DIVERSITÄT IN KINDERBÜCHERN (ER)LEBEN - DIE WELT IST RUND UND BUNT 21.02.2021 - Fachhochschule Clara Hoffbauer ...
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DIVERSITÄT IN KINDERBÜCHERN (ER)LEBEN DIE WELT IST RUND UND BUNT 21.02.2021 Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert, Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam
Inhalt 1. Theoriebündel 2. Vielfaltsthemen 3. Vorstellen von verschiedenen Bilder-, Kinder- und Jugendbüchern Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Diversity - Was ist das? ◦ Diversity bedeutet Vielfalt von Menschen und Lebensformen. ◦ Diversity zielt auf die Anerkennung und Wertschätzung aller Menschen unabhängig von ihrer sozialen, ethnischen etc. Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung, ihrem Lebensalter, ihrer physischen oder psychischen Fähigkeiten oder anderer Merkmale. ◦ Diversity heißt Gemeinsamkeiten entdecken. Dabei geht es nicht nur um die Unterschiedlichkeiten von Menschen und ihren Lebensentwürfen, sondern immer auch um die Entdeckung von Gemeinsamkeiten. Menschen können verschiedene ethnische Herkünfte oder Religionen und Weltanschauungen haben, aber im gleichen Alter, lesbisch und Mutter sein oder gleiche körperliche Fähigkeiten oder Beeinträchtigungen haben. ◦ Diversity umzusetzen bedeutet, die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse und die Positionen jeder_s Einzelnen zu reflektieren. ◦ https://www.ewdv-diversity.de/diversity/diversity-was-ist-das/ 4 Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Ziel von Diversität ◦ „Das Ziel muss es sein, ein selbstbestimmtes Leben in Würde führen zu können.“ (Amartya Sen, 2020, 33) ◦ „Es muss um den Verzicht auf jegliche Formen der Ausgrenzung von Menschen und die Unterstützung ihrer selbstbestimmten, gesellschaftlichen Teilhabe in allen Lebensabschnitten und allen Lebensbereichen gehen.“ (Heimlich, 2020, 6) ◦ Welchen Beitrag kann Literatur leisten? Wann wird sie überfrachtet? Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Diversität in Kinderbüchern als Chance? Zitat: „Zwischen außerliterarischen Lebenswelten und literarischen Thematisierungen und Inszenierungen […] besteht ein generatives Wechselverhältnis, d.h. einerseits tragen die Texte dazu bei, Vorstellungen [..] zu subvertieren (überdenken) oder zu perpetuieren (festigen) und andererseits werden in ihnen gesellschaftliche Phänomene verhandelt.“ (Stritzke, 2011, S. 29) ◦ Welche gesellschaftlichen Themen, Normen, Werte und gesellschaftlichen Verhältnisse werden in Kinder- und Jugendbücher verhandelt und abgebildet? Welche nicht? ◦ Welche gesellschaftlichen Themen, Normen, Werte und Verhältnisse sollten in Kinder- und Jugendbücher verhandelt werden? Welche nicht? Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Zitate ◦ „Erst in einem Umfeld, in dem Kinder Diversitätsbücher lesen, können andere Kulturen und Menschen als eine Selbstverständlichkeit angesehen werden. “ Jammeh-Siegel ◦ „Besonders im deutschsprachigen Raum besetzen Children of Color Rollen in Geschichten rund um Migrationsgeschichten oder Rassismus, und das macht mich traurig. Wenn ich meinem Kind eine Gutenachtgeschichte vorlese, möchte ich auch einfach mal eine Fantasie- oder auch neutrale Geschichte vorlesen. Leider werden in Märchen oder Prinzessinnengeschichten nie oder nur sehr selten Children of Color in die Hauptrolle genommen. Das deprimiert mich und viele andere Familien.“ ◦ Warum ist es wichtig, dass Kinder geeignete Identifikationsfiguren in Büchern sehen? Jammeh-Siegel: „Ein Kind kann nur das werden, was er oder sie sieht. Wenn da nichts ist, das als Vorbild für das Kind fungieren kann, wird es schwierig. Wenn das Kind ausschließlich weiße Ärzt*innen und Politiker*innen sieht, glaubt es nicht, diese Berufe ergreifen zu können. Sie glauben, dass es nicht ihre Identität ist. Das war bei mir nicht anders. In meinen Kinderbüchern kamen lauter weiße Prinzessinnen vor, ich dachte also nicht, dass ich eine sein könnte. Und selbst sehr junge Children of Color sehen es nicht als Selbstverständlichkeit an, dass sie in Büchern abgebildet sind. Mein Neffe strahlt jedes Mal, wenn er von mir ein Buch mit Schwarzen Kindern geschenkt bekommt.“ ◦ Quelle: https://www.spiegel.de/familie/diversitaet-in-kinderbuechern-schwarze-prinzessinnen-und-maennliche-meerjungfrauen-a-dc349201-c14d-4ffd-a182-9436832b967d
Diversität in Kinderbüchern ◦ In Literatur schreiben sich gesellschaftliche Bedingungen, Lebensweisen, Ansichten, Haltungen, Normen, Werte (un)bewusst ein. ◦ Wenn diese nicht geteilt werden von allen Leser*innen, dann kommt es zu Kommentaren, Anmerkungen, Diskussionen, Abwertungen etc. ◦ Die Schwierigkeit besteht darin, die Literatur als fiktionalen Raum anzuerkennen; sie nicht als reine Abbildung von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen zu betrachten und sie auch nicht als solche zu missbrauchen. ◦ Literatur verändert oder perpetuiert gesellschaftliche Verhältnisse nicht; sie ist auch keine Pädagogin; sie kann aber als Ausgangspunkt von Betrachtungen, Einsichten, Dialogen etc. dienen Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Vielfalt in Kinderbüchern bedeutet… ◦ Sichtbarmachen von Vielfalt, von Unterschieden und Gemeinsamkeiten ◦ Sichtbarmachung von marginalisierten Randgruppen ◦ Vielfältige Identifikationsschablonen anbieten, Begegnung mit sich selbst ermöglichen im Sinne einer Subjektwerdung, Intersektionalität berücksichtigen ◦ Alteritätserfahrungen zu thematisieren: Fremdverstehen, Empathie, Einüben von Perspektivwechseln ◦ Othering zu erkennen und zu überwinden: Ausgrenzungspraktiken wahrnehmen, Diskriminierungen überwinden, Rassismen aufdecken ◦ Urteilsbewusstsein entwickeln, eine neue Sichtweise finden, evtl. neue Sprachpraxen entwickeln ◦ Adultismus und Bevormundung überwinden, Selbstbestimmung anstreben, Moralisierungstendenzen überwinden ◦ Auseinandersetzung mit individuellen und gesellschaftlichen Konflikten aufzeigen und einen Dialog anregen, Handlungsalternativen thematisieren, Empowern ◦ Copingstrategien in Krisen anbieten ◦ Verantwortliche Handlungsweisen anbieten, Strategien zu einem friedlichen, demokratischen, solidarischem Zusammenleben aufzeigen ◦ Abbauen von Barrieren, die das Lesen verhindern https://kulturshaker.de/vorurteilsfreie-kinderbuecher-voll-diversitaet/ Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Themenvielfalt Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Fluchterfahrungen, People of Color, inter- bzw. transkulturelle /interreligiöse Lebenswirklichkeiten, Armutserfahrungen im kindlichen/familiären Alltag, Identifikationsmöglichkeiten für diverse Familienkonstellationen: Ein-Elter-Familien, LGBTIQ-Eltern- und Kinder- Konstellationen und –Erfahrungen, „Patchwork“-Familien, bildungsferne Familien, Familien mit alltäglichen Armutserfahrungen, Familien mit Adoptiv- oder Pflegekindern, Kinder ohne Eltern, Wertevielfalt, Sprachvielfalt und Sprachpraxen: Mehrsprachigkeit, Dialekte, sprachliche Besonderheiten, Einschränkung, Kulturen und Herkunft erfahrbar machen: Essen, Begrüßungen, Tanzen, Gewohnheiten, Bräuche, Musik, Feste, Rituale, Kleidung, Geschlecht, Geschlechterrollen, vielfältige Gender-Identitäten (LGBTIQ), sexuelle Orientierung, Geschlechterzuschreibungen, Menschenrechte, Frauenrechte, Erfahrungen mit Trauma, Krankheit, Tod, Politische Einstellungen, Berufe im Zusammenhang mit Genderrollen, Umwelt, Umweltbewusstsein, Verhältnis zur Natur, Konsumverhalten, Krieg Aber auch: Gefühle aus verschiedenen Sichtweisen erfahrbar machen, Perspektivwechsel, Empathie-Fähigkeit, solidarisches Verhalten, Menschlichkeit Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
VIELFALTSTHEMEN
BEHINDERUNG
Behinderung ◦ Begriff der Behinderung: UN-BRK: Behinderung wird nicht als Eigenschaft einer Person gesehen (behindert sein), sondern als soziale Aktivität (behindert werden), die sich durch Barrieren, Ausgrenzungen und Benachteiligungen auszeichnet. ◦ Inklusion als „Enthaltensein in Etwas“, im Gegensatz zur Integration wird ein Ganzes nicht wieder hergestellt, sondern das Ganze ist von vornherein gegeben, es gibt keine vorausgehende Separation (full inclusion, responsible inclusion) ◦ Inklusion als Teilhabe – Teilgabe – Teilsein ◦ Pädagogik der Vielheit (Prengel, 1995) versteht Heterogenität als Verschiedenheit, Vielschichtigkeit, Veränderlichkeit, Unbestimmbarkeit; Denkfigur der egalitären Differenz: Die Prinzipien von Gleichheit und Verschiedenheit sind unauflöslich miteinander verbunden, beide bedingen einander. Gleichheit ohne Differenz wäre Gleichschaltung, und Differenz ohne Gleichheit wäre Hierarchie. ◦ Inklusive Pädagogik als demokratische Pädagogik: Nach Dewey (1939/1988) besteht die Aufgabe der Demokratie darin, Erfahrungen hervorzubringen, an denen alle teilhaben und zu denen alle etwas beitragen können. ◦ Inklusion wird erst dann erfahrbar, wenn Menschen nicht nur teilhaben, sondern auch etwas beitragen können. 13
Was brauchen Bücher zum Thema Behinderung? ◦ Mut, Dinge die schmerzhaft sind, anzusprechen und nicht zu verharmlosen ◦ keine Marginalisierungen und Vereinfachungen ◦ einen reflektierten Behindertenbegriff, welcher das Behindert werden thematisiert ◦ Inklusion (Teilhabe –Teilgabe – Teilsein) ◦ unterschiedliche Sichtweisen von Betroffenen: Bücher, die schon beim Schreiben Sichtweisen von Betroffenen einbeziehen ◦ Barrierefreiheit, Zugänge (Schriftgröße, Einfache Sprache etc.); Abbau von Bevormundung „Als ich Kind war, las mir meine Mutter regelmäßig aus dem Buch: Peter ist der allerkleinste Riese vor. Es handelt von einem Jungen mit einer Gehbehinderung. Jedes Mal, wenn wir es lasen, musste ich weinen. Ich mochte das Buch zwar, aber irgendwie fühlte ich mich nie wohl dabei, die Geschichte von Peter zu hören. Als wir in der Grundschule dann im Religionsunterricht „Die Vorstadtkrokodile“ auf Video sahen, wurde mir klar, warum ich beim allerkleinsten Riesen traurig wurde: Es war, als blickte ich in einen Spiegel. Es fühlte sich an, als ob ich wie Peter bin. Ich dachte mir: so sieht das also aus, wenn man mit dir zusammen ist. So anders siehst du auch aus. Ich wäre jedes Mal am liebsten vor Scham im Boden versunken. Aber es ging nicht. Inzwischen bin ich froh, dass meine Eltern mir immer wieder Bücher und Filme mit dem Thema Behinderung zeigten. Es fühlte sich nie pädagogisch an. Es waren einfach Kindergeschichten, die mir mal gefielen und mal nicht. Die Scham wurde dadurch weniger.“ Raul Krauthausen, https://raul.de/leben-mit- behinderung/kinderbuecher/
Meritxell Martí und Xavier Salomó: Unter den Wellen ◦ Ein Strand, zwei Kinder und was sich unter den Wellen verbirgt. Diese scheinbar einfache Geschichte einer zufälligen Begegnung zweier Kinder am Meer hat ebenso viel Tiefgang wie der Tauchgang des kleinen Jungen Marc. Da niemand mit ihm spielen möchte, taucht Marc in eine Fantasiewelt ab und sucht in den Tiefen des Ozeans nach verborgenen Schätzen. Erst als Marc wieder an Land ist, bemerkt der andere kleine Junge, der zuvor nicht mit Marc spielen wollte, weil der nur in seinem Schwimmring auf dem Wasser herumtrieb, dass Marc gelähmt ist und einen Rollstuhl braucht, und bereut sein Verhalten. Auf seine Weise taucht also auch er in die Tiefe und entdeckt in sich Menschlichkeit und Mitgefühl, die das Leben so wunderbar machen wie ein Tag am Strand. ◦ Eine herzerwärmende Kindergeschichte zum Thema Inklusion. Wozu sind wir fähig und was ist wirklich wichtig im Leben? Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Menena Cottin: Das schwarze Buch der Farben ◦ Das schwarze Buch der Farben« ist ein außergewöhnliches, ein besonderes Bilderbuch. Die Farben werden auf der linken Seite mit einem Satz beschrieben: wie sie riechen, wie sie schmecken, wie sie sich anfühlen, z. B. Gelb ist so weich wie der Flaum von Küken. Der beschreibende Satz wird in Braille-Schrift wiederholt. Auf der rechten Seite sind die beschriebenen Dinge reliefartig abgedruckt und damit mit den Fingerspitzen erfühlbar. Ein Buch, das alle Sinne sensibilisiert und Kinder (und auch Erwachsene) erahnen lässt, was es heißt, blind zu sein. Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Jutta Langreuter & Jeremy Langreuter: Oskar ◦ Vielfaltskriterien: Identifikationsmöglichkeiten für diverse Familienkonstellationen, unkonventionelle Erziehung, Behinderung? ◦ KIMI-Faktor: Vieles lernt man erst zu schätzen, wenn es nicht mehr da ist. Dies verdeutlicht das Buch mit witzigen sowie charmanten Bildern und Worten. Es zeigt, was wirklich wichtig ist. ◦ Inhalt: Oskar – so heißt der Bruder des Vaters, der in das Haus einziehen möchte, in dem bereits die ganze Familie wohnt. Doch wie ist Oskar so? Er hat keine Lust im Haushalt zu helfen, möchte sich aber um jedes Familienmitglied kümmern. Beim Spiel mit den Kindern wird er zum Piraten, singt mit Opa Lieder und verhilft der Uroma zum heimlichen Genuss von Süßigkeiten. Er kocht köstlich und kleckert dabei alles voll, so auch das Kleid von Mamas Chefin. Er wirbelt alles durcheinander und muss letztlich die Familie verlassen. Doch dann merkt die Familie, wie glücklich sie mit Oskar war und setzt alles in Bewegung, um ihn zurückzuholen. Oskar ist eine Bilderbuchgeschichte über einen Sonderling und Glücksbringer. Seite Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert 17
Frauke Angel, Stephanie Brittnacher: Oma Kuckuck „Seit ich denken kann, hat meine Oma einen Vogel. Er wohnt in dem kleinen Häuschen in Omas großem Haus. „Kuckuck!“, ruft Omas Vogel einmal und ist ganz aus dem Häuschen. Dann weiß ich, dass es bald Essen geben wird. Jeden Sonntag kocht Oma Kuckuck für uns Vanillesuppe mit Himbeeren. Die schmeckt meistens köstlich. Doch in letzter Zeit ist sie auch ein bisschen schräg. Ein Bilderbuch über Demenz. „ Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Katya Balen: Mein Bruder und ich und das ganze Universum ◦ Vielfaltskriterien: Menschen mit Behinderungen, Autismus, schwierige Familienverhältnisse, Akzeptanz ◦ KIMI-Faktor: Auf liebevolle Art und Weise gelingt es der Autorin ein schwieriges Thema für Kinder und Jugendliche zugänglich und verständlich zu machen. Die Hauptfigur Frank macht eine Entwicklung durch von Zorn und Eifersucht zu Akzeptanz und sogar Stolz. ◦ Inhalt: In diesem Buch geht es um den 10-jährigen Frank und sein Leben mit seinen Eltern, seinen Freunden – und seinem Bruder Max. Max nervt. Er ist fünf Jahre alt, „benimmt sich aber wie ein Baby“, spricht mit den Händen und bekommt Anfälle, wenn es ihm zu laut ist oder wenn etwas anders ist als sonst. Max ist Autist. Deswegen braucht er viel Hilfe und Unterstützung, vor allem von seinen Eltern. Die wiederum sind ziemlich gestresst und obwohl sie es versuchen, haben sie kaum Zeit für Frank. Er ist deshalb sauer auf Max und manchmal auch eifersüchtig. Richtig wütend wird er aber, wenn der fiese Noah aus seiner Klasse über Max lästert. Seite Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert 19
GESCHLECHT UND GENDER
Gender, Geschlecht, Sexualität, Romantik Gender und Geschlecht Begriffe für Sexualität Romantische Neigung agender, neutrois: identifiziert sich nicht als asexuell: fühlt sich zu niemandem hingezogen aromantisch: fühlt sich romantisch zu bestimmtes Geschlecht niemandem hingezogen androgyn: identifiziert sich als drittes bisexuell: fühlt sich zu Männern und Frauen biromantisch: fühlt sich zu Männern und Frauen Geschlecht, bei dem männliche und weibliche hingezogen hingezogen Merkmale miteinander verschmelzen bigender, genderfluid: manchmal männlich, cupiosexuell: empfindet keine sexuelle cupioromantisch: empfindet keine Romantik ist manchmal weiblich Anziehung, ist aber an Sexualität interessiert aber daran interessiert cis, cisgender: Gender stimmt mit dem seit der greysexuell: empfindet nur gelegentlich sexuelle heteroromantisch: fühlt sich zu Menschen des Geburt zugewiesenen Geschlecht überein Anziehung anderen Geschlechts hingezogen Genderquestioning: unsichere Identifikation heterosexuell: fühlt sich körperlich zu Menschen homoromantisch: fühlt sich zu Menschen des des anderen Geschlechts hingezogen selben Geschlechts romantisch hingezogen genderqueer, nichtbinär: Identität passt nicht ins homosexuell: fühlt sich zu Menschen des selben panromantisch: fühlt sich zu Menschen auf dem Zweiersystem Geschlechts hingezogen gesamten Genderspektrum hingezogen intersexuell: lässt sich nicht eindeutig einem biol. pansexuell, omnisexuell: fühlt sich zu Menschen quoiromantisch: versteht den Unterschied Geschlecht zuordnen des gesamten Geschlechtsspektrum hingezogen zwischen romantischer und platonscher Liebe nicht trans*, transgender: Gender und Geschlecht passen nicht zusammen Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Vielfalt von Geschlecht und Gender ◦ „Die Existenz von geschlechtsuneindeutigen Menschen wird als bedrohlich für die Gesellschaft und für intersexuelle Menschen selbst als psychisch nicht lebbar eingeschätzt.“ (Dietze, 2002, 26) ◦ „Geschlecht, geschlechtliche Identität, deren Inszenierung gesellschaftlicher Zuschreibungsmacht, die Bedeutung von Körpermerkmalen wird immer dann virulent, wenn ein Phänomen heteronormativen Normen zuwiderläuft und die geschlechtliche Permeabilität deutlich wird.“ (Seidel, 2019, 12). ◦ Heteronormativität ist ein zentraler Begriff der Queer Theory, mit dem die Naturalisierung und Privilegierung von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit in Frage gestellt werden. Das bedeutet, dass nicht nur die auf Alltagswissen bezogene Annahme, es gäbe zwei gegensätzliche Geschlechter und diese seien sexuell aufeinander bezogen, kritisiert wird, sondern auch die mit Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität einhergehenden Privilegierungen und Marginalisierungen. Der Begriff Heteronormativität dient zur Analyse und Kritik der Verflechtung von Heterosexualität und Geschlechternormen, mit denen Macht-, Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnisse einhergehen. [https://gender- glossar.de/h/item/55-heteronormativitaet, abgerufen am 14.02.2021] ◦ Mit geschlechtlicher Permeabilität wird der Umstand beschrieben, Alternativen zur Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität zu finden, beispielsweise in Form von Drei- und Viergeschlechterordnungen oder jenen Geschlechterordnungen, in denen neben den Kategorien Mann und Frau weitere, als alternative Geschlechter bezeichnete Kategorien vorhanden sind. 22 Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Herausforderung ◦ Erkennen und Überwinden geschlechtlicher Heteronormativität und Geschlechterstereotypien ◦ Geschlechtliche Permeabilität ermöglichen: „das Verhältnis zwischen gesellschaftlicher Zuschreibungsmacht, geschlechtlichen Kategorien, daraus möglicherweise resultierenden Identitätsentwürfen und der Konstituierung und Dekonstruktion dessen, was als normal gilt (Beispiele: Geschlechtsuneindeutigkeit, Geschlechtermaskerade) (Seidel, 2019, 12) ◦ Geschlechterstereotypien überwinden: transportieren Vorstellungen, wie Männer und Frauen, Mädchen und Jungen angeblich sind und sein sollen. Sie betreffen alle Persönlichkeitsbereiche: Aussehen, Kleidung, Interessen, Vorlieben, Kompetenzen, Verhalten, Denken, Fühlen, Bewegung, Berufe, Aufgaben Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
aus: Yannick Maria Reimers: Das Geheimnis hinter dem Regenbogen Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Wie können geschlechtliche Stereotypien erkannt und Permeabilität hergestellt werden? ◦ Sprache • Beschreiben und bewerten wir gleiche geschlechts- und genderspezifische Verhaltensweisen auf dieselbe Weise? • Heben wir sprachlich hervor, wenn sich Kinder rollenuntypisch verhalten? • Wird durch geschlechtergerechte, geschlechtsneutrale, geschlechtssensible Sprache, die Diversität von Gender und Geschlechtern deutlich gemacht? • Wird Sprache geschlechtsneutral gewählt, um Charaktereigenschaften nicht unnötig Geschlechtern zuzuschreiben? • Wird Heteronormativität reflektiert und werden Wege zu deren Aufhebung versucht? • Gibt es geschlechtliche Permeabilität? ◦ Bilder • Gendersensible Bilder treffen keine Vorauswahl für Geschlechter ◦ Verallgemeinerungen vermeiden • „Mädchen sind so…, Jungs sind so…“ ◦ Gefühle • Kinder ermutigen Gefühle auszudrücken 25 Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Jenny Westin Verona & Jesύs Verona: Kalle und Elsa ◦ In dem Buch geht es um starke Kinder; die Beiden handeln eigeninitiativ, die Erwachsenen spielen kaum eine Rolle. Die Kinder sind divers in Bezug auf Hauttöne und Geschlechterrollen: Elsa ist mutig und initiativ, Kalle darf weinen und sich trösten lassen. Seite Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert 26
Jessica Love: Julian ist eine Meerjungfrau
Frauke Angel: Disco ◦ Vielfaltskriterien: Geschlechtliche Rollenbilder, Vorurteile, Toleranz ◦ KIMI-Faktor: Dies Bilderbuch ermutigt Kinder und Erwachsene dazu, sich nicht von Stereotypen und Rollenklischees bestimmen und beirren zu lassen, sondern zu dem zu stehen, was ihnen gefällt und was sie mögen, auch wenn es ungewöhnlich ist ◦ Inhalt: Der kleine Junge hat eine neue Freundin, Pina, die findet, dass jeder sich so anziehen darf, wie er möchte. Sie leiht ihm ihr rosa Nachthemd, und am nächsten Morgen erscheinen beide stolz als wunderschöne Discotänzerinnen in ihrer Kita. Das gefällt aber nicht allen, auch nicht der Erzieherin, die sich kritisch äußert, und auch nicht dem Vater eines Freundes, der geradezu empört ist – ein Junge in Rosa geht ja wohl gar nicht! ◦ Der kleine Junge aber lässt sich nicht beirren, und Pina sowieso nicht. Wieso soll das denn „schwul“ sein, als Junge rosa zu mögen, und was soll das überhaupt heißen? Wenn es bedeutet, dass man dann Männer liebt, trifft das auf den Jungen zu, denn schließlich liebt er seinen Papa, aber Moment: Knutschen möchte er ihn dann doch nicht! Am Ende gibt es dann eine Party in der Kita, auf der jeder das tragen darf, was er will, und ganz viel Glitzer noch dazu. Knappe lakonische Texte; und in der Unbekümmertheit der Kinder liegt der Schlüssel zur Überwindung alter Muster und Stereotype.
Jesper Lundqvist: Kivi & der Monsterhund ◦ Vielfaltskriterien: geschlechterneutrale Sprache ◦ KIMI-Faktor: Eines der wenigen und ersten Bücher mit dem geschlechtsneutralen Pronomen hen. Beim Erzählen einer Geschichte wird auf Geschlechterzuschreibungen verzichtet. ◦ Inhalt: Das Vorwort beginnt mit der Frage „Wozu hen?“. Die einzigartige Geschichte wurde von Jochen Barthel übersetzt. Das geschlechtsneutrale Pronomen hen wurde, ohne Veränderung vom Schwedischen ins Deutsche in „Kivi & Monsterhund“ übertragen. In Kivi & Monsterhund geht es um Kivi, ein Kind mit einem großen und starken Wunsch. Hen wünscht sich so sehr einen Hund, dass die ganze Familie damit verrückt gemacht wird. Als hen eines Morgens wach wird, steht Monsterhund vor der Tür. Riesig, hässlich, schlabbernd und stinkend, raubt Monsterhund allen die Nerven- besonders Kivi. Die Situation mit Monsterhund spitzt sich so zu, dass sogar die Polizei und die Feuerwehr anrücken müssen. ◦ Jurystimme: Es braucht hen, schon allein deshalb, weil mit Kivi jeder für sich nachspüren kann, wie gern wir Kivi zu einem Er oder einer Sie und manchmal zu etwas dazwischen machen wollen. Kivi zeigt, dass mit einer geschlechtsneutralen Sprache, das Geschlecht in den Hintergrund und der Mensch mit seinen vielen anderen Eigenschaften in den Vordergrund rückt.“ ◦ „Wir danken allen die an „Kivi & Monsterhund“ beteiligt waren und somit den Schritt gewagt haben, etwas Neues und gleichzeitig so Überfälliges in die Kinderbuchliteratur zu bringen. Wir hoffen auf weitere Bücher in geschlechtsneutraler Sprache und auf kreative Lösungen um weg zu kommen von dem binären Geschlechtssystem.“ Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Dashka Slater: Bus 57 ◦ Vielfaltsmerkmale: Vielfältige Gender-Identitäten, Erfahrung mit Armut in der Familie, People of Color, soziale Disparitäten ◦ KIMI-Faktor: Der Jugendroman beleuchtet soziale Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Hautfarbe, Probleme im Justiz- und Gesundheitssystem und die Akzeptanz von gender-queeren Menschen. Und obwohl er in Kalifornien spielt und die beschriebenen Umstände nicht eins zu eins auf alle Gesellschaften übertragen werden können, besitzt vieles darin auch hierzulande Relevanz und regt zur Reflexion über die eigene Gesellschaft an. ◦ Inhalt: Sasha und Richard leben beide in der selben Stadt, aber in zwei sehr unterschiedlichen Welten. Sasha ist weiß, gender-queer und besucht eine Privatschule. Richard ist schwarz, aus einer sozial schwächeren Familie und ist schon öfters mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Der einzige Berührungspunkt, den die beiden Jugendlichen haben, ist die Fahrt im Bus 57, während der etwas passiert, das das Leben aller Beteiligten gründlich verändert: Richard fühlt sich durch Sashas exzentrische Erscheinung provoziert und zündet dessen Rock an. Sasha landet im Krankenhaus, Richard 30 Seite im Knast.
FAMILIEN- KONSTELLATIONEN
Familienkonstellationen ◦ Diverse Familienkonstellationen: Ein-Elter-Familien, LGBTIQ-Eltern- und Kinder-Konstellationen und - Erfahrungen, Zweielternfamilien, Trans und Co-Elternschaft, nicht-monogamer Beziehungsnetzwerke sowie queere Beziehungsnetzwerke im Kontext von Flucht, Same-sex parenting, co-parenting, blended family „Patchwork“-Familien, bildungsferne Familien, Familien mit alltäglichen Armutserfahrungen, Familien mit Adoptiv- oder Pflegekindern, Kinder ohne Eltern, Regenbogenfamilie, Inseminationsfamilie, Mehrelternfamilie 32 Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Zug der Fische ◦ Das Bilderbuch beleuchtet eine Perspektive auf die Arbeitswelt, die sonst meistens unsichtbar bleibt. Es erzählt die Geschichte einer Eurowaisin aus den Karpaten. Was genau das ist, erklärt der Journalist Keno Verseck im Nachwort: Als Eurowaisen werden osteuropäische Kinder, deren Eltern für wenig Geld im Westen arbeiten, bezeichnet. Meist leben sie bei Großeltern oder Nachbarn oder große Geschwister kümmern sich um sie. Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Tanja Székessy: Mio war da ◦ Vielfaltskriterien: Herkunft, Familienkonstellationen, soziale Milieus ◦ KIMI-Faktor: Ein kleiner Stoffpinguin guckt sich unbefangen und vorurteilsfrei ganz unterschiedliche Zuhause von Kindern aus seiner Klasse an. Dabei offenbart sich eine große Vielfalt an Lebensbedingungen und Stimmungen im familiären Zusammenleben. ◦ Inhalt: Mio ist der Stoffpinguin der ersten Klasse. Jeden Tag darf er mit einem anderen Kind nach Hause gehen. Er beschreibt aus seiner Sicht ganz sachlich und unvoreingenommen die unterschiedlichen Verhältnisse. Mal hat er Spaß und wird besungen und unterhalten, mal muss er sich mit dem Kind verstecken, bis der Partner der Mutter aus dem Haus gegangen ist und man mit der Mama inmitten von Bierdosen Fernsehen kann. Es gibt Riesenfamilien mit viel Lärm (nur schade, dass man ihn im Ranzen vergisst) und Kinder, die nachmittags allein sind. Er erlebt Familien jeder Couleur, arme und reiche, große und kleine, lustige und traurige. Mal freut man sich mit Mio, mal leidet man mit ihm. Seite Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert 34
Jutta Nymphius & Katja Spitzer: Alle zwei Woche ◦ Vielfaltskriterien: Gefühlsleben von Scheidungskindern, Trennung, Geschwisterliebe, Zusammenhalten ◦ KIMI-Faktor: Trennung und Scheidung der Eltern geht auch und insbesondere die Kinder etwas an. Dieser Erstleseroman zeigt, wie wichtig es ist, die Bedürfnisse aller zu respektieren und in die Planungen mit einzubeziehen. ◦ Inhalt: Martha ist wütend. Seit sich ihre Eltern getrennt haben, darf Martha nur noch alle 14 Tage zu ihrem Papa. Und genau dann, wenn sie gerade etwas angefangen hat, kommt ihre Mutter und holt sie ab. Der Alltag ist durchgeplant, Abweichungen werden nicht erlaubt. Zusammen mit ihrer älteren Schwester Mia beschließt sie, ihre Hausaufgaben ab sofort auch nur noch alle zwei Wochen zu machen. Bis die Eltern lernen, ihren Mädchen zuzuhören und dabei bessere Lösungen im getrennten Zusammenleben finden. ◦ Jurystimme: „Dieses Buch gibt Scheidungskindern eine Stimme.“ Seite Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert 35
Mareike Krügel & Nele Palmtag: Zelten mit Meerschwein ◦ Vielfaltmerkmale: ◦ Familienkonzept, Armut, Mobbing, Geschlechterrollen ◦ Der KIMI-Faktor: ◦ Das Buch beschäftigt sich u.a. mit dem in der Kinderliteratur oft vernachlässigten Thema Armut und zeigt den jungen Leser*innen konstruktiv, wie man mit Armutssituationen umgehen kann. Dabei bleibt es authentisch und realistisch: Es gibt keine “Erlösung” aus, sondern einen guten Umgang mit der Situation. Außerdem zeigt es, dass auch Jungs-Charaktere, die nicht den üblichen Klischee-Merkmalen “stark, durchsetzungsfähig, laut” entsprechen, tolle Kinderbuchhauptcharaktere sein können, mit denen man sich gerne identifiziert. ◦ Das Thema Trennung der Eltern wird realitätsnah und nicht problematiserend behandelt. Seite Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert 36
Bücher zu diversen Familienformen ◦ brauchen eine Abbildung der verschiedenen Familienkonstellationen ◦ sollen individuelle und gesellschaftliche Herausforderungen abbilden ◦ dürfen empowern ◦ sollen Copingstrategien anbieten, wenn Krisensituationen dargestellt werden ◦ laden zu Perspektivwechsel ein Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
MEHRSPRACHIGKEIT
Mehrsprachigkeit ◦ Derzeit etabliert sich in der Mehrsprachigkeitsforschung eine neue Sichtweise auf Mehrsprachigkeit: Die Verwendung von Sprachen wird als wertzuschätzende, gelebte soziale Praxis gesehen. Neue Sprachen zu lernen, bedeutet nicht vorrangig, sich neue sprachliche Strukturen zu merken und neues Vokabular zu üben, sondern vor allem: neue Sprachpraxen zu entwickeln. Languaging beschreibt das gesamte sprachliche Repertoire, das Menschen haben, entwickeln, leben und nutzen. ◦ Der Begriff Translanguaging legt den Fokus nicht auf Sprachen, sondern auf die sprachhandelnden Gewohnheiten bilingualer Menschen, die beobachtbar sind. ◦ Translanguaging beschreibt mehrsprachiges Handeln somit nicht als besonders oder ungewöhnlich, sondern als eine von vielen Formen möglicher Kommunikationsweisen (García 2009, 44). ◦ In der Translanguaging-Forschung wird die sprachwissenschaftliche und nationalstaatliche Tradition hinterfragt, dass Sprachen abgegrenzte bzw. abgrenzbare Einheiten sind. Sie fokussiert auf das, was Sprachenverwender*innen tatsächlich weltweit kompetent tun, statt auf das, was in Grammatikbüchern festgelegt wurde. ◦ Damit wird eine monolinguale Perspektive aufgehoben. Translanguaging beschreibt Sprachen und Sprachidentitäten aus der Perspektive der Benutzer*innen und nicht aus Perspektive des Staates oder einer staatlichen Institution Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Mehrsprachigkeit in Kinderbüchern ◦ Von zahlreichen Bilderbüchern liegen Übersetzungsfassungen vor. Das einzelne Buch ist damit zunächst einsprachig, die Mehrsprachigkeit ergibt sich erst aus der Zusammenschau mehrerer Sprachversionen. ◦ Andere Bücher enthalten selbst bereits mehrere Sprachen. ◦ Noch eher selten ist, dass mehrere Sprachen abwechselnd verwendet werden und die damit der Lebenswirklichkeit mehrsprachig aufwachsender Kinder besonders gut entsprechen. Diese Bücher zeigen, dass Mehrsprachigkeit kein bloßes „Nebeneinander vieler Sprachen“ bedeutet, sondern einen „kreativen Umgang mit Sprachen“ und spiegeln gelegte Sprachpraxis wieder. ◦ Integriert mehrsprachige Bücher enthalten oft typische Themen aus dem Alltag Mehrsprachiger wie Sprachmischungen, das tägliche Übersetzen, Verständigungsprobleme oder das Spielen mit Sprache(n). Diese Buchformate bildet einen guten Ansatzpunkt, um mit Kindern über deren eigene Erfahrungen ins Gespräch zu kommen. Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Mehrsprachigkeit und Literatur ◦ Kinderliteratur zeichnet sich durch Sprachenvielfalt und Varietätenreichtum aus, die von einer Alltagssprache, über Dialekte, Jargon, Slang, andere Sprachen bis hin zu Fantasiesprachen reichen und kindliche Leser*innen in die Welt der Kultur und Sprache einführen. ◦ Einerseits sprechen in literarischen Texten die Figuren selbst, bedienen sich einer eigenen Sprache, werden durch diese Sprache charakterisiert, und andererseits erzählt einE Erzähler*in in ‚seiner/ihrer’ Sprache die Geschichte. ◦ Kindliche Leser*innen werden aufgefordert, sich auf das Entdecken von sprachlichen Besonderheiten einzulassen sowie die Perspektiven von literarischen Akteur*innen nachzuempfinden, die einer neuen Sprache begegnen. Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Carson Ellis: Wazn Teez? ◦ In feinen, detailreichen Illustrationen entführt Carson Ellis kleine und große LeserInnen in ein fantastisches Insektenreich und den Kreislauf von Wachsen, Blühen, Vergehen und erneutem Keimen. Besonders spannend ist das Buch durch die Fantasiesprache, die die Insekten sprechen. Wazn Teez? bildet eine reizvolle, herausfordernde Mischung aus Comic, Bilderbuch und Sprachspielwiese. Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Sandra Niebuhr-Siebert: Mina entdeckt eine neue Welt ◦ Der erste Tag im Kindergarten – was für ein Abenteuer. Am Anfang ist fast alles fremd, sogar die Sprache der Kindergärtnerin. Aber jeden Tag lernt Mina etwas, auch neue Wörter, und jede Nacht träumt sie von den aufregenden Begegnungen mit den anderen Kindern. Sensibel illustriert. Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Silvia Hüsler: Der Fuchs ruft nein Eine Geschichte fast ohne Worte vom Fuchs mit der Papiertüte voller Kirschen. Und schon kommen die Gänse und wollen die Kirschen klauen. Schnell wendet der Fuchs die Tüte auf die andere Seite. NEIN, NO und NON ruft er laut und vertreibt die diebischen Gänse. Aber da kommen … Manche Kinder werden im Buch ihre Mutter- oder Vatersprache entdecken und es wird zur ersten Lektion in Mehrsprachigkeit und Integration. Im Anhang des Buches sind die Wörter für die Tiere in 49 Sprachen mit Aussprachenhilfe. Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Philip Winterberg: Bin ich klein? ◦ Gestartet wurde das Projekt 2011, im Jahr 2016 wurde dann der „Weltkinderbuch“-Status erreicht – das bedeutet, dass „Bin ich klein?“ für jedes Land der Erde in mindestens einer offiziellen Landessprache erhältlich ist. In den kommenden Jahren soll das Weltkinderbuch-Projekt noch weiter wachsen: Das Ziel ist es, „Bin ich klein?“ nach und nach in über 500 Sprachen zu übersetzen. Aktuell ist es bereits in über 100 Sprachen (darunter z.B. Koreanisch, Urdu, Grönländisch und Latein) erhältlich. Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Tang, Wie: Im Garten von Oma Apo ◦ Die alte Oma Apo lebt in einer chinesischen Stadt in einem hohen Haus im obersten Stock. Auf dem Markt sammelt sie immer altes Gemüse ein. Was seltsam wirkt, hat einen Grund. Mit dem Gemüse füttert sie ihre Tiere auf dem Dach und dann arbeitet sie in ihrem Dachgarten. Wird geerntet, ist das ein Fest. Es reicht für viele Menschen im Umfeld von Oma Apo und ihre Familie kommt auch immer zu Besuch, um kräftig verköstigt zu werden. Denn Oma Apo hat nicht nur einen Garten, sie ist auch eine begnadete Köchin. ◦ Das Bilderbuch erzählt von der wirklichen Großmutter des Künstlers und gibt damit Einblick in ein kleines Stück Alltag an einem besonderen Ort in China. Die emsige Großmutter mag sich nicht ausruhen. Ihr Tun ist sinnhaft und schafft Kreisläufe, die hochgradig produktiv und nachhaltig sind. Raum wird genutzt, Abfall zu Futter und Eigenversorgung schont Ressourcen und ist gleichzeitig sozial hochgradig integrativ. So profitieren alle – auch Oma Apo. Seite Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert 46
Polylino – die App für mehrsprachige Kinderbücher ◦ Derzeit etwa rund 400 Bücher im Angebot ◦ z.T. eingelesen in bis zu 56 Sprachen (bald über 60 Sprachen) ◦ Anwendungslizenzen für die Kita ◦ Polylino Schule mit Schwerpunkt auf Grundschule / Hort ist im Januar gestartet ◦ www.polylino.de
Mehrsprachige Kinderbücher ◦ zeigen diverse Sprachpraxen auf: Dialekte, Varietäten, Soziolekte, Fantasiesprachen, Verwendung mehrerer Sprachen im Alltag und deren Sprachhandeln, ◦ zeigen sprachliche Abweichungen auf ◦ geben einen monolingualen Habitus auf ◦ regen zur Auseinandersetzung mit Sprachen an ◦ bieten Sprach-Spielanregungen und regen die Sprech-Spiel-Phantasie an ◦ Machen Lust auf Sprache: https://www.fhchp.de/wp-content/uploads/2018/11/vortrag-lust-auf-sprache- machen.pdf Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
VORURTEILE, DISKRIMINIERUNG, RASSISMUS
Vorurteil, Diskriminierung ◦ Vorurteil: generalisierte, stabile negative oder positive Haltung gegenüber Personen, Gruppen oder Objekten; ihnen werden Merkmale zugeschrieben, die sie auf- oder abwerten (vgl. Roos und Kästner 2020, 25) ◦ Nach Zick (2011) entstehen Vorurteile in einem dreistufigen Prozess: (1) Kategorisierung als grundlegender kognitiver Prozess ermöglicht es, Komplexität zu verstehen, zu reduzieren und Unterscheidungen zu treffen. (2) Stereotypisierung, bei der Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Kategorie Eigenschaften zugeschrieben werden. (3) Personen und Gruppen werden aufgrund der zugewiesenen Stereotype einer Bewertung unterzogen ◦ Diskriminierung: ist die Benachteiligung eines Individuums oder einer Gruppe aufgrund der Zuschreibung eines Merkmals. (Wenning, 2007). Der Benachteiligung geht eine Unterscheidung und Bewertung der Menschen oder Gruppen voraus, die auf einem Machtpotential gegenüber den Diskriminierten beruht ◦ Institutionelle Diskriminierung manifestiert sich in Gesetzen, Organisationsstrukturen, in Bewertungsmaßstäben auf diskursiver und ideologischer Ebene 50 Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Rassismus ◦ Es gibt keine wissenschaftliche Grundlage für biologisch unterscheidbare Rassen. Ein genetischer Rassismus wird in der nachkolonialen Phase durch einen kulturellen Rassismus abgelöst (vgl. Hall 1989b: S. 913, S. 917). ◦ Im rassistischen Diskurs fungieren „körperliche Merkmale als Bedeutungsträger, als Zeichen innerhalb eines Diskurses der Differenz“ (S. 913). Dadurch entsteht ein „rassistisches Klassifikationssystem“, dass als Grundlage für rassistische Praxen – wie beispielsweise der Ausschluss von Gruppen mit bestimmten Merkmalen von materiellen oder symbolischen Ressourcen dient. ◦ Dieses Klassifikationssystem ist binär aufgebaut und stellt die selbstbeschreibenden Attribute über die des 'Anderen'. Diese Art von binärer Spaltung hat die Aufgabe „Identität zu produzieren und Identifikationen abzusichern“ (Hall 1989b: S. 919). ◦ Durch die Stereotypisierung des 'Anderen' wirkt die eigene Gemeinschaft wie eine homogene Gruppe in die (sprachlich, sozial, religiös, kulturell etc.) andere nicht hineinpassen. Auf diese Weise erfolgt die Konstruktion des 'Anderen' und der eigenen Identität. ◦ Rassistische Ideologien entstehen nach Hall „immer dann, wenn die Produktion von Bedeutung mit Machtstrategien verknüpft sind und diese dazu dienen, bestimmte Gruppen vom Zugang zu kulturellen und symbolischen Ressourcen auszuschließen“ (Hall 1989b: S. 913). Diese 'Ausschließungspraxen' gehen oft auf eine Naturalisierung zurück, also die Darstellung bestimmter kultureller oder sozialer Gegebenheiten als natürliche Eigenschaften. ◦ Hall, Stuart (1989b): Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Das Argument 178, Hamburg: Argument Verlag. S. 913-921 51 Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Hautfarbe ◦ Die ethnische Herkunft wird vom allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als primärer Benachteiligungsgrund benannt. ◦ Phänotypische Merkmale, wie Hautfarbe, sind im Gegensatz zu Merkmalen anderer Minderheiten stets von der Mehrheit unterscheidbar, sodass die unbewusste Zuordnung eines vermeintlichen Migrationshintergrundes selbst über Generationen hinweg erfolgen kann. ◦ Studienergebnisse: Kinder nehmen Unterschiede in der Hautfarbe bereits im Alter von 2 bis 5 Jahren wahr, übernehmen die damit verbundenen gesellschaftlichen Bewertungen und setzen diese gezielt ein, um bestimmte Ziele, wie Ausgrenzungen, Kränkungen zu erreichen und zu legitimieren (Diehm und Kuhn, 2011). 52 Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Rassistische Zuschreibungen für Schwarze ◦ Animalisierung ◦ Darstellung als Dienende ◦ Abwertung religiös-spiritueller Praktiken ◦ Abwertung des körperlichen Erscheinungsbildes: große Lippen ◦ Primitivierung in der Bekleidung: beispielsweise barfuß ◦ Infantilisierung ◦ Dezivilisierung ◦ Exotisierung: Lebensmittelpunkt in der Natur ◦ Geschichtslosigkeit ◦ Weiße Dominanz ◦ Unsoziales Verhalten ◦ Affinität zu Kriminalität ◦ Gesellschaftliche Gefahr Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
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Wie können Rassismen in Kinderbüchern erkannt werden? ◦ Aus wessen Perspektive wird die Geschichte erzählt? ◦ Welches sind die Hauptpersonen der Geschichte? ◦ Wer wird als aktiv, problemlösend und bewundernswert dargestellt? ◦ Kommen Schwarze Personen/Personen mit Migrationshintergrund in der Geschichte vor? Wenn ja: Sind sie aktiv und problemlösend? ◦ Können sich Schwarze Kinder bzw. Kinder mit Migrationshintergrund im positiven Sinn mit den Hauptfiguren identifizieren? ◦ Werden kulturelle Vielfalt und äußerliche Unter-schiede (Hautfarben etc.) als normal dargestellt? Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Rassismussensible Kinderbücher ◦ bieten Identifikationen für Kinder mit unterschiedlichen Vorerfahrungen und Familienkulturen ◦ regen Kinder an, ihren Horizont zu erweitern und etwas über die Vielfalt von Lebensgewohnheiten zu erfahren ◦ enthalten keine stereotypen und rassistischen Abbildungen oder Inhalte ◦ regen an, kritisch über Vorurteile und Diskriminierung nachzudenken ◦ helfen Kindern dabei, ihren „Gefühls-Wort-schatz“ zu erweitern ◦ enthalten Beispiele, die Mut machen, sich gegen Diskriminierung und Ungerechtigkeit zu wehren Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Marguerite Abouet, Mathieu Sapin, Ulrich Pröfrock: Akissi. Auf die Katzen, fertig, los! ◦ Vielfaltsmerkmale: People of Colour, Genderrollen ◦ KIMI-Faktor: Ganz selbstverständlich selbstbewusst ist Akissi. Neugierig, witzig und frech gestaltet sie ihren Alltag westafrikanischen Metropole Abidjan. ◦ Akissi lebt mit ihren Eltern, ihrem großen Bruder Fofana und ihrer großen Schwester Victorine in der ivorischen Metropole Abidjan. Was sie hier alles erlebt, wird in 14 kurzen Comic-Geschichten erzählt: Akissi verfolgt gemeine Katzen, die ihr den Fisch für Tante Victo abgeluchst haben, macht sich große Sorgen, als ihre kleiner Affe Bubu verschwindet und findet heraus, dass sich Bandwürmer hervorragend eignen um ihren Bruder zu ärgern. Sie holt sich Läuse bei einer Freundin um in Zukunft eine praktische Kurzhaarfrisur tragen zu können und versucht die kleine Maus, die eines Nachts im Kinderzimmer auftaucht, als Kuscheltier zu adoptieren. Nicht immer geht es gut aus für Akissi, doch davon lässt sie sich nicht beirren. Auch wenn ihre Mama ab und an mit dem Kopf schüttelt und ihr Bruder sich manchmal wünscht, seine kleine Schwester irgendwo zu verlieren: Akissi geht ihren Weg. Seite Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert 58
Tiffany Jewell: Das Buch vom Anti-Rassismus ◦ "In einer rassistischen Welt reicht es nicht, kein Rassist zu sein. Man muss Antirassist sein.„ Angela Davis ◦ Was ist Rassismus? Woher kommt er? Warum existiert er? Und die wichtigste Frage von allen: Was kann ich dagegen tun? ◦ In diesem außergewöhnlichen Buch führt die Autorin Tiffany Jewell ihre Leserinnen und Leser in 20 Kapiteln und Übungen durch die Geschichte des Rassismus, erklärt Hintergründe und Missverständnisse und gibt die Werkzeuge an die Hand, um eine Gesellschaft frei von Rassismus, Ausgrenzung und Fremdenhass zu bauen. ◦ Das Buch vom Antirassismus ... ◦ Stellt die Konzepte Rassismus, Ethnie und soziale Identität vor ◦ Schenkt Hoffnung durch inspirierende Geschichten von Stärke, Mut und Liebe ◦ Erklärt Sprache, Werkzeuge und Handlungen, um Rassismus zu stoppen Seite Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert 59
Vielfalt im Buch einschätzen können [Quelle: https://bilderimkopf.eu/home/unsere-perspektive/ … thttps://www.meinekinderbücher.de/kriterien/] ◦ Positive Identifikation: Wie können sich Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Vielfaltsaspekte positiv mit den handelnden Figuren identifizieren? ◦ Darstellung: Werden Menschen mit verschiedenen Vielfaltsaspekten differenziert dargestellt oder wird mit Klischees gearbeitet? ◦ Tatsachen: Werden Tatsachen sachlich richtig dargestellt? ◦ Empathie: Werden die Leser*innen angeregt sich mit Vielfaltsaspekten im Zusammenleben sowie mit Rassismus und Diskriminierung auseinanderzusetzen, empathisch zu empfinden und die eigene Haltung zu überdenken? ◦ Bestärkung: Machen die Medien Mut, sich gegen Stigmatisierung und Diskriminierung zu wehren und den Zusammenhalt zu stärken? ◦ Konfliktumgang: Fördert die Literatur eine friedliche und kreative Konfliktbearbeitung und Aushandlung? ◦ Gleichwertigkeit: Erscheinen unterschiedliche Lebensformen und Normen ebenbürtig? ◦ Anforderungslosigkeit: Muss man sich erst beweisen, um dazu gehören zu dürfen? 60 Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Die pädagogische Auseinandersetzung mit Diversität benötigt… ◦ Sachkenntnis: Ein Buch ist nicht per se divers. Erst wenn es strittige Themen behandelt, die nach Aushandlungen und neuen Handlungsweisen verlangen, trägt es ein Diversitätspotential ◦ Ein Diversitätspotential entfaltet sich dann, ◦ wenn Lösungen / Perspektiven / Verhaltensweisen nicht vorgegeben werden vom Buch (keine erzieherische Maßnahmen), sondern die Leser*innen sich eigene Haltungen selbst erarbeiten dürfen ◦ wenn es zu einem Dialog anregt ◦ wenn neue Perspektiven erkannt werden ◦ Eine neue Sprache gefunden wird ◦ wenn Rezeptionsgewohnheiten aufgebrochen werden, also wenn Literatur ästhetische Erfahrungen ermöglicht ◦ wenn literarische Perspektiven stringent erzählt werden Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
Linkhinweise ◦ https://www.abpaed.tu-darmstadt.de/media/gender/onlinepublikationen/Duesseld_Sprache-Macht- Rassismus-5MB.pdf ◦ http://www.tofufamily.de/rassismus-sexismus-stereotype-in-kinderbuechern/ ◦ www.kimi-siegel.de ◦ www.eltern-brauchen-vorlesen.de Prof. Dr. Sandra Niebuhr-Siebert
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