Diskriminierungserfahrungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise

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Diskriminierungserfahrungen
im Zusammenhang mit der
Corona-Krise
Mai 2020

Die vergangenen Monate haben deutlich gezeigt, dass eine Pandemie
Deutschland auch vor Probleme und Herausforderungen im Hinblick auf
den Diskriminierungsschutz stellt. Bei der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes sind bereits 100 Beratungsfälle (Stand 20.04.20) zu Diskriminie-
rungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus eingegangen. Als erste
hatte sich Ende Januar eine Frau gemeldet, die wegen ihrer chinesischen
Staatsangehörigkeit nicht mehr zum vereinbarten Kontrolltermin in die
Arztpraxis kommen sollte. Dabei war sie nach eigenen Angaben seit
Monaten nicht mehr in China gewesen.

Angesichts des noch wenig erforschten Virus        minierung muss auch und erst recht in Krisen-
sind der Ausnahmesituation geschuldete Un-         zeiten gewahrt werden.
sicherheiten im Umgang verständlich. Darum
geht es indes in den meisten Fällen, die der       Bei den berichteten Diskriminierungen im
Antidiskriminierungsstelle geschildert wurden,     Zusammenhang mit der Corona-Krise betrifft
auch nicht. Nicht selten wurde über unver­         etwa die Hälfte der Anfragen Diskriminierun-
hohlen rassistisches Verhalten wie Pöbeleien,      gen aus rassistischen Gründen oder wegen der
offene Beleidigungen und teilweise sogar von       ethnischen Herkunft. Aber auch in Bezug auf
körperlichen Übergriffen im öffentlichen           Alter und Behinderung sind Menschen in der
Raum berichtet. Auffällig ist auch, dass Schutz-   Corona-Krise speziellen Diskriminierungs­
maßnahmen zum Teil ohne Rücksicht auf be-          risiken ausgesetzt, wie es aus etwa einem Drit-
nachteiligte Gruppen in unserer Gesellschaft       tel der Anfragen hervorgeht. Schließlich sind
und in sachlich nicht nachvollziehbarer Rigo-      intersexuelle und transidente Menschen von
rosität ergriffen werden. Der Schutz vor Diskri-   dem Sonderfall einer Corona bedingten struk-
                                                   turellen Diskriminierung betroffen.

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Verteilung der Beratungsanfragen auf AGG-Merkmale (gesamt 100 Anfragen bis 20. April 2020)
Anzahl der Anfragen

                       58
                      Ethnische
                                                  16                         16
                                                                           Behinderung
                                                    Alter
                      Herkunft

                                     2
                                  Geschlecht
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                                                                  Andere

Übersicht enthält Mehrfachnennung bei mehrdimensionaler Diskriminierung.

Diskriminierung im Zusammenhang
mit dem Coronavirus

1. Aufgrund der ethnischen Herkunft                             Diese Diskriminierungen machen auch vor
                                                                dem privaten Umfeld der Betroffenen nicht
                                                                halt. So berichtete uns eine Frau mit chinesi-
a) in der Öffentlichkeit und                                    schem Hintergrund, dass ein Nachbar sie jedes
am Arbeitsplatz                                                 Mal, wenn sie mit ihrem Hund spazieren ging,
                                                                abpasste, um sie mit „Corona“ anzusprechen.
In erster Linie schildern Menschen, denen                       Ein junger Mann aus Malaysia erhielt von
eine asiatische Herkunft zugeschrieben wird,                    seinem Nachbarn einen Zettel. Darauf stand,
dass sie mit Bezug auf das Virus diskriminiert                  er solle nach China zurückgehen, er habe
und beleidigt werden. Die Vorfälle reichen                      Deutschland an den Galgen gehängt. Erschre-
von rassistischen Äußerungen auf der Straße                     ckend ist auch der Fall einer Wissenschaftlerin
bis hin zu ernsthaften Drohungen. So wurde                      chinesischer Herkunft. Sie erhielt an die Mail­
vielfach berichtet, dass in der Öffentlichkeit                  adresse ihres Arbeitsplatzes an einer Universi-
„Corona“ hinterhergerufen wird. Auch wurden                     tät E-Mails, in denen die_der anonyme Absen-
Menschen in Geschäften gar nicht erst bedient.                  der_in ihrem Kind wünschte, am Coronavirus
Teilweise wurde zu ihnen ein viel größerer Ab-                  zu sterben. Stellvertretend für alle Chines_in-
stand als zu anderen Kund_innen gehalten                        nen wurde ihr außerdem die Schuld an dem
oder das Personal hat nur bei diesen Menschen                   Virus gegeben, sie wurde beleidigt und auf­
Schutzmasken benutzt.                                           gefordert, nach China zu gehen. Schließlich
                                                                wurde sie mit den Worten bedroht: „Ich weiß,
                                                                wo du wohnst“.

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Benachteiligungen, die an äußerlich erkenn­        Eine Polizeikontrolle, die ausschließlich an
bare Abstammungsmerkmale eines Menschen            äußere Merkmale anknüpft, ist verboten. Sie
anknüpfen, sind rassistisch. Das Allgemeine        verstößt gegen das Diskriminierungsverbot
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet sol-       nach Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz. Daher
che Benachteiligungen durch Anbieter von           haben verschiedene Verwaltungsgerichte in
Waren und Dienstleistungen, also beispiels­        Deutschland ein derartiges, auch als „Racial
weise durch die Betreiber_innen eines Super-       Profiling“ bezeichnetes, Vorgehen der Polizei
marktes und das Personal. Betroffene Personen      für rechtswidrig erklärt (https://www.lto.de/
können verlangen, dass die Diskriminierung         recht/nachrichten/n/ovg-muenster-5a29416-
aufhört sowie Ansprüche auf Schadensersatz         racial-profiling-polizeikontrolle-diskriminie
und Entschädigung geltend machen.                  rung). Betroffene Personen können vor dem
                                                   Verwaltungsgericht eine Fortsetzungsfeststel-
Hassbotschaften, wie oben im Arbeitsumfeld         lungsklage erheben, um die Rechtmäßigkeit
beschrieben, können strafrechtlich verfolgt        der Polizeikontrolle überprüfen zu lassen.
werden, bei anonymen Absender_innen aller-
dings mit ungewissem Ausgang. Wenn solche
Vorfälle am Arbeitsplatz eintreten, sind Arbeit-   2. Aufgrund des Alters
geber nach dem AGG verpflichtet, ihre Be-
schäftigten vor rassistischer Benachteiligung      Die geschilderten Diskriminierungen wegen
am Arbeitsplatz zu schützen (§ 12 Absatz 3         des Alters im Zusammenhang mit der Corona-­
und 4 AGG).                                        Krise betreffen sowohl Kinder als auch ältere
                                                   Menschen. Uns wurde von vielen Supermärk-
                                                   ten und Baumärkten berichtet, die Kindern
b) durch staatliche Stellen                        keinen Zutritt erlaubt hätten. Solche Regelun-
                                                   gen stellen insbesondere Alleinerziehende vor
Auch staatliche Vorsichtsmaßnahmen können          große Probleme.
unverhältnismäßig und rassistisch diskrimi-
nierend sein. Das ist im Fall einer Studentin      Zwar können altersbedingte Benachteiligun-
südkoreanischer Herkunft anzunehmen, die           gen beim Einkaufen rechtlich zulässig sein,
ihr Austauschjahr in Deutschland frühzeitig        wenn sie der Vermeidung von Gefahren dienen
beenden musste und sich im Zug auf dem Weg         (§ 20 AGG), solche Schutzmaßnahmen müssen
zum Flughafen befand, um die Rückreise anzu-       sich aber auch als insgesamt erforderlich und
treten. Obwohl sie dem Zugpersonal auf dessen      verhältnismäßig darstellen.
Frage hin mitgeteilt hatte, sich vollkommen
gesund zu fühlen, wurde sie von der Polizei        Die Antidiskriminierungsstelle wurde außer-
aus dem Zug geholt. Sie wurde erneut befragt,      dem darauf aufmerksam gemacht, dass ältere
ob sie krank sei oder Kontakt zu kranken Per-      Menschen und Menschen mit Vorerkrankung
sonen gehabt habe. Schließlich erschienen          in der öffentlichen Berichterstattung und in
zwei Ärzte in Schutzausrüstung, die sie eben-      politischen Äußerungen häufig unter der Be-
falls befragten. Die Studentin verpasste da-       zeichnung „Alte und Schwache“ zusammenge-
durch nicht nur ihren Zug, sie fühlte sich auch    fasst werden. Eine solche Kategorisierung kann
vor den Menschen auf dem Bahnsteig bloßge-         aber dazu führen, dass diese Menschen als
stellt, die die Szene neugierig beobachteten       „ausgesondert“ und wertlos wahrgenommen
und sie sogar fotografierten.                      und zudem nicht mehr als Individuen gesehen
                                                   werden. Um dem vorzubeugen wäre eine neut-
                                                   rale Bezeichnung wie zum Beispiel „Menschen
                                                   mit erhöhtem Risiko“ denkbar.

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Abwertende Berichterstattung oder Äußerun-        zu vernachlässigenden Weise erhöht. Schließ-
gen stellen in vielen Fällen zwar noch keine      lich hindern die Supermärkte auch die im Ge-
Rechtsverstöße dar, sie können aber Ausdruck      schäft befindlichen Personen nicht daran, den
von struktureller Diskriminierung sein und        Einkaufswagen loszulassen und sich beispiels-
diese verfestigen.                                weise am Kühlregal anderen Menschen anzu-
                                                  nähern.

3. Aufgrund einer Behinderung                     In dieser Krise besonders benachteiligt sehen
                                                  sich auch Menschen mit Hörbehinderung. Der
Beispielhaft für den diskriminierenden Effekt,    Antidiskriminierungsstelle wird wiederholt
den auch Schutzmaßnahmen haben können,            berichtet, dass immer noch nicht alle Informa-
sei die Einkaufswagenpflicht genannt. In vielen   tionen und Nachrichten in Gebärdensprache
Supermärkten dient sie dazu, den erforderli-      zur Verfügung gestellt werden. Auch eine
chen Abstand zwischen Personen zu gewähr-         Pflicht zum Tragen von Atemmasken kann
leisten. Wenn hier aber – wie ein Mann der        einen diskriminierenden Effekt haben. Men-
Antidiskriminierungsstelle berichtete – keine     schen mit Hörbehinderung, die auf das Lip-
Ausnahme für Menschen gemacht wird, die           penlesen angewiesen sind, können dadurch in
sich nur mit Gehhilfen und also nicht gleich-     ihrer Kommunikation eingeschränkt werden.
zeitig mit einem Einkaufswagen fortbewegen
können, ist dies rechtlich als Diskriminie-       Menschen mit Behinderung müssen gerade in
rung von Menschen mit Behinderung ein­            dieser Krise an Informationen und Kommuni-
zuschätzen.                                       kation teilhaben können. Auch wenn es sich im
                                                  Einzelfall eventuell schwierig gestaltet, so ist es
Um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, sind        dennoch zwingend erforderlich, Lösungen zu
Ausnahmen in Einzelfällen angezeigt, in denen     finden. Der Beauftragte der Bundesregierung
Betroffene andernfalls ihren Alltag nicht be-     für die Belange von Menschen mit Behinde-
wältigen können und sich das Risiko insgesamt     rungen kritisiert den Mangel an barrierefreier
in einem zumutbaren Rahmen hält. Das AGG          Information, gerade in der momentanen be-
untersagt nämlich auch mittelbare Benach­         sonderen Situation, deutlich.
teiligungen. Eine mittelbare Benachteiligung
liegt vor, wenn sich eine neutrale Regelung
(wie zum Beispiel die Einkaufswagenpflicht)       4. Aufgrund des Geschlechts
besonders benachteiligend auf bestimmte vor
Diskriminierung geschützte Gruppen auswirkt       In einigen Anfragen wurde die Antidiskrimi-
(beispielsweise Menschen mit Behinderung).        nierungsstelle schließlich darauf aufmerksam
Ein Verstoß gegen das AGG liegt in solchen Fäl-   gemacht, dass in manchen Antragsformularen
len vor, wenn die neutrale Regelung als nicht     für staatliche Hilfsgelder im Zusammenhang
sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig zu    mit der Corona-Krise Diskriminierungen
bewerten ist (§ 3 Absatz 2 AGG). Zwar kann es     wegen der Geschlechtsidentität angelegt sind.
durch eine Einkaufswagenpflicht unterstützt       So muss angegeben werden, ob die antrag­
werden, dass die Personen im Markt automa-        stellende Person weiblich oder männlich ist.
tisch mehr Abstand einhalten, allerdings ist      Menschen, die sich keinem dieser beiden Ge-
es unverhältnismäßig bei Menschen, die auf­       schlechter zuordnen, sind nicht berücksichtigt.
grund körperlicher Einschränkungen keinen         Antragstellende Einzelpersonen müssen sich
Wagen benutzen können, nicht eine Ausnah-         demnach selbst einem falschen Geschlecht
me zuzulassen. Durch eine solche Ausnahme         zuordnen.
würde das Infektionsrisiko allenfalls in einer

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Hierin liegt eine potenzielle Grundrechtsver-      Wenn Sie beleidigt oder bedroht werden oder
letzung. Das Bundesverfassungsgericht hat in       sich aus einem anderen Grund nicht sicher
seiner Entscheidung zur „Dritten Option“ fest-     fühlen, haben Sie die Möglichkeit, sich bei
gestellt, dass die nicht-binäre Geschlechts­       der Polizei zu melden. Auch wenn Sie solche
identität Teil des allgemeinen Persönlichkeits-    Vorfälle beobachten, können Sie das machen.
rechts ist und nicht-binäre Menschen vom           In vielen Bundesländern gibt es die Möglich-
Diskriminierungsverbot gemäß Artikel 3 Ab-         keit, eine Strafanzeige online zu erstatten.
satz 3 Grund­gesetz geschützt sind. Diese Recht-
sprechung ist mittlerweile durch eine Ände-        Bei digitaler Gewalt, zum Beispiel Beleidigun-
rung des Personenstandsgesetzes umgesetzt.         gen und Drohungen in sozialen Netzwerken,
Danach besteht beim Geschlechtseintrag             können sich Betroffene an die Beratungsstelle
neben „männlich“ oder „weiblich“ auch die          HateAid wenden.
Möglichkeit „divers“ einzutragen oder den
Eintrag offen zu lassen.                           Diskriminierende Berichterstattung in den
                                                   Printmedien kann beim Presserat gemeldet
                                                   werden.
5. Hilfsangebote und
Beratungsmöglichketen                              Gegen diskriminierende Fernseh-, Rundfunk-
                                                   und Internetinhalte können Sie online eine
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bie-     Programmbeschwerde einlegen.
tet eine rechtliche Erstberatung für Menschen
an, die wegen der ethnischen Herkunft und aus      Unzulässige Internetinhalte können außerdem
rassistischen Gründen, wegen des Geschlechts,      der Internet-Beschwerdestelle gemeldet
der Religion oder Weltanschauung, einer Be-        werden.
hinderung, des Alters oder der sexuellen Iden-
tität benachteiligt worden sind. Mehr Informa-
tionen zu unserer Beratung und wie Sie sich an
uns wenden können, finden Sie hier.

Wenn Sie eine Beratungsstelle in Ihrer Nähe
finden möchten, können Sie unsere Beratungs-
stellensuche nutzen.

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Impressum

Diese Publikation ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der
Antidiskriminierungsstelle des Bundes;
sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt.

Herausgeberin:
Antidiskriminierungsstelle des Bundes
11018 Berlin
www.antidiskriminierungsstelle.de

Kontakt:
Tel.: +49(0) 30 18555-1855
Fax: +49(0) 30 18555-41865
Juristische Erstberatung: Mo. 13–15 Uhr, Mi. und Fr., 9–12 Uhr
E-Mail: beratung@ads.bund.de

Allgemeine Anfragen: Mo. bis Fr., 9–12 Uhr und 13–15 Uhr
E-Mail: poststelle@ads.bund.de

Satz & Layout: www.zweiband.de
Stand: Mai 2020
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