Die Medien in der Corona-Krise - Die traditionellen Medien haben an Glaubwürdigkeit gewonnen. Doch per Instant Messaging werden Falschmeldungen ...

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Die Medien in der Corona-Krise - Die traditionellen Medien haben an Glaubwürdigkeit gewonnen. Doch per Instant Messaging werden Falschmeldungen ...
MEDIENPSYCHOLO GIE

                 Die Medien in der
                   Corona-Krise
 Die traditionellen Medien haben an Glaubwürdigkeit
   gewonnen. Doch per Instant Messaging werden
             Falschmeldungen verschickt

In der Corona-Krise werden Medien                           Die Medien stecken in einer grossen Vertrauenskrise.
deutlich öfter genutzt. Doch die Pan-                       Dieses Phänomen wird regelmässig durch Umfragen
demie führt auch zur Verbreitung von                        belegt. Laut einer jährlichen Studie des Reuters Insti-
                                                            tute, die in rund vierzig Ländern der Welt, unter an-
Falschmeldungen, die in den sozialen                        derem auch in der Schweiz, realisiert wurde, hat weni-
Medien und Messengerdiensten auf                            ger als jeder Zweite Vertrauen in die Bericht­erstattung
Resonanz stossen.                                           der Medien. Noch spektakulärer ist dieser Vertrau-
                                                            ensschwund bei jungen Menschen, wie der Easy­vote-
NATHALIE PIGNARD-CHEYNEL                                    Barometer des Forschungsinstituts gfs.bern für die
Seit mehr als einem Jahr sind wir mit einer Ausnahme-       Schweiz zeigt. Die Gründe dafür sind vielschichtig,
situation konfrontiert. Nicht nur auf gesundheitlicher,     konjunkturell und strukturell. Parallel dazu kommt es
politischer, gesellschaftlicher und kultureller Ebene,      zu einem Konkurrenzkampf zwischen den verschie-
sondern auch in puncto Berichterstattung. In einer          denen Akteuren, die Inhalte produzieren (Influencer,
Zeit, die sowohl individuell als auch kollektiv von einer   Institutionen, Fachleute, Persönlichkeiten aus Politik
ausserordentlichen Unsicherheit geprägt ist, stellt sich    und Kunst und so weiter). Dies schwächt die Medien.
die Frage nach unserem Verhältnis zur Information,          Was passiert mit ihnen in Krisenzeiten?
nach unserem Vertrauen in die Quellen und unserem                Die Erhebungen, die während der ersten Welle der
Umgang mit Falschmeldungen und Verschwörungs-               Corona-Pandemie in der Westschweiz durchgeführt
theorien. In den ersten Wochen der Pandemie wurde           wurden, zeigten, dass die Informationen vorwiegend
in der Westschweiz eine Fragebogenerhebung durch-           aus den Medien bezogen wurden. Mehr als neun von
geführt. Aus der Umfrage vom 24. April bis 10. Mai          zehn Befragten gaben die Medien als wichtigste Infor-
2020 resultierten 3845 ausgefüllte Fragebögen.              mationsquelle an, weit vor Regierungs- oder Gesund-
     Die Ergebnisse bilden das Informationsverhalten        heitsbehörden. Die ausgezeichneten Einschaltquoten
in Krisenzeiten ab – inwiefern Medien als vertrauens-       in diesem Zeitraum (vor allem Radio und Fernsehen,
würdige Quellen gelten –, aber auch das Risiko, das         aber auch online) belegen dieses Ergebnis. Und das in
durch Desinformation und Falschnachrichten entsteht.        einer Zeit, in der den Medien – reine Ironie des Schick-
Die Studie zeigt ausserdem, dass sich das Informati-        sals – die Werbeeinnahmen weggebrochen sind. Die
onsverhalten und die Reaktionen junger Menschen             Corona-Krise hat also zu einer starken Informations-
von denen der älteren unterscheiden.                        nachfrage geführt. Im Kontext einer grossen Unsicher-

                                                                                              Gesundheitsminister Alain Berset vor
                                                       18                                den Medien. Die Corona-Krise hat zu einer
                                                                                           starken Informationsnachfrage geführt.
Die Medien in der Corona-Krise - Die traditionellen Medien haben an Glaubwürdigkeit gewonnen. Doch per Instant Messaging werden Falschmeldungen ...
Psychoscope 4/2021   MEDIENPSYCHOLO GIE

                                                                  bot an Informationen, die on- und offline viral gehen.
                                                                  Sie sind ein Versuch, «absichtlich falsche Informatio-
                                                                  nen zu verbreiten, um die Massnahmen der Gesund-
                                                                  heitsbehörden zu untergraben und die diversen Ziele
                                                                  bestimmter Gruppen oder Personen zu fördern». In
                                                                  der Schweiz schienen Falschmeldungen bis dahin kein
                                                                  grosses Thema zu sein. Doch die Corona-Krise mit ih-
                                                                  rer Unwägbarkeit und der zögerlichen Pandemiepoli-
                                                                  tik hat die Verbreitung dieser bewusst irreführenden
                                                                  Inhalte gefördert. Soziale Netzwerke und ihre Algo-
                                                                  rithmen liessen diese Falschinformationen viral gehen.
                                                                       Neben der Art der Falschnachrichten (von völ-
                                                                  lig abstrusen Heilmitteln gegen Covid-19 bis zu viel-
                                                                  schichtigen Verschwörungstheorien) beschreitet auch
                                                                  ihre Verbreitung neue Wege. Fast zwei Drittel der Be-
                                                                  fragten gaben an, dass sie Falschnachrichten zu Co-
                                                                  vid-19 per Instant Messaging erhalten haben. Bei den
Eine Erhebung zeigte, dass in der Pandemie die Infor­             15- bis 25-Jährigen betrug der Anteil sogar drei Viertel.
mationen vorwiegend aus den Medien bezogen werden.
                                                                  Desinformation schwappt somit von ihrem Stamm­
                                                                  revier – den sozialen Netzwerken – auf persönliche-
                                                                  re Kommunikationsmethoden über, bei denen das
                                                                  Vertrauen in die Inhalte umso stärker ist, als sie von
                                                                  nahestehenden Menschen geteilt werden. Diese Art
heit war insbesondere eine Rückbesinnung auf glaub-               der Weitergabe ist aussergewöhnlich effizient. So ha-
würdige Quellen zu beobachten.                                    ben mehrere wissenschaftliche Studien gezeigt, dass
     Die Medien haben mit neuen Angeboten und For-                einer Information eher vertraut wird, wenn sie von ei-
maten auf diese starke Nachfrage reagiert: Viele stell-           nem nahe­stehenden Menschen übermittelt wird, un-
ten auf Live-Berichterstattungen um, einige hatten sich           abhängig davon, woher die Information ursprünglich
für pädagogische Beiträge entschieden, bei denen der              stammt. Nachrichten, die sich das Verbundenheits­
Fokus auf der Erläuterung der Zahlen lag (Datenjour-              gefühl zunutze machen, verbreiteten sich schnell: Wer
nalismus hatte Hochkonjunktur), und andere wieder-                hat noch nie eine Text- oder Sprachnachricht mit dem
um setzten vermehrt auf serviceorientierte Inhalte, die           Erlebnis­bericht eines «Bruders einer Freundin, deren
den Bürgerinnen und Bürgern in diesen Zeiten der
Angst Unterstützung bieten sollten.
     Die Medien wurden nicht nur vermehrt genutzt,
sie scheinen auch wieder an Vertrauen gewonnen zu                    Die Jungen informieren
haben. Mehr als die Hälfte der Befragten beurteilt Me-
dien und Journalisten als glaubwürdige Quellen. So
                                                                     sich nicht weniger oder
wird die Berichterstattung über die Krise sehr positiv               weniger gut. Sie infor-
                                                                       mieren sich anders.
bewertet: Mehr als acht von zehn Personen sind der
Meinung, dass die Nachrichtenmedien Covid-19 und
den Umgang mit der Krise erklärt und ihnen geholfen
haben, die Pandemie zu verstehen. Dieses Vertrauen ist
jedoch labil. So vertritt nahezu ein Drittel der in der
                                                   Mutter die Tante kennt, die ihrerseits in den Univer-
Westschweiz befragten Personen (vor allem aber übersitätsspitälern Genfs arbeitet» erhalten oder sogar ge-
die Hälfte der 15- bis 25-Jährigen) die Ansicht, dass
                                                   teilt? Verändert und übertrieben verbreiten sich diese
Journalisten und Medien möglicherweise falsche und Falschinformationen wie ein Gerücht. Sie lassen sich
erfundene Informationen über Covid-19 verbreiten.  nur schwer zurückverfolgen und auf ihren Wahr-
                                                   heitsgehalt hin prüfen. Die WHO, das Bundesamt für
Auf die Pandemie folgte die Infodemie              Gesundheit (BAG) und die Spitalzentren mussten re-
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte in gelmässig Falschinformationen dementieren, um die
den ersten Wochen nach dem Ausbruch der Pandemie Bevölkerung vor solchen Informationen zu warnen
vor der Gefahr einer «Infodemie» – einem Überange- und ihre Auswirkungen zu begrenzen.

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Junge Leute informieren sich anders                          während dieser Prozentsatz bei den über 25-Jährigen
Und wie sieht es bei jungen Menschen aus? Wie ge-            lediglich 41 Prozent beträgt. Junge Menschen setzen
hen sie mit den Informationen um, die während der            übrigens stark auf Gespräche und Diskussionen, um
Pandemie kursieren? Sind ihr Verhalten und ihre Ein-         sich eine Sichtweise auf Informationen anzueignen,
schätzung mit denen ihrer Vorgängergenerationen              sich eine Meinung zu bilden und mit den Ideen an-
vergleichbar? Die Befragung in der Westschweiz deckt         derer Menschen auseinanderzusetzen – wobei dieser
einige Besonderheiten bei den 15- bis 25-Jährigen auf.       Austausch meist auf digitalen Plattformen stattfindet.
     Junge Menschen informieren sich vor allem über          Für die Medien ist es auf jeden Fall eine Überlegung
digitale Kanäle, was an sich nicht weiter erstaunlich ist.   wert, ob sie nicht vermehrt Diskussionen über die Be-
Das ging schon aus früheren Studien wie beispielswei-        richterstattung anbieten, ihre Arbeit erklären und auf
se der JAMESfocus-Studie 2019 hervor. Ob über Such-          die Fragen der User antworten sollten – so wie das zum
maschinen wie Google (55 Prozent der 15- bis 25-Jäh-         Beispiel seit einigen Monaten auf der Streamingplatt-
rigen informieren sich über Google im Vergleich zu           form Twitch ausprobiert wird.
45 Prozent der über 25-Jährigen), Messengerdienste                Letztlich erwies sich diese aussergewöhnliche Zeit
wie WhatsApp (21 gegenüber 15 Prozent), Plattformen          als Bewährungsprobe für die Medien, die ihren Sta-
wie Youtube (20 gegenüber 11 Prozent) oder auch so-          tus als Leuchtturm in der Informationsflut behaupten
ziale Netzwerke wie Instagram (13 gegenüber 3 Pro-           konnten. Im Grossen und Ganzen wurden sie als sicher
zent): Junge Leute haben sich die digitalen Quellen          und glaubwürdig eingestuft, ihre Berichterstattung
massiv angeeignet und bringen ihnen mehr Vertrauen           über die Krise wurde positiv beurteilt. Allerdings hat
entgegen als die Generationen vor ihnen. Dazu ist zu         die Krise zwei wunde Punkte weiter verstärkt, die be-
bemerken, dass sich bei Facebook eine Umkehr voll-           sondere Aufmerksamkeit erfordern: Die grossflächige,
zogen hat: In der Krise haben sich mehr über 25-Jäh-         verdecktere Verbreitung desinformativer Inhalte wan-
rige als 15- bis 25-Jährige über Facebook informiert         dert zum Teil zu Messengerdiensten ab. Dadurch wird
(17 gegenüber 16 Prozent). Trotz der Vorherrschaft der       es schwieriger, sie zu entlarven und zu bekämpfen.
digitalen Plattformen bleiben die Medien eine wichti-        Und junge Menschen wandern zu anderen Diensten ab,
ge Informationsquelle, auch wenn gleichzeitig andere         es entstehen neue Informationsmuster, die ihrem Ver-
Nachrichtenquellen genutzt werden: 21 Prozent der 15-        halten entsprechen: digital, auf Peer-Ebene und kon-
bis 25-Jährigen (gegenüber 8 Prozent der über 25-Jäh-        versationsorientiert. Solche Inhalte werden von den
rigen) geben an, dass sie sich über Medien informiert        traditionellen Medien derzeit kaum angeboten. 
haben, die Videos in den sozialen Medien produzieren,
oder über Persönlichkeiten, die in den sozialen Medi-
en aktiv sind – Journalisten, Populärwissenschaftler
oder selbst Prominente, die während der Pandemie
sehr aktiv waren.
                                                                                DIE AUTORIN
      Entgegen der allgemeinen Auffassung informieren
sich junge Leute jedoch nicht unbedingt weniger oder
                                                                                Nathalie Pignard-Cheynel ist Professorin
weniger gut. Sie informieren sich nur anders als die                            für Journalismus und digitale Bericht-
älteren. Sie konsumieren Nachrichten in fragmentier-                            erstattung und Leiterin der Akademie
ter Form, oft nach Zufallsprinzip (Nachrichten werden                           für Journalismus und Medien an der
                                                                                Université de Neuchâtel. Sie leitet
durch Algorithmen ausgewählt oder von Nahestehen-                               Forschungsprojekte zu Themen wie
den geteilt). Dabei werden verschiedenste Quellen zu-                           Informationsverhalten junger Menschen,
sammengewürfelt (in Bezug auf Themen, redaktionelle                             Falschmeldungen und Desinformation.

Ausrichtung und zuweilen auch Zuverlässigkeit). Der
                                                                                KONTAKT
Nachrichtenkonsum kann also vielfältig und reichhal-
tig, aber auch – im Hinblick auf die Qualität – fraglich                        nathalie.pignard-cheynel@unine.ch
sein. Die jungen Menschen sind sich dessen bewusst
und werfen einen kritischen Blick auf ihr eigenes Ver-                          LITERATUR

halten, die Quellen und die Kanäle, die sie nutzen.                             Pignard-Cheynel, N., Salerno, S., & Car-
                                                                                lino, V. (2020). S’informer en période de
      In Sachen Desinformation ergreifen sie bei der                            crise sanitaire. Pratiques d’information et
Rezeption von Falschmeldungen eher die Initiative,                              exposition aux fake news en Suisse roman-
den Absender der Nachricht zu informieren. So ge-                               de pendant la première vague de Covid-19
                                                                                (mars-avril 2020). Lausanne: Initiative
ben 51 Prozent der 15- bis 25-Jährigen an, bereits auf                          for Media Innovation et Office fédéral de
Falsch­ meldungen aufmerksam gemacht zu haben,                                  la communication.

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