Gemeinsamer Studientag von Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Würzburg, 26./27.04.09

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Gemeinsamer Studientag von Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz
          und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken
                                Würzburg, 26./27.04.09

                        Statement von Heinz-Wilhelm Brockmann

„Ohne Visionen verwildert das Volk“, so heißt es im Buch der Sprichwörter im 29. Kapitel,
Vers 18, dem Teil, der König Salomo zugeschrieben wird. Knapper hätte ein moderner
Politiker oder Manager nicht sagen können, was heute wie damals Kennzeichen menschlicher
Arbeit und menschlicher Gemeinschaft ist: Ohne eine weite und gemeinsame Sicht von
Zukunft gibt es keine gemeinsame Anstrengung, keine Ausrichtung aller auf ein gemeinsames
Ziel.

Wir Menschen brauchen eine solche Vision, auch dann, wenn sie noch nicht in allen
Einzelheiten klar ist. Für uns Christen gilt dies zumal. Denn wir erwarten immer eine Zukunft
vor uns, weil Gott lebt und weil er uns nicht aufgibt.

Zukunftsmodell, Zielvorgabe, Leitbild, – viele Bistümer haben sich solche Zukunftsvorstel-
lungen erarbeitet, Unternehmen tun es, Behörden, sogar Schulen. Wo immer Menschen
gemeinsam etwas tun, braucht es solche Ausrichtung aller. Denn durch solche Ziele werden
auch neue Kräfte in den Menschen geweckt werden, wächst die Bereitschaft, sich einzusetzen.
Und nur so besteht eine Chance, das Ziel auch zu erreichen.

Im ZdK haben wir seit einiger Zeit den Wunsch geäußert, dass wir auch in der ganzen Kirche
in Deutschland mehr ausformulierte gemeinsame Zielvorstellen brauchen, mit den wir heute
beschreiben, wie unsere Kirche in unserem Land ein etlichen Jahren aussehen könnte und
sollte. Denn indem wir solche Zielvorstellungen beschreiben, können wir gemeinsam die
Kraft gewinnen, uns dafür einzusetzen und stecken andere mit dieser Kraft an. Und mit
solchen gemeinsamen Vorstellungen behalten wir die Chance, Entwicklungen zu beeinflussen
und zu steuern und nicht zu Opfern von Veränderungen zu werden, die wir vielleicht so gar
nicht wollen.

Jeder von uns ist davon überzeugt, dass unsere Kirche nicht mit einem Betrieb vergleichbar
ist, und dass unsere Hoffnung, unser Ziel zu erreichen, nicht auf uns selbst gründet. Wir alle
wissen, dass der Herr der Kirche der Grund unserer Zuversicht ist und dass er uns gemeinsam
führt in eine Zukunft, die wir nicht kennen und die wir ihm letztlich überlassen. Und dennoch
müssen wir uns anstrengen. Wir müssen auch in der Kirche dafür sorgen, dass neue Kräfte
freigesetzt werden, dass bei möglichst vielen die Bereitschaft besteht, sich für unsere Kirche
einzusetzen. Und wir müssen dafür sorgen, dass wir uns alle für dasselbe Ziel einsetzen, alle
zusammen. Diese Gemeinsamkeit des Ziels verlangt viel Kommunikation über das Ziel. Auch
dazu dient unser Gespräch.
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Solch eine Übereinstimmung in grundlegenden Zielen schafft unter allen Beteiligten
Vertrauen. Vertrauen aber ist für den Erfolg eines jeden Unternehmens, einer jeden
Einrichtung unverzichtbar. Auch wir brauchen dieses grundsätzliche Vertrauen zueinander,
weil solches Vertrauen nach innen Kraft gibt und nach außen ausstrahlt. Vertrauen ist das
Grundelixier einer jeden Gemeinschaft, fehlendes Vertrauen nach innen wie nach außen wie
bleierne Kraftlosigkeit. Auch dazu sind wir heute zu diesem Gespräch zusammengekommen:
Wir möchten zwischen den deutschen Bischöfen und den Repräsentanten der katholischen
Laien in unserem Land dieses grundlegende Vertrauen vergrößern, möchten noch stärker als
Einheit wahrnehmbar sein und ausstrahlen.

Mein Beitrag zur Vorstellung von Zukunft unserer Kirche geht zunächst auf die heutige
Situation ein und versucht dann in der kurzen Zeit einige Striche zu zeichnen für künftige
Schwerpunkte:

1. Die katholische Kirche in Deutschland ist gekennzeichnet von äußeren Stabilisierung und
   innerer Schwäche.

In den siebziger Jahren gab es in Deutschland zum Teil heftige Diskussionen über das
Verhältnis von Kirche und Staat. Ausgelöst durch Thesen der Jugendorganisation der FDP,
die sie ausdrücklich als „Angriff auf die Kirchen“ verstanden, beschloss die FDP 1974 Thesen
zum Verhältnis von Kirche und Staat, die das bestehende Staat-Kirche-System in Deutschland
grundlegend verändern wollten. Diese Thesen wurden bald immer weniger in Erinnerung
gerufen, vergessen und inzwischen ausdrücklich revidiert, denn politische Erfolge sind in
Deutschland mit antikirchlichen Affekten nur in Nischen zu gewinnen.

In Deutschland hat es nie einen bedeutenden Laizismus gegeben, und heute gibt es eine
politisch wie gesellschaftlich fraglose Akzeptanz der christlichen Kirche wie des Phänomens
von Religionen im öffentlichen Raum. Ökumenische Gottesdienste zur Parlamentseröffnung
sind ebenso selbstverständlich wie christliche und religiöse Themen in den Medien zu
Festtagen. Und die Gesellschaft bemerkt, dass sie ganz zentrale Fragen der Menschen, zumal
tiefe Trauer am besten in Gottesdiensten ausdrücken und vielleicht bewältigen kann.

Es gibt keine Austrittswelle aus den christlichen Kirchen, das staatskirchenrechtliche System
in Deutschland ist nicht ernsthaft angefragt, und auch die Finanzprobleme, vor einigen Jahren
noch ein Damoklesschwert, scheinen inzwischen überall handhabbar.

Doch die Verbindung von christlichem Glauben und unserer Kultur scheint in Vergessenheit
zu geraten. „In einigen Jahren kann die Mehrheit der Menschen in Deutschland den Faust
nicht mehr verstehen, weil sie mit Teufel, mit Ostern und Erlösung nichts mehr anfangen
kann“, hat der große Germanist Albrecht Schöne schon vor Jahren gesagt. Und in
Umwandlung eines Wortes aus dem französischen Hirtenwort „Propose´ la Foix“ möchte ich
fragen: Wie wollen wir noch unsere Dome, Klöster oder auch nur ein Wegkreuz zum
Sprechen bringen, wenn man nichts mehr von der Bibel versteht?
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Wir wissen längst, dass es einen erheblichen Verlust an Glaubenssubstanz in Deutschland
gibt. Von zentralen Glaubensfragen hat auch ein großer Teil der Christen nur diffuse
Vorstellungen. Dies ist in dem wichtigen Schreiben der Deutschen Bischofskonferenz „Zeit
der Aussaat“ von 2004 treffend beschrieben. Wie unsere Kirche neue missionarische Kraft
gewinn en kann, ist dort als zentrale Aufgabe beschrieben. In Fortführung dieses Hirtenworts
möchte ich drei Fragenkreise ansprechen:

     1. Kann es nicht häufiger ein gemeinsames Glaubenszeugnis von uns allen, Bischöfen
        und Laien, allen Gliedern der Kirche im öffentlichen Raum geben, das unübersehbar
        ist? Katholikentage sind ein solches Zeugnis, und sie werden so verstanden.
        Brauchen wir nicht mehr davon, schriftliche wie mündliche, als Aktionen oder auch
        von einzelnen? Und wie könnte das in unserer Zeit und Gesellschaft geschehen,
        überzeugend und glaubwürdig?

     2. Wie können wir der modernen Gesellschaft besonders an ihren Grenzen helfen? Sie
        hat nicht die Kraft zu einer gemeinsamen Werteorientierung, nicht nur in Zeiten der
        Wirtschaftskrise. Sie ist nicht in der Lage, Trauer und großes Glück zu bewältigen.
        Jürgen Habermas hat dies längst eingeräumt. „Es gibt Dinge, die für uns Menschen
        zu groß sind, Schmerz, Einsamkeit, Tod, aber auch Schönheit, Erhabenheit und
        Glück. Dafür haben wir die Religion geschaffen. Was geschieht, wenn wir sie
        verlieren? Was uns bleibt, ist die Poesie des einzelnen Lebens. Ist sie stark genug,
        uns zu tragen?“ So heißt es in dem Roman „Nachtzug nach Lissabon“, der in
        Deutschland millionenfach verkauft wurde.
        Haben wir schon die Sprache und Formen gefunden, wie wir mit solchen
        grundsätzlichen Fragen der modernen Zeit umgehen, selbstlos und ohne Absicht auf
        Bekehrung, als Dienst an den Fragen unserer Zeit? Manche Angebote an heutige
        Menschen, ihnen in dieser Suche beizustehen, die es in einzelnen Kirchen und
        Bistümern gibt und von denen die Öffentlichkeit immer wieder fasziniert berichtet,
        müssten wir sie nicht mehr zum Zentrum unserer Überlegungen und unserer
        pastoralen Arbeit machen?

     3. In anderen Ländern und auf anderen Kontinenten sind die Erfahrungen solchen
        missionarischen Pastoral immer verbunden gewesen mit dem Versuch, der
        Gesellschaft einfache und unaufdringliche Formen von Kontaktmöglichkeiten
        anzubieten. Daraus entstehen Formen der Netzwerke unter Menschen, die aus diesen
        Kontakten Formen von Gemeinsamkeiten herstellen, weil sie den Wunsch äußern,
        dass man zusammenbleibe. Solche Bewegungen im gesellschaftlichen Bereich, an
        der Basis, schaffen dann eine neue Form von Gemeinschaft. Könnten wir auch in
        unserem Land für unsere Kirche den Mut zu solchen neuen Formen von
        Gemeinschaften aufbringen?
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2. Unsere Arbeit an Strukturen

In Deutschland gibt es eine andere Entwicklung. Im Zuge des Priestermangels werden immer
mehr Gemeinden entweder ganz aufgelöst oder zu größeren Seelsorgeeinheiten
zusammengefasst. Dies geschieht einerseits wegen des Priestermangels, ss geschieht aber
auch mit der Begründung, der moderne Mensch sei beweglicher und suche sich aus dem
Angeboten um ihn herum das aus, was zu ihm passe. Er brauche darum nicht den kleinen
überschaubaren Raum.

Dieser letzte These wird entgegengehalten, dass der moderne Mensch in den großen, oft
anonymen gesellschaftlichen Verhältnissen einsam geworden sei und nach Kontakt und
Gemeinschaft, nach neuen Strukturen und Formen von Heimat suche, nicht zuletzt in der
Großstadt. Und viele von uns quält der Gedanke, ob wir gerade dabei sind, in Deutschland
Strukturen aufzugeben, die in Jahrhunderten gewachsen sind, und die wir, einmal aufgegeben,
nie mehr zurückgewinnen werden. Viele von uns fragen sich, ob solche neuen größeren
Einheiten die Lösung sind oder nur ein Übergang, weil die katholische Kirche in der ganzen
Welt die Frage derzeit nicht lösen kann, wie die Leitung von Gemeinden aussehen soll.

Vielleicht haben wir in Deutschland zu schnell Zutrauen zu großen Seelsorgeeinheiten
gefasst. Wenn es größere Einheiten geben muss, weil der Priestermangel keine andere
Alternative lässt, dann ist es unverzichtbar, unterhalb der Leitungsebene Strukturen zu
schaffen, in denen wohnortnah, ausgerichtet auf die jeweiligen Menschen
Kontaktmöglichkeiten bestehen, die auch angegangen werden und aus denen eine Form von
Gemeinschaft entsteht. Und dann braucht es über diese Kontakte Substrukturen in den
größeren Seelsorgeeinheiten, in denen Verantwortung auf möglichst viele Menschen
übertragen wird. Verantwortung für die Entstehung solcher Netzwerke, aber auch für
Begleitung und Seelsorge, für diakonische Dienste und auch für kleine Gottesdienste und die
Leitung von solchen Substrukturen. Wenn bei der Errichtung von größeren Seelsorgeeinheiten
nicht mehr Menschen mittun an den verschiedensten Diensten, die es in kleineren oder
größeren Einheiten auch dann gibt, sind dann die größeren Einheiten ein Fortschritt, ein
größeres, dichteres Netz, um Menschen aufzufangen, oder sind sie nur weitere Maschen des
Netzes? Es braucht in unserer Kirche mehr Personal, hauptamtliches aber auch
ehrenamtliches, das in einem großen Team die größer gewordenen Einheiten begleitet. Und
dieses Personal gibt es in Deutschland. McKinsey hat das deutlich unterstrichen. Doch
Menschen gewinnt man für einen Einsatz nur, wenn man ihnen Verantwortung überträgt, weil
man ihnen etwas zutraut. Zu meiner Vision einer Kirche der Zukunft gehört nach meine
Überzeugung, dass viele Menschen sich gewinnen lassen, mitzutun, dass viele entdeckt
werden, dass viele für die verschiedensten Dienste qualifiziert werden und verantwortlich und
gut mitarbeiten.
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3. Die deutsche Kirche muss erkennbarer eine diakonische Dimension haben

In der öffentlichen Wahrnehmung hat unsere Kirche in allen Bereichen der Diakonie eine
große Zustimmung erfahren und großes Ansehen erworben. Das liegt vor allem an der hohen
Professionalität, mit der Diakonische Dienste bei uns überall ausgeübt werden, von
Kindergarten bis zum Altenheim. Und es liegt auch an der hohen Professionalität der Caritas,
die als Verband der freien Wohlfahrtspflege und als sachkundiger Anwalt der ganz
verschiedenen Not in unserem Land außerordentlich überzeugend ist.

Doch nicht an die Caritas sondern an uns alle hat Mutter Theresa beim Katholikentag in
Freiburg die entwaffnende Frage gestellt: „Kennt ihr die Armen eurer Stadt?“ Nur die Kirche
als ganze, alle Christen in ihren Lebensbereichen können die diakonische Kirche sein und
darstellen, die eine Gemeinschaft von heilenden Beziehungen sein kann. Diakonie als Prinzip
der Pastoral, das heißt, es muss uns gelingen, Verbindungen unter Menschen zu schaffen, die
helfen können, dass Not auffällt, dass einfacher Kontakt möglich ist, dass Hilfe direkt oder
indirekt herbeigeschafft wird. Durch uns, die Frauen und Männer an allen Orten, muss unsere
Kirche zur sensibelsten Wahrnehmung der unterschiedlichsten Form von Not werden, der
offenen, wie der versteckten. Doch dafür müssen wir zunächst Sensibilität schaffen und dafür
müssen wir qualifiziert werden.

4. Sachkundiger Laienkatholizismus

Der deutsche Laienkatholizismus entstand im 19. Jahrhundert als Teil der modernen
Bewegung, die damals bürgerliche Freiheiten, soziale Gerechtigkeit und auch mehr
Bildungsgerechtigkeit erkämpfte. Und auch nach 1949 war der Laienkatholizismus in der
damaligen Bundesrepublik eine Säule des demokratischen Wiederaufbaus. Das ist in unseren
Augen eine große Tradition, die einmalig ist und letztlich ein großer Dienst der Katholischen
Kirche an unserer Gesellschaft.

Wie kann diese Tradition heute fortgesetzt werden? Ich meine, es kommt zunächst darauf an
dass wir uns in der Tradition der Katholischen Soziallehre für Fragen einzusetzen, die uns aus
unserem Glauben besonders am Herzen liegen, Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der
Familie, der Bioethik und der Bewahrung des menschlichen Lebens und der Schöpfung, aber
auch Fragen der Zukunft der Religionen und des Glaubens, von Bildung und Erziehung. Wir
sind aus unseren Berufs- und Lebenserfahrungen davon überzeugt, dass es unverzichtbar ist,
unsere Grundüberzeugungen in ganz konkreten politischen Zusammenhängen zu vertreten.
Viele von uns haben immer wieder erfahren, dass es auch als Zeugnis des Glaubens
angesehen und gewünscht wird, wen wir uns so sachkundig und engagiert, klug geplant und
hoffentlich überzeugend öffentlich einsetzen. Gerade in den letzten Monaten konnten wir
erfahren, wie sehr die offene Gesellschaft von der Kirche verlangt, dass sie sachkundig ist und
genau informiert Stellung bezieht und entscheidet. Man lässt es uns eben nicht durchgehen,
wenn wir uns nur in sehr grundsätzliche Überlegungen flüchten oder gar, wenn wir die
Aufgabenteilung zwischen Kirche uns Politik so vornehmen, dass wir uns für die hehren
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ethischen Grundsatzfragen zuständig erklären und der Politik das mühevolle Alltagsgeschäft
überlassen, bei dem wir selbstverständlich immer jede Einzelheit kritisieren dürfen.

Bei öffentlichen Auseinandersetzungen können wir uns gut eine kluge Rollenverteilung
vorstellen: Laien dürfen im öffentlichen Raum viel kämpferischer und auch streitiger
auftreten. Bischöfe in ihrer Funktion als Brückenbauer sollen gern die Rolle übernehmen,
zusammenzuführen. Und wenn sie so in manchen Diskussionen für sich das Schlusswort
behalten, dann ist uns das recht. Auch solche Form der abgesprochenen Zusammenarbeit ist
Basis eines Vertrauens, von dem ich zu Beginn sprach.
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