Dpr # 20/2019 - buchmesse-ausgabe audio, podcast und mehr verlage müssen sich ändern wichtige termine für digitalmenschen

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Dpr # 20/2019 - buchmesse-ausgabe audio, podcast und mehr verlage müssen sich ändern wichtige termine für digitalmenschen
dpr
        das magazin zur digitalen transformation der medienbranche   ISSN 2512–9368

                  # 20/2019
              digital publishing report

                 buchmesse-ausgabe
             audio, podcast und mehr
          verlage müssen sich ändern
wichtige termine für digitalmenschen
Dpr # 20/2019 - buchmesse-ausgabe audio, podcast und mehr verlage müssen sich ändern wichtige termine für digitalmenschen
medium mehr sind und nie mehr sein werden“.
                                                       Die Frage, ob das Buch wirklich noch Leitmedi-
                                                       um sei, haben wir prompt unseren Leserinnen
                                                       und Lesern gestellt – und waren von den Ant-
                                                       worten überrascht: Immerhin die Hälfte meinte,
                                                       das gedruckte Buch sei und bleibe Leitmedium,
                                                       40 Prozent vertraten die Ansicht, das Buch sei
                                                       es zwar im Moment noch, werde diese Funkti-
                                                       on aber verlieren. 10 Prozent meinten, das Buch
                                                       habe diese Rolle schon lange verloren. Doch
                                                       selbst unter den Leitmedium-Hardlinern waren
                                                       Zweifel und Einschränkungen verbreitet, etwa
                                                       mit der Einschränkung, das gelte nur für die
                                                       Belletristik, nicht aber für Wissenschaft, Rat-
                                                       geber oder den Fachinformationsbereich. Diese
                                                       Unterscheidung ist insofern nachvollziehbar,
                                                       schaut man sich die Nutzung in diesen Bereichen
                                                       an – Gedrucktes ist ein Bestandteil unter vielen
                                                       Medienkanälen und Endgeräten. Letzten Endes
                                                       ist das gedruckte Buch nämlich nichts anderes

    ein paar
                                                       als ein „Device“. Insofern ist es sinnvoll, daran
                                                       zu denken, dass wir heute durchaus noch tele-
                                                       fonieren – das nötige Zubehör aber nicht mehr
                                                       auf dem Tisch steht, ein immer zu kurzes Kabel

    worte zum                                          und eine Wählscheibe hat. Wir bewegen uns
                                                       auch heute noch von A nach B – müssen aber
                                                       weder auf das entsprechende Schuhwerk oder

    geleit
                                                       einen Sattel achten.
                                                         Eines jedenfalls ist so sicher wie Weihnach-
                                                       ten und Buchmesse: In Frankfurt wird das Buch
                                                       auf jeden Fall als Leitmedium gefeiert. Das ist
                                                       schön. Allen, die aber gerade über einen Plan B

    D   as Weihnachten der Buchbranche steht vor
        der Tür: die Frankfurter Buchmesse. Und
    trotz aller begleitender Aktivitäten und Schwer-
                                                       nachdenken, sei zur Neugierde, Offenheit, Ex-
                                                       perimentierfreude und zur Lektüre des digital
                                                       publishing report geraten.
    punkte (dieses Jahr löblicherweise auch endlich      Apropos: Der digital publishing report feiert
    in adäquatem Umfang das Thema Audio) wird          mit dieser Ausgabe auch ein ganz besonderes
    natürlich wieder das gedruckte                                 Jubiläum: Vor 3 Jahren, just zur Buch-
    Buch im Mittelpunkt stehen. In der                             messe, erschien die erste Ausgabe
    letzten Ausgabe hatten wir uns                                 des #dpr. Das Team ist gewachsen,
    bereits mit dem Buchmarkt be-                                  wir haben mit unseren Webinaren,
    schäftigt. Redaktionskollege Da-                               Studien, Podcasts und monogra-
    niel Lenz meinte dazu in seinem                                fischen Ausgaben unsere Ange-
    Vorwort, das „traditionelle Medi-                              botspalette erweitert und werden
    en wie das Buch den Wettbewerb                                 dies auch weiter tun. Das konnten
    ums Zeitbudget gegenüber Inter-                                und können wir aber nur mit der Hilfe
    netdiensten, Social Media, Film-                               eines tollen Teams und Netzwerks,
    und Musik-Streaminganbietern                                   unseren vielen Autoren und Auto-
    längst verloren haben … Die jun-                               rinnen und natürlich unserer Leser-
    gen Mediennutzer, die viel Zeit mit                            und Leserinnen-Community. Wir
    Serien und YouTube-Filmen ver-                                 freuen uns jedenfalls darauf, in den
    bringen, mit gedruckten Büchern oder E-Books       nächsten Jahren mit spannenden Projekten und
    jeglicher Couleur zurückzuholen, den Anteil an     Produkten den Begriff „Medienunternehmen“
    ihrem Budget zurückzuerobern – schwierig,          noch sehr viel weiter zu denken.
    vielleicht auch unrealistisch.“ Verlage sollten
    akzeptieren, dass „Bücher längst kein Leit-        Ihr Steffen Meier

2
Dpr # 20/2019 - buchmesse-ausgabe audio, podcast und mehr verlage müssen sich ändern wichtige termine für digitalmenschen
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                                                                    impressum      Der digital publishing report
                                                                    ist ein 14-tägig erscheinendes Magazin zur
                                                                    digitalen Transformation der Medienbran-
                                                                    che. Format: PDF. Herausgeber und V.i.S.d.P.:
                                                                    Steffen Meier. Redaktion: dpr / Postfach
                                                                    12 61 / 86712 Nördlingen. Co-Herausgeber:
                                                                    Daniel Lenz. Art Direction: Cornelia Zeug.
                                                                    Textredaktion: Nikolaus Wolters - ISSN zu-
                                                                    geteilt vom Nationalen ISSN-Zentrum für
                                                                    Deutschland: Digital publishing report ISSN
                                                                    2512–9368
                                                                    bildquellen      Alle Bilder sind entweder im
                                                                    Artikel direkt vermerkt oder von den Autoren

4    weil der verlag sich ändern muss –          28   was sind vanity metrics? //
     version 2019 // thomas knüwer                    gero pflüger

20   profitabel nach 21 jahren. wie dem          31   leselounge
     guardian mit einer unkonventionellen
     digitalstrategie der turnaround gelang      34   „microsoft 365 ist ein hub für die
     // nils jacobsen                                 digitalisierung“ // interview mit marc
                                                      reemers
22   corporate podcasts . instrument der
     strategischen unternehmens-                 36   buchmesse frankfurt. veranstaltungs-
     kommunikation // dominic multerer                kalender für digitalmenschen

26   "der audiobereich bietet viel potenzial,
     das noch nicht ausgeschöpft ist!" //
     interview mit matthäus cygan

                                        66 heftübersicht
                                                                                                                    3
Dpr # 20/2019 - buchmesse-ausgabe audio, podcast und mehr verlage müssen sich ändern wichtige termine für digitalmenschen
weil der verlag sich ändern
muss – version 2019
thomas knüwer

    E  s gibt einen Satz, den ich nicht mehr hören
       kann:
    „Wie sollen wir denn Geld verdienen?“
                                                       Denn eigentlich ist es ja nicht an mir, sie zu be-
                                                      antworten. Eigentlich müsste sie von jenen be-
                                                      antwortet werden, die sie stellen. Schließlich ist
     Gesprochen, besser: geschrieben, noch besser:    nirgends ein Naturgesetz festgeschrieben, nach
    getweetet wird er von Journalisten und Verlags-   dem es immer und grundsätzlich eine Finan-
    vertretern immer dann, wenn ich ihre Arbeitge-    zierung journalistischer Inhalte gibt. Wenn ich
    ber kritisiere.                                   also beispielsweise am Paid Content für große
     Wenn ich Personen des öffentlichen Lebens        Nachrichtenseiten zweifele, können wir gern
    rate, keine Interviews zu geben, die hinter       über diese These diskutieren – doch genau das
    Bezahlschranken verschwinden – „Wie sollen        passiert ja nicht. Stattdessen wird Paid Content
    wir denn Geld verdienen?“                         als richtige Option dargestellt, weil es den Wie-
     Wenn ich mutmaße, dass Paid Content Verlage      sollenwirdenngeldverdienenfragern an eigenen
    nicht ausreichend finanzieren wird – „Wie sol-    Ideen mangelt.
    len wir denn Geld verdienen?“                      Ich halte diese Frage deshalb auch für grund-
     Wenn ich das Leistungsschutzrecht kritisiere –   legend falsch, weil sie Journalismus und Medi-
    „Wie sollen wir denn Geld verdienen?“             en auf eine Finanzstrom-Betrachtung reduziert.
     Ich kann diese Frage nicht mehr hören.           Wir erleben einen disruptiven Medienwandel,

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bei dem das Aus von Tageszeitungen eine der          Äußerung von Funke-Geschäftsführer Thomas
Folgen ist. Deshalb wäre es sinnvoller, die Sicht    Kloß, der gegenüber „kress“ erklärte, die kon-
des Marketings in den Mittelpunkt zu stellen,        zerninterne Prognosen für die Jahre bis 2021
um Verlage so aufzustellen, dass sie eine Zu-        hätten für ganz NRW ergeben, dass „wir dann
kunft haben. Von dieser Seite aus betrachtet         kein Geld mehr mit Tageszeitungen verdienen“.
wäre die richtige Frage: „Was wollen unsere          2021 – das ist in zwei Jahren.
Kunden – und unsere Nicht-Kunden – eigent-            Und: Diesmal beziehe ich auch Zeitschriften mit
lich?“                                               ein. 2013 sah es noch nicht so aus, als könnten
  Sie zu beantworten, fällt sehr vielen Men-         Magazine derart heftig vom Medienwandel ge-
schen in sehr vielen Verlagskonzernen immens         troffen werden wie Zeitungen. Jetzt aber schon,
schwer. Es gibt viel zu wenig breit erhobenes        weshalb das Folgende auch für Zeitschriften-
Marktforschungsmaterial in Print-Häusern.            verlage gelten soll.
Und selbst wenn, ist es den Schreibenden meist
unbekannt. In Redaktionen wabert seit Jahr-          Vorab ein paar grundsätzliche, subjektive The-
zehnten der Satz „Meine Leser wollen das – und       sen:
das nicht“ herum. „Meine Leser“ generieren sich       • Zeitungen und Zeitschriften sind eine Tech-
aus den anekdotischen Beobachtungen und Er-             nologie, Technologien werden von besse-
lebnissen der Redaktionsmitglieder.                     ren Technologien abgelöst. Ergo: Tages-
  Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Bege-          zeitungen sterben – Magazine haben ein
benheit, als ich Ressortleiter der Wochenend-           Überlebensproblem.
beilage des „Handelsblatt“ war. Eine altgediente      • Journalismus muss sich selbst finanzieren.
Redakteurin kritisierte, dass ich eine Titelstory       Verlage sind zunehmend in nicht-journa-
über die „Neue, Neue Deutsche Welle“ machte,            listischen Feldern unterwegs, die „NOZ“ hält
in der wir damals frische Künstler wie Tomte            sich eine Reitpferde-Verkaufsplattform,
oder Wir sind Helden portraitierten. Es ent-            Burda investierte in einen Abo-Anbieter von
spann sich folgender Dialog:                            Bio-Tampons (kein Scherz). Das ist gut und
  Redakteurin: „Meine Leser interessiert das            richtig. Doch wenn der Journalismus von
  nicht.“                                               diesen Feldern querfinanziert wird, hat er
  Ich: „Und was ist mit den Jüngeren?“                  ein Überlebensproblem. Denn irgendwann
  Redakteurin: „Die sollen Jazz und Klassik hö-         kommen Anteilseigner oder neue Familien-
  ren.“                                                 generationen und fragen sich, warum sie die
  Ich: „Und wenn die das nicht wollen?“                 Redakteure subventionieren sollen.
  *Schweigen*                                         • Online-Journalismus ist aus sich heraus re-
Der Leser hat sich an den Vorlieben der Autoren         finanzierbar. Er wird aber nicht den gesam-
zu orientieren – diese Haltung ist keinesfalls          ten Apparat finanzieren, der sich heute Ver-
selten in Print-Häusern. Das ging so lange gut,         lag nennt.
wie keine Alternativen zum Gedruckten exis-           • Die Margen von Verlagen werden nie wieder
tierten. Seitdem jedoch dieses World Wide Web           so hoch sein wie in den goldenen Print-Ta-
die Konkurrenzsituation disruptiert hat, ist sol-       gen. Jene Margen resultierten aus der Dys-
ch eine Herangehensweise an das eigene Tun              funktionalität des Marktes – wer in diesen
ein sicheres Mittel, um sich obsolet zu machen.         hineinwill, braucht Druckereien und einen
  All dies ist nicht neu: Jene beschriebene Szene       Vertriebsapparat.
spielte sich vor 18 Jahren ab. Und doch ändert        • Tageszeitungen und Magazin sind auf Pa-
sich so erschreckend wenig. Vor 6 Jahren hatte          pier gedruckte, periodisch erscheinende
ich deshalb schon mal einen Artikel geschrie-           Produkte. Online-Nachrichtenseiten sind
ben mit dem Titel „Weil der Verlag sich ändern          keine Zeitungen und keine Zeitschriften. Sie
muss". Und weil sich seit 2013 einiges geändert         haben ein anderes Geschäftsmodell, ihre In-
hat – nicht aber die Argumentationsweise der            halte werden anders konsumiert.
oben genannten Gruppen – wird es Zeit für eine
Neuauflage.
                                                         Was muss sich in Verlagen ändern?
  Die wird länger als das Original, denn der Hand-   Zunächst einmal ist es Zeit für radikale Rationa-
lungsdruck ist weiter gestiegen. Ich schrieb hier    lität – und das Aufräumen mit drei Mythen.
früher schon mal vom strategischen Handlungs-
fenster von Verlagen, das sich langsam schlie-          Mythos I: „Das Internet ist schuld am
ße. Für viele Verlage ist es 2019 schon zu. Davon                 Auflagenverfall“
zeugen die Bemühungen der DuMont-Gruppe,             Zu den großen Mythen der Verlagswelt zählt,
ihre Zeitungen zu verkaufen, genauso aber die        dass eine heile Journalismus-Welt durch das

                                                                                                         5
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Internet zerschmettert wurde. Tatsächlich wa-         re fabulierten von internen Subventionen.
    ren die Leser mit der Qualität der Zeitung schon      Somit wären die Onlinetöchter von Verlagen
    unzufrieden, bevor Boris Becker „drin“ war.           die ersten Unternehmen gewesen, die freiwillig
      Die verkaufte Auflage (Ost und West) deut-          Steuern zahlten. Denn wenn sie rote Zahlen ge-
    scher Tageszeitungen erreichte im Jahr 1983 (!)       schrieben hätten, wären ja keine Steuern fällig
    ihren Höhepunkt. Danach ging es nicht in allen        gewesen.
    Jahren nach unten – aber in den meisten. De-           Aber mehr noch: Wenn die wirtschaftliche
    tailstatistiken zu den 80ern sind natürlich we-       Lage der Onlinetöchter diametral entgegenge-
    gen der Situation in der DDR schwierig, deshalb       setzt zur dargestellten in der Bilanz war, dann
    hier die Entwicklung nach der Wiedervereini-          müssen wir über Bilanzfälschung reden. Es ist
    gung. Interessant: Das Web beschleunigte diese        bezeichnend, dass weite Teile der Verlagsbran-
    Entwicklung nicht mal so dramatisch, wie man          che glauben, Onlinegewinne seien nur über
    glauben könnte.                                       Straftaten möglich.
      Das Netz aber sorgte dafür, dass Leser er-           Aus dieser Haltung heraus werden dann die
    kannten: Da draußen gibt es eine Welt, die            falschen Entscheidungen getroffen. Denn
    vielfältiger ist und die anders läuft als meine       Controlling mit all seinen Instrumenten,
    Zeitung mir erzählt. Und sie bekamen in Digita-       die Bilanz ist eines davon, dient ja nicht der
    listan Informationen, die sie viel mehr interes-      platten Abrechnung, sondern der Steuerung
    sierten als das, was im Print-Produkt zu lesen        eines Unternehmens über Finanzströme: Hier
    war.                                                  wird entschieden, welches Geschäftsfeld welche
      So entstand ein neuer Qualitätsanspruch. Es         Investitionen erhält.
    reicht einem Handball-Fan eben nicht, die dür-         Wenn ich aber gedankenflexibel wie ein Klein-
    re 10-Zeilen-Meldung im Sportteil, wenn eine          kind in der Suppenkasper-Phase negiere, dass
    Handball-Fachseite ihm tiefe Informationen lie-       Digitaljournalismus eine wirtschaftliche Zu-
    fert. Dem aktiven Anleger reicht vielleicht nicht     kunft hat, dann verweigere ich diesem Teil
    mal mehr der Anlage-Teil des „Handelsblatt“,          meines Unternehmens logischerweise die nöti-
    wenn er da draußen tiefe Analysen spannender          gen Finanzmittel, um ein nachhaltiges Geschäft
    Aktien findet.                                        aufzubauen. Hätte es Dirk Nowitzki in die NBA
                                                          geschafft, wenn er gesagt hätte: „Für die USA
     Mythos II: „Früher haben die Leute auch              bin ich nicht gut genug"?
          für Journalismus gezahlt“
                                                                   Mythos IV: „Wir sind super“
    Haben sie das? Was wäre, wenn sie nicht für
    den Journalismus gezahlt haben – sondern für          Über die Probleme und Herausforderungen der
    die Dienstleistung, diesen auf Papier zu dru-         Verlags- und Journalismuswelt zu debattieren
    cken und wahlweise vor ihre Tür zu liefern oder       kann sehr, sehr ermüdend sein. Es ist eine Un-
    im Kiosk verfügbar zu machen? In diesem Fall          art, vor allem von Journalisten, von der eigenen
    wären die Leser so wirtschaftskundig, dass sie        Redaktionsstube (und dies ist kein räumliches,
    dem physischen Prozess der Produktion eine            sondern ein gedankliches Konstrukt) auf den
    Wertigkeit zugestanden hätten. Und diese Wer-         Rest der Welt zu schließen.
    tigkeit würde durch die Digitalisierung natürlich       Beispiel: Vor einiger Zeit debattierte ich auf
    drastisch sinken.                                     Facebook über das Verhältnis von Journalis-
      Wäre also der Gedanke, dass die Leser früher        mus und PR. Dabei schrieb ich, dass Pressemel-
    nur zu einem geringen Teil für Journalismus ge-       dungen oft genug 1:1 abgedruckt werden, zum
    zahlt haben, nicht eine Erklärung für den Medi-       Beispiel im Lokalbereich, oder automatisiert in
    enwandel?                                             große Nachrichtenseiten einfließen. Eine jour-
                                                          nalistisch arbeitende Person meldete sich zu
    Mythos III: „Journalismus lässt sich nicht            Wort und tat dies ab, denn in ihrer eigenen Re-
       über Onlinewerbung finanzieren“                    daktion passiere das ja nicht. Wer so argumen-
    Es gab eine Zeit, in der praktisch alle großen        tiert, für den ist eine Scheuklappe sichtfelder-
    Nachrichtenseiten (und zahlreiche andere) rein        weiternd.
    werbefinanziert profitabel waren. Das sage              Doch ist diese Person ja nicht allein. Sehr, sehr
    nicht ich, das sagten die Verlage selbst – und zwar   viele, ich möchte sagen: die meisten Journa-
    amtlich in den veröffentlichten Bilanzen im Bun-      listen und Verlagskaufleute argumentieren so.
    desanzeiger.                                          Wer mit einem Vertreter jener Berufsgruppen
     Dieser Fakt wurde und wird von den Ver-              spricht, gewinnt den Eindruck, es gebe keine
    lagen selbst bestritten. Die Zahlen stimm-            Medienkrise, keine Kostenkürzungen und Ent-
    ten nicht, war die Behauptung. Ande-                  lassungen, keine stürzenden Auflagen, Relotius

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Dpr # 20/2019 - buchmesse-ausgabe audio, podcast und mehr verlage müssen sich ändern wichtige termine für digitalmenschen
war nur ein Einzelfall in einer ansonsten gloriös   Solch eine Strategie zu bauen erfordert Zeit
    recherchierenden Profession.                        und Investments, weshalb es sinnvoller gewe-
     2012 schrieb „Zeit“-Chefredakteur Giovan-          sen wäre, diesen Prozess nach dem Platzen der
    ni di Lorenzo einen unfassbaren Leitartikel.        Dotcom-Blase anzugehen. Das war vor 18 Jah-
    Unter anderem heißt es dort auch: „Wir sind kei-    ren. Passiert ist flächendeckend – nichts.
    ne Holzhändler, es geht um den Inhalt, nicht um      Deshalb folgt nun eine ganze Reihe von Din-
    die Form.“ Wenn ich aber mit dem Mythos II recht    gen, die passieren müssten. Eben weil es nicht
    habe – ist dies nicht genau das falsche Denken?     DIE Methode gibt, DAS Instrument oder DEN
    Immerhin hat sich bei der „Zeit“ einiges getan.     zündenden Einfall.
    Das liegt aber weniger an di Lorenzo als viel-
    mehr an Jochen Wegner, dem vielleicht besten
                                                          Maßnahme I: Entscheider raus aus der
    Online-Chefredakteur der Republik.                                Filterblase
     Diese Autosuggestion muss endlich beendet          Wie viele Verlagsentscheider, wie viele Chefre-
    werden. Verlage und Medien insgesamt brau-          dakteure gehen zur re:publica? Wie viele waren
    chen eine branchenoffene, selbstkritische De-       auf der SXSW in Austin? Wie viele haben ein ei-
    batte mit dem Willen, Dinge zu verändern.           genes Blog?
                                                         Beide Berufsgruppen bewegen sich zuvor-
              Doch was ist nun zu tun?
                                                        derst unter ihresgleichen und innerhalb einer
    In jenen ermüdenden Diskussionen schimmert          Eliten-Filterblase. Sie sitzen gern auf den Kon-
    auch immer wieder die Hoffnung durch, dass es       gressen von VDZ und BDZV, machen Stößchen
    das eine, alles heilende und glücklich machende     auf Parteiempfängen und tanzen Discofox auf
    Mittel gebe, das die gute, alte Zeit der hohen      dem Bundespresseball.
    Renditen und schönen Gehälter zurückbringt.          Spricht man mit ihnen, so beschränkt sich ihr
    Beispiel: Einfach eine Paid Content-Schranke        Medienkonsum ebenfalls auf die Klassik. Die
    hochfahren und – zack – ist wieder alles im Lot.    „Süddeutsche“ wird intensiv studiert, der „Spie-
     So ist das Leben aber nun mal nicht. In einer      gel“ blockiert das Wochenende. Nur wenige
    disruptiven Situation gibt es keine Musterlö-       hören Podcasts oder lesen Blogs. Dafür bleibe
    sung. Vielmehr muss jeder Marktteilnehmer für       keine Zeit, lautet häufig das Argument. Stimmt:
    sich herausfinden, welches die für ihn passende     Denn gedruckte Organe sind ein wahnsinnig in-
    Strategie ist. Und egal wie diese Strategie aus-    effizienter Weg der Informationsaufnahme.
    sieht: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie operativ     Die eigene Medienaktivität ist – bis auf wenige
    aus nur einer Maßnahme besteht, ist winzig.         Ausnahmen – ebenfalls gesenkt. Nun werden

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einige Chefredakteure einwerfen, dass sie doch       steller über Sektproduzenten bis zu Banken.
einen Newsletter pflegen. Und ja, das ist ein        Auch Medienhäuser sind (selten) darunter.
Fortschritt, wir sind ja schon für wenig dankbar.      In keiner anderen Branche mangelt es in einem
Doch welcher Chefredakteursnewsletteraner            derartigen Ausmaß an Prozessen und Struk-
nimmt denn Bezug auf Zuschriften, die er be-         turen wie in Verlagen. Ein offensichtliches
kommt? Wer reagiert auf Mails? Wer diskutiert?       Beispiel: Selbst hochrangige Verlagsmanager
Nein, Newsletter sind ein probates Mittel um         haben oft nur eine grobe Vorstellung über die
weiter in der Filterblase Filter zu blasen.          Funktionsweise von Redaktionen – und umge-
 Meist sieht es bei diesen Entscheidern so aus       kehrt.
wie bei Gabor Steingart: Steingart predigt „Inter-     Oder: Selbst in Details wie Customer Service
aktivität“, hält Kommentare (die er Blogs nennt)     oder Anzeigenvertrieb gibt es keine klaren Zu-
unter Artikeln aber für „entwürdigend“. Auch auf     ständigkeiten oder definierte Prozesse. So gibt
Twitter reagiert Steingart nie auf Reaktionen        es noch Verlage, bei denen Onlineabos nicht in
oder auf Hinweise – hier soll die Filterblase um     Sekunden freigeschaltet werden, sondern erst
Augsteins Willen nicht zum Platzen gebracht          nach Tagen.
werden. Diese Haltung ist nicht zeitgemäß,             „Ach, diese Bürokratie“, werden manche das
weder bei Journalisten noch bei Kaufleuten.          nun abtun, vor allem in Redaktionen, die sich so
Beide Gruppen müssen raus aus ihrer Blase.           gern als nonkonformistische Freigeister sehen.
Sie müssen auf die SXSW, auf die re:publica, auf     Doch Prozesse und Strukturen sorgen eben da-
Barcamps, auf den Mobile World Congress. Am          für, dass kündigungswillige Abonnenten mehr
besten nehmen sie auch noch eine Assistenz           als eine Standardreaktion bekommen (und viel-
mit, die notfalls über das Mittel der körperlichen   leicht gehalten werden) oder ein kreativer Wer-
Gewalt ihren Chef davon abhält, mit anderen          bewilliger mit einer besonderen Idee diese auch
Verlagsmenschen zu kommunizieren.                    umsetzen kann.
 Und sie müssen rein in die größte Filterblasen-       Und deshalb müssen praktisch alle Verlage
zerplatzmaschine der Menschheitsgeschichte:          umfangreiche Strategie- und Prozessprojekte
das Social Web. Dort müssen sie diskutieren,         anstoßen – und das schnell. Denn solche Pro-
müssen ihre Thesen zur Debatte stellen und           jekte sind nicht eben in zwei Wochen erledigt,
auch bereit sein, im Kopf umzuparken – auf           sie dauern Monate, wenn nicht Jahre.
Twitter, auf Facebook, auf LinkedIn, auf dem
eigenen Blog. Nur durch die Debatte mit unter-
                                                          Maßnahme IV: Radikale Kunden-
schiedlichsten Köpfen können in einer komple-                    orientierung
xen und vernetzten Welt Lösungen gefunden            Kunden genießen in Verlagen traditionell wenig
werden.                                              Aufmerksamkeit. Im Anzeigenbereich saßen die
                                                     „Außendienstler“ bis zur Krise des Jahres 2001
       Maßnahme II: Mehr Diversität
                                                     vor dem Faxgerät und warteten auf Aufträge.
Eigentlich wollte ich diesen Artikel in gender-      Nach 2001 sollten sie selbst aktiv werden – und
neutraler Sprache schreiben. Lohnt aber den          wussten nicht, wie das geht. Ich erinnere mich
Aufwand nicht: Die Alten Weißen Männer stel-         zum Beispiel an den hervorragend beleumun-
len die erdrückende Mehrheit in Verlagsma-           deten Anzeigenvertreter, der im Rahmen eines
nagement und Chefredaktionen. Ja, es gibt klei-      Verlagsprojektes, bei dem ich tätig war, versu-
ne Tippelschritte in eine andere Richtung, doch      chen sollte, bei Sonys Filmsparte um Anzeigen
mehr als Tippelschritte sind es nicht.               zu werben – nach zwei Wochen hatte er dies
 Die „FAZ“ besetzte dieses Jahr einen Herausge-      nicht getan: „Ich weiß ja nicht, wen ich da anru-
berposten neu. Sie hatte die Chance, eine Frau       fen soll. Haben Sie einen Kontakt?“
oder einen Digitalkompetenten zu wählen und            Nicht anders läuft es in der Betreuung von Le-
entschied sich – für einen weiteren Alten Wei-       sern. Mit Kleingedrucktem werden ihnen Abos
ßen Mann. Das Schmoren im eigenen Saft wirkt         aufgeschwatzt, die nur mit langen Fristen künd-
wie eine frische Morgendusche dagegen.               bar sind. Wer ein Bild+-Abo kauft, sollte natür-
 Verlage brauchen mehr Frauen, viel mehr Ent-        lich einerseits wissen, dass diese Inhalte mit
scheider mit Migrationshintergrund, viel, viel       Journalismus exakt nichts zu tun haben, ande-
mehr Jüngere und viel, viel, viel mehr Digital-      rerseits aber, dass er zum Kündigen telefonie-
köpfe.                                               ren muss.
                                                       Auf der nächsten Seite zwei Beispiele aus der
 Maßnahme III: Prozesse und Strukturen
                                                     jüngsten Zeit. Einmal wird der tatsächliche Preis
Seit 10 Jahren berät unser Team von kpunktnull       verschleiert, einmal bekommt man ihn erst ge-
Unternehmen aus zig Branchen, vom Autoher-           nannt, nachdem man seine Daten abgeliefert hat:

                                                                                                         9
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ternehmen sich nicht fragen sollten, wie sie ein
                                                          Produkt verbessern oder verkaufen, sondern
                                                          mit welchem Job es von Seiten der Kunden be-
                                                          treut wird. Diese Grundidee ändert nicht alles –
                                                          aber sie sorgt dafür, dass Entscheider mit einem
                                                          frischen Blick auf ihre Situation blicken.
                                                           Welche Aufgabe also hatten Zeitungen? Viel-
                                                          leicht sollten sie Eltern beim Frühstück bewusst
                                                          von den Kindern abschirmen, damit sie ihre
                                                          Ruhe hatten? Vielleicht hatten sie eine Erinne-
                                                          rungsfunktion, weil man Artikel ausschneiden
                                                          konnte? Und welche Aufgabe haben dann heute
                                                          Online-Angebote?
                                                           Maßnahme V: Denken in Marken – nicht
                                                                     in Produkten
                                                          Aus dieser Kundenorientierung heraus muss
                                                          dann eine Strategie mit klaren Positionierungen
                                                          entstehen. In meinem Studium hieß es immer:
                                                          „Between the chairs funktioniert nicht.“ Sprich:
                                                          Wer keine klare Positionierung im Markt ein-
                                                          nimmt, wird scheitern. Heute gilt das noch viel
                                                          stärker als in den 90ern. Es scheint, als ob stei-
                                                          gende Transparenz Märkte in solche eine Ent-
                                                          wicklung drängt, die keinen Raum mehr lässt
                                                          für Mittelpositionen.
                                                            Verlage aber bewegten sich lange in dysfunk-
                                                          tionalen Märkten. Deshalb konnten sich Ta-
                                                          geszeitungen leisten, „Between the chairs“ in
                                                          Reinkultur zu bieten: Sie versuchen allen alles
                                                          zu liefern, selbst Lokalblätter kommentieren die
                                                          große Politik und rezensieren die Wagner-Fest-
                                                          spiele – obwohl klar ist, dass andere Medien
       Das ist im Jahr 2019 komplett absurd. Wird ein     das besser könnten.
     Kunde, der diesen Prozess einmal durchmachte,          Aus dieser Zeit stammt auch noch das Denken
     zurückkehren? Und besteht nicht die Gefahr,          in Produkten. Häufig betrachten Entscheider
     dass dieses Verhalten eines Verlags von Kunden       einen Onlineauftritt so, wie sie früher auf die
     übertragen wird auf alle Verlage?                    Zeitung des Tages blickten. Dies ist anachroni-
       Deshalb auch wissen Verlage heute über ihre        stisch in einer Zeit, da ein Leser auf jeden ein-
     Kunden – nichts. Persönliche Kontakte, ja, gut.      zelnen Artikel treffen kann, ohne vorher eine
     Doch das sind anekdotische Beobachtungen.            Startseite erblickt oder eine Rubrikennavigation
     Dies ist einer der Hauptgründe, warum so viele       angeklickt zu haben.
     Verlagsentscheider und Redaktionsmitglieder            Wer in Produkten denkt, will zum Beispiel eine
     auf eine mitleiderregende Weise hilflos sind: Sie    vollständige Nachrichtenabdeckung. Denn der
     wissen nicht mal im Ansatz, was die Menschen         Käufer soll ja das Gefühl haben, nichts zu ver-
     wollen, denen sie ihre Dienste andienen möch-        säumen. Eine solche Abdeckung ist heute aber
     ten. Sie sollen ihnen die Welt erklären, leben       nicht mehr realistisch. Einerseits ist die Zahl der
     aber auf einem anderen Planeten.                     Themen und auch der Interessen von Menschen
       Ein Ansatz relativ schnell voranzukommen           angestiegen. Andererseits lassen geschrumpfte
     könnte Clayton Christensens „Jobs to be              Redaktionen ohne Reisekosten eine seriöse Ab-
     done“-Theorie sein. Christensen ist Manage-          deckung vieler Themen nicht mehr zu.
     ment-Professor in Harvard und Erfinder der             Dieses Produktdenken sorgt dann dafür, dass
     Disruptions-Theorie (ja, dahinter steckt ein         viele prominente Nachrichtenhäuser Artikel
     richtiges Modell, ich verwende den Begriff der       publizieren, die ihre Marke schädigen ob ihrer
     Disruption deshalb sehr ausgewählt) und Autor        fragwürdigen Qualität.
     etlicher Bücher, darunter „Besser als der Zufall“.     Ein Denken in der Markendimension führt
     In diesem Werk schildert er die Idee, dass Un-       dazu, dass jeder einzelne Artikel, jedes Video,

10
dpr.webinare
Webinar: Corporate Influencer - Authentische Markenbotschafter aus
den eigenen Reihen. 09.10.2019 // 11:00 Uhr

Webinar: Multi Channel mit WordPress - von InDesign bis Social Media.
22.10.2019 // 10:00 Uhr

Webinar: Das kleine 1 x 1 des YouTube-Kanals. 26.10.2019 // 14:00 Uhr

Webinar: Mit Storytelling Botschaften besser vermitteln. 28.10.2019 //
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Webinar: Mit Buyer Personas (digitale) Geschäftsmodelle entwickeln.
04.11.2019 // 14:00 Uhr

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integrieren. 11.11.2019 // 11:00 Uhr

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E-Mail-Marketing den Umsatz erhöhen. 14.11.2019 // 11:00 Uhr

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und interaktiv mit Canvas. 21.11.2019 // 10:00 Uhr

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Pinterest. 25.11.2019 // 14:00 Uhr

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Bereich Messenger Marketing? 09.12.2019 // 11:00 Uhr

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kommunikation. 10.02.2020 // 14:00 Uhr

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                                                                         11
jeder Podcast einem Qualitätsanspruch genü-             Doch gibt es eben auch viele Getriebene, Über-
     gen muss. Und dieser Anspruch steht über der          zeugungstäter, Herzblutjournalisten. Und die
     Idee, ein „vollständiges“ Produkt zu publizieren      werden in solch einem Konstrukt nicht glücklich
     – sowohl in der Redaktion wie auch im Verhal-         werden. Wollen Verlage diese guten Leute hal-
     ten gegenüber Anzeigenkunden oder Käufern.            ten, werden sie das Redaktionsmodell neu bau-
                                                           en müssen – ansonsten werden diese Kollegen
     Maßnahme VI: Disruption des Redaktions-               kündigen und es selbst machen.
                    aufbaus                                  Und sie haben gute Chancen auf Erfolg. Denn
     Redaktionen werden wahrscheinlich nie wieder          Menschen vertrauen eben Personenmarken eher
     so groß, wie sie einmal waren. Und wenn Re-           als Produktmarken. Das spüren Chefredakteure
     daktionen so geführt werden wie aktuell, sollte       ja heute schon mit ihren Newslettern – über de-
     jeder Redakteur sich darüber bewusst sein,            nen eben ihr Name steht. Oder Günther Kress, der
     dass er austauschbar ist. Wer Schichtdienste          Begründer des Medienjournalismus der Nach-
     verrichtet, aus Kostengründen nicht mehr rei-         kriegszeit, der seinen „Report“ mit Schreibmaschi-
     sen kann und so viele Bereiche betreut, dass er       ne auf gelbes Papier tippte.
     keine Kontaktnetze mehr bauen kann, der kann            Wer in einem bestimmten Gebiet so gut ist,
     jeden Tag durch den nächstjüngeren Kollegen           dass er aus Sicht der Interessenten hoch qua-
     ersetzt werden, der im Tarifvertrag zwei Etagen       litative Inhalte liefert, muss zur Personenmarke
     unter ihm angesiedelt ist.                            mutieren. Warum sich Verlage seit 15 Jahren –
       Das kann Journalist dann so hinnehmen wie           so alt ist diese These und schon damals wur-
     Gabor Steingart, der in seinem Interview mit          de sie von Online-Kundigen an Chefredakteure
     Turi2 nonchalant einwirft, dass ja ein Kurt Tu-       herangetragen – dagegen sträuben? Ich zitiere
     cholsky auch „ärmer gelebt“ habe. Tatsächlich         einen jener Chefs: „Ja, aber wenn der kündigt…“
     habe ich in meinen 14 Jahren beim „Handels-             Tja, dann ist das blöd.
     blatt“ auch viele Redakteure kennengelernt, die         Aber einerseits: Wie sieht man sich selbst als
     einfach einen 9-to-5-Job haben wollen – und           Arbeitgeber, wenn man auf eine Geschäftsidee
     das möge man ihnen nicht vorwerfen.                   verzichtet, weil man die Kündigung des Mitar-

Make
                                                        Du publizierst regelmässig Bücher, Magazine,
                                                        Broschüren, Kataloge oder Loseblattwerke und
                                                        suchst nach einer Lösung, um deine Inhalte an

publishing                                              einer Stelle zu organisieren und sie dann entwe-
                                                        der digital oder als Print-Produkt zu publizieren?

great                                                   Prima! Dein Workflow ist unsere Challenge
                                                        Wir machen deine Publikation zukunftssicher und

again.
                                                        rentabel – mit einem medienneutralen Workflow
                                                        und dem Redaktionstool Xpublisher. Was wäre,
                                                        wenn kollaboratives und intuitives Arbeiten unter
                                                        Autor*innen und Redaktoren mit jedem gängigen
                                                        Browser und von überall aus zu erledigen wäre?

                                                        Mit uns kannst du deinen Workflow verbessern
                                                        und bist auch in Zukunft effizient.

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                                                                                         Termin vereinbaren

12                                                                                       www.xml-first.com
beiters schon antizipiert? Wie – par-
don – scheiße findet man sich dann
selbst? Und ist dann der eine, poten-
ziell kündigende Kollege das eigent-
liche Problem?
  Anlässlich der SXSW interviewte
ich für „kress“ den Trendforscher
Rohit Bhargawa und der lieferte
eine schöne Replik auf die Angst vor
der Kündigung des Stars:
  „Ich halte es nicht für realistisch,
dass ein Leser sich von einer ganzen
Publikation verabschiedet, weil ein
Redakteur geht. Auf der anderen
Seite gibt es im TV-Geschäft die La-
te-Night-Show-Moderatoren.         Die
Menschen schalten wegen dieser Su-
perstars ein. Ich verstehe nicht, wa-
rum Medienunternehmen nicht viele
solcher Superstars in ihren Reihen
aufbauen wollen und sie stattdessen
hinter den Kulissen verstecken. Das ist eine alte   Mutter. Ein gewichtiger Grund dafür war meine
Art zu denken. Denn wir Menschen wollen eine        Liebe zum SC Preußen Münster.
Beziehung zu den Autoren haben, die wir lesen.       Denn es war 1995. Internet gab es schon, ich
Je mehr dieser Beziehungen es gibt, desto treu-     surfte am Rhein via AOL (meine Mutter übri-
er bleiben wir bei einer Publikation.“              gens auch). Doch die Münsteraner Zeitungen,
  Sprich: Top-Autoren kümmern sich künftig mit      die „Westfälischen Nachrichten“ und die „Mün-
aller Leidenschaft um ein spezifisches Thema.       stersche Zeitung“ waren zu jener Zeit entweder
In diesem Feld dürfen sie entscheiden was und       noch gar nicht im Netz oder nur rudimentär. Ge-
auf welchem Kanal verbreitet wird. Ihnen zur        nau erinnere ich mich nicht mehr, sicher ist: Die
Seite steht ein Produktionsteam, das die Inhalte    Nachrichten über den SC Preußen gab es nicht
auf zahlreichen Wegen und in vielen Formaten        online.
vertreibt und sich um das Community Manage-          So wie oben abgebildet sah übrigens die erste
ment kümmert. Die Vermarktung dieser Inhalte        Homepage der „Westfälischen Nachrichten“
wird dann Stück für Stück erforscht. Vielleicht     aus, die vom Internet Archive gespeichert wur-
ist der Newsletter nicht stark genug für Paid       de, sie stammt vom November 1996:
Content – aber eine wöchentliche Langversion.        Aus mir unverständlichen Gründen berichte-
Oder aber Veranstaltungen, in denen ein Repor-      ten auch die Düsseldorfer Lokalblätter wenig
ter von seinen Recherchen berichtet.                über den wunderbarsten aller Fußballvereine.
  So entstehen Stück für Stück neue, zeitgemäße     Also blieben nur Anrufe daheim, um mich auf
Medienmarken. Und wenn Verlage dies nicht           dem Laufenden zu halten.
unter ihrem Dach zulassen – dann machen sich
diese Autoren selbständig. Erste Beispiele gibt     Einschub:
es jetzt schon: Die Finanzszene in Frankfurt        Heute ist vieles anders. Der Club selbst ist in Sa-
blickt am Morgen zwar auch noch auf „Handels-       chen Social Media besser unterwegs als viele
blatt“, „Börsenzeitung“ oder „FAZ“ – zuvorderst     Bundesligisten, produziert eigene Bewegt-
aber auf Finanz-Szene.de, das als Ein-Mann-         bilder via Nullsechs-TV. Die journalistische Be-
Projekt begann und sich jetzt auf zwei Leute        gleitung des Clubs ist ein Spiegelbild der Medi-
verdoppelt hat. Diese Beiden liefern unterhalt-     enwelt. Faktisch gibt es mit den „Westfälischen
sam geschriebenen, tief recherchierten Jour-        Nachrichten“ nur noch eine Lokalzeitung, die
nalismus per Newsletter – so sieht das zeitge-      schottet sich via Paywall ab. Im Gegenzug
mäße Nachrichtengeschäft aus.                       stellte sie ihr unabhängiges Lokalsport-Portal
                                                    Westline ein. Dessen Redakteur gründete am
  Maßnahme VII: Individualisierung des              gleichen Tag 100ProzentmeinSCP, das nun an-
            Angebotes                               scheinend neben multimedialer Berichterstat-
Als ich frisch vom Münsterland nach Düsseldorf      tung auch noch an einer Fußball-Datenbank
gezogen war, telefonierte ich täglich mit meiner    arbeitet. Und in dem Moment, da die „WN“ hin-

                                                                                                          13
ter ihrer Paywall einen interessanten Beitrag          Ein Ausweg wäre das Umformulieren von
     veröffentlicht, berichtet 100ProzentmeinSCP          Hand, wie es beim US-Gegenstück Techmeme
     (OK, der Name…) frei zugänglich über diese           oft der Fall ist. Hier werden die Headlines von
     Berichterstattung. Keines dieser Themen aber         einer Redaktion neu formuliert, was den Nutz-
     findet auf Spiegel Online statt, Kicker.de berich-   wert sogar noch steigert.
     tet auch nur selten. Dafür ist mit Liga3 Online        Es liegt nicht im Sinn des Kunden, seine Nach-
     ein Dienst entstanden, der Nachrichten agg-          richten aus nur einer Quelle zu beziehen – allein
     regiert.                                             schon, weil seine Interessen weitgehender sind,
                                                          als eine Quelle abdecken könnte. Deshalb ist
     Dieses simple Beispiel zeigt: Die alte Heran-        Nachrichtenaggregation das, was die Kunden
     gehensweise an Nachrichtenübermittlung ist           wollen. Der größte Aggregator ist das Internet,
     nicht mehr zeitgemäß. Die Digitalisierung hat        doch ist es eben auch wahnwitzig intranspa-
     dazu geführt, dass wir überall in der Welt indi-     rent.
     vidualisierte Leistungen angeboten bekommen.           Verlage könnten die wertvolle Funktion der
     Urlaube können heute komplett individuell zu-        Nachrichtenaggregation übernehmen, so den
     sammengestellt werden, T-Shirts so bedruckt          Kunden eine wertvolle Leistung bieten und sie
     werden, wie der Kunde es wünscht und Stream-         an die eigene Marke binden.
     ingdienste schlagen mir Musik vor, die zu mir
     passen könnte.
                                                             Maßnahme VIII: Onlinewerbung neu
       Nur in der Welt der Nachrichten passiert das                     denken
     nicht.                                               Viele in der Verlagswelt haben Onlinewerbung
       Tatsächlich soll das bei gedruckten Zeitungen      abgeschrieben. Oder besser: Sie haben sie ja nie
     möglich gewesen sein. Die Mitarbeiterin einer        aufgeschrieben, weil sie diesen Einnahmestrom
     Druckerei sagte mir vor langen Jahren, es sei        (siehe oben) noch nie ernsthaft angegangen
     überhaupt nicht futuristisch, jedem Leser seine      sind. Ich halte dies für einen strategischen Feh-
     eigene Zeitung zu liefern – Verlage wollten das      ler von drastischem Ausmaß.
     aber nicht hören. Ob das Strunzerei war, kann          Derzeit ist die Erzählung jene: Facebook und
     ich nicht sagen.                                     Google konzentrieren Onlinewerbung auf sich,
                                                          da ist nichts mehr zu holen. Die Nutzer setzen
     Individualisierung Inhouse                           auf Adblocker – da dringen wir nicht mehr durch.
     Online aber wäre das natürlich ganz einfach          Und die EU wird mit der E-Privacy-Richtlinie das
     möglich. Zunächst mal auf den Nachrichtensei-        Targeting ruinieren.
     ten selbst: Warum zeigt mir Spiegel Online nicht       Historisch gesehen haben sich Verlage aber
     das an, was mich interessiert? Deutsche Politik,     nie gefragt, welche Funktion Onlinewerbung
     Englische Politik, Weltpolitik, Theaterkritiken,     für ihre Leser erfüllen kann, oder – um mit
     Fußball und Eishockey, alles zum Thema Essen         Christensen zu sprechen – welchen „Job“ sie er-
     und Trinken dazu ein wenig Wissenschaft – bitte      füllen kann. Facebook und Google sind deshalb
     aber nichts über Formel 1, Klatsch und von Bento.    so erfolgreich, weil sie Werbung erdacht ha-
       Dies würde natürlich nur funktionieren, wenn       ben, die für Leser einen Nutzen hat. Wir können
     ich mich einlogge. Was bedeutet, der Verlag          gern darüber lästern, dass es auch Fehl-Tar-
     könnte mich klar identifizieren, wüsste wie ich      geting gibt. Tatsächlich aber ist Werbung im
     mich auf seiner Seite verhalte und könnte dies       Social-Kontext so erfolgreich, dass eine gan-
     wieder für Online-Werbung nutzen, mir viel-          ze Branche entstanden ist: Direct-to-consu-
     leicht gar Produkte verkaufen.                       mer-Versender, deren Werbung so inspirierend
       Dies ist so in-die-Fresse-simpel, dass es mir      ist, dass Kunden kaufen, ohne dass sie die Mar-
     ein vollständiges Rätsel ist, warum die Auswahl      ke dahinter jemals zuvor gesehen haben. Oder
     von Rubriken das Höchste ist, was mir Nachrich-      Crowdfunder: Kickstarter ist nichts Anderes
     tenseiten aktuell an Individualisierung bieten.      als eine Werbeplattform mit angeschlossenem
                                                          Online-Shop. Und vergessen wir nicht Pod-
     Individualisierung aggregiert                        cast-Werbung: Sie registriert höchst erfreuliche
     Mit dem Kampf für ein Leistungsschutzrecht ha-       Conversion-Raten.
     ben die Verlage in Deutschland ihre Interessen         Facebook und Google können deshalb derart
     über die Interessen der Leser gestellt – denn nun    viele Werbegelder auf sich konzentrieren, weil
     sind automatisierte Nachrichtenaggregatoren          es von Seiten anderer Anbieter niemals eine
     praktisch unmöglich geworden. Das vorher wun-        ernsthafte Konkurrenz gab. Die Medienunter-
     derbare Rivva, zum Beispiel, besteht nur noch        nehmen betrieben Onlinewerbung halt so, wie
     aus dürren Überschriften ohne Kontext.               sie Analog-Werbung betrieben: Platzierung von

14
dpr
      das magazin zur digitalen transformation der medienbranche   ISSN 2512–9368

                sonderheft
            digital publishing report

publishing start-ups

                 Der dpr Start-up-Guide
                 Der erste umfassende Überblick über
                 deutsche Publishing-Start-ups
                 kostenlos hier:
                 http://bit.ly/dpr-startups
                                                                             15
Anzeigen irgendwie so, dass es schon passen         vier Mitglieder-Stati. Welche ich hatte? Keine
     wird.                                               Ahnung, war nirgends zu finden.
       Das heißt aber nicht, dass sich diese Situation     Es geht auch anders, das demonstriert der
     nicht wieder ändern ließe.                          „Guardian“. Das erste Mal seit 1998 meldete
       Ein Beispiel (das ebenfalls nicht neu ist): On-   die britische Zeitung einen operativen Gewinn.
     line-Anzeigenpreise ließen sich auch an der         Gründe: Die Einnahmen kommen vor allem aus
     Verweildauer messen. In diesem Moment ver-          dem Digitalen – und vor allem über die Leser.
     lören Clickbait-Artikel an Attraktivität, genauso   Und das, obwohl alle Artikel des „Guardian“ gra-
     die Zerhackstückelung eines längeren Textes         tis im Netz zu haben sind.
     auf mehrere Seiten. Sogar das nervige Popup           Doch die Londoner sind weitaus kreativer im
     mit dem Hinweis, dass die Startseite Neuig-         Community Building – und genauso in der Ein-
     keiten enthielte, wäre dann kontraproduktiv.        nahmengenerierung. So veranstalten deutsche
     Deutschlands Verlage sind in der Lage, gemein-      Medien recht austauschbare Events: Entweder
     sam sehr, sehr viel Lobbying anzustoßen. Es         interviewen hochrangige Journalisten andere
     gehört zu den Rätseln der Branche, warum sie        hochrangige Menschen, oder es gibt Fachkon-
     dieses Thema noch nie angegangen sind – ob-         ferenzen, die häufig genug von Konferenzver-
     wohl die Idee nicht neu ist.                        anstaltungstöchtern organisiert werden, die
                                                         keinerlei Beziehungen zur Redaktion pflegen.
         Maßnahme IX: Community Building                 Verlage müssen genau so denken und sie müs-
     Schon immer identifizierten sich regelmäßige        sen die Kanäle öffnen, damit alle Bereiche ihrer
     Leser einer Zeitung oder Zeitschrift mit dem je-    Mitarbeiter mehr Kontakt zu Kunden bekom-
     weiligen Objekt. „Du bist, was Du liest“, könnte    men. Gleichzeitig müssen sie Plattformen grün-
     man sagen. Beim „Handelsblatt“ bewunderten          den, die wieder die Kunden/Leser untereinan-
     Leser immer den Regenschirm mit Logo, zu dem        der zusammenbringen.
     ich bei Terminen erschien. Zum Verkauf freige-
                                                              Maßnahme X: Realistische Preis-
     geben wurde er meines Wissens nach nie.
                                                                      gestaltung
       Die Verbundenheit ist kein Wunder. Einerseits
     zahlen Menschen eine ordentliche Summe Geld,        Der geschätzte Richard Gutjahr erstellte
     buchen sie ein Abo. Andererseits verbringen sie     kürzlich mal eine Grafik mit verschiedenen
     mit einem gedruckten Objekt eine ganze Men-         Abo-Preisen, siehe nächste Seite oben.
     ge Zeit. Würden sie keine Bindung entwickeln,        Absurd, nicht wahr? (Zu einem ähnlichen Er-
     entstünden kognitive Dissonanzen: Warum so          gebnis kommt übrigens eine Studie des Reu-
     viel Zeit und Geld in etwas investieren, was man    ters Institute for Journalism.)
     nicht mag?                                           Doch in der Fläche geht es ja noch weiter. Ein
       Verlage haben daraus nie so recht Kapital         reines Digital-Abo jener „Westfälischen Nachrich-
     geschlagen. Wie das ginge, hätte der „Han-          ten“ kostet (noch dazu ohne e-paper) 9,90€ – also
     delsblatt“-Club zeigen können. Eigentlich die       genauso viel wie die „Welt“ oder ungefähr so viel
     richtige Idee: Es gibt keine Abonnenten mehr,       wie die „New York Times“.
     sondern Clubmitglieder. Und die bekommen             Es scheint, dass Verlage noch immer nicht re-
     Exklusivitäten und Veranstaltungen, sie sollen      alisiert haben, in welchem Konkurrenzumfeld
     sich einer besonderen Gemeinschaft zugehörig        sie sich bewegen. Denn werden Menschen zwi-
     führen.                                             schen einzelnen Mediensparten differenzieren?
       Leider war die operative Ausführung desa-         Oder fallen nicht all diese Digital-Abos in eine
     strös. So wurden mit einem Mal tausende von         Gefühlswelt und ist dann nicht DAZN ein Riva-
     Gratis-Mitgliedern eingekauft, indem allen Mit-     le für die „Süddeutsche“? Definitiv aber sind die
     gliedern des Deutschen Marketing-Verbandes          großen Internationalen Rivalen um das Geld der
     (DMV) diese Möglichkeit offeriert wurde (so         Leser: Jedes Abo aus Deutschland für den „Eco-
     wurde auch ich Mitglied des Clubs). Doch schon      nomist“ gefährdet ein Abo des „Handelsblatt“, je-
     der Zugangsprozess zum Club war eine Kata-          des für die „Washington Post“ eines für die „FAZ“.
     strophe, ich kenne zumindest ein DMV-Mit-            Setzt man die Zahlen ins Verhältnis, wird klar,
     glied, das eine halbe Stunde mit der „Handels-      dass die deutschen Abo-Preise so nicht funkti-
     blatt“-Hotline verbrachte, um die Mitgliedschaft    onieren werden. Schon jetzt verschweigen die
     zu erhalten. Ich persönlich scheiterte ein gan-     Verlage ja den Anteil jener Leser, die den vollen
     zes Jahr daran, den Mitglieder-Newsletter zu        Preis zahlen – was darauf hindeutet, dass die
     bekommen. Und als ich mich für eine der Veran-      Meisten dies nicht tun.
     staltungen anmelden wollte, stieß ich dort auf       Umso sinnvoller scheint, womit die „WZ“ seit
     Restriktionen: Offensichtlich gab es mindestens     jüngstem experimentiert: Digital-Abos für spe-

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zifische Themenfelder, zum Beispiel für die Be-     sie ein Abo abschließen für eine Marke, zu der
richterstattung über die Düsseldorfer EG.           sie keine Bindung empfinden? Hardcore-Paid-
  Dies gilt übrigens ähnlich auch für den Anzei-    Content bedeutet das Melken der alten Leser,
genbereich. Die Preislisten für Anzeigen, egal      die dann langsam wegsterben.
ob analog oder digital, sind nicht mal eine grobe    Mischfinanzierung bedeutet aber auch, dass
Annäherung an die Realität. Rabatte von 40, 50,     die Managementqualität der Verlage steigen
gar 70 Prozent sind die Normalität. Wie ernst       muss. Nicht umsonst sind Mischkonzerne am
nehmen Anzeigenkunden einen Anbieter, der           Kapitalmarkt verrufen, weil man den Entschei-
solche Rabatte gibt?                                dern nicht zutraut, deutlich unterschiedliche
                                                    Geschäftsfelder managen zu können.
Maßnahme XI: Professionelle Umsetzung                Verlagsmanager müssen künftig nicht nur
Blenden wir nochmal auf jenen Leitartikel von       über ein exzellentes Controlling verfügen. Sie
Giovanni di Lorenzo aus dem Jahr 2012. „Wir         müssen auch die oft miteinander verfeindeten
sind keine Holzhändler“, schrieb er. Ob er da-      Verlagsteile „Redaktion“ und „Kaufmannschaft“
mit damals Recht hatte, ist egal. Fakt aber ist:    miteinander versöhnen. Ein Unternehmen, des-
Wer Paid Content verkaufen will, ist ein Onli-      sen Teile sich nicht Grün sind, kann in einer dis-
nehändler. Und somit wird er verglichen mit         ruptiven Situation nicht florieren.
Amazon. Was bedeutet: Der Kauf eines Abos
                                                           Maßnahme XIII: Investition in
oder eines Einzelartikels oder eines E-Papers
                                                                 Experimente
muss so simpel sein wie der Einkauf eines Ar-
tikels beim größten aller Onlinehändler – dies      Es gibt, wie oben gesagt, keine Musterlösungen.
ist der Maßstab, an dem sie sich messen las-        Und das bedeutet, die Medienkonzerne müssen
sen müssen.                                         wie Wissenschaftler experimentieren. Dafür brau-
                                                    chen sie zunächst einmal innovative Leute – doch
   Maßnahme XII: Strategische Misch-
                                                    die laufen ihnen schnell davon, weil sie nichts um-
           finanzierung                             setzen dürfen. Über die Jahre hinweg begegneten
Die Varianz der Einnahmequellen von Verlagen        mir so viele gute Leute mit guten Ideen, die erst
muss steigen, sonst können sie nicht überleben.     in Verlagen anheuerten, dann immer frustrierter
Es wird Paid Content geben, Einzelartikelver-       waren und schließlich kündigten.
kauf, Events, Onlinewerbung, Whitepaper, Pod-         Podcast sind ein gutes Beispiel dafür, was
cast-Werbung, und, und, und…                        falsch läuft. Nachdem Gabor Steingart im Rah-
 Wer verkündet, man müsse einfach eine hohe         men seiner Selbständigkeit zu podcasten be-
Bezahlmauer errichten und alles werde gut,          gann, schlug das Thema anscheinend auch in
sollte dann beantworten, wie er neue Leser ge-      Verlagen auf. Natürlich hätte das schon frü-
winnen will: Spätestens die Generation Z kann       her passieren können, schließlich hatte Matze
mit der Idee von Zeitungen und Zeitschriften        Hielscher schon vorher eine spektakuläre Ge-
wenig bis gar nichts anfangen. Wieso sollten        folgschaft aufgebaut und die „Lage der Nation“

                                                                                                          17
schaffte das sogar mit harter Politik. Und „Seri-      leadership styles that I thought would have
     al“… reden wir nicht drüber.                           been extinct in the 21st century.
       Und nun wollen alle den Steingart machen.              I tried to change some of these things from the
     Das heißt aber eben nicht, dass innovative             inside and, I hope, succeeded in at least some of
     Formate entstehen, recherchierter Investiga-           them. But most of my time was, obviously, fo-
     tivjournalismus oder mitnehmende Klangcol-             cused on the business bottom line and shipping
     lagen. Es heißt: Menschen sitzen um ein Mikro          of products per se and in hindsight, I did not
     rum und reden. Das ist maximal einfach und             invest enough time in cultural transformation.
     maximal langweilig. Wie fantastisch könnte             At some point I realized that the challenge is
     ein deutsches „Serial“ sein? Zum Beispiel eine         so much bigger than “just” transforming the
     Podcast-Serie über den Fall der Herstatt-Bank?         product suite or strategy of one organization:
     Tatsächlich gibt es so was, doch es krankt un-          What if it is not the new product, the hot story-
     ter beschränkten Mitteln: „Dunkle Heimat“              telling feature, the great conversion strategy or
     – aus dem Hause Antenne Bayern. ANTENNE                the modern CMS that will “save” the media in-
     BAYERN! Gut, der „Stern“ hat sich mit „Faking          dustry/the news organization in question, but
     Hitler“ an den Hitler-Tagebüchern versucht,            if it’s rather our culture that is holding us back
     leider teilweise recht holprig. Allein: Das war        and that will, ultimately, kill us if we don’t radi-
     wenigstens mal ein Anfang.                             cally transform? Why are we not talking openly
       Die guten Digitalen brauchen mehr Geld für           about this elephant in the room? And who are
     Experimente, auch wenn diese scheitern.                going to be the leaders that drive the necessary
                                                            culture change, while being knowledgable
        Fazit: Es ist ein mieser Job – aber alle            about business innovation in the media indus-
                 müssen ihn machen                          try?“
     Der Chefredakteur eines Medienfachorgans                 Zielina hat vollkommen recht: So weiterma-
     sagte mir schon mehrfach: „Sie glauben immer,          chen wie bisher und hoffen, dass die Menschen
     das sei alles so leicht.“ Nö. Glaube ich nicht. Die-   für inferiore, digitale Nachrichtenprodukte zah-
     sen Wandel zu schaffen ist sauschwer, sauhart          len oder das Leistungsschutzrecht Rettung
     und führt die Verlage an die Grenzen dessen,           bringt – das ist keine Lösung und keine ernst-
     was eine Organisation aushalten kann – eine            hafte Option.
     ganze Reihe von ihnen wird daran zerbrechen.             Die größte deutsche Tageszeitung – die
     Und schnell mal eben ist all dies auch nicht be-       „Bild“ – hat realistisch noch fünf Jahre, bis ihr
     wältigt – es wird Jahre dauern.                        Druck eingestellt wird, ihrer Schwester „Welt“
       Erst recht, weil das fundamentale Problem der        geht es nicht anders. Die Einstellung der Bei-
     Branche die Unternehmenskultur ist. Anita Zieli-       den wird eine Erschütterung in der Medien-
     na, die ehemalige Online-Chefin des „Stern“, hat       welt auslösen und das Segment „Zeitung“
     jüngst einen Dozentenposten an der City Uni-           aus den Plänen der großen Mediaagenturen
     versity New York übernommen, wo sie sich um            entfernen – und eventuell auch das Segment
     die Fortbildung von Medienmanagern kümmert.            „Zeitschriften“.
     In ihrem lesenswerten Newsletter schrieb sie             Diese fünf Jahre sind das letzte Handlungsfen-
     jüngst über die Gründe, nach Manhattan zu              ster für Verlage. Wann werden sie anfangen, es
     gehen, über ihre Erfahrungen in Verlagen:              zu nutzen?
     „There were things that I didn’t love, though: The
     lack of creative space and lack of appreciation
     for innovation. The millions of meetings. Petty
     political fights on the management level. But,
     more than anything, the share of bad leaders                                                       thomas knüwer
                                                                                           Thomas Knüwer ist Gründer der
     I encountered, followed by disbelief when they                                        Digitalberatung kpunktnull und
     still got rewarded with additional responsibili-                                      bloggt seit 2005 über Digitalmar-
     ties by boards or CEOs. The often complete no-                                        keting und Medienwandel. Vor der
     nexistence of diversity on the higher leadership                                      Gründung von kpunktnull arbeite-
                                                                                           te er 14 Jahre lang in der Redakti-
     levels, and the absence of a conscious strategy
                                                                                           on Handelsblatt. Außerdem war
     to counter that problem. The lack of appreciati-                                      er Gründungschefredakteur der
     on for employees – manifested in the absence                                          deutschen Wired. Über Essen und
     of continuing education, growth opportunities,                                        Reisen podcastet er unter Völlerei
     professional feedback and, often, empathy. The                                        & Leberschmerz und bloggt darü-
                                                                                           ber bei Gotorio. Außerdem gehört
     lack of professional and appreciative commu-           er zum Ausrichterteam des ältesten deutschen Influencer-Awards,
     nication. Old fashioned command-and-control            den Goldenen Bloggern.

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