Digitales Instrumentarium

Die Seite wird erstellt Heiner Ritter
 
WEITER LESEN
Digitales Instrumentarium
Perspektiven                  1

                    Digitales Instrumentarium
                    Die Musikapp als zukünftiges Instrument in der                                                                     Vordruckfassung: Eine Druckfassung
                                                                                                                                                      erscheint in Kürze:

                    Musikschule                                                                                               Matthias Krebs: Digitales Instrumentarium.
                                                                                                                                Die Musikapp als zukünftiges Instrument
                    Matthias Krebs                                                                                             in der Musikschule, in: üben & musizieren
                                                                                                                                                         1/2018, S. 40-43.

                                                                                                                      piell bestehen Unterschiede hinsichtlich
                                                                                                                      der anvisierten Zielgruppe und Funkti-
                                                                                                                      onstiefe, bezüglich des Bedienkonzepts
                                                                                                                      und der Interfacegestaltung, bezüglich
                                                                                                                      der Individualisierungsmöglichkeiten, der
                                                                                                                      Konnektivität, des Exports von Eigenkrea-
                                                                                                                      tionen etc. Selbst Apps, die für einen ähnli-
                                                                                                                      chen Anwendungsbereich konzipiert sind,
                                                                                                                      trennen oft Welten, was Klangqualität und
                                                                                                                      Bedienkomfort angeht, sodass letztlich
                                                                                                                      nur nach persönlichem Geschmack, künst-
                                                                                                                      lerischer Intention oder pädagogischem
                                                                                                                      Ziel entschieden werden kann, welche ‚die
                                                                                                                      richtige‘ ist. Einsteiger_innen wünschen
                                                                                                                      sich deshalb häufig eine Übersicht.2
Foto: Finn Dorian

                                                                                                                      Kategorien
                                                                                                                      Eine grobe Orientierung bietet die Eintei-
                                                                                                                      lung in folgende vier Kategorien:
                                                                                                                      •    
                                                                                                                          Apps zum Konsumieren, darunter
                                                                   An Musikschulen tritt eine ambivalente                 Player- und Streamingapps mit denen
                    Könn(t)en Musikapps als vollwertige
                                                                   Einstellung zu Musikapps in Erscheinung:               man auf den Geräten gespeicherte
                    Musikinstrumente in einer eigenen Fach-
                    gruppe „Digitale Musikinstrumente“ an          Einerseits sieht man die positiven Aspekte             oder über das Internet verfügbare
                    Musikschulen ihren Platz haben oder            der Verwendung von einfachen Hilfsapps                 Musik, Konzertangebote oder Tutori-
                    stellen sie eher eine Bedrohung für das        (wie Metronom, Aufnahmegerät usw.),                    als abspielen kann.
                    ernsthafte Musizieren dar?                     andererseits wird das riesige Appangebot
                                                                                                                      •    
                                                                                                                          Apps, die als Hilfsmittel das Musizie-
                    Ein Diskussionsbeitrag von Matthias            als unübersichtlich empfunden, und auch
                                                                                                                          ren unterstützen, indem sie als No-
                    Krebs.                                         die Intensität, mit der sich Kinder und Ju-
                                                                                                                          tenmappe, Metronom und Begleitau-
                                                                   gendliche mit Apps beschäftigen, häufig
                                                                                                                          tomatik verwendet werden können,
                                                                   kritisch betrachtet. Dazu kommt, dass die
                                                                                                                          darunter auch Lern- und Trainingsap-
                    Als eines der momentan prominenten             medialen Angebote auch eine Konkur-                    ps, z.B. zur Gehörbildung.
                    Symbole des Informationszeitalters ha-         renz zum Musikschulunterricht darstellen
                    ben sich Apps in vielen Alltagsbereichen       könnten.                                           •    
                                                                                                                          Apps, mit denen man Komponieren
                    etabliert. In der Regel werden sie mit einer   In den App-Stores für iOS und Andro-                   und Musik produzieren kann, darunter
                    einfacheren Bewältigung des Alltags und        id sind zusammen mittlerweile mehr als                 Apps zur Tonaufnahme, zum Arran-
                    mit dem Konsum von Unterhaltungsange-          50.000 Musikapps verfügbar,1 die durch                 gieren und zur Klangbearbeitung (z.B.
                                                                                                                          in der Funktion eines Effektgerätes,
                    boten aller Art assoziiert. Dass auch eine     eine unglaubliche Vielfalt von verschiede-
                                                                                                                          Samplers, Drumcomputers).
                    Unmenge von ‚Kreativapps‘ existiert, mit       nen Herangehensweisen, Funktionen und
                    denen Nutzer_innen sich ästhetisch ge-         Inhalten gekennzeichnet sind. Daher sind           •    
                                                                                                                          Apps zum instrumentalen Musizieren,
                    stalterisch ausdrücken können, wird häufig     die Erfahrungen mit Musikapps sehr un-                 die das Mobilgerät in ein Musikinst-
                    nicht weiter betrachtet. Neben recht ver-      terschiedlich und verallgemeinernde Aus-               rument verwandeln und Funktionen
                    breiteten Foto- und Videoapps gibt es auch     sagen entsprechend unspezifisch. Prinzi-               bieten, um in Echtzeit rhythmische,
                    Apps für den musikalischen und musikpä-                                                               melodische, harmonische und klangli-
                                                                     1 Laut einer Studie von Thor Kell & Marcelo M.       che Strukturen zu spielen und zu mo-
                    dagogischen Bereich, die über Hilfsmittel      Wanderley an der McGill University wurden al-
                    wie Metronom- und Stimmapps hinaus-                                                                   difizieren.
                                                                   lein im App-Store von Apple Anfang 2014 38.750
                    gehen. Sowohl für Einsteiger als auch für      Musikapps gezählt. Auch wenn die Anzahl an
                    Profis gibt es eine breite Auswahl an Apps,    Musikapps für Android nicht ganz so hoch ist,        2 Fachblogs, Themengruppen auf Facebook und
                                                                   kann davon ausgegangen werden, dass die Ge-        YouTube-Kanäle bieten vielfältige Empfehlungen
                    die als Musikinstrumente und als Produkti-     samtangebot an mobiler Musiksoftware bis heu-      für spezialisierte Apps.
                    onstools verwendet werden können.              te noch deutlich gewachsen ist.                    Siehe www.musik-mit-apps.de/ressourcen.
Digitales Instrumentarium
2      Perspektiven

                                                                                                                                  Gerät zu ‚Instrumentenbauern‘ werden und
                                                                                                                                  ihr eigenes, individuelles Instrument gestal-
                                                                                                                                  ten.4

                                                                                                                                  Musizierapps als innovatives Instrumen-
                                                                                                                                  tarium
                                                                                                                                  Verfolgt man die Beiträge in musikpäd-
                                                                                                                                  agogischen Fachveröffentlichungen, so
                                                                                                                                  scheinen Musikapps im aktuellen Diskurs
                                                                                                                                  mitunter den Status eines Allheilmittels
                                                                                                                                  zu haben, wobei ihnen eine aktivierende
                                                                                                                                  sowie steigernde Wirkung auf Motivation,
                                                                                                                                  Selbstständigkeit und Kreativität pauschal
                                                                                                                                  zugeschrieben wird.5 Die Nutzer_innen
                                                                                                                                  werden in diesem Zusammenhang oft-
                                                                                                                                  mals als Subjekte dargestellt, die mit dem
                                                                                                                                  Smartphone oder Tablet stets motiviert
                                                                                                                                  und mühelos kreativ sind. Derartige Dar-
                                                                                                                                  stellungen geben zweifellos einen Hinweis
                                                                                                                                  auf den Legitimationsdiskurs über musik-
                                                                                                                                  bezogene Umgangsweisen mit Apps und
                                                                                                                                  Smartgeräten. Ergebnisse aus empirischer
    Ein allgemeingültiges Klassifikationssche-                                tive Spieloberflächen, Klangerzeuger und            Forschung dazu, was und wie im Umgang
    ma für Musikapps macht allerdings nur                                     künstlerische      Klanggestaltungsmöglich-         mit Musikapps gelernt wird, wie mit Apps
    begrenzt Sinn, da es je nach individuellem                                keiten. Da digitale Klangerzeugung nicht            musikalische Kreativität gefördert werden
    Zugang und intendierten Anwendungsbe-                                     gleichermaßen von physikalischen Gege-              kann und wie sich musikalische Wahrneh-
    reichen erstellt werden muss, und einzelne                                benheiten abhängig ist, verändert sich das          mung und damit die Bedeutung von Musik
    Apps fast immer mehreren Bereichen zu-                                    Verhältnis von Klangerzeugung und physi-            ändert, sind jedoch noch rar.6
    geordnet werden können. Viele Apps sind                                   scher Steuerung grundlegend. So kann be-            Nach Ulrich Mahlert gibt es „wohl keine
    nicht bloß einfache Werkzeuge, sondern                                    reits ein leichtes Fingertippen einen gigan-        künstlerische Tätigkeit, in der das Denken,
    stellen komplexe und vielfältig einsetzbare                               tisch lauten Klang oder eine ganze Kette            das Fühlen und das körperliche Agieren
    Produktionssysteme und Musikinstrumen-                                    von Tönen, Geräuschen und Loops auslö-              so differenziert gefordert und dicht ver-
    te dar. Mit etwa 7.000 ‚Musikmach-Apps‘                                   sen. Bei anderen Apps kann man über den             woben sind, wie es beim Musizieren der
    kann man sich künstlerisch-gestaltend                                     Touchscreen direkt in die Klangdarstellung          Fall ist.“7 Viele Instrumentalist_innen und
    ausdrücken und auf unterschiedliche Weise                                 ‚hineingreifen‘ oder auch Klänge per ein-           Sänger_innen betrachten die digitalen
    an musikalischen Prozessen teilnehmen.                                    gebauten Bewegungs- und Lagesensoren                Möglichkeiten daher eher skeptisch. Die
    Schon in den 1990er Jahren wurde auf                                      frei im Raum steuern. Dadurch entstehen             nicht selten kommunizierte Behauptung,
    Computern mit Sequenzer- und Audiobe-                                     ganz neue Musizierformen, die Brücken               dass Musikapps das Musizieren radikal
    arbeitungsprogrammen eine kaum noch                                       zum Tanz und multimedialen Performan-               vereinfachen und so für jeden und überall
    steigerungsfähige Virtualisierung der Mu-                                 ces schaffen können. Des Weiteren können            ermöglichen, steht im Kontrast zu ihrer
    sikproduktion erreicht.3 In ihrer Rechen-                                 die Musiker_innen durch Kombination und             Erfahrung, sich musikalische Ausdrucks-
    leistung stehen aktuelle Smartphones und                                  Verknüpfung mehrerer Apps auf demselben             fähigkeit durch intensive Beschäftigung
    Tablets modernen Laptopcomputern kaum                                                                                         mit einem Instrument oder der Stimme
    mehr nach, es sind also qualitativ hochwer-
                                                                                                                                    4 Wie auf einem iPad mehre Apps zu einem ex-
    tige Ergebnisse möglich und Musikapps ge-                                                                                     pressiven Instrument verknüpft werden können,
    hören heute oft schon zum Inventar profes-                                                                                    wird hier gezeigt: http://blog.appmusik.de/das-
    sioneller Tonstudios. Darüber hinaus bieten                                                                                   ipad-als-expressives-musikinstrument/.
    einige Apps sogar die Funktionalität ganzer                                                                                     5 Dabei bleibt bei den Autor_innen meist of-
    Workstations und entsprechendes Studio-                                                                                       fen, inwiefern diese den Apps zugesprochenen
                                                                                                                                  Wirkungen, zuallererst auf die Unterrichtsab-
    equipment kann direkt ans Smartphone an-                                                                                      wechslung zurückzuführen sind. Siehe auch:
    geschlossen werden.                                                                                                           Marc Godau: Apps in der Musikpädagogischen
    Es gibt jedoch nicht nur Musikapps, die                                                                                       Praxis, Eine explorative Studie zur kommunika-
    Studioumgebungen (z.B. Mischpulte) oder                                                                                       tiven Konstruktion von mobilen Technologien im
                                                                                                                                  schulischen Nachmittagsbereich. In: Alexander J.
    auch die Spielweise herkömmlicher Inst-                                                                                       Cvetko und Christian Rolle (Hg.): Musikpädago-
    rumente simulieren (z.B. virtuelle Pianos).                                                                                   gik und Kulturwissenschaft. Music Education And
    Zahlreiche Apps bieten ganz neue, innova-                                                                                     Cultural Studies: Waxmann (38) 2017, S. 237-249.
                                                                                                                                    6 Aktuell laufen zu diesen Fragestellungen Stu-
                                                         Foto: Julian Capes

      3 vgl. Bernd Enders: Vom Idiophon zum Touch-                                                                                dien unter anderem im Forschungsprogramm
    pad. Die musiktechnologische Entwicklung zum                                                                                  „Digitalisierung in der Kulturellen Bildung“, ge-
    virtuellen Musikinstrument, in: Beate Flath (Hg.):                                                                            fördert vom Bundesministerium für Bildung und
    Musik / Medien / Kunst. Wissenschaftliche und                                                                                 Forschung (BMBF).
    künstlerische Perspektiven, transcript, Bielefeld                                                                              7 Ulrich Mahlert: Musizieren – was ist das?, in:
    2013, S. 55-74, hier: S. 61.                                              „All I use for everything I create.“ Facebookpost   üben & musizieren 6/2003, S. 8-16, hier: S. 14.
Digitales Instrumentarium
Perspektiven              3

                       über Jahre erarbeitet zu haben. Wer sich
                       jedoch mit dem digitalen Instrumentarium
                       beschäftigt und mit geeigneten Apps ein
                       Musikstück musiziert, weiß, dass dies auch
                       auf das Musizieren mit Apps zutrifft. Apps
                       lediglich als Spielzeug und Motivationshil-
                       fe in pädagogischen Settings zu betrach-
                       ten greift also deutlich zu kurz.

                       Vergleichbarkeit
                       Auch der spontane Zugang von Laien zum
                       Musizieren ist bei klassischen Instrumen-
                       ten und Apps vergleichbar, zumindest was
                       das Experimentieren mit musikalischem
                       Material, mit dem Körper und mit dem Ins-
                       trument betrifft. Ob ich eine kurze Melodie
                       auf einer leeren Gitarrensaite spiele, eine
                       musikalische Szene mit aufgenommenen            schen Klangerzeugung hin zu ästhetischen        chen werden. Musikinstrumente sind im-
                       Geräuschen in einer experimentellen App         Fragestellungen verschoben sein.                mer schon ‚technische Dinge‘ gewesen,
                       improvisiere, einen Akkord auf einer Orgel      Dass das spontane Musikmachen mit Apps          ‚Musikmaschinen‘ auf dem Stand der
                       greife oder die Klanglichkeit eines Rhyth-      Ergebnisse hervorbringen kann, die beliebig     Technologie ihrer jeweiligen Zeit.8 Jenseits
                       mus-Loops mit einem Filter einer Drumma-        und stark standardisiert nur ‚irgendwie nach    dieser technischen Beschreibungsebene
                       chine-App moduliere: All diese Tätigkeiten      Musik‘ klingen, sollte daher nicht zu der       existieren jedoch auch kulturelle Konzep-
                       motivieren zum spielerischen Weiterma-          falschen Annahme führen, dass mit Apps          te, die dem Instrument ein spezifisches
                       chen und haben ihre ureigenen Erfahrungs-       nicht auch intensiv geübt, eine intensive       Gepräge geben und die Musikdarstellung
                       möglichkeiten, wie in offenen Lehrange-         Beziehung zur Musik hergestellt und virtu-      und -präsentation einschließen. Deutlich
                       boten und Workshops vielfach beobachtet         os musiziert werden kann. Musizieren mit        wird das etwa anhand der verbreiteten
                       werden kann.                                    Musikapps erfordert – wie jedes andere In-      Vorstellung von einem Klavierabend mit
                       Gleichzeitig ist es noch ungewohnt und sind     strument auch – spezielle Interaktionsmus-      einem Repertoire an Liszt-Werken in ei-
                       die Ergebnisse oft überraschend, wenn mit       ter und spezielles musikalisches Wissen, das    nem Kammermusiksaal.
                       Hilfe von Apps in relativ kurzer Zeit bereits   erworben und trainiert werden muss. Dies        Die Bauform eines Flügels, sein Klang, die
                       komplex klingende Musik entsteht. Dabei         kann auf niedrigem und hohem Niveau er-         Art und Weise des Spiels etc. haben sich
                       ist jedoch stets zu berücksichtigen, welchen    folgen. Und wie jedes andere Instrument         mit dem Konzertsaal entwickelt und sind
                       Komplexitätsgrad das Klangmaterial, das         machen Apps bestimmte Dinge einfacher,          daher in diesem Kontext besonders wir-
                       die App bereitstellt (z.B. Loops), schon mit-   andere komplizierter.                           kungsvoll. Technologien wie ein digitales
                       bringt und welche Möglichkeiten zur Gestal-                                                     Stage-Piano (Keyboard) ersetzen den Flü-
                       tung und Manipulation des Materials beste-      Ein Klavier ist kein Keyboard, ist keine App…   gel nicht. Dafür zeichnet Letzteres sich un-
                       hen. Dies wertet das Ergebnis der Arbeit mit    Bei der Auseinandersetzung mit dem The-         ter anderem durch seine Portabilität, sei-
                       bereits stark vorstrukturiertem Klangmate-      ma Musikapps werden häufig Befürchtun-          nen Preis und eine Aufnahmefunktion aus
                       rial nicht etwa ab, es erfordert jedoch ande-   gen laut, dass herkömmliche Instrumente         und lässt sich auf der Rockmusikbühne un-
                       re Bewertungskriterien. So kann in diesem       durch neue digitale Entwicklungen ersetzt       kompliziert elektrisch über Lautsprecher
                       Fall z.B. der Fokus von Fragen der motori-      werden könnten. Dem muss widerspro-             verstärken. Eine Klavierapp wiederum
                                                                                                                       ersetzt weder Konzertflügel noch Stage-
                                                                                                                       Piano. Sie kann über das Internet spontan
                                                                                                                       heruntergeladen werden, bietet z.B. eine
                                                                                                                       Funktion zur Anpassung der Töne auf eine
                                                                                                                       bestimmte Skala und ermöglicht es mit
                                                                                                                       ihrem grafischen Editor, unterwegs mehr-
                                                                                                                       stimmige Kompositionen zu entwickeln,
                                                                                                                       die per Mail direkt an Freunde versendet
                                                                                                                       oder von ihnen weiterbearbeitet werden
                                                                                                                       können.
                                                                                                                       Offensichtlich führt die Tatsache, dass von
                                                                                                                       einer App Klavierklänge erzeugt werden
                                                                                                                       können, nicht dazu, dass das Original Ge-
                                                                                                                       fahr läuft, durch die Simulation ersetzt zu
Foto: Matthias Krebs

                                                                                                                         8 Eine profunde Reflexion über die „Tech-
                                                                                                                       nisierung“ in der Instrumentenentwicklung
                                                                                                                       findet sich bei Michael Harenberg: Virtuelle
                                                                                                                       Instrumente im akustischen Cyberspace. Zur
                                                                                                                       musikalischen Ästhetik des digitalen Zeitalters,
                                                                                                                       transcript, Bielefeld 2012.
Digitales Instrumentarium
4      Perspektiven

    werden.9 Die Erfahrungen, die mit einem
    Instrument gemacht werden können, sind
    multimodal und hochspezifisch und wer-
    den anhand unserer Erwartungen bewertet.
    Sie schließen den Kontext (Raum, Körper,
    Klang, Rituale, Interpret, Publikum etc.)
    immer mit ein. Werden Merkmale einer
    solchen konkreten Situation verändert, so
    verändert sich mithin das Instrument oder
    es werden Brüche spürbar, weil das Vorge-
    fundene nicht zur Erwartung passt.
    Diese Beispiele machen ebenso deutlich,
    dass Musikinstrumente nicht nur technisch,
    sondern auch sozial und kulturell konstru-
    iert werden. Das Klavier verweist auf eine
    Kultur, in der das Instrument und die Musik
                                                         Foto: Matthias Krebs

    Werkcharakter aufweisen. Musikapps sind
    dagegen Ausdruck einer digitalen Kultur,
    die durch Mobilität, Partizipation, offene
    Prozesse, Virtualisierung etc. beschrieben
    werden kann. Diese Kulturen existieren pa-
    rallel und sind Ausdruck eines dynamischen
                                                                                   Musizieren mit Apps wird auch von Erwachsenen als innovatives Musikangebot mit regelmäßigen
    Kulturverständnisses. Selbst wenn die drei
                                                                                   Treffen nachgefragt. Z.B. im Projekt Appmusikschule Leipzig (2014) oder aktuell im Rahmen von
    völlig unterschiedlichen Musikinstrumente                                      Workshops der Zentralen Landesbibliothek Berlin (AGB).
    Flügel, Stage-Piano und Klavierapp einen
    vergleichbaren Pianoklang erzeugen, so er-
    eignet sich dennoch für alle Anwesenden
    eine andere Musik, auch wenn dasselbe Mu-                                   terscheiden sich grundsätzlich. Musikapps           noch weitgehend ungenutztes Potenzial,
    sikstück dargeboten wird. Mit Apps gespielte                                sind also nicht einfach Nachbildungen von           das sich Musikschulen erschließen kön-
    Musik verweist vielmehr auf eine eigenstän-                                 Instrumenten, sondern sie bilden ein eigen-         nen, wenn sie Bildungsangebote mit dem
    dige kulturelle Praxis (‚Appmusik‘), die sich                               ständiges Instrumentarium digitaler Gat-            neuen Instrumentarium entwickeln.
    vom Musizieren mit dem Flügel auf der Kon-                                  tung. Entscheidend ist, dass sie dazu beitra-       Musikapps sind keine Bedrohung fürs Mu-
    zertbühne grundlegend unterscheidet und in                                  gen können, musikalischen Reichtum und              sizieren und seine Vermittlung, sondern
    diesem Sinne keine ‚Konkurrenz‘ darstellt.                                  Vielfalt zu schaffen.                               sie stellen den herkömmlichen Instrumen-
                                                                                                                                    ten ein weiteres Instrumentarium zur Sei-
                                                                                                                                    te. Des Weiteren bieten sie sich dazu an,
                                                                                                                                    um ganz neue Zielgruppen zu erschließen
                                                                                                                                    und musikalische Ausdrucksfähigkeiten
                                                                                                                                    auszuloten. Vokal- und Instrumentalpäd-
                                                                                                                                    agog_innen können dies unterstützen und
                                                                                                                                    mitgestalten.

    Geht es nun darum, ein Klavierstück zu re-                                                                                       Matthias Krebs
    alisieren, so hat der Spieler abhängig von                                  Einen neuen Fachbereich digitale Musik-
                                                                                instrumente schaffen                                 ist Medien- und Diplom-Musikpädagoge,
    den zur Verfügung stehenden Mitteln na-                                                                                          Opernsänger und Wissenschaftler. Er ist
    türlich die Wahl, ob er es mit einem Klavier,                               Im Zuge der künstlerischen Auseinander-              Leiter der Forschungsstelle Appmusik an
    einer App, einem Keyboard oder z.B. einer                                   setzung mit technischen Innovationen ver-            der Universität der Künste Berlin.
    Gitarre spielen lernen will. Je nachdem, für                                ändern sich immer wieder aufs Neue die
    welches Instrument er sich entscheidet,                                     Vorstellungen davon, was Musik und Mu-               Gemeinsam mit Dr. Marc Godau entwi-
    muss er eine entsprechende Spieltechnik                                     sikinstrumente sind, wie Musik entsteht              ckelte er die Qualifizierungsmaßnahme
    entwickeln und es entsteht eine Musik mit                                   und wie sie vermittelt werden kann. Nimmt            „Zertifikatskurs tAPP“ zur Professio-
    spezifischem Ausdruck. Auch die jeweilige                                   man die digitalen Musiktechnologien als              nalisierung von Musiker_innen für das
    Körperlichkeit und Selbstwahrnehmung un-                                    Musikinstrumente ernst, so eröffnet sich ein         Berufsfeld musikalisch-kreativer Vermitt-
                                                                                weites Feld an neuen musikalischen Aus-              lungsarbeit mit digitalen Technologien in
      9 Apps, die etwa ein Piano mit einer fotorealis-
    tischen Klaviatur auf dem Display darstellen und
                                                                                drucks-, Gestaltungs- und Vermittlungsfor-           der Kulturellen Bildung.
    damit bekannte Techniken und Verfahren simu-                                men.10 Darin liegt ein großes und bislang            Mehr zur Person: www.matthiaskrebs.de
    lieren, können nur als erste künstlerische Geh-
    versuchen in einer fremden Umgebung gewertet                                  10 Musikapps reihen sich ein in digitale Mu-
    werden. Darüber hinaus lassen sich daraus keine                             siktechnologien wie Desktop-Musiksoftware,
    Rückschlüsse auf die Spezifik der neuen Techno-                             LinnStrument, Ableton Push, Roli Seaboard, Ei-
    logie ziehen.                                                               genharp, digitale Synthesizer, DJ-Controller etc.    www.forschungsstelle.appmusik.de
Digitales Instrumentarium Digitales Instrumentarium Digitales Instrumentarium
Sie können auch lesen