Geschlechtervarianz Sind Gesellschaft und Gesundheitswesen mit - Luzerner Psychiatrie
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Geschlechtervarianz Sind Gesellschaft und Gesundheitswesen mit Geschlechtervielfalt überfordert? Luzerner Psychiatrie, Luzern, 21. Juni 2018 Myshelle Baeriswyl Geschäftsleiterin Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, SG Dr. phil. Psychologin & Sexualpädagogin Leiterin Sprechstunde Gendervarianz Mitglied Fachgruppe Trans* Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Heteronormativität als unsichtbare soziale Matrix «Heteronormativität ist ein zentraler Begriff der Queer Theory, mit dem Naturalisierung und Privilegierung von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit in Frage gestellt werden. (…) Der Begriff Heteronormativität dient zur Analyse und Kritik der Verflechtung von Heterosexualität und Geschlechternormen, mit denen Macht-, Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnisse einhergehen (vgl. Engel, 2009, S. 19). Analysiert wird, wie Heterosexualität in die soziale Textur unserer Gesellschaft, in Geschlechterkonzeptionen und in kulturelle Vorstellungen von Körper, Familie, Individualität, Nation, in die Trennung von privat/öffentlich eingewoben ist, ohne selbst als soziale Textur bzw. als produktive Matrix von Geschlechterverhältnissen, Körper, Familie, Nation sichtbar zu sein.“ (Hark, 2009, S. 318). Kleiner, B. (2016). Heteronormativität. In: Gender-Glossar http://gender-glossar.de/item/55-heteronormativitaet Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Die heteronormative Logik des Sports «Der Sport ist bis heute eine Sphäre männlicher Dominanz und heteronormativer Geschlechtervorstellungen. Das zeigt die anhaltende Debatte über Geschlechtertests im Leistungssport ebenso wie die deutliche Unterrepräsentanz von Sportlerinnen in den Medien. Diese heteronormativ-hierarchische Ordnung (re-)produziert und legitimiert sich in Bestimmungen internationaler Sportorganisationen und in Auseinandersetzungen von Athletinnen mit den Regeln des Sports. Die Leistungsklasse Geschlecht erweist sich als eine Struktur, die es für zukünftige Visionen eines geschlechterinklusiven Sports kritisch zu hinterfragen gilt.» Karolin Heckemeyer, 2018 Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Axiome der Zweigeschlechterideologie „Brauchen wir wirklich ein wahres Geschlecht? Mit einer Beharrlichkeit, die an Starrsinn grenzt, haben die Gesellschaften des Abendlandes dies bejaht.“ Foucault, 1978, 7. 1. Es gibt nur zwei Geschlechter. 2. Jede_r hat nur ein Geschlecht. 3. Das Geschlecht ist unveränderbar. 4. Körpergeschlecht und Geschlechtsidentität stimmen überein. 5. Geschlechtswechsel ist nur als temporäres Ritual akzeptabel. 6. Genitalien sind die essenziellen Indizien des Geschlechts. 7. Jede Person muss einem Geschlecht zuzuordnen sein. 8. Die Dichotomie männlich/weiblich ist natürlich. Schweizer, 2012, 22.f Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Die 8 Ebenen von Geschlecht • genetisch/chromosomal: XX, XY, XXY.... • gonadal: Hoden, Eierstöcke... • hormonell: Östrogen, Testosteron, Progesteron... • gonaductal: Differenzierung innerer Geschlechtsorgane (Vagina, Prostata...) • genital: unterschiedliche äussere genitale Ausstattung • cerebral/psychisch: biolog. Hirngeschlecht/Geschlechtsidentität • sozial: Rollen, Verhalten, Rechte... • kulturell: Zweigeschlechtlichkeit, 3. Geschlecht (Kathoj, Hijras, Fafafine, Berdachen, Two spirits...); Mehrgeschlechtlichkeit.... Auf allen Ebenen treten grosse Variabilitäten auf. Keine Ebene determiniert die Geschlechtsentwicklung allein oder vollständig, weder Chromosomen, noch Gene, noch Keimdrüsen, noch Hormone. Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
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trans* Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
intersex Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Zweigeschlechtlichkeit als kulturelles Konstrukt • A Map of Gender-Diverse Cultures (2015) http://www.pbs.org/independentlens/content/two-spirits_map-html/ • In vielen Gesellschaften, vor allem ausserhalb Europas, unterscheiden sich Geschlechterkonstruktionen und Grenzverläufe zwischen "Mann" und "Frau" von unseren Mustern. • Was einen Mann oder eine Frau ausmacht, ob zwei oder mehr Geschlechter anerkannt werden, inwieweit Körper, Sexualität und soziale Rollen als konstitutiv für Geschlecht gelten, ist abhängig vom kulturellen Kontext und unterliegt kulturellem Wandel. • Die interessante Forschungsfrage ist weniger die nach den Ursachen von Geschlechtsvarianten, sondern warum in den abendländischen Gesellschaften das Primat der Zweigeschlechtlichkeit/Heteronormativität so verbreitet ist. Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Each person has is own genderprint «Keine zwei Menschen haben den gleichen Fingerabdruck. Nicht einmal eineiige Zwillinge. aber bei der Geschlechtsentwicklung, einem unendlich komplexeren Prozess mit viel mehr Variationen, pressen wir diese Vielfalt in zwei Boxen: weiblich oder männlich. Aber jeder Mensch hat seinen eigenen Genderprint." Dr. Judi Herring, MD, Urologist Jacksonville Beach, FL Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=TZkcGZrupEo&app=desktop Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
„Nature loves diversity, society hates it“ (Milton Diamond) «Die biologische Variabilität kennt mehr als nur zwei Geschlechter. In der modernen Biologie werden die Geschlechter nicht mehr als klar geschiedene Alternativen gesehen, sondern in ihrer reinsten Ausprägung als zwei Pole begriffen, zwischen denen sich eine Variationsreihe mit fliessenden Übergängen entspannt. In unserer heutigen Gesellschaft gibt es jedoch keinen sozialen Raum für Individuen, die zwischen den Geschlechtern stehen.“ Brigitte Röttger-Rössler, 1997 Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Geschlechtsvarianz Trans*: Definition & Begriffe Sammelbegriff für Menschen, deren Identitätsgeschlecht nicht, nicht ganz oder nur teilweise mit dem zugewiesenen Geburtsgeschlecht übereinstimmt. Inkongruenz/Nichtübereinstimmung von genitalem und psychischem Geschlecht (Geschlechtsidentität) Trans*: Transsexualität, Transidentität, Transgeschlechtlichkeit, Transgender (vgl. Cisgender) Coming-out; Transition, Cis-Passing Diskriminierend: Transe, Shemale, Ladyboy; Wunschgeschlecht, Geschlechts- umwandlung…. Sprache im Wandel, auch in der Community Uneinigkeit => Sprachguide TGNS https://www.transgender-network.ch/medien/medienguide/ Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Etymologie des Transsexualismus (TS) • Geschlechtervarianz gab’s zu allen Zeiten in allen Kulturen (analog Homosexualität). • Als Begriff ist TS eine Erfindung des 20. Jahrhunderts und geht auf den deutschen Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld zurück. • Er prägte 1910 die Bezeichnung Transvestiten für Menschen, die sich gelegentlich oder regelmässig als Angehörige des anderen Geschlechts kleiden. • Für Menschen, die seelisch dem einen, körperlich aber dem anderen Geschlecht zugehörten, verwendete er 1923 den Begriff des seelischen Transsexualismus. • Harry Benjamin griff den Begriff 1953 in seinem Artikel „Transvestism and Transsexualism“ wieder auf und etablierte ihn 1966 mit seinem Buch „The Transsexual Phenomenon“ in der Sexualmedizin Harry Benjamin Skala http://www.transx.at/Pub/HarryBenjamin.php Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Nosologie Transsexualismus ICD (International Statistical Classification of Diseases, WHO) DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, APA) • ICD 6 (1948) & 7 (1955). Keine Terminologie • ICD-8 (1965). Transvestitism • ICD-9 (1978) Transsexualism Störungen der Geschlechtsidentität; Position 302 "Sexuelle Verhaltensabweichungen und Störungen“, • ICD-10 (1991): Transsexualism F6: „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen; F 64: Störungen der Geschlechtsidentität; F 64.0: Transsexualismus. • ICD-11 (2018): Gender Incongruence gilt nicht mehr als psychische Störung, neu eingeordnet unter Related to Sexual Health • DSM I (1952). Keine Terminologie • DSM II (1968). Transvestitism • DSM III (1980): Transsexualism, Psychosexuelle Störung • DSM IV (1994): Transsexualismus wird durch GID (Gender Identity Disorder) ersetzt. • DSM V (2013): GID wird durch Gender Dysphoria (Unbehagen im Geschlecht) ersetzt. • 1973 Homosexualität wird aus DSM gestrichen. Im ICD erst 1992. Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Ätiologie Transsexualismus • Bis heute keine wissenschaftlich belegbaren Ursachen gefunden (analog Homosexualität), aber viele Theorien: Hormone in Embryonalentwicklung; Hirnintersexualität; neurogenitales Syndrom…. • Alle biologischen, sozialen oder psychologischen Theorien erwiesen sich als Spekulation. • Es gibt kein «Homosexuellen-Gen», kein «Hetero-Gen», kein Trans*- Gen. • Trans* ist keine psychische Störung, sondern eine biologische Variante. Sie ist keine freie Wahl, sondern eine präreflexive «konstitutionelle Geschlechtsinkongruenz» (Kunert, 2013) • Ursachenforschung birgt Keim von Diskriminierung in sich: keine Erforschung der Ursachen von Heterosexualität oder Cisgender! Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Prävalenz Trans* • Frage der zugrunde liegenden Definition: eine genaue Zahl existiert nicht. Wie zählen? Klient_innen bei Therapeut_innen? Anzahl Klient_innen in Kompetenzzentren? Anfragen bei KK? Diagnosen? Operationen? • Gemäss einer Studie aus NL (2014) fühlt sich 1 von 200 Menschen (0.5%) nicht nur als das Geschlecht, dem er_sie nach der Geburt zugeordnet wurde. http://link.springer.com/article/10.1007/s10508-013-0140-y • Zählt man nur geschlechtsangleichende Operationen, sind es in CH nur ein paar hundert. • In einer Studie in den USA (Taylor, 2016) wurden die Prävalenzraten verdoppelt, grosse Unterschiede in den einzelnen Bundesstaaten: Hawaii, California, Georgia und New Mexico 0.8 %; North Dakota, Iowa, Wyoming, Montana und South Dakota 0.3% http://www.lgbtqnation.com/2016/06/estimated-population-transgender-americans- doubles-1-4-million/ • Trans* in CH rund 40‘000 geschlechtsvariante Menschen. Knapp gleich viele wie Schweizer Bauern. Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Behandlungsleitlinien: Standards of care (SOC) der WPATH Zwei Ziele: 1. Rechtliche, ethische und medizinische Sicherheit für Behandler_innen; 2. „Echte“ von „unechten“ Transsexuellen unterscheiden Lineare Behandlungsrichtlinien Diagnostik - Psychotherapie - Alltagstest - Hormonbehandlung - Vornamensänderung (kleine Lösung) - chirurgische Eingriffe - genitale Angleichung - Personenstandsänderung (grosse Lösung) Rolle der Behandler_innen Gate-keeping; Betroffenenorganisationen in der Entwicklung nicht involviert Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Kurze Geschichte der Standards of control (SOC) 1979 1. Version der Standards of Care (SOC) for the Hormonal and Surgical Sex Reassignement of Gender Dysphoric Persons. Zulassung zur Hormonbehandlung: mind. 3 Monate Alltagstest Zulassung nicht genitale chirurgische Eingriffe: mind. 6 Monate Alltagstest 1-2 unabhängige Indikationen zwingend, nur von Psycholog_innen bzw. Psychiater_innen zulässig 1980 2. Version: keine wesentlichen Änderungen 1981 3. Version: Zulassung weiterer „Fachpersonen“ für Indikationsstellung 1981 Einführung des deutschen Transsexuellengesetzes TSG 1990 4. Version: keine wesentlichen Änderungen 1997 „Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen“ (Becker et al.). Ohne Überarbeitung bis heute in D gültig. Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Kurze Geschichte der Standards of control (SOC) 1998 5. Version: Umbenennung in „Behandlungsstandards für Störungen der Geschlechtsidentität“; Ziel der Psychotherapie nicht mehr Heilung, sondern Lindern des Leidens; Alltagstest für Genitalop auf 12 Monate erhöht. 2001 Version 6: keine wesentlichen Änderungen 2011 Operationszwang im TSG abgeschafft 2012 Version 7: Geschlechtsinkongruenz wird als Normvariante im Spek- trum geschlechtlicher Erlebens- und Verhaltensweisen aufgefasst; Empfeh- lung, den bis dato üblichen linearen Behandlungsverlauf entsprechend der individuellen Geschlechtsdysphorie zu modifizieren; Psychotherapie als Voraussetzung für somatische Behandlungen nicht mehr zwingend. Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Rechtliche Situation in der Schweiz Kein Transsexuellengesetz Es gelten Bestimmungen des öffentlichen und Privatrechts. Von Kanton zu Kanton und von Gericht zu Gericht grosse Unterschiede in Auslegung und Rechtsprechung. Ohne psychiatrische Diagnose/Bestätigung keine Kassenleistungen. Bis vor wenigen Jahren keine Personenstandsänderung möglich ohne nachgewiesene operative Sterilität (genitale Angleichung). Präzedenzurteil Zürcher Obergericht 2011: „Der irreversible Geschlechtswech- sel setzt nicht zwingend einen chirurgischen Eingriff voraus.“ Regionalgericht Bern-Mittelland 2012: „Weder ein operativer Eingriff noch die Fortpflanzungs- unfähigkeit sind notwendige und zulässige Voraussetzungen für den registerrechtlichen Geschlechtswechsel. Quellen: Büchler, 2013, Transsexualität und Recht in der Schweiz Namens- und Geschlechtsänderung; Recher, 2015, Rechte von Transmenschen. Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Rechtliche Situation in der Schweiz: Zivilstand Bis vor wenigen Jahren in der gerichtlichen Praxis staatliche Zwangs- scheidung zur Verhinderung gleichgeschlechtlicher Ehen. Es ist nicht zulässig, einer Person das Recht auf registerrechtlichen Nachvoll- zug einer Änderung der Geschlechtsidentität zu verweigern, weil sie verheiratet ist. Erfolgt der registerrechtliche Nachvollzug, wird die Ehe nicht zu einer Nichtehe oder ungültigen Ehe Erzwungene Scheidung ist unzulässig. Es gibt keine gesetzliche Grundlage zur Umwandlung einer Ehe in eine eingetragene Partnerschaft (oder umgekehrt) Büchler, 2013, Transsexualität und Recht in der Schweiz Namens- und Geschlechtsänderung Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Transphobie/Diskriminierung Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Psychosoziale Diskriminierung • Ablehnende, feindliche Haltung oder Reaktionen… • Sprache: Verweigerung der korrekten Ansprache oder des Namens, Verwen- dung falscher Personalpronomen, „Du warst doch früher ein Mann…“ • Mobbing: Beschimpfungen, abfällige Kommentare, nach OP oder Genitalien fragen, Verspottungen, Ausgrenzung… • Untersagen geschlechtsadäquater Kleidung (Schule, Arbeitsplatz…) • Ausschluss oder Nichtaufnahme in (Sport-)Vereinen • Verbot Benützung adäquater Toiletten oder Duschen (Hallenbäder, Fitness- clubs, Schule…) => Bathroom Bills in den USA • Suizidalität: höher als in jeder anderen gesellschaftlichen Gruppe. Fast jeder Transmensch hat suizidale Gedanken. Hohe Dunkelziffer! • Gewalt, körperliche Attacken, Mord => Trans Murder Monitoring (TGEU) • 2008 bis 2016 weltweit 2016 Morde an trans* Menschen dokumentiert, mehrheitlich trans* Women of Color (Mehrfachstigmatisierung) http://transrespect.org/en/tdov-2016-tmm-update/ Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Medizinisch-psychiatrische Diskriminierung Pathologisierung Ohne psychotherapeutische Begleitung und Diagnose kein Zugang zu Krankenkassenleistungen und medizinischen Leistungen. Leistungsverweigerungen Krankenkassen • Willkür bei Entscheiden; • Für jeden Schritt Atteste/Diagnosen/Gesuche nötig, teilweise mehrfach; • reduzierte bzw. verweigerte Leistungen (keine Kostenübernahme); • Zusatzversicherungen nötig (oft abgelehnt); • Pflichtleistungen zuwenig definiert; • Überforderung/Unkenntnis des Personals.... Ungenügende Fachkompetenz des psychologischen und medizinischen Personals: wenig thematische Sensibilität; chirurgische Ergebnisse mangelhaft. Sonderbehandlungen in Spitälern Trans Frauen auf Männerabteilungen, Weigerungen des Pflegepersonals… Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Rechtliche Diskriminierung • Weltweit grosse Unterschiede, aber fast überall Verstoss gegen grund- legende Menschenrechte: Verletzung der körperlichen Integrität; Diskriminierung aufgrund des Geschlechts… • Transsexuellengesetz (D). Juristische Richtlinien für die Namens- und Personenstandsänderung (seit 1.1.1981). „Kleine und grosse Lösung.“ Operationszwang für Personenstandsänderung 2011 abgeschafft. • In CH kein Transsexuellengesetz. Von Kanton zu Kanton und von Gericht zu Gericht grosse Unterschiede. Generell: keine Personenstandsänderung möglich ohne nachgewiesene Sterilität (Hormone/OP); staatliches Fortpflanzungsverbot! • In Malta, Argentinien und Norwegen transfreundlichste Gesetzgebung: Änderung des Geschlechtseintrags möglich ohne Psychiatrisierung • Für rechtliche Fragen: Rechtsabteilung von TGNS https://www.transgender- network.ch/beratung-treffen/recht/ Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Wirtschaftliche Diskriminierung • Arbeitslosigkeit weit über 20 % (CH aktuell 3 %). • Fast alle kennen Jobverlust; teils mehrfache Kündigungen; meist nach Coming-out oder während Transition… • Arbeitsplatz: Kleidungsverbote; Verbot der korrekten Toilette; Verbot des Namens… • Neueinstellung zu schlechteren Arbeitsbedingungen: nur noch teilzeit, weniger Lohn… • HR-Abteilungen überfordert oder nicht sensibilisiert, keine Antidiskriminie- rungs- bzw. Diversity-Konzepte für LGBTI. • Weltweit arbeiten viele Transfrauen in der Prostitution und/oder in der Pornobranche. Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Mediale Diskriminierung • Boulevardisierung: reisserische, sexualisierte Berichterstattung • Falsche Fakten, Vorher-nachher-Bilder, Verletzung der Intimität, Individualisierung… • Genderstereotypisierung, Reduktion auf Zweigeschlechtlichkeit • Inkorrekte Sprache: «Transe», falsche Pronomen, Nennung des alten Namens… • Positiv: 2014 Laverne Cox auf Titelbild des Time Magazins: als schwarze Transfrau (3fach-Stigmatisierung!) Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Politische Diskriminierung • Meist kein politisches Thema, an Medizin & Psychiatrie delegiert • Meist kein parteipolitisches Thema: Angst sich die Finger zu verbrennen • Noch zu wenig politische Lobbyarbeit, auch seitens Schwulen und Lesbenverbänden oft wenig Unterstützung • Noch wenig nationale oder internationale Dachverbände wie TGEU oder TGNS Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Medizinische Forderungen der Transcommunity • Abschaffen der verpflichtenden Psychotherapie • Flexibilisierung und Individualisierung von Behandlungsmassnahmen • Invasive Fragen ohne Behandlungsrelevanz nicht mehr zulassen • „Diagnose“prozess verkürzen • Leistungspflicht der Krankenkassen gesetzlich verankern • Behandlungen und Begleitungen partizipativ entwickeln: Informed Consent • Geschlechtervarianz gehört in die Curricula von Medizin, Psychiatrie, Psychologie, Psychotherapie und Pflege • www.fachgruppetrans.ch Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Politische Forderungen der Transcommunity • Abschaffung des Nachweises der Unfruchtbarkeit. • Vereinfachung des Namens- und Personenstandsänderungsverfahrens (kein OP-Zwang!). • Abschaffung des Scheidungszwangs oder Umwandlung in gleichgeschlecht- liche Partnerschaft. • Entflechtung von Psychiatrie, Medizin und Recht. • Stop Trans Pathologization! Löschen aus den Klassifikationssystemen ICD und DSM (analog Homosexualität) unter Beibehalt der Kassenleistungen • Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte: Recht auf körperliche Unversehrtheit! • Selbstbestimmung über Geschlechtszugehörigkeit ohne rechtliche Hindernisse und psychiatrische Diagnose Argentinien (2014), Malta (2015), Norwegen (2016), Irland (2016) Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
These 1 In Zukunft müssen die universitären Ausbildungen von (klinischen) Psycholog_innen und Mediziner_innen, die Curricula der psychotherapeutischen Schulen sowie alle in der Gesundheitsversorgung von trans Menschen involvierten Fachpersonen in die Pflicht genommen werden. Es muss Grundlagenwissen zu Varianten in der Geschlechtsentwicklung, zu Genderbinarität und Gendervarianz, zur Vielfalt an sexuellenOrientierungen und Geschlechtsidentitäten, zu Klassifikationssystemen, Pathologisierung, Diskriminierung und der gesellschaftlichen Produktion von sexuellen Minderheiten vermittelt werden und es müssen heteronormative, essentialistische und biologistische Positionen kritisch reflektiert werden. Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
These 2 Statt stigmatisierender, abwehrender oder abwertender Pathologisierung müssen die medizinischen, psychologischen und psychotherapeutischen Werthaltungen und Herangehensweisen inklusive Beratungs- und Therapiekonzepte überprüft werden. Haltungen zu Heteronormativität und Heterosexismus, internalisierter Trans- und Homophobie, Genderbinarität, cis-kultureller Zweigeschlechtlichkeit, der Vielfalt an Geschlechtsidentitäten, individuellen Geschlechtsentwürfen und sexuellen Orientierungen müssen thematisiert, problematisiert und bewusst gemacht werden. Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, Tellstrasse 4, 9000 St. Gallen, Tel. 071 223 68 08 info@ahsga.ch www.ahsga.ch
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