Neues auf dem Markt der Bücher
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Pius XII und der Holocaust Neues auf dem Markt der Bücher Klaus Kühlwein: Pius XII., der Diplomat und Asket, der FORUMSCHULSTIFTUNG nie in der Seelsorge tätig war, ist nun Warum der Papst direkt gefordert und auch sein Leben ist schwieg. Pius XII. und in Gefahr. Die SS- und Polizeikräfte rie- geln das alte jüdische Ghetto ab, in des- der Holocaust sen unmittelbarer Nähe Pius XII. aufge- wachsen ist. Nun da seine Stadt unmit- Patmos-Verlag, Düsseldorf 2008, telbar betroffen ist, handelt er und ISBN: 978-3-49172527-0, 246 Seiten, ermöglicht die Öffnung von allen kirchli- 19,90 Euro chen Einrichtungen Roms für die flüchti- gen Juden durch höchstpersönliche Dr. Klaus Kühlwein, Dozent am Bil- Weisungen und das Anbringen und die dungswerk der Erzdiözese Freiburg, Anschlagung von Schutzbriefen an widmete sich dem Thema Pius XII. und römischen Konventen und Instituten veröffentlichte in diesem Jahr eine jeder Art. Natürlich geschah dies im Ver- Monographie, in der er vor allem der borgenen, da der Papst als Person selbst Biographie des Eugenio Pacelli Raum bedroht war und jederzeit mit seiner geben will. Der folgende Text soll einen Verhaftung und Vertreibung rechnen Einblick in die Darstellung ermöglichen. musste. Dennoch bewährte sich der Das Buch beginnt mit einem Pauken- Papst als Diplomat in Krisenzeiten. schlag und der für Pius XII. wohl schwärzesten Stunde als Pontifex Maxi- Eugenio Pacelli war als das dritte Kind mus. Am 16. Oktober 1943 erreicht am im historischen Zentrum Roms am 2. Sabbat das Unheil die Juden von Rom März 1876 geboren. Das Verhältnis der und der Papst ist als Bischof dieser Stadt Familie zum Vatikan war eng, so stan- direkt betroffen. Hier begegnet einem den sein Vater und Großvater als Laien- zum ersten Mal der Zusammenfall der juristen in dessen Diensten. Die große Daten in der Lebensgeschichte von Pius persönliche Frömmigkeit und ein inten- XII. 1978 mit anderen Schlüsselereignis- sives Gebetsleben insbesondere zur sen. An einem 16. Oktober wird ein Mutter Gottes, die das gesamte Famili- Karol Woytiĺa zum Papst gewählt enleben prägte, gingen einher mit der werden und als Johannes Paul II. und Treue zum Papst. Pacelli war zeitlebens damit als erster Papst in der Geschichte kränklich und hatte Magenprobleme, die Synagoge in Rom besuchen und eine die er versuchte mit einer Dauerdiät zu neues Kapitel in den Beziehungen lösen. zwischen Juden und Christen aufschla- Der junge Pacelli besuchte das Gymnasi- gen. um las und studierte gerne und machte 147
Forum 49 so im Sommer 1894 das Abitur. Es folg- darauf erfolgte die Ernennung als Apos- FORUMSCHULSTIFTUNG te der Eintritt ins römische Priestersemi- tolischer Nuntius für das Deutsche nar Capranica. Auch während dieser Zeit Reich. Vor dem endgültigen Umzug quälte ihn das Magenleiden. Der Weg 1925 nach Berlin wird das Bayernkon- zum Priester gestaltete sich mühevoll kordat und 1929 das preußische Kon- und dornig. Am Ostersonntag dem 2. kordat abgeschlossen. Der Römer Pacel- April 1899 erfüllte sich jedoch der lang li wurde in Berlin rasch heimisch und gehegte Wunsch und Eugenio Pacelli lernte es lieben. Hilfreich für ihn war wurde zum Priester geweiht „Steh mir auch das eingespielte Team, allen voran bei“, lauten die letzten Wort auf seinem Schwester Pascalina und sein Privatse- Primizbildchen. kretär, der Kirchenhistoriker und Jesui- Im Frühjahr 1901 begann die lange und tenpater Robert Leiber. Beide blieben bis erfolgreiche diplomatische Karriere als zum Tod des Pontifex im Oktober 1958 Lehrling im Staatssekretariat. Während in dessen Diensten. des 1. Weltkriegs wahrte der Vatikan strikte Neutralität und Pacelli hatte sich Ende 1929 erfolgte der Ruf als Kardinal- bis 1914 im päpstlichen Außenamt zum staatssekretär von Papst Pius XI. nach Sekretär „hochgedient“. Im August Rom. Sein Vorgänger und väterlicher 1914 starb der später heilig gesproche- Freund Kardinal Gasparri sollte sein Amt ne Papst Papst Pius X. Ihm folgte der aufgeben. So würde die Kontinuität im „Friedenspapst“ Benedikt XV. Pacelli Staatsekretariat gewahrt bleiben. Am wurde am 20. April 1917 zum Nuntius Ende der Amtszeit hatte Gasparri 1929 in Deutschland ernannt. Am 17. Mai sein Meisterstück mit dem Konkordat 1917 weihte ihn der Papst zum Bischof. mit Mussolini in Italien abgeliefert, was An diesem Tag der ersten Marienerschei- zur Versöhnung zwischen dem Kirchen- nung in Fatima waren drei aufeinander staat und dem Staat Italien führte, das folgende Päpste in der Sistina versam- Ende der Gefangenschaft der Päpste im melt. Neben Benedikt auch Msgr. Ratti Vatikan seit 1871 unter Papst Pius IX. (Pius XI.) und eben Pacelli, Pius XII. bedeutete und dem Papstamt eine neue Dimension eröffnete. Am 16. Dezember Als Nuntius in München begegnete er 1929 wurde Eugenio Pacelli von Pius XI. im wirren Jahr 1919 bewaffneten Revo- zum Kardinal erhoben. lutionären und musste sich gegen Stoß- trupps und Anfeindungen von antikirch- Als Kardinalstaatsekretär liefen bei licher Kräften wehren. Er wurde direkt Pacelli alle Fäden zusammen. Sein Tages- mit der Waffe bedroht und handelte ablauf als Staatssekretär und auch als 148 unerschrocken und souverän. Im Jahr Papst sei „mörderisch“ gewesen. Jede
Pius XII und der Holocaust Minute des Tages war fest verplant. Das fen über verschiedene Kanäle. So sei bei- FORUMSCHULSTIFTUNG Schlimmste, was Pacelli passieren konn- spielhaft auf den Brief Edith Steins an te, war Leerlauf. Die Neigung Pacellis, den Vatikan verwiesen. alles selbst zu bearbeiten und zu regeln, ließ die Chefsache „Deutschland“ mehr Als Meilenstein in der Geschichte muss und mehr ausufern. So wird er eines 1937 die Enzyklika „Mit brennender Tages klagen: „Es ist wahr, Deutschland Sorge“ von Pius XI. gesehen werden. macht mir mehr Arbeit als die ganze Aufgeschreckt durch die Judenverfol- Welt“. gung und die menschenverachtende Am 30. Januar 1933 wurde Hitler zum Politik der Nationalsoziallisten hat sich Reichskanzler ernannt und die deut- Pius XI. durchgerungen die Stimme zu schen Bischöfe taten sich damit nicht erheben. Pacelli war maßgeblich an der leicht. Dennoch stimmte die katholische Ausarbeitung der Enzyklika beteiligt und Zentrumspartei am 23. März 1933 für die Veröffentlichung und Verbreitung das Ermächtigungsgesetz und ermög- im Reich war ein Meisterstück, weil bis lichte Hitler so diktatorische Vollmach- zum Vorabend der Verkündigung in ten. Der Wahlsieg in Koalition mit der allen katholischen Sonntagsgottesdiens- DNVP hatte das Problem des National- ten die Staatsgewalt über den Vorgang sozialismus verschärft, da es die Bischö- nicht informiert war. fe und Rom nun mit einer neuen und legalen Regierung zu tun hatten. Pius XI. war schwer krank, als er am Vor- Obwohl der Nationalsozialsozialismus abend des 2. Weltkrieges am 10. Febru- von der Kirche verurteilt wurde, unter- ar 1939 in Rom starb. Pacelli ging als schied man zwischen der legitimen Favorit in das Konklave und wurde am 2. Obrigkeit und den kirchlichen Interes- März 1939 im dritten Wahlgang an sei- sen. Dass dies funktionieren könnte, nem 63. Geburtstag mit überwältigen- zeigte gerade die Konkordatspolitik in der Mehrheit zum Papst gewählt und Italien. So erschien die Entwicklung zum strafte das Sprichwort Lügen, dass wer Reichskonkordat von 1933 nur folge- als Papst ins Konklave gehe, als Kardinal richtig. zurückkehre. Pius XII. besprach sich unmittelbar nach der Wahl mit den vier Pacelli und Pius XI. wussten, was in deutschsprachigen Kardinälen, welche Deutschland nach 1933 vor sich ging. die harte Linie des Hl. Stuhls, gerade im Pacelli beherrschte die deutsche Sprache Zusammenhang mit der Enzyklika „Mit perfekt und hatte die besten Verbindun- brennender Sorge“, kritisierten. So gen zum deutschen Klerus. Die Informa- wurde auch später eine Rassenenzyklika, tionen über die Judenverfolgungen lie- die bereits unter Pius XI. entstanden 149
Forum 49 war, nicht veröffentlicht. In Berlin wurde und das Anliegen der militärisch-politi- FORUMSCHULSTIFTUNG die Wahl von Pacelli zum Papst kritisch schen Verschwörergruppe in Deutsch- gesehen, denn er galt als Feind des land informiert und wirkte als Vermittler Regimes. zu den westlichen Alliierten. Sogar den Tyrannenmord hätte er damals unter- Mit Ausbruch des Krieges am 1. Sep- stützt und er stellte sich damit gegen tember 1939 und den Überfall auf Polen völkerrechtliche Vereinbarungen. Doch verschärfte sich die Lage in Europa dra- die Zeit arbeitete gegen seine Ziele und matisch. Der Papst ließ keinen Zweifel die deutschen Verschwörer nahmen von daran, dass er im Ausbruch eines Krie- ihren Plänen Abstand. ges ein schuldhaftes Versagen der Politik sah. Und die Welt erwartete eine Verur- Pius XII. formulierte immer wieder sein teilung Hitlers. Pius XII. war jedoch der Dilemma. Worte des Feuers würde er Ansicht, dass man nicht vergessen dürf- gern schleudern, müsste er schleudern te, dass es im Reich 40 Millionen Katho- angesichts der Zustände in Polen. Doch liken gab, welche Repressalien ausge- aus Furcht vor Vergeltungsgewalt sei er setzt wären, wenn der Hl. Stuhl sich ent- zum Schweigen gezwungen. Es war sprechend äußern würde. Krieg, und bedrohtes Leben zählte nicht. Er unterstützte ausdrücklich den In seiner ersten Weihnachtsansprache „Löwen von Münster“, Bischof Galen 1939 wagte Pius XII. ein offenes Wort und dessen Cousin von Preysing, Bischof zum sowjetischen Überfall auf Finnland. von Berlin. Die Predigten Galens erreich- Gegenüber Moskau glaubte Pius keine ten auch Pius XII. Sein Handeln sei Rücksichten nehmen zu müssen, da es Beweis dafür, „wie viel sich durch offe- zu Stalin keine diplomatischen Bande nes und mannhaftes Auftreten inner- gab und Repressalien nicht zu befürch- halb des Reiches immer noch erreichen ten waren. Mit Blick auf Deutschland lässt.“ Er bräuchte wohl nichts eigens zu glaubte der Papst mit Hilfe von Verhand- versichern, dass jedes mutige Vorgehen lungen und unter Berufung auf das Kon- von Bischöfen stets seinen vollen Rück- kordat, Ergebnisse erzielen zu können. halt genieße. Seit Sommer 1939 hatte sich der Wider- Als Galen sein couragiertes Kanzelwort stand gegen Hitler in gewissen militäri- über den Mord an Behinderten sprach, schen und zivilen Kreisen stark formiert. wurde im Osten mit dem Genozid an Über Prälat Kaas, den ehemaligen Vor- den Juden begonnen. Hitlers Überfall sitzenden der katholischen Zentrums- auf die Sowjetunion läutete den letzten 150 partei, wurde der Papst über die Existenz Akt der „Endlösung“ ein. Im Herbst
Pius XII und der Holocaust 1942 konnte Pius sicher sein, dass schon Kirche des Landes protestierten. Als im FORUMSCHULSTIFTUNG über eine Million Juden systematisch Sommer 1942 die Deportationen begin- liquidiert worden sein musste. Tatsäch- nen sollten, regte sich erneut Wider- lich war die Anzahl weit höher. Vielleicht stand gegen die Maßnahme und es war es um diese Zeit, als Pius XII. zum wurde gedroht ein Hirtenwort zu veröf- ersten Mal einen Exorzismus über Hitler fentlichen. Dieses wurde zunächst ver- sprach. hindert, weil die NS-Machthaber ver- sprachen, die vor dem 1. Januar 1941 Wie kämpft man gegen Hölle und Teu- getauften Juden zu verschonen. Am 15. fel? Man sollte meinen, ein Papst wüss- Juli rollten die ersten Züge in die Lager te am besten was zu tun sei. Doch Pius und danach entschlossen sich die katho- war sich nicht sicher. Er war überzeugt, lischen Bischöfe dennoch zu protestie- dass er nicht nur die volle Unparteilich- ren. Seyß-Inquart, der Reichskommissar keit bei Auseinandersetzungen der der Niederlande, begann daraufhin Mächte dieser Erde wahren müsse, son- auch die katholisch getauften Juden, dern er war auch bemüht, die Folgen darunter die Karmeliterin Edith Stein, seines Handelns so weit wie möglich zu ebenfalls in die Vernichtungslager zu durchdenken. deportieren. Dieser Vorgang steht exem- plarisch für die von Pius befürchteten Pius lobte kämpferisches Auftreten bei Konsequenzen. anderen vorbehaltlos, tat sich selbst jedoch schwer damit, da er um Konse- Schwester Pascalina berichtet, dass Pius quenzen der ihm anvertrauten Herde ihr gegenüber einmal auf den gekreu- fürchtete. Dies wurde durch ein schreck- zigten Christus verwies, als er seine eige- liches Beispiel in den Niederlanden ne schwierige Situation beschreiben bestätigt. Im Mai 1940 wurde das Land wollte: „Er ist angenagelt und kann sich im Rahmen von Hitlers Westoffensive nicht befreien, kann nur dulden und lei- überrannt und besetzt. Im Oktober wur- den ... auch der Papst ist angenagelt auf den die Nürnberger Rassengesetze auch seinem Posten und muss stille halten.“ für die Niederlande verbindlich, woge- gen die katholische und protestantische Martin Steimer 151
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