DOSSIER - Perspektiven WOHNEN - Villa mit Weitwinkel 32
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Februar/März 02•03/21 | raum-und-wohnen.ch | CHF 10.00
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— Trends — Portrait: Julie Richoz
— Küchen
— Wohnen in Rom, Zürich, Brixen & im Tessin
RAUM UND WOHNEN
DOSSIER — Perspektiven
WOHNEN — Villa mit Weitwinkel 32
EXTRA — Trautes Heim, Glück allein 62
2 Trend — Küchen & Geräte 88
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WORTWECHSEL
1_Als Trendforscherin wagt Oona Horx-Strathern einen
Ausblick, wie wir in Zukunft wohnen und arbeiten. Und da
Trendforschung keine «exakte» Wissenschaft ist, studiert
die gebürtige Irin selbst kleine Entwicklungen im sozia-
len und kulturellen Lebensgefüge. Foto: Klaus Vyhnalek
2_Im Home Report 2021 setzt die Zukunftsforscherin
und Wohnexpertin den Fokus auf die dringlichen Fragen,
welche die Corona-Krise hervorgebracht hat. Weitere
Informationen unter www.zukunftsinstitut.de/homereport.
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«Es geht um
Licht, Luft, Lärm und Liebe.»
Oona Horx-Strathern denkt über das nach, was ist, und das, was wird. Seit 25 Jahren arbeitet die gebürtige
Irin als Trendforscherin, Beraterin, Rednerin und Autorin. Ihre Studien beschäftigen sich mit wichtigen Fragen, die
sich um das Leben, Wohnen und Arbeiten in der Zukunft drehen. Zum dritten Mal fasste Oona Horx-Strathern
nun ihre Erkenntnisse in einem Home Report zusammen. Im Interview mit RAUM UND WOHNEN spricht sie
darüber, wie Corona unser Verständnis von einem guten Zuhause verändert hat.
von Kirsten Höttermann
Frau Horx-Strathern, wie wird man Trend- dann darin, wie all diese Trends unser Leben und Sehen Sie hier bereits Auswirkungen auf die
forscherin? Ich habe Anthropogeographie Arbeiten beeinflussen. Und was sich daraus für Architektur unserer Städte? Es gibt kleine
studiert, ein Fach, in dem es um Strukturen die Architektur bzw. Innenarchitektur ergibt. Zeichen. Die Baubranche reagiert im allge-
im Zusammenleben, allgemeine Entwicklungen, meinen ziemlich langsam auf Veränderungen.
aber auch um Stadtplanung und Architektur Hatte die Pandemie Einfluss auf ihre Arbeit? Wir brauchen mehr ökologisches Bauen, mehr
geht. Meine Abschlussarbeit schrieb ich über Mein aktueller Home Report ist wohl das flexible Grundrisse, mehr Balkone — das wird
Le Corbusier, der mit der Unité d’Habitation Schwierigste, was ich je geschrieben habe. sich jetzt hoffentlich mit der gestiegenen Nach-
in Marseille, einer Art Co-Living Space, seiner Ich habe im März damit begonnen, gerade als frage ändern. Die Stadt wird wieder attraktiver,
Zeit weit voraus war. Das war wohl der Beginn, der erste Lockdown kam. Natürlich hatte ich wenn sie grüner und ökologischer ist.
sich mit der Frage zu befassen: «Wie werden das Jahr zuvor bereits viele Sachen gesammelt
wir in Zukunft leben?». und hatte einige Ideen. Der Lockdown hat dann Wie hat sich die Krise auf unsere eigenen
andere Fragen aufgeworfen. Und es war span- vier Wände ausgewirkt? Um es kurz zu sagen:
Wie erkennen Sie Wohntrends? Durch jah- nend zu schauen, welches die Themen sind und Es geht um Licht, Luft, Lärm und Liebe. Licht
relange Erfahrung in der Trendforschung. In was bleiben wird. Eine echte Herausforderung! brauchen wir zum Arbeiten und zum Denken.
meiner Arbeit geht es nicht nur um Beobach- Und wenn wir schon nicht kontrollieren können,
tungen, sondern auch um die Auswertung von Hat die Pandemie tatsächlich neue Wohn- wie die Luft draussen ist, so wollen wir dies
Umfragen und Statistiken. Wir arbeiten seit trends ausgelöst oder wirkt sie lediglich als doch wenigstens in unserem Zuhause tun.
über 20 Jahren mit der sogenannten Mega- Verstärker? Für viele Sachen wirkt sie als Beim Thema Lärm geht es um Rückzugsorte,
trend-Map, die wie eine Art U-Bahn-Karte eine Art Beschleuniger. Besonders, wenn es vorzugsweise zum Arbeiten, und Liebe meint
aufzeigt, in welche Richtung es geht, welche um Stadt und Urbanisierung geht. Hier sind in diesem Falle die Liebe und Aufmerksamkeit,
grossen Trends es gibt und wie sie mit kleinen viele Trends bereits seit längerem zu erkennen die wir nun in unsere Wohnung stecken. Viele
oder Gegentrends in Verbindung stehen. Die und werden nun durch die neuen Bedürfnisse von uns haben im Moment auch die finanzi-
Megatrends wie Individualisierung, Urbanisie- forciert. Wir haben unsere Städte zum ersten ellen Mittel dafür, da sie nicht ausgehen und
rung oder Neo-Ökologie sehen wir nicht als eine Mal ruhig und sauber erlebt. Wir haben die nicht in den Urlaub fahren können. Nun ist
Mode; es sind die grossen Veränderungen in den grünen Orte entdeckt, aber auch gemerkt, vielleicht doch das neue Sofa dran oder die
sozialen, ökonomischen und demographischen was fehlt. Vielerorts wurden beispielsweise Küche. Die Prioritäten haben sich gedreht.
Prozessen, die über 80 Jahre oder mehr Be- Fahrradwege angelegt. Das hat uns gezeigt, Und vielleicht haben wir auch mehr Zeit, da wir
stand haben. Kleinere oder Gegentrends sind wie es sein könnte. Ein Zukunftsbild von der weniger pendeln. In einem Interview habe ich
hingegen kurzlebiger. Unsere Arbeit besteht Stadt, wie wir sie gern hätten. den schönen Satz gehört: «Die Küche ist das
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WORTWECHSEL
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit abverlangt
hat, ist zum Alltag geworden. Eine Umfrage
in der Schweiz hat ergeben, dass die
41- bis 50-Jährigen auch in Zukunft
mehr von zuhause aus arbeiten
wollen. Gleichzeitig rücken priva-
te Rückzugsorte — eben auch um
dort seinem Job nachzugehen — wieder
deutlicher in den Fokus. Auf längere
Sicht wird dies zu einer Veränderung der
Grundrisse führen. Kurzfristig benötigen
die Menschen neue Möbel und eine gute
Beratung durch (Innen)-Architekten.
In Brooklyn beispielsweise haben die
Architekten SO-IL ein Wohnhauspro-
jekt während der Krise umgedacht:
Sie haben Küche, Ess- und Wohnzim-
mer voneinander abgegrenzt, anstatt
sie ineinander übergehen zu lassen.
Schlaf-, Arbeits- und Kinderzimmer
wurden weiter voneinander entfernt,
um mehr Ruhe zu schaffen und die
Freiflächen wurden vergrössert.
Apropos Freiflächen: Wir alle haben gemerkt,
wie wichtig der kleinste Balkon während der
Corona-Krise geworden ist. Was sagen Sie zu
neue Pendeln». Die Küche ist wieder weniger Möbel her? Ist der Sofabezug nur praktisch diesem Revival? Während des Lockdowns war
Statussymbol und dafür mehr Arbeitsraum. oder auch aus einem schönen Material? Man es ein regelrechtes Privileg, einen Balkon zu
Als einen Wohntrend sehe ich das, wie ich es könnte sagen, je mehr Zeit wir mit unseren besitzen. Diejenigen, die keinen hatten, sehnten
nenne «Home Suite Home», weil die Menschen Möbeln und Wohnobjekten verbringen, umso sich nach einem privaten Platz im Freien. Das
eine neue Beziehung zu ihrem Zuhause auf- wichtiger wird, dass sie auch gut für uns sind. zeigt auch, dass der Verkauf von Pflanzen
bauen und dabei das Hotel als Vorbild für mehr Die Menschen haben ein Bedürfnis nach na- und Blumentöpfen gestiegen ist. Der deutsche
Komfort sehen. Dabei machen sie sich in der türlichen Materialien, selbst vegane Möbel sind Handelsverband für Heimwerken, Bauen und
Zeit, die sie in ihren vier Wänden verbringen ein Thema. Ich denke, das geht soweit, dass Garten beispielsweise hat für das erste Halb-
müssen, wieder vermehrt Gedanken um das, es in Zukunft ein Label für Möbel geben wird, jahr 2020 ein Umsatzplus von 25 Prozent
was sie umgibt. Fragen nach den Materialien welches zeigt, wie viel Wasser für die Herstel- im Bereich Gartenausstattung verzeichnet.
kommen auf: Sind die Farben an den Wänden lung verbraucht oder wie viel CO2 produziert Aber der Balkon ist mehr geworden als ein
gesund und ökologisch? Wo kommen meine wurde. Aktivismus zuhause wenn man so will. Plätzchen an der frischen Luft. Über ihn kann
man mit Nachbarn kommunizieren und sogar
Sie haben bereits das Thema Homeoffice interagieren. Die Menschen haben zusammen
1_Die Wohntrend-Map bietet eine Orientierungs- angesprochen. Nicht jeder besitzt ein Büro in auf ihren Balkonen musiziert oder Sport ge-
grundlage, um die vielfältigen Trenddynamiken rund den eigenen vier Wänden. Wie kann es trotz- macht. Einsamkeit ist in der Pandemie zum
ums Wohnen und Bauen einzuordnen. Die Wohntrends dem gehen? Die Verschmelzung von Wohn- Thema geworden. Und das nicht nur bei alten
sind dabei nach den Megatrends geclustert, die und Arbeitsräumen, die zum Megatrend «New Menschen, sondern auch bei den jungen. Die
aktuell den grössten Einfluss auf die Wohnmärkte
und Baubranche haben. Häufig werden einzelne Work» gehört, ist ein weiterer wichtiger Punkt. Menschen wollen nicht allein zuhause sitzen. Sie
Trends nicht nur von einem, sondern von mehreren Veränderungen in der Arbeitswelt konnten wir sind auf der Suche nach einer Gemeinschaft.
Megatrends getrieben. bereits in den letzten Jahren beobachten. Es
erschien uns möglich, nicht unbedingt im Büro, Gibt es einen Trend, der Sie überrascht hat?
2_Oona Horx-Strathern machte nicht nur als
Trendforscherin, Beraterin, Rednerin und Autorin sondern auch an anderen Orten oder sogar Das Hoffice. Ich finde es erstaunlich, wie die
auf sich aufmerksam. Zusammen mit ihrem Mann unterwegs zu arbeiten. In Zeiten der Krise Menschen sich angepasst haben. Wie schnell
dem Zukunftsforscher Matthias Horx baute sie in ist es plötzlich zwingend notwendig geworden, sie sich Ecken in ihren Wohnungen eingerichtet
Wien das Future Evolution House, in dem das Paar die Wohnräume als Büro zu nutzen. Ich habe haben, um dort zu arbeiten. Ich selbst habe
zusammen mit zwei erwachsenen Kindern lebt. Das das Wort Hoffice kreiert, um zu umschreiben mich sogar einmal in den Wäscheraum zu-
Haus der beiden Zukunftsforscher kommt dabei ohne
viel Technik aus. Vielmehr ging es beim Entwurf um wie Home und Office verschmelzen. Aber das rückgezogen. Meine Familie war während des
das Zusammenleben der Bewohner, um Beziehungen Wort ist auch eine Anlehnung an das Wort Lockdowns zu sechst im Haus und hatte nicht
und Komfort. Foto: Klaus Vyhnalek «hope», also Hoffnung. Was uns erst viel genug Tische zum Arbeiten. Wir haben uns mit
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Gartenmöbeln beholfen. Alles improvisiert! Es für sich entdeckt und eingerichtet haben. Es
gab dann den schönsten Raum zum Zoomen gab sogar Firmen, die sich auf Balkonpflanzen
oder den besten zum Schreiben. Und wir haben spezialisiert haben. Wenn ich die vielen Wohn-
wie beim Stuhlkreis die Plätze gewechselt. blöcke sehe, denke ich manchmal, ein Balkon
Die Toleranz der Menschen untereinander müsste ein Grundrecht sein. Was mich auch
ist gestiegen. Und ganz bestimmt hat man überrascht hat, war die Aufwertung unserer
unterschätzt, wie wichtig Balkone sind. Ich Wohnungen. Die Menschen haben aufgeräumt,
habe mich wirklich gewundert, wie kreativ die ausgemistet und ihren Wohnungen ein richtiges
Menschen waren und sind. Es gab Mini-Cat- Upgrade verpasst.
walks, Konzerte, sogar Marathonläufe. Balkone
sind sehr interessante, halbprivate Räume. Sie Wird der Trend, es sich zuhause schön zu
gehören einzelnen Personen, sind aber auch machen, noch eine Weile bleiben? Ich glaube
irgendwie offen. Eine Italienerin hat das pas- ja. Manche Dinge brauchen Zeit, im Kopf zu
send zusammengefasst, indem sie sagte: «A reifen. Und der Cocooning-Effekt wird sicher
balcony makes your home free». Es war schön, auch noch eine Zeit lang anhalten. Am Ende ist
als die Menschen diese kleinen Freiräume neu natürlich alles auch eine ökonomische Frage.
STRATHERN.EU
Küche leben, Wohnträume geniessen.
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