, die das Gefühl haben, dass es Vertre- teiligungsquote sinken würde, da es etwas dauert, SMS-Nachrichten und Telefonanrufen konnte jedoch Russlanddeutsche geschätzt, ob das Vorhanden- ter*innen der eigenen sozialen Gruppen bis in das bis neue Gruppen in ihre Wahlbeteiligung „hinein- nur leichte Erhöhungen von knapp einem Prozent- sein von Kandidat*innen im eigenen Wahlkreis, die Parlament schaffen können, unterstützen das politi- wachsen“ (Franklin et al. 2004). punkt zeigen (Bergh und Christensen 2022). Auch im die gleiche Herkunft wie die Befragten haben, die sche System eher. In der Repräsentationsforschung amerikanischen Kontext wurde ein kausaler Effekt Wahlbeteiligung erhöht. Dabei fanden wir keiner- sprechen wir von höherer deskriptiver Repräsenta- von 3 Prozent auf die Wahlbeteiligung experimentell lei systematischen Effekt: ob jemand mit dem tion durch die über Namen sichtbare Repräsentation In Deutschland betrug der Anteil von Bürger*in- nachgewiesen (Dale und Strauss 2009). eigenen Migrationshintergrund zur Wahl steht, hat der Mitglieder der eigenen Gruppe – häufig auch nen mit Migrationsgeschichte an den Erstwäh- keinen mobilisierenden Effekt. begleitet von höherer substanzieller Repräsentation ler*innen der Bundestagswahl 2021 ein Drittel. über die Setzung von Migrationsthemen im Parla- Politische Bildung an Schulen kann die Sozia- Zur Erhöhung der Wahlbeteiligung ist es sehr Die Politische Psychologie kennt die Ähnlichkeits- ment (Wüst 2014). Die deskriptive Repräsentation lisation von Schüler*innen mit dem Ziel der wichtig, aus Erstwähler*innen habituelle Wäh- heuristik bei Wahlen (Piliavin 1987; Meng und Da- hat positive Effekte auf den Rückhalt der Wahldemo- politischen Beteiligung stärken. Den in der ler*innen zu machen. vidson 2020). Wähler*innen jeglichen Hintergrunds kratie in den Wähler*innengruppen mit Migrations- Tendenz vorhandenen Nachteilen aufgrund versuchen den komplexen Entscheidungsprozess hintergrund und über gestiegenes Selbstwertgefühl geringerer Aktivierung im Elternhaus kann teil- einer Wahl mit vielen Informationen und Signalen ab- und politische Selbstwirksamkeit dann mittelbar weise durch politische Bildung an den Schulen zukürzen, indem sie für die Person stimmen, bei der auch einen positiven langfristigen Effekt auf die Explizite Mobilisierung von Erstwähler*innen mit begegnet werden. sie die größte Ähnlichkeit mit sich selbst sehen. Da- Wahlbeteiligung. Migrationsgeschichte bei ist es unterschiedlich, welche Art von Ähnlichkeit In Deutschland beträgt der Anteil von Bürger*in- Wähler*innen heranziehen. Wir wissen, dass diese Unterstützung zur Erlangung der deutschen Staats- nen mit Migrationsgeschichte an den Erstwäh- Politische Bildung als Ersatz für häusliche Mobili- Heuristik vor allem bei Wahlen herangezogen wird, angehörigkeit und/oder Ausweitung des Wahlrechts ler*innen ein Drittel. Dieses Drittel besteht zum sierungseffekte bei denen die Wähler*innen weniger informiert sind. auf Nicht-Deutsche einen aus bei der Einbürgerung erwachsenen Bür- Politische Bildung an Schulen kann die Sozialisa- Neben Migrationshintergrund scheinen Geschlecht, Die Wahlbeteiligung ist definiert als die Anzahl der ger*innen, die dann das erste Mal bei deutschen tion von Schüler*innen mit dem Ziel der politischen Alter und regionale Herkunft wichtige Kategorien für Bürger*innen, die tatsächlich gewählt haben, geteilt Wahlen wahlberechtigt sind, und zum anderen Beteiligung stärken. Es ist etwas unklar, welche die Zuschreibung von Ähnlichkeit zu sein. Dass wir durch die Anzahl der wahlberechtigten Bürger*in- aus deutschen Bürger*innen, die volljährig ge- Teilaspekte von Politischer Bildung genau wirken. keinen Effekt bei Bundestagswahlen finden, könnte nen. Wenn man die Wahlbeteiligung von Menschen worden sind. Bei der Bundestagswahl 2021 gab es Neben den Inhalten scheint die Freiheit des Klas- dann mit daran liegen, dass diese Wahl immer noch mit Migrationsgeschichte erhöhen will, gibt es neben insgesamt 2,8 Millionen Erstwähler*innen (siehe sendiskussionsklimas zentral zu sein (Torney- die ist, bei der Wähler*innen im Schnitt am meisten der Möglichkeit, die Anzahl der Wähler*innen zu Bundeswahlleiter 2021). Fast eine Million, also Purta 2002). Wichtig für zukünftige Wähler*innen wissen und sich am befähigtsten fühlen, eine Ent- steigern noch die Strategie, die absolute Anzahl der mehr als ein Drittel, sind selbst Eingewanderte mit Migrationsgeschichte ist der Befund aus sehr scheidung zu treffen. Anekdotisch wissen wir von Bürger*innen zu erhöhen (was gegebenenfalls mit oder ihre direkten Nachkommen.4 Anhand dieser unterschiedlichen Epochen und Ländern, dass türkeistämmigen Politiker*innen des Bundestags, einer verkleinerten relativen Wahlbeteiligung einher- Zahlen zeigt sich, dass gerade unter den Erstwäh- Politische Bildung Ungleichheiten der Elternhäuser dass viele „ihren“ Migrationshintergrund gar nicht gehen kann). Das kann man auf zwei verschiedene ler*innen in den nächsten Jahren in Deutschland in Bezug auf politische Mobilisierung ausgleichen thematisieren oder ihn nur vorübergehend zum Arten tun: Zum einen durch eine aktive Mobilisie- ein großes neues Potenzial zur Mobilisierung von kann (Neundorf et al. 2016; Neundorf und Smets Politikeinstieg nutzen. Ihnen eventuell offenstehen- rung von Menschen mit Migrationsgeschichte, Wähler*innen mit Migrationsgeschichte besteht. 2017). In unserer Studie zu Duisburg haben wir bei de Kommunikationsmöglichkeiten wie die Anspra- deutsche Staatsbürger*innen zu werden. Studien Bürger*innen jeglichen Hintergrunds Fragen nach der che von Wähler*innen in der jeweiligen (weiteren) aus der Schweiz zeigen dabei, dass die Einbürge- Herkunftssprache, beispielsweise auf Türkisch, rung selbst einen eigenen aktivierenden Effekt auf Russisch oder Polnisch, werden jedoch nicht wahr- politisches Interesse und Wahlbeteiligung hat, auch 4 Es handelt sich um Deutsche mit Migrationshintergrund, die 2019 mind. 15 und maximal 19 Jahre alt waren (Eigene Schätzung aufgrund des Mikrozensus 2019, siehe DESTATIS 2019). 12 Die Wahlbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit familiärer Migrationsgeschichte Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung 13
Hauptperson5 im Haushalt gestellt, als die befragte nun die Wahlbeteiligungswahrscheinlichkeit beein- deutschen sind das jeweils weniger als 5 Prozent, Person 16 Jahre alt war. Dabei haben wir erhoben, ob flussen? Studien aus den USA konnten zeigen, dass etwa halb so viele wie in der Gesamtbevölkerung.6 die Hauptperson die deutsche Staatsangehörigkeit zwei unterschiedliche Arten von Unterstützung Die häufigsten nicht-politischen Aktivitäten und hatte, ihren formalen Schulabschluss sowie ihr einge- unabhängig voneinander einen positiven Effekt Mitgliedschaften bei Migrant*innen machen schätztes politisches Interesse. All das sind Teilas- haben: Unterstützung bei formellen Registrierungs- religiöse beziehungsweise kirchliche Gruppen pekte von politischer Sozialisation und Mobilisierung aspekten und Erinnerung an die Wahl (LeRoux und (etwa 14 Prozent) sowie Sportvereine (mehr als 20 im jugendlichen Alter. Krawczyk 2012). Die Kanäle, über die dies erfolgen Prozent) aus. Dabei geht besonders die Aktivität in Sportvereinen auch mit einem größeren politi- schen Interesse einher, während sich Effekte auf Tabelle 2: Eigenschaften der politisch aktivierenden Hauptperson in der Rückerinnerung der Befragten im Alter von 16 Jahren, Duisburg 2021 die Wahlbeteiligung nicht zeigen lassen, was Be- funden aus Dänemark ähnelt (Togeby 2004). Einen positiven, aber nicht besonders starken Effekt auf Deutsche mit politisches Interesse und Wahlbeteiligung zeigte Deutsche ohne Türkeistämmige Russlanddeutsche anderem Migrationshintergrund Deutsche in der Studie von 2017 auch die Kontaktierung Migrationshintergrund durch nicht-politische Organisationen während des Wahlkampfs. Allerdings kamen derartige Deutsche Kontakte bei weniger als 5 Prozent der Befragten Staatsangehörigkeit 96 % 27 % 60 % 49 % überhaupt vor. Schulabschluss Hauptschule oder höher 97 % 60 % 89 % 85 % (sehr) starkes politisches Interesse 25 % 21 % 17 % 27 % All diese Eigenschaften bei Eltern sind positive kann, sind vielfältig: bei religiösen und sozialen Determinanten der späteren Wahlbeteiligung bei Treffen, in der eigenen Nachbarschaft, über die Kindern. Wir sehen klar, dass diese Eigenschaften Ausgabe von mehrsprachigem Infomaterial sowie bei Deutschen mit Migrationshintergrund weit- über Information in sozialen und traditionellen aus weniger stark ausgeprägt sind, lediglich beim Medien (Michelson et al. 2007). Die Erfolgsquoten zugeschriebenen politischen Interesse sind die verschiedener Kanäle unterscheiden sich dabei je Unterschiede nicht groß. Diese Probleme verrin- nach Minderheitengruppe. Zusätzlich hat die Per- gern sich mit der Zeit von mehreren Generationen sonalisierung der Kontakte noch einen Effekt: Je im Aufnahmeland von selbst. Im Moment ist die persönlicher die Kontakte sind, also je näher einem familiäre Aktivierung jedoch schwächer und führt die Personen sind, desto eher können die Organisa- im späteren Alter zu geringeren Partizipationsraten tionen mobilisieren. von Bürger*innen mit Migrationsgeschichte. Diesen familiär eingebetteten Nachteilen kann jedoch, zu- In der IMGES I zur Bundestagswahl 2017 wurde mindest teilweise, durch politische Bildung in den die Aktivität der Befragten in explizit politischen Schulen begegnet werden. Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften sowie in anderen Zusammenhängen wie Sportver- Mobilisierung durch Organisationen, die keine einen, religiösen Gruppen und kulturellen Ver- Parteien sind einigungen erfasst. Zwar geht beides mit einem Nicht-parteipolitische Organisationen, wie religiöse, deutlich höheren politischen Interesse einher, eine kulturelle oder soziale, können die Wahlbeteiligung höhere Wahlbeteiligung zeigt sich jedoch nur bei von Bürger*innen mit Migrationshintergrund er- denjenigen, die in Gewerkschaften oder Parteien höhen. Wie können nicht-politische Organisationen aktiv sind. Unter Türkeistämmigen und Russland- 6 Dies geht auf einen Vergleich von Ergebnissen der IMGES I und der German Longitudinal Election Study (GLES) zurück, deren Erhebungen 2017 5 Die Zielpersonen wurden zufällig nur nach Mutter oder Vater gefragt und bei Fehlen dieser Person dann nach Ersatzpersonen. aufeinander abgestimmt wurden. 14 Die Wahlbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit familiärer Migrationsgeschichte Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung 15
Potenziale für zukünftige strategisch überhaupt sinnvoll ist, Wähler*innen chen mit 50 Prozent der Deutschen ohne Migra- das Logo der Kommune. Möglicherweise reagie- über eine andere Sprache anzusprechen. Parteien tionsgeschichte. Diese Unterschiede sind für die ren Wähler*innen mit Migrationshintergrund an- Forschung haben einen strategischen Anreiz, die Anzahl der Wahlbeteiligung wichtig. Die Briefwahl ist weniger ders auf behördlich aussehende Briefe als andere Wahlstimmen für sich zu maximieren. Deshalb anfällig für kurzfristigen Faktoren wie Erkrankung, Wähler*innen und bewerten diese negativer, oder Die folgenden Vorschläge sind unseres Wis- kann eine Mobilisierung weiterer Wähler*innen Vergessen oder Ablenkung. Deswegen ist es vor- sie delegieren die Bearbeitung an jemanden, der sens nach noch nicht in einem deutschen oder mit Migrationshintergrund beispielsweise durch stellbar, dass eine Popularisierung der Briefwahl dem Thema eine geringe Priorität zumisst. vergleichbaren institutionellen Kontext getestet Adressieren in einer weiteren Sprache wiederum unter Wähler*innen mit Migrationsgeschichte eine worden. andere Wähler*innen potenziell abschrecken. höhere Wahlbeteiligung und insbesondere eine Wahrscheinlich ist hier, dass die Ansprache über Wahlbeteiligung hervorruft, die weniger anfällig für Wähler*innen mit Migrationshintergrund könnten Ansprache von Wähler*innen über ihren Migra- spezifische Herkunftssprachen nur kleine Unter- kurzfristige Störfaktoren ist. möglicherweise anders auf behördlich aussehen- tionshintergrund unter Einsatz weiterer Sprachen gruppen zur Wahl mobilisieren würde. de Briefe reagieren als andere Wähler*innen und und symbolischer Instrumente diese negativer bewerten oder die Bearbeitung an Wir wissen zurzeit nicht, ob Wähler*innen mit Wie man eine solche Info-Kampagne ansprechend Es ist vorstellbar, dass eine Popularisierung der jemand anderes delegieren, der dem Thema eine Migrationsgeschichte grundsätzlich positiv auf die gestalten kann, sieht man bei der Bundeszentrale Briefwahl unter Wähler*innen mit Migrations- geringe Priorität zumisst. Ansprache als Menschen mit familiärer Migra- für politische Bildung. Sie hatte bei der Bundes- geschichte eine höhere Wahlbeteiligung und tionsgeschichte reagieren. tagswahl 2021 zweisprachige Broschüren auf insbesondere eine Wahlbeteiligung hervorruft, die Deutsch-Türkisch, Deutsch-Arabisch und Deutsch- weniger anfällig für kurzfristige Störfaktoren ist. Unterstützung zur korrekten Registrierung Russisch zur Verfügung gestellt und eine Webseite beim Einwohnermeldeamt und in den Wahlver- Wählen ist vermutlich in der Wahrnehmung unter dem Link www.duhastdiewahl.de eingerichtet. zeichnissen vieler die „deutscheste“ Handlung, die mit der Das systematische Testen des Effekts solcher Info- Weiterhin zeigt unsere Studie, dass das Geben und Wahlberechtigte Personen zur Wahlteilnahme deutschen Staatsangehörigkeit verbunden ist. materialien auf Zielgruppen würde Klarheit schaf- Annehmen von Hilfe bei der Bestellung und dem aufzufordern und ihnen diese zu ermöglichen, fen. In einer explorativen Recherche in 16 deut- Ausfüllen der Briefwahlunterlagen bei Wähler*innen ist nur bei einer korrekten Registrierung mög- schen Städten zur Bundestagswahl 2021 (jeweils mit Migrationshintergrund überproportional verbrei- lich. Das funktioniert nur, wenn Personen korrekt die größte Stadt eines Bundeslandes) haben wir tet ist. Dagegen ist nichts einzuwenden, es deutet im Einwohnermelderegister, auf dessen Grund- In unserer eigenen Forschung haben wir beim keine einzige gefunden, auf deren offiziellen Inter- aber auf mögliche Probleme beim administrativen lage das Wählerverzeichnis erstellt wird, erfasst Austesten von Anschreiben gelernt, dass Teilneh- netseiten Informationen zur Wahl in einer anderen Zugang zur Briefwahl hin, die durch bessere Infor- sind. Bei der Erhebung der IMGES II wurden etwa mer*innen an einer Wahlstudie oftmals nicht ihren Sprache als Deutsch aufzufinden waren. Auch mationen abgemildert werden könnten. So haben 20.000 zufällig aus dem Einwohnermelderegister weiteren kulturellen Hintergrund nach vorn gestellt eine Übersetzung weiterer Instrumente wie des von 100 Briefwähler*innen unter den Türkeistäm- der Stadt Duisburg ausgewählte wahlberechtig- sehen wollen. Wählen ist vermutlich in der Wahr- populären Wahl-O-Mats, die in der Vergangenheit migen 11 Hilfe bei der Bestellung von Briefwahl- te Personen postalisch und zum Teil persönlich nehmung vieler die „deutscheste“ Handlung, die bereits erfolgt ist, kann über die symbolische Wir- unterlagen und 13 beim Ausfüllen bekommen. Bei kontaktiert. Dabei zeigten sich zwar insgesamt mit der deutschen Staatsangehörigkeit verbunden kung und über den sprachlich leichteren Zugang Russlanddeutschen und Wähler*innen mit einem geringe, zwischen den untersuchten Herkunfts- ist. Die Verwendung einer anderen Sprache könnte positive Signale senden; aber auch hierzu fehlt anderen Hintergrund stehen die Zahlen bei 24 und gruppen aber zum Teil erhebliche Unterschiede in über zwei unterschiedliche Logiken eine positive bisher noch die systematische Untersuchung. 14 beziehungsweise bei 7 und 3. Unter Deutschen der Richtigkeit der Adressdaten. Während es bei Wirkung entfalten: Erstens ermöglicht sie eine ohne Migrationshintergrund lagen die Vergleichs- Personen ohne Migrationshintergrund (0,04 Pro- einfachere Kommunikation, weil Wähler*innen mit Mehr und andere Informationen zur Beantragung zahlen bei 6 und 2. Somit scheint es hier ein struk- zent) und bei Türkeistämmigen (0,87 Prozent) die schlechten Sprachkenntnissen so besser über die und Ausfüllung der Briefwahlunterlagen turelles Problem zu geben. Unsere Daten zeigen wenigsten falsch registrierten Anschriften gab, Wahl in Deutschland informiert werden können. Die Briefwahl wird in Deutschland seit Jahren auch, dass die Inanspruchnahme von Hilfe bei der waren es bei Russlanddeutschen 1,34 Prozent. In Dabei ist jedoch eine Unbekannte, wie groß der immer populärer. Schon bei der Bundestagswahl Wahl vermehrt bei Wahlberechtigten mit geringerer der Gruppe mit jedem anderen Migrationshinter- Anteil derer ist, die wahlberechtigte deutsche 2017 haben 29 Prozent der Wähler*innen die formaler Bildung auftritt, während Deutschkennt- grund waren sogar 1,56 Prozent der Adressen Staatsbürger*innen oder EU-Ausländer*innen sind Briefwahl genutzt. 2021 waren es bereits auf- nisse keinen Einfluss haben. fehlerhaft (vorläufige Ergebnisse). und nicht ausreichend Deutsch verstehen. 2021 grund der Corona-Pandemie 47 Prozent (Bundes- lag in Duisburg der Anteil der Personen, die nach wahlleiter 2022). Ansprechendere Wahlanschreiben und Infobriefe Interviewereinschätzung schlecht Deutsch spra- Die Wahlbenachrichtigung ist ein offizielles In Duisburg waren nach vorläufigen Schätzungen chen, bei etwa 1,5 % unter allen mit Migrationshin- Unsere Studie zur Bundestagswahl in Duisburg Dokument, bei dem Kommunen normalerweise 2021 bei Deutschen ohne Migrationshintergrund tergrund. Zweitens hat die Nutzung einer anderen (Goerres et al. 2022) weist nach, dass die Brief- wenig Wert darauf legen, wie das Erscheinungs- nur 0,04 Prozent der Adressen im Einwohnermel- Sprache symbolische Bedeutung, weil sich Mit- wahl unter Wähler*innen mit Einwanderungs- bild bei den Empfänger*innen ankommt. Es ist zu deamt fehlerhaft – in Vergleich zu 0,87 Prozent glieder der gleichen Einwanderungsgruppe in ihrer geschichte deutlich geringer verbreitet ist. Nur erwarten, dass Empfänger*innen auf das Layout bei Türkeistämmigen, 1,34 Prozent bei Rus- Herkunft anerkannt fühlen könnten. 25 Prozent der türkeistämmigen Deutschen, 35 der Wahlbenachrichtigung reagieren. Dazu gibt es slanddeutschen und 1,56 Prozent der Deutschen Prozent der Russlanddeutschen und 39 Prozent viele Hinweise aus der Survey-Forschung (Menold mit einem anderen Migrationshintergrund. Weiterhin scheint es fraglich, ob es für Parteien der Deutschen mit einem anderen Migrationshin- 2016): klares und einfaches Layout, Hervorhebung gerade auf der konservativen Seite des Spektrums tergrund in Duisburg nutzten die Briefwahl, vergli- des Themas wie „Wahl zum Bundestag 2021“ und 16 Die Wahlbeteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit familiärer Migrationsgeschichte Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung 17
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