Dissertation Untersuchungen zu einem neuen Screeningtest
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Untersuchungen zu einem neuen Screeningtest (ProC® Global) zur Erfassung thrombophiler Zustände Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades doctor medicinae (Dr. med.) vorgelegt dem Rat der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena von Heike Spittel, geb. Kämmerer geb. am 20.07.1966 in Erfurt
Gutachter: 1. Prof. Dr. med. G. Stein 2 Prof. Dr. med. habil. G. Vogel 3. ___________________________ Tag der öffentlichen Verteidigung: 04.06.2002
Inhalt Seite 1. Einleitung und Zielstellung 1 2. Gegenwärtiger Erkenntnisstand und offene Fragen 3 2.1. Hereditäre Thrombophilie 6 2.1.1 Thrombophiliediagnostik 8 2.2. Das Protein-C-System 10 2.2.1. Protein C 11 2.2.1.1. Struktur und Wirkungsmechanismus 11 2.2.1.2. Genetische Defekte 12 2.2.1.3. Erworbene Mangelzustände von Protein C 13 2.2.1.4. Labordiagnostik 13 2.2.2 Protein S 14 2.2.2.1. Struktur und Wirkungsmechanismus 14 2.2.2.2. Genetische Defekte 15 2.2.2.3. Erworbene Mangelzustände von Protein S 16 2.2.2.4. Labordiagnostik 16 2.2.3. Phospholipidantikörper 17 2.2.3.1. Pathophysiologie und Klinik 17 2.2.3.2. Diagnostik der Phospholipidantikörper 19 2.2.4. Erhöhte Faktor-VIII-Spiegel 20 2.2.4.1. Pathophysiologie und Klinik 20 2.2.4.2. Labordiagnostik 21 2.2.5. Faktor-V-Mutation 22 2.2.5.1. Pathophysiologie 22 2.2.5.2. Klinik der Faktor-V-Mutation 23 2.2.5.3. Labordiagnostik 25 3. Eigene Untersuchungen 27 3.1. Material und Methoden 27 3.1.1. ProC® Global-Test 27 3.1.1.1. Auswahl der Proben und Probeentnahmen 27
3.1.1.2. Testprinzip 28 3.1.1.3. Reagenzien und Testgerät 29 3.1.1.4. Präzisionskontrolle 30 3.1.1.5. Durchführung 30 3.1.1.6. Testauswertung 31 3.1.2. COATEST® APCTM Resistance 31 3.1.2.1. Auswahl der Proben und Probeentnahmen 31 3.1.2.2. Testprinzip 32 3.1.2.3. Reagenzien und Testgerät 33 3.1.2.4. Präzisionskontrolle 33 3.1.2.5. Durchführung 34 3.1.2.6. Testauswertung 34 3.2. Ergebnisse 35 3.2.1. Übersicht über die Untersuchungsergebnisse zum Testsystem 35 ProC® Global 3.2.1.1. ProC® Global-Werte von Patienten mit genomisch nachgewiesener 37 heterozygoter Faktor-V-Mutation 3.2.1.2. ProC® Global-Werte von Patienten mit genomisch nachge- 39 wiesener homozygoter Faktor-V-Mutation 3.2.1.3. Verhalten der ProC® Global-Werte von Patienten ohne 40 genomisch nachgewiesene Faktor-V-Mutation 3.2.2. Vergleich zweier funktioneller Testsysteme zur Erfassung 43 der APC-Resistenz gleicher Plasmaproben Vergleich zwischen ProC® Global und COATEST® APCTM Resistance 3.2.3. Prävalenzuntersuchungen zum Vorherrschen der APC- 45 Resistenz bei Thrombosepatienten anhand des Studiums von Krankenblattdateien 3.2.3.1. Aufschlüsselung der Krankenblattdateien weiblicher Probanden 45 3.2.3.2. Aufschlüsselung der Krankenblattdateien männlicher Probanden 46 3.2.3.3 Charakterisierung der pathologischen Meßergebnisse 47
4. Diskussion 50 5. Zusammenfassung 61 6. Literatur 63 Thesen 74 Anhang 76
1. Einleitung und Zielstellung Venöse Thrombosen und Embolien stehen in der Häufigkeit kardiovaskulärer Erkrankungen an dritter Stelle. Die Inzidenz venöser Thrombosen wird in der Literatur mit 1:1000 angegeben (36). Trotz fest etablierter medikamentöser und mechanischer Maßnahmen der Thromboseprophylaxe im Klinikalltag treten thromboembolische Ereignisse immer noch relativ häufig auf. Sie können zum einen durch Entwicklung einer Lungenembolie den Patienten akut gefährden. So führen in der Bundesrepublik Deutschland Thromboembolien jährlich zu 100.000 Todesfällen (99). Andererseits geht die Herausbildung eines postthrombotischen Syndroms mit einer lebenslangen Behinderung einher. Die Ursachen einer Thrombose sind vielfältig und lassen sich selten auf einen einzelnen Risikofaktor zurückführen. Neben den klassischen Risikofaktoren wie Alter, Immobilisation, Trauma, orale Kontrazeption und Schwangerschaft stehen in den letzten Jahren zunehmend die angeborenen und erworbenen Gerinnungsdefekte im Mittelpunkt. Besondere Aufmerksamkeit soll im weiteren der hereditären Thrombophilie geschenkt werden. 1965 identifizierte die Entdeckung von Egeberg (27) über angeborenen AT III- Mangel und die damit verbundene Prädisposition venöser Thrombosen den 1. Pathologischem Mechanismus der Hyperkoagulation. Fast 20 Jahre später wurde durch Beobachtungen gehäuften Auftretens hereditären Protein-C- und Protein-S-Mangels in Familien mit Thromboseneigung ein weiterer Zusammenhang zwischen Hyperkoagulation und hereditärer Thrombophilie beschrieben (13, 14, 39). Mit der Identifikation dieser Störungen konnten lediglich für 10-15% der zunächst ungeklärten Thromboembolien eine Ursache nachgewiesen werden. Die Prävalenz dieser Defekte ist relativ niedrig, sie werden höchstens bei 2-5% der Patienten mit Thrombosen gefunden. 1993 brachte die Entdeckung eines bisher unbekannten genetischen Defektes, der mit Thrombophilie einher geht, nämlich die sogenannte Resistenz gegenüber aktiviertem Protein C, eine deutliche Änderung der Situation (21, 22). Dahlbäck beobachtete, daß es im Plasma bestimmter Thrombosepatienten bei In-vitro- Zusatz von aktiviertem Protein C nicht zu einer Verlängerung der Gerinnungszeit kam, wie dies im Plasma gesunder Patienten der Fall ist und nannte diesen Defekt „Resistenz gegen aktiviertes Protein C“. Wie Bertina et al. (5) sowie andere Autoren (38, 93) 1994 zeigten, verbirgt sich hinter dem Begriff der APC-Resistenz in ca. 90% der Fälle eine
Punktmutation im Faktor-V-Gen. Dabei ist im Exon 10 in Position 1691 Guanin durch Adenosin ersetzt. Diese Mutation führt im Faktor-V-Protein in der Aminosäureposition 506 zu einem Austausch von Arginin durch Glutamin. Sie ist derzeit der häufigste bekannte genetische Defekt, der mit einem erhöhten Risiko thromboembolischer Ereignisse einhergeht. Nach ihrem Entdeckungsort wird diese Mutation auch Faktor-V- Leiden-Mutation genannt. Durch die Mutation kann aktiviertes Protein C seiner antikoagulatorischen Wirkung, der proteolytischen Spaltung der Faktoren Va und VIIIa, nicht mehr nachkommen. Daraus resultiert eine erhöhte Gerinnungsfähigkeit des Blutes. Andere mögliche Gründe für das Vorliegen der APC-Resistenz wären eine Dysfunktion oder ein Mangel von Protein C oder S, erhöhte Konzentrationen von Faktor VIII oder das Vorliegen eines Lupus-Antikoagulans. In jüngster Zeit wurde eine weitere Ursache für APC-Resistenz im Auftreten einer 2. Mutante des Faktor-V-Gens (sogenannte HR 2 Mutation) gefunden. Theoretisch denkbar wären auch bisher unbekannte Defekte im Faktor-V- oder Faktor-VIII-Protein. Die Fortschritte in der Gerinnungs- und Fibrinolysephysiologie zwingen den Wissenschaftler immer wieder, sich mit diagnostischen Methoden auseinanderzusetzen und diese zu überarbeiten. Aufgrund der hohen Prävalenz der Faktor-V-Mutation ist eine umfassende Gerinnungsdiagnostik ohne Überprüfung des Protein-C-Systems undenkbar. Unter Berücksichtigung ökonomischer Interessen kommt dabei vorgeschalteten Suchmethoden eine besondere Bedeutung zu. Bisher konnten Störungen des Protein-C-Systems nur mit Einzeltesten erfaßt werden, was mit einem hohen Untersuchungsaufwand einherging. Im Rahmen des Thrombophiliescreenings scheint es daher sinnvoll, vor Bestimmung der einzelnen Komponenten, einen sogenannten Suchtest voranzustellen. In Abhängigkeit von dem Testergebnis kann dann das weitere Vorgehen festgelegt werden. Ein Screeningtest zur Erfassung von Störungen im Protein-C-System ist der ProC® Global- Test. In der vorliegenden Arbeit soll Stellung zur Sensitivität und Spezifität dieses Testes bezogen werden.
2. Gegenwärtiger Erkenntnisstand und offene Fragen Störungen der Hämostase, die sich klinisch durch Blutungsneigung oder durch thromboembolische Erscheinungen ausdrücken, haben große Bedeutung sowohl für den einzelnen Patienten als auch für die Gesundheitspolitik. Die Kosten für Diagnostik und Therapie thromboembolischer Erkrankungen beliefen sich in den letzten Jahren in den alten Bundesländern auf 12 Milliarden DM pro Jahr. Mit der zunehmenden Aufdeckung erblicher Störungen im Gerinnungssystem und deren Nachweis geht eine gesteigerte Ursachenklärung thromboembolischer Ereignisse einher. Durch genaue Kenntnis der zugrundeliegenden Störung kann für den Betroffenen neben einer entsprechenden Therapie, in bestimmten Situationen ein gesteigertes Thromboserisiko abgeschätzt und eine adäquate Thromboseprophylaxe durchgeführt werden. Des weiteren können durch gezielte Familienuntersuchungen asymptomatische Merkmalsträger aufgedeckt werden, bei denen in bestimmten Expositionssituationen durch konsequente Thromboseprophylaxe das Auftreten thromboembolischer Ereignisse vermeidbar ist. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Entwicklung geeigneter Testsysteme zum Nachweis hereditärer Gerinnungsdefekte. Die Frage nach dem Blutungsrisiko ist im allgemeinen durch routinemäßig schnell durchführbare Globalteste, wie Thromboplastinzeit, aktivierte partielle Thromboplastinzeit und Thrombozytenzahl, feststellbar. Die Frage nach einem gesteigerten Thromboserisiko hingegen ist schwerer zu beantworten, da neben den thrombosebegünstigenden klassischen Risikofaktoren wie Immobilisation, Operation, Infektionen, Schwangerschaft und Einnahme oraler Kontrazeptiva eine genetische Disposition zu berücksichtigen ist. Aus ökonomischer Sicht und in Kenntnis der Vielfalt dieser Defekte gewinnen Screeningtests zunehmend an Bedeutung. Da bekannt ist, daß ca. 80% aller heute meßbaren „thrombophilen Faktoren“ das Protein-C-System betreffen, wäre es sinnvoll, für diese mit Abstand häufigsten Veränderungen einen Screeningtest verfügbar zu haben, der Veränderungen innerhalb des Protein-C-Systems erkennt. Dieser soll einfach und in jedem Labor durchführbar sein. Durch die Besonderheit der Screeningteste, mehrere Komponenten eines bestimmten Systems zu erfassen, haben diese Teste Vorteile gegenüber der gezielten Bestimmung einer Einzelkomponente.
Da man davon ausgehen kann, daß die Summe aller derzeit verfügbaren Parameter immer noch nicht die vollständige biologische Realität erfaßt, kann eine unerklärliche Aktivitätsminderung eines Screeningtestes Hinweise auf bisher unbekannte Gerinnungsdefekte geben, wenn gleichzeitig sämtliche, zu diesem Zeitpunkt bekannte Einzelkomponenten des betroffenen Systems im Normbereich liegen. Im Gegensatz zu den herkömmlichen funktionellen Testsystemen zum Nachweis einer APC-Resistenz ist ProC® Global ein Suchtest zur Erfassung der antikoagulatorischen Kapazität des gesamten Protein-C-Systems im humanen Plasma. Das heißt, daß das Testergebnis vom Verhalten des Protein-C-Systems in der untersuchten Probe abhängig ist (49, 61). Das als ProC® Global bezeichnete Testverfahren wurde 1997 eingeführt. In Abhängigkeit vom jeweiligen Testergebnis kann entschieden werden, ob ein hereditärer oder erworbener Defekt im Protein-C-System unwahrscheinlich ist oder ob mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Störung vorliegt. Dadurch wäre es möglich, Patienten mit normalem Testergebnis von einer aufwendigen und kostenintensiven weiterführenden Diagnostik auszuschließen oder bei positivem Ergebnis eine genaue Analyse des Protein-C-Systems vorzunehmen. Nach entsprechenden Untersuchungen (5, 38, 93) sind ca. 90% aller Probanden mit einer verringerten APC-Sensitivität Träger der Faktor-V-Mutation, d.h., daß mit diesem Test der derzeit am häufigsten vorkommende erbliche Gerinnungsdefekt nachgewiesen werden kann. Ebenso werden hereditäre oder erworbene Protein-C- oder Protein-S- Mangelzustände, sowie erhöhte Faktor-VIII-Konzentrationen oder Phospholipidantikörper (Lupusantikoagulans) erfaßt. Wird eine Plasmaprobe vor der APTT-Messung mit einer standardisierten Menge APC über einen definierten Zeitraum inkubiert, kommt es normalerweise zum proteolytischen Abbau der Faktoren Va und VIIIa. Somit wird die Thrombinbildung verlangsamt und die Zeit bis zur Fibrinbildung verlängert. Bei den herkömmlichen funktionellen Testsystemen zum Nachweis einer APC-Resistenz wurde die Gerinnungskaskade durch direkten Zusatz von APC gestartet. Im Gegensatz dazu wird beim ProC® Global-Test das zu untersuchende Plasma mit einem Protein-C- Aktivator (Bestandteil des Schlangengiftes von Agkistrodon contortrix) versetzt. Ein Vorteil des Protein-C-Aktivators besteht darin, daß er stabiler als APC ist und auch durch Einfrieren diese Stabilität nicht verliert (21, 95).
Unter Zugabe von Calciumionen wird endogenes Protein C aktiviert und somit die intrinsische Gerinnungskaskade gestartet. Das aktivierte Protein C inaktiviert im Zusammenspiel mit dem in freier Form vorkommendem Protein S die Cofaktoren Va und VIIIa. So wird die Zeit bis zur Gerinnselbildung verlängert, wobei in Plasmen mit verringerter Wirkung des Protein-C-Systems die Gerinnungszeit weniger stark verlängert ist. Die so bestimmte Zeit wird als PCAT (Protein C Activity dependent Clotting Time) bezeichnet. Zur Erkennung von Störfaktoren wie hohe Heparinkonzentrationen oder Mangel an prokoagulatorischen Faktoren dient eine als PCAT/0 bezeichnete Verfahrensweise. Hierbei wird statt des Protein-C-Aktivators ein Puffer mit Heparin-Neutralisator zugesetzt. Die PCAT/0 soll kleiner oder gleich 60 Sekunden sein. Ansonsten besteht die Gefahr, daß eine verringerte Kapazität des Protein-C-Systems durch eine Verlängerung der Gerinnungszeit überlagert wird. Bei Verlängerung der PCAT/0 >60 sec wird eine Vorbehandlung mit einem heparinabbauenden Enzym empfohlen. Die beiden bestimmten Zeiten PCAT und PCAT/0 werden nachfolgend ins Verhältnis zueinander gesetzt. Durch Zugabe von Faktor-V-Mangelplasma wird der Einfluß anderer Faktoren minimiert. Vom Hersteller ist sichergestellt, daß das Faktor-V-Mangelplasma eine normale Konzentration an Faktor VIII enthält, da sonst eine Verfälschung der Ergebnisse durch zu hohe (falsch positive) oder zu niedrige (falsch negative) Konzentrationen an Faktor VIII in der Patientenprobe nicht ausgeschlossen werden kann. Ein unter Zugabe von Faktor-V- Mangelplasma erhaltener verminderter Wert ist fast ausschließlich auf die Mutation im Faktor-V-Gen zurückzuführen. Auch kann durch Zugabe von Faktor-V-Mangelplasma das Vorliegen der APC-Resistenz im Plasma von Patienten unter oraler Antikoagulation getestet werden. Nach einigen Untersuchungen (50, 60, 91) sind die Ergebnisse der mit Faktor-V-Mangelplasma untersuchten antikoagulantienhaltigen Proben vergleichbar mit den Ergebnissen, welche von antikoagulantienfreien Proben erhalten wurden. Diese Beobachtungen wurden sowohl an Plasmen mit APC-Resistenz als auch an Plasmen ohne APC-Resistenz gemacht. Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, Daten darüber zu beschaffen, in welchem Maß der ProC® Global-Test als Screeningmethode für thrombophile Zustände verwendbar ist.
2.1. Hereditäre Thrombophilie Die physiologische Blutstillung befindet sich in einem sensiblen Gleichgewicht von fördernden und hemmenden Reaktionspartnern. Störungen dieses ausgewogenen Systems führen entweder zur reduzierten Blutstillung, auch hämorrhagische Diathese genannt, oder gehen mit einer Tendenz zur erhöhten Gerinnungsneigung, der thrombophilen Diathese oder Thrombophilie einher. Nach Lechner (51) kann „Thrombophilie als ein Zustand definiert werden, bei dem das Risiko des Auftretens thromboembolischer Erkrankungen erhöht ist und der zugrundeliegende Risikofaktor in Störungen der Hämostase oder der Fibrinolyse besteht“. Zur Aufrechterhaltung der Fluidität des Blutes und der Durchgängigkeit der Gefäße sind eine intakte Endothelfunktion und das Vorhandensein physiologischer Inhibitoren der plasmatischen Gerinnungsfaktoren erforderlich. Sind diese komplexen Interaktionen gestört, kann es zur Blutgerinnung am falschen Ort und damit zur Entstehung thromboembolischer Komplikationen kommen. Thrombophile Reaktionslagen kommen bei bestimmten genetischen Defekten, verschiedenen Krankheitsbildern oder passageren Zuständen vor. Als Ursachen wären Mangel oder Dysfunktion einer der physiologischen Gerinnungsinhibitoren, hier insbesondere von AT III, Protein C und Protein S, bestimmte Formen der kongenitalen Dysfibrinogenämie, ein vermindertes fibrinolytisches Potential, Lupusantikoagulanzien, proteolytische Enzyme, und nicht zuletzt die Mutation im Faktor- V-Gen, zu nennen. Aber auch bei Vorhandensein bestimmter exogener Faktoren wie z.B. Immobilisation, Operation, Schwangerschaft und orale Kontrazeption wird die Thrombinbildung induziert. Nach Vogel (96) kann die Entstehung einer Thrombose in ähnlicher Weise wie die einer Infektionskrankheit beschrieben werden. Danach manifestiert sich die Krankheit, wenn bei gegebener Disposition eine Exposition erfolgt. Die Disposition beinhaltet dabei die häufig sogar lebenslang bestehende Veränderung im Hämostasesystems, die Exposition ergibt sich aus o. g. exogenen Faktoren. So kann bei extremer Exposition bereits bei geringster Disposition eine Thrombose entstehen. Umgekehrt reicht bei starker Disposition oftmals
eine nur minimale Exposition zur Ausbildung einer Thrombose. Da sich Expositionssituationen häufig nicht umgehen lassen, ist für eine adäquate Thromboseprophylaxe die Kenntnis einer Disposition von besonderer Wichtigkeit. Hereditäre Thrombophilie umfaßt die Gesamtheit der Zustände, bei denen die Hyperkoagulabilität auf angeborene o. g. Defekte zurückzuführen ist. Am häufigsten lassen sich Mangel oder Dysfunktion der Gerinnungsinhibitoren als auslösende Defekte identifizieren, zu denen neben AT III vor allem das Protein-C-System gehört.
2.1.1. Thrombophiliediagnostik Die Durchführung einer entsprechenden Thrombophiliediagnostik ist angezeigt bei Patienten mit venöser Thrombose vor dem 40. Lebensjahr, bei Patienten mit ungewöhnlichem arteriellen Verschluß, insbesondere intracraniellen, bei Frauen mit wiederholtem Abort und bei Patienten mit rezidivierenden Thromboembolien oder atypischen venösen Thrombosen (z.B. Mesenterialvenenthrombose). Auch sollte bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen, bei Thrombosen aus geringfügiger oder nicht eruierbarer Ursache, den sogenannten „Spontanthrombosen“ und bei familiärer Thrombosehäufung eine Thrombophiliediagnostik erfolgen. Aufgrund des hohen Vorherrschens der Faktor-V-Mutation und des nachgewiesenen gesteigerten Thromboserisikos bei gleichzeitiger Einnahme oraler Kontrazeptiva wird die Durchführung einer entsprechenden Diagnostik auch vor Erstverschreibung hormoneller Verhütungsmittel diskutiert (92). Zur Prävention einer Rezidivthrombose, zur Abschätzung der Dauer einer oralen Antikoagulation nach stattgehabter Thrombose und zur Beurteilung des Thromboserisikos bei erforderlicher Immobilisation ist zur Durchführung einer adäquaten Thromboseprophylaxe eine umfassende Thrombophiliediagnostik unumgänglich. Auch empfiehlt es sich, bei Nachweis eines Gerinnungsdefektes bei symptomatischen Patienten und deren blutsverwandten Familienangehörigen eine umfassende Gerinnungsdiagnostik durchzuführen, da durch mehrere Studien (44, 45) belegt ist, daß genetische Inhibitordefekte kombiniert auftreten können, wodurch das Thromboserisiko gesteigert wird. Insbesondere bei jungen Patienten mit Manifestation thromboembolischer Ereignisse ohne Risikofaktoren sind ursächlich genetische Defekte der Blutgerinnung zu vermuten. Für die Abklärung einer hämorrhagischen Diathese stehen empfindliche Sreeningteste zur Verfügung. Das Thromboembolierisiko ist hingegen sehr viel schwerer abzuschätzen, da
zur umfassenden Abklärung eine Vielzahl z. T. aufwendiger und kostenintensiver Untersuchungen erforderlich ist. Außerdem sind diese Testsysteme nur in Speziallaboratorien durchführbar. Da Störungen im Protein-C-System, hier insbesondere die Faktor-V-Mutation, die häufigsten hereditären Ursachen thrombophiler Diathese darstellen, wäre die Anwendung eines Sreeningtests zur Feststellung der Funktionalität des Protein-C-Systems ein wichtiger richtungsweisender Vortest, welcher ökonomisch vertretbar, routinemäßig in jedem Labor durchführbar sein sollte. Neben der Testung auf APC-Resistenz umfaßt eine ausführliche Thrombophiliediagnostik die Bestimmung der AT-III-Aktivität und ggf. der Konzentration, die Bestimmung der funktionellen Aktivität des Protein C sowie der Protein-C-Konzentration, die Bestimmung der Protein-S-Aktivität einschließlich des Anteils des freien Protein S an der Gesamtkonzentration. Die Thrombophiliediagnostik beinhaltet weiterhin die Untersuchung der Fibrinolysekapazität, die Bestimmung der Faktor-VIII-Konzentration und der Thrombozytenanzahl, die Bestimmung von Homocystein und des Prothrombinspiegels, sowie die Testung auf Phospholipidantikörper. Die Bestimmung des Tissue factor pathway inhibitors (TFPI) steht erst seit kurzer Zeit zur Verfügung.
2.2. Das Protein-C-System Die hoch effizienten prokoagulatorischen Reaktionen von Thrombin sind physiologisch wichtig an Standorten vaskulärer Verletzung und Voraussetzung einer effizienten Hämostase. Jedoch können dieselben Reaktionen zu einer Bedrohung des Organismus werden, wenn diese Mechanismen unkontrolliert ablaufen (16). Während AT III eine direkte Hemmwirkung auf Thrombin ausübt, indem es einen irreversiblen Thrombin- Antithrombin-Komplex bildet, wirkt Protein C indirekt durch Hemmung der Thrombinaktivierung. Die Aktivierung von Protein C selbst erfolgt durch einen Komplex von Thrombin mit membrangebundenen Thrombomodulin. Somit erfährt Thrombin eine Wandlung von einem prokoagulatorischen zu einem antikoagulatorischen Enzym. Thrombomodulin wird von den Endothelzellen synthetisiert und hat neben seiner Rezeptorfunktion für Thrombin eine Cofaktorfunktion bei der Aktivierung von Protein C. Aktiviertes Protein C zerstört die aktivierten Cofaktoren Va und VIIIa. Damit wird die Neubildung von Thrombin und letztlich auch Fibrin drastisch reduziert. Verstärkt wird diese Reaktion durch Protein S als Cofaktor. Störungen des Protein-C-Systems können prinzipiell an verschiedenen Stellen entstehen: - Protein-C-Mangel bzw. funktioneller Protein-C-Defekt - Protein-S-Mangel bzw. funktioneller Protein-S-Defekt - Phospholipidantikörper (Lupusantikoagulanzien) - Faktor-V-Mutation Störungen dieses sensiblen Systems können auch durch erhöhte Faktor-VIII-Spiegel vorgetäuscht werden. Insbesondere die Mutation im Faktor-V-Gen ist aufgrund ihrer Häufigkeit von besonderem Interesse.
2.2.1. Protein C 2.2.1.1. Struktur und Wirkungsmechanismus Protein C ist ein Proenzym, welches Vitamin-K-abhängig in der Leber als einkettiges Polypeptid synthetisiert wird (98). Es besteht aus einem hydrophoben Signalopeptid und einem Propeptid. Das Signalopeptid ist für das Processing und die Sekretion notwendig, während das Propeptid die Erkennungssequenz für das y-Carboxylasesystem enthält, durch das bestimmte Glutaminsäurereste Vitamin-K-abhängig zu y-Carboxyglutaminsäure carboxyliert werden. Erst nach dieser letzten Synthesestufe erlangt Protein C seine Funktionsfähigkeit. Das einkettige Molekül wird im Golgi-Apparat in ein zweikettiges Molekül gespalten und in einem weiteren Schritt glykolysiert. Das im Plasma zirkulierende Glykoprotein hat ein Molekulargewicht von 62 kD und besteht aus einer leichten und einer schweren Kette. Beide sind durch eine Disulfidbrücke miteinander verbunden. In der leichten Kette sind die y-carboxylierten Glutaminsäurereste, welche für die calciumabhängige Bindung des Proteins an Phospholipidoberflächen erforderlich sind, enthalten. Die schwere Kette trägt das aktive Zentrum der Serinprotease und das Aktivierungspeptid, das bei der Aktivierung des Proenzyms durch Thrombin abgespalten wird. Die normale Plasmakonzentration beträgt 2-6 mg/l bzw. 65- 150%, die Halbwertszeit liegt zwischen 6-8 Stunden. Seit der Aufklärung der Nukleotidsequenz des Protein-C-Gens sind sehr viele Mutationen identifiziert worden. In der von Reitsma et al. (69) zusammengestellten Database sind 160 verschiedene Mutationen enthalten. Protein C wird durch den Thrombin-Thrombomodulin-Komplex aktiviert und inaktiviert durch proteolytische Spaltung die Gerinnungsfaktoren Va und VIIIa unter Mitwirkung negativ geladener Phospholipide, Calciumionen und Protein S. Wahrscheinlich wirkt bei der Inaktivierung von Faktor VIIIa neben Protein S auch intakter Faktor V (17, 94). Der mutierte Faktor V kann diese Cofaktorfunktion nicht mehr wahrnehmen, woraus das
prokoagulatorische System eine weitere Stärkung bezieht. Zusätzlich steigert aktiviertes Protein C die fibrinolytische Aktivität durch Bindung des Plasminogen-Aktivator- Inhibitors (98). In vitro kann Protein C in Gegenwart von Calciumionen und Phospholipiden durch den Bestandteil eines Schlangengiftes, das den Herstellernamen Protac trägt, aktiviert werden. Durch Komplexbildung mit Protein-C-Inhibitor wird Protein C inaktiviert. Neben Thrombosen der tiefen Beinvenen und oberflächlichen Thrombophlebitiden sind auch atypische Thromboembolien (Mesenterial- und Hirnvenenthrombosen) beobachtet worden. Als eine besondere Manifestationsform des Protein-C-Mangels ist die Kumarinnekrose zu Beginn einer Therapie mit oralen Antikoagulanzien zu nennen. Als Ursache dieser Erscheinung wird eine initiale Verschiebung des Gerinnungsgleichgewichtes zugunsten der prokoagulatorischen Faktoren verantwortlich gemacht. Infolge der unterschiedlichen Halbwertszeiten der Gerinnungsfaktoren kommt es zum Überwiegen der Gerinnung, wobei beim vorbestehenden Protein-C-Defekt der kritische Punkt der intravasalen Gerinnung im Bereich der Hautgefäße früher erreicht wird und dadurch die Hautnekrose entsteht. 2.1.1.2. Genetische Defekte Protein-C-Defekte werden autosomal-dominant vererbt. Wie beim AT-III-Mangel unterscheidet man beim angeborenen Protein-C-Mangel zwei Formen. Der Protein-C- Mangel vom Typ I geht mit einer verminderten Konzentration und Aktivität einher, wohingegen der Typ II durch eine erheblich verminderte Funktion bei normaler Plasmakonzentration infolge Synthese eines abnormalen Protein-C-Moleküls gekennzeichnet ist (69). Den Typ-II-Defekten liegen unterschiedliche Mutationen des Protein-C-Gens zugrunde, so daß der Protein-C-Mangel formalgenetisch homozygot, heterozygot und „compound-heterozygot" vererbt werden kann. Heterozygote Defekte werden zu 5-8% bei jungen Patienten mit klinisch manifester erster Thrombose angetroffen (35). Im Alter von 45 Jahren hat ungefähr die Hälfte dieser Merkmalsträger ein thromboembolisches Ereignis durchgemacht (2). Dabei handelt es sich oft um Spontanthrombosen oder es liegen geringfügige Expositionen zugrunde. Die Häufigkeit in der Gesamtbevölkerung beträgt 0,2% (84).
Sowohl der homozygote als auch der „compound-heterozygote“ Protein-C-Mangel manifestieren sich wenige Stunden nach der Geburt mit dem klinischen Bild der Purpura fulminans und enden, sofern nicht sofort eine entsprechende Substitution eintritt, letal. Die klinische Erscheinung der Thrombophilie des heterozygoten Protein-C-Mangels variiert zwischen einer ausgeprägten Thromboseneigung und einer fehlenden Thrombosedisposition trotz vergleichbarer Verminderung der Protein-C-Konzentration. Dieser Erscheinung trägt die hypothetische Benennung „klinisch autosomal dominant“ und „klinisch autosomal rezessiv“ Rechnung. Derzeit geht man davon aus, daß die unterschiedliche Ausprägung der Thromboseneigung auf der Kombination mehrerer genetischer Defekte beruht. Die Annahme, daß diese Diskrepanz auf die unterschiedlichen Mutationen des Protein-C-Gens zurückzuführen sind, wurde nicht bestätigt (20). Koelemann et al. (44) zeigten in einer Studie, daß 19% der Personen mit einem heterozygoten Protein-C-Mangel gleichzeitig heterozygot für die Faktor-V-Leiden Mutation sind und Träger beider Defekte früher und häufiger eine Thrombose entwickelten. Eine andere Studie beschreibt ein gehäuftes Auftreten der heterozygoten Faktor-V-Mutation beim symptomatischen Protein-S-Mangel (45). 2.2.1.3. Erworbene Mangelzustände von Protein C Erworbene Ursachen eines Protein-C-Mangels treten als Synthesestörungen insbesondere bei Lebererkrankungen, bei Vitamin-K-Mangel oder auch unter Kumarintherapie auf. Erhöhter Umsatz von Protein C kommt bei der Verbrauchskoagulopathie, postoperativ, nach Polytrauma, bei insulinpflichtigem Diabetes mellitus und bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz vor. 2.2.1.4. Labordiagnostik Die Bestimmung von Protein C kann immunologisch (ELISA, Laurell-Elektrophorese) oder funktionell durch Testung des Inaktivierungsvermögens von aktiviertem Protein C auf Faktor VIIIa und Faktor Va erfolgen, wobei letztere sowohl Defekte vom Typ I als auch Defekte vom Typ II erfaßt. Dadurch bedingt wird der letzteren Bestimmungsmethode der
Vorzug gegeben. Praktisch wird die vorverdünnte Probe mit Protein-C-Mangelplasma versetzt. Dann erfolgt die Zugabe eines Schlangengiftbestandteiles, welches Protein C aktiviert. Da der Testansatz alle Gerinnungsfaktoren im Überschuß enthält, hängt die Verlängerung der Gerinnungszeit in Bezug zur gemessenen Gerinnungszeit ohne Protein- C-Aktivierung allein von der Protein-C-Aktivität der Probe ab. Bei der Auswertung der erhaltenen Ergebnisse ist der Zeitpunkt der Probeentnahme von besonderer Bedeutung. Da die funktionellen Testsysteme auch verschiedene andere Gerinnungskomponenten erfassen, ist bei der Blutentnahme in der akuten Phase einer Thrombose zu bedenken, daß Faktor-VIII-Konzentrationen als Ausdruck einer Akuten-Phase-Reaktion erhöht sind und die koagulometrisch arbeitenden Testsysteme positiv ausfallen können, auch wenn normale Protein-C-Spiegel vorliegen. Andererseits werden unter oraler Antikoagulation verminderte Protein-C-Spiegel gemessen, da die Proteinsynthese Vitamin-K-abhängig ist. 2.2.2. Protein S 2.2.2.1. Struktur und Wirkungsmechanismus Protein S ist wie Protein C ein Vitamin-K-abhängiges Plasmaprotein. Bildungsorte sind neben der Leber auch Endothelzellen und Megakaryozyten, so daß es, im Gegensatz zum Protein C, bei Lebererkrankungen kaum vermindert ist. Ebenso wie beim Protein C ist das Signalopeptid verantwortlich für das intrazelluläre Processing, während das Propeptid die Erkennungssequenz für das y-Carboxylasesystem enthält. Es entsteht als einkettiges Molekül und wird intrazellulär glykolysiert. Das Molekulargewicht beträgt 69 kD. Die Gesamtplasmakonzentration beträgt 20-25mg/l bzw. 60-120%. Davon liegen im Normalfall 7-10mg/l bzw. 23-49% in freier Form vor. Protein S fungiert als Cofaktor des aktivierten Protein C bei der Inaktivierung der Faktoren Va und VIIIa und wirkt somit gleichfalls als Inhibitor im Gerinnungssystem (98). Protein S hat eine hohe Affinität zu negativ geladenen Phospholipidoberflächen, an die es in Gegenwart von Calciumionen das aktivierte Protein C bindet.
Protein S kommt im Plasma zu 40% als freies Protein vor. Nur dieser Anteil ist funktionell aktiv (42). 60% sind an das C4b-BP gebunden. C4b-BP fungiert als Regulatorprotein des klassischen Komplementsystems und besteht aus 7 identischen y-Ketten und einer einzelnen ß-Kette. Über diese ß-Kette bindet C4b-BP an Protein S. Die Ankopplung von Protein S an C4b-BP stört nicht die Funktion von C4b-BP als Regulatorprotein der Komplementkaskade, jedoch kann an C4b-BP gebundenes Protein S nicht als Gerinnungsinhibitor fungieren. Im Plasma liegen alle C4b-BP Moleküle, die eine ß-Kette erhalten, an Protein S gekoppelt vor. So wird die Konzentration des freien Protein S von der Plasmakonzentration des C4b- BP bestimmt. Damit ist verständlich, daß der bei Entzündungsreaktionen beobachtete Anstieg der C4b-BP-Plasmakonzentration mit einem Abfall der Konzentration von freiem, gerinnungsphysiologisch wirksamen Protein S einhergeht. Wie beim Protein-C-Mangel kommt es gehäuft zum Auftreten vorwiegend venöser Thromboembolien oder oberflächlicher Thrombophlebitiden; es scheinen jedoch häufiger arterielle Thrombosen vorzukommen (1). 2.2.2.2. Genetische Defekte Ebenso wie der Protein-C-Mangel wird der Protein-S-Mangel autosomal dominant vererbt. Der hereditäre, heterozygote Protein-S-Mangel ist mit einem erhöhten Risiko für thromboembolische Komplikationen assoziiert und klinisch dem Protein-C-Mangel sehr ähnlich (98). Die Prävalenz des heterozygoten Defektes wird bei Patienten mit thromboembolischen Erkrankungen zwischen 2-5% und 5-8% angegeben (16, 35). Die Häufigkeit in der Gesamtbevölkerung ist nicht bekannt. Das gesteigerte Thromboserisiko soll nach vorliegenden Familienstudien ähnlich dem eines Protein-C-Mangels und einer heterozygoten Faktor-V-Mutation sein. Es werden 3 Typen des hereditären Protein-S-Mangels unterschieden (55). Der Typ I umfaßt eine Verminderung der Konzentration und somit auch der Aktivität sowohl des gesamten als auch des freien Protein S. Beim Typ II ist ausschließlich die Protein-S-Aktivität bei normaler Konzentration des gesamten und freien Protein S vermindert. Der Typ III hingegen ist durch eine verringerte Konzentration des freien Protein S und somit einer verminderten Aktivität bei normaler Konzentration des gesamten
Protein S gekennzeichnet. Bisher sind vom Typ III nur Einzelfälle berichtet worden. Es ist derzeit noch unklar, ob es sich bei diesem Typ wirklich um einen hereditären Defekt oder um eine reaktive Erkrankung im Rahmen der Komplementaktivierung handelt. Die homozygote Form des Protein-S-Mangels verursacht, ebenso wie homozygoter Protein-C-Mangel, das klinische Bild der Purpura fulminans. 2.2.2.3. Erworbene Mangelzustände von Protein S Erworbener Protein-S-Mangel kann im Rahmen von Synthesestörungen, wie z.B. bei Lebererkrankungen, Vitamin-K-Mangel oder unter Kumarintherapie vorkommen. Protein S wird im Gegensatz zum Protein C auch in Endothelzellen oder Megakaryozyten gebildet. Daher ist Protein S bei Patienten mit schweren Lebererkrankungen im Vergleich zu Gesunden zwar signifikant, jedoch nicht so stark wie Protein C vermindert. Protein S kann ebenfalls durch enteralen oder renalen Verlust reduziert sein. Zusätzlich kommt es bei entzündlichen Krankheitsbildern zu einer Verminderung des freien Protein S durch Erhöhung des C4b-BP, so daß beim nephrotischen Syndrom oder bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zwei voneinander unabhängige Mechanismen zu einer Konzentrationsminderung des freien Protein S führen. Grundsätzlich ist bei allen Erkrankungen, die mit einer Aktivierung des Komplementsystems einhergehen (entzündliche Erkrankungen, Malignome), von einer C4b-BP vermittelten Reduzierung des freien Protein-S-Anteils auszugehen. Physiologischer Protein-S-Mangel wird in der Schwangerschaft beobachtet und erreicht zum Geburtstermin seinen Höhepunkt. Ähnlich wie in der Schwangerschaft kommt es durch die Gabe oraler Kontrazeptiva zu einem Protein-S-Abfall, wobei dieser Abfall von der verabreichten Östrogenkonzentration abhängig ist. 2.2.2.4. Labordiagnostik Die Bestimmung von Protein S kann als Aktivitätsbestimmung koagulometrisch oder immunologisch mittels ELISA oder Laurell-Elektrophorese erfolgen (4). Durch geeignete
Verfahren wird zwischen gesamtem Protein S, freiem Protein S und gebundenem Protein S unterschieden. Wie beim Protein-C-Mangel können Bestimmungen während einer Akuten-Phase- Reaktion zu falsch positiven Ergebnissen führen. Unter oraler Antikoagulation sind ebenso verminderte Konzentrationen zu erwarten. 2.2.3. Phospholipidantikörper 2.2.3.1. Pathophysiologie und Klinik Phospholipidantikörper sind eine heterogene Familie von Immunglobulinen (IgG, IgM), welche die Fähigkeit besitzen, Phospholipid-Protein-Komplexe zu erkennen und zu binden (10). Paradoxerweise führt ihre Anwesenheit in vitro zu einer Verlängerung der Gerinnungszeit und in vivo zur Thromboseneigung. Ihre Gegenwart ist mit einem gesteigerten Risiko für das Auftreten arterieller und venöser Gefäßverschlüsse, rezidivierenden intrauterinen Fruchttodes und einer meist leichten Thrombozytopenie verbunden. Das Vorhandensein all dieser Störungen wird als Antiphospholipidsyndrom bezeichnet. Die Prävalenz für thromboembolische Ereignisse wird mit ca. 30% angegeben (4). Historisch wurde diese Gruppe von Antikörpern häufig präoperativ vor geplanter Tonsillektomie oder Adenoidektomie bei Kindern gefunden, wobei die verlängerten Gerinnungszeiten nicht selten zu einer Zurückstellung der geplanten Operation und einer aufwendigen Labordiagnostik führten, ohne das eine Thromboseneigung bestand (59). Phospholipdantikörper werden klassifiziert in autoimmun und alloimmun (88, 89). Zu den erstgenannten zählen Antikörper, welche in Verbindung mit systemischen Lupus erythematodes und anderen Bindegewebskrankheiten auftreten. Zu Letzteren gehören die Phospholipidantikörper, die bei Infektionskrankheiten oder Malignomen nachgewiesen werden. Weiterhin können Phospholipidantikörper in Anticardiolipin-Antikörper und Lupusantikoagulanzien unterteilt werden. Lupusantikoagulanzien sind die häufigsten erworbenen Gerinnungsinhibitoren. Definiert werden sie als Immunglobuline, die phospholipidabhängig in vitro zu einer Verlängerung
der Gerinnungszeit führen, ohne die Aktivität bestimmter Gerinnungsfaktoren zu hemmen (88). Zwei Plasmaproteine, ß2-Glucoprotein I und Prothrombin wirken als Cofaktoren, indem sie die Bindung an die Phospholipide vermitteln. Durch verschiedene Untersuchungen (9, 33) wurde gezeigt, daß Immunglobuline IgG oder IgM, welche aus lupusantikoagulanzienhaltigen Plasmen isoliert wurden, die Aktivierung von Protein C durch den Thrombin-Thrombomodulin-Komplex oder die Bindung von Thrombin an Thrombomodulin hemmen. Andere Autoren (7, 63) fanden ein reduziertes Tempo der Inaktivierung des Faktors Va durch aktiviertes Protein C bei Patienten mit Lupusantikörpern, wahrscheinlich bedingt durch die Protein S vermittelte, gestörte Bindung von APC an Phospholipidoberflächen. Außerdem demonstrierten Freyssinet et al. (33), daß die durch Phospholipide hervorgerufene Steigerung der Thrombomodulinaktivität durch Zugabe von o.g. Immunglobulinen neutralisiert wird. Des Weiteren wurde gezeigt, daß in Seren von Patienten mit systemischem Lupus erythematodes auch Antikörper gegen Endothelialzellantigene anwesend waren, die eine vaskuläre Verletzung bewirken können und darüber eine Gerinnungsaktivierung erfolgen kann (11). Da Lupusantikoagulanzien zuerst beim systemischen Lupus erythematodes nachgewiesen wurden, werden sie fälschlicherweise so bezeichnet. Sie sind aber auch bei einer Reihe anderer Erkrankungen, insbesondere bei Autoimmunerkrankungen oder lymphoproliferativen Erkrankungen nachweisbar. Daneben findet man sie bei dialysepflichtigen Patienten, im Rahmen eines Myokardinfarktes, medikamentös induziert (Phenothiazine, Penicillin) oder auch spontan. Sie können auch in Verbindung mit Infektionskrankheiten (Hepatitis C, Malaria, Infektionen mit Pneumocystis carinii) auftreten und verschwinden nach der Genesung (30, 66). Mit dem Auftreten von Lupusantikoagulanzien können Hypoprothrombinämien, Autoimmunthrombozytopenien oder Thrombozytenfunktionsstörungen vergesellschaftet sein, woraus eine erhöhte Blutungsneigung resultieren kann. Die klinische Bedeutung liegt jedoch im gehäuften Auftreten thromboembolischer Komplikationen (75, 89). 1963 wurde erstmalig von Bowie und Mitarbeitern (8) über eine Beziehung zwischen Thrombose und Phospholipidantikörpern berichtet. Die häufigsten venösen thromboembolischen Komplikationen sind die tiefe Beinvenenthrombose mit oder ohne Lungenembolie und die häufigsten arteriellen Ereignisse cerebrale Ischämien (88). Schwangere mit einem
Lupusantikoagulans haben ein erhöhtes Risiko bezüglich eines Abortes oder intrauterinen Fruchttodes, verursacht durch plazentare Thrombose oder Ischämie (87). 2.2.3.2. Diagnostik der Phospholipidantikörper Diagnostisch hinweisend ist eine verlängerte PTT, nicht selten in Verbindung mit einer leichten Thrombozytopenie. Der Nachweis von Lupusantikoagulanzien erfolgt mittels Plasmaaustauschversuch, durch Bestimmung der Kaolin clotting time oder durch Bestimmung der Russell Viper venom time (4). Beim Plasmaaustauschversuch werden Patientenplasma und Normalplasma in verschiedenen Konzentrationen miteinander vermischt und die PTT gemessen. Der Test ist positiv, wenn die Gerinnungszeit in der 1:1- Mischung von Patientenplasma und Normalplasma um mindestens 5 sec verlängert ist. Die Bestimmung der Kaolin clotting time ist der derzeit empfindlichste Test. Dazu wird das zu untersuchende Plasma mit dem Oberflächenaktivator Kaolin inkubiert und dann rekalzifiziert. Auch dieser Test gilt als positiv, wenn die gemessene Gerinnungszeit des Mischplasmas um mindestens 5 sec verlängert ist. Bei der zuletzt genannten Methode aktiviert ein Enzym, welches im Gift der Russell-Viper enthalten ist, den Faktor X direkt in Anwesenheit von Phospholipiden. Da dabei Einflüsse von möglichen Verminderungen der Vorphasen-Faktoren umgangen werden, kann mit diesem Test differentialdiagnostisch zwischen Lupusantikoagulans und Faktor-VIII- Inhibitor unterschieden werden. Die Auswahl geeigneter Testsysteme hängt davon ab, ob Sensitivität oder Spezifität im Vordergrund stehen. Wird besonderes Augenmerk auf die Sensitivität gelegt, empfiehlt sich die Anwendung der Kaolin clotting time. Wenn die Spezifität wichtiger ist, sollte die Russell viper venom time bestimmt werden.
2.2.4. Erhöhte Faktor-VIII-Spiegel 2.2.4.1. Pathophysiologie und Klinik Bezugnehmend auf die Leiden-Thrombophilie-Studie (93) stellen hohe Faktor-VIII- Konzentrationen einen wichtigen Risikofaktor für das Auftreten thromboembolischer Erkrankungen dar. Nach Angaben von Siegemund et al. (81) sind hohe Faktor-VIII:C- Spiegel (>150%) häufiger als alle bisher bekannten angeborenen und erworbenen thrombogenen Risikofaktoren. Das relative Thromboserisiko steigt mit der Höhe der gemessenen Aktivität und geht bei hohen Faktor-VIII-Aktivitäten (>150%) mit einem 4,8- fach gesteigerten Thromboserisiko einher (93). Damit entspricht das relative Thromboserisiko in etwa dem einer heterozygoten Faktor-V-Mutation (61). Aus Veröffentlichungen (46, 62, 93) geht hervor, daß ca. 25% der Patienten mit einer tiefen Beinvenenthrombose erhöhte Faktor-VIII-Spiegel aufweisen. Im Gegensatz zur Faktor-V-Mutation kann die erhöhte Aktivität von Faktor VIII eine vorübergehende, erworbene Störung darstellen. Sie tritt häufig im Zusammenhang mit Akuten-Phase-Reaktionen auf und kann bei vielen Erkrankungen und in vielen Situationen (Streß!) erhöht sein. Daher sind erhöhte Faktor-VIII-Spiegel postoperativ, nach Polytraumen, im Rahmen von Lebererkrankungen (hier insbesondere bei der aktiven aggressiven Hepatitis), bei Tumoren oder Gefäßerkrankungen und bei entzündlichen Prozessen anzutreffen. In diesem Rahmen können sie eine Störung im Protein-C-System vortäuschen. Mehrere Untersuchungen belegen einen Zusammenhang zwischen erhöhten Faktor-VIII- Aktivitäten und den Blutgruppeneigenschaften, wobei in Plasmen mit den Blutgruppeneigenschaften A, B und AB höhere Faktor-VIII-Spiegel als in Plasmen mit der Blutgruppeneigenschaft 0 gefunden wurden (58, 62, 65). Auch während der Schwangerschaft und unter oraler Kontrazeption werden vermehrt erhöhte Faktor-VIII- Konzentrationen angetroffen (62). So ist zu bedenken, daß in bestimmten Situationen selbst bei milder Hämophilie die Bestimmung des Faktor-VIII-Spiegels normal ausfallen kann.
Andererseits wird von einer genetisch bedingten Ursache für eine Faktor-VIII-Erhöhung ausgegangen, da nach einer Studie von O´ Donell und Mitarbeitern (62) nicht alle Patienten mit einer objektiv nachgewiesenen Thrombose und erhöhten Faktor-VIII- Konzentrationen auch die dabei zu erwartende Erhöhung anderer Entzündungsparameter aufwiesen. Syntheseorte des Faktor VIII sind Nieren und Leber. Das Molekulargewicht beträgt 280000 D. Die normale Plasmakonzentration beträgt 0,15 mg/l, bzw. 50-150%. Im Blutplasma ist Faktor VIII an sein Trägerprotein, den von-Willebrand-Faktor, gebunden. Ohne Bindung an dieses Trägerprotein ist seine Halbwertszeit äußerst kurz, so daß einige Autoren (62) einen möglichen Zusammenhang zwischen erhöhten Faktor-VIII-Spiegeln und einen gesteigerten Nachweis des von-Willebrand-Faktors vermuten. Faktor VIII wirkt in der plasmatischen Gerinnung als Cofaktor der Serinprotease Faktor IXa, welche Faktor X aktiviert. Faktor VIII wird durch Thrombin aktiviert und durch aktiviertes Protein C inaktiviert. Der aktivierte Faktor VIII beschleunigt die Aktivierung von Faktor X durch Faktor IXa um ein Vielfaches. Eine mögliche Erklärung für das gehäufte Auftreten venöser Thrombosen und hoher Faktor-VIII-Konzentrationen könnte das mit erhöhten Faktor-VIII-Spiegeln einhergehende Ungleichgewicht zwischen prokoagulatorischen und antikoagulatorischen Faktoren sein. 2.2.4.2. Labordiagnostik Die Bestimmung des Faktor VIII erfolgt mit klassischen Gerinnungstestsystemen, die auf der Messung der PTT basieren. Dazu wird nahezu Faktor-VIII-freies-Plasma, welches durch Verdünnung aus Plasma von Patienten mit schwerer Hämophilie A gewonnen wird, verwandt. Nach Zusatz der zu testenden Probe erfolgt die Bestimmung der PTT, wobei die gemessene Gerinnungszeit allein von der Faktor-VIII-Konzentration der Probe abhängig ist. Die immunologische Methode basiert auf dem Nachweis des Faktor-VIII-Antigens. Eine Bestimmung mit chromogenen Substrat ist ebenfalls möglich.
2.2.5. Faktor-V-Mutation 2.2.5.1. Pathophysiologie Dahlbäck (21) beobachtete 1993, daß es im Plasma bestimmter Thrombosepatienten bei Zusatz von aktiviertem Protein C nicht zu einer Verlängerung der Gerinnungszeit kam, wie es im Plasma gesunder Personen der Fall ist. Er benannte dieses Phänomen „Resistenz gegen aktiviertes Protein C“. Da dieser Mechanismus in 2 voneinander unabhängigen Familien mit gehäuften thromboembolischen Ereignissen identifiziert wurde, ging er davon aus, daß dieses Phänomen eine wichtige Ursache familiärer Thrombose ist. Bertina et al. (5) und andere Arbeitsgruppen (38, 101) zeigten 1994, daß diesem Defekt ursächlich eine Punktmutation im Faktor-V-Gen zugrunde liegt. Im Exon 10 in Position 1691 ist Guanin durch Adenosin ersetzt, was im Faktor-V-Protein zu einem Austausch in der Aminosäureposition 506 von Arginin durch Glutamin führt. Nach dem Ort ihrer Entdeckung wird die Mutation auch Faktor-V-Leiden genannt. Durch diese Mutation wird die proteolytische Spaltung von Faktor V durch aktiviertes Protein C erheblich verzögert. Die Spaltung erfolgt normalerweise an 3 Peptidbindungen, und zwar an den Arginin-Bindungen 306, 506 und 679, wobei zunächst an Arg 506 gespalten wird und dadurch die anderen Spaltstellen für APC zugänglich werden. Bei Vorliegen der Mutation läuft die Spaltung in Position 506 etwa zehnmal langsamer ab. Daraus resultiert eine nicht ausreichende Inaktivierung von Faktor Va und somit eine erhöhte Gerinnungsbereitschaft des Blutes, zumal die prokoagulatorische Funktion von Faktor V hingegen nicht inhibiert wird. Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob die fehlende Spaltbarkeit des Faktor V die einzige Ursache der APC-Resistenz ist. Einige Autoren (40) sehen das Vorhandensein dieser Mutation und die damit verbundene fehlende Spaltbarkeit des Faktor V als einzige Ursache an. Andere Autoren (17, 23) gehen zusätzlich von einer Cofaktorfunktion des nicht aktivierten Faktor V zur Inaktivierung von Faktor Va und VIII a durch aktiviertes Protein C aus. Sie vertreten die Meinung, daß der mutierte Faktor V auch dieser Funktion nicht mehr nachkommt.
Das mutierte Faktor-V-Allel ist nur in der kaukasischen Bevölkerung gefunden worden, in der asiatischen Bevölkerung findet man es fast nicht, ebenso nicht bei afrikanischen, amerikanischen und australischen Ureinwohnern (68, 85). Diese Tatsache dürfte unter anderem ein Grund für die geringe Thromboseinzidenz in einigen Ländern sein. Die hohe Prävalenz der Faktor-V-Mutation in der westlichen Welt resultiert aus einem Foundereffekt. Es wird vermutet, daß die Häufigkeit der Mutation auf einen Selektionsvorteil in der Evolution zurückzuführen sein könnte, weil die mit der Mutation verbundene Hyperkoagulabilität ein Schutz vor Blutverlusten war. Das damit verbundene gesteigerte Thromboserisiko kam offenbar weniger zum Tragen, da andere thrombosebegünstigende Risikofaktoren wie Immobilisation, Operation und Einnahme oraler Kontrazeptiva nicht zum Lebensstil der damaligen Zeit gehörten. Wie die „Leiden- Thrombophilie-Studie“ (93) zeigte, liegt die Häufigkeit der Faktor-V-Mutation in der Gesamtbevölkerung Europas bei 5 %. In der westlichen Welt herrschen in der allgemeinen Population beträchtliche Unterschiede. Eine hohe Prävalenz besteht in Südschweden, Griechenland und Israel (bis zu 15%). Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie (28) kommt die Faktor-V-Mutation in Deutschland bei 7,5% der Normalbevölkerung vor. In den Niederlanden, Großbritannien und den USA sind ca. 3-5% der Population Träger der Mutation. Die Prävalenz der Mutation bei Thrombosepatienten wird in der Literatur zwischen 17% und 40% (47, 83, 90) angegeben, einige Autoren fanden sogar eine Prävalenz bis 60% (72). In Deutschland wurde durch entsprechende Untersuchungen (28) bei 27,2% der untersuchten Thrombosepatienten die Mutation nachgewiesen. 2.2.5.2. Klinik der Faktor-V-Mutation Die Mutation wird autosomal dominant vererbt, so daß auch heterozygote Defektträger symptomatisch werden können. Verschiedene Studien (18, 74) zeigten, daß heterozygote Merkmalsträger ein 6-8fach höheres Thromboserisiko gegenüber Normalpersonen und homozygote sogar ein 30-140fach gesteigertes Thromboserisiko haben. Auch manifestiert sich die Thrombose bereits im jüngeren Lebensalter. So fanden Rosendaal und Mitarbeiter (73) ein mittleres Manifestationsalter für homozygote Träger von 31 Jahren und für heterozygote Merkmalsträger von 44 Jahren.
Die häufigsten klinischen Manifestationen sind oberflächliche oder tiefe Beinvenenthrombosen mit oder ohne Lungenembolie, aber auch Thrombosen an eher ungewöhnlichen Manifestationsorten (cerebral, mesenterial und retinal) sind beschrieben worden (78). Über einen Zusammenhang zwischen der Faktor-V-Mutation und arteriellen Verschlüssen ist bei jungen Patienten mit transitorisch ischämischen Attacken berichtet worden (24). Auch zeigten Sampran et al. (79) ein erhöhtes Vorkommen der APC- Resistenz bei Patienten mit objektiv nachgewiesener peripherer arterieller Verschlußkrankheit auf. Ein signifikant höheres Vorkommen der Mutation ist bei männlichen Patienten mit koronarer Herzkrankheit ebenso nachgewiesen worden, jedoch wurde kein gehäuftes Auftreten akuter Myokardinfarkte bei Trägern der Mutation gefunden (57). Nach Untersuchungen von Martinelli et al. (56) ist das Thromboserisiko geringer als bei Defekten von Protein C, Protein S oder AT III. Außerdem wurden weniger schwerwiegende thromboembolische Ereignisse beobachtet. Thrombosen treten in ca. 60% der Fälle spontan auf. In ca. 40 % der Fälle entwickeln sie sich in Zusammenhang mit exogenen Faktoren wie Operation, Immobilisation, Schwangerschaft und Geburt, oder unter Einnahme oraler Kontrazeptiva (99). Eine Untersuchung von Conrad (15) an 51 Frauen mit nachgewiesener Faktor-V-Mutation zeigte, daß bei 79% die Thrombosen im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Einnahme oraler Kontrazeptiva und nur bei 9% der untersuchten Frauen spontane Thrombosen auftraten. Lindqvist et al. (52) publizierten, daß Frauen, die Trägerinnen der Faktor-V-Mutation sind, während der Schwangerschaft ein 8-fach gesteigertes Risiko haben, an einer venösen Thromboembolie zu erkranken. Bei Frauen mit bestehender Faktor-V-Mutation und Einnahme oraler Kontrazeptiva liegt die Inzidenz von Thromboembolien bei 28,5% gegenüber 3,0% bei Frauen ohne Mutation und nur alleiniger Einnahme hormoneller Kontrazeptiva (92). Auch beschrieben Faioni et al. (31) die Ausbildung einer APC-Resistenz bei 60% gesunder Frauen im letzten Trimenon der Schwangerschaft, welche postpartal wieder verschwand. Das Thromboserisiko ist lebenslang erhöht und steigt mit zunehmendem Alter (19). Nach einer Untersuchung von de Stefano et al. (25) ist das Risiko rezidivierender tiefer Beinvenenthrombosen bei heterozygoten Trägern der Faktor-V-Mutation insbesondere bei gleichzeitig vorliegender Mutation im Prothrombin-Gen erhöht. Durch die Entdeckung der Mutation sind identifizierbare Gründe familiärer Thrombophilie von 5-10 % auf 60-70% angewachsen (76).
Sie können auch lesen